Hans Dominik
Der Brand der Cheopspyramide
Hans Dominik

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Mette Harder war im Garten bei den Blumen beschäftigt. Langsam schritt sie durch das Rosenparterre, das sich wie ein einziger üppiger Flor um die Villa am Bismarckdamm legte. Hier und dort blieb sie stehen, trennte mit geschicktem Schnitt eine erblühte Rose vom Strauch und legte die Blume zu den anderen in ein Körbchen. In ihre Beschäftigung vertieft, hatte sie das Anschlagen der Hausglocke überhört. Jetzt ließ ein Stimmengewirr sie aufhorchen.

Der Gärtner sprach mit einem Fremden, der an der Pforte stand.

»Der Herr Generaldirektor sind nicht hier. Sie müssen später wiederkommen.«

»Ausgeschlossen, lieber Mann. Meine Sache hat Eile. Ich muß den Herrn Generaldirektor schnellstens sprechen. Wann wird er denn kommen?«

Die energische Weise des Besuchers schüchterte den Gärtner ein. Verlegen kraute er sich hinter dem linken Ohr.

»Der Herr Generaldirektor werden . . . ich weiß nicht, wann der Herr Generaldirektor hier sein werden.«

»Ich muß ihn aber sprechen. Es ist sehr wichtig. Er hat mich hierherbestellt. Ich werde also hier warten.«

31 Mette Harder horchte auf und näherte sich dem Gartentor. Als der Fremde sie erblickte, trat er auf sie zu. Er war mit nachlässiger Eleganz gekleidet, die schlanke, sehnige Gestalt, das gebräunte Gesicht verrieten den Sportsmann.

»Ich habe das Vergnügen, Fräulein Mette Harder begrüßen zu dürfen? . . . Mein Name ist Iversen . . . Malte von Iversen. Beachten Sie den schönen Vornamen Malte, bitte! Gewesener Leutnant, gewesener Kaufmann, halb gewesener Rittergutsbesitzer. Die Klitsche ist verpachtet. Jetziger Hauptberuf Sportsmann.«

Mette starrte den Fremden halb unwillig, halb besorgt an. Was wollte der Mensch?

»Ich habe die Ehre, durch ein Dutzend Nadelöhre mit Ihnen, gnädigstes Fräulein Mette, verwandt zu sein. Onkel, Vetter, Neffe, wie man will. In ähnlichen Fällen schwer definierbarer verwandtschaftlicher Beziehungen wähle ich den Titel nach dem vermutlichen Datum der betreffenden Taufscheine. Wenn ich Sie jetzt, gnädigstes Fräulein Mette, gegen alle Gesetze der Galanterie als Base begrüße, so nur deshalb, weil es mir zu schwer fällt, mich in die Onkelwürde einzufühlen.«

Mette reichte dem Besucher mit einem kühlen Lächeln die Hand. Die saloppe Art seines Wesens mißfiel ihr. Sie war nicht gewöhnt, daß ihr die Herren der Gesellschaft anders als mit der ausgesuchtesten Hochachtung begegneten.

»Ich begrüße Sie, Herr von Iversen. Sie wollen meinen Vater sprechen. Der Diener wird Sie nach oben führen. Mein Vater muß gleich zurückkommen.«

»Bitte tausendmal um Verzeihung, meine gnädigste Base, wenn ich es vorziehe, hier in der Gesellschaft der schönsten Rosen den Herrn Onkel zu erwarten.«

Er machte eine überkorrekte Verbeugung vor Mette, um über den Sinn seiner Worte keinen Zweifel aufkommen zu lassen.

»Stubenluft ist nur im Notfall für mich akzeptabel.«

32 Unbekümmert, ob es Mette genehm oder nicht, ging er an ihrer Seite durch die Anlagen. Und je länger er neben ihr ging, desto mehr schwand bei ihr das Gefühl des Mißbehagens. Die unbekümmerte Selbstverständlichkeit, mit der er unaufhörlich Fragen stellte und Mette zwang, an der Unterhaltung teilzunehmen, sein liebenswürdiges Plaudertalent, ließen ihre Zurückhaltung mehr und mehr schwinden. Sie überhörte völlig das Herankommen des Wagens, der ihren Vater zurückbrachte.

Als Harder, vom Diener gewiesen, sie im Garten aufsuchte, erstaunte er, das helle Lachen Mettes durch die Büsche klingen zu hören. Seit jenen Tagen von Warnum glaubte er Mette niemals so lachen gehört zu haben. Als er näherkommend den Besucher erkannte, wich der frohe Ausdruck seiner Mienen. Es war ihm offensichtlich nicht angenehm, Mette in Gesellschaft Iversens zu sehen.

»Ah, mein teuerster Onkel! Ich begrüße Sie, Herr Generaldirektor! Es war mir ein ausgezeichnetes Vergnügen, in Gesellschaft von Base Mette die Schönheit Ihres Gartens bewundern zu dürfen.«

Harder reichte Iversen die Hand.

»So nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Sie warten ließ?«

»Im Gegenteil, verkehrtester Herr Generaldirektor. Ich muß es fast bedauern . . .«

». . . daß ich nicht länger auf mich warten ließ, Herr von Iversen?«

»So ungefähr, Herr Generaldirektor«, lachte Iversen. »Ich vergaß Zeit und Raum, sogar des Auftrages . . .«

Ein deutlicher Augenwink Harders ließ ihn verstummen.

»Verzeih, Mette! Eine dringende geschäftliche Angelegenheit zwingt mich, Herrn von Iversen deiner Gesellschaft zu entziehen. Vielleicht, daß später . . .«

»Auf Wiedersehen, Herr Vetter Malte. Es war mir ein 33 Vergnügen, die verwandtschaftlichen Beziehungen mit Ihnen aufzunehmen.«

Während die Herren sich in das Haus begaben, ordnete Mette die Rosen, die sie gesammelt hatte, zu einem Strauß. Ging dann auch ins Haus zur Bibliothek, sie in eine Vase zu stellen.

Da hörte sie die Tür zum Nebenzimmer aufgehen und den Vater mit dem Besucher eintreten.

Sie wollte die Bibliothek wieder verlassen, als sie plötzlich wie angewurzelt stehen blieb.

Der Name! . . . den ihr Vater soeben gerufen . . . nein, geschrien hatte. Eisenecker! Der Klang ließ sie erbeben. Es zuckte in ihren Mienen. Wie von einem inneren Zwange getrieben, näherte sie sich der Portiere, die das Nebenzimmer von der Bibliothek trennte.

Ihr Vater schritt erregt auf und ab. Immer wieder murmelten seine Lippen den Namen.

»So hat mich meine Vermutung nicht betrogen, Herr von Iversen! Eisenecker ist es . . . er hat den Barren verkauft . . . kein anderer konnte es sein.«

»Und es war für mich sehr angenehm, daß Sie mir diese Spur gaben, Herr Harder. Sonst wäre es mir schwer gefallen, oder es hätte jedenfalls länger gedauert, den Herrn als den Verkäufer des Goldbarrens festzustellen.«

»Warum, Herr von Iversen?«

»Der Mann, der den Goldklumpen verkaufte, war äußerlich ein ganz anderer als der, dessen Photographie Sie mir gaben.«

»Wieso? Hatte er sich verkleidet?«

»Keineswegs. Er kam nach Hannover, so, wie er war.«

»Ich verstehe Sie nicht, Herr von Iversen.«

»Oh, sehr einfach, Herr Harder. Der Eisenecker vor vier Jahren hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem von heute oder vielmehr mit dem von gestern.«

34 »Was soll das heißen?«

»Nun, Eisenecker hat die letzten Jahre unter dürftigsten Verhältnissen gelebt und dabei Tag und Nacht gearbeitet. Sie selbst würden ihn nicht wiedererkannt haben.«

»So, so. Haben Sie sonst noch irgend etwas anderes von Bedeutung ermittelt?«

»Jawohl, Herr Generaldirektor. Es dürfte Sie zweifellos interessieren, daß Herr Eisenecker im Begriff steht, Europa zu verlassen. Er hat auf dem übermorgen abgehenden Flugschiff nach Amerika einen Platz belegt. Ich bin deshalb sofort hierhergekommen. Wollen Sie ihn weiter im Auge behalten, so muß sofort telegraphisch ein zweiter Platz auf dem Schiff belegt werden.«

»Selbstverständlich, Herr von Iversen. Natürlich müssen Sie ihn dauernd überwachen. Wir dürfen den Mann nicht aus den Augen lassen. Das Interesse der Riggers-Werke erfordert es.«

Malte von Iversen tat nachdenklich ein paar Züge aus seiner Zigarre. Erstaunt betrachtete er den Generaldirektor. Die Erregung, die aus dessen ganzem Wesen sprach, war ihm nicht verständlich.

»Ihr ganzer Auftrag ginge also dahin, Herr Harder, daß ich Eisenecker auf den Fersen bleibe, wohin er sich auch wendet, und Ihnen von seinem Tun und Treiben Bericht gebe.«

»Jawohl, Herr von Iversen.«

»Hm . . .«

»Sie meinen, Herr von Iversen?«

»Hm . . . ich meine, daß ich dazu keine Lust habe.«

»Keine Lust? . . . Jede von Ihnen unterzeichnete Kostenrechnung wird an unserer Kasse honoriert.«

Iversen machte eine abwehrende Handbewegung. In seiner Stimme lag eine leichte Schärfe, als er dem Generaldirektor antwortete.

35 »Geld? Herr Harder! Ich weiß nicht . . . ich glaubte, Sie würden mich besser kennen. Glauben Sie wirklich, ich hätte Lust, zur Abwechslung Privatdetektiv gegen Honorarzahlung zu werden?

Ich habe die Nachforschungen nach der Herkunft des Goldbarrens und nach Eisenecker angestellt, weil ich sah, daß Sie an der Sache großes Interesse hatten . . . kurz gesagt, um Ihnen einen Gefallen zu tun. Die Sache ist erledigt. Sollten Sie jedoch die Absicht haben, diesen Herrn Eisenecker weiterhin auf Schritt und Tritt verfolgen zu lassen, so wäre es doch gegeben, Sie nähmen einen Berufenen dazu, einen Privatdetektiv. Eventuell die Polizei, wenn etwa Herr Eisenecker sich gegen das Strafgesetzbuch vergangen hat.

Mein Interesse an der Angelegenheit . . . verzeihen Sie, Herr Generaldirektor . . . ist nicht groß genug, um mich der Unbequemlichkeit einer solchen Aufgabe zu unterziehen.«

Der Generaldirektor war aufgesprungen und ging auf und ab.

Iversen betrachtete ihn verstohlen.

Hm! Es fällt ihm anscheinend schwer, seine Karten aufzudecken . . . scheint da ein kleiner Haken hinterzustecken . . . bei dem interessanten Falle . . . na, geben wir ihm eine kleine Aufmunterung!

»Wirklich, Herr Generaldirektor! Es tut mir leid, daß ich Ihnen meine Hilfe abschlagen muß. Es hat zu wenig Interesse. Hätte Eisenecker etwa einen Harderschen Familienschmuck geraubt . . . dann vielleicht . . .«

»Interesse!« Der Generaldirektor blieb mit einem Ruck vor Iversen stehen.

»Der Fall kein Interesse, Herr von Iversen, der Fall Eisenecker interessiert Sie nicht? Ich wüßte bei Gott keinen interessanteren. Wenn Sie wüßten, welche unendliche Wichtigkeit der Fall Eisenecker für mich . . . für die Riggers-Werke hat, so würden Sie . . .«

36 »Ich zweifle nicht, Herr Generaldirektor, möchte aber doch nochmals anheimstellen, einen Privatdetektiv mit der Aufgabe zu betrauen.«

Harder wandte sich ab.

»Gewiß, Herr von Iversen! Sie mögen von Ihrem Standpunkt recht haben. Aber ich habe ein Interesse daran, daß gerade Sie die Aufgabe übernehmen.«

Er blieb vor Iversen stehen und sah ihn an. Der zuckte abweisend die Achseln.

»Gut, Herr von Iversen, ich sehe, es muß sein. Es ist vielleicht das beste, wenn ich Ihnen volle Aufklärung gebe. Wenn Sie alles wissen . . . Hören Sie also! Der bewußte Barren ist chemisch reines Gold.«

»Was wollen Sie damit sagen, Herr Harder?«

»Ich will damit sagen, daß dieses an sich vollwertige Gold nicht in der Natur gefunden wurde, sondern ein Laboratoriumprodukt des Herrn Eisenecker ist.«

»Donnerwetter!« Iversen war aufgesprungen und sah den Generaldirektor mit offenem Munde an. Es war ihm unmöglich, seine gewöhnliche Selbstbeherrschung zu bewahren.

»Alle Wetter! Eisenecker ist also in der Lage, Gold zu machen? Gold, soviel er will? . . .«

Harder nickte.

»Alle Wetter . . . alle Wetter!« Iversen schlug sich mit der Rechten auf den Schenkel. »Der Fall fängt an, mich zu interessieren. Der Jahrhunderte alte Traum der Alchimisten wäre also in Erfüllung gegangen?«

»Gewiß, Herr von Iversen. Allerdings auf einem Wege, an den keiner von denen auch nur im entferntesten gedacht hat. Aber das ist nebensächlich . . .«

»Was? Nebensächlich? Das soll nebensächlich sein, Herr Harder? Eisenecker wäre also theoretisch der reichste Mann der Welt? Unausdenkbar die Folgen, wenn Eisenecker . . .«

37 »Herr Eisenecker denkt nicht daran, sich zum reichsten Mann der Welt zu machen und sich etwa ein massivgoldenes Haus zu bauen.«

»Ja aber, Herr Generaldirektor . . .« stotterte Iversen.

»Gewiß, Eisenecker wird sich für seine persönlichen Bedürfnisse den nötigen Vorrat Gold herstellen. Aber nur, um geldlich unabhängig zu sein. Sein Ziel ist ein ganz anderes.«

Harder machte eine Pause. Unruhig schritt er im Zimmer hin und her. Dann plötzlich mit einem Ruck blieb er vor Iversen stehen.

»Das Problem der Atomenergie ist Ihnen, Herr von Iversen, wohl als das aktuellste Problem der Gegenwart genügend bekannt.«

Iversen nickte.

»Hören Sie weiter. Montgomery hatte es gelöst. Darüber ist kein Zweifel möglich. Wir arbeiten in Warnum seit Jahren daran . . . alles, was ich Ihnen sage, alles unter strengster Diskretion! . . . und sind nicht mehr allzu weit vom Ziel entfernt. Noch an manchen anderen Stellen in der Welt wird daran gearbeitet, doch dürften alle Versuche noch in den Kinderschuhen stecken.

Aber . . .« Harder stockte, als würge er an den Worten. »Noch gibt es einen zweiten Menschen, außer Montgomery, der das Problem gelöst hat . . . und das ist Eisenecker.«

»Ah! . . .« Iversen war in den Sessel zurückgesunken. »Dieser, beinahe hätte ich gesagt, Hungerleider im Besitze von Erfindungen, die ihn zum Herrn . . . zum Beherrscher der Welt machten? Unmöglich!«

»Es ist so! Ich will mich nicht auf lange wissenschaftliche Erklärungen einlassen. Ich, der Generaldirektor der Riggers-Werke, gebe Ihnen die Versicherung, daß es so ist.

Doch weiter! Friedrich Eisenecker war jahrelang Mitarbeiter der Riggers-Werke. Vor vier Jahren schied er aus persönlichen Gründen aus. Seitdem hatte ich ihn aus den 38 Augen verloren. Hätte vielleicht nie wieder an ihn gedacht, wenn sich nicht folgendes ereignet hätte.

Wir brauchen für unser hiesiges chemisches Laboratorium dauernd Gold, da es bestimmte Arbeiten auf dem Gebiete der organischen Goldsalzverbindungen durchführt. Vor zehn Tagen wurde dieser Barren hier wie stets von der Diskontobank bezogen und dem Laboratorium übergeben. Die erste Untersuchung ergab, daß der Barren aus chemisch reinem Golde bestand. Schon das machte unsere Chemiker stutzig. Meistens pflegt das Barrengold mit einem geringen Prozentsatz Kupfer oder Silber legiert zu sein.

Noch größer aber wurde das Staunen, als das Atomgewicht dieses Goldes von demjenigen des üblichen Handelsgoldes eine sehr merkliche Abweichung zeigte. Ich brauche Ihnen wohl kaum zu sagen, daß das für den Wert und die Echtheit des Goldes keinerlei Bedeutung hat, daß es aber gerade die Wissenschaftler, die sich mit der Atomtheorie und der Zerlegung der Atome beschäftigen, auf das äußerste frappieren muß.

Der Vorfall wurde mir sofort gemeldet. Die Versuche wurden wiederholt und bestätigten die erste Feststellung. Mein nächster Weg ging zu der Bank, von der wir den Goldbarren bezogen hatten. Goldbarren sind keine allzu häufige Handelsware, und sehr schnell konnte festgestellt werden, daß der Barren vor 46 Tagen bei der Mitteldeutschen Diskontobank in Hannover verkauft worden war. Ich betraute Sie mit der Ermittelung des Verkäufers.

Nun, Herr von Iversen, wir haben viele Jahre hindurch Millionen in die Aufgabe gesteckt, das Problem der Atomenergie zu ergründen. Eisenecker hat lange bei den Versuchen mitgearbeitet. Ich nehme es als sicher an, daß er sich die bei uns gesammelten Erfahrungen bei seinen eigenen Arbeiten in weitgehendstem Maße zu Nutzen gemacht hat . . . daß er seine vertraglichen Abmachungen uns gegenüber 39 verletzt hat. Er hat zwar, das habe ich nebenher feststellen können, bisher kein Patent angemeldet, aber es ist doch zu erwarten, daß er dies tun wird. Da heißt es eben für mich, die Interessen der Riggers-Werke unbedingt zu wahren. Daher mein Auftrag für Sie, alle Schritte Eiseneckers aufs schärfste zu überwachen. Sind Sie jetzt dazu nach meinen Mitteilungen bereit?«

Iversen blies nachdenklich den Rauch seiner Zigarre in die Luft.

»Noch eine Frage, Herr Generaldirektor. Ich bin zwar absoluter Laie auf diesem Gebiete. Aber es ist doch nie die Rede davon gewesen, daß Elias Montgomery in der Lage war, Gold zu machen. Sollte Eisenecker nicht vielleicht doch einen anderen Weg eingeschlagen haben . . . als Montgomery . . . und als die Riggers-Werke?«

Iversen sah Harder fragend an. Ein Schatten der Betroffenheit zuckte blitzschnell über das Gesicht des Generaldirektors. Er räusperte sich kurz.

»Es ist kaum möglich, Herr von Iversen, Ihnen – Sie sagen ja selbst, daß Sie Laie sind – eine bündige wissenschaftliche Erklärung zu geben. Es möge Ihnen genügen, daß gerade auf physikalischem Gebiete eine ganze Anzahl bedeutender Erfindungen so nebenher gemacht worden sind, während man ein ganz anderes Ziel im Auge hatte. So ist es hier auch mit Eisenecker gewesen.«

»Gut, Herr Generaldirektor, jetzt bin ich bereit, Ihren Auftrag anzunehmen.«

In der Begleitung des Generaldirektors verließ Malte von Iversen den Raum.

* * *

Mit klopfendem Herzen hatte Mette der Unterredung gelauscht. Jetzt ging sie mit müden Schritten zu einer Ruhebank und vergrub ihr Gesicht in die Kissen. Die Wunde, im 40 Laufe der Jahre verharscht, blutete von neuem. Als fühle sie körperlichen Schmerz, preßte sie die Hand auf das pochende Herz. Wirre Erinnerungen durchkreuzten ihre Sinne . . . war's nicht doch Feigheit gewesen . . . die letzte dumpfe Regung der Alltagsseele, die vor dem Äußersten zurückschrickt?

Ihre Gedanken flogen zurück, eine lange Zeitspanne bis zu jenem Sommer vor fünf Jahren. Der einzige Sommer des Glücks in ihrem Leben.

Vor fünf Jahren war's auf Warnum, dem Eiland da draußen in der Nordsee. Die neuen Anlagen der Riggers-Werke dort gingen der Vollendung entgegen. Ihr Vater, dem es zu langsam ging, blieb fast den ganzen Sommer auf der Insel, um den Bau zu beschleunigen und die Erfolge der ersten Versuche zu sehen. Sie wohnte mit ihm in dem einfachen Direktionsgebäude.

Hier lockte die See. Schwimmen, Segeln ihre Leidenschaft von jeher. Schrankenlos gab sie sich ihr hin. Ein starker Sturm. Mit Mühe und Not hatte sie den rettenden Strand erreicht. Da verbot ihr der Vater, allein nur mit dem kleinen Fischerjungen auszufahren. Ein junger Physiker des Laboratoriums, in allen Segelkünsten erfahren, sollte sie auf größeren Fahrten stets begleiten.

»Erst sehen!« hatte sie lachend dem Vater geantwortet.

Am nächsten Morgen war ihr Eisenecker vorgestellt worden. Die hohe, kräftige Gestalt in elegantem Segeldreß. Unter der blauen Seemannsmütze der schmale Kopf. Das scharfgeschnittene Gesicht. Die klaren stahlblauen Augen.

Dieser Kraftmensch mit den eleganten Umgangsformen des Weltmannes . . . das war einer von den Laboratoriumswürmern, wie sie die dort beschäftigten Herren scherzend nannte? Weit eher hätte sie ihn für einen Seeoffizier gehalten, für den Nachkommen irgendeines berühmten mittelalterlichen Seehelden.

41 Sekundenlang hatte sie die Augen zur Seite gewandt, kaum fähig, ihre Überraschung zu verbergen. Fast befangen war sie neben ihm her zur Anlegestelle geschritten. Und dann waren sie gefahren . . . der Wind war schwach geworden. Das Steuer festgemacht, hatten sie sich von der leichten Brise treiben lassen. Er hatte ihr von seinen Reisen und Arbeiten in fremden Erdteilen erzählt. In lebhafter Unterhaltung waren die Morgenstunden wie im Nu vergangen . . .

Und der Sommer war verstrichen – – – – – – –

Die letzte Fahrt. Schon beim Absegeln hatte der Himmel ein drohendes Gesicht gezeigt. Doch keiner dachte an Umkehren. Noch ehe sie die Insel ganz aus dem Gesicht verloren, war das Unwetter losgebrochen. Der Sturm kam vom Lande her. Unmöglich, dabei gegen Warnum hin anzukreuzen. Einzige Zuflucht Barsum, das in der Windrichtung lag. In wilder Sturmfahrt waren sie auf den Strand zugeschossen. Mit eherner Ruhe hatte Eisenecker das kleine Fahrzeug durch die Brandung gebracht, es auf dem Rücken einer große Woge auf den Strand gesetzt. Ehe die nächste kam, hatte er Mette aus dem Boot gerissen und in schnellem Lauf ein Stück landeinwärts getragen.

Da stand er keuchend. Sie wollte sich aus seinen Armen lösen. Er hielt sie fest, riß sie an sich. Sie hatte sich seinem herrischen Ansturm willenlos hingegeben, hatte sich in seiner Umklammerung zurückgebogen, als er sie küßte, und alles um sich herum vergessen . . .

Sie waren zur nächsten Fischerhütte gegangen, hatten sich am Feuer trocknen lassen.

Als das Wetter nachließ, waren sie ins Freie getreten. Als sie allein waren, als er sie wieder an sich ziehen wollte, hatte sie ihn sanft abgedrängt. Und dann hatte Mette mit leiser Stimme fast ohne Aufregung gesprochen.

Von dem anderen da unten im Süden, der ihr Wort hatte . . . Jugendfreund . . . Herzenswunsch der 42 beiderseitigen Eltern . . . am Sterbebett der Mutter hatte sie dem zum Verlöbnis die Hand gereicht . . . seit Monaten war er im Süden, reiste von einem Sanatorium zum anderen, Heilung zu suchen.

Eisenecker war stehengeblieben, hatte sie angestarrt, als müsse er sich überzeugen, daß sie es wirklich war, die diese Worte sprach. Einen kurzen Augenblick hatte er die blitzartige und stechende Empfindung, daß er fliehen . . . daß er, ohne einen weiteren Blick auf Mette zu tun, davonstürzen müsse. Dann hatte er sich zu ihr umgewandt, ein unbändiges Feuer loderte aus seinen Augen. Die geballten Fäuste gegen sie erhoben, als wolle er sie niederschlagen.

»Ein Spielzeug war ich dir! . . . Ein Spielzeug deiner Laune, das man wegwirft, wenn es nicht mehr paßt! Das, das war ich dir?«

Mette hatte sich an ihn geklammert und den Kopf an seine Schulter gelegt, ihm ihre Seelenpein verraten, ihn hineinschauen lassen in ihr zuckendes, sich abringendes Herz.

Da kam er wieder zur Besinnung. Qual und Wut wichen aus seinen Mienen. Fest drückte er die Zitternde an sich. Liebkosend glitt seine Hand über ihr feuchtes Haar.

»Mette, warum sollen wir uns opfern? Für wen? Du liebst den anderen nicht . . . kannst ihn nicht lieben. Und doch willst du . . .«

»Er liebt mich mit der eigensinnigen Leidenschaft des Schwerkranken. Nähme ich mein Wort zurück, er würde sterben . . .«

Stumm, mit fahlem Gesicht, war er von ihr zurückgewichen.

»Wenn ich gehe, ist alles aus.«

»Friedrich!«

»Feige, grausam bist du!«

»Friedrich, bist du bei Sinnen? Ich habe dich lieber als 43 jeden anderen Menschen in der Welt! Schon seit jenem ersten Tage, wo wir zusammen fuhren . . .«

»Geh, ich glaube dir nicht!«

Da schrie sie in ihrer Seelennot laut auf, warf die Arme um ihn, preßte ihn mit aller Gewalt fest an sich.

»Ich habe dich lieb bis in den Tod, du . . . du . . . doch an ihn muß ich denken, an ihn, der mir vertraut. Kann das Bild des Kranken nicht aus meiner Seele bannen. Seinen Tod auf dem Gewissen, keine frohe Stunde würde ich an deiner Seite verleben.«

Nach Warnum zurück. Mette erkrankte schwer. Ein schlimmes Fieber warf sie nieder. In wirren Träumen immer wieder rang sich der Name Eisenecker von ihren blutleeren Lippen.

Harder, in heftigster Erregung, stellte Eisenecker zur Rede. Der verschwieg ihm nichts. Offenbarte ihm rückhaltlos alles.

Harder verfiel in eine maßlose Aufregung. Halb sinnlos vor Schmerz und Wut zieh er Eisenecker in brutalem Tone der stärksten Undankbarkeit, verbot ihm sein Haus, versagte ihm jeden Verkehr mit Mette, kündigte ihm sofort die Stellung bei den Riggers-Werken.

Der war gegangen. Nie wieder war Kunde von ihm zu ihr gedrungen . . .

Jener einzige Sommer des Glücks in ihrem Leben.

Sie stöhnte leise. Für sie gab es keine Brücke mehr zum Glück. Und das vertiefte noch ihr Leid, daß sie zweifeln mußte, ob er sie je so geliebt wie sie ihn.

Hatte er sie so wenig verstehen können? Immer, wenn sie an ihn dachte, stand jene letzte Fahrt vor ihrer Seele. Immer noch hörte sie die furchtbaren Worte der Wut, die er damals gesprochen.

Ihr Herz zuckte, ihre Hand machte wirre Bewegungen, als könnte sie das alles fortstoßen . . . Und dann begannen wieder 44 die Erinnerungen an die seligen, frohen Stunden auf dem Meere alles Trübe zu verscheuchen.

Ruhiger wurden ihre Gedanken. Kehrten von den Erinnerungen einer glücklichen Vergangenheit zur Gegenwart zurück.

Was hatte sie eben gehört! Ihr Vater gegen Eisenecker. Was hatte er getan, wollte er tun? Des Vaters schwerer Verdacht gegen ihn . . . wo war hier Recht und Unrecht . . .?

* * *

Ein glühend heißer Junitag hatte sich geneigt. Die volle Mondscheibe stieg von Osten her über die Bogentürme der Alhambra, stieg höher und höher, bis ihre Strahlen voll in die Höfe des alten maurischen Königsschlosses fielen.

Die Nacht des 17. Juni zog herauf. Zum fünften Male jährte sich die Eroberung der iberischen Halbinsel durch die maurischen Waffen.

Am Brunnen im Löwenhof im Glanze der elektrischen Lampen eine festliche Tafel. Da saßen sie, die Großen des maurischen Reiches. In dem bunten Gewimmel der vielfarbigen Uniformen hier und da der schwarze Rock des Staatsmannes, des Gelehrten. Fast alle Rassen des maurischen Völkergemisches waren vertreten. In der Mehrzahl die hohen, schlanken Gestalten der Berboaraber. Neben Negertypen auch helle, ganz europäisch anmutende Gesichter.

Den Vorsitz an der Tafel führte Prinz Ahmed Fuad, der Bruder des Kalifen, dessen Statthalter in Spanien. Ihm zur Seite Fürst Iraklis, der Gouverneur von Madrid, vor fünf Jahren Führer der maurischen Vorhut. An der Spitze seiner Truppen war er damals in einem einzigen beispiellos kühnen Vorsturm bis zu den Pyrenäen durchgedrungen. Hatte sofort die wichtigsten Pässe besetzt und in zähem erbitterten Kampfe die von Norden her anrückenden französischen Hilfstruppen zurückgeworfen.

45 Der ganze maurisch-spanische Krieg eine lange Kette kühner Heldentaten. Ceuta, der letzte europäische Besitz in Nordafrika! Durch die weittragenden Geschütze der spanischen Küste geschützt, hatte es immer wieder den maurischen Angriffen getrotzt. Bis der Tag kam, an dem die Gegner ähnliche Geschütze besaßen, an dem nach furchtbaren Land- und Luftkämpfen die weiße Flagge auf den Werken Ceutas wehte.

Das Gespräch kreiste und brachte die Erinnerung vergangener Taten. Der Fürst ließ die Bilder jener Tage wieder aufleben.

»Heute vor fünf Jahren . . . die Sonne war im Atlantik versunken. Zu beiden Seiten der Straße von Gibraltar flammten die riesigen Scheinwerfer auf, erhellten glänzend die nächtliche See, ließen in ihren Lichtkegeln die fürchterlichen Bilder wieder erscheinen, die der verzweifelte dreitägige Kampf um die Meerenge auf afrikanischer und europäischer Seite gezeugt hatte.

Bis zum letzten hatten sich die im Norden gewehrt. Erst um die Mittagsstunde des dritten Tages waren sie von der Übermacht des Südens zurückgeworfen worden. Bis weit ins spanische Hinterland hinein tobte der Kampf. Jetzt in der Nacht des 17. begann sich die mächtige Luftflotte des maurischen Reiches in Bewegung zu setzen. Wie von Zauberhand geleitet fuhren sie rüber und nüber, und kein feindliches Flugschiff, das ihrer Fahrt noch Abbruch tat. Als der Morgen des 18. kam, da standen die maurischen Krieger zu Hunderttausenden auf dem ersehnten Boden Spaniens. Vorwärts . . . vorwärts, immer vorwärts. Kein Feind, der sie noch aufhielt.

Und wieder eine Woche später. Hier im Löwenhofe der Alhambra war's . . .«

Während er lebhaft und immer lebhafter sprach, hatte der Fürst sich erhoben, deutete mit der Rechten auf den Mondschatten, den die Säulenhalle dort auf den steingetäfelten Boden warf . . .

46 »Dort stand unser Herr. Dort stand der Kalif, als meine Boten ihm die Nachricht brachten: Die Pyrenäenpässe fest in unserer Hand. Keine feindliche Armee mehr auf spanischem Boden, die unseren Tapferen noch standhielte. Spanien liegt zu deinen Füßen.«

Das Surren eines Propellers unterbrach die Erinnerungen des Generals. Ein Schraubenflieger, eine Helikoptere, senkte sich aus mondlichter Höhe in einen der Höfe der Alhambra.

»Dort stand Abdurrhaman, unser Kalif, unser Herr, als meine Boten ihm den Sieg meldeten«, fuhr der Fürst in seiner Erzählung fort, als das Wort ihm stockte.

Aus dem Schattendunkel des Säulenganges trat eine hagere, hohe Gestalt. Über dem schmalen gebräunten Gesicht hob sich eine auffallend helle Stirn. Das rötlichblonde Haar war kurz geschnitten. War er 50 . . . war er erst 30 Jahre alt? Auch ein aufmerksamer Beobachter hätte es kaum sagen können. Das war Abdurrhaman, der Kalif des neuen großen Maurenreiches. In schnellem Fluge hatte ihn die Helikoptere aus seinem afrikanischen Reiche über das mondschimmernde Meer hierhergebracht.

Der Herrscher wollte nicht fehlen beim Erinnerungsfest . . . beim Siegesfest seiner Getreuen, die ihn jetzt jubelnd umringten. Ein Wink von seiner Hand, und die elektrischen Lampen erloschen. Nur noch im hellen Lichte des Mondes lag der alte Hof, lag die schimmernde Tafel.

»Das Gestirn Allahs . . . gepriesen sei sein Name . . . es soll uns allein leuchten.« Ein zweiter Wink, und die Teilnehmer der Tafelrunde kehrten zu ihren Plätzen zurück.

Der Kalif hatte sich am Ende der Tafel niedergelassen. Während die Gäste weiterplauderten, winkte er Abd ul Hafis, den Professor von der Universität Kordova, an seine Seite, ließ sich mitten im Trubel der Tafel einen Vortrag von ihm halten. Einen Vortrag über die Frage, die jetzt alle 47 Gelehrten der Welt bewegte, die Frage der Atomenergie. Unterbrach den Vortrag:

»Warum, Abd ul Hafis, warum sind wir nicht ebensoweit auf diesem Gebiete gekommen wie die Europäer?«

Abd ul Hafis verbeugte sich.

»Herr, wir sind erst seit fünf Jahren hier in Spanien. Lange Kämpfe, ein schwerer Krieg liegen hinter uns. Es waren nicht Geld und Zeit für diese Dinge übrig. Die in Europa arbeiten schon seit Jahrzehnten an dem Problem und haben ihr Geheimnis so sorgfältig gehütet, daß kein Spion es zu entschleiern vermochte.

Überdies, Herr, Spione, wie sie gewöhnlich verwendet werden, versagen in diesem Falle. Es müßten wissenschaftlich gebildete . . . hochgebildete Männer sein, die diese Spionage erfolgreich betreiben könnten. Solche aber werden nur schwer, werden vielleicht niemals Eintritt in die europäischen Werke finden.« Der Kalif fragte:

»Wäre überhaupt einer unserer Gelehrten imstande, das Arbeiten der Apparate und die Lösung des Problems voll zu verstehen, wenn er in eins der europäischen Werke käme?«

»Ganz gewiß. Herr. Unsere Gelehrten sind klug genug, das Verfahren zu begreifen und die Versuche zu verstehen, wenn sie ihnen nur beiwohnen könnten.«

»Aber,« warf der Kalif ein, »wie kommt es dann, daß die englischen Gelehrten das Erbe von Elias Montgomery nicht verstehen, daß sie sein Geheimnis nicht ergründen, seinen Apparat nicht in Tätigkeit zu setzen vermögen?«

Abd ul Hafis schien nachzudenken. Er zögerte, bevor er die Antwort fand.

»Vielleicht, Herr, vielleicht hat es seine Gründe darin, daß die englischen Gelehrten sich mehr und mehr von dem Problem zurückzogen, als die plötzlichen und überraschenden Erfolge Montgomerys bekannt wurden. Die Engländer sind 48 praktische Leute. Sie hielten es vielleicht für überflüssig, noch einem Ziele nachzustreben, das ein anderer schon erreichte.«

Der Kalif nickte zustimmend. »So könnte es wohl sein, Abd ul Hafis. Es könnte wohl sein, daß es an der Beschaffenheit dieser Gelehrten läge.«

»Das ist meine Meinung Herr, das wollte ich damit sagen. Ich möchte annehmen, daß andere . . . beispielsweise die deutschen Gelehrten der Riggers-Werke, die sich schon lange mit dem Problem beschäftigen, den Apparat Montgomerys früher oder später in Betrieb setzen würden, wenn ihnen nur Gelegenheit gegeben wäre, Versuche damit anzustellen.«

Geraume Zeit schwieg der Kalif nachdenklich. Dann sprach er weiter. Leiser, gedämpfter als bisher.

»Glaubst du, Abd ul Hafis, daß der eine oder andere Gelehrte meines Reiches imstande wäre, die Aufgabe zu lösen, wenn er den Apparat von Montgomery in seinem Besitz hätte?«

Einen kurzen Moment zögerte der Gefragte mit der Antwort. Dann sprach er:

»Herr, du verlangst die volle Wahrheit von mir. Ich würde freveln, wollte ich es wagen, sie dir vorzuenthalten. Ich sage sie frei und offen. Im Bereiche deiner scherifischen Macht gibt es wohl niemand, der das vermöchte. Wohl aber in Ägypten. Die Gelehrten an der Universität Kairo . . . in erster Linie Ibn Ezer . . . der Große. Seine Leistungen haben das größte Aufsehen in der Welt erregt.«

»Ibn Ezer! . . .« Der Kalif murmelte den Namen mehrmals vor sich hin . . . »Ibn Ezer würde es verstehen . . . können . . . aber . . . sage mir die reine Wahrheit, Abd ul Hafis . . . wie lange würde Ibn Ezer brauchen, das Geheimnis zu ergründen?«

»Diese Frage meines Herrn vermag ich nicht zu beantworten. Ich weiß es nicht. Auch Ibn Ezer selbst wird darauf keine Antwort geben können. Es kann Wochen 49 dauern . . . vielleicht Monate . . . vielleicht Jahre . . . wer kann das sagen?«

»Jahre?« Der Kalif schüttelte das Haupt. »Zu groß die Frist . . . zu groß . . . Ali Bei! . . .«

Am anderen Ende der Tafel erhob sich eine hohe Gestalt. Die Uniform ließ erkennen, daß der Gerufene zum engeren Gefolge des Kalifen gehörte. Gleichzeitig mit ihm stand Abdurrhaman auf, trat in den Schatten der Brunnenmauer, sprach lange mit ihm, ging dann mit ihm in die erleuchtete Halle hinein.

Eine Viertelstunde später tönte Propellersausen durch die Luft. Ali Bei war auf dem Fluge nach Ägypten.

Abdurrhaman kehrte in den Kreis seiner Getreuen zurück, das Gedächtnisfest des Sieges mit ihnen zu feiern.

* * *

Die »Sutherland«, das große Schottlandschiff, lag startbereit in der Halle zu Wembley. Wohl über eine Länge von 200 Meter streckte sich der mächtige Rumpf aus schimmerndem Leichtmetall. Lord Permbroke schritt nervös auf dem federnden Gummipflaster neben dem Schiff auf und ab. Zum zehnten Male zog er das Chronometer aus der Tasche, warf einen zerstreuten Blick darauf, um es danach wieder in die Tasche zurückgleiten zu lassen. Jetzt blieb er neben dem Laufsteg zum Schiffe stehen.

»Ich begreife unsere Freundin nicht, Ellen. Noch zehn Minuten bis zum Start. In fünf Minuten werden die Laufstege eingezogen. Sie wird zu spät kommen, und sie war doch so begierig auf diesen Ausflug.«

Bevor Lady Ellen antworten konnte, kam ein eleganter Kraftwagen durch die große Hallenpforte, fuhr in schnellem Tempo die mittlere Straße entlang und hielt unmittelbar neben dem Laufsteg.

50 Jolanthe von Karsküll sprang aus dem Wagen, begrüßte Lady Ellen und Sir Arthur, entschuldigte die Verspätung mit einem unvorhergesehenen Aufenthalt auf dem Wege hierher.

»Alle Passagiere an Bord! Alle Fremden von Bord!« dröhnte die Stimme eines Offiziers der »Sutherland« durch die Halle. An der Seite von Lady Ellen ging die Baronin Jolanthe über den Steg. Lord Permbroke folgte. Unmittelbar hinter ihnen wurden die Laufbrücken fortgezogen und die metallenen Pforten hermetisch verschlossen.

Dumpfes Dröhnen aus den Maschinenräumen. Ein Erzittern des ganzen gewaltigen Schiffsrumpfes. Die »Sutherland« war im Fluge und stieg dabei unaufhörlich. Längst hatte das Schiff die dicken über London lagernden Wolkenbänke durchstoßen und schoß im hellen Sonnenglanz nordwärts. Immer noch stieg es dabei bis hinauf in jene Höhen, in denen es keine Stürme und Regengüsse mehr gibt, in denen die dünne und immer unbewegte Luft den Höhenflugschiffen eine ideale Straße bietet.

Jolanthe von Karsküll saß mit Lord und Lady Permbroke im Parlourroom an der Backbordseite der »Sutherland«. Zu sehen war für die Passagiere bei solchem Höhenflug kaum etwas. Weit im Westen blitzte hin und wieder ein Schimmer des Atlantik auf. Sonst nur Wolken und immer wieder Wolken. Da blieb während der Stunde der Fahrt wohl Zeit für die Unterhaltung. Bald war das Gespräch in vollem Gange, drehte sich zuerst um Elias Montgomery, den toten Erfinder, und um das Vexierstück, das er ganz England hinterlassen. Dann flogen die Erinnerungen zurück nach Moskau, wo sie sich zuerst kennenlernten, wo zuerst jene Freundschaft zwischen Jolanthe und Lady Amelie, der Schwägerin Lord Permbrokes entstand, die weiter zur Freundschaft mit den Permbrokes führte.

»Es war auch in Moskau schön, Sir Arthur, aber noch besser gefällt es mir hier in England. Geht alles, wie ich 51 hoffe, dann bringe ich nächsthin auch meine Schwester Modeste nach London mit.«

Lady Ellen griff den Faden auf.

»Ihre jüngere Schwester, Jolanthe . . . Ihre Stiefschwester, wenn ich nicht irre. Damals war sie noch nicht mündig. Der Vormund hielt sie auf den livländischen Gütern ihres Vaters in sicherer Obhut . . .«

Jolanthe lachte.

»In sehr sicherer Obhut, Lady Ellen. Unser gemeinsamer Vormund, der alte Baron von Keddern, ist noch ein Mann aus der alten Schule. Er hielt es für seine Pflicht, seine Mündel zu bewachen wie . . . wie . . . sagen wir, wie eine Henne ihre Kücken bewacht. Und da ihm das bei mir so glänzend mißlungen war, führte er es bei meiner Schwester mit doppelter Gewissenhaftigkeit durch. Ihre schönsten Jugendjahre mußte sie auf dem einsamen Tirsenhof verbringen. Da hatte ich's im Hause meines Großvaters, des Fürsten Iraklis, doch angenehmer.«

Lord Permbroke mischte sich dazwischen.

»Aber eigentlich, eigentlich hätte Ihr Vormund doch auch Sie damals zu sich nehmen, nach Livland bringen müssen.«

»Eigentlich, Sir Arthur. Gewiß! Er hatte auch die besten Absichten dazu. Hat es öfter als einmal versucht. Aber meine Großeltern sträubten sich, und ich wollte es noch viel weniger. Bedenken Sie doch, meine rechte Mutter war lange tot. Ich hatte kaum noch eine Erinnerung an sie. Eine ganz flüchtige nur noch an meinen Vater . . .«

Jolanthe strich mit der Hand über die Stirn, als ob sie trübe Gedanken verjagen wolle.

». . . Mein armer Vater. Bald hierhin, bald dorthin trieb ihn die Pflicht durch das weite Rußland. Bis er endlich den Dienst quittierte, sich auf seine Güter zurückzog und zum zweiten Male heiratete. Meine Stiefschwester war eben erst ein Jahr alt, als er sich mit der Gattin auf den 52 Weg machte, mich heimzuholen. Und dann die Katastrophe, der Sturm auf dem Schwarzen Meere . . .«

»Es war ein tragisches Schicksal, das Ihnen am gleichem Tage den Vater und die neue Mutter raubte.«

»Schicksal, Sir Arthur? Man hat von der Besatzung und den Passagieren jenes Schiffes niemals wieder etwas gehört. Nur Trümmer wurden an den Strand geworfen.« Wieder fuhr sie mit der Hand über die Stirn.

»Lassen wir das. Es ist vorbei. Das alles liegt hinter uns.« Jolanthe zwang sich zu einem Lächeln.

»Nie werde ich das erstaunte Gesicht des alten Herrn von Keddern vergessen, als ich plötzlich vor ihm stand und mich ihm als sein inzwischen mündig gewordenes Mündel präsentierte . . . und doch, Sir Arthur, als ich dann auf dem Tirsenhof, dem alten Stammgut unserer Familie, stand, als ich meine junge Schwester zum ersten Male in die Arme schloß, da begannen die Bilder des Kaukasus zu verblassen. Ich spürte es an tausend Dingen, daß ich hier doch in der rechten Heimat war . . . und bald wurde ich auch heimisch. Zuerst freilich kamen sie mir recht frostig entgegen, die lieben Nachbarn von Jurgensburg und Ogershoff. Aber bald schwand die Zurückhaltung, und schon nach einem Monat war es so, als hätte ich immer auf dem Tirsenhof gelebt.«

Lord Permbroke lächelte.

»Aber der Tirsenhof hat Sie trotzdem nicht lange festhalten können, Baronin.«

»Nein, Sir Arthur, vorläufig noch nicht. Später . . . vielleicht einmal. Wer weiß?

Solange man noch jung ist, nicht zu lange an derselben Stelle.« Bei diesen Worten erhob sie sich von ihrem Sessel.

»Man wird steif und lahm, Sir Arthur, wenn man zu lange an derselben Stelle hockt. Ich merke es hier schon, obwohl die Sessel recht bequem sind.«

53 In scherzhafter Übertreibung dehnte und reckte sie die Glieder. »Lassen Sie uns die letzte Viertelstunde zu einer Promenade durch das Schiff benutzen.«

Gemächlich schlenderten sie das breite Promenadendeck entlang, das sich rechts und links von dem großen Mittelsaal durch die ganze Länge des Schiffes hinzog. Es war nicht unbelebt. Offiziere der mit der »Sutherland« anfliegenden neuen Wachttruppe, Mitglieder der englischen Regierung und ihre Damen. Lord Permbroke mußte hier und dort stehenbleiben, grüßen, ein paar Worte wechseln.

»Immer noch Wolken, Sir Arthur, kein Blick auf den Erdboden möglich?«

»Wir werden ihn gleich zu sehen bekommen, Baronin. Das Schiff steht vor der Landung.«

Das Klirren der Maschinentelegraphen drang durch den Raum. Der Bug der »Sutherland« neigte sich leicht nach unten, und in schrägem Fluge schoß das Schiff abwärts. Der Sonnenschein verschwand, und die trübe Stimmung eines schottischen Nebeltages breitete sich aus. Schon wurden die altersgrauen Mauern von Montgomery-Hall sichtbar. Jetzt noch klein wie ein Spielzeug, doch nun schnell groß und immer größer werdend. Immer langsamer sank das Schiff. Tief und immer tiefer, bis es auf dem Boden des großen Schloßhofes leicht aufsetzte.

Die Pforten des Schiffes öffneten sich, Treppen wurden herangeschoben, die Passagiere verließen das Schiff.

Dort die Truppen, die hierhergebracht wurden, um die alte Wachtmannschaft abzulösen. 30 Mann mit ihren Offizieren. Erlesene Mannschaften. Erst vor 24 Stunden waren sie nach einem geheimen Schlüssel aus verschiedenen Truppenteilen herausgezogen und zu einer neuen Wachtmannschaft zusammengestellt worden. Man wollte durch diese Maßnahme jede Möglichkeit ausschließen, daß etwa von irgendeiner interessierten Stelle her bestimmte Personen in die 54 Wachtmannschaft hineingeschoben wurden, wollte dadurch jeden Anschlag, jedes möglicherweise geplante Komplott gegen Montgomery-Hall im Keime ersticken.

Die neue Wachtmannschaft formierte sich und marschierte unter der Führung ihrer Offiziere zu dem Teil des Schlosses, in dem sich die Räume für die Wache befanden.

Lord Permbroke war Lady Ellen und Jolanthe von Karsküll beim Verlassen des Schiffes behilflich.

Nun standen sie auf dem Schloßhof, gingen zum Portal und traten in die Räume des alten Normannenbaues ein. Lange gewölbte Korridore. Eine mächtige Halle im Erdgeschoß. Größere Fenster nach dem Hofe zu. Kleinere, mehr an Schießscharten als an Fenster erinnernde Öffnungen nach außen hin.

»Man meint mehr in einer Festung als in einem Schlosse zu sein«, sagte Lady Ellen.

»In der Tat, Ellen,« pflichtete Lord Permbroke bei, »unser verstorbener Freund wählte ja gerade deshalb diesen abgelegenen Bau für seine Versuche. Hier konnte er sich von aller Welt abschließen, mit einfachen Mitteln gegen jeden Angriff verteidigen. Er übernahm unverändert, was die normannischen Baumeister vor 800 Jahren errichtet hatten, und fügte von sich aus noch etwas hinzu, wodurch die alte Burg auch für moderne Mittel völlig unangreifbar wurde.«

»Sie sprachen von den wunderbaren Sicherungen, Sir Arthur?« sagte Jolanthe. »Ich gestehe, daß ich darauf fast noch neugieriger bin als auf den Apparat selbst. Man erzählt sich Wunderdinge davon.«

»Ich werde Ihnen die Anlage zeigen, Baronin. Nur . . . es ist eigentlich nichts daran zu sehen. Sicherlich ist Ihnen gar nichts aufgefallen, als wir durch das große Portal hineinkamen.«

»Nein, Sir Arthur, aber vergessen Sie auch nicht, daß ich von der Technik und der Physik absolut nichts verstehe.«

55 »Auch ein Physiker hätte kaum etwas Auffallendes bemerkt, Baronin. Ein matter, kaum sichtbarer Metallstreifen an jedem der beiden Türpfosten. Wir konnten unangefochten hindurch, weil die Sicherungen abgestellt sind. Wären sie es nicht, so würde in dem Augenblick, in dem ein Mensch sich zwischen den Pfosten befindet, ein tödlicher Funke zwischen diesen überspringen und den Eindringling niederschlagen.«

Jolanthe blieb stehen und strich mit der Rechten über die matt glänzenden Metallstreifen.

»Das ist interessant, Sir Arthur. Aber ich glaube, nicht ganz ungefährlich. Wenn man nun einmal vergißt, eine dieser Sicherungen abzustellen. Ich hörte, daß solche Sicherungsanlagen sich nur allzu leicht gegen den eigenen Besitzer kehren . . . und zwar um so leichter, je vollkommener sie zu sein scheinen.«

»Ihr Einwurf ist nicht unbegründet, Baronin. Montgomery sah diese Gefahr voraus und begegnete ihr auf eine meisterhafte Weise. Die Ein- und Ausschaltungen der vielen Sicherungsanlagen des Schlosses . . . es sind mehrere hundert solcher Hochspannungssicherungen . . . sind in einem einzigen Hebel zusammengefaßt, der sich im Schlafzimmer des Verstorbenen befindet. Mit einer einzigen Handbewegung konnte Montgomery alle diese Sicherungen aus- oder einschalten. Er vermied dadurch die Gefahr, daß etwa die eine oder andere übersehen wurde. Auch in dieser Anlage offenbart sich das technische Genie des toten Erfinders.«

»Dann, Sir Arthur,« fiel Jolanthe von Karsküll dem Lord in die Rede, »wäre es doch für irgendeinen Bewohner des Schlosses ein leichtes, aus dem Gebäude herauszukommen, indem er heimlich den Universalschalthebel umlegt und dadurch sämtliche Sicherungen ausschaltet.«

Lord Permbroke lächelte. »Nein, Baronin, so einfach ist die Sache nicht. Montgomery wußte sich noch besser zu schützen. Die Tür zu seinem Schlafzimmer ist mit unzähligen 56 Nagelköpfen verziert. In einem dieser Köpfe hatte er eine besondere magnetische Sicherung angebracht. In dem siebenten Türnagel der vierten Reihe. Wir hätten das Geheimnis niemals gefunden. Glücklicherweise hatte Montgomery es bei Lebzeiten seinem alten Kammerdiener anvertraut. Erst wenn man einen Magneten an diesen Kopf bringt, wird eine besondere Sperrung des Türschlosses aufgehoben. Erst dann kann man schließen und in das Schlafzimmer hineingelangen.«

»Das ist interessant, Sir Arthur. Aber wenn man dies Geheimnis nicht wüßte, wenn man – es wäre doch vielleicht nach dem Tode des Erfinders das Nächstliegende gewesen – wenn man diese Tür mit Gewalt aufgebrochen hätte, so wäre man doch auch in das Zimmer gekommen.«

»Nein, Baronin, man wäre schon bei dem Versuch, die Tür zu zerstören, von der Hochspannung erschlagen worden. Erst durch diesen unscheinbaren Nagelkopf wird die Sondersicherung der Schlafzimmertür ausgeschaltet.«

Jolanthe von Karsküll biß sich auf die Lippen.

»Ich sehe, Sir Arthur, Elias Montgomery wußte sich wirklich gegen unerwarteten Besuch zu schützen.«

»Er wußte es in der Tat, Baronin. Selbst dann noch, wenn irgendjemand doch in das Schlafzimmer eindrang, wenn er etwa die fast meterstarken Wände durchbrach, war er immer noch nicht am Ziel. Er hätte den Schalthebel immer noch vergebens gesucht. Oh, Montgomery war ein Genie. Er wußte sich zu schützen.«

Während Lord Permbroke seine Erklärungen gab, waren sie weitergegangen. Ein hoher Raum jetzt. Eichenbalken von mächtigen Abmessungen trugen die Decke. Durch Butzenscheiben fiel das Licht in allen Farben des Regenbogens in das Innere. Lange Tische, mit Hunderten von Apparaten bedeckt, zeugten hier von der Lebensarbeit des toten Schloßherrn.

57 In der Mitte des Raumes auf einem besonderen Tisch der Apparat. Da stand er, der Wunderkasten, der jetzt die ganze Welt in Aufruhr versetzte. Ein Kasten, wohl sechs Fuß lang, drei Fuß breit und ebenso hoch. Seine Wände wurden von schimmernden Spiegelscheiben gebildet, die an den Kanten durch starke Bronzeleisten zusammengefügt waren. Das geschliffene Glas reflektierte zum Teil die Bilder der Umgebung. Man mußte nahe herantreten, um den Inhalt des Kastens genau zu erkennen. Ein Gewirr von Spulen und Kondensatoren, Schaltern und Maschinen. Völlig rätselhaft für den Laien, unenträtselbar auch bis jetzt für die Gelehrten.

Als Lord Permbroke dicht an den Apparat herantrat, erhob sich ein Greis, der auf einem Schemel regungslos davor gehockt hatte. Seine Züge drückten tiefste Mutlosigkeit aus. Nur langsam glätteten sich die tiefen Falten auf seiner Stirn, während er mit Lord Permbroke einen Händedruck wechselte. Und Sir Arthur unterließ jede Frage. Ein Blick auf dieses entmutigte Antlitz bewies ihm zur Genüge, daß auch Professor Syndham mit diesem verzauberten Kasten nicht zu Ende kam, daß alle seine Versuche fehlgeschlagen waren. Mit müden Schritten verließ Professor Syndham den Raum.

Jolanthe von Karsküll stand vor dem Apparat. »Wie der Sarg Schneewittchens!« kam es von ihren Lippen.

Lord Permbroke ließ ihr geraume Zeit, ehe er zum Weitergehen mahnte. »Was sehen Sie an dem unnützen Kasten, Baronin? Wir wollen das alte Schloß besichtigen. Es wird Sie sicherlich mehr interessieren.«

Noch immer stand Jolanthe wie hypnotisiert vor dem Kasten.

»Das also ist der berühmte Apparat, mit dem Montgomery die Atomenergie beherrschte? . . . um den sich jetzt alle Welt den Kopf zerbricht?«

»Er ist es, Baronin . . . wenn er es ist. Wir wissen bis heute noch nicht sicher, ob er es ist oder ob Montgomery einen 58 Vexierapparat hinterließ, um die ganze Welt damit zu narren. Ich würde das letztere glauben, wenn nicht der Tod so ganz unvermutet und so plötzlich über Montgomery gekommen wäre.«

»Sie meinen also, Sir Arthur, es ist doch der richtige Apparat, den wir hier vor uns sehen?«

»Ich muß es meinen, Baronin. Aber warum widersteht er dann allen unseren Bemühungen?«

»Warum? . . . Ja, warum?« flüsterte Jolanthe, und mit ihr taten Tausende, ja Hunderttausende in England . . . in Europa die gleiche Frage.

Aus dem Laboratorium schritten sie durch einen hohen Kreuzgang und stiegen die steinerne Wendeltreppe zu den oberen Stockwerken empor. Auch hier alles in altem normannischen Stil. Große Säle, enge Kammern. Endlich eine schwere Eichentür. Aus starken Bohlen gefügt, mit gewaltigen Bändern aus geschmiedetem Eisen beschlagen, mit Nagelköpfen verziert. Sie war verschlossen. Lord Permbroke hatte den Schlüssel dazu bei sich. Umständlich schob er dies Meisterstück frühmittelalterlicher Schmiedekunst in die Schlüsselöffnung hinein.

»Sehen Sie, Baronin, durch keine Macht der Welt ließe der Schlüssel sich jetzt drehen. Man würde eher den Bart abbrechen.«

Er zog einen kleinen Magneten aus der Tasche und setzte ihn auf den siebenten Kopf der vierten Reihe. Gleichzeitig drehte er mit der anderen Hand den Schlüssel leicht herum. Die Tür bewegte sich in ihren Angeln und schlug auf.

»Aber so . . . so geht es.«

Sie standen im Gemach, dem Schlafgemach des toten Erfinders. Bescheiden, fast dürftig die Ausstattung. Ein einfaches eisernes Feldbett, ein bescheidener Waschtisch. Alte wurmzerfressene Eichenschränke. Ein mächtiger alter Kamin. Auf den groben Hausteinquadern der Wände zahlreiche elektrische Leitungen. Jolanthe blickte sich in dem Gemach um.

59 »Interessant! In der Tat interessant, Sir Arthur, aber . . .«

»Aber Sie vermissen den Schalter, von dem wir sprachen?«

Bei diesen Worten näherte sich Lord Permbroke einem in Form eines Armes an der Wand befindlichen Beleuchtungskörper. Es war eine alte Kunstschmiedearbeit, ein Rankenwerk mit Tannenzapfen.

»Versuchen Sie es, Baronin, diesen untersten Zapfen zu bewegen.«

Jolanthe trat hinzu und bemühte sich vergeblich. Fest und unverrückbar schien auch dieser Zapfen mit dem Schmiedestück verbunden zu sein.

»Das ist unmöglich, Sir Arthur.«

»Aber es wird möglich, Baronin.«

Wieder trat der kleine Magnet in Tätigkeit. Lord Permbroke brachte ihn an den Zapfenstiel, und im gleichen Augenblick gab der Zapfen unter Jolanthes Händen nach. Leicht ließ er sich zur Seite biegen. Im gleichen Augenblick ein leises Knarren in der Quaderwand neben dem Bett. Eine der Quadern sprang wie eine Tür nach außen auf, und da in dem Hohlraum in der Wand wurde ein einziger Schalthebel sichtbar.

»Sehen Sie, Baronin, erst jetzt sind wir am Ziel. Dort ist der Nerv, der alle Sicherungen betätigt. Jetzt steht der Hebel waagerecht, steht von der Wand ab. Legt man ihn nach oben um, dann sind alle Sicherungen in Tätigkeit. Kein lebendiges Wesen kann dann in das Schloß hinein oder aus ihm heraus.«

Jolanthe von Karsküll ließ ihre Blicke zwischen dem Wandarm und dem Schalter hin und her wandern.

»Ich bin eigentlich etwas enttäuscht, Sir Arthur. Ich glaubte, man müßte ein hervorragender Physiker sein, um die Sicherungen bedienen zu können. Nun ist das alles so einfach . . . das müßte doch jeder Laie auch können.«

60 »Gewiß, Baronin! Jeder Laie kann es, wenn er das alles weiß, was wir jetzt wissen. Aber zu Lebzeiten Montgomerys wußte es nur der Schloßherr selbst und sein Diener.«

Mit diesen Worten drückte Lord Permbroke gegen die Quader. Leicht drehte sie sich wieder in ihre frühere Stellung zurück. Ein Schloß schnappte. Verschwunden war der Schalter, nur die glatte Wand ohne jedes Merkmal sichtbar.

Beim Verlassen des Zimmers fast das gleiche. Ohne jede Schwierigkeit ließ die Tür sich jetzt schließen. Kein Magnet brauchte dabei in Tätigkeit zu treten.

Die Besichtigung des Schlosses ging ihrem Ende zu. Sie waren auf den Schloßhof hinaus getreten, wo die »Sutherland« lag, als Jolanthe sich auf etwas zu besinnen schien.

»Meine Tasche . . . ich habe sie im Parlourroom liegen lassen. Einen Augenblick bitte.«

Noch bevor Lord Permbroke ihr seine Dienste anbieten konnte, war sie über die Treppe in das Schiff geeilt. Der Lord benutzte den unfreiwilligen Aufenthalt, um seiner Gattin die altertümlichen Steinbildereien im Schloßhofe zu zeigen. Uralte Steinmetzarbeiten. Hochrelief in einer naiven und allen Gesetzen der Perspektive Hohn sprechenden Anordnung. Szenen aus der Geschichte jenes sagenhaften Königs Malcolm, der zuerst normännisches Recht und normännische Art in Schottland einführte. Er war noch beim Erklären, als Jolanthe schon zurückkam, die Tasche am Arm. Lord Permbroke warf einen Blick auf die Uhr.

»Es ist bald Zeit zum Abfahren.« Er sah sich nach dem Flugschiff um, auf dem schon die ersten Vorbereitungen zur Fahrt getroffen wurden. Da! Ein Matrose kam taumelnd die Schiffstreppe hinab. Schritt schwankend wie ein Betrunkener über den Hof dem Revier der Schloßwache zu. Glasig sein Blick. Wie fiebergerötet seine Haut.

Der Lord winkte einen Offizier heran.

»Was ist mit dem Mann?«

61 »Ein Fieberanfall, Eure Lordschaft. Wahrscheinlich Malaria. Der Mann war früher Seemann.«

»Hm.«

Lord Permbroke stand einen Augenblick zweifelnd. Dann, als hätte er einen Entschluß gefaßt.

»Entschuldigen die Damen einen Augenblick. Ich will nach dem Mann sehen. Wäre möglich, daß der hierbleiben muß. Es wären dann einige kleine Formalitäten zu erledigen . . . immerhin ein überzähliger . . . ein nicht vorgesehener Insasse von Montgomery-Hall.«

Schon riefen die Sirenen der »Sutherland« die Passagiere wieder an Bord. Schon marschierten die abgelösten Wachmannschaften über die Laufbrücken in den Schiffsrumpf, und auch für Lord Permbroke und seine Damen wurde es Zeit, an Bord zu gehen.

Lady Permbroke und Jolanthe von Karsküll standen wartend auf dem Schloßhof. Sir Arthur blieb lange aus.

Jolanthe von Karsküll stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden.

»Diese Formalitäten! . . . Wie überflüssig!«

Da kam der Erwartete zurück.

»Leider ist es nicht möglich, den kranken Matrosen auf der »Sutherland« mitzunehmen. Der Arzt hatte des außerordentlich hohen Fiebers wegen zu starke Bedenken.«

Noch wenige Minuten, und die »Sutherland« wurde von ihren Hubschrauben senkrecht in die Höhe genommen. Im dämmernden Abend blieb Montgomery-Hall tief hinter dem enteilenden Schiff liegen.

* * *


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