Hans Dominik
Der Brand der Cheopspyramide
Hans Dominik

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Der englische Staatsrat war versammelt. Der Ministerpräsident kam zum Schluß seiner Ausführungen.

»Die Hoffnung, daß es Professor Syndham gelingen würde, den Apparat in Betrieb zu bringen, hat sich nicht erfüllt. Es war unsere letzte Hoffnung. Ich halte es danach für ausgeschlossen, sich noch länger dem Drängen aller europäischen Bundesstaaten zu widersetzen . . .«

Murren, halblaute Zwischenrufe in der Versammlung . . . ›unmöglich . . . unerhört . . . eine Blamage der englischen Wissenschaft vor ganz Europa‹ . . .

Der Minister wartete, bis der Lärm wieder abebbte, sprach dann weiter.

»Ich verstehe Ihren Widerspruch. Aber für die außen- und innenpolitische Lage Europas ist die schnelle Lösung des Montgomeryschen Rätsels von unendlicher Wichtigkeit. Eine weitere Verzögerung könnte bedeutsame Wendungen bringen, über deren Charakter ich mich wohl nicht näher auszulassen brauche.«

Wieder zwangen lebhafte Zwischenrufe den Redner, eine Pause zu machen. Mit erhobener Stimme fuhr er danach fort:

»Das britische Ministerium hat daher einstimmig beschlossen, der europäischen Bundesregierung seine Bereitwilligkeit zu erklären, den Apparat Montgomerys durch andere von den Regierungen in Vorschlag zu bringende Physiker untersuchen zu lassen. Es kämen da natürlich in erster Linie die deutschen Sachverständigen der Riggers-Werke in Betracht. Ich hoffe, daß der Staatsrat zu diesem Vorschlag des Ministeriums sein Einverständnis geben wird.«

Eine überaus lebhafte Debatte begann. Stundenlang stritt man in heftigem Für und Wider.

Eine ungeheure Blamage für England! Ein vernichtendes Armutszeugnis für die englische Wissenschaft. Immer wieder kam der Ruf aus dem Munde der Redner. Je weiter die Zeit vorrückte, desto unsicherer wurde der Erfolg einer Abstimmung.

Noch einmal erhob sich der Ministerpräsident, um die Argumente der Gegner zu widerlegen. Kaum hatte er seine Rede begonnen, als ihm durch einen Sekretär eine Depesche überbracht wurde. Er hielt kurz inne und überflog die wenigen Worte.

Was war das? Was war von solcher Wichtigkeit, daß man ihn damit in seiner Rede störte?

Die ganze Versammlung starrte auf den Präsidenten, der . . . ja, was war mit dem? Irgendeine persönliche Angelegenheit? Das Gesicht des Ministers war so weiß wie das Blatt in seiner zitternden Hand. Seine Lippen bewegten sich tonlos. Mechanisch tupfte er mit dem Taschentuch über die Stirn, als wäre es ihm zu heiß. Immer wieder irrten seine Augen verstört über die Depesche.

Eine peinliche Pause. Was hatte er, was stand in der Depesche?

Endlich! Der Präsident gab sich einen Ruck.

»Meine Herren!« Seine Stimme stotterte, als hätte er sie noch nicht in der Gewalt. »Meine Herren . . . eine Mystifikation . . . die Nachricht hier . . . aus Montgomery-Hall . . . der Apparat . . . er ist . . . er soll verschwunden . . . gestohlen sein! Ich kann es nicht . . .«

Als hätte der Blitz in die Versammlung geschlagen, war die Wirkung dieser Worte. Sie saßen alle starr, schauten mit schreckensbleichen Gesichtern auf den Minister. Dann . . . ein Aufruhr, allgemeiner Tumult.

Sie sprangen von ihren Sitzen, stürzten auf den Präsidenten zu, umringten ihn, bestürmten ihn mit Fragen . . .

Einer riß ihm die Depesche aus der Hand. Zehn Hände streckten sich danach, um sie ihm zu entreißen. Doch der sprang auf einen Stuhl, entfaltete das Papier und las mit lauter Stimme.

»Montgomery-Hall, den 18. Juni, 10 Uhr vormittags.

Leutnant Steffenson und Mac Ivor öffneten um 9,30 Uhr das Laboratorium. Die Tür ordnungsgemäß verschlossen und gesichert. Im Laboratorium alles in Ordnung. Der Apparat Montgomerys verschwunden. Sämtliche Sicherungen des Schlosses revidiert. Alle eingestellt, in Ordnung. Unmöglich, daß der Apparat aus dem Schloß entfernt ist. Alle Räume des Schlosses durchsucht, nichts gefunden. Die Nachforschungen werden fortgesetzt. Leutnant Steffenson, Mac Ivor.«

Der Ministerpräsident hatte seine Fassung wiedergewonnen.

»Meine Herren!« Seine Stimme schallte durch das Getöse und den Wirrwarr im Saale. »Meine Herren, wollen Sie sich auf Ihre Plätze begeben. Die Angelegenheit erfordert, daß wir mit größter Ruhe und Überlegung die Schritte beraten, die zu tun sind. Vorerst verpflichte ich Sie alle zur strengsten Verschwiegenheit. Die Öffentlichkeit darf nichts erfahren, bevor der Tatbestand nicht völlig klargestellt ist.

Zur Sache selbst beantrage ich, daß eine sofort zu wählende Kommission sich im Flugschiff nach Montgomery-Hall begibt. Scotland Yard stellt dazu drei ausgewählte Detektivs. Die Professoren Syndham und Farland werden aufgefordert, sich anzuschließen. Keiner jedoch erfährt den Zweck vor dem Betreten des Schlosses.«

Der Antrag wurde ohne Debatte angenommen. Unverzüglich wurde zu seiner Ausführung geschritten.

Dreimal vierundzwanzig Stunden später. Alle Lautsprecher der Welt schrien es der Menschheit in die Ohren:

Montgomerys Apparat aus Montgomery-Hall verschwunden!

Die Welt hielt den Atem an. Schwer war es zu sagen, welche Nachricht stärker in ihrer äußerlichen Wirkung, die von Montgomerys Tode oder die vom Verschwinden des Apparates. Rätselhaft war das Vorkommnis. Immer unlöslicher wurde das Rätsel, je mehr man nach einer Erklärung suchte, je länger die Untersuchung sich hinzog.

Die englische Regierung hatte einen schweren Stand. Die Zentralregierung, die Regierungen der Einzelstaaten, die gesamte Presse luden ihr die Verantwortung auf. Das englische Kabinett trat, dem allseitigen Druck weichend, zurück.

Der europäische Staatsrat trat zu einer Sondersitzung zusammen. Nur einen Punkt hatte die Tagesordnung: Der Diebstahl des englischen Apparates.

Hier sprach man nicht mehr von einem Verschwinden. Man setzte ohne weiteres voraus, daß der Apparat von interessierter Seite entwendet worden sei . . . trotz aller Sicherungen und trotz aller Wachen gestohlen worden sei. Es regnete Vorwürfe gegen die englischen Vertreter und die englische Regierung, die die Erfindung für sich behalten wollte. Nach einer heftigen Rede des französischen Delegierten erhielt der deutsche Vertreter das Wort. Auch er machte der englischen Regierung den Vorwurf der Fahrlässigkeit. Sicherungen und Schutzmaßregeln, die einen Diebstahl nicht unmöglich machten, seien eben keine ausreichenden Maßnahmen. Ausgeschlossen sei es, daß etwa ein europäischer Staat an dem Diebstahl beteiligt sein könne. Zweifellos sei der Apparat von einer Europa feindlichen Seite entwendet worden. Unausdenkbar wären die Folgen, wenn es dieser Stelle auch noch gelänge, den Apparat in Tätigkeit zu setzen. Der Redner fuhr fort:

»Die Hoffnung Europas klammerte sich an diesen Apparat. Bot er doch die Möglichkeit, dem Kontinent das alte Übergewicht wieder zu schaffen. Jetzt ist nicht nur das Übergewicht, sondern auch das Gleichgewicht dahin. Dieser Apparat, diese Riesenenergie . . . es war das einzige, was uns helfen konnte. Es versprach uns neue Lebensmöglichkeiten, Gelegenheit, unseren Menschenüberfluß unterzubringen. Es hätte uns auch die Möglichkeit gegeben, einen neuen Waffengang gegen die Eindringlinge in Spanien mit der Aussicht auf besseren Erfolg zu versuchen, die iberische Halbinsel für Europa zurückzugewinnen.

Meine Herren, stellen Sie sich vor, der Apparat wäre in maurischen Händen. Der Gedanke wäre nicht auszudenken. Unsere an sich schon übermächtigen Feinde im Besitz des Apparates, es wäre das Ende Europas.«

Gewaltig war der Eindruck dieser Rede auf die Versammlung. In aller Schärfe war hier ausgesprochen, welche fürchterliche Gefahr der Besitz des englischen Apparates für ganz Europa bedeutete. Der englische Vertreter nahm das Wort, um die Erregung zu dämpfen. Er gab zur Entschuldigung seiner Regierung eine genaue amtliche Darstellung der Verhältnisse und Sicherheitsmaßnahmen in Montgomery-Hall. Er verwies auf die bisher freilich leider negativen Ergebnisse der britischen Polizei, und er schloß mit britischem Hochmut: »Mag's gestohlen haben, wer will, in Betrieb wird den Apparat niemand setzen können. Was der Blüte unserer englischen Wissenschaft nicht gelang, wird auch keinem anderen gelingen.«

Ein Murren ging bei diesen Worten durch die Versammlung. Noch einmal nahm der deutsche Vertreter das Wort.

»Ich kann die Ansicht meines englischen Kollegen nicht teilen. Die deutsche Regierung hat es als einen Affront empfunden, daß man ihr Anerbieten, deutsche Gelehrte zur Mitarbeit heranzuziehen, glatt ablehnte. Ich spreche ja kein Geheimnis aus, wenn ich sage, daß auch bei uns auf dem gleichen Gebiete gearbeitet wird. Die Versuche der Riggers-Werke sind noch weit vom Abschluß entfernt. Man hat bei uns erst bedeutend später mit diesen Arbeiten begonnen. Aber trotzdem hätte es . . . wenn nicht die Courtoisie, so doch das Interesse Europas erfordert, daß man mindestens einige Physiker der Riggers-Werke zur Lösung der Aufgabe mitherangezogen hätte. Ich will nicht behaupten, daß die englischen Physiker den deutschen Gelehrten nachstehen. Aber ich glaube, daß eine Lösung des Problemes mit vereinten Kräften wahrscheinlicher gewesen wäre, und ich kann England den Vorwurf nicht ersparen, daß es durch sein Verhalten diese Möglichkeit vereitelt hat.

Dieser gestohlene Apparat ist jedenfalls zu Lebzeiten Montgomerys in Betrieb gewesen. Die Möglichkeit, ihn wieder in Betrieb zu setzen, besteht. Wehe unserem armen Europa, wenn das von feindlicher Hand geschieht.«

Die Sitzung des Staatsrates ging ihrem Ende zu. Blitzartig hatte sie die schwere Gefahr erhellt, die ganz Europa aus der gegenwärtigen Situation erwachsen konnte, wahrscheinlich erwachsen mußte. Wirksame Mittel zur Abhilfe konnten auch die in diesem Rat versammelten Staatsmänner nicht schaffen. Von Tag zu Tag steigerte sich die allgemeine Nervosität. Auch im großen Publikum begann ein Rätselraten. Wer konnte den Apparat haben? Wer hatte das größte Interesse daran, ihn in seinen Besitz zu bringen?

Kein europäischer Staat! Das wurde allgemein angenommen.

Aber wer sonst? . . . Amerika? Die Vereinigten Staaten von Amerika? Kamen die ernsthaft für den Diebstahl in Betracht? Man erinnerte sich, daß ja jenes gewaltige Experiment Jeffersons erst am 18. Juni stattfand, während der englische Apparat schon einen Tag früher entwendet wurde . . . Da war es wenig wahrscheinlich, daß Amerika seine Hand dabei im Spiele hatte.

Das japanische Inselreich? Nach früheren Erfahrungen und Vorkommnissen war man geneigt, ihm auf dem Gebiete der Spionage und selbst der Eskamotage mancherlei zuzutrauen. Aber es fehlte an jeder Spur eines Beweises. Bisher hatte Japan äußerlich wenigstens noch nicht das geringste Interesse an dem großen Problem der Atomenergie gezeigt.

Blieben drittens und letztens die neuen islamitischen Reiche in Nordafrika und Asien. Das mauretanische Reich Abdurrhamans, das ägyptische Kalifat und das große islamitische Reich in Asien, welches die Länder vom Suez-Kanal bis nach Turkestan umfaßte. Die hätten alle drei wohl Grund gehabt, sich des Apparates zu bemächtigen, um in dessen Besitz desto kräftiger und feindlicher gegen Europa aufzutreten. Aber auch hier führte kein Weg vom Verdacht bis zum Beweis.

Das Rätselraten ging weiter. Alarmierende Nachrichten durchliefen die Presse der ganzen Welt. Bald hier, bald dort vermutete man den verschwundenen Apparat. Detaillierte Berichte über seine an diesem und jenem Orte der Welt beobachteten Wirkungen schwirrten durch die Spalten der Weltpresse. Besonders findige Berichterstatter wollten Leute gesprochen haben, die den gläsernen Kasten Montgomerys sogar gesehen hatten.

Aber immer wieder war es blinder Alarm. Die Wirkungen, die man dem Apparat zuschrieb, stellten sich stets als ganz natürliche Vorkommnisse, als Seebeben, Vulkanausbrüche oder Wirbelstürme heraus, die man auch schon vor Montgomerys Erfindung beobachten konnte.

Die Wochen verstrichen darüber, und immer dichter, immer undurchdringlicher wurde der mysteriöse Schleier, der über dieser Affäre lag. Im Gedächtnis der großen Menge begann das Ereignis zu verblassen, von anderen neuen Geschehnissen verdrängt zu werden.

Zwei Männer aber lebten in Europa, die es nicht vergaßen. Der Generaldirektor Harder, der jetzt sein Versuchswerk auf der Nordseeinsel Warnum mit Sicherungen spickte und verschanzte, zehnmal so undurchdringlich und zehnmal so todbringend wie die von Montgomery-Hall . . .

Und außerdem Friedrich Eisenecker.

* * *

Der 18. Juni . . . ein Schicksalstag für Europa und für Amerika. Noch fieberte Europa in der Aufregung über das Rätsel von Montgomery-Hall, als die amerikanische Regierung schon eine Armee von Arbeitern an die Fälle warf, um wiederherzustellen, was die entfesselte Energie dort zerstört hatte. Eine schwere und gefährliche Arbeit, da ja die Kraftwerke stillagen, die Energie für den Betrieb der Baumaschinen und die Beleuchtung der Baustelle behelfsmäßig erzeugt werden mußte.

Aber schon in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni begannen sich dort die Trommeln der ersten Betonmischer zu drehen und den Baustoff zu liefern, mit dem man das geborstene Gebirge wieder flicken und verkitten konnte.

Acht Tage und Nächte heißer, unermüdlicher Arbeit. Acht Tage und acht Nächte, in denen die amerikanische Presse sich in Vermutungen und Prophezeiungen überbot.

Europa . . . das altersschwache Europa, was hatte es denn geleistet? Nichts! . . . Wenigstens nichts Greifbares. Montgomerys Apparat verschwunden! Die Riggers-Werke immer noch im Stadium der Vorversuche.

Von Amerika mußte das Heil kommen. Nur hier war es zu erwarten. Im Stollen Jeffersons dort in der Felswand an den Fällen, da würde man die Lösung des Problems finden.

Und nun war es so weit. Jetzt endlich waren die zerklüfteten Felsen geflickt und gestützt. Jetzt konnte man es wagen, in den Stollen einzudringen. Eine kleine sorgfältig in Washington zusammengestellte Kommission. Regierungsbeamte und Physiker. Sie alle eidlich zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet.

Die schimmernde Juninacht lag über dem Strome. Meilenweit dröhnte der Donner der frei herabstürzenden Wassermassen durch das Land, als die Kommission beim Lichte der Scheinwerfer in den Stollen eindrang. Ein schmaler, gewundener Felsgang, so niedrig, daß sie sich bücken mußten, als sie ihn durchschritten. Rauh und rissig die Felswände. Und dann nach einem Weg von 100 Metern, am Ende des Ganges die eigentliche Arbeitskammer, in der die riesige Energie gewütet hatte. Glasig waren die Felswände hier zusammengeschmolzen. Gelblich goldig schimmerte das Gestein unter den Strahlen der kräftigen Scheinwerfer. Es blendete und verwirrte die Augen und Sinne derer, die es betrachteten.

Was war das? . . . Gold? . . . War es doch geglückt? War es Jefferson doch gelungen, wenigstens das Quecksilber in Gold zu zerschlagen? Hatte der unter dem Überschwange der Energie entweichende Golddampf sich hier auf den schmelzenden Felswänden niedergeschlagen und diese Märchengrotte geschaffen? Mit Gewalt rissen die Männer der Wissenschaft sich von dem zauberhaften Eindruck dieses Bildes los. Mit den unbestechlichen Mitteln ihrer Wissenschaft prüften sie das schimmernde Mineral.

Das Gold war Truggold. Unter der übermächtigen Gewalt der entströmenden Energie erglühend und verdampfend, hatte sich das Kupfer des Apparates mit dem Schwefel des Felsens zu jenem goldgleißenden Mineral verbunden, das schon so manche Goldgräber narrte und trog.

Das stand nun fest. Aber wo war das Quecksilber geblieben? Wie hatte die Riesenkraft der Fälle darauf gewirkt? Sie forschten und suchten weiter, und ein Zufall war ihnen günstig. Dort in einem Winkel der Felskammer, wo der Boden eine Tasche bildete, fanden sich Überreste des flüssigen Silbers. Wenig nur. Aber das wenige unverändertes reines Quecksilber. In der Gluthitze, die der Strom hier erzeugte, war es verdampft. Als der Fels zerriß, als die Wasser hier einbrachen und Kühlung brachten, hatte der Quecksilberdampf sich wieder niedergeschlagen. Unverändert, unverwandelt trotz der Höllenenergie, die hier tobte.

Aber es war kaum der zehnte Teil jener Quecksilbermengen, die Jefferson in den Stollen gebracht hatte. Wo war der Rest geblieben? War er dampfförmig durch die Risse des aufspaltenden Gebirges entwichen? Hatten die einbrechenden Wassermassen ihn mithinweggespült? . . . Oder war der Versuch hier doch gelungen? Waren etwa doch die Atome dieser fehlenden Quecksilbermenge in leichtere Metalle zerschlagen worden? Steckten sie doch vielleicht dort in dem Truggold der Wände?

Die Kommission konnte die Antwort auf diese Fragen nicht geben. Sie mußte sich pflichtgemäß an das halten, was erweislich vorhanden war. Und so lautete ihr Urteil: Der Versuch Jeffersons hat keinen Erfolg gehabt. Auf dem Wege, den er vorschlug, ist die Atomenergie nicht zu gewinnen.

Eine Woche noch gelang es der amerikanischen Regierung, dies Gutachten geheimzuhalten. Dann gelangte es auf unkontrollierbaren Wegen zur Kenntnis der Öffentlichkeit und wirkte sich an den Börsen der ganzen Welt aus. Die Kurse der Kohlenwerte, der Kraftwerte, seit Wochen wankend und nachgehend, wurden plötzlich fest und gingen sprunghaft in die Höhe. Nur noch ein kurzes Zwischenspiel schien vielen jetzt das ganze Problem der Atomenergie zu sein. Ein Intermezzo freilich, bei dem an den Börsen Milliarden verloren und gewonnen worden waren.

* * *

Eine bescheidene Wohnung in der Calle del Prado in Madrid, in der Antonio Gonzales, pensionierter Oberst der ehemaligen spanischen Armee, seine Tage verbrachte. Heut war Friedrich Eisenecker bei ihm, war plötzlich und überraschend aufgetaucht, war als alter Freund herzlich empfangen worden. Der dunkle Wein von Alicante stand zwischen ihnen und ließ alte Erinnerungen lebendig werden. Don Antonio sprach.

»Da lagen wir unter den zerschossenen Kanonen, dezimiert von dem feindlichen Feuer, das großenteils aus europäischen Geschützen kam. Oh, die Toren, die nie die Stunde begreifen. Wie hat unsere Regierung gewarnt, gebeten und immer wieder gewarnt.

Beim Stab der dritten Division der Hauptarmee lagen wir bei Kordova. Der Donner der weittragenden Geschütze, die fürchterlichen Luftkämpfe, bis endlich unsere eigene Luftflotte vernichtet, wir wehrlos den feindlichen Fliegergeschwadern ausgesetzt waren, die Tod und Verderben auf uns niedersandten.

Und während das alles geschah, berieten sie noch in den europäischen Kabinetten, wer den Oberbefehl über die Truppen führen sollte, die sich in Frankreich zu versammeln begannen. Wahrend sie noch debattierten und feilschten, da kam, was ich fürchtete, und was bei uns doch kaum einer geglaubt hatte. Da wiederholte sich der Tag von 711. Da kamen sie über die Meerenge herübergezogen unter dem Wasser, auf dem Wasser, durch die Luft. Wie Heuschreckenschwärme ergossen sich ihre Scharen über unser Land.

Immer noch berieten die in Europa, und als sie endlich mit ihren Beratungen fertig waren, da stand schon der Feind an den Pyrenäenpässen und sperrte der Hilfe jeden Weg. Der Guerillakrieg in den Bergen! Gewiß, unser stolzes Volk wollte sich nicht so widerstandslos ergeben. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Was früher einmal möglich war, dem machten die maurischen Flugzeuggeschwader bald den Garaus.«

»Mein lieber alter Freund, wir lasen davon in den europäischen Zeitungen. Lasen zwischen den Zeilen, daß Europa sich scheute, den Kampf bis aufs Messer mit der gewaltig gewachsenen maurischen Macht aufzunehmen.«

»Mit der maurischen Macht? Das war's nicht allein, Señor Eisenecker. Sie fürchteten . . . sie wußten in Europa, daß die islamitischen Reiche verbündet waren. Sie wußten, daß sie gleichzeitig Nordafrika und den vierten Teil Asiens gegen sich haben würden. Darum wich Europa vor der drohenden Geste Abdurrhamans zurück. Darum liegt unser Vaterland heut noch in Knechtschaft. Eine Schmach für uns, eine Schmach für Europa.«

Der Oberst schwieg. Eisenecker blickte sinnend auf sein Glas, in dem ein verlorener Sonnenstrahl sich blutrot brach. Seine Augen hingen an dem Purpurschein, als hätte er eine Vision. Langsam und stockend begann er zu sprechen.

»Es wird nicht so bleiben, Don Antonio. Ich sehe . . . ich sehe den Tag, an dem die Massen wieder nach Süden zurückfluten. Einen Tag, an dem die maurische Herrschaft dahinschmilzt wie Märzenschnee. Einen Tag, an dem die Sonne Spaniens wieder hell leuchtet . . . auf den Tag, Don Antonio!«

Er hob sein Glas und trank dem Freunde zu. Der tat Bescheid.

»Ich trinke mit! Mag der Tag kommen. Bald kommen, daß wir ihn noch erleben.«

»Der Tag wird kommen, Don Antonio . . . bis dahin . . . muß die maurische Herrschaft ertragen werden. Die Geschichte der letzten hundert Jahre zeigt Beispiele viel schlimmerer, viel drückenderer Okkupationen. Noch heute spricht man im deutschen Rheinland mit Grauen von jenen längst vergangenen Zeiten, da dort französische Besatzungen hausten. Noch heute gedenken die deutschen Einwohner von Südtirol mit Abscheu an die Vergewaltigungsversuche der Italiener. Damit verglichen scheint mir die Maurenherrschaft fast milde zu sein.

Wer nicht scharf hinsieht, merkt kaum etwas von der Besetzung des Landes. Die Verwaltung liegt in den Händen Ihres alten Beamtenapparates. Spanische Richter urteilen nach spanischem Recht und in spanischer Sprache. Das Volk geht seinem Erwerb wie früher nach . . .«

»Das ist es ja, Señor Eisenecker. Das ist ja das Schlimme. Dieser kluge Abdurrhaman vermeidet alles, was auch nur den Anschein einer Bedrückung erwecken könnte. Unsere religiösen Einrichtungen und Sitten, unsere bürgerlichen Gebräuche, Spiele und Feste, alles wie früher! Jeder kann unbehindert seinen Geschäften nachgehen. Auch die Steuern nicht höher als früher, nur mit dem Unterschied, daß sie jetzt in maurische Kassen fließen. Strengste Manneszucht der Truppen. Größte Zurückhaltung des Militärs im öffentlichen Leben. Das ist ja die teuflisch schlaue Politik des Kalifen, alles zu vermeiden, was Unzufriedenheit erregen könnte.

Das Volk in seiner Masse spürt kaum etwas von dem Wechsel der Gewalt, von dem Wandel der Dinge. Den Fremden, die aus Europa in unser Land kommen wollen, werden nicht die geringsten Schwierigkeiten gemacht. Sie finden Gelegenheit, alles mit eigenen Augen zu betrachten. Wenn sie objektiv sind, müssen sie zugeben, daß die wirtschaftliche Lage des Landes in keiner Weise schlechter geworden ist. Die maurischen Eroberer vermeiden alles, was etwa das Interesse der übrigen Welt an den so sehr veränderten Zuständen erregen könnte.

Gelegentlich ein paar Putsche . . . das kommt wohl vor, wird aber immer schnell und mit größter Energie unterdrückt, dringt kaum in die Öffentlichkeit . . .«

Ein Lärm von der Straße her unterbrach den Oberst, ließ auch Eisenecker aufhorchen und ans Fenster treten. Ein Gebrüll wie von Betrunkenen. Das Geheul der Volksmasse. Jetzt ein Schuß . . . jetzt der Gleichschritt heranmarschierender Truppen. War es einer dieser Putsche, von denen Antonio Gonzales soeben gesprochen hatte?

* * *

Iversen hatte Eisenecker nicht aus den Augen verloren. Von den Niagara-Fällen war er ihm nach Frankreich und Spanien gefolgt, hängte sich auch hier in Madrid an seine Fersen. Jetzt stand er abwartend in der Calle del Prado, vertrieb sich die Zeit, indem er Beobachtungen machte, und amüsierte sich über zwei Betrunkene.

Ein spanischer Polizist versuchte die beiden Opfer des Alkohols von der Straße zu bringen, und wurde mit ihnen nicht fertig. In seiner Verlegenheit rief er eine gerade vorbeimarschierende maurische Wache um Hilfe an, und im Augenblick verwandelte sich die Szene. Das Vorgehen des Polizisten, Fremde gegen seine Landsleute aufzubieten, erregte allgemeinen Unwillen. In wenigen Minuten waren die maurischen Soldaten von schreienden, gestikulierenden und drohenden Gruppen umringt. Und nun nahm die Angelegenheit eine dramatische Wendung, denn irgendwo fiel aus der Menge ein Schuß und wirkte wie ein Alarmsignal. Sofort eilten aus den Seitenstraßen andere Truppen herbei und riegelten den Platz ab. Ehe Iversen die Entwicklung der Dinge noch recht begriffen hatte, fühlte er eine schwere Hand auf seiner Schulter, und der barsche Befehl: Zur Wache! drang an sein Ohr. Das gesamte am Tatort befindliche Publikum, wohl an 30 Personen, mußte, von den Truppen eskortiert, den Weg zur Polizeiwache antreten.

Es war höhere Gewalt. Jeder Widerstand unmöglich. Das sah Iversen wohl ein und fügte sich in das Unvermeidliche. Was sollte ihm auch schließlich passieren? Seine Papiere waren ja in bester Ordnung, sein Paß enthielt einen besonderen empfehlenden Vermerk des maurischen Generalkonsuls in Berlin.

Der Weg zur Wache war etwa zehn Minuten weit. Der Zufall brachte Iversen dabei an die Seite einer jungen hellblonden Dame, und mit wachsendem Interesse musterte er die Gestalt seiner Leidensgenossin. Ganz offensichtlich keine Spanierin. Zweifellos germanisches Blut. Engländerin? . . . Skandinavierin? Oder vielleicht auch Deutsche? Iversen überlegte noch, wie er die Herkunft seiner Begleiterin ermitteln könne, als aus der Reihe der hinter ihm Gehenden, mehr im Scherz als im Ernst gemeint, eine Bemerkung fiel: Wer jetzt keinen Paß hat, dem geht es schlecht. Ein Lächeln flog über Iversens Züge. Selbstzufrieden strich er mit der Hand über die Brusttasche, in der er seinen Paß wußte. Ganz anders war die junge Dame. In sichtlicher Aufregung begann sie in ihrer Handtasche zu suchen, während deutsche Worte von ihren Lippen fielen: »O Gott, mein Paß, wo ist denn nur mein Paß geblieben!«

Also doch eine Deutsche! Iversen hielt es für geboten, sich ins Mittel zu legen.

»Nur Ruhe, meine Gnädigste. Wenn Sie Ihren Paß bei sich hatten, so muß er auch jetzt noch da sein. Sehen Sie Ihre Tasche nur in Ruhe durch. Ah, sehen Sie, da ist er ja schon.«

Erleichtert atmete die Dame auf. Abgebrochen kam es von ihren Lippen.

»Gott sei Dank, daß er da ist . . . das hätte doch unangenehm werden können . . .«

Sie beherrschte das Deutsche zwar fließend, sprach es aber mit dem etwas harten Akzent der Balten.

»Seien Sie unbesorgt, meine Gnädigste. Der Zwischenfall ist für uns alle nicht angenehm. Aber schließlich wird es mit einer kurzen Prüfung unserer Papiere sein Bewenden haben. In einer halben Stunde werden sich die Besitzer von ordnungsgemäßen Pässen zweifellos wieder im Genusse voller Freiheit befinden . . .«

Unverwandt ruhten die Blicke Iversens dabei auf den Zügen seiner Begleiterin. Er hätte gern noch weiter gesprochen, wenn der Zug nicht inzwischen bei der Wache angekommen wäre.

Hier ging es schnell voran. Kurze Kommandos: Alle Personen ohne Pässe in diesen Raum! Alle Personen mit Pässen in dies Zimmer.

Der Polizeikommissar . . . Iversen konnte nicht recht klug daraus werden . . . war es ein Spanier, ein Spaniole oder ein Maure? Er drängte sich vor, hielt dem Beamten seinen Paß vor die Nase, deutete mit dem Finger auf den Vermerk.

»Hier mein Paß, Herr Kommissar. Hier eine besondere Empfehlung Ihres Generalkonsuls in Berlin.« Der Kommissar warf kaum einen Blick darauf.

»Warten Sie, Señor! Erst die Damen!«

Damit wandte er sich der blonden Begleiterin Iversens zu und nahm deren Paß in Empfang.

»O Señora, entschuldigen Sie bitte . . . verzeihen Sie bitte! Ein peinlicher Mißgriff . . . die Beamten wußten nicht . . .« Mit vielen Verbeugungen gab der Kommissar der Dame ihren Paß zurück, begleitete sie selbst unter nochmaligen Entschuldigungen aus der Wache. Kam dann zurück, die Ausweise der übrigen zu prüfen, und war wieder genau so barsch und kurz angebunden wie vorher.

»Hier mein Paß, Herr Kommissar. Ich habe eine besondere Empfehlung Ihres Generalkonsuls.«

»Interessiert mich nicht. Tragen Sie eine Waffe bei sich?«

»Nein, Herr Kommissar.«

Ein kurzes Betasten der Kleidung Iversens, ob nicht doch irgendwo eine verborgene Waffe steckte.

»Gut, Sie können gehen.«

»Freut mich. Danke! Beinahe hätte ich gesagt auf Wiedersehen.«

Er verließ die Wache und schlenderte nachdenklich durch die Straßen. Diese blonde Dame, sie ging ihm nicht aus dem Kopf. Wer war sie? Was für einen Paß . . . was für einen ganz besonderen Ausweis muß sie besitzen?

Unablässig spann sein Gehirn immer neue Gedankenreihen, während er automatisch weiterschritt. Den breiten Paseo del Prado entlang am Jardino Botanico vorbei und da . . . da schritt sie ja vor ihm, die, mit der seine Gedanken sich unablässig beschäftigten. Vorsichtig und unauffällig folgte er der vor ihm Schreitenden, gelangte schließlich an der Estacion del Mediodia vorüber in einen villenartigen Vorort, und sah sie dort in einem Eckhaus verschwinden.

Das Schild an der Tür . . . ein maurischer Name. Kein Anhalt von Bedeutung. Vergeblich versuchte er immer neue Kombinationen. Ist sie etwa deutsche Erzieherin in einem maurischen Hause? . . . Das wäre kein Grund für die auffallende Höflichkeit dieses Polizeikommissars . . . oder . . . ist sie vielleicht die Geliebte eines maurischen Großen? Das würde das Benehmen des Polizeimannes eher erklären. Aber aus anderen Gründen – Iversen war sich über deren Art selber nicht klar – verwarf er diese zweite Hypothese schon in dem Augenblick, in dem er sie aufgestellt hatte.

Grübelnd und sinnend schritt er um das Eckhaus herum und betrachtete die Einzelheiten des Gebäudes. Hier in dieser Nebenstraße noch ein zweiter kleinerer Eingang, anscheinend nur für die Dienerschaft bestimmt. Schon war er im Begriff, die Nachforschungen aufzugeben, schritt wieder der Straßenecke zu, als eine Autohupe ihn aufblicken ließ. Ein Kraftwagen fuhr an ihm vorbei und hielt vor jenem kleineren Eingang.

Er drehte sich interessiert um. Ein Auto, das vor dem Eingang für Dienstboten hielt. Das mußte er sich näher besehen. Näher, aber unauffällig.

Ein böiger Wind wehte ihm entgegen, gab ihm Gelegenheit, einen Trick anzuwenden. War es der Wind oder war es Iversens Hand? Jedenfalls flog sein Hut ihm fort und rollte auf den Kraftwagen zu. Er eilte ihm nach. Aber er tat es absichtlich ungeschickt, denn er wollte ihn erst hinter dem Kraftwagen erreichen.

In diesem Augenblick öffnete sich der Wagenschlag. Dem Gefährt entstieg eine hochgewachsene blonde Dame, ein Gegenstück . . . fast ein Ebenbild jener anderen, die Iversen vor kurzem in das Haus gehen sah. Sie trat auf den Bürgersteig und hielt den heranwirbelnden Hut mit dem Schirm auf, so daß Iversen ihn bequem aufnehmen konnte. Mit einer tiefen Verbeugung bedankte er sich für diese Gefälligkeit, musterte gleichzeitig mit Blitzesschnelle alle Einzelheiten seines Gegenübers. Die Kleider von spanischem Schnitt. Eine Mantilla um die Schultern. Und doch keine Spanierin. Das blonde Haar sprach zu deutlich dagegen.

Während er seinen Hut abstäubte, hörte er sie dem Chauffeur eine kurze Weisung geben: ›Kommen Sie um 8 Uhr wieder!‹ Sah, wie sie ein Schlüsselchen aus der Tasche zog, den kleinen Eingang selbst öffnete und im Inneren des Hauses verschwand.

Alle Wetter! Ein blondes Kapital! Was waren das für Leute? Wer waren die Bewohner dieses Hauses? Das mußte doch herauszubekommen sein. Er trat in einen nahegelegenen Laden und schlug das Adreßbuch auf. Ein spanischer Graf als Eigentümer. Aber am Hause selbst stand doch ein maurischer Name. Ah so! Das Adreßbuch war schon drei Jahre alt.

Er fragte den Ladeninhaber selbst. Der konnte nur mangelhafte Auskunft geben.

»Das Haus ist das Kavalierhaus des anstoßenden Palais Almeira, jetzt Palais Iraklis. Gegenwärtig wohnen zwei Ausländerinnen darin.« Das war alles, was der Mann wußte. Iversen mußte es auf andere Weise in Erfahrung bringen.

* * *

Jolanthe saß dem Fürsten Iraklis gegenüber an der anderen Ecke des Kamins.

»Wenn man dich hört, Jolanthe, könnte man denken, du wärest dir der Größe deines Erfolges nicht ganz bewußt.«

»Nun, was war es denn groß, nachdem ich durch Lord Permbroke selbst auf die einfachste Weise hinter das Geheimnis der Sicherungen gekommen war. Halil Rifaat war auf seinem Posten. Als ich zum Flugschiff zurückging, meine vergessene Tasche zu holen, half er mir eifrig beim Suchen. Wir waren ganz allein. Ich konnte ihm das System der Sicherungen gut und deutlich erklären.

Den Kranken spielte er virtuos. Mit den Reizmitteln, die er versteckt bei sich trug, hielt er sich ständig in hohem Fieber.

Das Schwierigste, nachts zur verabredeten Stunde unbemerkt das Lazarett zu verlassen und in Montgomerys Räume zu dringen, gelang ihm glänzend. Er schaltete die Sicherungen aus, daß eure Helikoptere ihren Spähkorb in den hinteren Schloßhof hinablassen konnte. Er legte Montgomerys Apparat hinein. Der Korb wurde hochgezogen.

Halil Rifaat eilte zurück, stellte die Sicherungen wieder ein und legte sich wieder in sein Bett im Lazarett. Die einfachste Sache der Welt!«

Der Fürst lächelte. »Einfach! Du nennst einfach, was für jeden anderen eine harte Nuß . . . wahrscheinlich überhaupt unmöglich gewesen wäre. Selbst der Kalif zweifelte manchmal an der Möglichkeit. Er wird dir selbst seinen Dank aussprechen.«

»Der Kalif?«

»Ja gewiß. Er wird in diesen Tagen erwartet.«

»So werde ich Gelegenheit haben, ihn zu sehen?«

»Unbedingt, Jolanthe. Er will das kostbare Beutestück selbst sehen, ehe es . . .«

Das Eintreten der Fürstin und Modestes unterbrach ihn. Er erhob sich und räumte seinen Platz der Fürstin.

»Ich werde vielleicht schon heute Genaueres über die Ankunft unseres Herrn erfahren. Ich gehe jetzt zum Vortrag beim Prinzen.«

»Könnten wir ihn nicht heute abend bei uns sehen?« fragte die Fürstin, »er wird vielleicht auch gern Näheres von Jolanthe selbst erfahren wollen.«

Der Fürst zögerte, unschlüssig, mit einem Blick auf Modeste.

»Ich weiß nicht . . .«

»Ein andermal, vielleicht morgen«, unterbrach ihn Jolanthe.

Kaum, daß sich die Tür hinter dem Fürsten geschlossen, verließ auch die Fürstin den Raum. Eine Zeitlang herrschte Schweigen.

»Willst du nicht hier am Kamin Platz nehmen, Modeste?«

»Gewiß, Jolanthe! Es drängt mich, mit dir über unsere Abreise zu sprechen. Ich habe deine Ankunft mit Ungeduld erwartet.«

»Ich bin erstaunt, Modeste. So schnell bist du des schönen Madrid überdrüssig geworden? Ich glaubte, nach dem eintönigen einsamen Leben auf dem Tirsenhof würdest du dich hier ganz besonders wohl fühlen. Was mißfällt dir an dem Aufenthalt hier?«

»Mißfallen? . . . Der Ausdruck ist vielleicht etwas zu stark, Jolanthe. Ich möchte eher sagen, ich fühle mich nicht wohl hier. Mag sein, daß es der schroffe Wechsel zwischen dem Tirsenhof mit seinen kleinen harmlosen Freuden und der großen Weltstadt hier ist. Zweifellos trägt auch dazu bei, daß ich das Gefühl nicht los werde, mich hier auf feindlichem Boden zu befinden.«

»Spanien feindlicher Boden? Modeste, ich verstehe nicht . . .«

»Gewiß, Jolanthe! Natürlich meine ich nicht die spanische Bevölkerung, ich meine die Herren des Landes, die Mauren.«

»Ah, siehe da, die kleine Patriotin! Fühlst du so ganz als Paneuropäerin?« Jolanthe lachte hell auf. »Doch im Ernst, Modeste . . . du brauchst mich nicht so erstaunt anzusehen . . . ich glaube genügend Einblick in die spanischen Verhältnisse gewonnen zu haben, um zu behaupten, daß die große Masse sich schon stark mit den neuen Verhältnissen abgefunden hat. Weshalb willst du spanischer sein als die Spanier?«

»Du willst oder kannst mich nicht verstehen, Jolanthe. Aber glaube mir, es dürfte nicht viele Spanier geben, die nicht den Tag herbeisehnten, an dem die maurische Fremdherrschaft fällt.«

»Und du selbst an erster Stelle!« Jolanthe stieß ein hartes ironisches Lachen aus. »Ha, wenn das Prinz Ahmed wüßte.«

»Prinz Ahmed?« Modeste wandte ihr Gesicht ab. Vergebens suchte sie die aufsteigende Röte zu verbergen. »Du berührst damit eine Sache, Jolanthe, die mich seit einiger Zeit stark beunruhigt.«

»Ah! Was ist das? Modeste? . . . Wohl gar ein süßes Geheimnis?«

»Jolanthe, ich bitte dich, scherze nicht mit Dingen, die wenig geeignet dazu sind. Höre mich erst an.«

»Bitte, Modeste, ich bin aufs äußerste gespannt.«

»Prinz Ahmed steht, wie du weißt, dem Fürsten sehr nahe und kommt oft in dessen Haus. Sein liebenswürdiges Wesen, seine einfache schlichte Art machten ihn mir zu einem, ich sage es offen . . . gern gesehenen Gesellschafter. Später . . .« Modeste stockte in peinlicher Verlegenheit.

»Nun, später . . . änderte er sein Benehmen, oder was meinst du?«

»Ja, du sagst es. Ich verstand zunächst nicht und glaubte, mich zu irren. Aber bald zeigten mir die Blicke der anderen, daß ich recht gesehen.«

»Und was war es? Was sahest du?«

Modeste zögerte, als koste es sie Überwindung, zu sprechen.

»Der Prinz wurde in einer Weise vertraulich, daß es . . . es war klar, daß er sich um meine Gunst bemühe.«

»Ah, endlich! . . . Und was weiter?«

Modeste starrte die Schwester fragend an.

»Jolanthe, ich verstehe dich nicht. Du scheinst die Sache als Bagatelle zu behandeln.«

»Keineswegs, meine Liebe! Was du sagst, ist von größter Wichtigkeit und erfüllt mich mit stolzer Freude. Du, Modeste von Karsküll . . . Gemahlin des Prinzen Ahmed! Schon die Aussicht . . . ich muß dich beglückwünschen.«

Jolanthe war aufgestanden und zu ihrer Schwester getreten. Ihr Arm legte sich schwer um den Nacken Modestes.

»Und du? Was tatest du?«

»Ich übte die größte Zurückhaltung, suchte ihm zu verstehen zu geben, daß seine Bemühungen umsonst, sein Werben aussichtslos . . .«

»Was? Das tatest du? . . . Unmöglich!« Jolanthes Hand grub sich so fest in die Schulter Modestes, daß diese schmerzhaft zusammenzuckte.

»Jolanthe! Was ist dir?« Modeste war aufgesprungen und schaute die Schwester fragend an. »Du bist erregt über . . .?«

»Über dein unglaubliches Verhalten. Gewiß, das bin ich. Du . . . du wärest imstande, einen Antrag des Prinzen Ahmed Fuad, des Bruders des Kalifen, zurückzuweisen? Bist du dir auch nur im entferntesten über die Tragweite deines Handelns klar?«

Modeste hatte sich wieder am Kamin niedergesetzt. Ihre Stimme klang kühl und gelassen.

»Ich bin mir darüber klar, daß ich keine Liebe für den Prinzen empfinde . . . und daß Motive anderer Art mein Handeln niemals beeinflussen können.«

»Modeste! Du bist nicht bei Sinnen! Du willst die Hand des Prinzen zurückweisen? Die Hand, die vielleicht später einmal das Zepter des maurischen Reiches führen wird? Der Kalif ist ehelos . . . möglich, daß er es bleibt! Prinz Ahmed als nächster Agnat der präsumtive Thronerbe. Das alles sollte dir gleichgültig sein?«

»Jolanthe . . . du hast es selbst früher so oft gesagt, daß unsere Naturen völlig verschieden sind. Du hast wenig von dem Blute der Karskülls in dir. Du artest mehr nach dem Geschlecht deiner Mutter. Für dich mag die Aussicht, Prinzessin Fuad zu werden, verlockend sein. Bei dir mögen alle Gründe, die dagegen sprechen, zurücktreten. Ich denke anders!«

»Dein Denken und Fühlen geht wohl . . . auf . . . irgendeinen livländischen Landjunker? Vielleicht gar hat schon einer dieser Braven dein Herz gewonnen?«

»Dein Spott trifft mich nicht, Jolanthe. Ich bin nicht gebunden.«

»Um so besser! Dann hoffe ich bestimmt, daß du dich besinnst . . . daß du nicht eine Chance von dir weist, die sich dir in deinem ganzen Leben nie wieder bietet. Ganz abgesehen von seiner hohen Stellung, Prinz Ahmed vereinigt die höchsten Mannestugenden in sich.«

Jolanthe schaute eindringlich auf das schöne Mädchen, das zart und hoch vor ihr stand.

»Das leugne ich nicht! Aber ich liebe ihn nicht, werde ihn niemals lieben können.«

Ein harter Zug legte sich um die Lippen Jolanthes.

»Liebe! Immer wieder das Wort! Ich dachte, in diesem Falle wären derartige . . . feinere seelische Essenzen überflüssig.«

»Genug, Jolanthe! Du verschwendest deine Worte! Es wird dir nicht gelingen, meine Gefühle zu beeinflussen . . .

Es liegt mir unter diesen Umständen daran, Madrid recht bald zu verlassen. Du wirst es begreiflich finden . . .«

Jolanthe warf den Kopf zurück.

»Dein Wunsch wird sehr bald in Erfüllung gehen. Ich sagte dir schon in Livland, daß unser Aufenthalt in Madrid nur vorübergehend sein würde. Wir werden jedoch nicht direkt nach England gehen, sondern für einige Zeit in Biarritz Station machen. Meine Nerven sind nicht ganz intakt. Ich hoffe von dem wunderbaren Seeklima in Biarritz schnelle Erholung.«

»Sehr schön, Jolanthe! Ich freue mich darauf.«

»Doch denke nicht, daß ich damit meine Hoffnungen bezüglich des Prinzen aufgebe. Du bist jung . . . sehr jung, hast noch die Ideale der Jugend. Mit der Zeit wirst du lernen, kühler über seelische Affektionen zu denken. Heute kommst du dir noch groß vor, wenn du solche idealistisch klingenden Aphorismen aussprichst . . . du könntest nicht ohne Liebe heiraten? . . . morgen wirst du darüber lachen.«

* * *

Wenig befriedigt war Iversen in sein Hotel zurückgekehrt. Ein Blick auf die Schlüsseltafel in der Portierloge zeigte ihm, daß Eisenecker inzwischen zurückgekehrt und auf sein Zimmer gegangen war. Der war ihm also sicher. So ließ er sich in der Halle nieder, bestellte einen Whisky mit Soda und begann das Ergebnis seiner heutigen Beobachtungen zu überschlagen, seinen Bericht für den Generaldirektor Harder zu überlegen. Das eine schien außer Zweifel, Eisenecker unterhielt keine Beziehungen zu maurischen Behörden.

Sein Bericht. Inhaltlos wie meist. Schon längst hatte er bereut, den Auftrag übernommen zu haben.

Was hatte Harder veranlaßt, ihn hinter Eisenecker herzuschicken? Die Angst, daß Eisenecker seine Erfindung unter Benutzung der Erfahrungen der Riggers-Werke gemacht habe. Nun etwa das Resultat seiner Arbeiten zum Nachteil der Riggers-Werke anderen in die Hände gab.

Ja! War er denn so sicher, daß Eiseneckers Erfindung überhaupt auf den Erfahrungen der Riggers-Werke basierte? So ganz wollte ihm das nicht einleuchten. Die Sache mit dem Gold wollte ihm gar nicht aus dem Kopf. Da war doch niemals auch in der Presse die Rede von gewesen, daß bei der Erschließung der Atomenergie nach dem Verfahren von Montgomery oder der Riggers-Werke Gold gewonnen werden konnte.

Er erinnerte sich immer daran, wie Harder doch recht nervös wurde, als er eine diesbezügliche Frage stellte. Je länger er darüber nachgedacht, desto mehr war ihm das alles in verändertem Licht erschienen. Manchmal wollte es ihn dünken, daß die Pläne und Absichten Harders nicht so ganz lauter wären. Gekränkter Ehrgeiz, Neid, daß ein anderer ihm auf anderem Wege die Frucht jahrzehntelanger Arbeit weggenommen!

Jäh wurde er in seinem Nachdenken unterbrochen. Eine Hand legte sich auf seine Schulter.

Ein Herr in Zivil stand neben ihm, in der anderen Hand das Iversen wohlbekannte Erkennungszeichen der politischen Polizei.

»Bitte folgen Sie mir recht unauffällig! Stören Sie die anderen Gäste nicht.«

Iversen spürte eine Art von Galgenhumor. Vor einer Stunde erst entlassen, jetzt zum zweiten Male verhaftet. Der Tag schien ja allerhand zu versprechen. Ingrimmig faßte er nach seinem Hut und folgte dem Beamten zur Wache. Zu derselben Wache, die er vor kurzem verlassen, zu demselben Kommissar, von dem er eben erst Abschied genommen hatte.

»Herr Kommissar, darf ich mir eine Frage erlauben?«

»Bitte sehr, mein Herr, fragen Sie.«

»Ich möchte gern wissen, warum man mich hier noch einmal auf dieselbe Wache schleppt, auf der ich mich bereits einmal vor kaum einer Stunde ausreichend legitimiert habe?«

»Das geschieht darum, Herr von Iversen, weil sich inzwischen Dinge ereignet haben, die uns an den Angaben Ihres Passes zweifeln lassen. Nach Ihrem Paß und nach Ihrer Eintragung im Fremdenbuch Ihres Hotels sind Sie hierhergekommen, um für die deutsche Presse tätig zu sein. Das erscheint uns nicht mehr recht glaubhaft.«

»Und ich weiß nicht, Herr Kommissar, was Sie dazu berechtigt . . . nein, von Berechtigung kann gar keine Rede sein . . . was Sie dazu veranlaßt, an meinen Angaben zu zweifeln . . .?«

»Mancherlei, Herr von Iversen. Es gibt für einen Pressevertreter eine ganze Menge sehenswerter Dinge in Madrid. Gärten, Paläste, Theater, Museen und dergleichen. Aber es ist uns unverständlich, was ein Pressevertreter in einer abgelegenen Vorortstraße zu suchen hat . . .«

»Ist es etwa verboten, eine öffentliche Straße zu betreten, auch wenn sie zufällig still ist und in einem Vorort liegt?«

»Das nicht, Señor. Aber es erweckt eben Zweifel an der Richtigkeit Ihrer Angaben.«

»Das ist Schikane, Herr Kommissar. Niederträchtige Schikane! Ein schreiender Mißbrauch der Gewalt gegenüber einem harmlosen Reisenden.«

»Ihre Auffassung dieser Angelegenheit interessiert mich sehr wenig, Herr von Iversen. Jedenfalls muß ich Sie bis auf weiteres hier festhalten. Wollen Sie bitte Ihre sämtlichen Papiere und Wertsachen hier auf diesem Tisch deponieren.«

»Das ist Gewalt, Herr . . . Ich protestiere dagegen. Ich verlange, daß man mir sofort Gelegenheit gibt, mit unserem Botschafter zu sprechen.«

»Diese Gelegenheit soll Ihnen selbstverständlich gegeben werden. Vorläufig ersuche ich Sie, meiner Weisung nachzukommen und Ihre Sachen dort zu deponieren. Ich würde es bedauern, wenn ich Gewalt anwenden müßte.«

Dabei drückte der Kommissar auf einen Knopf. Ein Schreiber und mehrere Polizisten traten in den Raum.

»Setzen Sie sich dorthin, Don José, und nehmen Sie ein genaues Verzeichnis der Papiere und Wertsachen dieses Herrn hier auf.«

Iversen zitterte vor verhaltener Wut. Einen Augenblick schoß es ihm durch den Sinn, daß das Manöver vielleicht von Eisenecker ausging, der sich seiner auf diese Weise entledigen wollte. Doch nein. Diesen Gedanken verwarf er bald wieder. So konnte sich seine Menschenkenntnis in dem doch nicht getäuscht haben.

Er leistete dem Befehl Folge. Seine Papiere, seine Brieftasche . . . Briefe von Harder an ihn, Eisenecker betreffend . . . seine Uhr, seine Ringe . . . alles wanderte auf den Tisch, und sorgsam notierte der Schreiber jedes Stück davon. Zusammen mit dem Protokoll schloß der Kommissar die Sachen umständlich in einem Safe ein.

»So, Herr von Iversen, wollen Sie jetzt diesem Herrn da folgen?« Dabei deutete der Kommissar auf einen Polizisten.

»Was soll das, Herr Kommissar, was fällt Ihnen ein? . . . Ich will mit dem Botschafter sprechen! . . .«

»Später, Herr. Folgen Sie jetzt dem Beamten!«

Eine schwere Hand legte sich auf Iversens Schulter. Ein zweiter Polizeibeamter trat hinter ihn. Eine Minute später fiel die schwere eisenbeschlagene Tür einer Gefängniszelle hinter ihm ins Schloß.

Der schöne Trick mit dem Hut, den der Wind dem Auto Jolanthes von Karsküll zuwehte . . . der Trick, auf den Iversen innerlich so stolz gewesen, war sehr danebengelungen. Dem scharfen Blick Jolanthes war das Gemachte dieses Manövers nicht entgangen.

Ein Verfolger?! Schon der Verdacht rechtfertigte peinlichste Untersuchung.

* * *

»Herein!« Eisenecker rief es vom Schreibtisch her und drehte sich um, als eine fremde Stimme an sein Ohr drang.

»Sind Sie Herr Friedrich Eisenecker?«

»Ja, was wollen Sie?«

Wieder das kurze Blinken der ominösen Erkennungsmarke.

»Ich bin von der politischen Polizei und möchte Ihren Paß einsehen.«

»Bitte sehr, bedienen Sie sich.«

»Gut, Señor! Ihr Paß ist in Ordnung. Trotzdem muß ich Sie bitten, mir für kurze Zeit auf die Polizeistation zu folgen.«

Ein flüchtiges Lächeln huschte über die Züge Eiseneckers.

»Es hätte wenig Zweck, der politischen Polizei eine Bitte abzuschlagen. Ich stehe zu Ihrer Verfügung, mein Herr.«

Sie standen vor dem Kommissar.

»Sie sind Herr Eisenecker aus Deutschland.«

»Jawohl, Herr Kommissar.«

»Bitte, wollen Sie Platz nehmen! Sie waren schon früher im Lande, Herr Eisenecker. Noch vor dem Kriege?«

»Jawohl, Herr Kommissar.«

»Sie bauten damals hier das große Kraftwerk bei Segovia . . .!«

»In der Tat, Herr Kommissar!«

»Sie machten heute einen längeren Besuch bei dem Obersten Gonzales?«

»Jawohl, Herr Kommissar. Der Oberst Gonzales stand damals als Hauptmann in Segovia. Ich bin seit langem mit ihm befreundet.«

»Gut, Herr Eisenecker, unsere Akten unterstützen Ihre Aussagen. Sie standen damals im Dienste der Riggers-Werke und haben diese Dienste wohl inzwischen verlassen?«

»In der Tat, Herr Kommissar. Ich tat es vor vier Jahren. Aber ich verstehe nicht recht, aus welchem Grunde . . .«

»Sie werden es sehr bald verstehen, Herr Eisenecker. Bitte, überlegen Sie sich recht genau, was Sie antworten wollen . . . Glauben Sie, daß es Gründe geben könnte, welche die Direktion der Riggers-Werke veranlassen könnten, einen Privatdetektiv hinter Ihnen herzuschicken?«

»Was? . . . Was? Einen Privatdetektiv hinter mir? . . . Die Riggers-Werke? Ist das wahr?«

»Es hat den Anschein!«

»Und welche Anhaltspunkte haben Sie dafür?«

»Darüber möchte ich mal zunächst nichts sagen.«

»Gestatten Sie, daß ich einen Augenblick darüber nachdenke. Die Nachricht ist eine große Überraschung für mich.«

»Bitte!«

Eisenecker sann lange nach. Der Wechsel der Gedanken spiegelte sich in seinem Gesicht. Zuletzt ein Lächeln.

»Herr Kommissar. Von meinem Standpunkt aus gesehen gibt es keine Gründe für ein derartiges Vorgehen der Riggers-Werke.«

»Des Generaldirektors Harder, meinen Sie.«

»Gewiß, Herr Kommissar. Das bedeutet dasselbe. Der Generaldirektor Harder. Ja! Vielleicht, daß er aus einem falschen Verdacht heraus . . . das erscheint mir wiederum recht unglaubwürdig . . . Aber immerhin . . . vom rein menschlichen Standpunkte aus wäre es begreiflich . . . Also glaube ich Ihre Frage dahin beantworten zu können. Ja! Es wäre möglich, daß Herr Generaldirektor Harder mir einen Privatdetektiv auf die Fersen gesetzt hätte.«

»Näher wollen Sie sich nicht auslassen?«

»Nein!«

»Dann, Herr Eisenecker, bleibt nur noch übrig, Sie mit diesem Herrn zu konfrontieren.«

Dabei winkte der Kommissar einem Soldaten im Hintergrund. Die Tür öffnete sich, und von einem Sergeanten geführt, trat Iversen in den Raum. Beim Anblick Eiseneckers verhielt er den Schritt und starrte ihn verwundert an. Der Kommissar, der ihn scharf beobachtete, hieß ihn Platz nehmen.

»Herr von Iversen, kennen Sie diesen Herrn?«

»Jawohl, es ist Herr Friedrich Eisenecker.«

»Herr Eisenecker, kennen Sie den Herrn?«

»Nein, ich habe ihn nie gesehen. Jedoch erinnere ich mich des Namens. Es bestehen da, soviel ich weiß, verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Harder und Iversen.«

»Hm!« Der Kommissar kraute sich hinter dem Ohr und überlegte lange.

»Die Briefe!«

Sie wurden gebracht. Der Beamte durchlas sie mit der größten Sorgfalt. Entnahm dann einen und gab ihn Eisenecker.

»Wollen Sie bitte lesen!«

Der warf dabei einen Blick auf Iversen, der mit hochrotem Kopfe dasaß, augenscheinlich in größter Verlegenheit war. Eisenecker schob den Brief zurück.

»Ich habe keine Neigung, mich in fremde Korrespondenz zu mischen.«

»Wenn Sie nicht wollen . . . ich kann Ihnen jedoch versichern und auch Ihnen, Herr von Iversen, daß es sehr erwünscht wäre, wenn Herr Eisenecker diesen Brief läse. Vielleicht, daß dann gewisse schwere Verdachtsmomente gegen Herrn von Iversen entkräftet werden könnten.«

Eisenecker schaute zu Iversen hinüber. Auf dessen Gesicht war deutlich zu lesen, daß er in sichtlicher Bedrängnis war.

»Gestatten Sie, Herr von Iversen?« Eisenecker deutete dabei auf den Brief. »Ich möchte Ihnen helfen.«

Der kämpfte lange mit sich.

»Bitte!« Fast tonlos kam es von seinen Lippen. Eisenecker las den Brief. Gab ihn dann dem Kommissar zurück.

»Herr Kommissar, ich habe nach der Lektüre dieses Briefes nicht den geringsten Zweifel an der Identität dieses Herrn.«

Der Kommissar wiegte den Kopf.

»Es wäre sehr günstig für Sie, Herr von Iversen, wenn es so ist, wie Herr Eisenecker sagt.«

Einen Augenblick sah der Kommissar die beiden prüfend an.

»Noch einen Moment, meine Herren.« Er ging in den Nebenraum, wo sich der Hut Iversens befand, und maß mit einem Stahlband dessen Weite. Dann warf er einen Blick auf das Signalement Iversens . . . und nickte wiederum. Der Hut war in der Tat eine Nummer zu klein. Es war möglich, daß wirklich ein Windstoß ihn zur Erde geworfen hatte.

Er kehrte in den großen Raum zurück.

»Herr von Iversen, Sie haben Glück gehabt. Wollen Sie Ihre Sachen wieder an sich nehmen. Meine Herren, Sie sind beide entlassen. Die Angelegenheit, um derethalben wir Sie hierherbemühen mußten, ist aufgeklärt.«

Mit einer leichten Verbeugung verließ Eisenecker die Wache.

* * *


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