Hedwig Dohm
Die Mütter
Hedwig Dohm

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Die absoluten Gegner der Berufsfrau

Ihr nur allzu oft schon diskutiertes Hauptargument: "Die Frau hat Kinder zu gebären. Punktum!" will ich noch einmal flüchtig streifen. Einmal liefern ja nicht alle Frauen Kinder, und tun sie es etwa ohne die Erlaubnis des Standesamts, so nimmt man es ihnen entsetzlich übel, mit Ausnahme vielleicht der Elternpaare, die einer Amme benötigt sind. Mag die Frau nicht heiraten, nicht Kinder zur Welt bringen, so braucht sie es nicht, ebenso wenig wie der Mann Ideen zu produzieren (soll seine Mission sein) angehalten werden kann. Ferner: Zur Kinderproduktion gehört gar nicht soviel Zeit, wie die Gegner der Frauenbewegung annehmen. Ethisch und ästhetisch nicht zu beanstandende Vorbeugungen – Enthaltsamkeit in erster Linie – werden oder können den Kindersegen in einer Familie auf die heilige Zahl drei beschränken. (Schon im Volksmund heißt es. aller guten Dinge sind drei.) Soviel ich weiß, beträgt in der Tat die Durchschnittszahl der Kinder in einer deutschen Familie drei bis vier. Wenn wir die Schonzeit vor und nach der Geburt auf je vier Wochen festsetzen (für eine normale Frau völlig ausreichend), würde für die Mutter der Zeitverlust, den drei Geburten mit sich bringen, sechs Monate betragen, bewilligen wir vier Kinder – acht Monate.

Wie viel mehr Zeit verliert der Mann bei seinem Militärdienst, von dem gemeinen Soldaten mit seiner dreijährigen Dienstpflicht gar nicht zu reden. Und die Geburten sind doch immerhin für den Bestand der Menschheit wesentlicher als das Getötetwerden im Kriege.

Man wird den Frauen das Kindergebären noch ganz verleiden mit der Sucht, sie damit für alle andern Lebensansprüche abfinden zu wollen.

Lächerlich und eitel Hohn ist‘s, dem Weib zu sagen: "Gebäre Kinder! Kinder! Kinder!" Es aber für unweiblich, scham- und sittenlos zu halten, wollte sie auch nur durch eine Mine verraten, daß sie den zur Mutterschaft benötigten Mann herbeisehnt, geschweige denn, daß sie einen Finger rührt, um ihren Wünschen Nachdruck zu geben.

Abzuwarten hat sie, bis Gott oder eine kluge Tante, Schicksal oder Zufall, und wie die Möglichkeiten alle heißen, ihr das Mittel für ihren Lebenszweck: einen Mann – es kann unter Umständen der erste beste sein – besorgt.

Braucht denn die Gesellschaft oder die Menschheit so riesig viel Kinder? Sind es ihrer zu wenig, könnte man die Lücken nicht damit füllen, daß man versuchte, die ungeheure Menge von Kindern, die als Säuglinge sterben, am Leben zu erhalten? Weniger Kinderleichen – und Mehrgeburten wären nicht so dringend. Auch dürften frühe Heiraten und der Wegfall der Prostitution erfreuliche Resultate auf diesem Gebiet liefern.

Übrigens wird es ja immer Frauen geben, voraussichtlich eine der Nachfrage des Mannes entsprechende Anzahl, die nichts anderes wollen, als im Schoß der Familie zu verbleiben und sich der ehelichen Zärtlichkeit zu freuen; und ihrer etwaigen Sehnsucht nach einer unbegrenzten Kinderschar wird niemand eine Grenze setzen, der Gatte sicher nicht, wenn er Antifeminist ist. Der führt ja die Kinder, die die Frau zu kriegen hat, immer im Munde.

Wie sich die Kinderzahl durch das Verhüten der grausigen und massenhaften Säuglingssterblichkeit wesentlich erhöhen, so ließe sich auch die Ziffer der Berufsfrauen wesentlich vermindern, wenn man die vielen, vielen Frauen, (das Proletariat ziehe ich dabei nicht in Betracht), die der Not, nicht dem eigenen Triebe gehorchend, außer dem Hause einem Beruf widerwillig obliegen, von ihrer Bürde entlastete.

Wieviel Lehrerinnen, Buchhalterinnen, Telephonistinnen u.s.w. schmachten nach dem ihnen verschlossenen Paradies der Ehe mit allem, was dazu gehört. Erschließt es ihnen doch! Dazu seid ihr nicht imstande? Ihre Aussperrung könnt ihr nicht hindern? So enthaltet euch auch der Einsperrung derer, die heraus wollen.

Diejenigen, so die Titelfrage resolut verneinen, berufen sich auch auf die langen, langen Zeiträume, in denen die Frauen als Nurmütter und Nurhausfrauen beglückt und beglückend im Hause walteten. Von diesem Frauenglück vergangener Zeiten wissen wir wenig. Sie sind ja nun alle tot, jene Frauen, und Memoiren haben sie nicht hinterlassen, und die, welche sie hinterließen – Hausfrauen etwa?

Und ist denn das historisch, daß jene längst entschwundenen Generationen wirtschaftliche Berufe nicht ausübten? Erfahren wir nicht aus jeder Kulturgeschichte, daß den Frauen neben der Funktion der Mutterschaft alle möglichen Tätigkeiten zufielen, oft recht schwierige, zeitraubende, darunter auch solche, die weitab von Kinderstube und Ehegemach lagen: Obst- und Gemüsekultur, das Backen, Waschen, Weinabziehen, Wäschebleichen, Seifesieden u. s. w. Und daß es so verschiedenartige und mannigfache Gewerbe waren, anstatt eines einzigen, wie es die Frau heut anstrebt, steigerte doch die Ansprüche an ihre Arbeitskraft, anstatt sie zu verringern. Die nichtsrechtestuenden, drohnenartigen Damen sind erst eine soziale Erscheinung neuerer Zeiten. Die Frauenbewegung beginnt sie zu dezimieren.

Als man kürzlich einer jungen Dame mitteilte, daß in England die Köchinnen samt und sonders kochen können und die nurses die Kinderpflege gründlich verstehen, rief sie ganz erschrocken: "Ja, aber dann haben wir ja nichts zu tun, was wird aus uns?" –

In einer Gesellschaft, im Gespräch mit zwei jungen, nicht mehr ganz jungen Mädchen aus einer sehr distinguierten und wohlhabenden Familie, erfuhr ich, daß der Vormittag ihnen oft so lang wäre, man wüsste ihn nicht recht hinzubringen: baden, Blumen begießen, sticken, ein bisschen dies, ein bisschen das, – es wäre nicht genug. Sie wären immer froh, wenn man um zwölf das Lunch servierte. Nachmittag – da ginge es besser. Kommissionen in der Stadt, Besuche machen und empfangen, ein Kunstsalon u.s.w., das reiche schon bis zur Dinerstunde.

Diese Lebensführung und Auffassung ist typisch, auch heut noch, für die Töchter feiner und wohlhabender Familien und nimmt sich schauerlich kläglich der Tatsache gegenüber aus, daß im Volk Tausende und aber Tausende weiblicher Geschöpfe bis zur äußersten Erschöpfung arbeiten müssen.

Und nun verringert sich noch von Jahr zu Jahr das häusliche Arbeitsquantum für die Frau der mittleren Stände. Bei der immer mehr spezialisierten Arbeitsteilung sind die noch bis vor wenigen Jahrzehnten im Hause geleisteten Arbeiten in die großen Betriebe übergegangen. Ich nenne nur die Waschanstalten, Schneiderinnen-Ateliers, Konservenfabriken, Konfektionshäuser. Und auf allen diesen Gebieten ist eine stetige Vervollkommnung mehr als wahrscheinlich.

Und schon machen sich die Anfänge zur Abrüstung der Hausküche bemerkbar. In welcher Weise ihre Beseitigung vor sich gehen wird, ob durch Wirtschaftsgenossenschaften, ob durch öffentliche, in allen Stadtteilen anzusiedelnde Küchen, die die Speisen ins Haus liefern, ob durch die Erfindung von Kochgeräten und Kochmethoden, unter Anwendung einer unglaublich vervollkommeten elektrischen Technik, die das Märchen vom "Tischlein decke dich" nahezu realisieren dürfte, ist heut noch unbestimmbar.

Gegen die öffentlichen Küchen ließe sich einwenden, daß die von ihnen in die Häuser gesandten Speisen minderwertig zu sein pflegen. Müssen sie minderwertig bleiben? Nicht denkbar, daß den Kücheninhabern die Erkenntnis käme, daß der Vorteil des Käufers auch immer zugleich der Vorteil des Verkäufers ist?

Am eifrigsten protestieren die Verneiner gegen die Kopfarbeit der Frau, die mehr noch als die mechanisch-wirtschaftlichen Berufe ihre Seelen- und Körperkräfte zugrunde richte.

Ja, wird denn das Gehirn nur von Denkarbeit belastet? Verbrauchen nicht Alterationen der Seele ebensoviel oder mehr organische Kräfte, als die Alterationen des Denkens?

Und wurzeln die Zentren des Gefühlslebens nicht auch im Gehirn? Gibt es z. B. einen eminenteren Feind der Gesundheit körperlicher wie geistiger – als eine unglückliche Ehe? Sollte die nicht das Gehirn ganz anders und gründlicher aus allen Fugen rütteln als eine anstrengende geistige Arbeit?

So vieler Mütter Herz (anstatt Herz können wir auch Gehirn setzen) bricht, wenn ein geliebtes Kind stirbt oder verdirbt. Ich glaube, daß eine wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeit, oder sonst irgend ein ernst aufgefasster und ernst durchgeführter Beruf für diese, im Stoff zu weich geratenen Persönlichkeiten eine Ablenkung von dem zerstörenden Gram bedeuten, ein fester Ankergrund sein würde, an dem die ‘Wogen des Schmerzes sich brechen.

Jene aber glauben, daß die Gefühle überhaupt, vor allem die Mutterliebe – die pièce de résistance der Weiblichkeit – unter der Belastung mit Berufsarbeit ein Defizit aufweisen, gewissermaßen die Welt entherzen und vermaterialisieren müssten.

Manche Leute geben den Armen kein Geld, weil sie sich doch nur Schnaps dafür kaufen würden. So verweigert man der Frau die Mittel für ihren geistigen Aufstieg, in der Befürchtung, daß die Ausbildung ihrer Intelligenz als eine Art Schnaps ihre Gefühlswerte betäuben würde.

Wie? Die Gefühle des Weibes, vor allem ihre Mutterliebe, müssten aus dem Leim gehen, wenn sie eine Kunst oder ein Amt ausübte? Wo sind denn die Menschen, – die Männer mit eingerechnet – die so ganz in ihrem Beruf aufgingen, daß sie wie mit Scheuklappen an allen Gefühlen vorbeirasten? Eine Frau kann ihre Kinder lieben, unsinnig lieben – das ist nämlich kein Kunststück – und trotzdem sie vernachlässigen. Liebe und Pflichterfüllung decken sich durchaus nicht.

Wie ? Weil ich Schriftstellerin oder Ärztin oder Malerin bin, sollte ich meine Kinder weniger oder gar nicht lieben?! Aber das ist ja Unsinn, barster Unsinn! Männer dürfen hier nicht mitsprechen – da sie ja nach ihrem eigenen Urteil anders fühlen als Frauen – und wenn Frauen, wie es vorkommt, derselben Meinung sind, so können es nur kinderlose Frauen sein!

Wenn ich noch so emsig in einem Beruf arbeitete, würde ich mich nicht doch an der Liebe und Zärtlichkeit meines Gatten erfreuen? Für Musik, Theater, für alle feineren und gröberen Lustbarkeiten und Genüsse blieben meine Organe empfänglich, und nur der Sinn für Mütterlichkeit sollte mir eingehen? Um das höchste Glück, die intimste Wonne sollte das Weib sich selbst bringen? Aber das Weib denkt ja nicht daran! So dumm ist keine Frau – keine!

Übrigens, ich bestreite durchaus nicht, daß die Seele einer berufstätigen Frau nicht so völlig von ihren Kindern erfüllt sein wird, wie es bei einer berufslosen Mutter im Bereich der Möglichkeit liegt. (Der Möglichkeit, sage ich, denn tatsächlich ist die Zahl der Mütter – auch noch so berufsreiner – die jenseits der Mutterschaft seelen- und zeitabsorbierende Interessengebiete – selten auf Höhen gelegene – haben eine sehr große.)

Ich meine aber, daß es einzig und allein darauf ankommt, ob es den Kindern nützlich und nötig ist, daß die Mutter ganz von ihnen aufgesogen wird.

Mir will scheinen, daß nicht der Umfang der Gefühle und der Zeit, die die Mutter den Kindern widmet, nicht das unausgesetzte Beisammensein mit ihnen und die Einzelbetätigungen an ihnen für ihre Wohlfahrt – und diese ist doch der Gesamtsinn der Mutterschaft – entscheidend sind, sondern die Güte des Charakters, die Pflichtvergessenheit ausschließt, und die kluge Einsicht der Frau, die Mutter ist, eine Einsicht, die sie erkennen und verstehen lehrt, was die seelische und körperliche Entwicklung der Kinder fordert, die sie befähigt, die Mittel für die Verwirklichung dieses Zweckes zu finden.

Ohne den Unterbau dieser Qualitäten gleichen die Muttergefühle der schönen Fassade eines Hauses, das zu bewohnen ungesund ist.

Brave und kluge Frauen werden als Mütter ihre Lebenswege so gestalten (falls äußere Verhältnisse nicht einen Druck auf sie ausüben), daß ihre Mutterpflichten keinen Abbruch zu erleiden brauchen, gleichgültig, ob das Kind ihres Daseins ganzer Inhalt ist oder ob sie Beruf und Mutterschaft zu vereinigen wissen. Die Mutterliebe ist dabei nur ein sekundäres Erfordernis. Es geht sogar unter Umständen auch ohne sie, nur wäre die Pflichterfüllung dann eine ungleich schwerere.


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