Hedwig Dohm
Die wissenschaftliche Emancipation der Frau
Hedwig Dohm

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung

In Deutschland für die politischen Rechte der Frauen zu kämpfen, mag vorläufig eine Thorheit, eine radikale Anticipation der Zukunft sein. Neue Gedankensaaten, in einen Boden gestreut, der nicht vorbereitet ist, sie zu empfangen, tragen keine Frucht, und wer die Früchte seines Strebens und Kämpfens erndten will, der befolge den Grundsatz praktischer Leute: nur das Erreichbare zu wünschen.

Für die Anhänger des Frauen-Stimmrechts mag die Erkenntniß ein Trost sein, daß diejenigen Reformen, diejenigen socialen Umgestaltungen, welche die eine Generation mit Widerwillen von sich stößt, oft schon die nächste mit Begeisterung willkommen heißt.

Weil wir nun gern zu den praktischen Leuten zählen möchten, wollen wir heute nicht an die Pforten der Parlamente klopfen, sondern an ein anderes Thor: an das Thor des Tempels der Wissenschaft, der Universität.

In welchem Maße Deutschlands Männer der Vorstellung eines mit politischen Rechten bekleideten Volkes (die Frauen eingeschlossen) abgeneigt sind, mag folgendes Beispiel beweisen:

Kaum hatte meine letzte Schrift, die unter Anderem vom Stimmrecht der Frauen handelt, den Druck verlassen, so erschien in einer gelesenen Leipziger Zeitung, »Leipziger Tageblatt«, eine kurze Besprechung derselben von einem Herrn Wistling, in der folgender Passus vorkommt: »Im Anhange tritt die Schrift ein für das Stimmrecht der Frauen. Seit den Tagen, wo ein volksthümlich drastisches Räuberstück über Deutschlands Bühnen ging, das eine Hedwig zur Heldin hatte, dürfte keine Trägerin dieses Namens mit solchem Eclat in die Oeffentlichkeit getreten sein, wie unsere Berliner Pamphletistin.«

Aus dem Buch, das Herr Wistling bespricht, weiß er, daß im englischen Parlament, dem Aufenthalt ernster Staatsmänner, die Forderung des weiblichen Stimmrechtes von Jahr zu Jahr an Boden gewinnt und zwar vorzugsweise unter der conservativen Partei; er weiß, daß der Premierminister Gladstone dieser großen Reform zugeneigt ist; er weiß, daß in einigen Staaten Nord-Amerika’s die Frauen bereits Stimmrecht erlangt haben und daß in anderen Staaten, wie in Massachusets, z.B. die großen republikanischen Parteien das Stimmrecht der Frauen in ihr Programm aufgenommen haben. Ferner: sollte man nicht glauben, daß ein deutscher Journalist schon irgendwo einmal den Namen Stuart Mill’s gehört haben müsste? Und hat er diesen Namen gehört, so weiß er auch von einem Werke Mill’s, das rückhaltlos die politischen Rechte der Frauen vertritt.

Alle Kundgebungen englischer Zeitungen, welche nach Mill’s Tode, der ganz England erschütterte, erschienen sind, haben anerkannt, daß unter den englischen Zeitgenossen sich nicht Einer befunden habe, der auf die lebende Generation einen größeren Einfluß geübt habe, als er.

»Wenn ein Geschwornengericht«, sagt Buckle in einem seiner Essay’s, »der größten europäischen Denker ernannt und angewiesen würde, durch seinen Wahrspruch zu erklären, wer unter unsern lebenden Schriftstellern am meisten für den Fortschritt der Wissenschaft geleistet hat, so könnten sie kaum beanstanden, den Namen Stuart Mill auszusprechen.«

Eine ganze Nation, Mill’s politische Gegner nicht ausgeschlossen, errichtet in Ehrfurcht dem Todten ein Monument zum Gedächtniß aller Zeiten.

Indem ich mir die Größe Mill’s vergegenwärtige, bin ich weit entfernt, Herrn Wistling gegenüber etwa der Vorstellung Raum zu geben, daß der höhere Denker eher Recht habe als der kleine Literat; denn daraus, daß Herr Wistling bis jetzt der Nation unbekannt ist, folgt nicht, daß er von Natur zur Verborgenheit bestimmt sei. Nicht jeder gewaltigen Denkkraft ist es vergönnt, an der Oberfläche zu erscheinen. Doch, däucht mir, sollte die Denkweise eines Mannes wie Stuart Mill von Niemandem, auch nicht von einem deutschen Journalisten ignorirt werden, ja, ich möchte behaupten, daß, wo es sich um die reifen Anschauungen eines solchen Denkers handelt, diese Anschauungen von demjenigen, der sie zu bekämpfen unternimmt, einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden müssten.

Indessen mag Herr Wistling wohl die Meinung derer theilen, die den Philosophen oder Stubengelehrten von vorn herein einen unpraktischen Kopf schelten, und Mill, in seiner Auffassung von der Hälfte des menschlichen Geschlechts, mag ihm und seinen Gesinnungsgenossen (und dazu gehören mit wenigen Ausnahmen alle Männer, die über die deutsche Männererde wandeln) als ein philosophischer Grillenfänger erscheinen, ein mathaphysischer Robinson Crusoe oder als ein enfant terrible in der schönen stationären Weltordnung.

Nun schließt sich aber unglücklicherweise für Herrn Wistling diesem Philosophen ein Mann an, der schwerlich bei irgend Jemandem den Verdacht, ein unpraktischer Philosoph zu sein, erregen kann. Ich meine den conservativen Premierminister Disraeli.

Dieser praktische Staatsmann hat stets die Bill Jacob Brigth’s unterstützt. Im Jahre 1866 sprach er im Hause der Gemeinen zu Gunsten des Frauenstimmrechts. Im vergangenen Jahre wurde ihm von Georg Langton eine von 11,000 Frauen unterzeichnete Denkschrift überreicht. Seine Antwort darauf lautet wörtlich: »Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, aus Ihren Händen eine von 11,000 Frauen (berühmte Namen finde ich darunter) unterzeichnete Denkschrift zu empfangen, in der mir der Dank ausgesprochen wird für die Dienste, die ich bei dem Versuch geleistet habe, die Ungesetzmäßigkeit auszutilgen, welche die Ausübung des Stimmrechtes, welches an Eigenthum und Haushalt gebunden ist, den Frauen, die diese Qualifikation besitzen, vorenthält, obwohl ihnen bei gleicher Qualifikation in allen Angelegenheiten lokalen Gouvernements die Ausübung dieses Rechtes gestattet ist. Da ich dafür halte, daß diese Ungesetzmäßigkeit die höchsten Interessen des Landes verletzt, so hoffe und erwarte ich, daß die Weisheit des Parlaments dieselbe entfernen werde.«

Aber noch mehr. Selbst ein conservativer deutscher Professor, ein in Bezug auf die Frauenfrage altgläubiger Herr, der Professor Sybel, giebt zu, daß, wer überhaupt das »suffrage universel« auf sein Programm schreibt, keinen vernünftigen Grund habe, die Frauen auszuschließen.

Und trotz aller dieser Zeichen der zeit erscheint dem deutschen Literaten die Erörterung des Frauenstimmrechts von so frappanter Lächerlichkeit, daß er sich dabei melodramatischer Schauergefühle und eines ästhetisch-moralischen Gruselns nicht erwehren kann.

Es fiel mir bei der Lecture des »Tageblattes« eine Stelle aus einer englischen Zeitung ein, die, wenn auch in herber Uebertreibung, ein Körnchen Wahrheit enthält: die Wahrheit, daß unter den Frauen aller civilisirten Nationen die deutschen Frauen die ungünstigste Stellung einnehmen. Die Stelle, die ich zur Schonung patriotischer Gemüther nicht übersetzen will, lautet: »Germany in spite of its military successes, and the splendour of its triumphs in the realms of science, stands lower in the scale of civilization than any other European country, exept Turkey; for in no other country does woman occupy so ignoble and servile a position. In England women are treated with respect. In France and America, so long as they are young and pretty, they are worshiped. In Germany they are simply utilized."


 << zurück weiter >>