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13. Kapitel.
Das Medaillon.

Der nächste Dag war ein Sonntag, und Witte widmete sich während der Vormittagsstunden ganz seinem kleinen Schützling. Zwar brach Eva immer in heftige Tränen aus, wenn sie der Toten unmittelbar gedachte, aber den Bemühungen des Detektivs gelang es doch, die Gedanken des Kindes auf das zu lenken, was ihm wissenswert erschien.

»Sieh' mal, Kleine,« sagte er liebevoll zu ihr, »deine Mutter ist nun im Himmel beim lieben Gott. Ihr ist jetzt ganz wohl, und es würde sie nur betrüben, wenn sie sehen würde, daß du immerfort weinst. Ich war ein sehr guter Freund deiner Mutter und deines lieben Vaters, den du ja leider gar nicht gekannt hast, und sie werden sich gewiß freuen, wenn sie sehen, daß du nun bei mir und genau so brav bist, als wenn sie noch leben würden. Nicht wahr, Eva?«

Er faßte die Kleine unter das Kinn und hob ihren Kopf in die Höhe. Eva nickte ihm feuchten Auges zu.

»Nun passe einmal auf, liebes Kind. Kannst du mir sagen, wer außer Onkel Lange zu deiner Mutter kam? Denke gut nach, denn es hängt sehr viel davon ab. Kam vielleicht jemand zu euch, der deinem toten Vater ähnlich sah? Du hast doch gewiß ein Bild deines Papas irgendwo gesehen?« forschte er.

»Ja, Mama hatte das Bild von Papa in einem kleinen Medaillon, das sie am Halse hängen hatte. Ich habe es da einigemal gesehen.«

»Ein Medaillon trug deine Mutter um den Hals? Davon weiß ich ja gar nichts. Aber das läßt sich ja leicht erfahren. Warte einen Augenblick, Kindchen, ich bin gleich wieder hier.«

Er verließ erregt das Zimmer. Zwei Minuten später hatte er sich telephonisch mit dem Polizei-Präsidium verbinden lassen, und wartete nun, bis Kriminalkommissar Meißner an den Apparat kam.

»Hier Detektiv Witte. Lieber Meißner, ich möchte gern eine Auskunft von Ihnen haben im Fall Schrader. Ist am Körper oder im Besitze der Toten ein kleines Medaillon gefunden worden? – Nein? – Ich danke Ihnen, lieber Meißner!«

Witte hängte den Hörer an und sah sinnend einige Sekunden vor sich hin. Dann nickte er triumphierend, schnippte mit den Fingern und trat wieder zu der kleinen Eva in das Zimmer.

»Kannst du mir sagen, wie das Medaillon ausgesehen hat?« fragte er Eva.

»Ja, es war ein kleines goldenes Herzchen mit einem blauen Stein, und Mama hatte es an einer dünnen goldenen Kette immer um den Hals.«

»Kam nun irgend jemand zu euch, der diesem Bilde etwas ähnlich sah?«

»Ja, Rudolf, mein Stiefbruder.«

»Oft?«

»Nein, ich kann mich nur aus zweimal besinnen. Einmal kam er vor ein paar Jahren, und ich weiß davon eigentlich nichts mehr. Das letztemal war er vor einem halben Jahre bei uns.«

»Ist dir bei diesem letzten Besuche etwas aufgefallen?«

»Ja, Mama war ganz erschrocken, als Rudolf so plötzlich ankam, ich glaube, Mama hat es gar nicht gern gesehen, daß er kam. Und dann verlangte er Geld und Mama weinte und wollte ihm nichts geben. Da wurde Rudolf böse und Mama gab es ihm. Er blieb über Nacht hier und war am anderen Morgen verschwunden. Mama schlief so lange und war gar nicht wach zu kriegen, so daß ich schon Angst hatte und einen Arzt holen wollte. Aber dann wurde sie doch wach, hatte aber so furchtbare Kopfschmerzen. Ms ich ihr sagte, Rudolf wäre fort, war sie sehr zufrieden. Als ich mittags aus der Schule kam, war der Schlosser hier und machte ein neues Schloß an den Schreibtisch, weil das alte verdorben war, sagte Mama und weinte wieder so sehr.«

»Aha!« dachte Witte. »Jetzt ist mir die ganze Sache klar! Der Kerl hatte seiner Stiefmutter ein Schlafpulver gegeben und dann den Schreibtisch erbrochen. Der Plan fand sich aber nicht im Schreibtisch, deshalb verschwand er mit der Absicht, den Versuch später noch einmal zu wiederholen. Vorsorglich nimmt er einen Abdruck von dem Schlüssel, dringt mit dem Nachschlüssel ein, erbricht den Schreibtisch und wird von seiner Stiefmutter dabei überrascht. Kurz entschlossen schlägt er die arme Frau nieder und sucht weiter. Im Schreibtische ist der Plan nicht, wo kann er stecken? Beim Umhersuchen fällt sein Blick auf das Medaillon, das die Tote am Halse getragen. Es hat sich vielleicht während des kurzen Kampfes vom Halse gelöst. Was mag darin sein? Er öffnet es und hat das Gesuchte in Händen. So, jetzt fort und in Sicherheit. Ja, mein Bursche und du wärest, weiß Gott in Sicherheit, wenn ich nicht dazu gekommen wäre. Aber ich will dir das Handwerk legen, du Schuft.«

Erstaunt und erschrocken blickte Klein-Eva auf den aufgeregten Mann. Hatte sie etwas Schlechtes gesagt? Bittend faltete sie die Hände und schaute mit einem herzigen Ausdruck auf den Detektiv.

»Was du mir da erzählt hast, Eva, war mir sehr wertvoll. Nun paß einmal auf. Magst du Rudolf leiden?« Unwillkürlich schauderte Eva zusammen.

»Nein!«

»Nun, Kind, dann mußt du dich eben zusammennehmen. Morgen kommt Rudolf und holt dich ab. Hab' keine Angst,« beruhigte er die erschreckt Zusammenfahrende, »es ist nur für ein paar Tage, aber davon darf Rudolf nichts wissen. Du mußt tun, als ob du gern zu ihm gingst, verstehst du mich?«

Eva nickte.

»Dann mußt du heimlich beobachten, was er treibt und mußt vor allen Dingen darauf achten, ob du das Medaillon deiner Mutter zu sehen bekommst. Siehst du es in Rudolfs Gegenwart, so darf er nicht merken, daß du es wiedererkannt hast. Hast du alles behalten? Gut. Wirst du auch alles durchführen können? Gut, mein Kind, dann verspreche ich dir, daß du am nächsten Sonntag bestimmt wieder hier bist. Aber sei vorsichtig und sage ihm auch nicht, was du mir über das Medaillon und seinen Besuch erzählt hast. Kein Wort davon, hörst du? Wenn er dich ausfragen will, so sagst du ihm, daß ich mich mit dir noch gar nicht beschäftigt habe.«

Die Kleine versprach, sich alles genau zu merken und pünktlich zu befolgen.


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