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Drittes Kapitel.


Ich weiß kein Zeit jetzunder,
Die mich erfreuen thut;
Mein Freund ist mir verschwunden –
Ich hoff', es wird noch gut.

Erst gegen den Abend dieses Tages war Frau Gisela mit einem plötzlichen Schrei aus ihrem tiefen Schlafe erwacht. Sie fuhr ängstlich mit den Händen um sich her, sie verlangte zu wissen, wer in ihrer Nähe sey, und als sie Imagina's Stimme vernahm, sagte sie mit leisem, bangem Tone:

»Gib mir deine Hand, Kind! Ich habe in bösen Träumen gelegen. Gräßliche Dinge von dir und von mir habe ich geträumt und ich fürchte, der Schutz der heiligen Jungfrau und der lieben Heiligen, der sich bis jetzt uns stark und gütig bewährt, reicht nicht mehr aus in dieser stürmischen Zeit. Horch, Kind, hörst du nichts? Rief es nicht eben wieder, gleich einer Stimme vom Himmel: geißle dich, Sünderin, geißle dich! Blut versöhnt allein, nur auf blutiger Welle schiffst du in's Reich der Seligkeit!«

Das sonst so milde und ruhige Antlitz der edlen Frau war ein Bild des Entsetzens und der Verzweiflung geworden. Mit beiden Händen klammerte sie sich an Imagina, die ihr nahe getreten, sie zitterte heftig und ihre Zähne bebten im Fieberfroste zusammen.

»Ich will Euern Sohn rufen,« sprach das geängstete Mädchen. »Er wird Euch einen Kühltrank, ein Beruhigungsmittel geben. Oder begehrt Ihr vielleicht nach Reginen?«

»Laß sie Beide!« versetzte kopfschüttelnd und die blinden, glanzlosen Augen auf die Stelle richtend, von der ihr Imagina's Stimme erklang, Frau Gisela. »Ich will mit dir allein seyn, ich habe genug an dir. Sprich, Kind, erzähle mir etwas! Eine Heiligengeschichte, eine Legende von einem heiligen Märtyrer! Du weißt ja deren so viele. Ich möchte dich unaufhörlich reden hören. Deine kindliche Stimme thut mir wohl und es ist so schaurig, so unheimlich um mich!«

Sie hüllte sich in die Decke, sie holte tief Odem, sie lauschte mit ängstlicher Gebehrde auf.

»Ich möcht' Euch wohl gern zu Gebote seyn,« versetzte indessen Imagina, »aber mir fällt gerade nichts ein von solchen Dingen, wie Ihr verlangt. Wollt Ihr aber die Geschichte vom unschuldigen Christenmägdlein vernehmen, das eine arme Frau den Juden verkauft, die es dann zu Tod gemartert und wie die Missethat zum Vorschein gekommen, so gedenke ich diese wohl in meinem Kopfe zusammenzubringen.«

»Heilige Jungfrau! wie kommst du darauf?« schrie im Tone des Entsetzen die Kranke. »Das habe ich von dir geträumt, das habe ich so schrecklich vor Augen gehabt, als erlebte ich es wirklich.«

»Etwas Heitres lieber!« lenkte Imagina ein. »Von den guten Zwerglein, die dem armen Bauermädchen den Mahlschatz zur Hochzeit bescheert, die Truhen mit Leinwand, Gemach und Küche mit Hausgeräth, Speicher und Keller mit Speise und Trank gefüllt?«

Frau Gisela schüttelte schweigend mit dem Kopfe. Sie schien ruhiger zu werden und hob nach einem kurzen Nachdenken an:

»Nicht wahr, Kind, der heilige Sebastian wurde dem lieben Herrgotte so werth, weil er um seinetwillen unzählige Wunden erhalten, entsetzliche Schmerzen erduldet und sein Blut freudig für ihn hat fließen lassen?«

»Ich meine,« versetzte das Mädchen, »daß schon die Treue und Standhaftigkeit des heiligen Märtyrers, die er nur durch seinen Tod bestätigte, des lieben Gottes Wohlgefallen erregen mußten.«

»Nein, nein!« fuhr heftig bewegt Frau Gisela empor. »Nur Blut versöhnt. Hat nicht der Heiland selbst durch Geißlung, Leiden und Blut die ganze Menschheit versöhnt? Höre, Imagina,« sprach sie leise und geheimnisvoll weiter, »ich bin eine schwere Sünderin. Ich habe lange in arger Verblendung, in dem Wahne, als lebe ich mit meinem Gotte im besten Frieden, gewandelt; meine Eitelkeit, mein sündlicher Wahn ging oft so weit, daß ich glaubte, ein Wandel, wie der meinige, gebe mir einen Anspruch auf die dereinstige Theilhaftigkeit an seinem himmlischen Reiche. Und dennoch sündigte ich unaufhörlich gegen ihn, dennoch hegte ich fortwährend in meinem Innern eine frevelhafte Unzufriedenheit mit seinem heiligen Willen, indem ich mich darnach sehnte, meinen Ehegemahl, meinen lieben Sohn, Euch alle, die mir nahe stehn und die weite herrliche Welt in ihrer lockenden Pracht wiedersehn zu können. Das war ein böses Gelüst, das mich Tag und Nacht quälte, das war Ungehorsam, Empörung gegen Gott, der Alles in seiner Weisheit geordnet. Habe ich nicht sogar den eigenen Sohn in die Fremde gesandt, ihn nicht dort der Verführung der Welt, den Heimsuchungen, welche so oft die unbewachte Jugend zum Frevel verleiten, preißgegeben, damit er ausgerüstet mit der Macht, das Werk der göttlichen Weisheit zu vernichten, zurückkehre? Immer tiefer bin ich in die Nacht der Sünde gesunken, in ihrer Finsterniß dem Abgrunde des Verderbens zugetaumelt, bis denn nun endlich Gottes Gnade ein Licht hat leuchten lassen, das mich mit Schauder ihn erkennen, mit Reue vor ihm zurückbeben läßt. Die Hand des Herrn hat mich mit Blindheit getroffen, ich unterwerfe mich ihr in Demuth. Nimmer werde ich gestatten, daß die Binde, die er um meine Augen gelegt, von ihnen genommen werde. Der Gedanke war ein Frevel, die Ausführung wäre Gotteslästerung. Ja, Imagina, ein Licht ist erschienen, das mein Innres vor mir selbst erhellt, ein Wort ist erklungen, das mir den einzigen Weg, der zu der Entsündigung führt, angewiesen hat! Die Hölle steht offen und ihre Flammen greifen nach mir, aber jenes Licht leitet mich zum Himmel, dem Gebote jenes Wortes muß ich Folge leisten, will ich dem höllischen Widersacher entgehn.«

»Ihr seyd krank, edle Frau!« sprach weinend Imagina. »Bemüht Euch, diese unselige Wahnbilder, mit denen das Fieber Euch quält, zu verbannen. Wer wäre würdig, das Reich Gottes und seiner Heiligen zu betreten, wenn nicht Ihr, die Ihr Euch der Waisen und Verlassenen mütterlich annehmt, die Ihr die Armuth in den entlegensten Winkeln aufsuchen laßt, um ihr Eure Wohlthaten zu spenden.«

»Still, still!« fiel die Kranke in einem besorgnißvollen Tone ein. »Laß das den lieben Gott nicht hören. Es mag auch nur eitel Hoffahrt und Großthun gewesen seyn. Aber du könntest mir einen großen Dienst erzeigen, Kind, du könntest viel dazu thun, mich mit meinem Gott zu versöhnen.«

»Soll ich Euch den Beichtvater rufen?« versetzte Imagina. »Gewißlich wird der Trost der heiligen Kirche Euch wunderbar stärken und beruhigen. Pater Anselm ist ein frommer Mann und von meiner Mutter selig weiß ich, wie in Jammer und Noth, die oft bei uns einkehrten, die heilige Beichte ihrer Seele den Frieden wiedergegeben.«

»Schweig davon, Töchterlein!« hob noch leiser, als bisher, Frau Gisela wieder an. »Mit Beicht' und Absolution reicht eine schwere Sünderin, wie ich, nicht aus. Das Licht, das in meine Seele gefallen, zeigt mir andre sichre Mittel. Die wunderbare Frau, deren Ruf am gestrigen Abende die Stimme des Gewissens in mir geweckt, hat es entzündet. Buße und Geißlung versöhnen allein mit Gott. Verschaffe mir eine Geisel, mein Kind! Knotig und scharf, wohl geeignet das Fleisch der Sünderin zu zerreißen, ihr Blut, dem Himmel zum Wohlgefallen, fließen zu machen!«

»Nimmermehr!« rief entsetzt Imagina. »Ihr habt Euch meiner liebreich angenommen und ich weiß, daß ich Euch Gehorsam schuldig bin. Euch einen solchen Dienst leisten, selbst auf Euer Gebot, wäre Undank, würde mich ein Verbrechen, das nie Verzeihung hoffen könnte, dünken. Bei allen Heiligen beschwöre ich Euch, diese finstern Gedanken zu verbannen! Ihr seyd so rein, wie ein Engel des Himmels, Ihr besitzt ein Herz, das Gott wohlgefällt, und nur eine Unsinnige, die Eure Tugend mit ihrer Sünde gleich stellen möchte, konnte Euch frevelhaft beschuldigen. Treibt mich aus Eurem Hause, stoßt mich wieder in die weite, fremde Welt, wo niemand die verlassene Waise kennen mag, wo die hartherzigen Menschen ihr ein Obdach versagen, sie dem Hungertode preißgeben – aber verlangt nicht von mir, wogegen sich mein Herz empört.«

»Gehorche!« sprach fest und gebieterisch Frau Gisela, indem sie sich mit dem Oberleibe von ihrem Lager aufrichtete und die rechte Hand gegen Imagina erhob. Der Ton ihrer Stimme war drohend, wie ihn das Mädchen noch nie vernommen, Stirn und Wangen brannten in fieberhafter Gluth, die glanzlosen Augen traten weit aus ihren Höhlungen hervor, die gewaltige Aufregung, welche sich in diesem Augenblicke in dem ganzen Wesen der Kranken verkündete, ließ einen heftigen Ausbruch des Fiebers erwarten.

Imagina wußte sich nicht zu helfen. Sie eilte zur Thüre, auf den äußern Gang und rief nach dem Hausherrn, nach Salentin und Regina. Aber nur die letzte eilte auf ihren Ruf herbei. Herr Hanns hielt sich fern, im entlegenen Closett eingeschlossen und vernahm sie nicht, Salentin war zu einem Patricier, der plötzlich von der Pest, welche an diesem Tage aufs Neue viele Opfer ergriffen, befallen worden, geeilt. Als beide Mädchen das Zimmer betraten, fanden sie die Kranke, die indessen ihr Lager verlassen und sich mit den nothwendigsten Kleidungsstücken bedeckt hatte, in dem Innern des Gemaches umhertappend, nach dem Ausgange suchend. Vergebens beschworen sie die verehrte Frau, sich wieder an das Krankenbett zurück zu begeben, vergebens blieben ihre flehentlichen Bitten, sie möge die Ruhe suchen, deren sie so sehr benöthigt sey.

»Ruhe!« rief sie in einem wilden, an den Schrei des Wahnsinns gränzenden Ton. »Die Sünderin, die mit ihrem Gotte und ihrem Heilande im Zwiespalt lebt, findet weder Ruhe auf der Erde, noch Gnade im Himmel. Erst Buße und Geißlung; dann Sühnung und Friede! Erst Zerknirschung der sündigen Seele, Pein des lasterhaften Leibes; dann Ruhe in Gott, dann Reinheit vor seinem allesdurchschauenden Auge! Wo ist die Geißlerin, die mit dem Rufe der Mahnung mein Herz getroffen, die den Lichtstrahl in die Nacht meiner Sünden geschleudert? Ihr will ich beichten, sie soll mich zur wahren Buße, zur blutigen Sühnung vorbereiten. Die Geißlerin herbei! Ich bin von Feinden, von Verderbern umgeben, die meine Seele morden wollen. Wo ist die Geißlerin, sie allein kann mich retten, sie allein kann mir helfen.«

Die edle Frau, deren Äußres sonst dem eines Engels der Ruhe und himmlischen Reinheit glich, bot, während sie im Sturme der heftigsten Erregung diese Worte ausstieß, einen entsetzlichen, herzzerreißenden Anblick. Sie stand in der Mitte des Zimmers, das Haar, schon vom Winter des Lebens gebleicht, hing aufgelöst über Schulter und Brust herab, aus den offenen, starren Augen quollen langsam große Tropfen, Stirn und Angesicht brannten in dunkler Gluth, indem Fieberschauer ihren ganzen Körper durchzuckten und die Verzweiflung der Seele sich in der Entstellung der Gesichtszüge wiederspiegelte. Und bei dieser Todesangst des innern Dranges nach einem unseligen Wahne der Entsündigung, die Hülflosigkeit der Blindheit, das marternde Gefühl, nicht durch eigne Kraft Das erlangen zu können, wonach die Seele mit aller Gewalt einer wahnsinnigen Verirrung strebte! Rathlos rangen die beiden Mädchen die Hände, entsetzlicher tönte das Geschrei der Kranken:

»Bringt mir die Geißlerin! Mordet nicht die Seele durch Versagung der Buße! Ich will beichten, ich will bluten – wo ist die Geißlerin?«

»Wer ruft nach mir?« sprach da kalt und stark von Außen eine weibliche Stimme, und Joffriede, angethan mit dem Bußgewande, die knotige Geisel in der Hand, erschien im Eingange des Gemachs. Ihrer hohen Gestalt verlieh das Dämmerlicht des Abends etwas Schauriges und Unheimliches. Sie harrte einige Augenblicke auf der Thürschwelle, ihr finstres Auge flog über die Scene, die sich hier zeigte, dann trat sie vor und sprach weiter. »Hier steht die Geißlerin und ist bereit, die Wünsche der Sünderin zu vernehmen: sie selbst eine Sünderin, aber auch eine Büßende, die dem Irrenden die Hand zu bieten vermag, um ihn zur Versöhnung mit dem Himmel zu leiten. Ich erkenne dich wieder, du Gottgezeichnete! Ist das Wort, das ich in dein schuldbelastetes Herz warf, lebendig geworden in dir? Willst du büßen, um erlöst, willst du bluten, um dem Heiland lieb zu werden?«

»Ich will es, ich will es!« rief die Fieberkranke, warf sich auf die Kniee und bewegte sich auf diesen der Stelle zu, von der Joffriede's herbe Stimme zu ihr drang. »Du bist das Rüstzeug Gottes, das zuerst mein sündiges Inneres durchschaut, das den Wahn, in dem sich meine Hoffahrt gefiel, zerstreut, das mich mir selbst gezeigt hat, wie ich verworfen vor Gott Vater und Sohn stehe. Hilf mir nun auch mich wieder erheben aus dieser tiefen Verworfenheit! Lehre mich büßen, lehre mich mit dem sündigen Blute den Frieden zurückerkaufen!«

Ein seltsames, bedeutungsvolles Lächeln flog über das Antlitz Joffriedens. Sie schien sich an dem Anblicke der knieenden, verzweiflungsvollen Blinden zu weiden.

»Freifrau vom Rheine,« hob sie dann, eine besondere Betonung auf diese Anrede legend, an, »der Mensch erblickt in Sünden das Licht der Welt und jeder Tag, den er erlebt, häuft das Gewicht der Sünde, so daß es ihn immer näher dem höllischen Abgrunde zieht und ihn zuletzt dem Feinde Gottes, der aus der Tiefe nach ihm begehrt, in die Arme wirft. Du hattest schon schwer gesündigt, da mahnte dich der Herr und schlug dich mit Blindheit. Aber die göttliche Mahnung ging an dir vorüber, wie das Wehen des Windes, du bliebest verstockt, halsstarrig in deinen Sünden. Du hast eine schöne Zeit, in der dir der Weg zu Gottes Gnade offen stand, dann noch in weltlicher Lust vergeudet, deine Seele immer tiefer getaucht in den Pfuhl der Sünde, schwer wird dir nun das Werk der Buße werden, viel Blut wird fließen müssen, um die lange Bahn von Frevel und Schuld zu reinigen.«

Indessen hatte sich Imagina neben ihrer mütterlichen Wohlthäterin niedergeworfen, schmeichelte ihr unter Thränen und beschwor sie liebkosend, nicht auf die Rede der Büßerin zu hören und die heilige Mutter Gottes selbst im Gebete anzuflehn. Regina aber, die sich von der ersten Bestürzung erholt und ihre Fassung wieder erlangt hatte, trat, empört von den Beschuldigungen, welche so schmählich, wie grundlos an die hochverehrte Frau gerichtet wurden, zwischen diese und die Geißlerin und sprach mit heftigem Unwillen:

»Ihr lästert einen Engel! Was Ihr gefrevelt haben mögt in der Zeit eines dunkeln, irrenden Wandels, das wollt Ihr, um besser vor Euch selbst zu erscheinen, der gesammten Menschheit, den Reinsten und Edelsten mit zum Vorwurfe machen. Ihr verwerft die Heiligen Gottes, um Euch übermüthig selbst an ihre Stelle zu dringen, die geweihten Diener des Herrn sind Euch ein Gräul, weil Ihr fürchtet, Eure Täuschungen, Euer Wahn könne vor ihrem Blicke nicht bestehn, Ihr vergießt Euer Blut, nicht um die Flecken der Sünde damit abzuwaschen, sondern nur um sie mit neuen zu bedecken, unter denen die alten einst wieder mahnend und gräßlich hervortreten werden. Bei der gebenedeiten Jungfrau! So Ihr Euch nicht bekehrt und in die Gemeinschaft der heiligen Kirche zurücktretet, so wird Eure Buße nutzlos seyn und dahinwelken, wie ein Unkraut, das die himmlische Wärme der Sonne nicht erträgt, weil es mit seinem sumpfigen Versteck sich hervor unter die reinen Blüthen des Lebens gedrängt, Ihr werdet von dem Hauche Gottes in die Wüste zerstreut werden, einzeln werdet Ihr verderben und untergehn und keine Spur von Euch bleiben auf der Erde, als das Gedächtniß Eurer düstern Werke, die Gott nicht erfreuen können, weil sie seinen Kindern feindlich sind. Glaubst du, er sehe in diesem Augenblicke nicht zürnend auf dich herab, weil du es duldest, daß die Tugend sich zu deinen Füßen windet, vor dir, deren Wandel die unerschöpfliche Gnade Gottes verleugnet? Erhebe dich, Mutter,« richtete die begeisterte Jungfrau ihre Rede jetzt an Frau Gisela, »du bist die Heilige, vor der jene im Staube liegen muß! Dein Leben liegt rein vor Gott und den Menschen, Du hast deinen Pfad mit Wohlthaten bestreut und das Dankgebet der Armen, die du gekleidet und gepflegt, dringt sichrer zum Throne Gottes als der düstre Bußgesang der Irrenden und Heuchelnden; ihre Thräne versöhnt den kleinen Fehl, den die irdische Schwäche auf dein schönes Herz geladen haben könnte, im vollen Maaße, Ströme des unsinnig vergossenen Blutes wägen vor dem Herrn eine einzige solche Thräne nicht auf.«

Eine edle Begeistrung kindlicher Liebe und Dankbarkeit hatten Regina ergriffen. Selbst durch die Dämmerhülle, welche den Geist der Kranken umgab, drang einer ihrer belebenden und erkräftigenden Strahlen. Von den beiden Mädchen unterstützt, erhob sich schwankend die edle Frau. Der traurige Wahn, der sie beherrschte, schien erschüttert, die Verzerrung des Angesichtes war verschwunden, nur der Ausdruck eines ängstigenden Zweifels sprach noch aus ihrem ganzen Wesen. Einen wunderbaren, unerklärlichen Eindruck aber hatte das muthige und beredte Einschreiten Reginens auf die Geißlerin gemacht. Joffriede stand vor ihr, sie mit scheuen, furchtsamen Blicken betrachtend. Ein finstres Gewölk schwebte auf ihrer Stirn, aller Stolz war aus ihren Zügen gewichen, ein Ausdruck tiefer Rührung trat in einem schmerzlichen Zuge um den Mund hervor, aus dem dunkelglühenden Auge rann langsam eine Thräne über die bleiche Wange herab und ein tiefer Seufzer entrang sich der gepreßten Brust. Plötzlich zuckte sie zusammen, hob wie abwehrend beide Hände gegen das Mädchen hin und rief mit bebender Stimme:

»Hinweg mit dir! Dich sendet die Hölle, um mich zu versuchen. Sie schmückt dich mit verführerischen Erinnerungen, sie läßt einen Geist aus dir sprechen, sie gibt deiner Stimme einen Zauber, dessen Lockungen einst schon die noch Sündige unterliegen mußte. Sie will mich irre an mir selbst, an der Buße, an der Sühne, die allein zum Himmel führen, machen und gab dir eine Gewalt, die wunderbar mein Herz ergreift. Aber ich stehe fest,« schrie sie mit einem Hohnlachen, das dem Schmerzenslaut eines bösen Kampfes glich, auf, »ich trutze der Hölle und ihrer Macht, ich habe die Vergangenheit überwunden und stürmt sie mit neuen Angriffen auf mich ein; so weise ich sie mit dieser Waffe« – hier schwang sie die Geisel – »zurück! und du, Unglückliche,« wandte sie sich wiederum an Frau Gisela, »laß dich nicht abhalten, die Bahn, auf die eine göttliche Eingebung dich verwiesen, zu betreten! Lege an das Bußgewand und geißle dich! Ich werde den Meister zu dir führen, daß du in getreulicher Beichte gegen ihn dein Herz erleichterst. Dann muthig und freudig an's Werk! O, wie wird deine Seele jubeln und eingehn in himmlisches Entzücken, wenn du das sündige Blut fließen siehst, wenn du über die Wonnen des Himmels den irdischen Schmerz nicht empfindest; wenn das Antlitz des Heilands aus den Strahlen der Sonne, aus dem Glanze der Sterne dir entgegenlächelt und du seine Stimme vernimmst, die dir Verzeihung und Sühne verkündigt. Das ist der Lohn der treuen Büßenden, der bluttriefenden Geißler! Du wirst mit uns wandeln in die Ferne, du wirst Beschwerde und Demüthigung ertragen, du wirst die Schmach deiner Blindheit dem Volke zur Schau stellen und ihm erzählen, daß dich Gottes gerechter Zorn also getroffen, du wirst eisern in Buße und Geißlung gegen dich, die Sünderin, aber aus deinem Beispiele wird Heil für Tausende hervorgehn, die Hölle muß von dir lassen, hier schon durchströmt dich die Wonne des Himmels, dessen Seligkeit du dir gesichert hast. Sprich, Unglückliche: willst du Alles, was dich an das Irdische fesselt, verlassen, um mit uns der offenen Pforte des Paradieses entgegenzuwandeln?«

»Nimm mich mit dir!« rief, wieder ganz von der Macht des unseligen Wahns hingerissen, Frau Gisela. »Was sind die Güter dieser Welt gegen die des Himmels, wie schwach ist das Liebesband, das uns an Menschen fesselt, gegen das, welches uns zu Gott erhebt! Zu ihm, zu ihm! Du sollst mich führen! Du sollst mir Rath und Hülfe leihn.«

»Mutter!« fiel außer sich Regina ein: »wenn du in diesem Entschlusse beharrst, so folge ich dir, wohin es auch sey. Du hast meine Jugend geleitet, meine Hand soll dich leiten auf dem Pfade des Wahns und des Betrugs, bis seine Nebel verschwinden, bis der Gott der ewigen Liebe, den uns die heilige Kirche verkündet, deine Seele aus unwürdigen Banden erlöst, in die sie nur die Schwäche der Krankheit, die lähmende Macht eines augenblicklichen Schrecks gefangen halten kann. Dann führe ich dich in die Heimath zurück, dann wirst du wieder erkennen, wie man auch in der Liebe zu denen, die Gott unserm Herzen nahe gestellt, ihn ehrt, wie seine Liebe nicht so karg ist, daß sie nur denen, die sie in stürmischer Buße, in der Wuth der Selbstpeinigung erringen wollen, sich hingäbe!«

»Dein begehre ich nicht!« versetzte, sich nach der Thüre wendend und ihren Blick wiederum scheu vor dem Mädchen niederschlagend, Joffriede. »In dir lebt ein allgewaltiger, mich wunderbar beherrschender Dämon. Du bist meine Feindin, du sprichst von einem Gotte, dessen Liebe sich völlig den Menschen hingibt, und der meinige ist ein Gott des Zorns, der durch Buße und Geißlung versöhnt werden muß. Dein Anblick, deine Nähe beängstigt mich und dennoch fühle ich mich wieder unwiderstehlich zu dir hingezogen, ich möchte weinen, wenn ich auf dich sehe, wenn ich deine Stimme höre. Du bist eine gefährliche Versucherin. Ja,« rief sie, plötzlich heftiger werdend, »du bist die Schlange des Paradieses, die durch ihre gleißenden Farben den Sinnen schmeichelt, du bist ein Engel des Abgrunds, ausgestattet mit der Macht, denen, welchen du nahst, das Lieblichste und Herrlichste zu dünken, was je ihnen Wonnen gebracht, was geheimnißvoll in süßen unbezwinglichen Erinnerungen im tiefsten Grunde des Herzens fortlebt. Dir gegenüber fühle ich mich schwach, ich bin nicht mehr die Meisterin, welche Buße gebietet, welche dem Schwankenden die Geisel aufdringt, deren Wort Mütter, Jungfrauen und Kinder zum blutigen Versöhnungswerke hinreißt. Aber du sollst mich nicht zu Schanden machen vor meinem Gott. Ich allein kann den Kampf nicht mit dir auskämpfen um diese Sünderin, denn ich habe gegen dich keine Waffen. Ich werde Einen mit mir bringen, der nicht vor dir erzittert. Sein Auge ist Blitz, sein Wort ist Donner. Tausende beugen sich vor ihm, Tausende bluten, wenn er seine Hand erhebt, denn stark ist in ihm der Herr, in seinen Mund hat er die Gebote des Heils gelegt, und seinem Willen beugt sich, was da lebt.«

Sie eilte hinaus und ließ Frau Gisela, welche Imagina vergebens zu beruhigen suchte, trostlos zurück. Seltsamer Weise schien, während der Aufruhr im Gemüthe der edeln Frau fortdauerte, das körperliche Leiden sich zu vermindern. Die Fieberröthe des Angesichts war verschwunden, die Zuckungen, die früher in kurzen Zwischenräumen ihren Körper erschüttert, hatten aufgehört. Sie ließ sich von Imagina nach einem Sessel leiten, sie brach hier in Thränen aus und klagte bitterlich, daß man die einzige Freundin, deren Nähe, deren Rath sie stark gegen die quälenden Mahnungen des Gewissens mache, von ihr gelassen. Nichts zeigte eine Veränderung ihres Gemüthszustandes an, die bedauernswürdige Frau sah immer nur durch einen trüben, Alles verdammlich erscheinen lassenden Schleier in ein Innres, das so schuldlos und unbefleckt war, wie die Seele eines Kindes.

»Sie wird wiederkehren,« sagte sie endlich, »und Nichts soll mich dann abhalten von dem Versöhnungswerke mit meinem Gotte. Hört Ihr den Gesang, den die Erde anstimmt zu seinem Preise? Alle Kirchen stehen offen, alle Glocken läuten, alle Sünder wenden sich an seine Gnade in Buße und Geißlung. Ich darf nicht fehlen. Gott verlangt nach mir, Er soll die Sünderin gehorsam finden seinem Aufrufe zur Versöhnung.«

Ihr ganzes Äußeres veränderte sich mit einemmale. Von einer seltsamen Verklärung strahlte ihr Antlitz, sie erhob sich halb von ihrem Sitze und horchte mit einer Miene der Verzückung auf den fernher schallenden Bußgesang der Geiselfahrt, auf die Glockenklänge, die von den Thürmen herüberrauschten. Dann sank sie wiederum auf die Kniee, dann fiel sie mit leisen zitternden Tönen in die Melodie des Bußliedes ein. Als dieses schwieg und nun im Innern der Kirchen, auf den umgebenden Plätzen und Straßen, das Werk der Geißlung begonnen haben mochte, betete sie laut in einem erregten, aber ergebungsvollen Tone: »Herr, vermisse nicht im Zorne deine sündige Magd unter denen, die da büßen! Ist mein Leib auch ferne von ihm, so weilt doch meine Seele dort und rinnt nicht mein Blut unter den Geiselstreichen, die dir wohlgefällig, so nimm die Qual, die mein Innres durchzuckt, dafür auf. Herr, dein Auge sieht Alles! Mein Herz liegt offen vor dir. Meine Seele blutet, weil es dem Leibe noch nicht vergönnt ist, nimm den Willen für das Werk: Seelenqual für Körperbuße!«

Regina hatte indessen die jüngere Freundin zu sich herangewinkt und sie leise beauftragt, Herrn Hanns von Allem, was vorgegangen sey, zu unterrichten. Still entfernte sich Imagina. Lange nachdem ihr Gebet schon geendigt, harrte Frau Gisela noch in ihrer knieenden Lage. Endlich sank ihr Haupt ermüdet auf die Brust, sie gab sich den Hülfsleistungen Regina's hin, die sie zurück auf den Sessel brachte. Hier saß sie ruhig und lächelnd. Es war, als habe das Gebet einen milden Frieden in ihre Seele gegossen, als zögen Vorstellungen an ihrer Einbildungskraft vorüber, die ihr wohlthathen, die für den Augenblick die Selbstanklage, mit der sie sich gequält, schweigen machten.

»Regina, sind wir allein?« fragte sie nach einer langen Stille. Auf des Mädchens bejahende Antwort fuhr sie fort. »Wie freundlich und beseligend wird der Geist Gottes dieses Haus durchziehn, wenn ich, die Sünderin, daraus entfernt bin! Euch Allen ist meine Nähe verderblich, denn der Zorn des Himmels ruht auf dem Dache, unter dem ich weile. Wenn ich aber dereinst wiederkehre, rein und entsündigt, wenn ich das tief im Innersten der Seele lebende frevelhafte Verlangen nach dem Lichte des Tages, das er mir in seiner Weisheit genommen, jedes sündige Weltgelüst, jede Liebe, außer die zu ihm, überwunden und mit meinem Blute hinweggewaschen habe, dann bringe ich Euch den Segen mit, dann kann ich mit freudigem Muthe in Eurer Mitte mein Sterbestündlein erwarten.«

Frau Gisela sprach ganz in der freundlichen, sanften Weise, wie sonst. Sie schien nun völlig mit sich einig, ein fester Entschluß über den Weg, den sie für ihre nächste Zukunft einzuschlagen habe, war in ihr reif geworden. Reginen dünkte diese Ruhe, die sich doch nur auf den Einfluß eines unseligen Wahnes gründete, gefährlicher, als der frühere stürmische Zustand, in welchem noch ein Zweifeln und Schwanken, das zu der Hoffnung, den Irrthum zu lösen, berechtigt, hervortrat. –

»Die Satzungen unsrer heiligen Kirche,« begann sie, von dem Gedanken an die Möglichkeit belebt, durch ein halbes Eingehn in die Ansichten der Irrenden, diese von dem schrecklichen Schritte, der ihrer Seele vorschwebte, zurückzuhalten, »vergönnen nicht nur, sie gebieten selbst oft die beschwerliche Wallfahrt zu einem gottbegabten Heiligenbilde, oder zu sonst einer heiligen Stätte, auf welcher der Segen des Allmächtigen ruht. Mutter, ich weiß, daß wenn ein Sterblicher sich die Gnade Gottes durch einen Wandel, der dem der Heiligen gleicht, erworben hat, so bist du es! Wende dich nicht erzürnt von mir ab, glaube nicht, ich wolle vor dir heucheln, ich könne den Himmel durch dein Lob beleidigen! Er und seine Heiligen verkündigen sich in den Thaten edler Menschen und auch dich hat er so zu seinem Boten erwählt. Bedrängt dennoch aber ein Vorwurf deine Seele, den gewiß nur eine traurige Täuschung veranlaßt, sehnst du dich unwiderstehlich nach einer Erleichterung deines Gemüths; dann nimm den Pilgerstab zur Hand, dann walle zu einem der heiligen Orte, die schon Unzählichen ihren Frieden in die Seele gegossen, auch du wirst dort von dem Hauche Gottes angeweht werden, vor dem die Nebel der Täuschung und des Betrugs nicht bestehn. Mein Auge soll deine Schritte hüten, meine Hand dich leiten, sey es zu den Thoren der heiligen Stadt Rom, oder selbst zu der fernen Stätte, wo der Heiland gelitten, wo er am Kreuze gestorben, wo er auferstanden und uns die Verkündigung der unergründlichen Liebe Gottes gebracht. Was könnten diese Menschen, diese Unglückseligen, die Gott in ihrem eignen Leibe schänden, bieten für den Geist der Versöhnung, der unvergänglich über dem heiligen Grabe des Erlösers schwebt? Er stieg vom Himmel nieder die Menschheit zu erlösen und fort und fort dauert dieses Erlösungswerk, gegen das jene frevlen, indem sie es verläugnen.«

Im Drange ihrer Gefühle, in dem glühenden Wunsche, zu überreden und zu retten, ergriff Regina beide Hände der edlen Frau und bedeckte sie mit ihren Küssen und ihren Thränen. Sie war vor ihr niedergesunken, sie preßte ihr Angesicht in die Hände, die ihre Kindheit gepflegt. Frau Gisela hatte, ohne daß das ruhige Lächeln aus ihren Gesichtszügen gewichen wäre, dem Mädchen, das von einer göttlichen Inspiration erfüllt schien, zugehört. Jetzt streichelte sie ihr sanft die Thränen bedeckte Wange und sprach sehr freundlich:

»Du meinst es gut, Kind, aber du wandelst im Dunkel! Über dem Grabe des Erlösers schwebt ein Licht, das jetzt erst von der sündigen Menschheit wahrgenommen wird, dessen Strahlen auch in meine Seele gefallen sind und mich nun den einzigen Weg, der zum Heile führt, erkennen lassen: es ist das Licht seines Beispiels. Durch die Vergießung seines Blutes, durch die Peinigungen, denen er sich willig unterwarf, brachte er der Menschheit die Gnade Gottes, die sie frevelhaft verscherzt, zurück. Ach, wie haben wir seiner vergessen, wie haben wir aufs Neue der Sünde uns wieder unterwerfen können, die er von uns genommen! Aber es ist geschehn und nun bleibt uns nichts übrig, als nach der Versöhnung mit Gott in der Weise zu ringen, die uns sein Beispiel gelehrt Die Heiligen –«

»Mutter,« fiel Regina, durch den bestimmten Ton, welcher in den Worten der Frau Gisela herrschte, erschreckt fort, »ich beschwöre dich, halte fest an dem, was uns bisher beseligt und beglückt. Rufe dir Alles in dein Gedächtnis zurück, wie es geschehn, und dann wirst du dich überzeugen, daß nur der Zufall, daß nur ein ungefähres Zusammentreffen von Umständen die Festigkeit, die Ruhe deines Gemüths, das Vertrauen auf dich selbst erschüttert hat. Wer sind jene, deren Übermuth, einer gotteslästerlichen Buße fröhnend, sich höher stellt, als die heilige Kirche, als die Andacht, die uns zu ihren Gesalbten, als den Glauben, der uns zu den auserwählten Heiligen Gottes leitet? Ich will sie nicht verdammen, aber ihr Wandel, ihre Thaten thun es. Komm mit mir, Mutter! Die Priester sind von den Altären verdrängt, die Stätten des allgemeinen Gottesdienstes durch die entsetzliche Buße jener blutdürstigen Rotte entweiht; aber das stille Heiligthum unsres Hauses, die kleine Capelle im Garten, wo über dem Altare die heilige Mutter Gottes in ihrer unendlichen Liebe zu uns niederlächelt, athmet auch der Geist seines Friedens, seiner Liebe. Komm mit mir, Mutter! Dort wollen wir zusammen beten. Nicht in dem Sinne eines trüben, niederdrückenden Wahnes, nein! in demüthiger Herzensfreudigkeit, in demüthiger Hingebung an seine Liebe, und du wirst sehen, daß nur aus dieser, nur wenn wir, wie das Kind auf die Mutter, ganz auf ihn vertrauen, das wahre Licht der Beruhigung und der Versöhnung in unsre Seele niederstrahlt.«

Frau Gisela schien zu schwanken. Sie überließ ihre Hand der Pflegetochter, die sich wieder erhoben hatte und im Drange ihrer Empfindungen die verehrte Frau sanft nach dem Ausgange zog. Schon glaubte Regina gesiegt, schon glaubte sie jenen unseligen Wahn der Nothwendigkeit einer grauenvollen, blutigen Buße, durch die Hinweisung auf die Beruhigung eines Gebets, einer Andachtsübung im Sinne der christlichen Liebe entfernt zu haben; als mit einemmale Frau Gisela ihre Hand heftig der des Mädchens entzog, sie zurückweisend gegen sie richtete und wiederum in großer Aufregung sprach:

»Auch mich willst du verlocken, auch mich vom einzigen Wege des Heils abführen! Die Geißlerin hatte Recht. Eine große Gewalt, ein verführerischer Zauber liegt in deiner Rede. Du gleißest, wie die Schlange des Paradieses, aber der Höllengeist hat dir die Pracht dieser Farben geliehn und es ist der Anfang meines Versöhnungswerkes mit Gott, daß sich meine Seele von ihm nicht blenden läßt. Regina, du verfährst nicht gut mit mir! Ich bin dir als eine Mutter gewesen, ich habe den Schlaf deiner Kindheit bewacht und seit mich Gottes Gerechtigkeit mit Blindheit gestraft, legte ich mein ganzes Vertrauen, meine Sorgen, meine geheimen Wünsche in dein Herz – du hast eine große Macht über mich erhalten und diese willst du mißbrauchen, mich zu verderben, du willst mich von dem Wege zum Himmel zurückschrecken, um mich der Qual der Verdammten, der ich zu entgehn strebe, ganz und gar heimfallen zu lassen. Regina, es ist entsetzlich!«

Da vergaß Regina, daß sie eine Unglückliche, von einem traurigen Wahne Befangene vor sich habe und von diesen unverdienten Vorwürfen tief verletzt, brach sie in lautes Weinen, in heftiges Schluchzen aus. Sie entgegnete nichts, sie gab die Hoffnung auf, diesem erschütterten, irrenden Gemüthe die Stimme der Wahrheit vernehmlich zu machen. Aber selbst aus diesem beklagenswerthen Zustand, der Allem was die edle Frau bisher geliebt, was sie andächtig verehrt hatte, eine drohende, gefährliche Bedeutung beilegte, brach die tief im Innersten der Seele wohnende Herzensgüte hervor und von Regina's Thränen gerührt, drückte die Pflegemutter das Mädchen an ihre Brust und fuhr ruhiger, in einem Tone des Trostes fort:

»Ich weiß, Regina, du kannst nicht dafür, daß es so ist! Weine nicht, mein Kind! dein Geist irrt, nicht dein Herz. Ich, die schwere Sünderin, bin nicht berufen, dich anzuklagen, und wenn ein fremdes Wesen, eine mir feindliche Gewalt sich deiner bemächtigt hat, um mich zu versuchen, so mußt du ihr dienen, ohne ihr widerstreben zu können. Du willst ich soll mit dir beten, ich soll im Verein mit dir die gebenedeite Mutter Gottes anrufen? Ich scheue ihre Nähe nicht, ich bin sicher, daß sie mir ihre Hülfe in dem großen Sühnungswerke, zu dem mich das Beispiel ihres göttlichen Sohnes beruft, nicht versagt. Darum will ich zu ihr beten, in diesem Vertrauen will ich vor ihr knieen, stark in dieser Hoffnung, trete ich selbst dem Versucher furchtlos entgegen. Komm, Regina,« setzte sie entschlossen hinzu, »wir gehn zur Gartenkapelle.«

Sie stand auf und trat rasch einige Schritte vor. Ihr Gang war der einer Genesenen, während die Seele sich fortwährend in einer unnatürlichen, krankhaften Stimmung befand, schien der Körper seine gewöhnliche Kraft wieder gewonnen zu haben.

»Mutter,« sagte Regina, indem sie den Arm der edlen Frau nahm und sie nach der Thüre führte, »ich begleite dich, wohin du willst. Ich sagte dir schon, daß selbst die Nähe, die Gesellschaft jener unglücklichen Verirrten mich nicht zurückhalten würde, deinen Schritt zu bewachen, jedes Hinderniß aus deinem Wege zu entfernen, jede unabwendbare Beschwerde mit dir zu theilen. Drängt es dich unwiderstehlich in ihre düstre Bahn, hat dich eine Gewalt ergriffen, die stärker ist, als die Liebe zu deinem Gemale, zu deinem Sohne, zu uns, die wir uns auch deine Kinder nennen dürfen, so liegt auch in dieser Gewalt Gottes hoher Wille. Was ich dir versprochen, das will ich im Angesichte der Himmelskönigin dir mit heiligem Eide geloben. Treu werde ich an meinem Gelübde halten, in keinem Sturme, in keinem Elende des Lebens von dir weichen. Es gibt eine Stimme in der Brust, die gebietrischer spricht, als alle Gefühle, die uns bisher lieb gewesen, als alle Erfahrungen, die uns das Leben offenbart. Diese Stimme hat die Heiligen begeistert, daß sie sich freudig dem Märtyrthum hingeben, diese Stimme hat hunderttausende zum Grabe des Erlösers geführt, diese Stimme drängt uns unwiderstehlich aus dem Kreise der Liebe in eine Wallfahrt voll Beschwerden, an deren Ziele aber die Krone der himmlischen Beruhigung, des göttlichen Friedens leuchtet. Selbst die heilige Kirche gebeut, einem solchen andächtigen Sehnen jede irdische Rücksicht, habe sie Namen, wie sie wolle, zum Opfer zu bringen. Mutter, ich begleite dich auf deiner Wallfahrt, aber verlange nicht, daß ich die entsetzlichen Büßübungen jener Menschen mit ihnen theile! Was durch deinen Glauben, durch deine fromme Überzeugung vor Gott, der es des Wahnes zu entkleiden weiß, rein und edel erscheint, das ist in ihnen Sünde, freche Gotteslästerung. Komm, Mutter! Nimm mein Gelübde, du sollst kein undankbares Kind in mir finden.«

Unter dieser Rede, die Regina in heftiger Wallung gesprochen, waren sie über die Außengänge die Treppe hinab auf den Vorplatz des Hauses gelangt, von dem eine Hinterthüre in den Garten, der inmitten des großen viereckigen Gebäudes lag, führte. Auf diesem Wege gesellte sich ihnen wiederum Imagina zu und benachrichtigte die schwesterliche Freundin, daß alle ihre Bemühungen, zu Herrn Hanns vom Rhein zu dringen, vergeblich geblieben seyen, indem der alte Herr sich in sein innerstes Gemach zurückgezogen und selbst die Pforten der zu diesem führenden Gänge von Innen verriegelt habe. Auf einen Wink Reginens schritt der Leibdiener Hartmuth den Frauen mit einer brennenden Kerze nach der Gartenkapelle vor, während der neugeworbene Knecht als Wächter des Hauseinganges zurückblieb. Es war ein stiller, lieblicher Abend. Süße Blumendüfte empfingen die Frauen und die Pracht des sternbesäeten Himmels erweckte neuen Muth, den festen Willen, jedem Mißgeschicke des Lebens standhaft entgegenzutreten, in der Seele Reginen's. Sie dachte an Salentin und es dünkte ihr, als müsse Alles, was sie für die Mutter thue, auch ihm ein wohlgefälliges Opfer scheinen. Dann regte sich auch wieder der Vorwurf, durch ihre Liebe zu dem jungen Patricier sich gegen ihre Wohlthäter vergangen zu haben, in ihrer Seele; dann war es ihr, als müsse sie Gott preisen, daß er ihr Gelegenheit gebe, durch ein Werk der aufopfernden Treue, was sie an Frau Gisela gesündigt, wieder gut zu machen. Aber tief aus dem Hintergrunde ihrer Seele, aus der Nacht, welche die Zukunft ahnen ließ, trat ein heilverkündendes Bild hervor, sprach in Worten der Beglückung eine milde, freundliche Stimme: das Bild zeigte die Gestalt des grauen Büßenden, die Stimme war die seinige! Ihre Einbildungskraft beschäftigte sich so gern und liebevoll mit diesem Bilde, daß sie sich bald dem süßen Wahne hingab, den räthselhaften Mönch aus dem Schatten der Gebüsche hervortreten, ihn, als billige er ihr Unternehmen, als Führer der kleinen Gesellschaft, an deren Spitze zu sehn. Bei'm Eintritte in die Kapelle, wo die Phantasie nicht mehr einen so freien Spielraum hatte, wie draußen im dämmrigen Garten, wo, nachdem Hartmuth die Altarkerzen angezündet, die Bedeutung des Ortes zu ernst auf die Seele der frommen Jungfrau eintrat, um sie nicht ganz zu fesseln, löste sich der Zauber dieses Spieles, dem sie sich gern hingegeben.

Regina warf sich, während Frau Gisela, in der Haltung einer tief in Gedanken Verlorenen, in einem Betstuhle ihre Stelle einnahm, vor dem Muttergottesbilde nieder, das bei den rohen Formen, mit denen es die in den Zustand der Kindheit zurückgesunkene Kunst der damaligen Zeit bekleidet, dennoch seinen mächtigen und wohlthätigen Einfluß auf ein frommes Gemüth behauptete. Sie betete leise, aber mit einer Inbrunst, in die sich alle Gefühle der Liebe, der Dankbarkeit und Verehrung zu Frau Gisela ergossen. Imagina mußte an der Seite der edlen Frau bleiben. Sie sah die Andacht der Schwester, sie ahnete, was ihr Herz nach Trost und Hülfe von der heiligen Jungfrau verlangen ließ und betete still mit.

Mit einemmale fuhr Frau Gisela aus ihrem Schweigen auf und sprach ängstlich und gepreßt:

»Wo ist Regina, mein Kind! Komm! Führe mich zu den Füßen der Gebenedeiten. Ich sehe sie nicht, aber ich fühle ihre Nähe. In meiner Seele erhebt sich ein seltsamer Kampf, ein Ringen zwischen den alten Gewohnheiten meiner Andacht und der Erkenntnis dessen, was jetzt nothwendig geworden ist. Ich weiß kaum, wohin ich mich wenden soll. Heilige Himmelskönigin gieße deinen Seegen in meine Seele, rüste sie aus mit deiner Klarheit, laß mich stark bleiben in meinem Willen, als einer schwachen Dienerin deines göttlichen Sohnes seinem Beispiele folgen, seinem Sühnopfer mich hinzugeben!«

Sie näherte sich schwankend an Regina's Arm, die zu ihr geeilt war, dem Altare. Da klangen mächtige Schläge vom Eingange des Hauses her. Regina blickte besorgt auf Hartmuth. Dieser eilte sogleich hinaus, kehrte aber nach wenigen Augenblicken verstört zurück und, ehe er noch berichten konnte, daß der neue Knecht unbesonnen oder furchtsam den zurückkehrenden Geißlerinnen und einem Manne in ihrer Begleitung geöffnet habe, erschienen Joffriede und Galeazzo selbst in der Thüre der Kapelle.

»Dorthin, Meister, richte deinen Blick!« sprach die Geißlerin, indem sie auf Frau Gisela, die zitternd an den Stufen des Altars niedergesunken war, deutete. »Das ist die Sünderin, die Gottes Gerechtigkeit mit Blindheit getroffen, die sein Zorn zur Buße, zur Geißlung bezeichnet. Das Wort der Mahnung hat ihre Seele ergriffen, sie begehrt ihre Brust in heiliger Beichte vor dir zu erleichtern, sie übergiebt sich deiner Leitung, sie durch blutige Buße zur Versöhnung mit dem Heilande zu führen.«

»Tretet herzu, wer büßen will!«

gebot im dumpfen singenden Tone der Meister, indem er einige Schritte vortrat. Aber sein Blick hatte die knieende Frau kaum berührt; er ruhete in seltsamer Glut auf Reginens blühender Jugendgestalt, die muthig ihm gegenüber stand und ihren Arm, wie schützend, zwischen ihn und Frau Gisela ausstreckte. Eine Leidenschaft, die er lange durch Buße und Selbstpeinigung bezwungen zu haben glaubte, erhob sich mit einemmale wiederum mächtig, und jede Schranke niederstürzend, in seinem Innern. Seit Jahren gewohnt, von Allen, die ihn umgaben, seinem leisen Winke Folge leisten zu sehen, bemühete er sich auch nicht, ihr einen Widerstand entgegenzustellen. Vom Fanatismus zur Wuth eines übermüthigen Sinnenbegehrens ist nur ein kleiner Schritt. Galeazzo hatte ihn gethan und er war nicht der Mann, den einmal betretenen Weg zu verlassen. Joffriedens Erzählung von der wunderlichen Kraft, die diesem Mädchen innewohne, von ihrer Begeistrung, von dem unerklärlichen Zauber, der die Meisterin in ihrer Nähe mit Scheu erfüllt, hatte er belächelt; jetzt aber bemächtigte sich seiner bei dem Anblicke der Jungfrau eine andre Zauberkraft, die der Schönheit und Jugend; jetzt rächte sich die Weltlust, die er verdammt, die er selbst in ihrer reinen und schuldlosen Freude verfolgt hatte, an ihm, indem sie ihn im Sturme der Leidenschaft, im Wahnsinne des Sinnentaumels fortriß.

»Heilige Jungfrau, du hast entschieden!« rief indessen mit fester Stimme Frau Gisela aus. »Du gestattest, daß dieser Fremdling, der die Schaar der Büßenden durch viele Länder geführt, dein Heiligthum betritt, du weisest mich an ihn, als denjenigen, dem du selbst die Macht verliehn, die Sünderin mit dir zu versöhnen. Heiliger Mann, nimm mich auf unter deine Gläubigen! Ich habe schwer an Gott gefrevelt, ich habe seine ewige Gerechtigkeit gelästert. Wird er verzeihen der Büßenden, der Blutenden?«

Sie hatte sich aufgerichtet und erhob beide Arme gegen Galeazzo. Dieser schien sie nicht zu vernehmen. Regina's Anblick hielt seine Sinne gefangen. Mit wilder Begehrlichkeit sah er auf sie, mit der Gier des Wolfs, der seine Beute wahrgenommen. Regina bebte ängstlich zusammen bei der Gluth, die sie aus diesem Auge traf. Sie umschlang die mütterliche Freundin; es drängte sie, Schutz bei derjenigen zu suchen, die dessen selbst in diesem Augenblicke so sehr bedurfte.

»Mutter,« raunte sie scheu ihrer Pflegerin zu, »du siehst diesen Mann nicht, sonst würdest du einen Geist der Hölle und keinen Boten des Himmels in ihm erkennen. Die Heiligen schützen uns in seiner Nähe! Die Flamme des Abgrunds leuchtet aus seinem Blicke, aus seinen Gebehrden spricht der Wahnsinn, ein Thier der Wildniß würde mich neben ihm ein frommes Lamm dünken.«

»Hörst du den verführerischen Klang dieser Stimme?« sprach Joffriede, die immer vermieden hatte, Reginen anzusehen, zu dem Meister. »Stehst auch du durch den Zauber gebannt, der diesem Mädchen innewohnt? Du spottetest meiner, du nanntest mich eine schwache Thörin! Wo ist jetzt deine Kraft, Meister, wo ist der Alles beherrschende Geist deiner Rede, wo ist die Macht deines Willens? Beichten wolltest du die blinde Sünderin, sie büßen, sie bluten lassen – erstirbt der hohe Beruf deiner Sendung in der Gegenwart eines Mädchens, beugt sich dein Geist vor dem ihrigen, willst du die Blinde der Verzweiflung eines vergeblichen Sehnens nach göttlicher Verzeihung hingeben?«

»Fort mit der Blinden!« schrie mit einer heftigen Bewegung nach Frau Gisela hin, Galeazzo auf. »Was soll die Blinde unter den Sehenden? Unser Weg ist lang, unser Ziel ist fern. Wir bedürfen nicht der Elenden und Gebrechlichen, unsre Lehre zu verkünden. Aus der Kraft, aus dem frischen Quell des Lebens muß sie Alles ergreifend hervorgehn. Die Blinde mag büßen und bluten in der Einsamkeit ihres Gemachs; der Herr selbst wird ihr verkünden, wenn es genug ist. Aber dieses Mädchen, diese junge Sünderin soll uns folgen. Siehe, Joffriede, wie sie zusammenbebt, wie der Geist der Sünde gewaltig in ihr ringt, gegen Buße und Sühne! Er muß ausgetrieben werden durch die Gemeinschaft mit den Erwählten, durch lange beschwerliche Wandrung in der Wüste der Welt, durch Blut – durch Blut, das allein Gott gefällt!« Der wildeste Fanatismus, zu dem sich die unreine Begierde gesellte, sprach aus seinen Zügen und aus jeder seiner Bewegungen. Hastig näherte er sich Reginen und herrschte ihr, die sich ängstlicher und inniger an die Pflegemutter schmiegte, zu: »Komm, Mädchen! die Stunde deines Heils ist angebrochen.

Unsre Betfahrt ist so gut,
Da hilft der Herr uns durch sein Blut,
Das er am Kreuz vergossen.«

»Halt ein, Galeazzo!« rief in einem seltsam bewegten Tone die Geißlerin. »Wie mag dem Herrn ein Opfer, das sich nicht willig beut, wohlgefallen? Laß dieses Mädchen! Die Blinde ist unser, sie begehrt nach Buße und Geißlung: wir dürfen sie nicht zurückweisen.«

»Das Blut dieser Jungfrau will ich sehen!« wüthete der Meister, den dieser ungewohnte Widerspruch zur Raserei entflammte. »Auf ihrem Haupte ruht ein Fluch, den nur Buße und Geißlung von ihr nehmen. Mein ist sie, dem Geißlermeister verfallen! Niemand soll sie mir entreißen. Auf meinem Arme trage ich sie hinweg und wehe dem, der meinem Beginnen in den Weg tritt.«

Er erhob, während er die Rechte drohend nach Joffrieden ausstreckte, die Linke gegen Reginen, um sich dieser zu bemächtigen. Des Mädchens Blicke begegneten mit dem Ausdrucke des Abscheus und des Entsetzens den seinigen, sie war zitternd niedergesunken wie das Lamm vor dem Opfer.

»So führe ich die Blinde mit mir!« sprach trotzig Joffriede. »Du bist der Meister, ich die Meisterin. In der Versammlung der Brüder und Schwestern werde ich meine That vertreten. Aber noch einmal, Galeazzo, warne ich dich, dieses Mädchen in meine Nähe zu bringen. Wenn ich sie sehe, so erlischt die Glut der Andacht in meiner Seele; wenn ich ihre Stimme höre, so dringt es in mein Herz, wie ein unwiderstehlicher Zauber, der zu einer sträflichen Duldung der sündigen Menschheit, zu schwachem Mitleid, ja, Meister! selbst zum Widerwillen gegen eine düstre Buße, gegen Selbstpeinigung und Blutvergießen mahnt.«

»Die Hölle ist mächtig in ihr!« schrie Galeazzo. »Blut! Blut! Aus der Saat des Blutes keimt das Heil, in dem Heil erringen wir den Sieg über den Geist des Abgrunds.«

»Laßt mich nicht zurück!« jammerte dazwischen die Blinde. »Laßt mich nicht verderben in der Reife der Sünde. Meisterin, Meisterin, wo bist du? Gieb mir deine Hand, führe mich auf den Weg der Buße, an's Ziel der Versöhnung!«

Galeazzo hatte Reginen, die bei seiner Berührung heftig aufschrie, und dann in einen ohnmächtigen, keines Widerstrebens fähigen Zustand versank, ergriffen. Noch schien ihn die Macht ihrer Schönheit zu bannen, noch schien die schwache Regung eines bessern Gefühls ihn von einer Gewaltthat zurückzuhalten. Imagina hatte sich in einen Winkel geflüchtet und rang verzweiflungsvoll die Hände; der alte Leibdiener, von Allem, was er hörte und sah, in seiner geistigen und körperlichen Kraft erschüttert, vermochte sich kaum in der Thüre der Kapelle, wohin er sich zurückgezogen hatte, aufrecht zu erhalten.

»Richardis von Falkenstein!« ertönte da plötzlich hinter dem Altar hervor eine ernste, schwermüthige Stimme und neben dem Bilde der heiligen Jungfrau erschien, gebeugt und langsam sich nähernd, der alte Herr vom Rheine. »Was störst du den Frieden eines Hauses, von dem dich die Mahnung deines Gewissens, das Gedächtniß alter Schuld für immer hätte entfernt halten sollen?« Er fuhr fort: »Du, die Meineidige, wagst es, diesen Engel an Treue und Liebe anzuklagen, du willst eine Seele, die mit dem Allmächtigen und seinen Heiligen im innigen Frieden lebte, in den Pfuhl deiner gotteslästerlichen Verirrungen mit hinabreißen? Fürchte den Zorn des Himmels und seiner Heiligen! Sie sind duldsam, aber auch stark und gewaltig in ihrem Strafgerichte, Richardis von Falkenstein!«

Bei den ersten Worten des Herrn vom Rheine erschütterte ein Fieberfrost, der ihr ganzes Wesen durchzuckte, die Geißlerin. Dann aber schien sie gefaßt, ein höhnisches Lächeln trat auf ihre Lippen, seltsam und drohend weilte ihr Blick auf dem Sprechenden.

»Du nennest einen Namen, der mit allen Flecken, allen Freveln, die an ihm hängen, längst begraben ist!« erwiederte sie dann mit eisiger Kälte. »Wandle zurück auf dem Pfade, den die Geißlerfahrt bezeichnet, und du wandelst auf dem Grabe jenes Namens. Aus dem Gedächtnisse der Menschen, aus meinem eigenen haben ihn Ströme Bluts hinweggewaschen. Die Sünde weicht von uns, wie die Sündigen. Dir aber leben sie nach, weil du in der Nacht, weil du im Irrthume wandelst. Du willst den Frühling deines Lebens in seinem Winter heraufbeschwören und bedenkst nicht, daß jene Blüten längst verwelkt, daß selbst ihre welken Blätter in eine andre Gestalt, in ein andres Wesen übergegangen sind. Schäme dich, alter Mann! Dein greises Haar mahnt an den Himmel, du hängst der Erde an. Für dich ist die Buße verloren. Aber diese her«, setzte sie mit einem wilden Blicke auf Gisela hinzu, »soll büßen, soll bluten, wie ich, soll auf langer dunkler Wandrung die Erde durchziehn, bis ihre Eitelkeit Demuth, ihre Weltlust Zerknirschung geworden ist, bis der Herr als Zeichen seiner Versöhnung und Gnade durch seine Wunderkraft die Strafe der Blindheit wieder von ihr genommen.«

»Gott will es haben, mein Herr und Gemal!« rief außer sich Frau Gisela. »Er gebeut, daß ich der Schmerzen schwerste ertrage und dich verlasse und das einzige Kind und Alles, was mir lieb ist, um des unsterblichen Seelenheils, um des Gewinnes seines himmlischen Reichs willen!«

»Du bleibst, Gisela!« sagte ruhig der Herr vom Rhein, indem er sanft seine Hand auf die Schulter der Unglücklichen, die das Spiel ihrer eigenen Täuschung und des fremden Fanatismus war, legte. »Wir haben über ein Vierteljahrhundert im glücklichen Vereine die Lebensbahn durchwandelt und kein toller Eifer, der sich deinem Geiste verwirrend aufdrängt, soll uns trennen. Ich kenne dich, Gisela! In deinem Herzen lebt unerschütterlich und treu die Liebe zu mir, zu Salentin, zu Allen, die mit uns leben. Du bist ein frommes, gottesfürchtiges Weib und diese Tugend ist es, die, von einem verbrecherischen Netze des Wahnes bestrickt, deine Seele auf den dunkeln Pfad des Irrthums führt. Wandle fort im Licht und in der Liebe, wie du es bisher gethan, dem Himmel zu, wo seine Seligkeit dich erwartet. Und Ihr, die Ihr gewagt, dieses Haus zu betreten, nur Wahnsinn und Gotteslästerung einzuführen,« sprach er, indem die Gluth des Zornes auf Stirn und Wange trat, zu Galeazzo und Joffriede gewandt, weiter, »hinweg mit Euch oder bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus! ich lasse Euch durch die Stadtschergen fortführen.«

Frau Gisela empfand selbst in ihrer Gemüthsverwirrung die Macht der alten Gewohnheit, die sie dem Gatten unterwarf. Die Stimme seiner Liebe und seiner Mahnung war nicht unvernommen an ihrem Herzen vorübergegangen. Sie preßte seine Hand an ihre Lippen, sie benetzte sie mit ihren Thränen, sie schien ein Raub der beunruhigendsten Zweifel; aber sie schwieg, sie hatte nicht den Muth gegen das Gebot desjenigen sich aufzulehnen, dessen ganzes Leben ein Werk der Liebe gegen sie gewesen war.

»Ich wollte deinen Lästermund wohl verstummen machen, alter Thor, wenn es der Mühe lohnte!« sprach indessen im Tone des frechsten Übermuths und ohne die ohnmächtige Regina, die in seinem linken Arme ruhte, frei zu geben, Galeazzo. »Doch ich begehre der blinden Büßerin nicht, die auf dem Wege der Brüder und Schwestern zum fernen Ziele nur eine unnütze Last seyn würde. Aber diese hier,« schrie er, flammende Blicke auf Reginen werfend, plötzlich auf, »diese hier ist mein! Ihre Buße, ihr Blut soll den Herrn versöhnen helfen. Die Buße der Jugend, das Blut der Schönheit erfreut den Himmel. Sie ist mein und Niemand soll sie mir rauben. Ihre Buße, ihr Blut muß ich sehn!«

Reginen hoch emporschwingend, stürzte er, ehe der Hausherr sich von Frau Gisela losmachen und es verhindern konnte, mit seiner schönen Last dem Ausgange zu. Hier trat ihm der Leibdiener Hartmuth entgegen, aber diesen warf ein gewaltiger Stoß vor die Brust die Stufen hinab, so daß er, schmerzlich stöhnend und ohne sich wieder aufrichten zu können, auf den Boden sank. Galeazzo flog durch den Garten in den Hausgang der offenen Pforte, die nach der Straße führte, zu. Schreiend eilte ihm Imagina nach, während Joffriede langsamer folgte und der Herr vom Rheine, von der unglücklichen Blinden, die das Ereigniß nicht begreifen konnte, umklammert, unthätig zurückbleiben mußte.

Schon hatte der Rasende den Ausgang des Hauses erreicht, schon betrat er mit seiner bewußtlosen Bürde die freie Straße, als Salentin, von seinem Berufsgeschäfte zurückkehrend, noch in der dunkeln, seltsamen Tracht des Pestarztes, auf ihn traf. Galeazzo eilte im Sturmesfluge an ihm vorüber. Befremdet sah der junge Patricier der seltsamen Erscheinung, die er im Schatten der hohen Häuser nicht unterscheiden konnte, nach. Da schritt eine zweite Gestalt, ebenfalls aus dem elterlichen Hause kommend, hastig an ihm vorüber, da eilte, dieser folgend, plötzlich Imagina auf ihn zu und schrie mit verzweiflungsvoller Gebehrde:

»Salentin, sie rauben dir deine Regina! Kannst du es dulden, daß die entsetzlichen Geißler sie auf ihrer Blutbahn mit fortschleppen?«

»Wo – wer?« rief außer sich Salentin. Aber Imagina antwortete nicht. Sie riß den Beängstigten dem fliehenden Galeazzo nach. Ehe sie jedoch, an Joffrieden vorübereilend, diesen erreichten, hatte ihn bereits eine gewaltige Hand getroffen und sein rasendes Unternehmen vereitelt. Salentin sah aus einem Winkelgäßchen, dem elterlichen Hause schräg gegenüber, eine hohe finstre Gestalt treten; er sah, wie sich diese dem Flüchtling in den Weg warf, mit unwiderstehlicher Gewalt seinen Lauf hemmte und ihn mit einem dröhnenden Faustschlage auf den Kopf zu Boden stürzte. Er langte gerade im rechten Augenblicke an, um die sinkende Regina in seinen Arm aufzufangen, er schlug die Augen zu dem Retter der Geliebten empor und erkannte in diesem den büßenden Mönch, den der Himmel zum Schutzgeiste seiner Liebe auserwählt zu haben schien.

»Hüte dir in Zukunft die Braut besser!« sprach dieser mit der Stimme des Meisters Lukas von der Rheininsel zu ihm. »Mein Auge wacht über ihr, aber allgegenwärtig ist nur Einer.«

Mit diesen Worten wandte er sich ab und eilte raschen Schritt's hinweg. Salentin und Imagina, nur von Besorgniß um die ohnmächtige Regina erfüllt, brachten diese in die elterliche Wohnung zurück, während Joffriede, ihnen und dem Mönche Flüche und Verwünschungen laut nachsendend, neben Galeazzo niederknieete und sich bemühete, den schwer getroffenen Meister, der nur durch tiefes Stöhnen und schwache Bewegungen Zeichen des Lebens von sich gab, in's Bewußtseyn zurückzurufen.



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