Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.


Es sollt ein Mädlein waschen gar
Ihr Hemdlein weiß, ihr Aeuglein klar;
Sie hört einen Reiter singen,
Sie winket ihm mit ihrer schneeweißen Hand,
Daß er ihr hülfe auswinden, ja winden.

Die Geiselfahrt hielt im Laufe dieses Tages mehrere Umgänge durch die Stadt. Ihr weithin schallender Bußgesang, das Läuten der Glocken, wozu die Kirchenknechte unter Bedrohungen genöthigt wurden, brachten nicht allein alle Einwohner, sondern auch die Landleute in der Umgegend, die in Schaaren zur Stadt strömten, in Bewegung. Und wenn nun diejenigen, welche die Neugierde herbeigeführt, diese bleichen Gestalten, mit den blutenden Wunden auf den entblößten Schultern erblickten, wenn sie in diese Augen schaueten, aus denen eine wunderliche Verklärung, in diese Gesichtszüge, aus denen die Verzückung des Märtyrthums strahlte, wenn dann der Strom des Gesanges mächtiger in den Worten auf sie eindrang: »Tretet herzu, wer büßen will!« dann brach die Menge, von dem Gedanken, daß diese Büßer, die ganze Menschheit mit dem Himmel zu versöhnen, ausgezogen seyen, hingerissen, in ein lautes Klagegeschrei aus, das sich wunderlich in die Töne des Liedes mischte, dann drängten sich Unzähliche herzu, um von den Meistern mit dem heilbringenden Kreuze bezeichnet und in die Gemeinschaft der Büßenden aufgenommen zu werden. Galeazzo und Godebrecht wurden so vielfach in Anspruch genommen, daß sie aus den bewährtesten Brüdern noch Gehülfen wählen mußten, welche ihnen in der Vertheilung der Kreuze beistanden. Joffriede schritt triumphirend an den Reihen der Weiber und Kinder auf und nieder, sprach begeistrungsvolle Worte, welche die einmal erregten, thörigten Gemüther in Wuth und Feindseligkeit gegen das eigene Fleisch setzten, und warf mit vollen Händen Kreuze und Geiseln aus, die ihr mehrere Büßerinnen, unter diesen die ängstlich und nach Rettung blickende Eitel Glockenklang, nachtrugen. Die Geißler waren Herrn der Stadt. Die Obrigkeit wagte, aus Furcht eine allgemeine Umwälzung zu veranlassen, nicht einzugreifen; die Geistlichkeit, die wohl wußte, daß es in den Grundsätzen der Geißler liege, das Volk gegen sie aufzureizen, die in dem Selbstgefühle ihrer damaligen Sittenlosigkeit und Verderbtheit einen ernsten Mahner fand, der bedeutungsvoll auf die drohende Gefahr zeigte, hielt sich innerhalb ihrer Klostermauern zurückgezogen und überließ denen den ungestörten Besitz der Kirchen, die sich jetzt auch im Besitze der Volksgunst befanden. Die Geißler pflegten immer nur einen kurzen Aufenthalt an einem und demselben Orte zu machen, indem sie vorgaben, sie seyen erwählte Rüstzeuge die ganze Welt zur Buße zu bekehren und mit Gott zu versöhnen. So hofften diejenigen, deren Rechte durch ihre Anwesenheit bedrängt und geschmälert schienen, auf eine baldige Befreiung von den lästigen Gästen, wo dann Alles von selbst sich in das frühere, ruhige Leben zurückfinden werde. Freilich war nun auch die düstre Sitte der Geißlung schon in das Innere des Familienlebens gedrungen und Personen von Stand und Vermögen, zu schamhaft, um ihre Buße zu einem öffentlichen Schauspiele zu machen, wütheten in der Einsamkeit ihrer Gemächer so schrecklich gegen sich selbst, daß oft die traurigsten Folgen für Gesundheit und Leben hieraus entstanden.

Einer befand sich unter den Geiselfahrern, der, so geduldig er sich auch in Buße und Selbstpeinigung zu ergeben schien, dennoch nur darauf bedacht war, den ersten günstigen Augenblick zu seiner Entfernung von dieser Genossenschaft zu benutzen. Es war Felician Süßbutter, der Dux jener zersprengten Heerde fahrender Leute, die sich jetzt genöthigt sah, an einem Trauerspiele Theil zu nehmen, das Zuschauern und Mitspielenden zugleich Thränen der Rührung entlockte. Vergebens hatte Felician den Tag über nach der Gelegenheit, die sein Herz ersehnte, gespäht; als aber der Abend einbrach, als die Geißler und besonders die neu in die Brüderschaft getretenen Landleute, von dem Gelüst nach Speise und Trank ergriffen, sich in die Häuser der Bürger zerstreuten, als Felician, nur von Galeazzo und Godebrecht begleitet, an einem entlegenen, finstern Gäßchen vorüberschritt, in dem es ganz öde und menschenleer war, da konnte er, der im Laufe seines fahrenden Lebens schon so oft durch einen kühnen Entschluß sich aus dringenden Verlegenheiten gerissen, der Versuchung nicht widerstehn, die Schnellfüßigkeit seiner beiden Gefährten auf eine Probe zu stellen. Unabsichtlich, wie es schien, blieb er ein wenig hinter ihnen zurück, und als eben Galeazzo sich umwandte, um diesen Verzug zu rügen, flog er mit der Schnelligkeit eines gehetzten Wildes in die Finsternis, von der er Schutz hoffte. Des Italieners mächtige, Godebrechts schnarrende Stimmen schallten hinter ihm her. Er glaubte ihre verfolgende Tritte zu vernehmen, er eilte unaufhaltsam fort durch enge Gäßchen, durch winkliche Räume, deren Bewohner, angezogen von der Geiselfahrt, ihre Hütten verlassen hatten. Allenthalben herrschte Finsterniß und Einsamkeit. Er blieb stehen und lauschte nach seinen Verfolgern. Mochte ihn die eigene Einbildungskraft necken, mochte es Wahrheit sehn: ihre Tritte rauschten heran, näher und näher, drohender und drohender. Er wollte in eine Seitengasse einbiegen, da tönte ihm das Bußlied einer noch umziehenden Schaar von Geiselfahrern entgegen. Er rannte wieder vorwärts. Die Straße erweiterte sich, der Mond trat hinter den Giebeldächern hervor. Er stand vor einer niedern Mauer, die ihm den Weg versperrte. Horch! war das nicht wieder Galeazzo's drohende Stimme, die nach dem Flüchtlinge rief? Hallte nicht schon ganz nahe der Fußtritt des gräßlichen Meisters in seinem Rücken? Die Verzweiflung gab ihm Kraft zu einer letzten Anstrengung. Er erklimmte die Mauer, deren spitz hervorstehendes Gestein sein Werk begünstigte, er schwang sich drüber hin und sah sich nun in einem eingeschlossenen Raume, auf dessen kleinen Erhöhungen sich graue Gedächtnißsteine, vom Monde düster beleuchtet, erhoben. Ein Blick auf einige der Symbole, auf die hebräische Schrift, welche diese Denkmale trugen, belehrte ihn, wohin ihn seine Flucht geführt. Es war die Begräbnißstätte der Juden, von ihnen selbst: das bestimmte Haus aller Lebendigen, nach den Worten Hiob's des Propheten, genannt. Damals befand sich dieser Begräbnißort da, wo jetzt der sogenannte Garküchenplatz ist. Dort wohnten auch die Juden und ihre Synagoge stand in der Nähe.
Schudts jüdische Merkwürdigkeiten.
Felician erschrack nicht über diese Entdeckung, denn seine mannichfaltigen Lebenserfahrungen erhoben ihn über den Aberglauben jener Zeit. Hier konnte er überzeugt seyn, ein sicheres Asyl gefunden zu haben, hierher verfolgten ihn die Geißler, bei ihrem Widerwillen gegen das erwählte Volk Gottes, gewiß nicht. Er schöpfte frischen Odem, er schritt langsam zwischen den Gräbern hin und dachte sorgenvoll an die Zukunft, die unsicher und drohend vor ihm lag. Wie sehr er auch den Wechsel des menschlichen Lebens gewohnt war, so hatte ihn doch der Unfall, der ihn seiner Truppe beraubte, zu plötzlich und unerwartet getroffen, als daß er ihn schon verschmerzen konnte. In der reichen Handelsstadt hoffte er eine Erndte zu halten, die ihn und die Seinigen für lange Entbehrungen entschädigen sollte. Patricier, Kaufleute und Zünftler waren hier, wie er wußte, einem frohen Lebensgenusse zugethan und mehr für seine Untergebenen als für sich selbst, hatte er sich im Voraus der großmüthigen Spenden, die bei Patricier- und Rathsherrnbanketten, bei den Zunftschmäusen und in den bürgerlichen Weinstuben, für die fahrenden Leute abfallen durften, erfreut. In welche schreckliche Wirklichkeit war dieser schöne Traum übergegangen! Eitel, die reizende Sängerin, bestimmt, alte und junge Patricier durch anmuthige Weltlieder zu bezaubern, sah sich genöthigt, die zarte Gestalt durch Geiselhiebe zu entstellen, den süßen Ton der Stimme zu schauerigen Bußgesängen zu erheben; Muskablüth, der Liebling der Frauen und Jungfrauen, dessen Zitterspiel zum Liede, wie zum Tanze heiter erklungen, war spurlos verschwunden und der Liebling des Volks, das wichtigste Mitglied der Gesellschaft, wenn es galt, durch derben Scherz, durch handgreiflichen Muthwillen, durch unbegrenzte Zweideutigkeiten auf rohe Gemüther zu wirken, der nie um einen Spaß verlegene Pickelhäring, da er ihn, wo es ihm einfiel, hernehmen durfte, – ihn hatte ein furchtbares Geschick ereilt und im alten Kaiserforste erhob sich der Steinhaufe, der mit seinem Herzblute getränkt war!

Traurige Beobachtungen an dieser Stätte des Todes, gräßliche Erinnerungen, die selbst die Seele eines Mannes erschüttern konnten, der in Dulden und Entbehren alt geworden! Dennoch gewann Felician bald seinen Gleichmuth wieder. Er sah sich für den Augenblick gerettet und sicher, er hatte nun nichts eiliger zu thun, als von seiner Kleidung alle jene Zeichen zu entfernen, die ihn als Mitbruder der Geiselfahrt verrathen konnten. Er fühlte sich ermüdet und erschöpft. Aus den Häusern in der Nähe schimmerten die Lichter so freundlich herüber, der Wind trieb einen leichten Rauch, mit lockendem Speiseduft vermischt, heran, Felician hörte selbst aus einer benachbarten Weinstube den Klang der Becher – eine oft in seinem Wunderleben gemachte Erfahrung erneuete sich wieder: er mußte wahrnehmen, wie es andern wohl und behaglich erging, während er selbst nicht hatte, wohin er sein Haupt legen, womit er den nagenden Hunger, den quälenden Durst befriedigen können. Er schlich seufzend weiter, er näherte sich einem kleinen Hause, das in der Mitte des Begräbnißplatzes stand. Hier fand wahrscheinlich, nach altjüdischem Gebrauche, die Abwaschung der Leichen, kurz vor der Grablegung, während des Todtengebetes der Versammelten, statt. Felician kannte diese Einrichtungen, er war mit den religiösen und häuslichen Sitten der Israeliten vertraut. Galten doch die fahrenden Leute in den Augen der Menge jener Zeit nicht viel besser, als die kaiserlichen Kammerknechte, mußte doch der Widerwille, der beide traf, zu einem Bande der Sympathie für sie werden, erhob sich doch auch darin Felician über die Vorurtheile seiner Zeit, daß die Gabe, welche der Jude seinen Spielen zollte, ihm eben so werth war, als übermüthig und verächtlich hingeworfene Heller des Christen. Unter manches Juden Dach hatte er schon die Gastfreiheit gefunden, die der Christ dem fahrenden Meister versagt, er verschmähte nicht, vom kauschern Brode, vom kauschern Wein zu kosten. Ach, warum erschien nicht in diesen Augenblicken eine wohlwollende Rahel, die ihm Lammbraten darbot und einen erquickenden Trunk kredenzte?

Was regte sich da plötzlich in einer Nische des Häuschens, welche düstre Gestalt zeigte sich auf einer Bank, die hier stand, dem forschenden Blicke Felicians? Kein Strahl des Mondes erleuchtete diese Stelle, der Schatten des vorstehenden Daches verhüllte das seltsame Wesen, das hier einen Ruheplatz gefunden, und nur mit der äußersten Anstrengung seiner Sehkraft konnte der Dux die dunkeln Umrisse, welche in dem einsamen Gefährten der Todten einen Mönch zeigten, erkennen. Jetzt vernahm Felician in leisen, wohllautenden Tönen folgendes Lied, das von den Lippen des Mönchs schwebte:

»Wo im Grab die Todten ruhn,
Da will's auch meine Liebe thun:
Ich soll sie nimmer haben,
Untreu hat sie begraben.

Tiefes Leid im Herzen mein,
Viel tiefer, als mein Grab wird seyn,
Dich laß ich auf der Erden,
Mein Denkmal sollst du werden!

Blüh als eine Todtenblum,
Du sollst verkünden meinen Ruhm
Von Leiden und Ertragen,
Von Reue und Entsagen!

Wie ich liebte eine Ros',
Die Untreu machte blätterlos,
Nun Lilje sonder gleichen,
Die kann ich nicht erreichen.«

Felician hatte mit der Befriedigung eines Kunstfreundes, der selbst in der unangenehmsten Lage nicht unterlassen kann, eine ausgezeichnete Leistung nach ihrem Werthe aufzunehmen, diesem Liede gelauscht. Er fühlte sich wehemüthig ergriffen von der Klage, die in diesen Worten lag, er glaubte wiederum den melancholischen Geist des Sängers von der Ingelheimer Au zu erkennen. Dabei ergriffen ihn, von der Stimme des Sängers erweckt, Erinnerungen, die tief im Innern seiner Seele geschlummert, die in freundlichen Bildern aus früher Jugendzeit herauftauchten. Sie führten ihn in die schönen Auen Welschlands, an das Ufer der Tiber, in die Herrlichkeit des neuen Rom's, in die Trümmerpracht seiner alten Größe zurück. Er wandelte an der Seite eines Mannes, der, obgleich weit über ihm stehend, ihn mit der Güte eines Freundes behandelte, dessen Geist den seinigen erhob, dessen ritterliche Anmuth ihn entzückte. Was war aus dem Manne geworden, wie hatte die blühende Gestalt sich in dem Sturme der Zeiten, gegen den Drang der Jahre erhalten? Von einer tollen Laune ergriffen, hatte ihn Felician verlassen und seitdem nicht wieder gesehn, nie, so viel er auch, nach der Rückkehr in's deutsche Vaterland, geforscht, eine Kunde von ihm vernommen. Traf vielleicht der Tod ihn schon in den Tagen der männlichen Kraft, ruhte er vielleicht fern von der Heimath unter fremder Erde, war dort vielleicht unverstanden, unvernommen der letzte Ton dieser sanften, süßen Stimme, die sich so oft im bezaubernden Liede erhoben, verhallt? Nein! Nein! sprach es überzeugungsvoll aus Felicians Innern. Eben vernahmst du wieder die Töne dieser süßen Stimme, leise hinstimmend über die Gräber, unverkennbar aber dem, der sie in jenen Tagen, wo sich Alles tiefer und bleibender in die Seele eingräbt, empfunden und geliebt. Damals sang sie von heitern Dingen, von Spiel und Turniren, von zarter Minne und ihrem Lohn, ach, die Freude an heitern Dingen erstirbt mit der Jugend und dem Alter bleibt der Gram und die Klage über so vieles Verlorne. Wer sonst auf Rosen gewandelt, den führt sein Schritt jetzt über Grüfte, und aus den Gräbern der Freunde, die vor ihm wie welke Blätter von dem Baume des Lebens fallen, schreitet er vorüber bis an das eigene, wo dann Gram und Leid als eine Todtenblume aufblühn. Und die Todtenblume mag dann verkünden, was das Herz, das unten kalt und starr ruht, einst in der Feuergluth der Leidenschaften, im Sturme des Mißgeschicks erduldet! Felician wurde aus diesen schwermüthigen Gedanken durch die Stimme des Mönches geweckt, der, ihn bemerkend, vor ihn getreten war und in einem Tone, der dumpf und gepreßt unter der vorgezogenen Kapuze herausklang, zu ihm sprach:

»Wer bist du und was führt dich zu dieser Stätte der Todten? Hier ist kein Aufenthalt für den, der noch an die Freude und das Glück des Lebens Forderungen zu machen hat. Wenige aber giebt es, die dem Daseyn, während sie noch unter den Lebenden umherwandern, schon fremd geworden sind, die kein Herz besitzen, das sie liebt, um die kein Auge eine Thräne weint. Sie gehören zu den Todten. Sie waren einmal da, als noch glückliche Menschen Theil an ihnen nahmen, denn man lebt nur in dem Wohlwollen andrer, in ihrer Mitempfindung. Wenn die Menschheit die Bande, die das Herz des Einzelnen an ihre Brust zog, lös't, dann stirbt der Einzelne, dann ist er eine Leiche geworden, dann besitzt er ein Recht, seine Wohnung bei den Todten aufzuschlagen. Hinweg mit dir! Dich ruft dein Glück zu den Lebendigen!«

Der Mönch wollte sich abwenden und wieder seine frühere Stelle einnehmen. Felician aber hielt ihn zurück. Was er von dem grauen Büßenden auf der Rheininsel, von dem weltberühmten Meister Lukas, vernommen hatte, das paßte ganz auf die Erscheinung des Mönches, der, unter seiner Rede, aus dem Schatten des Todtenhauses hervorgetreten war, dessen Lied ihn gleich wie eine Weise des unglücklichen Aussätzigen gemahnt hatte. Das Licht des Mondes zeigte ihm die hohe Gestalt in ihrer ganzen Stattlichkeit, der Blick des Auges strahlte bedeutungsvoll aus den Öffnungen der Kapuze hervor, die Stimme schien gedämpft, wie aus einer Larve zu sprechen, dennoch dem lauschenden Felician vertraut, das Edle der Bewegungen ließ sich selbst unter dem weiten Gewande erkennen. Aber wie sollte jener unselige Kranke, der bisher nur als eine süße Gesangesstimme für die Welt gelebt, sich in eine volkreiche Stadt verirrt, sich der Möglichkeit einer Entdeckung ausgesetzt haben, die ihn, bei dem allgemeinen Abscheu vor seinem Übel, das dem großen Haufen furchtbarer dünkte, als die Pestilenz, der Vernichtungswuth des gereizten Pöbels preißgegeben haben würde? Felician selbst fühlte sich in der Nähe des räthselhaften Mannes von der Furcht befallen, die seinem ganzen Zeitalter eigen war, allein indem ihre Regungen sich bei ihm leiser empfinden ließen, beschwichtigte sie seine Liebe zur Kunst, die Gewalt der Erinnerungen, die wunderbar in ihm erstanden, die Gleichgültigkeit, die er durch bittre Erfahrungen gegen Mißgeschick und selbst gegen den Tod erworben, bald ganz.

»Ehrwürdiger Bruder,« hob er mit schüchterner Stimme an, »als Ihr Euer Lied sangt von Untreu und Leiden, glaubtet Ihr nicht, von einem Manne belauscht zu werden, der die Gaben Apolls zu schätzen versteht, der mit Euch empfand, was Ihr in jenen Augenblicken empfinden mochtet, dem Eure Stimme, wie ein süßer Ton aus glücklicher Jugendzeit, erklang. Ihr habt den Frühling meines Lebens aus diesen Gräbern wieder erblicken lassen, Ihr habt schöne Tage vor meinen Geist zurückgeführt, Alles was ein stürmisches Leben längst in die Nacht der Vergessenheit begraben, ist wieder in blühender Frische erstanden, und ich darf mich wohlthätiger Gefühle erfreuen, deren Rückkehr ich nimmer hoffte. Es liegt ein wunderbarer Zauber in dem Wesen eines Liedes für den, der selbst in dem wortlosen Ton Klage und Schmerz, Heiterkeit und Wonne zu finden versteht. Die ganze Schöpfung klingt in dem Tone wieder, was wir erlebten und hofften, was wir beweinten und ahnten, spricht zu uns, wie ein Traum, der Alles zu gestalten vermag. Aber ich kenne nur einen, der Lieder von solcher Zauberkraft, Weisen, die ein solches Wunder auf das Menschenherz üben können, zu erfinden vermag, und das ist der berühmte Meister Lukas auf der Ingelheimer Aue.«

Während Felician diese Worte an den grauen Mönch richtete, trat in seinen Gesichtszügen jenes eigenthümliche Lächeln hervor, das stets seine Rede zu begleiten pflegte. Er wollte den Eindruck beobachten, welchen der Schluß seiner Äußerungen auf seinen Gefährten hervorbringen möchte, allein indem er seine Blicke zu ihm erhob, traf ihn ein Blitz der aus den Öffnungen der Verhüllung hervorleuchtenden Augen so gewaltig, daß er bestürzt zur Erde sah und einen Ausbruch des Unwillens über seine keck ausgesprochene Vermuthung von Seiten des Mönchs erwartete. Ein kurzes Schweigen herrschte zwischen Beiden. Dann wurde dieses von dem Mönche unterbrochen, indem er in einem ruhigen, sanften Tone sagte:

»Es ist mit der Gewalt der Töne, wie mit der Macht des Gebetes: wer an jene glaubt, der empfindet ihren Zauber, der das All umfaßt; wer dieser vertraut, der bezwingt mit ihrer Hülfe die Bedrängnisse des Lebens, das Leiden, das im Laufe der Jahre an das empfindlicher werdende Menschenherz klopft, den Gram, der mit den grauen Wolken den Geist zu umhüllen droht. Aber wir haben uns hier seltsam zusammengefunden, mein ahnungsvoller, gesangliebender Gesell! Warum bist du nicht draußen geblieben, draußen unter den Lebendigen, wo jetzt der Geist des Gesanges tausendstimmig umgeht? Lastet keine Sünde auf deiner Brust, daß du sie in Buße abwälzen möchtest? Ist nicht dein Blut durch die Weltlust verderbt, daß es dich drängt, es im Werke der Geißlung dem Himmel zum Sühnopfer zu bieten?«

»Gott hat uns zur Beichte und Entbindung unsrer Sünden an die heilige Kirche gewiesen,« erwiederte in seiner gewohnten Weise Felician. »Und wenn diese verschmäht, einem armen fahrenden Meister, wie ich bin, den Trost ihres Wortes, die Beruhigung der Absolution zu gewähren, wenn sie ihm die Pforten ihres Heiligthums verschließt und ihr Anathema auf einen Unschuldigen schleudert, den es mit bitterm Schmerz erfüllt, daß er sich nicht auf dem Wege aller Christen zur Sühnung an seinen Gott wenden darf; so glaube ich, die heilige Kirche hat sich selbst mißverstanden und vertraue auf den Allmächtigen, dessen Gnade unendlich und unerschöpflich ist.«

Der graue Mönch blickte denjenigen, der die Verachtung, mit welcher sich die geweiheten Diener des Herrn von ihm abwandten, tief zu empfinden schien, einige Augenblicke schweigend an. Seine Hände erhoben sich und sanken wieder, alle seine Bewegungen verriethen eine seltsame Unentschlossenheit. Da schien diese plötzlich überwunden, da sprach er ernst und feierlich:

»Kniee nieder, Felician, daß ich die Bürde deiner Sünden von dir nehme. Mich hat die heilige Kirche mit der Kraft zu binden und zu lösen ausgestattet und allenthalben, wo Gottes Odem weht, ist sein Heiligthum: über dem Moder der Grüfte, den er zur Unsterblichkeit sammelt, auf dem Teppich der Wiesen, der sie in seinem ewig wiederkehrenden Frühlinge predigt, in der Halle des Doms, wo seine Lehrer seine Macht verkündigen. Es ist so leicht den Sinn seines allmächtigen Willens, die Sendung des göttlichen Sohnes, den Beruf der himmlischen Jungfrau, das Martyrthum seiner Heiligen zu verstehn; aber die Menschen verblenden sich darüber und statt in Demuth seine allumfassende Liebe anzuerkennen und sein Beispiel gegen ihre Brüder nachzuahmen, geben sie sich einer dünkelvollen Überschätzung ihres eignen Werthes hin und meinen, sie seyen besser, wenn sie den Bruder erniedrigen. Noch einmal: kniee nieder, Felician! Erleichtre deine Seele von der Last, die seit lange drückend auf ihr liegt, versöhne dich mit dem Himmel nach dem Gebote der heiligen Kirche, deren Vertreter ich bin.«

Als Felician sich von dem unbekannten Mönche bei Namen nennen hörte, bebte er unwillkührlich zusammen. Besaß dieser Fremdling, den der Zufall an diesem düstern Orte in seinen Weg geführt, eine übernatürliche Gabe, die ihn zum Mitwisser fremder Geheimnisse machte, oder war er vielleicht einst schon in seinen Lebenspfad getreten und hatte ihm die Erinnerung einen Namen zugeflüstert, der demjenigen, der ihn trug, zu bedeutungslos schien, um von andern im Gedächtnisse bewahrt zu werden. Aber das Anerbieten des grauen Mönches, seine Beichte zu hören, griff zu gewaltig in Felicians Seele, versprach eine schmerzliche Sehnsucht, nach deren Erfüllung er vergebens viele Jahre lang getrachtet, zu freudig zu befriedigen, als daß er einer weltlichen Neugierde sich lange hätte überlassen können. Er vermochte kaum des Tages sich mehr zu erinnern, wo er zum letztenmale sein Herz Gott geöffnet, wo ihm durch den Mund eines seiner geweiheten Diener Verzeihung seiner Fehler verkündigt worden war. Ob ihn aber auch sein Schicksal in das Labyrinth eines wüsten und nicht ganz fleckenlosen Wanderlebens geführt, so hatte sich doch oft, wie eine mahnende Stimme aus bessern Zeiten, das tief empfundene Bedürfniß, das innige Verlangen, alle Zweifel, die ihn quälten, alle Vorwürfe, die das Gewissen zur Sprache brachte, vertrauungsvoll, an das gütige Vaterherz Gottes zu legen und durch seine Priester entsündigt zu werden, in ihm erhoben. Jetzt war dieser Augenblick plötzlich und unerwartet gekommen. Über den Grüften jener Dahingeschiedenen, welche in der Sendung des Heilandes den schönsten Beweis der unendlichen Gottesliebe nicht anerkennen mochten, deren Menschenrechte gleich den seinigen, unter dem Druck eines finstern Aberglaubens erlagen, über diesen vermodernden Überresten vergangener Jahrhunderte sollte ihm ein neues, entsündigtes Leben erstehn! Thränen füllten seine Augen. Die selige Ahnung einer Zeit, in der er wieder rein vor sich selbst erscheinen würde, durchschauerte ihn. Er bekreuzigte sich, er sank auf die Kniee. Ein Leichenstein ward sein Betschemel, der weite Dom des Himmels seine Kapelle, tausend Altarkerzen flammten in ewiger Sternenpracht hernieder. Selbst der fernher schallende Gesang einiger Geiselfahrer trug dazu bei, diesen Augenblick zu dem andächtigsten seines Lebens zu machen. Er erhob die gefalteten Hände betend gen Himmel, er sah mit inbrünstigem Verlangen zu der dunkeln Gestalt des Mönches empor, der sich liebevoll zu ihm herabneigte und die Eröffnungen eines geängstigten Gemüthes prüfend in seiner Brust aufnahm. Felician hatte weit zurückzugehn auf die Laufbahn, die hinter ihm lag, um alle Zweifel, alle Selbstanklagen zu erörtern und seine Absichten, denen nur Schwäche, nie Bosheit zum Grunde gelegen, treu und wahrhaft darzustellen. Seit er im Lande Italien einen wackern Herrn leichtsinnig verlassen, gehörte er Verbindungen an, die ihn, nach den Begriffen jener Zeit, von der Gemeinschaft aus der heiligen Kirche ausschlossen. Von hier an begann ein Gewebe abentheuerlicher Ereignisse, das sich über sein ganzes weiteres Leben hinspann und bis in die Gegenwart reichte. Wie ein Strom, dessen Drang endlich durch einen hemmenden Damm nicht mehr zurückgewiesen wird, stoßen die Geständnisse der Irrthümer, in denen er befangen gewesen, der Thorheiten, denen er sich hingegeben, der Weltlust, der er gefröhnt, über seine Lippen. Es waren Dinge, denen sich jeder andre, den Schicksal oder Leichtsinn in Felicians Verhältnisse geführt, anzuklagen gehabt hätte. Der Mönch schien diese Beichte mit der größten Theilnahme zu hören. Oft äußerte sich diese durch ein halblautes Wort, durch eine unwillkührliche Bewegung. Dann forschte er auch wohl genau nach einzelnen Umständen und ließ sich Eröffnungen wiederholen, die ihm nicht klar genug dünkten. Felician war ganz Zerknirschung, ganz Demuth vor der Gegenwart des Allmächtigen, die er in der Nähe seines Dieners ahnte. Als er am Schlusse seiner langen Beichte war, als er noch einmal die Reihe von Verirrungen und Fehler, die eine schwächliche Unbesonnenheit in sein Leben eingeflochten, überblickte, da verwandelte sich seine Rede in lautes Schluchzen und in abgebrochenen Worten sprach er eine verzweiflungsvolle Furcht aus, daß der Allmächtige, einem Sünder, der so oft den Schlingen der Verführung heimgefallen sey, nicht verzeihen könne.

»Gottes Liebe ist unerschöpflich, wie seine Gnade;« sprach im Tone heiliger Sanftmuth und Beruhigung der Mönch. »Der reuige Sünder findet vor seinem Auge dasselbe Wohlgefallen, wie derjenige, dessen Seelenstärke der Versuchung widerstanden. Aber wo ist der Staubgeborene, der nie strauchelte, der sichere Wanderer, der nie vom rechten Pfade wich? Wir alle müssen seiner unendlichen Liebe, seiner väterlichen Güte vertrauen, denn neben der Reinheit seines Himmels erscheint jeder Erdenwandel befleckt, die Falten des Herzens, in denen sich die kleinste Regung der Sünde verborgen, liegen offen vor seinem Blicke. Wir beten zu ihm durch seine Heiligen und diese wurden oft erst heilig, nachdem sie durch Sünden und Verirrungen zu reuiger Buße oder zum Martyrthum gelangt. Bereuest du aufrichtig, was du gefehlt, ist deine Seele rein von irdischer Begier, lauert in keinem ihrer Winkel Rachsucht oder Bosheit, Neid oder Unwillen über eine Handlung deines Bruders, empfindest du in diesem Augenblicke nichts, als das Verlangen, dich mit deinem Gotte zu versöhnen?«

»Wenn ich würdig bin, den Namen seiner heiligen Mutter zu nennen,« schluchzte Felician, »so betheuere ich bei ihrer ewigen Gnade, daß mich kein andres Gefühl, als die innigste Sehnsucht nach Entsündigung zu Euren Füßen hält, ehrwürdiger Herr!«

»Du zürnst niemanden,« fragte der Mönch weiter, »du trägst auch keinen Groll mehr im Herzen gegen jene Unglücklichen, die ihren Gott verkennen, indem sie ihm durch blutiges Opfer wohlzugefallen glauben, die erlaubte Freuden, welche er dem Menschen zu seiner Erholung, zur Stärkung auf der schweren Pilgerreise des Lebens geschaffen, verdammen, die durch düstre Bußgesänge das Wohlgefallen der Menschen von deinen heitern Spielen ablenken, die störend und mörderisch in den Kreis deiner Genossen treten, um das Band, das Euch aneinander fesselte, zu trennen: du willst ihnen kein Übel deshalb?«

»Gott wird sie richten, wie er mein Richter ist!« versetzte mit leiser, demüthiger Stimme der Beichtende. »Er prüft mich in dieser Stunde, nur die Wahrheit kann vor seinem Blicke bestehn. So gewiß ich in tiefer Reue seine Verzeihung ersehne, so gewiß ist jeder Groll über ein Übel, was mir Menschen angethan haben möchten, in meiner Seele erloschen.«

Da machte der graue Mönch das Zeichen des heiligen Kreuzes gegen sein Beichtkind, legte dann beide Hände auf das Haupt des Knieenden und sprach die Formel der kirchlichen Absolution. Als er schwieg, ließ er noch eine Zeitlang die Hände auf Felicians Haupt ruhen. Beide gaben sich ernsten Gedanken über die heilige Handlung hin. Dann hob der Mönch, ohne die Lage seiner Hände zu verändern, aufs Neue an:

»Vergiß dieser Stunde nicht, die ein junges Morgenroth eines neuen Lebens, wie es der Christ, vom Schlamme der Sünde gereinigt, antritt, für dich seyn möge! Lange hast du dieses heiligen Trostes entbehrt, lange in quälenden Zweifeln mit dir selbst gerungen und gekämpft; wer weiß, wenn in deine wandelbare Laufbahn wieder ein solcher Lichtblick der himmlischen Gnade fällt! Fühlst du dich aber wieder von neuen Zweifeln befallen, erhebt sich in der Tiefe deines Herzens eine Schlange und nagt mit rastlosem Zahn an seinem Innern, wird die Stimme der Selbstanklage wieder laut und bietet dir kein Diener der Kirche seinen Beistand, dich durch die Gnade Gottes mit dir selbst zu versöhnen: dann werde dein eigener Priester! Erhebe das edle Bewußtseyn, daß du ein Bild Gottes seyn sollst, aus der Mahnung deiner Verirrungen, aus dem Bedrängniß des Irdischen hervor, werde dein eigener, unbestochener Richter und kannst du dann vor jenem Bewußtseyn bestehn, fühlst du dich erleichtert durch das Geständniß der Sünden, das du reuig und unumwunden vor dir selbst abzulegen vermagst: dann absolvire dich selbst, denn jeder Mensch ist zum Dienste des Allmächtigen berufen!«

»Noch einen Zweifel löst mir, ehrwürdiger Pater!« stöhnte Felician, indem er den Blick ängstlich erhob und in die Augen des Mannes sah, dem die Verhüllung der übrigen Theile seines Angesichtes etwas Wunderliches und Grauenvolles verlieh. »Sollten die heiligen Diener des Herrn, die zur Bewahrung der göttlichen Geheimnisse berufen sind, denen die hohe Kirche die Macht gegeben, die Gewissen zu binden und zu lösen, wohl irren können, wenn sie uns armen fahrenden Leuten die Pforten des Heiligthums verschließen, uns von der Begnadigung der heiligen Messe ausstoßen, uns alle Wohlthaten verweigern, auf die wir als Christenkinder in der heiligen Taufe angewiesen worden? Liegt in der That dem Streben, wodurch wir unser Leben mühesam zu erhalten suchen, eine Sünde zum Grunde, so arg, daß die hohe Kirche selbst nicht wagt, als Vermittlerin zwischen uns und dem Allmächtigen aufzutreten? Ist unser Wandel, nicht der Lebenswandel des Einzelnen, sondern unser gemeinsames Bemühen, die Menschen durch unsre Spiele zu erfreuen, vor Gott eine Sünde, ein Verbrechen, das zu einer so grausamen Ausschließung berechtigt?«

»Der Herr zürnt nicht den Vöglein, die im Walde zwitschern,« entgegnete ernst der graue Büßende, »er läßt den Käfer zwischen Blumen summen, das Bächlein die Wiese durchrauschen. Er hat Alles erschaffen, was den Menschen erfreut und erquickt, er blickt wohlwollend herab, wenn die Menschen seine Gaben in Unschuld genießen. Liegt es in dem Wesen eines gütigen Vaters, daß er einem harmlosen Treiben zürnen sollte, das den Schmerz zu lindern, die Sorge zu zerstreuen vermag? Was ihr in Liebe gebt, das nimmt er in Liebe auf. Mischt nichts Niedriges, nichts Sittenloses und Verderbliches in Eure Spiele, gleichet den Wandervögeln, deren Abschied ein reines Herz betrauert, deren Wiederkehr es sich erfreut, so mögt ihr gewiß seyn, dem Gotte der ewigen Liebe nicht zu mißfallen!«

Nach diesen Worten, welche die Seele des fahrenden Meisters mit wunderbarer Beruhigung erfüllten, erhob der Mönch seine Hände vom Haupte des Knieenden, bekreuzigte ihn und sich und sprach mit tiefer Rührung ein Gebet, in das Felician mit einer frommen Erhebung, wie er seit undenklichen Zeiten nicht empfunden, mit Gedanken einer seligen Befriedigung, die sein ganzes Inneres durchdrang, schweigend einstimmte. Seine Vergangenheit lag hinter ihm, ein stilles Grab, über dem der Engel der Versöhnung schwebte; er konnte nun ruhig seine Bahn fortwandeln, ohne in düstern Stunden sie als eine unselige, vor Gott ebenso verächtliche, als sie den Menschen erscheinen mochte, anzusehn. Von dieser Stätte, die sonst nur Zeuge eines trauerigen Gottesdienstes war, stieg jetzt das feurigste Dankgebet einer von schweren Sorgen, aus trüber Bedrängniß befreieten Seele zum Himmel empor.

Noch knieete Felician auf dem Grabsteine, noch gab er sich mit ganzer Seele der Wonne dieses Gebetes hin, als der Mönch schon verstummt war, als dieser sich abwandte und zwischen den zerstreuten Leichensteinen hin dem Ausgange des Begräbnißraumes zuschritt. Die Pforte war nur angelehnt. Ohne daß Felician es bemerkte, hatte sein Wohlthäter sich entfernt. Lange befand sich der Zurückbleibende noch in einem Zustande der Verzückung, der ihn seine Umgebungen, der ihn denjenigen vergessen ließ, welcher wie ein Engel der Beseligung in sein ödes Daseyn getreten war. Als er wieder zu sich kam, als er ruhiger dem Vorgange nachdachte, dünkte es ihn, das Ganze sey nur eine Erscheinung, ein glücklicher Traum gewesen, den Gott gesandt, um den Frieden, welchen ihm die Menschen verweigert, in seine Seele zu führen. Aber ein Wunder blieb es für ihn, ein stärkendes, erhebendes Wunder für alle Zukunft. An dieser Stätte, wohin ihn Noth und Zufall geführt, wo die sterblichen Überreste eines verachteten Volkes moderten, durfte er, auch ein Ausgestoßener und Verachteter, das Bewußtseyn seines Menschenwerthes, die Sühne seiner Verirrungen, das Vertrauen auf Gottes Liebe wieder erlangen! Und derjenige, der vermittelnd zwischen ihn und den Himmel getreten – sprach er nicht mit einer Stimme, die süß und wohlbekannt aus glücklichern Zeiten herübertönte, mit der Stimme eines Mannes, der nicht mehr den Lebendigen angehören konnte, da sein ritterlicher Name verschollen war, wie die Fülle seiner glänzenden Eigenschaften? Wer konnte dem wunderbaren Mönche den Namen Felician eingegeben haben, wenn nicht eine höhere Offenbarung, um des Mönches heilige Sendung zu verbürgen?

Felician gefiel sich in dieser Vorstellung. Es erfreuete ihn, daß der Himmel sich der von Menschen Verachteten erbarme, daß er erst durch das, was einem fahrenden Meister, wie Felician, zum Herzen sprechen mußte, durch süßen Gesang in der Weise eines lieben und hochgehaltenen Sängers, ihn gleichsam vorbereitet habe, um ihn dann weiter zu führen durch Beichte und Absolution zu der schönen Überzeugung, von Gott ebensowohl geliebt zu seyn, wie alle seine Geschöpfe. Und auch nicht umsonst war dem himmlischen Boten die Stimme eines Mannes verliehen worden, dessen Andenken theuer und herrlich im Herzen Felicians fortlebte! In ihrem Klange lag ein vertrauter Freundeston, in diesem die Gewalt, tiefer zu rühren, inniger die Seele mit sich selbst auszusöhnen, höher zu erheben. Voll feurigen Dankgefühls preßte er seine Lippen auf den feuchten Grabstein, der ihm zum Betschemel gedient hatte. Dann erhob er sich und nahm, seinen anmuthigen Träumereien sich überlassend, den Platz unter dem Dache des Häuschens ein, wo früher der graue Büßende geweilt. Die Glocke vom nahen Dome ertönte, das Geläute der übrigen Glocken fiel ein und der Gesang der Geißler, die sich zur Abendbuße begaben, wallte wieder in seiner ganzen Macht heran. Felician lächelte. Wo diese Menschen in blutiger Selbstpeinigung, in schauerlicher Andachtsübung, in roher Veröffentlichung ihrer Sünde und schamloser Buße dem Himmel abdringen zu können wähnten, das hatte ein Strahl der Gnade des Allmächtigen mit einemmale in seine Seele getragen: Frieden mit Gott, mit sich selbst und mit der ganzen Welt. Der Wind rauschte durch die Halme über den Gräbern, die Gedächtnißsteine der Todten bestrich der milde Strahl des Mondes: Alles ringsum athmete Ruhe, nur draußen stürmten die Menschen gegen den Himmel mit ihren Irrthümern, ihrer Heuchelei, ihren Leidenschaften und Lastern!

Felician saß regungslos und still im verbergenden Schatten des Häuschens und fühlte sich glücklich. Zwei dunkle Gestalten erschienen im Eingange des Begräbnißortes, sie schlichen leise und vorsichtig heran, sie traten nahe zu dem Manne, der, ganz in sich verloren, sie ebenso wenig wahrnahm, wie er von ihnen wahrgenommen wurde. Erst als sie anfingen zu sprechen, erwachte Felician aus seinem Sinnen. Er sah einen Mann und eine Frau, beide tief in Mäntel verhüllt. Der Mann schien von der Last der Jahre niedergedrückt und in sich zusammengekrümmt, das Weib zeigte eine kräftige, jugendliche Haltung. Sie standen in der Nähe des Grabsteins, auf dem Felician während jener heiligen Handlung niedergeknieet hatte. Jetzt sank der Mantel des Weibes auf die Schulter herab und der fahrende Meister erblickte ein Antlitz, dessen Züge, so reizend sie gebildet waren, den Ausdruck einer orientalischen Abstammung trugen. Sie mußte zu den Vornehmern ihres Volkes gehören, denn am Rande des niederhängenden Mantels zeigte sich eine glänzende Goldspange, mit Edelsteinen, welche den Strahl des Mondes tausendfältig zurückwarfen, besetzt. Felician konnte sie von seinem Verstecke aus so genau beobachten, daß ihm selbst eine große Unruhe in ihren Gesichtszügen, eine Hastigkeit in ihren Bewegungen, welche die leidenschaftliche Aufregung ihres Innern verriethen, nicht entging. Der Mann schien diese Empfindungen nicht zu theilen. Indem auch er den Kopf jetzt aus dem Mantel aufrichtete, bot er dem verborgenen Lauscher den Anblick eines scharf ausgeprägten Greisenantlitzes, einer ächt israelitischen Gesichtsbildung, aus der etwas Listiges, Lauerndes und Heimtückisches erkennbar hervortrat. Er blickte scheu um sich. Das Graue der Umgebung mochte in dieser abendlichen Stunde auf seine Seele wirken.

»Warum führst du mich an den Ort, wo Schamir, der Würgengel, seine Opfer gebettet hat?« sprach er mit unsichrer, heiserer Stimme. »Wenn die Stimme, die von unserm gesegneten Morgenlande herkommt, ist zur Ruhe gegangen und das blasse Licht des Mondes regiert auf der Erde, so regen sich die Gebeine der Todten in der Gruft und der weise Meister braucht nur das große Wort, vor dem die Riegel auf dem Grabe Salomo's sich eröffneten, auszusprechen, um die Gebeine zu sammeln und heraufzubeschwören aus der Nacht des Grabes. Du wandelst über dem Haupte deiner Mutter, über den Schädeln deiner Vorfahren, Tochter Simeons! Fürchtest du nicht, sie zu erzürnen, sie durch deinen Frevel heraufzurufen? Gibt es im Hause deines Vaters nicht der abgelegenen Gemächer genug, wo wir unbelauscht eines geheimen Gesprächs pflegen können? Cheyle, Cheyle, ich fürchte, du bist zur bösen Stunde ausgegangen und die Rache, die dich hierhergeführt, nimmt einen übeln Ausgang!«

Die schöne Jüdin hatte, obschon sie durch einige lebhafte Gebehrden ihre Ungeduld verrieth, den Alten ruhig ausreden lassen. Ihr Angesicht verdüsterte sich und in einem ernsten, festen Tone erwiederte sie:

»Rabbi, wie kann dein Herz von einer Furcht bewegt seyn, die ich, das schwache Weib, nicht empfinde? Der Staub ist zum Staube zurückgekehrt und was hier unser Fuß überschreitet, ist nicht meine Mutter, nicht mein Vorfahr, nichts Menschliches mehr. Erde, Moder, Staub! Mag es seyn, daß es geheimnißvolle Künste, mächtige Beschwörungen gibt, die dem Staube den Schein der Gestalt wieder verleihen können, mögen die Weisen unsres Volkes die Todten erwecken können durch die Gewalt des großen Wortes Schemhamphorasch –«

»Sprich es nicht aus!« fiel aufschreiend der Alte ein. »Moses tödtete die Ägyptier mit der Kraft dieses heiligen Wortes, er warf über sie zusammen die Fluthen des rothen Meeres, daß sie in seiner Tiefe verschwarzten, nachdem er sie vergebens, mit dem nämlichen heiligen Worte gerüstet, gewarnt durch die sieben Plagen. Todte stehen auf, wo es gesprochen wird unter jenen geheimnißvollen Gebräuchen, welche nur die Rabbiner kennen, der Himmel entzündet sich im Blitz, er ergrimmt im Donner, die Stürme werden freigegeben von den Geistern des Verderbens und die Erde bebt zusammen in schrecklichen Zuckungen. Gefährlich ist es, seinen Zauber freizugeben, denn wo wandelt der, dem die Macht der Propheten geworden, seine Gewalt zu besänftigen, seinen Odem wieder still zu machen? Deshalb wird der Weise sich fürchten, wo der Unwissende sich hingibt einem thörichten Leichtsinne. Der Weise kennt die Zeit und den Ort, wo er vermag in Sicherheit die Geister zu beschwören, aber er erwägt auch die Gelegenheit, die ihm kann bringen Gefahr und Verderben. Komm, Tochter Simeons, des Gesegneten. Laß uns einkehren in das Haus deines Vaters. Dort will ich dir zu Dienste seyn und mein Wissen dir bieten zu Rath und That.«

»Hier will ich mit dir reden,« sprach fest und entschieden Cheyle. »Du kennst Simeon und weißt, daß er die Tochter hütet, gleich seinem Augapfel. Welcher Winkel unsres Hauses wäre einsam und entlegen genug, daß ich mit Rabbi Manasse Ben Aher, dessen Erscheinung in jeder Wohnung unsres Volkes als eine sehr wichtige Begebenheit angesehn wird, ihn unbemerkt betreten könnte? Bedrückt schwere Furcht deine Seele in dieser Stunde, so will ich sie dir noch schwerer mit Golde aufwägen. Scheuest du die Nähe der Todten, so blick auf mich: die Lebendige. Vergiß jene und richte deine Gedanken darauf, mir zu rathen und zu helfen. Du kennst den köstlichen Rubin, Manasse, den ich von Selicha, meiner Mutter, ererbt. Er ist dein, wenn es dir gelingt, die Flamme, dich mich verzehrt, zu löschen, wenn du das Verlangen, dem mein ganzes Daseyn sich hingibt, zu erfüllen vermagst!«

Der Rabbi und die schöne Jüdin standen jetzt dicht vor Felician, mit dem Rücken gegen diesen gewandt. Er erhob sich leise und schlüpfte, ohne durch ein Geräusch seine Gegenwart zu verrathen, in das Innere des Häuschens.

»Den Ring deiner Mutter meinst du, den Karfunkel in der Goldkrone?« fragte gierig Manasse, indem die dunkeln Augen unter den buschigten Brauen lebendiger glühten.

»Du empfängst ihn aus meiner Hand, wenn das Werk gethan ist!« versicherte das Mädchen.

»Und du wirst nicht zurücknehmen dein Versprechen, du wirst dich nicht berufen auf den Vater, daß er nicht habe gestattet, den Ring der Selicha von dir zu thun?«

»Der Ring ist mein Eigenthum und Simeons Tochter darf über ihr Eigenthum verfügen, wie es ihr beliebt.«

»So sprich, Cheyle, du schöne Blume des Morgenlandes! Wer vergäße in deiner Nähe nicht die Schrecken des Todes, wer dächte noch an die modernden Leichen, an die entfleischten Gerippe da unten, wenn er deine reizende Gestalt vor sich erblickt, du neue Bathseba! Habe ich doch hundertmal dem Sterbengel in's Antlitz gesehn am Lager der Pestkranken, wo er in seiner schrecklichsten Gestalt aufgetreten, und ich sollte hier in Furcht erzittern, da ein Engel des Paradieses mir steht zur Seite? Komm, schöne Cheyle, setze dich zu mir auf diese Bank, entdecke mir, was deine Seele drückt! Du weißt, daß Rabbi Manasse Ben Aher tief eingedrungen ist in die Geheimnisse der Cabbala, in ihre Lehre und ihre Übung, daß das wunderbare Buch Schimmusch Telim, bei dessen Spruche die Geister des Abgrundes erzittern und dienstbar werden, vor seinem Blicke aufgeschlagen liegt. Er kennt alle Arzneien auf Erden, die guten und die bösen, die, so aus Säften der Pflanzen bereitet werden, wie jene, welche die Kunst aus dem Blute der Thiere oder aus Stein und Erz zu ziehen vermag. Er weiß sie auch zu mischen und ihnen jegliche Gewalt zu verleihen, wie sie die Gelegenheit verlangt, oder des Menschen Gelüst sie beabsichtigt: er weiß sie auszustatten mit der Sympathie oder der Antipathie, sinneverwirrend oder den Geist erheiternd, zu langem Leben auf Erden oder schnelltödtend wie der Blitz, der die Ceder vom Libanon hinabschmettert. Offenbare dich mir, lieblich strahlende Tochter Simeons! Rabbi Manasse ist der Sklav deiner Dankbarkeit, der treue Diener zu jeglichem Werke, das durch die Geheimnisse seiner Kunst gefördert werden kann.«

Diese Veränderung in dem Benehmen des Alten, diese plötzliche Bereitwilligkeit, der schönen Jüdin in Allem, was sie gebieten möge, zu dienen, war nicht allein die Folge jener Versprechungen, durch welche ihm das kostbare Kleinod Selicha's verpfändet wurde, sondern mehr noch einer Annäherung Cheyle's, bei der sie einen inhaltschweren Geldsäckel in die Hand Manasse's gleiten ließ. Indem er die Furcht, welche ihm die Stätte, wo sie sich befanden, einflößte, gewaltsam verbarg, bemühete er sich, Cheyle'n eine Gefälligkeit und Freundlichkeit zu zeigen, die diese zu weitern Entdeckungen, von denen er noch andre Vortheile hoffte, ermuntern sollte. Er suchte sich der Unheimlichkeit des Ortes so viel zu entziehen, wie möglich, indem er seine schöne Gefährtin zwischen den Gräbern hinweg nach dem freien Raum, welchen das Häuschen umgab, und auf die Bank vor diesem drängte. Cheyle saß an seiner Seite, ihre Brust hob sich, von der Unruhe ihrer Seele bewegt in stürmischen Schlägen, ihr Angesicht hatte sie wieder in dem Mantel verhüllt, aus dem sie jetzt mit gepreßter Stimme hervorsprach:

»Rabbi, ich will dir ein Geheimniß entdecken, das, wie ein böses Gift an meinem Herzen nagt. Zuvor aber schwöre mir bei den Gebeinen deiner Mutter, bei deiner Hoffnung auf die himmlische Vereinigung mit dem Erzvater Abraham, bei dem geheiligten Worte selbst, es niemanden zu offenbaren, wer es auch sey, durch keine Überredung, durch keine Verheißung eines Lohns, auch durch Drohung, durch Schmerz und Pein nicht, dich bewegen zu lassen, mich zu verrathen. Schwöre mir das, Rabbi, und ich füge, wenn Alles gethan ist, wie ich es wünsche, dem Rubin meiner Mutter noch jenen Türkis hinzu, den Josua, mein Großvater, aus Palästina, dem Landes unsres Volkes, mit heimgebracht und den du so oft mit Bewunderung betrachtet.«

»Meine Mutter soll auferstehn aus dem Grabe und mich anspeien, Abraham mich verfluchen, der Gott unsrer Väter mich verlassen und der Dallas soll einziehn in mein Haus, wenn ich nur mit einem Hauche des Odems, mit Zeichen und Gebehrden oder durch die Schrift verrathe, was du mir vertrauen willst, Tochter Simeons, des Gesegneten!« rief von Habgierde mächtig aufgeregt der Rabbi. »Verlangst du nach Manasse, dem Baal Schem oder Beschwörer, oder nach Manasse, dem Arzt, den Kräuter- und Metallkundigen? Gebiete, Jungfrau aus Israel, und ich gehorche, sprich aus deine Wünsche und, sind sie zu erfüllen durch die Macht der Cabbala, durch die Kunst der Ärzte, so ist Rabbi Manasse Ben Aher der Mann, die Geister der Todten zu citiren, Haß in Liebe, Liebe in Haß zu verwandeln, geheimen Raub zu entdecken, schlimme Krankheiten des Leibes und die Schwermuth der Seele zu heilen.«

Diesen Worten des jüdischen Gelehrten folgte eine Stille von einigen Minuten. Felician, dessen Theilnahme durch den wunderlichen Inhalt dieses Gesprächs erregt wurde, war im Innern des Häuschens an eine Stelle getreten, wo ihn nur eine Bretterwand, durch deren Spalten er die Redenden beobachten konnte, von ihnen schied. Jetzt trafen auch die Strahlen des Mondes, dessen Licht bisher das Vordach des Häuschens abgehalten, auf Cheyle und ihren seltsamen Begleiter. Felician bewunderte die Schönheit des Mädchens, während der Alte ihm in dieser Nähe nur noch widriger, heimtückischer und boshafter erschien, als früher. Er hörte nicht mehr auf den mächtigen Gesang der Geißler im nahen Dome und in den benachbarten Straßen, er fühlte sich ganz und gar von der Seltsamkeit der Scene, die sich vor seinen Augen begab, gefesselt.

»Du bist nicht mehr jung, Rabbi,« hob jetzt Cheyle mit einem Seufzer und mit beengter Stimme an, »der Winter des Lebens hat dein Herz schon mit Eis überzogen, das Blut rinnt träge durch deine Adern und tausend Erfahrungen haben deine Gefühle, deine Leidenschaften abgestumpft. Aber dein Geist ist gereinigt emporgestiegen, nachdem er sich abgewaschen von diesen Gelüsten, er blickt scharf, da die Nebel der Täuschungen und Verirrungen hinter ihm liegen. Kannst du auch nicht mit mir empfinden, was mich quält, so vermagst du es zu erkennen, so vermagst du durch deinen Geist, durch deine Kunst, das Verlangen, das mich mit höllischer Gluth durchzuckt, zu stillen, die einzige Hoffnung, die ich, die reichste unsres Volks in dieser Stadt, auf das Leben setze, zu erfüllen. Manasse, du rühmst dich, ein Baal Schem zu seyn, der seines Gleichen nicht hat, in Israel, du besitzest, wie du sagst, auch die Gewalt, Haß in Liebe zu verwandeln, wie viel leichter muß es dir also seyn, das Herz eines mir Gleichgültigen zu dieser Leidenschaft zu entflammen, es dem Herzen, das unsäglich liebt, zu unterwerfen, mir mit dem Glücke der Liebe meine Ruhe wiederzugeben, mein Leben zu einem hohen Liede zu machen, das jubelnd zum Himmel aufjauchzt!«

Ihre Blicke glühten, die bräunliche Wange überzog eine dunkle Röthe, in krampfhaften Zuckungen hielt sie beide Hände Manasse's gefaßt.

»Bei'm Bunde Jacobs mit der Rahel, wenn es dir Ernst ist mit der Liebe gegen irgend einen Jüngling, wenn du nach ihm begehrst mit innigem Verlangen, so forschen meine Gedanken vergebens nach demjenigen, der da ausschlagen möchte eine Jungfrau, welche an Schönheit, Weisheit und Reichthum gleich ist der Königin von Sabba, die Salomo selbst in sein Haus aufnahm als eheliches Gemal!« rief befremdet der Rabbi.

»Ich bin eine von dem verachteten Volke,« lautete Cheyle's kaum vernehmbar und zögernd gesprochene Antwort. »Er, den ich liebe, ist ein Christ.«

»Verflucht sey die Stunde, in der du ihn zuerst gesehn!« schrie von Abscheu ergriffen, Manasse auf. »Der Hund von Goi hat dich verzaubert, er hat dir's angethan durch Beschwörung oder sympathetische Mittel; aber ich will einen Gegenzauber bereiten, der Alles, was er gethan, zu Schanden macht, ich will Beschwörungen aufbieten, mächtiger als alle andre, daß du befreit werdest von der Sympathie und dein Herz ihn haßt, wie ein böses Geld, wie einen falschen Demant. Es soll über ihn kommen ein Baal Schem aus Morgenland, vor dem sein Werk nicht besteht, und die bösen Geister des Fluchs will ich auf ihn hetzen, daß sie fahren in sein Gebein und auszehren das innerste Mark des Lebens, daß sie sich hängen an sein Herz und ihm langsam aussaugen das Blut, daß sie sein Gehirn ausdörren und in sein Haupt werfen das Elend des Wahnsinns, die Qual der Verzweiflung, bis der Würgengel kommt, sie zu endigen.«

»Manasse,« sprach finster und gebietrisch die Tochter Simeons, »du hast vernommen, was ich begehre! Ich will nicht dieser Liebe los seyn, auf der beruhen alle meine Hoffnungen; ich will ihn lieben und er soll wiederlieben. Wehe dem, der es wagt, auf die Bahn, die er wandelt, ein Übel zu werfen, ein Unheil zu senden, das nur ein Haar auf seinem Haupt krümmt! Gibt es etwas Herrliches, das er noch entbehrt und Cheyle vermag es ihm mit eigenen Aufopferungen zu gewähren, wollte er mich nur in seiner Nähe dulden als seine Magd, als eine unglückliche Leibeigene, bei'm Gotte meiner Väter! Alles sollte geschehen nach seinem Wunsche, nach seinem Gebote.«

»Erwäge deine Rede, Jungfrau aus Israel!« versetzte noch immer in großer Aufregung Manasse. »Du, die Tochter Simeons, des Reichen – die Sklavin eines Goi, denen unterthan, die das Erbe unsrer Väter geraubt, die unsrer Propheten lästern, die uns mit Schreck überhäufen? Cheyle, ich will dir beistehn in allen Dingen, denn du hast verstanden meine Seele zu rühren; aber begehre andres von mir, als das Herz des Goi dir geneigt zu machen. Soll ich die Schatten des Propheten beschwören, willst du, daß ich deinen Feind verderbe –«

»Du weißt, Rabbi,« fiel Cheyle ein, »daß ich nicht gewohnt bin, Widerspruch in dem zu erfahren, was ich begehre. Simeon, mein Vater, hat nie einen Wunsch des einzigen Kindes unerfüllt gelassen, ich bin aufgewachsen in dem Bewußtseyn, Alles was meine Seele reize, müsse mir zu eigen fallen. Und nun liebe ich, nun bin ich zum erstenmale von der Leidenschaft erfüllt, die Jacob alle Lasten einer langen Knechtschaft ertragen läßt, die den weisesten König zum Verbrechen hinriß, die nichts mehr kennt, nichts mehr heischt auf der Welt, als den Gegenstand, der sie im Traume und im Wachen umfängt. Kann das schwache Weib ein Gefühl beherrschen, dem Salomo, der Gewaltige, unterlag? Manasse, ich frage dich zum letztenmale, bist du bereit und vermagst du durch deine Kunst, durch die Kraft der Beschwörung oder der Natur den Mann meiner Gedanken und meines Lebens liebevoll zu mir zu führen?«

Der Alte versank in ein Nachdenken, dessen Dauer Cheyle mit heftiger Ungeduld erfüllte. Er schwankte zwischen seinem Christenhasse und seiner Habsucht. Endlich glaubte er zu einem Ergebniß gekommen zu seyn, das beide Leidenschaften zugleich befriedigen könne. Der versteckte Felician beobachtete ihn scharf. Er entdeckte in den Zügen des Juden eine Mischung von Hohn und Nachgiebigkeit, die ihn höchst begierig auf den Erfolg seiner Selbstberathung machte.

»Du mußt glauben, Manasse Ben Aher stehe noch auf den ersten Eingangsstufen, die in den geheimnißvollen Tempel der Cabbala führen,« hob er endlich ernst und bedachtsam an, »wenn du an seiner Macht, dir einen so geringen Beweis seiner Kunst zu geben, zweifelst. Solche Arbeit lernte ich von Rabbi Eleazor Ben Sirach, als ich noch nicht das zwanzigste Jahr erreicht hatte. Sie ist nicht schwer; aber gefährlich. Sie muß zu besondrer Zeit, unter besondern Umständen unternommen werden und der Baal Schem thut's hier nicht allein mit seinen Beschwörungen, sondern der Medicus, der die Kräuter kennt und ihre geheimnisvollen Kräfte, der Meister geheimer Wissenschaft, die Jegliches zu ihren Zwecken zu benutzen versteht, müssen mitwirken, das Philtrum oder den Liebestrank zusammenzusetzen, der denjenigen, so ihn genießt, zu dem Begehrenden anzieht, wie der wundersame Stein, Magnet genannt, das Eisen. Gefährlich ist diese Kunst, weil der Beistand zweifelhafter Geister muß angerufen werden, die in ihrer Tücke oft dem Philtrum eine Kraft beilegen, welcher der Geist des Menschen nicht zu widerstehn vermag, so daß er verfällt in Nacht und Wahnsinn. Gefährlich ist sie noch, weil wir bedürfen eines Opfers, dessen Blut die Rache der weltlichen Obrigkeit auf unser Haupt herbeirufen möchte. Prüfe das Alles in deinem Geiste, Tochter Simeons, und dann sage mir, ob du beharrst in deinem Entschlusse?«

»Ich beharre!« sagte, indem sie sich bemühete, ihrer Stimme Festigkeit zu geben, Cheyle.

»Noch einmal will ich dich warnen, Jungfrau aus Israel!« ermahnte der Rabbi. »Auch wenn Alles gelingt, wenn das Philtrum bereitet und beigebracht worden, so hast du damit noch nicht gesichert dein Glück. Der Menschen Herz ist wandelbar und den es heute liebt, erkennt es vielleicht morgen in bitterm Hasse. Dann aber wäre keine Möglichkeit, den Freund loszuwerden, den du durch starken, unauslöslichen Zauber an dich gebunden. Weiltest du im gesegneten Morgenlande und glaubtest dich sicher vor ihm, den du am Eise des Nordpols wußtest, so führte ihn doch immer wieder die Kraft des Zaubers zu dir. Wohin du fliehst, folgt er dir, wohin du dich verbirgst, weiß er dich zu finden. Er ist Eins geworden mit dir und die Luft, die ihn erhält, ist dein Odem, das Leben, das er lebt, gibt ihm nur die Vereinigung mit dir. Bedenke auch das, Cheyle, und –«

»Genug!« unterbrach ihn mit einem seltsamen Lächeln des Triumphs das Mädchen. »Was du mir als ein Mißgeschick schilderst, das eben begehr' ich. Ich bin meiner Liebe gewiß, sie kann sich nicht ändern, sie kann nicht wanken. Welche Wonne, ihn immer um mich zu sehn, seinem Worte, seinen Liebesbetheurungen zu lauschen und, muß es seyn, mit ihm unterzugehn im Glücke der Liebe. Wolltest du mich abschrecken von meinem Begehren, so hast du dein Mittel schlecht gewählt, Manasse! Zaudre nicht länger, sprich: wie, wenn wird das Werk vollbracht?«

»Und Simeon, dein Vater?« warf bedeutsam der Alte hin.

»Laß mich! Quäle mich nicht mit diesen Einwürfen!« versetzte düster niederblickend die schöne Jüdin. »Ich vermag nichts andres zu denken, als den Einen und das Glück meiner Zukunft mit ihm. Unwiderstehlich reißt mich diese Gewalt mit sich fort, Alles ist vergessen, was nicht ihn angeht, Alles bedeutungslos geworden, was mich sonst das Theuerste dünkte. An's Werk, Manasse! Jeden Augenblick, der jenem Glücke verloren geht, empfinde ich wie die Qual einer Ewigkeit, jeden Augenblick, den du meinem Glücke mich näher führst, bezahle ich dir mit einem neuen Kleinod. O ich will gern eine Bettlerin werden, um einen Reichthum zu erlangen, dessen Werth ich nur allein kenne. An's Werk, Manasse! Es liegen doch der peinlichen Stunden noch genug zwischen dem Jetzt und seiner Ausführung.«

»So nenne mir den Mann, der dir zu eigen fallen soll in Liebe auf immerdar!« sprach Manasse. »Kenn' ich ihn? Wohnt er in dieser Stadt und ist er wohlgelitten und angesehn unter den Feinden unsres Glaubens?«

»Du kennst ihn!« tönte es heiser aus Cheyle's beklommener Brust. »Es ist Salentin vom Rhein.«

»Der Patricier Doctor, der sogenannte Menschenfreund, der seine Hülfe darbietet umsonst, der die kostbarsten Medicamente verschenkt, als würden sie gefunden auf der Straße?« rief überrascht der Rabbi. »Mein Fluch treffe sein Gebein! Jeder Gulden, um den er mich bestohlen, soll ihm auf der Seele brennen, wie eine höllische Flamme!«

»Rabbi,« sagte mit Nachdruck das Mädchen, »deiner Flüche begehre ich nicht. Willst du mir dienen?«

»Ob ich will?« fuhr Manasse heftig auf. »Bei'm Gotte Abrahams, Israels und Jacobs, er und du sollen so gut bedient werden, wie es in den geheimnisvollen Büchern der Cabbala verzeichnet steht, so gut, daß nichts ihn zu drängen vermag aus deiner Nähe, nicht das Angstgeschrei der Kranken, die nach ihm verlangen, nicht die wohlfeile Menschenliebe, die er hat geübt zum Nachtheile Andrer. Er soll werden der Schatten, der vor, der neben dir, der hinter dir wandelt. Er soll nicht mehr können denken an die Symptomata der Krankheiten, nicht mehr unterscheiden die Medicamente, nicht lieben mehr Vater oder Mutter, noch was sonst seiner Seele werth gewesen; nur dich wird er tragen in Gedanken und im Herzen, nur deinem Willen seyn unterworfen und wenn der Zauber recht gelingt, wenn das Philtrum die volle Kraft erhält von den beschworenen Geistern, so muß er werden ein Jud, so du es begehrst. Aber, Cheyle,« setzte er geheimnisvoll und düster hinzu, »an Kleinigkeiten, die sonst unser Gesetz verdammt, dürfen wir uns nicht stoßen für diesen Fall! Bist du auch stark, bist du vorbereit genug, Absonderliches, was dir schrecklich dünken möchte, zu vernehmen, was aber nothwendig ist zu dem Zauber, wenn er gedeihen soll?«

»Sprich!« versetzte schwer aufathmend die Tochter Simeons. »Was kümmern mich jene Gesetze, wenn sie meinem Verlangen entgegen sind? Meine Liebe ist mein Gesetz; was sie gebeut, gilt mir heilig, du magst es nennen, wie du willst!«

»So willigst du ein, daß Menschenblut vergossen werde?« fragte lauernd Manasse. Cheyle schauderte zusammen, ein seltsamer Ton, wie ein unterdrückter Schrei, ließ sich aus dem Innern des Häuschens vernehmen. Der Rabbi sprang erschrocken auf und sah forschend nach allen Seiten umher. Nachdem er sich überzeugt zu haben glaubte, daß nur ein zufälliges Geräusch ihn beunruhigt, setzte er sich wieder zu Cheyle, ergriff ihre Hand und sprach lächelnd mit begütigender Stimme: »Du bist erschrocken; Jungfrau aus Israel, du entsetzest dich vor dem Gedanken an eine That, die nicht so schlimm ist, als sie dir geschienen im ersten Augenblicke. Wenn ich gesprochen von Menschenblut, so war damit nicht gemeint das Blut Eines aus dem erwählten Volke, sondern aus dem verhaßten, verfluchten der Gojim. Als gegeben wurde das Gesetz: du sollst nicht tödten! da hatte die gottlose Lehre der Gojim noch keine Abtrünnige gemacht unter den Nachkommen Abrahams, da gab es noch keine Gojim und sie also sind nicht gemeint und nicht geschützt in dem Gesetz. Was das Gesetz nicht verbeut, das ist erlaubt und sogar, wenn es kann befördern die Absichten Eines aus dem auserwählten Volke, geboten. Denn es muß seyn wohlgefällig dem Gotte unsrer Väter, daß einer ihrer Nachkommen gedeihe, wenn auch darüber untergeht ein andrer aus der verfluchten Rotte.«

»Genug, Rabbi!« sagte in einem festen Tone Cheyle. »Als ich hierherkam, war ich entschlossen, zu bringen jedes Opfer, das mich die Erfüllung meiner Wünsche kosten dürfte, warum sollte ich andere schonen, die mir fremd sind! Thue was du willst, Manasse, vernichte die Menschheit um mich, wenn es seyn muß, und laß mich nur mit ihm übrig, mit ihm allein, der mir Alles ersetzt, der meine Welt, mein Himmel – ja! Rabbi, ich sage es dir, ob du es als eine Lästerung verdammen magst – der mein Gott ist!«

»Der Zauber verlangt das Blut eines Wesens,« sprach, indem er die letzten Worte zu überhören schien, traulich der Alte, »das dem Jünglinge, nach dem du begehrst, innig ergeben ist durch eine reine Regung. Es muß seyn ein Mädchen, schuldlos an Leib und an Seele, nicht Kind mehr, noch nicht Jungfrau, erzogen in der falschen Lehre der Gojim. Hierzu müssen gethan werden die Säfte wunderbarer Kräuter, in geheimnißvoller Stunde bereitet, die Beschwörungen des Buches Schimmusch Talim, die Sprüche des weisen Rabbi Chananja, denen kein Geist der Ober- und der Unterwelt zu widerstehn vermag. Und das Alles muß geschehn in mitternächtiger Stunde unter Zeichen und Ceremonien, die außer mir nur noch sind bekannt zwei andern im deutschen Lande, die mit gewesen Schüler bei Rabbi Eleazar Ben Sirach, dem weisen Mann. Auch von deinem Blute, Tochter Simeons, bedarf ich einiger Tropfen, wenn Alles wohl vollbracht und vollendet werden soll. Siehe, Cheyle,« setzte er heiser lachend hinzu, indem er rasch mit der Spitze einer Nadel über ihre Hand gefahren war und mit einem Tuche das hervorquellende Blut abwischte, »da sind sie schon und du wirst um des großen Gewinns willen, den sie dir bringt, wohl gern tragen die unbedeutende Wunde?«

Cheyle zuckte nur leise mit der Hand und verbarg sie unter dem Mantel. Sinnend hob sie dann an:

»Ich glaube, ein Wesen gefunden zu haben, wie du es verlangst, Rabbi! Im Hause des kaiserlichen Vogts lebt ein Mägdlein, Imagina geheißen, die Salentin, der kühne Jüngling, ohne sich von Eckel, Entsetzen und Gefahr zurückhalten zu lassen, aus einem Pesthause, zwischen den modernden Leichen ihrer Eltern hervorrettete. Sie ist ihm in unbeschränkter Dankbarkeit ergeben, sie steht in dem Alter, wo die Knospe sich noch nicht aufgethan zur Blume, sie hängt so ganz an Salentin, daß sie willig Leib und Leben für ihn ließe.«

»Um so besser!« bemerkte tückisch Manasse. »So brauchen wir ihr keinen Zwang anzuthun. Wir nehmen nur, was sie in jedem Augenblicke großmüthig zu opfern bereit ist.«

»Ich werde die Schritte dieses Kindes bewachen lassen,« fuhr die schöne Jüdin fort. »Es wird wohl ein Mittel geben, sie in dein Haus zu locken. Dann, Manasse, verfahre mit ihr, wie es deine Kunst gebietet, wie es meine Hoffnung verlangt!«

»Du gibst sie in meine Gewalt, du wirst es nie bereuen und mich nie, auch nur vor dir selbst, einer Sache wegen anklagen, die du selbst veranlaßt?« fragte, den spähenden Blick fest auf Cheyle richtend, der Alte.

»Kann ich einer Kraft widerstehn, die mir Alles, was meine Religion gebeut, was Kindesliebe will, was die Welt Herrliches besitzt, ohne Werth, elend und erbärmlich erscheinen läßt gegen den Einen, den sie mit Allem ausschmückt, was bisher mein Leben erfreut, was mich an dieses gefesselt?« versetzte im heftigen Ausbruche der Leidenschaft die Tochter Simeons. »Noch einmal, Manasse! Mag der Engel des Verderbens würgend die Welt durchziehn, mag er den Vater, die Verwandten, mein ganzes Volk, die gesammte Menschheit hinopfern, ich habe nur Gebete für Salentin vom Rhein, nur Wünsche für ihn, nur Hoffnungen auf ihn. Kein Opfer gibt es, das zu groß wäre für seinen Besitz, keine That, die ich scheuete, kein Elend, das mir im Vereine mit ihm nicht zu einem paradiesischen Glücke würde. Und nun genug, Rabbi! Du weißt meinen Willen, du kennst den Lohn, den dir das gelungene Werk bringt. Ist Sünde dabei, so nehme ich sie auf meine Seele. Das wäre eine jämmerliche Liebe, die nicht für den Preis ihres Sehnens zu sündigen vermöchte!«

Sie hatte sich bei diesen Worten in großer Bewegung erhoben. Sie trat zwischen die Gräber, wohin ihr der Alte folgte.

»Noch eins, Cheyle!« sagte Manasse, indem er sie vom Weiterschreiten zurückhielt. »Noch einer Zuthat bedarf der Zaubertrunk, wenn er so stark und wirksam werden soll, wie du ihn wünschest. Daß der Goi ihn empfängt, dafür laß mich sorgen, denn wir finden uns zusammen im Pestspitale und ich lasse ihn davon kosten, als von einer neuentdeckten, wohlthätigen Arznei. Aber das Beste hätte mein altes Gedächtnis beinahe außer Acht gelassen, das, was dich vielleicht abschreckt von dem ganzen Werke!«

»Und was könnte das seyn nach dem, was ich dir schon bewilligt?« entgegnete, ihn finster anblickend, das Mädchen.

»Der Schädel deiner Mutter!« grinste Manasse mit einer Verzerrung seiner Gesichtszüge, die Cheyle vielleicht mehr erbeben machte, als sein seltsames Verlangen.

»Nimm ihn!« antwortete sie, indem sie den Fuß gegen das Grab erhob, vor dem beide standen. »Hier ruhen ihre Gebeine. Was liegt daran, ob der Todte in der Gruft gestört wird, wenn es das Glück des Lebenden erheischt!«

Mit einem wilden Gelächter, dem Ausbruche eines Wahnsinns, der in einer gewaltigen Idee sich ihres ganzen Wesens bemächtigt hatte, eilte Cheyle fort, dem Ausgange zu. Boshaft sah ihr der Rabbi nach. Dann sprach er dumpf in sich hinein:

»Du hast meinen schlimmsten Feind gegeben in meine Hand! Du zahlst mir Gold, du belohnst mich mit kostbaren Edelsteinen, daß ich dir diene und ich diene doch nur mir selbst. Und das Gold und die Edelsteine kann ich betrachten als eine Mannah, die da fällt vom Himmel in die Wüste, als einen Schmuck zu dem Triumphe über meinen Feind. Vereinigt sich glücklich Alles, was der Zauber erfordert, so ist er ein verlorener Mann, der mir nicht ferner Schaden bringt durch thörigte Großmuth und verruchte Menschenliebe. Er wird den Staub lecken von Cheyle's Füßen, er wird seyn ihr Hund, den sie treten, den sie peitschen kann, und der doch nicht von ihr abläßt durch die Gewalt des Zaubers. Und wenn das Werk nicht kommt zu Stande? Gott Abrahams, der junge Goi ist nicht von Marmel oder Eis und bringe ich ihn nur einmal zusammen mit der Cheyle und ihrem heißen Blute – dann bedarf es keines Philtrums, dann mag die Cabbala des Gelüsts ihr Spiel treiben und ich schleiche zum Stadtschuldtheiß, gebe die Sache an als ein rechtgläubiger Jud' und der Patricier-Doctor büßt eine schwache Stunde in den Flammen des Scheiterhaufens auf dem Richtplatze und die schöne Cheyle, die den Glauben ihrer Väter und das erwählte Volk verläugnet, mag dann selbst sehn, wie sie aus dem Sack herauskommt, den ihr der Stückerer überwirft, um ihre Liebesflamme im Wasser des Mains zu kühlen.«

Diesen frevelhaften Hoffnungen sich hingebend, folgte Rabbi Manasse langsam derjenigen, auf deren unglückliche Leidenschaft er seine verabscheuungswürdigen Entwürfe gründete. Felician war in den Eingang des Todtenhäuschens getreten und sah der Gestalt des Alten, die, tief gebückt und zusammengekrümmt, in ihrem schwarzen Talar einem Nachtgespenste glich, so lange nach, bis sie außerhalb des Raumes verschwand. Er hörte den Rabbi die Pforte verschließen, allein die niedrige Mauer war, wie wir bereits wissen, kein unübersteigliches Hinderniß für den Zurückbleibenden. Jene Unterredung, deren Zeuge er unwillkürlich geworden, erfüllte seine Seele mit Abscheu und Entsetzen. Er hatte sich, noch in dem Innern des Häuschens verborgen, gelobt, das Doppelverbrechen auf jegliche Art, die in seinen Kräften stand, zu vereiteln, der Ausführung des teuflischen Anschlags entgegenzuarbeiten. Welche entsetzliche Dinge hatte er in seiner abentheuerlichen Laufbahn nicht schon von den Zauberkünsten der Rabbiner, von der höllischen Kraft ihrer Beschwörungen, von der sinneverwirrenden Macht eines solchen Philtrums vernommen! Aber wie sollte er jetzt dem scheußlichen Manasse entgegentreten, wie konnte er jenes unglückliche Kind, das die Leidenschaft und eine Kunst, die dem Abgrund selbst entstammt schien, sich zum Opfer erkoren, gegen die Nachstellungen einer wahnsinnigen Liebe bewahren, er selbst ein Geächteter der Geißler, welche die Stadt überschwemmten und beherrschten, als ein fahrender Spieler ein Mann ohne Glauben vor der weltlichen Obrigkeit, die ohnehin jetzt in ihrem ganzen Handeln gelähmt war, die keinen Schritt gegen die kaiserlichen Kammerknechte wagen durfte, wollte sie nicht die gegen die Juden stets bereite Wuth der Geißler zu Plünderung, Brand und blutiger Verheerung aufreizen? In dieser Gedankenverwirrung, in der Bedrängniß dieser Zweifel suchte er vergebens nach einem sichern Auswege. Da fiel plötzlich, wie ein Lichtstrahl in seine Seele, der Name desjenigen, den Cheyle's Leidenschaft in ihren Zauberkreis bannen wollte, auf sein Herz. Hatte er nicht in den glücklichen Zeiten seiner Jugend einem Manne nahe gestanden, der ihn führte, wohnte dieser Mann nicht innerhalb der Mauern der alten Reichsstadt, konnte nicht jener Salentin einer seiner Angehörigen, vielleicht gar sein Sohn seyn? Jetzt war Felician mit sich einig, jetzt hatte er seinen Entschluß gefaßt. Es war Alles still geworden, das Läuten der Glocken hatte aufgehört, die Geißler schienen sich in die Häuser der wohlhabenden Bürger, bei denen sie Gastfreiheit erpreßten, zurückgezogen zu haben. In wenigen Augenblicken lag der Begräbnißort, wo er nur ein Asyl gesucht, wo ihm aber so wunderbare Erfahrungen der verschiedensten Art geworden, hinter dem fahrenden Meister. Er schlich vorsichtig im Schatten der Häuser hin, er begegnete bald einem einsam wandernden Bürgersmann, der auf die bescheidentlich ausgesprochene Frage nach Herrn Salentin vom Rhein berichtete, der Junker wohne in jenem stattlichen Eckhause, das mit dem Hinterbau hart an die jüdische Synagoge stieß, bei seinem Vater, Herrn Hanns vom Rhein. Diese Auskunft bestätigte Felicians Vermuthungen. Er hatte Herrn Hanns vom Rhein einst im Lande Italia gekannt, er war derselbe Felician, der, wie wir aus jener Mittheilung des kaiserlichen Vogts an seinen Sohn wissen, als Angehöriger des Herrn Philipp von Falkenstein, diesen und die schöne Richardis auf ihrer Pilgerfahrt nach Rom begleitet, der auf dem Raubschlosse des Marchese die Rolle eines Griechen so glücklich durchgeführt hatte, bis endlich ihn und seine gefangene Herrschaft die Ankunft der zwei deutschen Ritter aus der Gewalt jenes Wegelagrers und seiner Genossen befreiete. Welche Freude für ihn, diesen Dienst jetzt durch einen andern nicht minder wichtigen vergelten zu können! Er näherte sich mit eiligen Schritten dem Eingange des Hauses. Da traten plötzlich drei finstre Gestalten um die Ecke, da vernahm er eine Stimme, die ihn mit Grauen und Entsetzen erfüllte. Der Geißler-Meister Galeazzo war es, der, von zwei Büßerinnen begleitet, grade auf die Thüre der Wohnung des Herrn vom Rhein zuschritt. Er hatte diese jetzt erreicht, er forderte mit stürmischen Faustschlägen ihre Eröffnung. Wie konnte Felician wagen, ein Haus zu betreten, in dem solche Gäste ihren Aufenthalt genommen hatten? Eine panische Furcht bemächtigte sich seiner. Er floh wie das gescheuchte Reh vor dem hungrigen Wolfe, in die dunkelsten Gäßchen, seine gereizte Einbildungskraft ließ ihn sich selbst aufs Neue in der Reihe der Büßenden, mit der Geisel in der Hand, unter dem schauerigen Gesange, dessen Klänge seine Seele, wie sein künstlerisches Ohr zerrissen, erblicken. Endlich war er auf einem entlegenen Platze angelangt, wo er von einer Erhöhung herab in den städtischen Hirschgraben blickte. Hier herrschte eine vollkommene Ruhe, ein Friede, der seinen wohlthätigen Einfluß auch auf Felician übte. Auf der mondbeglänzten Wiese im Grunde des Grabens stand, nur in wenigen anmuthigen Bewegungen Leben zeigend, ein stattlicher Hirsch. Das edle Thier schien so unbekümmert um das wilde Treiben der Menschen, so zufrieden in dem kleinen Raum, den es gegen das weite Waldgebiet getauscht hatte, daß es Felician dünkte, der Mensch könne aus seinem Beispiele Festigkeit und Besonnenheit in den Widerwärtigkeiten des Lebens lernen. Er hatte jetzt Ruhe und Fassung genug gewonnen, um über einen Plan nachzudenken, der, nachdem seine Absicht, den Junker vom Rhein persönlich zu warnen, vereitelt worden, den verabscheuungswürdigen Anschlägen Manasse's und der Tochter Simeons entgegenwirken könne. Ein wunderliches, abentheuerliches Unternehmen, das diesen Zweck erreichen vermochte, gestaltete sich endlich in seinem Geiste. Seine Ausführung erforderte Gewandtheit und eine kecke Stirn, es war selbst nicht ohne Gefahr; allein indem es seine Hülfsmittel aus dem bisherigen künstlerischen Treiben Felicians entlieh, reizte seine Ausführung des fahrenden Meisters Stolz und er hoffte noch mit demselben Glücke, wie einst in den Charakter eines Griechen, sich in eine andre schwierige Rolle zu finden. Zufrieden mit seinem Entschlusse und in Überlegungen, welche die Ausführung seines Wagestücks betrafen, versunken, verließ er den stillen Ort am Hirschgraben und fand bald in einer benachbarten Fußherberge die Ruhe, deren er nach so manchen Beschwerden und Abentheuern des Tages, in einem hohen Grade bedurfte.



 << zurück weiter >>