Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel


Ich hatt' mir ein Fräulein auserwählt,
Ein andrer hat es mir abgestellt,
Das schafft, daß Wetter so unstett ist,
Ein leichter Wind weht mir's dahin.

Den angestrengten Bemühungen Hartmuths war es im Laufe dieser stürmischen Nacht gelungen, gegen Versprechung eines ansehnlichen Lohnes, zwei Dienstboten an die Stelle der Entwichenen für die Geschäfte des Hauses zu werben. Eine solche Einrichtung hatte noch nie im Hause des Herrn vom Rhein stattgefunden und nur der Drang der Nothwendigkeit konnte veranlassen, daß man sich ihr bequemte. Auf den Stammgütern des alten Geschlechts gab es der Leibeigenen genug, die gern die schwere Arbeit in Feld und Wingert mit dem leichten Stadtdienste vertauscht hätten. Man wußte, daß man in der Nähe der gütigen Herrschaft besser aufgehoben wäre, als unter der strengen Aufsicht des Frohnvogts, der, gewöhnlich selbst aus den Leibeigenen gewählt, sich gern auf eine rohe Weise des erlangten Ansehens erfreuen mochte. Hartmuth glaubte in dem neuen Knechte und der neuen Magd keinesweges Leute zu erkennen, denen man ohne Rückhalt sein Vertrauen schenken dürfe. Jener zeigte viel Freundlichkeit und Dienstwilligkeit, aber in seinem Blicke lag etwas Listiges und Lauerndes, was den alten Leibdiener zu Vorsicht und Wachsamkeit ermahnte; diese schien ein leichtsinniges Geschöpf, das nur um des verheißenen Lohnes willen sich einmal zur Arbeit entschlossen haben mochte. Indessen war bei der Krankheit der Frau Gisela, die einer treuen Sorgfalt von Seiten der beiden weiblichen Pfleglinge, Regina und Imagina, erforderte, bei der Anwesenheit der zwei lästigen Gäste, welche die Geiselfahrt ins Haus gebracht, nichts andres zu thun, als sich vorläufig mit diesen Lohndienern zu behelfen. –

Eingedenk des Versprechens, das er dem Vater geleistet, bemerkte Salentin kaum das erste Dämmerlicht des anbrechenden Morgens, als er sich zu dem Closett begab, durch das man zu dem Schlafgemache des alten Herrn schreiten mußte. Auf sein leises Klopfen wurde sogleich geöffnet. Er fand Herrn Hanns noch in der festlichen Kleidung des gestrigen Abends. Sein mattes Auge, seine verstörten Gesichtszüge, sein ganzes unruhiges Äußere ließen den Sohn vermuthen, daß er die Nacht durchwacht habe. Ein Blick durch die offne Thüre des Schlafgemachs ließ ihn das Ruhelager des verehrten Mannes noch unberührt erkennen. Das Öl der Lampe war ausgebrannt; sie glimmte nur noch im matten Scheine. Der Herr vom Rhein verlöschte sie und stieß einen Laden auf. Die frische Morgenluft schien ihn zu erquicken; er blieb eine Zeitlang an dem geöffneten Fenster stehen und sah nach Osten, wo ein Rosenlicht das graue Nebelgewölk zu säumen begann. Wie von einer leisen Verklärung umflossen, dünkte den jungen Mann das Angesicht des Vaters. Ein Gebet mochte auf seinen Lippen schweben. Dann winkte der Hausherr den Sohn heran, deutete auf den Sitz in der Fenstervertiefung und sprach in einem ungewöhnlich weichen Tone:

»Laß uns hier, von des lieben Herrgotts stärkendem Morgengruße angeweht, unsre Plätze einnehmen! Ich habe viel mit dir zu reden, mein Sohn. Ich gestehe, daß ich einer besondern Kraft hierzu bedarf, ich fühle mich in dieser freien Luft lebendiger und jugendlicher, ich kann die Erinnerung an das erblichene Morgenroth einer Jugendfreundschaft bei dem erwachenden Morgenrothe des Himmels eher ertragen. Ich will dich als einen Freund ansehn, dem ich mein ganzes Vertrauen schenke, von dem ich Trost und wenn es die Noth erfordert, Beistand erwarte.«

Salentin hatte seinen Vater bisher als einen starken, entschlossenen Mann gekannt. Diese seltsame Weichheit, dieses innige Begehren nach einer vertraulichen Verbindung mit dem Sohne, wie sie in der Regel nur unter Personen gleichen Alters geschlossen wird, rührte ihn tief. Der Vater zeigte sich ihm eines Vertrauens und einer Hülfe bedürftig, die er aus vollem Herzen gewähren wollte, er ehrte ihn durch diese Hingebung, die nicht allein aus väterlicher Neigung, sondern auch aus anerkennender Achtung hervorgehen mußte.

»Ihr sollt in dem treuen Sohne einen redlichen Freund finden;« entgegnete mit dem Ausdrucke liebevoller Theilnahme der junge Mann. »Aber faßt Euch, mein Vater, sucht Euch in jene Seelenruhe zu versetzen, die vor Gott und Menschen bezeugt, daß Ihr auf einen tadellosen Lebenswandel zurückzublicken habt. Mag einst ein störender, feindlicher Geist durch Euer Leben geschritten seyn; Ihr habt ihn gewiß nicht durch eine unrühmliche That heraufbeschworen: mag die Gegenwart Euch unheimlich und drohend erscheinen; Ihr findet in einem edlen Bewußtseyn Kraft genug, ihr zu begegnen.«

»Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus!« versetzte mit erwachender Lebhaftigkeit Herr Hanns: »ich strebte in der langen Reihe meiner Lebensjahre, den Namen unseres alten Geschlechts unbefleckt zu erhalten, ich kann wohl geirrt haben, wie es des Menschen Schwäche mit sich bringt, aber keiner Felonie fühle ich mich schuldig. Höre mich an, Salentin. Versetze dich mit mir in die Tage meiner Jugend zurück, wo das Blut rascher in meinen Adern rann, wo ich am Hofe Kaiser Ludwigs manchen Preis in Turnieren aus den Händen edler Frauen und Fräulein gewann, wo Minne und Ehre zwei Gewalten waren, die ich als die Leitsterne meines Lebens betrachtete. Jene Tage sind hin mit ihrer Größe, mit ihren Freuden; das süße Glück einer reinen Minne lebt in der Treue fort, aber die Ehre ist unwandelbar geblieben, wie sie hoffentlich unsterblich in unserm Geschlechte seyn wird, so lange dieses selbst dauert. Damals besaß ich einen Freund, Salentin! Er war um einige Jahre jünger als ich, an ritterlichen Tugenden maß er sich mit jedem und sein edles Äußres, sein zierliches Benehmen gewannen ihm in's Besondre die Huld der Frauen.«

»Herr Meinrad Crafft zum Jungen?« fiel fragend Salentin ein.

»Er war es;« erwiederte der Vater und setzte dann seine Erzählung fort. »Als sey es heute, so steht der Tag, der mich zuerst mit ihm zusammenführte, vor meinem Gedächtnisse. Kaiser Ludwig der Baier hatte zum zweitenmale sein Hoflager in Frankfurt aufgeschlagen. Ich war damals noch Edelknappe, aber mit vielen andern hoffte ich bei dieser Gelegenheit die Ritterwürde zu erlangen. Heiliger Georg, welche Pracht, welche Schönheit, welche Kraft der Ritterlichkeit versammelte sich zu jener Zeit in dieser Stadt. Die reizende Margaretha von Holland, des Kaisers zweite Gemalin, bezauberte Alles durch ihre Huld und Anmuth. Wir Junker aus den edlen Geschlechtern hatten den Dienst am Hofe und sahen hier täglich die schöne Kaiserin und ihr Frauengefolge. Wie Frau Venus im Venusberge mit der Begleitung ihrer zauberischen Hofdienerinnen von den Dichtern beschrieben wird, gemahnte es mich da. Ich war jung und wie herrlich erscheint nicht der Jugend die Welt, wenn sie sich zum erstenmale ihrem Blicke eröffnet! Unter Banketten und Waffenspielen kam die Zeit heran, wo Kaiser Ludwig in großer Feierlichkeit den Ritterschlag ertheilen wollte. Salentin, du kennst die Gefühle, die am Vorabende eines solchen Tages das jugendliche Herz ergreifen! Von königlicher Hand ward dir in Paris der Ritterschlag, mir von der kaiserlichen Rechten Ludwigs des Baiern. Wir waren unsrer wohl an zwanzig junge Gesellen, die Nachts die Prüfungswache in der kaiserlichen Kapelle der Sala hielten. Wir kannten uns nicht alle, denn am Vorabende war aus den benachbarten Städten und Burgen noch mancher einzelne eingetroffen, der nach gleicher Gunst verlangte. Es war eine lange schaurige Nacht. Jeder blieb allein mit sich und seinem Gebete, jeder ruhete, abgesondert von den übrigen, auf den Knieen vor seinem Heiligen. Ich will nicht von Allem sprechen, was in dieser Nacht mit mir vorging: aber Wunderdinge erschaute ich, ob mit dem Auge, der Seele oder des Körpers, weiß ich nicht. In tausend verschiedenen Gestalten zog das Leben der Zukunft an mir vorüber und prüfte mich durch Lockung und Mißgeschick, durch Freuden und Gefahren. Wie aus einem schweren Traume kam ich am Morgen zur Besinnung und als ich meinen Freunden die seltsamen Erscheinungen mittheilte, erklärten sie, daß es ihnen nicht anders ergangen sey. Wir bemerkten nun vier Knappen unter uns, die wir nicht kannten. Unter diesen einen hochgewachsenen Jüngling von blondem Haare und einem zarten, fast mädchenhaften Angesichte. Ehe wir noch Bekanntschaft mit einander machen konnten, rief uns der Knappenvogt ab, um uns auf den Turnierplan zu führen, wo die Prüfungen fortgesetzt werden sollten. Dein Vater, Salentin, darf sich rühmen, keiner der letzten gewesen zu seyn, die sich vor Kaiser und Ritterschaft auszeichneten. Aber jener schlankgewachsene Jüngling mit dem Mädchenantlitze übertraf uns doch Alle. Dabei zeigte er eine Anmuth und Freundlichkeit in seinem ganzen Wesen, die ihm mehr noch, als seine Waffenthaten, den Beifall der versammelten Menge gewannen. Als gegen Mittag die Kaiserin mit den edlen Frauen und Hoffräulein erschien, war nur noch die letzte der Prüfungen zu bestehen. Heiliger Bartholomäus, wie schlug da das Herz in der Jünglingsbrust! Die schöne Kaiserin und hundert reizende, edle Frauen sollten Zeugen der That seyn und der Preis war ein perlengestickter Handschuh der Kaiserin, der am Ziele der Bahn, die die Knappen im Wettlaufe zu durchmessen hatten, des siegreichen Kämpfers harrte. Eine Jungfrau saß ohnweit der Kaiserin, auf die hatte ich meine Gedanken gerichtet und ihr zu Ehren schwor ich, Alles aufzubieten, das Ziel als der Erste zu erreichen. Es war Richardis, des mächtigen Ritters Philipp von Falkenstein einzige Tochter. Sie besaß eine hohe schlanke Gestalt und ihre Gesichtsbildung war von wunderbarer Anmuth. Sie mochte erst siebenzehn Sommer zählen, aber sie glich einer vollkommen entfalteten Blüthe. Ihr dunkles Haupthaar wallte in reichen Locken um Antlitz und Nacken, aus den großen, glänzenden Augen sprach ein wunderbarer Geist, der das Herz bannte und fesselte, und ihre Gesichtszüge waren von einer so erhabenen Schönheit, daß sie mich oft wie eine Göttin des heidnischen Alterthums bedünkte. Wir Knappen standen schon in Reih und Glied zum Wettlaufe bereit und harrten des Zeichens, das der Kampfrichter geben sollte, um loszubrechen. Da warf ich noch einen Blick auf die schöne Falkensteinerin und es schien mir, als bemerke und erwiedre sie ihn mit einem freundlichen Lächeln. Mein Herz pochte ungestüm im Siegesdrange, ich sah forschend auf meine Mitbewerber. Da bemerkte ich, daß jener Jüngling mit dem lichten Haare, den jungfräulichen Gesichtszügen und der hohen Gestalt mein Nebenmann sey. Er blickte lächelnd nach dem fernen Ziele, sein Auge glänzte und in seinem ganzen Wesen lag eine Zuversicht, als könne ihm der Preis nicht entgehn. Das reizte mich, das flößte mir eine Erbitterung gegen den fremden Edelknappen ein, die erst wich, als auf den Wink des Kampfrichters die Trompete zum drittenmale erklungen war und aus seiner Hand der Stab zu Boden fiel, dessen Fall das Zeichen des beginnenden Wettlaufs war. Heiliger Georg, wir stürmten dahin, wie eine Schaar junger Edelhirsche, die durch den Forst bricht. Unter meinen Freunden war ich immer der beste Läufer gewesen, ich hatte es oft mit einem Pferde im scharfen Trabe ausgehalten. Ich dachte jetzt an Richardis, meine ganze Seele durchglühete das Bewußtseyn unter ihren Augen nach dem letzten Preise zu ringen. Die Erinnerung an den freundlichen, ermunternden Blick, den sie mir geschenkt, gab meinen Muskeln eine Spannkraft, in der ich bald alle übrigen, mit Ausnahme des blonden Edelknappen hinter mir ließ. Er blieb mir zur Seite und sein leichter Fuß, der mehr sich anmuthig zum Tanze, als zu einer anstrengenden Bewegung zu heben schien, verrieth keine Spur von Ermüdung. Ich wagte einige kühne Sprünge, ich bot meine ganze Kraft auf, einen Vortheil über ihn zu gewinnen; aber gelang mir dieses auch, so war es nur für einige Augenblicke und gleich sah ich ihn wieder an meiner Seite. So waren wir vielleicht nur noch fünfzig Schritte vom Ziele entfernt, als ich plötzlich über irgend einen unbedeutenden Gegenstand im Wege strauchelte und, nachdem ich mich vergebens zu erhalten bemüht, zu Boden fiel. Salentin, mit diesem Fall glaubte ich meine Ehre, meine Hoffnungen verloren! Ich raffte mich auf, ich blickte wild um mich. Da stand mein Mitbewerber ruhig und lächelnd neben mir und sagte freundlich: ›Frisch auf, Genosse! Jetzt erst beginnt unser Wettlauf. Glaubst du, ich könnte mich eines Sieges erfreuen, den der Zufall mir unwürdig zuspielte? Nimmermehr! Jetzt erst gilt's und wer nun den andern überholt, dem wird mit Recht der Preis.‹ Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus, das war eine edle Handlung, zu der ihn weder Gebrauch noch Recht verpflichtete, die er aus reinem Antriebe der Herzensgüte beging! Ich hätte den neuen Kampf nicht annehmen, ich hätte mich für überwunden erklären sollen; aber der Ehrgeiz, der Gedanke an Richardis von Falkenstein beherrschte mich unwiderstehlich. Wir begannen aufs Neue den Lauf, wir legten ihn im Fluge einer Minute zurück und mein günstiges Geschick wollte es nun, daß ich einige Schritte vor dem wohlwollenden Fremdlinge am Ziele anlangte. Des Kaisers klarer Blick und seine Gerechtigkeit entschieden befriedigend, was hier Zufall und freundliche Nachgiebigkeit verwirrt. Uns beiden ward der Preis zuerkannt, uns beiden gestattet, den Handschuh als ehrenvolles Gedächtnis dieser Stunde im Wappenschilde zu führen.«

Der Herr vom Rhein erhob sich nach diesen Worten von seinem Sitze und schritt zu einem Schrein, der in einem Winkel des Gemaches stand und in welchem, wie Salentin wußte, die Kleinodien des Hauses aufbewahrt wurden. Diesen öffnete er und nahm einen Handschuh heraus, dessen Zeug im Laufe der Zeit farblos geworden war, an dem aber die reiche Perlenstickerei in ihrem bleichen Silberscheine noch frisch glänzte. Er betrachtete ihn mit Rührung. Dann reichte er ihn dem Sohne dar und fuhr, seinen Platz wieder einnehmend in seiner Mittheilung fort:

»Das ist das Pfand, das mich mit inniger, hingebender Freundschaft, von diesem Augenblicke an, dem blonden Edelknappen treu verband. Ich habe dieser Dinge nie gedacht, weil sie andre schmerzliche Erinnerung zu sehr in mir aufregten. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo dir nichts verborgen bleiben soll und ich darf, um mir den Sohn zum Vertrauten zu gewinnen, jetzt meiner Empfindungen nicht mehr schonen. Der freundliche Junker, dem ich die Theilnahme an dem Ruhme jenes Kampfes verdankte, war kein andrer, als Meinrad Crafft zum Jungen. Wir erhielten beide zugleich den Ritterschlag, wir gelobten dann, treu an einander zu halten, als Freunde und Waffenbrüder ferner Ruhm und Ehre zu theilen. Ich erfuhr nun, daß Meinrad frühe seine Eltern verloren, dann aus unsrer Stadt, wo er geboren, unter die Obhuth eines Oheims in Mainz gekommen sey und dort unter ritterlichen Übungen seine Zeit hingebracht, bis ihn die Anwesenheit Kaiser Ludwigs in seiner Vaterstadt, wieder in diese zurückgeführt habe. Abends erschienen wir, so viel sich das in der Kürze der Zeit einrichten ließ, gleich gekleidet bei'm kaiserlichen Bankett in der Sala. Vergebens aber sah ich mich hier nach der schönen Richardis von Falkenstein um. Ein Blick ihres Auges, ein gütiges Wort von ihrer Lippe hätte mich damals zum glücklichsten Menschen gemacht. Ach, Salentin, in welchen eiteln Dingen begehrt doch die Jugend ihre Freuden! Ich hatte die Ritterwürde von der Hand eines tapferen und mächtigen Kaisers erhalten, ich hatte einen Preis gewonnen, um den mich so Viele beneideten, ich sah mich um einen Freund bereichert, der mir das schönste und reinste Opfer des Wohlwollens gebracht; und dennoch fühlte ich mich unzufrieden, getäuscht in einer schönern Hoffnung, aufgeregt durch einen Wunsch, dessen Erfüllung mir herrlicher schien als alles bisher Gelangte. Auf mein Befragen erfuhr ich, daß Richardis von Falkenstein noch vor dem kaiserlichen Bankett mit ihrem Vater nach der heimathlichen Burg zurückgekehrt sey. Niemand kannte die Ursache, einige Jungfrauen der Stadt, die mit den Hoffräulein Umgang hatten, versicherten, daß selbst die Kaiserin mit dieser raschen und unerwarteten Heimkehr nicht zufrieden sey. Ich nahm mir vor, Herrn Philipp von Falkenstein, sobald sich auch nur ein scheinbarer Anlaß dazu fände, auf seiner Burg zu besuchen. Freilich stand die Stadt mit diesen Rittern, die so oft den Frieden ihres Gebiets verletzten und ihr Handelsgut brandschatzten, in beinahe fortwährender Fehde; aber auf ihren Burgen übten sie doch Gastfreiheit und während der Waffenstillstände waren ihnen die Patricier immer willkommen. Dieser Vorsatz scheiterte an der Entwicklung neuer Ereignisse, seine Ausführung mußte dem Rufe der Ehre nachstehen, der uns jungen Rittern gebot, dem Kaiser auf seinem Römerzuge zu folgen. Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus, als ich auf der Anhöhe jenseits des Flusses hielt und meine Blicke hinüberschweiften nach den blauen Bergen, wo ein Felsengipfel das stolze Schloß der Falkensteiner trug, da wurde es mir weich um das Herz und ich mußte mich mit Gewalt von dem bezaubernden Anblicke losreißen! Meinrad befand sich an meiner Seite. Ich hatte kein Geheimnis mehr für ihn: er wußte was ich für Richardis empfand, er vermochte die Schwermuth, die mich ergriff, zu deuten und verstand sie durch freundliches, theilnehmendes Wort aus meiner Seele zu verbannen. Der Handschuh der Kaiserin galt uns als ein gemeinschaftliches Eigenthum. Wir hatten verabredet, daß er im ersten Jahre mir bei feierlichen Gelegenheiten als Helmzierde dienen solle, im zweiten Meinrad und so fort im jährlichen Wechsel. Kaiser Ludwig war mit wenigen Getreuen voraus gen Rom geeilt. Unser Zug ging sehr langsam vorwärts, wir mußten in mancher Stadt Wochen, Monate lang verweilen, um andrer Krieger zu harren, die zu uns stoßen sollten; denn in Welschland stand der Legat des feindseligen Papstes, der von Avignon aus seinen Bannstrahl gegen Ludwig geschleudert hatte, mit ansehnlicher Heeresmacht, um des Kaisers Absichten zu vereiteln. Jenseits der Alpen erreichten wir den Kaiser wieder, der indessen Mailand in Besitz genommen und sich dort mit der eisernen Krone krönen lassen. Wir zogen gen Pisa, ohne daß uns das Heer des Legaten, dem der Papst den Sold vorenthielt, beunruhigt hätte. Pisa war die erste Stadt, die es wagte, dem Kaiser die Thore zu schließen und sich zu widersetzen. Die Belagerung begann, sie dauerte nur wenige Tage, so lagen die Mauern schon von unsern Wurfgeschützen niedergeworfen und durch diese Pforten, die wir uns selbst geöffnet, drangen wir im Sturme ein. Ich gedenke dieses Ereignisses nur, weil Meinrad, der nicht von meiner Seite wich, mich dort gegen den Dolchstoß eines meuchelmörderischen Italieners schützte und mir so das Leben erhielt. Die Stadt war in unsern Händen, nirgends wurde mehr gekämpft und nach dem Siege begab ich mich mit meinem Freunde in eine der vielen Kirchen, um meine Andacht zu verrichten. Meinrad lag knieend an meiner Seite. Ich war tief in Gebet versunken und hatte des Irdischen vergessen. Da klirrte es, wo Helm und Harnisch sich trennen, an meiner Rüstung, als sey ein Stahl dort abgeprallt, zugleich sah ich meinen Freund hastig aufspringen, ich hörte einen schweren Fall und einen wilden Fluch in italienischer Zunge. Als ich um mich blickte, knieete Meinrad auf der Brust eines Welschen, der heftige Verwünschungen gegen ihn ausstieß, und entwand ihm den Dolch, mit dem er mich, wie ich später erfuhr, hinterrücks hatte niederstoßen wollen. Meinrads Blick hatte ihn hinter einer Säule hervorschleichend, wahrgenommen. Wahrscheinlich wollte der welsche Bube erst mich aus dem Wege räumen und gedachte dann mit Meinrad, der zu seiner Bequemlichkeit Helm und Schwerdt abgelegt hatte, leicht fertig zu werden. Aber indem er nach mir ausholte, traf ihn Meinrads Faust so gewaltig in das Angesicht, daß er Blut und Flüche sprudelnd zu Boden stürzte. Mein Freund besaß eine ungewöhnliche Körperstärke, die sein jugendliches Äußere nicht ahnen ließ. Ehe ich ihm zu Hülfe kommen konnte, hatte er den Italiener bereits überwältigt und entwaffnet. Wir wollten das Heiligthum nicht mit dem Blute des Buben besudeln. Wir banden ihm Hände und Füße und schleppten ihn hinaus, wo sich Reisige und Knechte genug fanden, die ihn zu den übrigen Gefangenen brachten. Später wurde er vor den Heerrichter geführt, der ihn hängen ließ. Vor seinem Tode gestand er, daß der Perlenschmuck des Handschuhs, den ich bei dieser Gelegenheit zum erstenmale als Helmzierde trug, seine Beutegier gereizt habe. Ich fühlte mich dem Waffenbruder nun noch inniger verbunden. Wenn ich meine Neigung zu Richardis mit der Freundschaft, die ich gegen ihn im Herzen trug, zusammenstellte, so wußte ich nicht zu entscheiden, welche Empfindung stärker und tiefer sey. Ja, ich glaube, hätte Meinrad mich auf die Probe gestellt, ob ich eher von ihm oder Richardis lassen möchte, ich hätte mich bemüht, die schöne Falkensteinerin zu vergessen, um ihn nur nicht zu verlieren! Neben seinen ritterlichen Tugenden war er reich an andern Vorzügen, die ich nicht besaß: er schlug die Zitter, er sang mit einer Stimme, deren Wohllaut Frauen und Männer bezauberte, die schönen Weisen aus den Zeiten der schwäbischen Kaiser. Die Gunst der Frauen wandte sich allenthalben zu ihm und ich erfreuete mich des Vorzugs, der dem Freunde ward. Der Weg nach Rom stand jetzt offen, das Heer des Cardinal Legaten hatte sich aufgelöst, bei'm Kaiser langten Boten über Boten aus Rom an, die ihn im Namen des Adels und des Volks aufforderten, seinen Zug nach der heiligen Stadt zu beschleunigen.

Meinrad und ich, wir beschlossen uns von dem Heere abzusondern und nun, von einigen Knechten begleitet, die Reise nach unsrer Bequemlichkeit fortzusetzen. Es ist ein schönes Land, das Land Italien! Meine Gefühle sind ruhiger geworden, meine Einbildungskraft ist erkaltet; aber wenn ich der Tage gedenke, die ich dort verlebte, so ergreift sie wieder ein jugendliches Feuer und die Berge mit den Kastanienwäldern, die Hügel mit den Lorbeer- und Myrthengebüschen, mit den Orangen- und Citronenbäumen, die Kapellchen auf schwindelnder Felsenhöhe, die Trümmer aus alt heidnischer Zeit, die auf große Tage zurückwiesen, die Wasserfälle und See'n und über Allem der tiefblaue Himmel, die nie erkaltende Sonne – Salentin! ich sehe Alles wieder, wie damals; ich wandre mit meinem Freunde wieder am Ufer jener Flüsse, durch die Schluchten jener Gebirge. Du lächelst der Jugendträume des bejahrten Mannes! Meinrad pflegte in trüber Vorempfindung zu sagen, jedes zurückgelegte Jahr nach dem dreißigsten sey der Leichenstein irgend eines schönen Gefühls; aber diese Leichensteine liegen nicht fest: sie heben sich vor dem Zauberspruche der Erinnerung und der Geist, den wir begraben wähnten, kommt wieder über uns. Mich durchzuckt er in diesen Augenblicken, Salentin! Ich durchlebe noch einmal, was ich damals durchlebt, ich fühle mich ergriffen von den Freuden jener Zeit, bedroht von den bittern Erfahrungen, die ihr folgten.«

So hatte Salentin seinen Vater noch nie gesehn. Der alte Herr war aufgestanden und sein Antlitz leuchtete in einer wunderbaren Verklärung. Seine Stimme ertönte stark und begeisterungsvoll und, indem er in die eben aufsteigende Sonne blickte, traten Thränen in seine Augen, die vielleicht mehr den lebhaft erwachenden Gefühlen, als dem Glanze der Tageskönigin zugeschrieben werden konnten. Und dennoch umschwebte eine milde Heiterkeit seine Stirn, dennoch zeigte sich ein Lächeln auf seinen Lippen, eine höhere Röthe auf seiner Wange. Seine Gestalt schien höher, Alles an ihm jugendlicher geworden zu seyn.

»Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus!« fuhr er fort. »Es war eine schöne Zeit. Der Sieg erhob, die Freundschaft beglückte, die Hoffnung belebte uns. Auf den Schlössern der italienischen Grafen wurden wir freudig empfangen, denn Alles fiel dem Kaiser zu, der gekommen, dem verhaßten, fern in Avignon lebenden Papste einen andern entgegenzustellen, der in der Stadt Sanct Peters seinen festen Sitz aufschlagen sollte. So langten wir eines Abends vor einer einsam im Gebirg gelegenen Burg an. Wir sahen die Fenster erleuchtet, wir vernahmen laute verwirrte Stimmen, Gelächter und Becherklang aus dem Innern. ›Da harrt unsrer ein fröhlicher Abend nach einer beschwerlichen Tagfahrt;‹ sagte Meinrad, während die Knechte an das verschlossene Thor pochten und bei dem Schloßwart Einlaß begehrten. ›Scherz und Becherklang, vielleicht auch schöne Frauen, muthwillige Minne und heitrer Tanz!‹ Erst nach langem Hin- und Herreden erhielten wir Einlaß. Im Hofe warfen einige Fackeln, die an den Wänden brannten, ein düstres Licht auf angehäufte Waffen, aufgezäumte Pferde und einige finstre Gestalten, die hier Wache zu halten schienen. Sie erwiederten unsern Gruß nur mürrisch und einsilbig. Indem wir von den Pferden stiegen, vernahmen wir aus einem Winkel ein ängstliches Geschrei. Ein händeringendes, bleiches Weib erschien hier in einer Thür und schien auf uns losstürzen zu wollen, einer der Wächter aber stieß sie mit einem Fluche zurück und gebot ihr zu schweigen. Meinrad warf mir einen bedeutenden Blick zu. Dann sagte er auf Deutsch: ›Hier müssen Aug' und Schwerdt wachen. Ich ahne, daß wir in ein Nest des Teufels gekommen sind, wo es keinen bessern Beistand gibt, als Vorsicht und eine gute Klinge.‹ Unsern Leuten geboten wir mit wenigen Worten, ebensowohl auf ihrer Hut und in jedem Augenblicke eines Zeichens zum Aufbruche von uns gewärtig zu seyn. Der Herr der Burg empfing uns auf der Schwelle der innern Pforte. Sein Äusseres, so wie sein Betragen waren nicht geeignet, unsern Verdacht zu entfernen. Unter dem rothen, struppigen Haupthaare grinste ein breites, verzerrtes Angesicht hervor, das der Übergenuß des Wein mit dunkler Gluth zu erfüllen schien, die weitüberhängenden Augenbraunen ließen nur so viel von den kleinen blitzenden Augen wahrnehmen, um List und Bosheit in ihnen zu erkennen. Seine Gestalt war niedrig und untersetzt. Seine Kleidung, wenn auch von reichem Stoffe, zeigte Spuren von Nachlässigkeit und Unachtsamkeit, die bei einem Manne seines Standes befremden mußten. Sein erstes Bewillkommungswort war ein Fluch. Dann setzte er mit einem widrigen Lachen hinzu: wir seyen gern gesehene Gäste, wenn wir bei der Weinkanne aushielten bis auf den letzten Mann, wenn wir den Scherz nicht nach Lothen, sondern nach Centnern abwögen, wenn wir die ganze Welt als ein Gut ansähen, an dem jeder von Rechtswegen Theil hätte. Er führte uns in eine weite Halle, die der Schauplatz eines Gastgelags war, bei dem weder Mäßigkeit noch Sitte geherrscht haben mochte. Ein halbes Dutzend wüster Gesellen, in Kleidung und Betragen unserm Wirthe ähnlich, saß um einen Tisch, der mit Speisen und Weinkrügen überfüllt war. Einige andre, die bereits der Macht des Weines unterlegen, hatten in einem Winkel des Gemaches am Boden ihren Ruheplatz gesucht. Sie befanden sich in einem Zustande, der sie völlig ihres Bewußtseyns beraubte und jeder weitern Theilnahme an den Freuden der Tafel unfähig machte. Unser Eintritt erregte eine augenblickliche Störung in dem wilden Treiben derjenigen, die sich noch aufrecht zu erhalten vermochten. Ihr wüster Lärm verstummte, sie betrachteten uns mit zweifelhaften fragenden Blicken. Einige von ihnen legten selbst die Hand an die Dolch, womit alle bewaffnet waren und sahen sich nach ihren Schwerdtern um, die hinter ihren Sitzen an die Wand gelehnt standen. Als aber der Wirth vom Hause uns in seiner rohen Weise als ein Paar Genossen vorstellte, die den Speisen, dem Wein und auch der herrschenden Lustigkeit alle Ehre machen würden, riefen sie uns ein stürmisches Willkommen zu und überließen sich dann wieder ganz ihrer vorigen Ungebundenheit. Sie sprachen Italienisch, aber in einer Mundart, die uns fremd klang und uns nur einzelne Worte verständlich werden ließ. Wahrscheinlich mochte es die Redeweise der Bergbewohner seyn, die sich in Sitte und Sprache vielfach von dem Landvolke in der Ebene unterschieden. Nur unser Wirth unterhielt sich in einem reinen Italienisch mit uns, das er aber, sobald er sein Wort an die übrigen Genossen des Gelags richtete, in jene abweichende Mundart verwandelte. Wir waren durch eine angestrengte Tagereise erschöpft, wir ließen uns Speise und Trank wohl behagen. Ein einzelner Diener wartete in der Halle auf, ein seltsamer, sehr beweglicher Mensch mit der Schellenkappe und der bunten Jacke. Er schien des Marchese, wie er den Herrn vom Hause nannte, lustiger Rath zu seyn. Indem er sich unaufhörlich mit uns beschäftigte, war er bemüht, seinen Gebieter durch allerlei Scherze, die er in gebrochener italienischer Rede vorbrachte, zu erheitern. ›Es ist ein Grieche, der durch Schiffbruch an die Küste gekommen und sich dann in unsre Gebirge verirrt hat;‹ sagte der Marchese: ›ein armer Hund, den ich füttre, weil er mich durch sein Bellen ergötzt. Er möchte gern bellen, wie die Hunde unsres Landes, aber seine Zunge ist nicht dazu gemacht. Frisch, Felician, bell' mir und meinen Gästen eins vor.‹ Der Mann brach in der That jetzt in ein Geheul aus, das den kläglichen Tönen eines gequälten Hundes ganz ähnlich war. Die wüste Genossenschaft zollte diesem rohen Scherze jubelnden Beifall. Der arme Mensch mußte ihn wiederholen und so lange fortsetzen, bis ihm die Töne in der heisern Gurgel erstarben. Da belebte ihn der Marchese und reichte ihm einen Becher Wein hin, den er begierig leerte. Meinrad und ich konnten in unsern Gebehrden den Unwillen nicht verhehlen, den diese hündische Dienstbarkeit in uns erregte; der Narr aber sah uns so wehmüthig und klagend an, daß wir ahnten, nur ein Zwang, den er selbst verabscheue, könne ihn zu dieser eines Menschen unwürdigen Handlungsweise bewegen. Er war bald wieder in unsrer Nähe und suchte sich uns gefällig zu erweisen. In Allem was er, während die Aufmerksamkeit des Herrn und der Gäste sich andern Gegenständen zuwandte, that, lag eine fast allzugroße, aber doch gutmüthige Freundlichkeit. Oft schien es mir, als schwebe ein Wort auf seinen Lippen, das er uns gern im Geheim zuraunen möchte, dann aber fiel sein Auge mit ängstlichem Ausdruck auf den Marchese und mit Gewalt schien er den Drang zu einer traulichen Eröffnung zu unterdrücken. Der Lärm des Gelages wurde bald so stürmisch, das wir uns sehr unbehaglich fühlten. Wir wünschten Ruhe und durften doch kaum hoffen, sie eher zu erlangen, als bis die Macht des Weins sich dem Herrn vom Hause und seiner Zechgenossen so empfindlich machte, daß sich jeder fernere Genuß der Tafelfreude von selbst verbot. Der Marchese brachte uns die Weinkanne fleißig zu, aber wir, des stärkern deutschen Weines gewohnt, hielten wacker aus und bewahrten unsern Gleichmuth, während einige der welschen Gesellen trunken und besinnungslos zu den übrigen, die schon am Boden lagen, taumelten, und ebenfalls hier in tiefen Schlaf versanken. Jetzt waren der Fremdlinge mit dem Wirthe noch fünf, die sich aufrecht erhielten. Meinrad und ich bewahrten ein vorsichtiges Schweigen, aber wir waren um so achtsamer auf das Gespräch der Welschen, das sich mehr und mehr erhitzte und aus dem wir so viel zu verstehen glaubten, daß man sich über eine Beute stritt, von welcher der Wirth sich einen ungebührlich großen Antheil zugeeignet. Der Grieche schlich immer lauernd und geschäftig um uns her. Da sprangen plötzlich die drei welschen Genossen des Marchese auf, stürzten auf diesen hin, ergriffen ihn und zuckten die Dolche nach seiner Brust. Wir im Augenblicke mit blanken Schwerdtern dazwischen! Die Italiener prallten zurück und maßen uns mit drohenden Blicken. Beim Haupte des heiligen Bartholomäus, ich glaubte damals nicht anders, als es ginge an einen blutigen Tanz in dem unheimlichen Schlosse! Der Wirth vom Hause schlug aber plötzlich ein lautes Gelächter auf, richtete an jene Wüthenden einige uns unverständliche rasche Worte und sagte dann, während jene sich, wie es uns schien, unwillig auf ihre Plätze zurückbegaben, in einem spöttischen Tone zu uns: ›so ist es uns doch gelungen, Euch deutsche Bären aus Euerm ewigen Winterschlafe aufzurütteln! Habt Ihr denn nicht bemerkt, daß wir nur scherzten, daß Alles eine abgeredete Sache war? Nehmt die Becher statt der Schwerdter zur Hand: es lebe die Eintracht! Gelt, Ihr Freunde,‹ wandte er sich zu den übrigen, ›das ist ein Trinkspruch, der uns allen von Herzen geht?‹ Der Widerwille und Zwang, womit jene Bescheid thaten, war unverkennbar. Wir begnügten uns, dem Marchese durch vermehrten Ernst darzulegen, daß ein solches Spiel seiner und unsrer unwürdig sey. Er schien die Erinnerung daran aus seinem Gedächtnisse verwischen zu wollen, indem er dem Narren zurief: ›singe uns ein griechisches Liedchen, Felician! Wir verstehn zwar so viel davon, als der schwarze Fürst der Hölle von den Gesängen der himmlischen Englein verstehen mag, allein es lautet doch hübsch und unsern fremden Gästen kann es gleich gelten, ob sie dein Griechisch oder das unverständliche Gespräch meiner Freunde vernehmen.‹ Der Narr schien in Verlegenheit und zögerte. Ein zweiter Befehl des Marchese aber, mit zorniger Stimme und drohenden Blicken ausgesprochen, öffnete ihm sogleich den Mund. Heiliger Georg! was der arme Bursch da zu singen begann, war weder Griechisch, noch Latein, sondern gutes Deutsch und lautete folgendermaßen:

Verrath nicht treff' den armen Knecht,
Den da hält Zwanges harte Noth,
Ihr seht, daß er als Griech ist schlecht,
Ein Deutscher aber ist er ächt:
Verrath nicht treff' den armen Knecht,
Euch wär's nicht Heil, ihm wär es Tod!

Verwünscht ist dieses Schlosses Bann,
Der Ungeheu'r und Drachen Haus,
Ein deutsches Weib, ein deutscher Mann,
Sie liegen, von Ketten schwer umfahn,
In des verwünschten Schlosses Bann,
Mich führte Treu in dieses Haus.

Nach Mitternacht, dann harret mein!
Ich will in Hoffnung leben fort,
Daß Ihr mich laßt in's Kämmerlein.
Ich will ein getreulicher Bote seyn
Und spricht es durch 'nen Spalt hinein;
So ist's der Heimath freundlich Wort.

Der listige Geck sang dieses Lied, das uns seine Noth und die Gefangenschaft unglücklicher Landsleute offenbarte, mit so seltsamen, possenhaften und unpassenden Gebehrden, daß der Herr des Schlosses in ein unmäßiges Gelächter ausbrach, das noch lange nach dem Schlusse des Gesanges anhielt. Er warf dem Sänger ein Stück Geld zu und rief nach uns gewandt: ›Habe ich nicht einen guten Fund gethan an diesem Burschen? Ich rettete ihn vor den Bolzen meiner Knechte, die ihn, als er die Burg umschlich, für einen Späher hielten und die Spionenseele zu allen Teufeln schicken wollten. Er war aber, wie ich Euch schon gesagt, ein armer Schiffbrüchiger aus Griechenland, der ein Obdach suchte.‹ Wir wußten das freilich besser als unser Wirth. Jenes Lied, das ich mir später habe so oft vorsagen lassen, daß es endlich für immer in meinem Gedächtnisse wurzelte, hatte uns ein Geheimniß entdeckt, vor dem alles Verlangen nach Ruhe aus unsrer Seele wich. Deutsche wurden in diesem Schlosse gefangen gehalten, gewiß Unglückliche, die man listig in die Falle gelockt oder mit übermächtiger Gewalt hierher geschleppt! Meinrad und ich brauchten einander nur einen Blick zuzuwerfen, um uns über unsern Entschluß zu verständigen. Hier galt es ein ritterliches Werk, hier geboten deutsche Treue und Ehre! Schon unter dem Gesange des sogenannten Griechen waren die Freunde des Marchese aufgestanden und hatten sich taumelnd zu den frühern Mitgenossen des Banketts, deren Sinne bereits ein tiefer Schlaf gefesselt hielt, gelagert. ›Es ist still geworden in der Halle und auch Ihr werdet der Ruhe bedürfen;‹ sagte jetzt der Hausherr, indem er eine Fackel von der Wand riß, um uns vorzuleuchten. ›Ihr müßt, wenn Euch die Bewirthung nicht gefallen, mit dem guten Willen zufrieden seyn. In diesen kriegerischen Zeiten geht's allenthalben wild her im Lande Italien: in der Kirche, wie auf dem Lande, bei'm kargen Mahle des Landmanns wie bei'm Gelage des Ritters!‹ Obgleich der Marchese der Gewalt des geistigen Getränkes besser widerstanden hatte, als seine Gefährten, so zeigte sich doch, während er uns zu unserm Ruhegemach führte, seine Haltung unsicher und sein Schritt schwankend. Das Zimmer, welches wir betraten, war klein, aber mit allen Bequemlichkeiten versehen. Der Wirth sah mit wohlgefälligen Blicken umher und sagte auch abschiednehmend: ›Hier wohnte einst Signora Bianca, mein Ehegemahl, und seitdem sie, weil es ihr ein wenig zu laut herging in meinem Schlosse, dieses heimlich verlassen, ist nichts hier verändert worden. In jenem Winkel steht noch ihr Webstuhl, dort ihre Spindel! Bei der Verdammniß eines ruhigen Lebens! Sie war ein schönes Weib, aber sie hätte eher zu einer Nonne getaugt, als zu dem Weibe eines Ritters im appeninischen Gebirge. Wer weiß, in welchem Kloster sie jetzt für meine arme Seele betet. Gute Nacht, ihr Fremdlinge! Sollte Euch Bianca's Geist erscheinen, so erzählt mir's morgen in der Frühe. Ich wäre dann doch gewiß, daß sie gestorben wäre, ich wäre einer großen Unruhe los; denn nach den Todten sehnt man sich nicht mehr.‹ Es lag eine Bitterkeit in diesen Worten, die von einem zerrissenen Gemüthe, von einem Schmerze zeugte, der an dem Innern des wüsten Mannes nagte. Gleich drauf aber schlug er ein wildes Gelächter auf und rief: ›ein entlaufenes Weib ist nicht besser, als ein todtes. Verdammt sey das ganze Geschlecht!‹ Als er uns verlassen hatte, tauschten wir unsre Bemerkungen über alles Seltsame, was uns in diesem Schlosse begegnet war, aus. Wir kamen dahin überein, daß wir in eine Räuberhöhle oder doch in die Wohnung eines Mannes gerathen seyen, der, wie viele Edelleute in dem Gebirge, welches die heilige Stadt umgibt, einen Tribut von den schutzlos Reisenden erhob und die Dorfbewohner der Umgegend nach Belieben brandschatzte. Die deutschen Gefangenen, von denen jenes Lied gesprochen, mochten von der Heerstraße entführt worden seyn und waren vielleicht außer Stande, das verlangte Lösegeld zu bezahlen. Wir beschlossen, die Burg in keinem Falle ohne sie zu verlassen. Wir erwarteten ungeduldig die versprochenen weitern Entdeckungen des Narren, um unsre Maßregeln darnach zu nehmen. Meinrad war an das Fenster getreten und sah in den Hof hinab. ›Gegen uns wenigstens scheint man keine feindlichen Absichten zu hegen,‹ sprach er: ›sonst würde man nicht dulden, daß unsre Knechte wach und gerüstet bleiben, wie ich sie noch sehe, man würde die Gastfreiheit nicht so weit treiben, sie unter freiem Himmel mit Speise und Trank zu bewirthen. Ohne Zweifel dünkt dem Meister dieser Genossenschaft unsre Anzahl zu beträchtlich oder er fürchtet die Rache unsrer Krieger, die jetzt das ganze Land durchstreifen!‹ Es währte nicht lange, so vernahmen wir ein leises Klopfen an unsrer Thüre und eine flüsternde Stimme: ›Gruß und Freundeswort aus der deutschen Heimath!‹ Wir öffneten und der seltsame Gesell, der den Griechen und Narren im Schlosse spielte, trat ein. Mit dem wunderlichen Lächeln, das ihm zur Gewohnheit geworden schien, bestätigte er auf unser Befragen alle Vermuthungen, die den Marchese und seine Freunde betrafen. ›Man lebt und zehrt hier nur von fremdem Gut, man schwelgt und praßt auf andrer Leute Unkosten;‹ sagte er. ›In den untern Hallen des Schlosses steckt Alles voll von Weibern und Kindern, die in der Abwesenheit der männlichen Beschützer aus der Umgegend herbeigetrieben worden sind. Nun bleiben sie bei knapper Kost so lange eingesperrt, bis die Männer und Väter sie mit Lebensmitteln auslösen. So wird's hier Jahr ein, Jahr aus gehalten und Herr und Knecht sind darauf abgerichtet. Mir blutet oft das Herz im Leibe unter der bunten Jacke, aber ich darf es nicht laut werden lassen und mich hat überhaupt eine geheime Absicht hierher geführt, in der ich auf Eure Hülfe, auf Eure Ritterlichkeit zähle.‹ Er berichtete nun, daß die deutschen Gefangenen in den Kellergewölben des Schlosses ein Edelherr und seine Tochter seyen, die ein Gelübde nach der heiligen Stadt geführt. Er selbst gehöre zu den Leibeigenen des Edelherrn und habe ihn und die Tochter, die er ein Wunder von Schönheit nannte, als einziger Diener gen Rom begleitet. Das Ziel war erreicht, das Gelübde nach Wunsch gelös't worden. Indem sie aber auf der Rückreise begriffen, verspäteten sie sich eines Abends in einer einsamen Gegend, stießen hier auf den Marchese und seine Leute und wurden von diesen als eine Beute, von der man sich ein gutes Lösegeld versprach, nach dem Schlosse im Gebirge geschleppt. Dem Diener war es, als man sich schon in der Nähe des Schlosses befand, gelungen zu entwischen. Er durfte hoffen, daß man ihn nur wenig beachtet, daß seine Gesichtszüge in der Dunkelheit nicht genau genug aufgefaßt worden seyen, um ihn eine Wiedererkennung fürchten zu lassen. Um jeden Preiß wollte der treue Knecht versuchen, zu den Gefangenen zu gelangen, ihr Loos zu erleichtern, vielleicht ihre Befreiung zu bewerkstelligen. Unter der Larve eines schiffbrüchigen Griechen, eines Possenreißers, den der Marchese zu der Stelle seines lustigen Raths erhob, glückte ihm sein kühnes Unternehmen. Er schlich einst dem Marchese, der seinen Gefangenen selbst Speise und Trank brachte, nach. Da vernahm er, verborgen hinter der Kerkerthüre, daß der Herr des Schlosses den deutschen Edelherrn nur dann frei geben wolle, wenn er die schöne Tochter als Unterpfand einer ungeheuern Lösungssumme zurücklasse. Mit Abscheu wurde dieser Antrag verworfen. Der Marchese höhnte der unglücklichen Gefangenen und meinte, es werde schon eine Zeit kommen, wo die Deutsche sich von selbst erböte, eine Zeitlang die Hausfrau auf seinem Schlosse vorzustellen. In dieser Erwartung aber hatte er sich getäuscht. Mit dem Widerstande wuchs die Leidenschaft, die ihn ergriffen hatte, aber auch die Härte, mit der er die Gefangenen behandelte. Ihre Nahrung wurde die niedrigste und dem aufmerksamen Diener blieb es nicht verborgen, daß man beide in einen weit strengern Gewahrsam brachte, als der frühere gewesen. Salentin, es drängt mich, diese Geschichte zu Ende zu bringen, zu dem Punkte zu gelangen, wo uns die unerwarteteste Begegnung überraschte. Wir willigten in den Vorschlag, den uns Felician, des Edelherrn verkappter Diener, zur Befreiung der Unglücklichen machte, wir wollten versuchen, ob wir, unbemerkt von dem Marchese und seinen Genossen, dieses Unternehmen ausführen könnten. Felician hatte sich mit einer Blendlaterne versehn. Er führte uns zum Gemache des Schloßherrn. Die Thüre stand offen, wir sahen ihn auf seinem Ruhebette im tiefen Schlafe liegen. Auf einen Wink des Dieners harrten wir im äußern Gange, bereit uns des etwa Erwachenden zu bemächtigen. Aber die Gewalt der berauschenden Getränke hielt ihn so fest in ihren Banden, daß Felician ohne Störung und Hinderniß das Bund mit den Schlüsseln zu den Kerkergewölben von seinem Gürtel nehmen konnte. Unser Weg brachte uns nun durch viele enge und niedrige Gänge, über entlegene Wendeltreppen hinab in die untern Räume des Hauses. Hier war Alles still, wir schienen weit entfernt von dem Aufenthalte der Hausdienerschaft. Felician öffnete eine Fallthüre, die verborgen unter einer Windung der Treppe lag. Moderduft stieg uns entgegen. Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus, wir glaubten in ein Grab hinabzusteigen! Bald standen wir in einem kleinen Raume, vor einer starken eisernen Gitterthüre. ›Dieses ist ihr Kerker;‹ sagte in großer Bewegung Felician. ›Sie ahnen nicht die Freiheit, die ihnen der nächste Augenblick bringt.‹

Nach kurzem Suchen fand er den Schlüssel, der die Thüre öffnete. Wir traten ein. Salentin, die Erinnerung jenes Augenblickes schlägt stürmisch an mein Herz! Zwei Gestalten erhoben sich von ihren Strohlagern. Sie starrten uns an, als wären wir Traumbilder, und ich, heiliger Gott! meine Sinne schwindelten: bei'm Dämmerscheine der Leuchte erkannte ich in der einen Richardis von Falkenstein.«

Die Gewalt der Erinnerung, die bei der Erzählung dieses wunderbaren Zusammentreffens den Herrn vom Rhein ergriff, machte ihn verstummen. Er saß mit beiden Händen auf die Kniee gestützt, den Kopf weit vorgebogen, die Augen starr auf eine Stelle geheftet, als wiederhole sich vor ihm das Ereigniß jener Stunde. Salentin fühlte sich in einer seltsamen Lage. Er sah den Vater, den er nur mit kindlicher Liebe und Ehrfurcht zu betrachten gewohnt gewesen, jetzt in einem Verhältnisse, das ihm denselben jugendlicher gegenüber, fast wie einen Freund zur Seite stellte. Es dünkte ihn, das, was eben erzählt werde, sey eine Begebenheit der Gegenwart, bei der er rathen, helfen müsse; dann aber mahnten ihn die grauen Haare auf dem Haupte des bejahrten Mannes, die Täuschungen einer lebhaften Einbildungskraft zu berichtigen, dann erkannte er, daß dieses graue Haupt sich längst kräftig aus den Stürmen jener Zeit erhoben habe. Die Lebhaftigkeit, womit der Vater erzählte, hatte ihn hingerissen. Er war mit ihm bei dem Gelage des Marchese gewesen, mit ihm durch die Gänge des unheimlichen Schlosses geschritten und nun stand er, von denselben Gefühlen, wie der Vater bewegt vor der Gefangenen, in der jener die Geliebte erkannte.

»Sie war es!« fuhr nach einer Pause Herr Hanns vom Rhein fort. »Ebenso schön, wie damals, als ich sie zuerst auf dem festlich geschmückten Balcon neben der Kaiserin Margaretha erblickte, nur bleicher, aber das Auge noch ebenso stolz und feurig. Das Wunderbare dieser Begebenheit, die plötzliche Erfüllung eines Wunsches, der fort und fort an meinem Herzen genagt, wirkten so gewaltig auf mich, daß ich nahe daran war, vor der Gefangenen niederzuknieen und sie wie eine Heilige zu verehren. Aber der treue Diener, der indessen mit den Schlüsseln, welche sich in seiner Hand befanden, die Ketten des Herrn von Falkenstein gelöst, trat nun auch zu der Tochter, um ihr denselben Dienst zu erweisen. Wenige Worte, die Meinrad mit dem Vater wechselte, reichten hin, das Nöthigste zu erörtern. Ich stand noch immer, wie von einem süßen Traume befangen. Ich vernahm wenig von dem, was um mich vorging, ich weiß nur, daß ich so glücklich war, Richardis aus dem Kerker zu führen, daß ein Druck ihrer Hand mein ganzes Wesen, wie ein Blitzstrahl durchzuckte. Lache nicht über den Bejahrten, mein Sohn, dessen Brust bei solchen Erinnerungen wieder von jugendlicher Gluth belebt wird! In dem Leben eines jeden Menschen gibt es Augenblicke, die für ihn fortdauern, ob auch alles Andre ringsum in Staub zerfällt. Sind wir unsterblich, wie unsre Religion es lehrt, so sind es auch diese Augenblicke. Felician, der treue Diener, der sich den größten Theil an dem Werke der Befreiung zuschreiben durfte, äußerte, indem er uns wiederum zum Führer diente, seine Freude nur durch ein fortwährendes halblautes Lachen. Bald befanden wir uns wieder in den obern Gängen, vor der Thüre des Gemaches, in welchem der Marchese schlief. Die Thüre stand noch offen, er war nicht erwacht, er lag noch in derselben Stellung, wie wir ihn verlassen hatten. Da regte sich der Zorn über seine Frevelthat an Richardis und ihren Vater in meiner Seele. ›Sollen wir dieses Räubernest verlassen, ohne das Verbrechen dieses Buben bestraft zu haben?‹ sprach ich, indem meine Hand unwillkührlich nach dem Schwerdte griff. Felician sah mich ängstlich an; Meinrad legte seine Rechte beruhigend auf meinen Arm und versetzte: ›Er hat uns gastfreundlich aufgenommen. Wir wollen die Waffen nicht gegen ihn erheben, wenn er uns nicht dazu zwingt. Aber auch nicht wie Diebe, die sich heimlich und in der Stille der Nacht mit einem gestohlenen Gute entfernen, wollen wir verfahren. Laßt uns eintreten! Er mag selbst über das Weitre entscheiden!‹ Wir standen vor dem Bette des Schlafenden, auf das er sich im Weintaumel angekleidet hingestreckt hatte. Meinrad erweckte ihn. Er fuhr auf und sah uns mit wilden, halb bewußtlosen Blicken an. ›Ihr seyd ein ehrloser Räuber,‹ sprach Meinrad, ›der unbewaffnete Pilger überfallen und sie gegen Recht und Sitte im Kerker festgehalten. Willigt Ihr ein, daß sie frei mit uns abziehn oder wollt Ihr mit uns kämpfen um ihre Freiheit?‹ Der Marchese fuhr auf. Ein Blitzstrahl seines tückischen Auges traf Richardis. Aber mochte sein Muth durch die Folgen der Trunkenheit gelähmt seyn, mochte er einsehn, daß der Ausgang eines Streites mit uns zweifelhaft sey: er sank auf sein Lager zurück, indem er mit erstickter Wuth brüllte: ›Glückliche Reise zur Hölle, aus der Ihr ohne Zweifel gekommen seyd! Ich wär' ein Thor, wollt ich um ein Weib mein Leben wagen. Nehmt mit was Euch gefällt; nur den Griechen laßt mir hier, daß mich das Bellen des Hundes noch ferner ergötze!‹ Diese letzten Worte verhallten dumpf und kaum hatte er sie gesprochen, so bemächtigte sich auch seiner wieder ein tiefer Schlaf. Felician drängte sich ängstlich vor, um zuerst die Treppe, die in den Hof führte, hinabzukommen. Hier fanden wir unsre Leute munter und zum Aufbruche fertig. Von den Knechten des Hauses war nur einer wachgeblieben; die übrigen hatten sich, dem Beispiele der Herrn folgend, berauscht und lagen bewußtlos und unfähig zu jedem Widerstande am Boden. Jener Eine wurde sogleich festgenommen und mit dem Tode bedroht, wenn er Lärm machte. Ebenso zwangen wir den Thorwart, die Pforten zu öffnen. Als wir das Raubschloß verließen, bildeten wir einen langen Zug; denn die Weiber und Kinder der Landleute, von Felician befreit, hatten sich zu uns gesellt und wollten unsres Schutzes bis in die Ebene genießen, wo sie sicher wieder in ihre Heimath zurückkehren konnten. Richardis hatte ihr Pferd, das wir in den Ställen des Schlosses fanden, bestiegen und ritt an meiner Seite; Philipp von Falkenstein und Meinrad eröffneten den Zug. Ich mußte über die Heiterkeit erstaunen, mit der meine schöne Begleiterin ihrer Unfälle gedachte. Sie lachte und scherzte über die Bewerbungen des Marchese, sie schien das gefährliche Unternehmen des treuen Dieners Felician nicht mit dem Danke, den es verdiente, anzuerkennen; aber um so mehr ergötzte sie mein Bericht über das Verhältniß, worin Felician bei dem Marchese gestanden, über seinen Dienst als Hausnarr, über jenes deutsche Lied, das die Welschen im guten Glauben für Griechisch genommen. Ich fühlte mich zu glücklich in ihrer Nähe, ich war von Liebe und Hoffnung zu verblendet, um den großen Leichtsinn zu erkennen, der sich schon damals in dem Wesen der schönen Falkensteinerin offenbarte. Sie entdeckte mir auch, daß sie um eines Gelübdes ihrer verstorbenen Mutter willen mit dem Vater gen Rom gewallfahrtet sey. Diese hatte in einer schweren Krankheit gelobt, Richardis dem Himmel zu widmen, wenn sie genese. Die Genesung war erfolgt und erst nach einer Reihe von Jahren hatte sie dann das Zeitliche gesegnet. Richardis aber fühlte, als sie zur Jungfrau emporgeblüht, durchaus keine Neigung zu dem engen Zwange des Klosterlebens. Es gelang ihr den Vater zu bewegen, mit ihr zu der heiligen Stadt zu pilgern, um dort Entbindung von der Lösung jenes Gelübdes zu erhalten. Vom Hoflager Kaiser Ludwigs zu Frankfurt waren sie damals aufgebrochen, nur von dem Leibeigenen Felician, den Herr Philipp im Lesen und Schreiben unterrichten lassen, um ihn als Schreiber zu gebrauchen, begleitet. Sie hatten Welschland früher, als Kaiser Ludwig, erreicht, sie fanden den päpstlichen Legaten noch in Rom und erhielten durch mächtige Fürsprache und bedeutende Opfer an Geld die gewünschte Dispensation. Auf der Heimkehr waren sie, wie uns bereits Felician berichtet, von dem Marchese und seinem Raubgesindel überfallen worden.

Mit dem ersten Frührothe des Morgens gelangten wir in die Ebene. Hier entließen wir die Weiber und Kinder, die nun unsres Schutzes nicht mehr bedurften. Felician hatte schon unterwegs seine auffallende Narrenkleidung mit einem einfachen Waffenrocke vertauscht. Nach einer kurzen Berathung zwischen dem Herrn von Falkenstein und seiner Tochter erklärte dieser, beide wollten uns nach Rom zurückbegleiten, um dann, wenn wir dort, wie es in unsrer Absicht lag, bei'm Kaiser vorgesprochen und unsre Gegenwart in der heiligen Stadt nicht mehr nöthig sey, in unsrer Begleitung die Heimkehr anzutreten. Du kannst dir denken, mein Sohn, daß dieser Entschluß meinen heißesten Wünschen entsprach. Es waren glückliche Stunden, in denen ich neben Richardis durch das schöne, vom Himmel gesegnete Land zog. Die Pilgerkleidung, welche sie beibehalten, gab ihr einen wunderbaren Reiz und selbst der Eigenwille, die Herrschsucht, die sich oft in ihrem Betragen aussprach, dünkte mich nur die Äußerung eines hohen, seiner Würde sich bewußten Gemüths. Wir sprachen von Kaiser Ludwigs Hofe, von dem Tage, wo ich sie zuerst gesehn, von unsrer Heimath, von Schloß Falkenstein, in dessen Nähe mich oft die Jagd geführt, von beiderseitigen Freunden, die wir daheim besaßen. Wir blieben fast immer ungestört, denn Herr Philipp, der eines sehr unruhigen Gemüthes war, eilte immer voraus und Meinrad hielt sich mit Felician stets in einiger Entfernung. Beide schienen großes Wohlgefallen an einander zu finden. Felician wußte viele Lieder von den Minnesängern und von dem berühmten Meister Heinrich in Mainz, die Meinrad noch nicht kannte und oft wurde unsre Fahrt durch einen Gesang, den einer oder der andre anstimmte, erheitert. Seltsam dünkte es mich, daß Meinrad, wenn er sich einmal der schönen Falkensteinerin näherte, sie kaum eines Blickes würdigte und in seinem Benehmen nichts von der feinen Sitte und Anmuth zeigte, die er sonst edlen Frauen gegenüber darlegte. Das Wort schien ihm im Munde zu ersterben, er that so fremd und kalt, daß ich mir vornahm, ihn bei der ersten Gelegenheit darüber zu bereden; allein als wir in Rom anlangten, nahm meine Bewerbung um Richardis meine ganze Zeit ein und ich verlor meinen Freund, der mit Felician, welchem Herr Philipp zum Lohne seiner Treue die Freiheit geschenkt hatte, herumschwärmte, fast ganz aus den Augen. Richardis schien über Meinrads Abwesenheit mehr beunruhigt, als ich. Sie fragte oft nach ihm und machte ihm, wenn er einmal erschien, in einer scherzhaften und neckenden Weise Vorwürfe über sein Betragen. Er aber änderte es nicht, sondern zeigte sich vielmehr noch zurückhaltender, als bisher. Während wir uns in Rom befanden, war Ludwig der Baier, der Gold mit vollen Händen austheilte, der Abgott des römischen Volks geworden. Er und seine Gemalin wurden mit der glänzendsten Pracht im Dome Sanct Peters gekrönt. Meinrad und ich befanden uns unter seinem Gefolge. Der Herr von Falkenstein und seine schöne Tochter wünschten unbekannt zu bleiben und hatten deshalb ihre Pilgertracht nicht abgelegt. Gegen den Abend dieses glorreichen Tages beschlossen Richardis und ich die Trümmer des Colossäum's zu ersteigen, um von dort herab das Schauspiel des bewegten, durch alle Straßen jubelnden Volkes zu genießen. Wir standen auf diesem Riesendenkmale einer untergegangenen Weltgröße, das Capitol, das Pantheon, die Engelsburg glänzten im Rosenlichte der niedersinkenden Sonne, unter unsern Füßen trieb sich ein freudetrunkenes Volk in wilder Verwirrung über Plätze und durch Straßen, aber kein Laut dieser fröhlichen Menge drang zu uns herauf und die Menschen schienen, von dieser Höhe betrachtet, ein Ameisenheer, das sich in stummer unaufhörlicher Geschäftigkeit durch einander treibt. Richardis war noch nie an dieser Stelle gewesen. Wir hatten über halbverschüttete Treppen, an gefährlichen Spalten im Fußboden, an schwindelnden Tiefen hin den höchsten Punkt des Gebäudes erklettert. Sie fragte nach Allem, was ihrem Auge begegnete, ich mußte, so unvollkommen ich es vermochte, ihr jede merkwürdige Stelle der heiligen Stadt, ihrer Umgebung und des fernen Gebirges erklären. Sie hatte heute jenen Stolz, jenes gebietrische Wesen, das sie so oft zeigte, ganz abgelegt. Sie war ein liebenswerthes, holdes Kind, schalkhaft und neugierig, immer freundlich und eine Zauberin in dieser Freundlichkeit. Salentin, mein Herz hob sich, die Liebe drängte in ihm und ich fühlte, daß nun die Stunde des Geständnisses gekommen sey, der Entscheidung über das, was mir damals das Glück meines Lebens schien! Da erbebte mit einemmale der Riesenbau unter unsern Füßen, im stürmischen, schwirrenden Laute schlugen die Glocken von Sanct Peter und den übrigen Kirchen zusammen, das Volk in den Straßen und auf den Plätzen floh aus einander, ein allgemeiner Schrei aus der Tiefe drang selbst bis zu uns herauf, im Innern des Gebäudes entstand ein Getöse, das den Einsturz von Treppen und Mauern verrieth – Salentin! ein Erdbeben – ein in Italien nicht ungewöhnliches Ereigniß brach plötzlich mit seinen Schrecken in diese Augenblicke der süßesten Freude ein! Richardis erbleichte und ergriff meinen Arm. Der Schreck schien ihre Zunge gelähmt zu haben und ehe ich zu reden vermochte, wiederholte sich der Stoß. Noch einmal trugen die Lüfte den schwirrenden Laut jener Glocken zu uns herüber, noch einmal traf der Angstschrei von unten unser Ohr und furchtbarer, als zuvor, krachte es unter unsren Füßen vom Einsturze der Mauerwände, der Gewölbe und Säulen. Die Erschütterung war so stark, daß Richardis unwillkührlich auf die Kniee sank und ich selbst nur mit Mühe mich aufrecht zu erhalten vermochte. Sie zitterte an allen Gliedern, sie sah mit irren ängstlichen Blicken zu mir empor, sie schien noch eine Wiederholung dieses schrecklichen Ereignisses zu erwarten, die vielleicht den Bau, der einem Jahrtausend getrotzt, im Fluge weniger Augenblicke und uns mit ihm vernichtete. Ein furchtbarer Orkan erhob sich jetzt und heulte in den unzählichen Gängen der Riesentrümmer mit gräßlicher hohler Stimme, über die Tiber flog ein Gewitter heran, dessen Blitze zu uns herüberzuckten, dessen Donner das Heulen des Sturms übertönte. Die Sonne verschwand hinter schwarzen Wolken und eine Dämmerung umfing uns, die in wenigen Minuten in völlige Finsterniß überzugehn drohete. Salentin, was ist das Gewühl der Schlacht, gegen eine solche Empörung der Natur? Welcher Kampf wäre hier nicht eitel, welcher Widerstand nicht vergebens? ›Müssen wir sterben?‹ flüsterte Richardis kaum hörbar zu mir herauf. ›Nein, nein!‹ rief ich außer mir. ›Du darfst nicht sterben, Richardis, das Leben muß dir noch seinen ganzen Reichthum an Freuden eröffnen, die Liebe muß dich beglücken!‹ Ein längerer Zwischenraum, als der zwischen dem ersten und zweiten war vergangen, die empörte Kraft im Innern der Erde, welche die heilige Stadt zu vernichten drohete, schien erschöpft. Aber es wurde dunkler und kein Augenblick zu dem Versuche, von der gefährlichen Stelle, wo wir uns nicht gegen den Sturm zu erhalten vermochten, wo wir allen Angriffen des herandrängenden Gewitters ausgesetzt waren, hinabzukommen, war zu verlieren. Ich warf noch einen Blick in die graue, gähnende Tiefe zu unsern Füßen. Eine Feuersbrunst war in der Nähe des Capitols ausgebrochen, ihr rother Schein warf ein gräßliches Licht auf die Häusermassen, auf die Trümmer der alten Götzentempel, auf die Tiber, die es im wogenden Spiegel wiederstrahlte. Dann ergriff ich Richardis, die ihrer Glieder nicht mächtig war, und hob sie in meinen Armen empor. Die süße Last ruhete an meinem Herzen, ich dachte und fühlte in dieser allgemeinen Aufregung der Schöpfung nur sie und ihre Rettung. Ich stieg, sie fest an meiner Brust wahrend, die Stufen hinab, die uns heraufgeführt hatten. Im Innern des Gebäudes, dessen Gänge auf das Wunderbarste verschlungen sind, herrschte schon eine Dunkelheit, die ich kaum mit der höchsten Anstrengung meiner Sehkraft zu durchdringen vermochte; aber oft erhellte doch der Schein der Feuersbrunst, der niederzuckende Blitz, dessen Licht durch die hohen Schwibbogen einfiel, unsern Weg, so daß ich sicher seyn konnte, ihn nicht zu verfehlen. Richardis belebte sich wieder, sie faßte in meinen Armen neue Hoffnung, sie fühlte sich, als wir einen Absatz erreicht hatten, wo wir durch eine Öffnung die Feuersbrunst, die sich immer weiter verbreitete, erblickten, stark genug, auf ihre eigene Kraft zu vertrauen. Ich ließ sie aus meinen Armen nieder, ich that es nicht ohne Widerstreben, denn diese innige Nähe hatte mich sehr glücklich gemacht. In ihrem Wesen trat jetzt wieder jene Seelenstärke, jene Selbstständigkeit hervor, die sie gewöhnlich besaß. Sie schritt voran, ich folgte ihr. Oft ward jetzt die Treppe durch Schutthaufen unterbrochen, die wir mühesam und vorsichtig hinabklettern mußten, oft lag jetzt ein drohender Abgrund zu unsrer Seite. Die Bogen, die, je tiefer wir stiegen, immer weitere Öffnungen bildeten, ließen den Feuerschein von Außen, das Leuchten der Blitze unsern Weg mit Tagesglanz erhellen. Über unserm Haupte wüthete das Gewitter, der Sturm peitschte den Regen, der stromweise herabstürzte, durch die gewölbten Öffnungen herein. Bald waren wir ganz durchnäßt. Richardis schien von Fieberschauern ergriffen; ich hörte das Zusammenbeben ihrer Zähne. Da standen wir plötzlich an einer Stelle, wo der Weg abbrach, wo ein großer Theil des Gebäudes, wahrscheinlich von der Gewalt des Erdbebens zertrümmert, in den innern Raum hinabgestürzt war. Nirgends ein Ausweg, vor uns, zu beiden Seiten gähnende Abgründe! Wir mußten umkehrten und nun, da der Weg, den wir kannten, versperrt war, uns umherirrend dem Zufalle überlassen. Richardis wurde wieder zaghaft und ängstlich. Sie nahm meinen Arm, sie bebte, wenn wir an dunkle Stellen kamen, zusammen, sie gestand, daß sie eine unwiderstehliche Furcht ergriffen habe, die Geister der alten Heiden, die einst hier ihre Spiele gefeiert, aus jedem Winkel hervortreten zu sehn. Salentin, ich kann dir sagen, auch mir, dem starken Mann, dem Ritter, dem nichts Furcht einflößen sollte, dünkte es unheimlich in den weitläufigen Trümmern. Alle Gefühle waren erregt, wie leicht konnten sie sich nicht der Ahnung einer Geistesmacht hingeben, gegen die irdische Kraft und irdische Waffen nichts vermögen! Und dennoch muß ich dir bekennen, daß mir Richardis in dieser Ängstlichkeit lieblicher erschien, als in jenem Stolze, jenem Selbstgefühle, dem sie im gewöhnlichen Leben so häufig nachgab. So bedurfte sie meiner, so war ich ihr ein willkommner Beistand. Wir irrten lange in den weiten Gängen umher, wir fanden manche Treppe, die hinabführte, aber nach kurzer Untersuchung erwies sich unsere Hoffnung, einen Ausgang zu finden, immer vergeblich. Zusammengestürzte Mauern traten uns in den Weg, Abgründe schnitten ihn ab. Nun hörte auch das Gewitter auf, die Feuersbrunst am Capitol war gelöscht, rings um uns herrschte tiefe Finsterniß. Da sank Richardis auf eine Treppenstufe nieder und erklärte, sie könne nicht weiter, ihre Kräfte seyen erschöpft, ihr Muth gebrochen. Wohin sie blicke, träten ihr furchtbare, entsetzliche Erscheinungen entgegen, ihr Geist verwirre sich, sie wäre nun überzeugt, daß sie diesen Ort nie verlassen, daß sie hier ihren Tod finden werde. Den Tod? Salentin, ich weiß nicht, wie es kam, aber der Gedanke, mit Richardis hier, vergessen von der Welt, im geheimnißvollen Bunde der Herzen, zu sterben, lockte mich mit wunderbarer Macht. Es war eine Schwäche, aber wer wurde nie von einer Schwäche heimgesucht? ›Richardis,‹ sagte ich, ›wenn unser Loos bestimmt ist, wenn ein ungeheueres Ereigniß der Natur alle Wege der Rettung zerstört hat, wenn wir doch in diesen Räumen unser Grab finden sollten, so laß uns nicht als solche, die einander fremd geblieben, von der Erde scheiden. Ich habe dir mein Herz zugewendet, als ich dich zum erstenmale an der Seite der größten Kaiserin erblickte, es ist dein, ich kann nicht von dir lassen. Mache mich glücklich, Richardis! Sage, daß du meine Liebe erwiederst, werde für das Jenseits die meinige, wenn es für dieses Leben nicht seyn kann.‹ – ›Nein, nein, ich will nicht sterben!‹ rief sie von plötzlicher Verzweiflung ergriffen. ›Das Leben ist so schön, die Welt hat so viele Freuden – rette mich aus diesem Grabe, rette mich vor den Gespenstern, die nach mir greifen und ich will die deinige seyn, ich will dich lieben, ich will das Leben, dem du mich wiedergibst, dir geloben!‹ Da, Salentin, erfüllte mich eine mehr als menschliche Kraft. In diesem Versprechen, in dem Preiße, der nun ausgesetzt war, lag die Gewährung aller meiner Wünsche, die Erfüllung aller meiner Hoffnungen. Ich bemächtigte mich wieder der schönen Bürde, ich fühlte ihr Herz wieder an das meinige schlagen. Mit dem linken Arm trug ich sie, mit dem rechten griff ich mich an den Wänden fort. Sanct Georg und Sanct Bartholomäus standen mir bei. Mich umgab dichte Nacht, aber das Auge der Heiligen sah für mich und sie führten mich eine Treppe hinab, die keine verschüttete Mauer versperrte, die bis zum Fuße des Gebäudes wohl erhalten war. Ich wandelte diesen kurzen Weg, wie in einer Verzückung, ich erinnere mich nichts mehr von dieser Wandrung, ich weiß nur, daß ich, Richardis fest an mein Herz drückend, unten auf dem offnen Platze stand, den Himmel über mir, der nun in ungetrübter Heiterkeit unzähliche Sterne, den silberglänzenden Mond zeigte, den ich wie einen Freund, welchen man aus dem Grabe erstehend wiedersieht, begrüßte. Ich will dieser seltsamen Begebenheit nichts hinzufügen, als daß ich am Morgen des nächsten Tages das Treuegelöbniß der schönen Falkensteinerin empfing und die Ringe mit ihr wechselte. Der Vater willigte gern in unsern Bund; Meinrad kam, uns Glück zu wünschen, aber es dünkte mich, als würde ich einen solchen Wunsch an seiner Stelle inniger und herzlicher ausgesprochen haben. Ein sonderbarer Zwang lag in seinem ganzen Wesen. Er sah mich nur, wenn es die Umstände durchaus wollten, er schwärmte den ganzen Tag über in Felicians Begleitung in der Stadt und der umliegenden Gegend umher. Hatte er einmal länger in unsrer Gesellschaft verweilt, so versank Richardis nach seiner Entfernung in tiefe Gedanken. Auf meine Fragen deshalb erhielt ich ausweichende Antworten, sie suchte meine Aufmerksamkeit auf andre Dinge zu lenken, aber den Tag über blieb sie dann zerstreut und ich nahm wahr, daß sie in ihrem Geiste oft weit entfernt von mir war. Überhaupt sah ich nach und nach, daß sie neben ihrem Stolze, neben ihrem Selbstgefühle, eine große Wandelbarkeit der Sinnesweise besaß. Was sie in diesem Augenblicke ergötzt hatte, konnte ihr im nächsten zuwider seyn. Ihr Stolz war ohne Zweifel durch die allzu große Liebe des Vaters erzeugt und genährt worden. Sie beschäftigte sich oft wochenlang mit eiteln und weltlichen Dingen, dann zeigte sie sich wieder von einer Andacht, von einer Frömmigkeit ergriffen, die sie ebenso lang in das Heiligthum der Kirchen bannte und mir ihre Gesellschaft entzog. Aber keine dieser Bemerkungen konnte meine Neigung zu ihr vermindern. Ein freundliches Lächeln von ihr beglückte mich und machte in einem Augenblicke Alles vergessen, was mir unangenehm aufgefallen seyn konnte. Ich segnete den Tag, an dem jenes furchtbare Naturereigniß mir das Herz geöffnet, mich das Ziel meiner Sehnsucht erreichen hatte lassen. Der Herr von Falkenstein behandelte mich als seinen Sohn und wenn er auch gegen Richardis oft ein allzugütiger Vater seyn mochte, so bewährte er sich doch sonst als einen redlichen und ehrliebenden Rittersmann. Die Fehden, in denen auch er oft mit unsrer Stadt gelegen, waren ihm gleichsam als ein Erbe von den Vorfahren überkommen, als ein fruchtbarer Acker, auf dessen Ertrag er zu seiner Erhaltung angewiesen war. Er hatte sich immer als einen wackern Streiter im Felde und auf der Stechbahn gezeigt. Der Wahlspruch, den er im Schilde führte: deutsche Treu' und Manneswort, war ihm heilig und diente ihm, wie Alle, die ihn kannten, wußten, zur Richtschnur seiner Handlungen. So lernte ich ihn nun auch kennen und hochachten.

Wir hatten nun schon mehrere Wochen in Rom verweilt, Richardis sehnte sich nach Deutschland zurück, Herrn Philipp mahnte die Sorge um sein heimathliches Eigenthum ebenfalls zur Rückkehr. Es waren dem Kaiser nun so viele Ritter, Knappen und Söldner aus Deutschland gefolgt, daß er unsrer entbehren konnte. Als ich aber mit Meinrad von unsrer baldigen Abreise sprach, erklärte dieser zu meinem Erstaunen, er könne sich noch nicht entschließen, die heilige Stadt zu verlassen, er beabsichtige, mit Felician, den er in seinen Dienst genommen, eine Wallfahrt nach dem heiligen Grabe anzutreten. Alle Bitten, alle Widerreden von meiner Seite blieben vergeblich: ›glaube mir,‹ sagte er am Schlusse unsrer Unterredung, ›es ist für dich und für mich am Besten, daß wir uns trennen.‹ Ich verstand ihn damals nicht, aber später erinnerte ich mich dieser Worte und ihr Sinn ward mir klar. Richardis konnte ihren Unwillen über diese gänzliche Lossagung Meinrad's von unsrer Gesellschaft nicht verbergen. Sie wollte ihn nicht sehn, als er kam, Abschied zu nehmen und das that mir in der That sehr leid, da ich zu bemerken glaubte, daß Meinrad diese Strenge in Richardis Benehmen schmerzlich empfand.

Ich will rasch über eine Zeit hingehn, die nichts enthielt, was zu einem Verständnisse der Ereignisse nothwendig scheint. Wir langten glücklich in der Heimath an, ich hoffte nun bald am Altare durch Priesters Segen mit Richardis verbunden zu werden. Da aber verlangte sie plötzlich ein Jahr Aufschub, da wußte sie diese Bitte mit zärtlichen Liebkosungen so kräftig zu unterstützen, daß ich sie selbst gegen Herrn Philipp, der endlich nur mit Widerwillen nachgab, vertrat. Jene Liebkosungen behaupteten eine um so größere Macht über mich, da ich seit einiger Zeit eine Erkaltung, eine Zerstreutheit in dem Wesen meiner Braut gewahrte, die mich oft mit ängstlicher Sorge erfüllte. Freilich kehrte diese, als der Eindruck jener zärtlichen Stunde vorüber gegangen war, um so peinigender wieder, allein ich hatte nun mein Wort gegeben und mußte mich in diese lange Prüfung meiner Geduld zu finden suchen. Es traf sich nun auch wieder, daß Richardis sich wochenlang in dem Innern ihrer Gemächer verschlossen hielt, um dort angestrengten Andachtsübungen obzuliegen. Um mir die Zeit der Prüfung erträglicher zu machen, wurde ich ein leidenschaftlicher Jäger. Bald aber beschäftigte mich die Erfüllung einer heiligen Pflicht. Eine Krankheit deines Großvaters rief mich an sein Lager. Er war frühe Wittwer geworden, ich hatte meine Mutter nicht gekannt. Mir fiel also die Sorge um ihn, seine Pflege in der Zeit der Leiden zu. Da war ich nun von Richardis ganz getrennt; ich konnte den kranken Vater nicht verlassen, ich sah mit unbeschreiblicher Sehnsucht nach den blauen Bergen, wo Schloß Falkenstein sich erhob, aber die liebe Braut sah ich nur in meinem Geiste. Mein Vater starb, als jenes Prüfungsjahr beinahe verlaufen war. Nun trat wieder das Trauerjahr um ihn, zwischen mich und die Erfüllung meiner Wünsche. Ich begleitete seine Leiche zu der Erbgruft am Rhein und beschloß, über Falkenstein zurückzukehren, um endlich einmal Richardis wiederzusehen. So ritt ich einsam am Gebirg hin, als ich einen Reiter wahrnahm, der vor mir her desselben Wegs zog. Bald kam ich ihm nahe, ich sah eine Gestalt, die mich an Meinrad erinnerte, und als ich den Reiter erreicht, erkannte ich mit freudiger Überraschung meinen Freund. ›Gott zum Gruße!‹ rief ich mit aller Herzlichkeit, die diese unerwartete Begegnung eines oft ersehnten Vertrauten in mir erwecken mußte. ›Aber eher hätte ich des Himmels Einfall vermuthet, als dich hier zu sehn. Wie oft war ich im Geiste mit dir auf der Wallfahrt ins gelobte Land! Was bringt dich zurück, was konnte dich in der Ausführung deines Entschlusses hindern?‹ Mit einem trüben Lächeln legte Meinrad seine Hand in meine dargebotene Rechte. Ich sah jetzt, daß er sich sehr verändert hatte. Er war bleich und hager geworden, aber immer sprach aus seinem ganzen Wesen jene ritterliche Anmuth, die ihn vor tausend Andern auszeichnete. ›Ich weiß eigentlich nicht, weshalb ich das Unternehmen, zu dem ich so sehr entschlossen war, aufgegeben habe,‹ antwortete er, den Blick niederschlagend, mit unsichrer, schwermüthiger Stimme. ›Es ergriff mich plötzlich eine unwiderstehliche Gewalt, die mich in die Heimath zurücktrieb. Der Aufenthalt in Rom, in ganz Welschland, der Gedanke, mich irgendwo anders hin, als nach der Heimath zu wenden, war mir unerträglich. Ob es ein guter oder ein böser Geist ist, der sich meiner bemächtigt hatte – wer kann das sagen? Ich erkannte nur, daß er gewaltiger sey, als meine Vorsätze, selbst als Gefühle, die mich bisher uneingeschränkt beherrscht. Die Menschen wurden mir zuwider, ich mochte niemand um mich dulden und so habe ich allein den langen Weg zurückgelegt. Oft vergleiche ich mich mit dem Tannhäuser, den es, wie er auch dagegen kämpfte, in den Venusberg zog, wo er dann den höllischen Mächten heimfiel. Frage mich nicht weiter! Gewiß ist es, daß ein dunkles Geschick mich wieder zu dir führt und der Zukunft müssen wir seine Entscheidung überlassen.‹ Ich würde bestürzter, als es der Fall war, über Meinrad's räthselhafte und trübe Gemüthsstimmung gewesen seyn, wenn mich nicht die nahe Erinnerung an den Tod meines Vaters mit tiefer Trauer erfüllt hätte. So fanden wir uns Beide in einem Verhältnisse zusammen, das jeden geneigt machte, in die Klage des andern einzugehn, ohne sie ergründen zu wollen. Als Meinrad hörte, daß ich auf dem Wege nach Falkenstein begriffen sey, um, nach langer Trennung meine Braut wiederzusehn, veränderte sich mit einemmale sein ganzes Wesen. ›So ist dieser Bund noch nicht geschlossen!‹ rief er, indem seine Blicke feurig wurden, seine Wangen sich rötheten und ihn neue Lebenskraft zu ergreifen schien. ›So komme ich noch vor dem Hochzeitsfeste! aber,‹ setzte er ruhiger und wieder in den frühern schwermüthigen Ton verfallend, hinzu, ›du liebst deine Braut noch wie damals, als du sie dir im Erdbeben gewonnen und erfreuest dich ihrer treuen Liebe?‹ Ich konnte das mit voller Überzeugung bejahen. Ich machte Meinrad nun zum Vertrauten so mancher schönen Stunde, die ich mit Richardis verlebt, ich verschwieg ihm nichts, was meine Liebe, meine Hoffnungen betraf. Damals, Salentin, achtete ich nicht darauf, daß, je höher ich das Glück, dessen ich mich erfreuete, pries, Meinrad immer stiller wurde, daß eine seltsame Bitterkeit immer erkennbarer in seinen Zügen hervortrat. Später, mein Sohn, als ich den bösen Geist kennen lernte, der sich seiner bemächtigt hatte, als in der Untreue des Freundes sich mir die Schwäche alles Menschlichen offenbarte: da erinnerte ich mich wieder dieser Dinge, um sie nie mehr zu vergessen.«

Der Herr vom Rhein hatte lange und anhaltend gesprochen. Während er sich einige Ruhe gönnte, bat ihn Salentin, die fernere Mittheilung jener Ereignisse, deren Erinnerung ihn schmerzlich ergriff, zu einem andern Tage auszusetzen.

»Nein, mein Sohn!« antwortete der alte Herr. »Viele Jahre lang hat die Last eines trüben Geheimnisses drückend auf meiner Seele gelegen; jetzt habe ich in dir den Freund gefunden, der sie mir tragen hilft. Ich werde frischer ausathmen, wenn sie nicht mehr auf mir allein ruht; die Vergangenheit wird nicht mehr wie eine dunkle Nacht hinter mir liegen, wenn ich durch eine vollendete Entdeckung ihren Schleier gehoben. Und du wirst sehen, daß es nicht mehr in meinem freien Willen steht, dir etwas zu verschweigen; daß mich seltsame Ereignisse der Gegenwart zu dieser Mittheilung drängen. Es war keine Frage,« fuhr nach dieser Erörterung, der Erzählende fort, »ob mich Meinrad nach Falkenstein begleite oder nicht. Wir setzten unsern Weg vereinigt fort und erst als wir vor der Zugbrücke der Burg hielten und diese zu unserm Empfange herabgelassen wurde, schien Meinrad durch den Gedanken, hier als Gast einzusprechen, betroffen: ›was soll ich bei dem Falkensteiner und seiner Tochter?‹ rief er in einem heftigen, aufgeregten Tone. ›Sie werden mir Vorwürfe machen, weil ich damals von Rom nicht mit Euch gezogen bin, ich gewärtige mich keines guten Empfangs bei ihnen.‹ – ›Das ist längst vergessen,‹ antwortete ich. ›Als mein Freund schon bist du gewiß willkommen.‹ – ›Vergessen!‹ sprach er, finster vor sich niederblickend, mit halblauter Stimme. ›Wer auch so zu vergessen vermöchte!‹ Ich hoffte seine düstre Laune in Richardis und meiner Gesellschaft bald verschwinden zu sehen; und wirklich gewann es auch gleich in den ersten Tagen das Ansehn, als sey jene Heiterkeit, jenes anmuthige Wesen, das seiner Gesellschaft eine Art von Zauber verlieh, wieder bei ihm heimisch geworden. Er sang Lieder zur Zitter, er erzählte wunderbare Geschichten vom heiligen Graal und vom König Artus Hof, genug – er wußte die Zeit so angenehm zu verkürzen, daß wir, und besonders Richardis, seine Nähe sehr vermißten, wenn er etwa einmal mit Herrn Philipp auf einige Tage zur Jagd ausgezogen war. Richardis zeigte sich dann höchst zerstreut und einsilbig und ich kann dir nicht bergen, mein Sohn, daß es mir wehe that, wenn meine Gegenwart sie nicht für die Entbehrung jener Kurzweil zu entschädigen vermochte. Aber kein Argwohn kam in meine Seele; ich sehnte nur um so mehr den Freund zurück. Felician hatte sich, wie er erzählte, auf eine seltsame Weise von ihm verloren. In dem kurzen Kriege, den Ludwig der Baier gegen den König Robert von Neapel führte, stießen sie in einem kleinen Städtchen auf einen Trupp fahrender Leute, der in einem großen Kasten mit Puppen allerlei lustige Begebenheiten vorstellte. Das entzückte den Felician so sehr, daß er erklärte, er könne nicht länger mit Meinrad bleiben, er fühle sich, wie durch einen zauberischen Bann, zu diesen fahrenden Leuten hingezogen. Wirklich verließ er auch Meinrad's Dienste, bekleidete sich wieder mit dem Narrengewande und der Schellenkappe, die er im Schlosse des Marchese getragen, und folgte in diesem Anzuge den Puppenspielern. Ich mußte nach einigen Wochen Schloß Falkenstein verlassen, um nach dem Zustande meiner häuslichen Angelegenheiten zu sehen, der mir, da dein verstorbener Großvater die Eigenheit besaß, sein Gut auf eine sehr geheimnißvolle Weise zu verwalten, gänzlich unbekannt war. Meinrad blieb auf eine kurze Einladung des Herrn Philipp noch in Falkenstein zurück. Ich fand daheim so vielerlei zu ordnen, daß ich jetzt in langer Zeit nur wenige, sehr flüchtige Besuche auf Schloß Falkenstein abstatten konnte. Aber die Zeit, wo ich Richardis zum Altare führen durfte, kam immer näher und das tröstete mich für diese Beschränkung. Oft traf ich mit Meinrad dort zusammen; selten sah ich ihn bei mir, wo er dann immer wieder in der unerklärlichen Verstimmung erschien, die ich, nur, wenn wir bei Herrn Philipp einander begegneten, nicht an ihm bemerkte. Ich schrieb diesen Umstand seiner Freundschaft zu, ich glaubte, er suche dort seinen Unmuth mit Gewalt zu bezwingen, um mir und Richardis eine schöne Zeit der Hoffnungen nicht zu verkümmern. Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus, ich hätte damals noch jeden, der mir einen Zweifel an seiner Treue beibringen wollen, für meinen Todfeind gehalten! Das falsche Spiel, das er mit mir trieb, der Leichtsinn, die Wortbrüchigkeit meiner Braut sollten sich nun entdecken; aber langsam, das Gift tropfenweise in meine Seele flößend. Es lagen endlich nur noch wenige Tage bis zu dem vor mir, wo unser Bündniß für das Leben am Altare die Weihe erhalten sollte. Ich ließ mein Haus zur Aufnahme meiner Hausfrau festlich bereiten, es wurde bekannt, daß ich Bräutigam sey, aber mit wem, wußte niemand, da Richardis darauf bestanden, die Sache bis zu ihrer völligen Beendigung geheim zu halten. Es war ein heitrer, glücklicher Morgen, als ich die Stadt verließ und von Liebe, Sehnsucht und Hoffnung mächtig erfüllt, den blauen Bergen zueilte. Wie ganz anders sollte ich am Abende denselben Weg zurückkehren! Getäuscht, betrogen, verödet im Herzen, aller Hoffnungen baar! Ich trieb mein Pferd zum stürmischen Fluge an, es mußte den Felsen von Falkenstein mit einer Eile und Anstrengung erklimmen, die sein Leben auf das Spiel setzten. Da hielt ich vor der Pforte, da sprengte ich in den Hof. Alles todt, Alles still! Einige Diener mit verstörten Gesichtern zeigten sich hinter den Fenstern, verschwanden aber gleich wieder, als sie mich erblickten. Richardis ist todt! war der erste Gedanke, der sinneverwirrend mich durchzuckte. Ich flog die Treppe hinauf, in das Gemach des Falkensteiners. Der saß bleich, um viele Jahre gealtert, hinter einem Tische und schlug ein gräßliches Gelächter auf, als er mich sah: ›Du suchst deine Braut?‹ rief er mit entsetzlicher Stimme. ›Du wähnst hier Richardis, die Tochter des Philipp von Falkenstein, zu finden? Geh auf die Heerstraße! Dort mußt du sie suchen. Sie ist eine Dirne geworden und das Wappen der Falkenstein führt sie als Aushängeschild ihrer Schmach mit sich.‹ Salentin, ich glaubte, der Mann rede im Wahnsinn. Aber nein! Ich hatte in Wahnsinn bisher gelebt und der glückliche Traum dieses Wahnsinns ging in ein schreckliches Erwachen über. Richardis war im Laufe der Nacht entflohn; niemand wußte wohin? Am Abende vorher hatte sie in einer vertraulichen Unterredung ihren Vater beschworen, sie von der Verbindung mit mir, die sie schon lange verabscheue, zu der sie nur das Entsetzen, die Angst jener Nacht im Colossäum zu Rom habe hinreißen können, die ihr und mir nur Unheil bringen werde, frei zu machen. Ich sagte dir schon, Salentin, daß der Ritter von Falkenstein ›Deutsche Treu und Manneswort‹ zum Sinnspruch seines Lebens erwählt hatte. Richardis mußte bei dem Geständnisse, bei der Bitte, die sie wagte, den ganzen Zorn ihres Vaters empfinden. Er drohete ihr mit seinem Fluche und als nun Richardis, von ihrem Stolze, von dem Gedanken an die Gewalt, die sie oft über den Vater geübt, hingerissen, ihm einen Trotz entgegenstellte, durch den sie vielleicht zu siegen hoffte, gebot ihr Herr Philipp, sich in ihr Gemach zurückzuziehen und dieses nicht anders, als auf seine Erlaubniß zu verlassen. Aus diesem war sie während der Nacht spurlos verschwunden. Ein Fenster, das auf den Burggraben hinausging, stand offen; einige Kleinodien, die sie von ihrer Mutter geerbt, fanden sich nicht mehr vor. Der Herr von Falkenstein hatte Boten nach allen Seiten ausgesandt, sie kehrten ohne eine Nachricht von der Entflohenen zurück. Und wenn sie sie wiedergebracht, wenn sie dem Vater die Tochter wiedergegeben hätten: für mich war sie doch verloren, mit jenem Geständnisse schon hatte sie das Band zerrissen, das ich im glücklichen Wahnsinne für die Ewigkeit geknüpft glaubte. Salentin, es war eine furchtbare Stunde, in der ich Burg Falkenstein verließ. Ich irrte lange im Gebirg umher und erst um Mitternacht langte ich vor meinem Hause an, wo die Diener in festlicher Kleidung meiner und der angekündigten Hausfrau harrten. Ich flüchtete mich mit meiner Schmach, mit der Qual meiner Brust in das innerste meiner Gemächer, ich lebte Wochen, Monate lang wie ein Einsiedler, ich glaubte, man müsse auf meinem Angesichte meine Entehrung lesen. Die Zeit bringt allen Wunden Heilung, sie nimmt auch dem heftigsten Schmerz seinen Stachel. Ich trat wieder in das Leben, ich lernte deine Mutter kennen. Die Reinheit, die Milde und Güte ihres Wesens söhnten mich mit ihrem Geschlechte aus. Immer tiefer trat das Bild der Richardis, das bisher noch meine Seele beherrscht hatte, in den Hintergrund; wie ein Engel des Friedens nahm seine Stelle die sanfte Erscheinung deiner Mutter ein. Ich erkannte, daß sie mir ein Glück gewähren könne, das ich mit Richardis schon verloren glaubte, daß das milde Licht ihres Gemüthes dieses mehr verbürge, als jenes verzehrende Feuer, das aus Richardis bezauberndem Schönheitsglanze in meine Seele übergegangen war. Salentin, deine Mutter wurde die meinige und ich werde nie aufhören, den Augenblick zu segnen, der sie mir zur Lebensgefährtin gab. Ihr blieb mein früheres Verhältniß zu der Falkensteinerin nicht verborgen, es wurde ihr und mein Geheimniß; wie aber das Räthsel jenes Treubruchs sich später lös'te, das hat sie nie erfahren. Seit ich mich den Zerstreuungen des Lebens wieder hingegeben, mußte ich oft über Meinrads seltsames Verfahren, der nichts von sich hören und sehen ließ, nachdenken. Er war wie von der Erde verschwunden und selbst seine Verwandten in Mainz, bei denen ich mich nach ihm erkundigte, wußten mir keine Nachricht von ihm zu geben. Da trat er eines Tages, wenige Wochen, nachdem ich mit Gisela die Hochzeit gefeiert, in mein Haus. Mit einem seltsamen, hastigen Wesen, mit einer stürmischen Freude, in der er sich zu gefallen schien, wünschte er uns Glück. Auf meine Fragen nach seinem bisherigen Aufenthalte, antwortete er ausweichend, er gab zu verstehen, ein Geheimnis, das nicht sein Eigenthum sey, ruhe auf der letztvergangenen Zeit. Wenn ich eine wunderliche Unruhe, die fortwährend in seinem Betragen herrschte, eine unerklärliche Scheu, mit mir allein zu seyn, abrechnete, so konnte mich seine Nähe nur erfreuen. Er nahm den innigsten Antheil an unserm jungen Glücke und sprach nie von Richardis, wofür ich ihm im Stillen dankte. Er kehrte nun oft wieder, er erschien dann regelmäßig alle vier Wochen und brachte mehrere Tage in unserer Nähe zu. Er zeigte sich nun auch ruhiger, heitrer, wie sonst, und belebte unsre glückliche Häuslichkeit durch die schönen Eigenschaften, die er sich in Kunst und Wissen erworben. Du wurdest geboren, Salentin, und diese Vermehrung unsres Glückes vermehrte und befestigte auch Meinrads frohe Gemüthsstimmung. Mir fehlte nichts in dem Besitze eines geliebten treuen Weibes, eines Erben und des Freundes; Jahre gingen so vorüber. Da blieb Meinrad einst zu der gewohnten Zeit aus. Wir waren bekümmert, wir fürchteten, ihm sey ein Unfall begegnet. Er wurde von uns als ein Glied der Familie angesehn und als ein solches vermißt. Ich war schon entschlossen, selbst gen Mainz zu ziehn, um mich dort nach ihm zu befragen, als plötzlich am Abende vor dem zu meiner Abreise bestimmten Tage die Thüre meines Closetts hastig geöffnet wurde und Meinrad, odemlos und mit allen Zeichen einer heftigen Gemütsbewegung, vor mir stand. ›Bist du allein?‹ rief er scheu um sich blickend. Dann ergriff er, ohne meine Antwort zu erwarten, meine beiden Hände und sprach eilig: ›lebe wohl für immer! Du siehst mich nie wieder, du wirst auch nicht von mir hören; denn mein Name soll begraben werden, wie mein Gedächtnis. Traure auch nicht um mich; ich verdiene kein Mitleid, von dir am Wenigsten. Du glaubtest eine Freund an mir zu besitzen, du hast eine Schlange an deiner Brust genährt. Richardis – schon in Rom wurde der böse Geist in mir wach, der mich nach ihr begehren ließ, nach der Verlobten des Freundes! Noch vermochte ich ihn zu bekämpfen, noch besaß ich die Macht, mich aus der Nähe derjenigen zu verbannen, zu der es mich hinzog, wie den Schiffer zu dem Magnetberge. Ich wollte nach Palästina wallfahrten, um am Grabe des Heilands meinen Fehl zu büßen! Aber die Hölle war stärker, war beharrlicher in ihren Lockungen, als ich in meinen Vorsätzen. Wie herrlich erschien Richardis in der Ferne, wie hatte ihr Bild sich meiner Seele bemächtigt, wie mahnte es mich jetzt an so viele Worte, an so manchen Blick von ihr, die ich zu meinen Gunsten auslegte! Du wurdest vergessen; ich dachte, ich sah nur sie. Richardis– der Höllengeist – der Magnetberg – heimlich in der Nacht, wie ein Flüchtling, verließ ich Rom. Wie ein Wahnsinniger, den ein Gedanke ewig in seinen Kreisen hält, durchflog ich die Länder, die mich von der Heimath trennten. Da fand ich dich, da schien mir der Umstand, daß Euer Bund noch nicht geschlossen sey, ein Wink des Geschicks. Er war geschäftig, der Geist in mir. Oft befand ich mich auf Burg Falkenstein, ohne daß du es wußtest. Richardis – doch ich will sie nicht mit mir anklagen, auf meinem Haupt allein laste diese Schuld! Ich ward ihr Verführer, ich brachte sie in jener Nacht nach einem Kloster im Gebirg, wo ein bestochner Mönch seinen Seegen über dieses verfluchte Bündnis sprach. Sie ward meine Ehefrau, als du sie noch deine Braut wähntest. Wir zogen uns in die tiefste Verborgenheit zurück. An eine Versöhnung mit Philipp von Falkenstein war nach Allem, was ich von seinem Zorn gegen die entflohene Tochter vernahm, nicht zu denken. Erst als ich von deiner glücklichen Ehe mit Gisela hörte, wagte ich die Schwelle deines Hauses zu betreten. Dein inniges Verständniß mit ihr, die Überzeugung des häuslichen Glückes, das dir geworden, verminderte die Stärke der Selbstanklagen, die in meiner Brust sprachen. Richardis glaubte indessen durch Buße und Casteiungen, die sie allmonatlich in strenger Geschiedenheit von mir übte, die Verzeihung des Himmels zu erwerben. Mehrere Tage hielt sie sich eingeschlossen und dann eilte ich zu Euch, um in dem Anblicke Eures friedlichen Lebens mein Gewissen zu beruhigen. Ach, es war ein eitles Streben und die Rache schlief nicht! Meinst du, was andre im Gattenleben erfreute, habe mich je mit Wonne erfüllen können? Richardis gebar mir eine Tochter, aber zwischen mich und mein lächelndes Kind trat immer deine anklagende Gestalt; wenn Richardis Worte der Liebe an mich richtete, sprach eine Stimme in mir: so hat sie auch zu dem Freunde gesprochen und ihn dennoch betrogen! Mir ist geworden, was ich verdiente. Durch Untreue sündigte ich, durch Untreue wurde ich bestraft. Ja – du, den ich nicht mehr mit dem Freundesnamen zu nennen wage – du sollst es wissen zu deiner Genugthuung: ich bin doppelt entehrt, durch meine Falschheit gegen dich, durch Richardis treulose Hingebung an einen andern. Nun ist die Hölle befriedigt, nun weicht der böse Geist, weil sein Werk gethan ist. Richardis hat mich verlassen, mein Kind ist mit ihr fort. Trostlos blicke ich in der weiten Welt umher nach seinem Lächeln, vergebens ersehn' ich sein Lallen, das wie die Stimme eines Engels oft beruhigend in die Mahnungen meines Gewissens drang. Eine Zukunft voll Reue und Buße liegt vor mir, eine Gegenwart der bittersten Entehrung umgiebt mich. Du hast ein Recht, mir zu fluchen, aber vergieb mir! Laß ein Gefühl des Friedens sich in diese traurige Gegenwart mischen, sey nicht gerecht, sey mitleidig gegen mich, verzeihe dem treulosen Freunde, dem Verräther an Ehre und Pflicht!‹ Er hatte diese Rede mit einer Hast, in einem stürmischen Drange angestoßen, die mich nicht zu mir selbst kommen ließen. Heiliger Georg! Welche Entdeckungen, welche schreckliche Enthüllung der Vergangenheit! Meinrad hielt meine Hände krampfhaft gefaßt, ich fühlte die seinigen beben, ich sah sein Auge flehend auf mir ruhen; allein ich konnte nicht sprechen, ich bedurfte der Zeit, der Ruhe, um das Unglaubliche zu fassen. Da riß er sich von mir los, da rief er in einem verzweiflungsvollen Tone: ›ich wußte es wohl, daß du mir nicht verzeihen könntest. Nun habe ich dich nicht zum letztenmale gesehen, nun muß ich wiederkehren. Wenn eine lange Reihe von Jahren hinter uns liegt, wenn wir alt geworden sind, wenn indessen der Tod die Zeit meiner Buße nicht abgekürzt, wenn lange das Schild des Meinrad Crafft zum Jungen umgekehrt in der Ritterhalle gestanden hat, weil derjenige, der es einst trug, verschollen und vergessen ist, dann trete ich noch einmal vor dich, dann heische ich noch einmal deine Verzeihung und du wirst sie dem Unglücklichen, der in einer unerhörten Buße die Tage der männlichen Kraft geopfert, nicht versagen. Lebe wohl bis dahin! Sey glücklich und fluche mir nicht.‹ Er war fort, ehe ich so weit meine Fassung wieder gewonnen, um ihn zurückzuhalten. Bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus, ich rief ihm meine Verzeihung nach, ich bedauerte ihn, ich liebte ihn noch immer mit treuem Bruderherzen! Aber ihn trieb die Verzweiflung so rasch hinweg, daß ihn keiner der Diener, die ich ihm nachsandte, einholen konnte. Ich sah ihn nicht wieder. Mein Haar färbte sich grau, ich empfinde die Schwäche des Alters, viele Jahre sind seitdem hingeschwunden und ich muß mich nun wohl in den Gedanken ergeben, Meinrad weile nicht mehr unter den Lebenden. Ich traure um ihn als um einen Todten, ich hatte seiner Untreue vergessen, ich gedachte nur noch der schönen Tage, die wir mit einander verlebt, da – Salentin, du hast die Meisterin jener Unseligen gesehn, die Gott zu gefallen glauben, indem sie gegen sich, gegen sein Ebenbild wüthen, du hast sie gastlich aufgenommen in unserm Hause – sie, die in einem wilden Ausbruche ihres Wahnes das Gemüth deiner edlen Mutter tief erschütterte, die der Tugend selbst einen schrecklichen Zweifel an ihrer Würde schonungslos aufdrängte, die wie ein Gespenst aus dem Grabe vor mir aufstieg, deren Anblick das Mark in meinen Gebeinen erstarren machte – diese Geißlerin, Salentin – unsre Hausgenossin jetzt, es ist keine andre, als Richardis!«

»Unglaublich!« rief der junge Mann. »Ein Wesen, das leichtsinnig die heiligsten Bande lösen konnte, das, wenn die Versuchung zu ihm sprach, Liebe und Treue von sich warf wie eine lästige Bürde, dieses Weltkind, das Eitelkeit und Hoffahrt beherrschten, jetzt eine strenge Büßerin, die Meisterin einer düstern Genossenschaft, die im Schmerze des Leibes, in unaufhörlicher Selbstanklage den Himmel mit der Erde zu versöhnen wähnt?«

»Sagte ich dir nicht,« erwiederte der Vater, »daß Richardis oft Zeiten hatte, in denen sie damals schon eine Inbrunst der Andacht zeigte, die mit zu den Eigenthümlichkeiten ihres seltsamen, wechselvollen Gemüthes gehörte? Wer weiß, welche schreckliche Erfahrungen sie seitdem gemacht, wie dieses wandelbare Geschöpf endlich zur Erkenntnis ihrer traurigen Verirrungen gekommen, so daß sie jetzt in düstrer, blutiger Buße Sühnung sucht! Sie war stolz und ihr Stolz gefällt sich jetzt in dem Beispiele einer Strenge, einer Selbstpeinigung, das sie andern giebt. Sie war eitel, und ihrer Eitelkeit fröhnt ein düstres Gepränge, fröhnt eine Unterwürfigkeit, die Ehrfurcht derer, die sie als ihre Meisterin begrüße. Ihr früheres Leben war ein Wahn der Lust, ihr gegenwärtiges ist ein Wahn der Buße. Bei allen Heiligen, Salentin, Richardis von Falkenstein und diese Joffriede sind Eine und Dieselbe! Glaubst du, ich hätte diese Züge, obgleich die Jahre ihre Spuren darin eingegraben, jemals vergessen oder ich könnte in ihnen irren? Als ich sie erblickte, trat die ganze Vergangenheit vor meine Seele und als die Büßerin dann gebieterisch und ermahnend sprach, da traf diese Stimme mit jenem Tone des Stolzes, den ich so oft vernommen, mein Herz. Sie ist es, Salentin! Sie hat sich in mein Haus gedrängt und die Umstände erlauben nicht, sie daraus zu verdrängen. Sie hat den Seelenfrieden deiner Mutter, sie hat unser Aller ruhiges Glück gestört und dennoch müssen wir sie dulden. Aber, Salentin, dir vertraue ich die Obhut über sie! Habe ein scharfes Auge, daß sie deiner Mutter nicht nahe, verhindere jede Begegnung zwischen ihr und mir! Ich werde sie vermeiden; sorge, daß sie sich nicht zu mir drängt. Ihre Heimath ist die Welt geworden. Herr Philipp ruht längst in der Gruft seiner Väter, sein Erbe ist den Vettern heimgefallen, ihr bleibt nichts übrig, als mit der düstern Geiselfahrt weiter zu ziehn. Dann will ich mich bemühen, dieses Bild, das so unheimlich wieder in mein Leben getreten, meiner Erinnerung fremd zu machen. Geh, mein Sohn! Bewahre, was ich dir vertraut, als ein heiliges Geheimniß in deiner Brust. Bleibe ein treuer Freund deines Vaters, wie du immer ein treuer Sohn gewesen bist!«

Salentin entfernte sich, von trüben Gedanken über die Mittheilungen, welche ihm sein Vater gemacht hatte, erfüllt. Er mußte Meinrad, den ungetreuen Freund, bemitleiden, während er sich nicht bergen konnte, daß Richardis ein schwererer Vorwurf treffe, daß sie den Leidenschaften, die ihre Wirbel um sie geschlungen, sich in schmälicher Widerstandslosigkeit hingegeben. Immer aber fühlte er sich noch nicht überzeugt, diese Unglückliche sey nun wiedergekehrt, sie lebe im väterlichen Hause, sie, in Weichlichkeit, im Überflusse erzogen und herangeblüht, unterwerfe sich den Entbehrungen und Beschwerden eines düstern Wanderlebens, der strengen und schmerzlichen Buße, welche die Regel der Geiselfahrt gebot. »Gewiß,« sprach er zu sich selbst, »irrt mein Vater! Der Zusammenfluß der seltsamen Ereignisse des gestrigen Abends mußte seiner Seele den gewohnten Frieden rauben und eine Macht über seine Einbildungskraft üben, die eine Unbekannte mit den Zügen eines Bildes bekleidete, das noch immer in der Tiefe seines Herzens lebt. Dennoch werde ich sie mit aufmerksamen Blicken bewachen. Die Ruhe der Mutter werde ich gegen diese anmaßende Fremde zu schützen wissen, indem ich dem Wunsche des Vaters entspreche.«

Als er an dem Schlafzimmer der Frau Gisela vorüberging, öffnete sich dessen Thüre und Regina trat heraus. Sie hatte die Nacht über bei der Kranken gewacht, sie berichtete, daß diese jetzt, nachdem sie mehrere Stunden in unruhigen Träumen hingebracht, sanft schlummere. Salentin begab sich selbst an das Ruhelager der Mutter. Jede Spur des Fiebers war verschwunden und wenn bei'm Erwachen jene geistige Verirrung, die sie am gestrigen Abende ergriffen, sich nicht wieder zeigte, so hoffte er in kurzer Zeit eine volle Genesung.

»Salentin, ich hätte dir Vieles zu vertrauen,« sprach mit bebender Stimme Regina, die ihm, während Imagina bei der Schlummernden zurückblieb, das Geleit auf den äußern Gang gab, »aber ich bin noch zu verwirrt, zu bestürzt, um mich der wunderlichen Begebenheit, die ich gestern Abend beim Hirschessen erlebt, in allen ihren Theilen zu erinnern. Und doch möchte ich auch nicht eine Kleinigkeit vergessen, ich wollte, du könntest selbst die Stimme vernehmen, die gütig und liebevoll zu mir gesprochen, die deiner wohlwollend gedacht, die unsern geheimen Hoffnungen eine glückliche Erfüllung weissagte! Bei der heiligen Jungfrau, Salentin! ich glaube, deinen grauen Mönch von der Ingelheimer Au gesehn und gehört zu haben! Wie du ihn beschrieben, stand er in meiner Nähe, was du von dem Wohllaute seiner Rede gesagt, habe ich vernommen. Seine Worte drangen beruhigend in meine Seele, sie machten die Zweifel verstummen, die seit deiner Rückkehr wieder dort kämpften. Warum aber erwachten sie aufs Neue, warum wurden sie wieder laut, als ich die tröstende Stimme nicht mehr hörte, als in dem verwirrten Treiben jener Stunde der graue Mönch verschwunden war? Ach, es ist doch wohl am Besten, daß wir diesen Lockungen, hinter denen sich vielleicht ein böser Geist der Sünde birgt, widerstehn, daß ich mein Herz von eiteln Wünschen rein zu halten suche und nur der Dankbarkeit, die ich deinen Eltern schuldig bin, lebe!«

Der junge Patricier betrachtete das liebliche Mädchen, in dessen Zügen sich der innere Kampf tief empfundener Neigung und pflichtgemäßer Entsagung malte, mit jenem Entzücken, das denjenigen ergreifen mußte, welcher sich als den Urheber dieses Kampfes ansehn durfte. »Bei'm Himmel, Regina,« versetzte er, »du irrst nicht: der arme Aussätzige von der Rheininsel ist hier, er hat seine Einsamkeit nicht ohne einen ausserordentlichen Grund verlassen, er ist vielleicht gekommen, um die Prophezeihungen, die dich und mich betreffen, wahr zu machen! Ich kann mich nicht entschließen, ihn für einen Betrüger, seine Versicherungen für Täuschungen zu halten. Hörtest du ihn, als er den bedroheten Juden dem Zorn des Volks zu entreißen bemüht war, sahest du, wie sein Auge blitzte, wie er sich selbst unter die empörte Menge stürzte, um mit eigener Gefahr das Opfer der Wuth eines zügellosen Pöbels zu schützen? In ihm lebt ein Geist der Wahrheit, der nicht trügen kann. Das Räthselhafte, Geheimnisvolle, das seine Person umgibt, darf uns keinen Zweifel an seinen guten Absichten für uns einflößen. Was könnte es ihm nützen, uns zu täuschen, ein leichtsinniges Spiel oder gar ein frevelhaftes Spiel mit uns zu treiben? Beruhige dich, Regina! der Zukunft wollen wir die Beantwortung aller Fragen, die uns die Gegenwart aufdrängen will, anheimstellen.«

Sie trennten sich. Regina eilte an das Lager der Kranken zurück, Salentin rief den Leibdiener Hartmuth herbei und gebot ihm, streng darauf zu achten, daß, während seiner Abwesenheit, den beiden Geißlerfrauen unter keinem Vorwande weder Zutritt zu Frau Gisela, noch zu dem Hausherrn gestattet werde. Er verließ dann das Haus um seinem ärztlichen Berufe nachzugehn, der ihn zu den wenigen noch übrigen Pestkranken, welche sich in den entlegenern, ungesundern Theilen der Stadt und in dem Pestspitale fanden, beschied. Er war mit dem ganzen Apparate umgeben, den schon in jenen Tagen die Ärzte als ein Schutzmittel gegen die Gefahren der Ansteckung, denen sie ausgesetzt waren, betrachteten. Ein weiter Mantel, dessen Zeug in Wachs getränkt worden, umhüllte ihn, eine ähnliche Mütze deckte sein Haupt, eine Larve sein Angesicht. Unter dem linken Arme trug er ein Kästchen mit den etwa erforderlichen Arzneien, mit einem Essigkrüglein zu seinem eigenen Gebrauch; in der rechten Hand führte er einen langen, unten in eine Art von Schaufel übergehenden Stab, vermittelst dessen den gefährlichsten Kranken die nöthige Arznei aus einiger Entfernung zugeschoben wurde. So schritt der einzige Erbe eines der angesehensten Patriciergeschlechter durch die Straßen der freien Stadt: lediglich von dem edeln Gefühle durchdrungen, der leidenden Menschheit, mit Gefahr des eigenen Lebens, Trost und Hülfe zu bringen. Wo er erschien, da eilten Frauen und Kinder furchtsam aus seinem Weg und der Ruf: »der Pestdoctor!« verödete in wenig Augenblicken die Bahn, die er bis zu dem Ziele seiner traurigen Wandrung zu durchmessen hatte.



 << zurück weiter >>