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Viertes Kapitel.


Gar herrlich kam gegangen
Ein Graf war wohlgethan:
Er ward nit schön empfangen,
Man sah ihn gar links an.

Während die Bürger der freien Reichsstadt am Abende dieses Tages sich in den zahlreichen Trink- und Zechstuben versammelten, die damals den geselligen Zusammenkünften offen standen; während die ganze Einwohnerschaft jetzt, da die Pestilenz sich bis auf wenige einzelne Fälle unterdrückt zeigte, wieder frei zu athmen begann; während Herren und Frauen sich zu einem festlichen Gelage im Hause Lateran rüsteten, das alljährlich unter dem Namen des Hirschessens gehalten wurde: ahnete niemand die nahe Ankunft der düstern Geiselfahrt, die langsam aber unabwendbar, wie ein verheerender Heuschreckenschwarm, heranzog. Man trieb sich fröhlich und lachend in den Straßen umher, die Zechstuben, in denen jedes Mönchs- und Nonnenkloster seinen Überfluß an Zehentwein willkommenen Gästen verzapfte, füllten sich nach und nach ebenso, wie die gewöhnlichen Weinhäuser, die Drehwand mit dem Credenzteller, hinter welcher der Bruder Kellner oder die Schwester Kellnerin, immer dem Begehren der Gäste lauschend, verborgen stand, erhielt sich in beständiger Bewegung und manches derbe Wort, das dem Munde der weinseligen Besucher entfuhr, mochte wohl unangenehm das zarte Ohr der dienenden Klosterschwestern berühren.

Am Lautesten und Lebendigsten ging es im Hause Lateran her. Hier war Meister Heinz, der wohlbestellte Stadtkoch, mit einer großen Anzahl von Gehülfen thätig, hier loderte unter dem weitumfassenden Rauchfange ein mächtiges Flammenfeuer empor, um das die dunklen Gestalten des Meisters und der Gesellen sich gespensterartig bewegten; hier sah man über einer mächtigen Kohlengluth mehrere ganze Hirsche am Spiese, in deren Innern sich ein Füllsel von wiederum gefüllten Ferkeln und Gänsen barg, von hier aus drang ein anlockender, gewürziger Duft in den nahen, mit Neugierigen angefüllten Hausgang, den man durch eine Öffnung in der gewölbten Halle überschauen konnte. Jeder mochte gern untersuchen, wie sich die Hirsche, die man noch vor wenigen Tagen im städtischen Hirschgraben lustig herumspringen gesehen, nun halbgeröstet ausnähmen; wer durch Rücksichten auf Stand oder sonstige Verhältnisse von der Theilnahme an der Gaumenlust des Abends ausgeschlossen war, wollte doch irgend eine Erinnerung an den Rathsherrn- und Patricierschmaus mit heimnehmen. So trieb sich denn immer ein neugieriger, schaulustiger Haufe vor der Küchenhalle auf und nieder, deren Eingang von zwei Hellebardirern mit den mächtigen Waffen, von denen sie den Namen trugen, bewacht wurde.

Unter den Zuschauern war es zweien, die sich durch ihr Äusseres und ihr ganzes Benehmen auszeichneten, gelungen, durch die Menge bis in den Eingang vorzudringen. In dem einen finden wir den uns bereits bekannten Bettelmönch, Pater Clarus Trockenbrod, wieder; in dem andern zeigt sich uns ein zierlich gewachsenes Männlein, in den dreißig Jahren etwa, dessen schwarze Unterkleider, dessen kurzer Mantel von gleicher Farbe, nebst Dintenfaß, Feder und Pergamentrolle, die an seinem Gürtel befestigt sind, seinen Stand, als den eines Gelehrten jener Zeit bezeichnen. Es war Herr Johannes Gensbein, Stadtschreiber von Limburg an der Lahn, auch in der freien Reichsstadt Frankfurt wohlbekannt durch sinnige Reimsprüche, die von ihm im Schwunge gingen, durch den Ruf, dessen er als ein fleißiger Chronikenschreiber seiner Zeit genoß. Wer den kleinen Mann mit den klugen Augen, mit der Miene des Nachdenkens und der Schalkheit zugleich erblickte, der ahnete gleich, daß in der unbedeutenden Gestalt ein ausgezeichneter Geist walte, daß dieser Blick die Dinge, die sich ihm darboten, scharfsichtig durchdringe und in eigenthümlicher Erkenntniß auffasse. Ein leichtes Lächeln, das Gutmüthigkeit und Wohlwollen aussprach, schwebte immer auf des Männleins Lippen. Fröhliche Gesellschaft liebte Herr Gensbein über Alles und deshalb war es ihm willkommen gewesen, in der edlen Reichsstadt mit seinem alten Bekannten, dem Pater Clarus Trockenbrod, dessen heitre Laune seiner eigenen Gemüthsart so wohl entsprach, zusammen zu treffen.

Trotz des großen Gedränges in dem äussern Gange, herrschte doch hier ein ehrfurchtsvolles Schweigen, das der Ort, wo sich Rath und Patricierschaft zum Gelag versammelten, zu gebieten schien. Nur Pater Clarus und der Limburger Stadtschreiber mochten nicht von gleichem Geiste ergriffen seyn. Sie scherzten und lachten laut mit einander, sie lenkten durch einen lebhaften Wechsel lateinischer und deutscher Scherzsprüche die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich.

»Dem Koch der Rauch die Augen brennt,
Daß er den besten Freund nicht kennt!«

rief Herr Gensbein nach Meister Heinz hinüber, der aber beim eifrigen Begießen des Hirsches mit geschmolzenem Fette nicht sah und nicht hörte.

»O Heinz, mein Seelenschatz, laß ein
In's Himmelreich die Freunde dein!«

erklang es im Betteltone eines terminirenden Bruders aus dem Munde des Minoriten. Noch immer blieb der Stadtkoch taub und blind gegen die alten Freunde.

» Audaces fortuna juvat:
Das lange Harr'n macht keinen satt!«

schrie jetzt keck der Stadtschreiber, indem er den Mönch bei der Kaputze packte und an dessen Seite mit verwegener Gewalt in das Küchenheiligthum drang. Die Hellebardirer schimpften, die Zuschauer lachten. Ehe noch jene Gewalt durch Gewalt vertreiben konnten, bemerkte, von dem plötzlichen Lärmen in seinem eifrigen Treiben gestört, Meister Heinz die beiden Eindringlinge und nahm, sie sogleich erkennend, die guten Freunde in seinen mächtigen Schutz. Er führte sie in ein Nebengemach, er setzte ihnen hier kalten Schweinskopf und firnen Wein vor und sprach, seine Rede mit einem Küchenlatein verbrämend, das er aus Erinnerungen seiner Jugendzeit, die er als Laienbruder in einem Kloster verlebt, zusammenflickte:

» Estote mihi salutati! Hier habt Ihr coenam quam optimam, so gut ich sie jetzt zu geben vermag. Nach dem Bankett kommt zu mir in meine Wohnung, auf den montem Romanorum, id est Römerberg. Ich kenne schon ein Hirschlein, das an der Tafel der edlen Herrn vorüberläuft in mein domicilium, wo es unter lustigen Gesellen seine fröhliche Urstätt finden soll. Hier haben wir den Duft und dort den Braten, hier ist Schaulust und Entbehrung, dort aber werden wir in omnibus sensibus contentirt und saturirt. Auf Wiedersehn. ihr werthen amici! Necessitas me vocat: die Nothwendigkeit ruft!«

Diese ließ sich allerdings in den Stimmen der Gehülfen, welche nach dem Alles ordnenden Meister Heinz verlangten, deutlich genug vernehmen. Herr Johannes Gensbein und Pater Clarus hatten sich indessen in der Nähe eines hohen Bogenfensters niedergelassen, durch das ihnen die Aussicht auf den Hausgang frei stand. Hier wurde es nach und nach still und leer, denn die Wache der Hellebardirer hatte die Menge hinausgewiesen und hütete jetzt die große Eingangspforte. Nur ein Mönch im grauen Gewande, dessen Kaputze weit über das Antlitz niedergezogen war, behauptete noch seinen Platz dicht neben dem Fenster, hinter dem die zwei Gäste des Stadtkochs es sich wohl seyn ließen. Ohne Zweifel hatte man aus Achtung vor seinem Stande ihn nicht in die gewaltsame Maßregel mit inbegriffen, welche den jetzt auf Pferden und in Sänften anlangenden Teilnehmern des Hirschessens den Weg bahnen mußte. Er stand ruhig und erwartungsvoll an einen Pfeiler der Halle gelehnt. Aus den Öffnungen seiner Kaputze leuchtete ein Paar dunkler ernster Augen, welche die weltliche Lust, die an ihm vorüberzog, in einer ungewöhnlichen, aus eigenen Gründen hervorgehenden Bedeutung zu ergreifen schien. Rathsherrn mit ihren Frauen und Töchtern schritten in allem Glanze der damaligen Kleiderpracht vorüber, stolze Patricier mit ihren Familien und dem reichen Gefolge von Leibeignen und Lohndienern, die theils bestimmt waren, beim Bankett aufzuwarten, theils der Herrlichkeit, in der ihre Gebieter lebten, als Zuschauer beiwohnen durften. Oft wenn eine Jungfrau im blühendsten Alter des Lebens, mit ungewöhnlichem Körperreiz begabt, vorüberschritt, zuckte der graue Mönch seltsam zusammen; wenn er aber dann die Augen auf ihre Begleiter gerichtet und hier, wie es schien, nicht gefunden, was er suchte: so nahm er wieder seine ruhige, fast bewegungslose Haltung an.

»Ein wunderlicher Kumpan, das!« bemerkte laut Herr Gensbein, der ihn betrachtete. »Unter der grauen Kutte mag ihm ein leicht erregbares Herz schlagen, das Gelübde der Einsamkeit mag als eine schwere Bürde auf seiner Seele lasten. Wie fährt er doch zusammen, wenn ein anmutiges Jungfräulein, lilienweiß und rosenroth, vorübergeht, wie wird doch sein Blick dann feuriger und durchdringender! Mönchlein! Mönchlein!

Minnen ist verbotnes Spiel,
Zucht und Buße sey dein Ziel,
Nutzlos Minnen bringt dir Weh,
Nicht nach Maid und Minne seh!«

»Zwischen sehen und sehen ist ein Unterschied;« versetzte der Barfüßer, nachdem er einen mächtigen Zug aus dem Kruge mit Firnwein, den Meister Heinz herbeigebracht, gethan hatte. »Ein Limburger Stadtschreiber sieht nach den Mägdlein, um an ihrem Anblicke sich zu erfreuen, wir sehen danach, um uns an einen solchen Anblick zu gewöhnen, daß er uns gleichgültig wird, daß wir endlich in dem Frauenbilde nichts anders erblicken, als ein Geripp mit Fleisch und Haut angethan, als eine Mahnung an die Sterblichkeit alles Irdischen, den Meister Klapperbein, der uns in das letzte Kämmerlein heimführt, selbst. Notirt Euch das in Eure Chronik, Herr Gensbein. Die Nachwelt mag auch erfahren, was für ein Unterschied zwischen Euch und einem frommen Klosterbruder besteht!«

» Propria laus sordet;« antwortete lächelnd Herr Johannes. »Hütet Euch nur, Ihr frommen Herren, Euch zu oft in Versuchung zu führen. Die Versuchung ist eine Klippe, an der man leichter scheitert, als daß man sie glücklich umschifft, und vor ihr gilt kein Ansehn der Person, weder Ritterkoller, noch Mönchskutte. Aber wer mögen die zwei tief verhüllten Gestalten seyn, die dort aus düsterm Hintergrunde schüchtern und vorsichtig nach der großen Treppe hinschleichen? Ein Grünmantel und ein Braunmantel, ein Mannsen und ein Weibsen! Sie verhüllen ihre Angesichter, als seyen sie verbotene Waare und ich möchte drauf wetten, der Hausvogt hat sie wider Eid und Pflicht durch ein heimliches Thürlein zugelassen, sie wandeln auf einem gefährlichen Pfade, der ihnen sonst versperrt ist und sie zu Ungemach und Schimpf, statt zu Augenlust und Ergötzlichkeit führen kann. Bei Sanct Ursula! Aus dem Antlitze des Frauenbildes, von dem eben der Mantel sich lüpft, schaut ein Paar so dunkelglühender Augen, eine so majestätische Nase hervor, daß ich dafür halte, sie könnten nur aus dem gelobten Lande Palästina herstammen. Und der Schmuck von Diamanten um den Hals! Herzenspater, ich bitte Dich, gehe hin und biete ihnen von diesem Schweinskopf. Du wirst sehen, daß diese neue Esther und ihr Begleiter vor Entsetzen das Fieber bekommen.«

»Laßt mich!« versetzte, mit Unwillen nach einer andern Seite blickend, der Bettelmönch. »Sind sie wirklich vom Stamme Israel, so wird ihnen das unerlaubte Gelüst schon versalzen werden. Mich eckelt's sie zu sehen. Der Schmuck, den sie tragen, die Reichthümer, die sie besitzen, sind doch nur geraubtes Kirchengut. Stellten sie nicht durch Wucher und Schacher der Christenseele Fallen, so bliebe manches schöne Gut in Christenhand und würde in der Bedrängniß des letzten Stündleins dem Heiligthume vermacht.

Den Heiland schlug der Jud' ans Kreuz;
Uns quält er baß durch Gier und Geiz!

So heißt es mit Recht im Munde des Volkes und vox populi, vox Dei!«

Indessen waren die zwei verhüllten Gestalten auf der Treppe, die zum Bankettsaale führte, verschwunden. Im großen Eingange wurde es lebhafter. Je näher die Zeit kam, wo das beliebte Hirschessen beginnen sollte, in desto größerer Anzahl strömten die Theilnehmer herbei. Man sah die zwei Commenthuren des deutschen Ordens zu Sachsenhausen, den des Johanniterordens, die Prälaten der verschiedenen geistlichen Stifter, mit ihrem ansehnlichen Gefolge, vorüberschreiten, dazwischen eine ernste Schaar schwarzgekleideter Rathsherrn, dann wieder, um junge Schönen, deren goldverbrämte Henninge, mit den hohen Spitzen fast an das obere Gewölbe des Eingangs reichten, herumtändelnd die reich gekleideten Patriciersöhne mit den Silbergürteln, an denen hellklingende Schellen in unaufhörlicher Bewegung hin- und herschwebten, mit den ungeheuern Pluderhosen und den mächtigen Schnabelschuhen. In ritterlicher Haltung traten die alten Herrn aus den edlen Geschlechtern einher. Ihr Aussehn hätte würdig genannt werden können, wenn nicht die weit herabreichenden und nach der Sitte jener Zeit, in seltsame Formen geschnittenen und buntgefärbten Bärte gar zu seltsam gegen die einfachen kräftigen Gesichtszüge abgestochen hätten.

»Die Nachwelt wird kaum glauben,« sagte der Stadtschreiber Gensbein zu seinem Tischgenossen, indem er auf einen der Junker deutete, dessen Pluderhose sich weit um ihn ausdehnte, als wäre jedes seiner Beine von einem geräumigen Faß umgeben, »wenn sie dereinst die Berichte der Chronikschreiber lies't, daß die Verirrung und die Thorheit im Kleiderprunke habe so weit gehn können, als sie jetzt in der That gekommen ist. Aber Dabit Deus his quoque finem:

Ein jedes Ding hat seine Frist,
Der Narrheit bald ein Ende ist!

Ich gebe mein Stadtschreiberamt hin, wenn der junge Fant, der eben vorüberstolziert, nicht an vierzig Ellen Seidenzeug an seinen Beinkleidern trägt, wenn nicht das Schellengeklingel am Gürtel und an den Schuhen – bei Sanct Veit! die Glöcklein sind eitel Silber – mehr kostet, als seine junkherrliche Tapferkeit werth ist. Und der tolle Staat der Edelfräulein! Seht diese Satanshörner, die sie Henninge nennen. Ist es nicht, als wollten sie den Himmel mit ihnen stürmen, wie es einst die heidnischen Titanen und Gyganten gegen den Olympos unternommen? Da klingelt's und klappert's auch herab wie vom Haupte eines Schlittenpferdes, da blickt der Hochmuthsteufel aus tausend glitzernden Gold- und Silberfäden hernieder – doch wer kommt da? Wer ist der alte Herr, mit der Kaiserlichen Ehrenkette geschmückt, frei von allem diesem Narrenprunke? Wer die einfach gekleidete blinde Frau, von zwei Mägdlein geführt, denen Tugend und Ehrbarkeit aus Antlitz und sittiger Kleidung leuchtet? Wer der junge Mann, im edlen, knapp anschließenden Ritterkleide? Aquila inter graculos: ein Adler unter Krähen!«

» Salentine, mi file!« rief in der Freude der Überraschung Pater Clarus so laut, daß der Vorüberschreitende es vernehmend, sich umwandte und den alten Bekannten freundlich begrüßte. Zugleich bemerkte er auch den grauen Mönch, der bei dem Namen des jungen Mannes zusammengefahren war und, mit vorgebogenem Leibe dastehend, die Blicke unverwandt nach Frau Gisela richtete, die mit ihren Begleiterinnen, Regina und Imagina, schon die untersten Stufen der Treppe betreten hatte. Eine wunderliche Ahnung ergriff unsern jungen Freund. Er zögerte weiter zu gehn, er betrachtete aufmerksamer den grauen Mönch. Da aber bedachte er, daß die in jener Zeit so locker und lose gewordene Klosterzucht den Brüdern jedes Ordens gestattete, sich bei solchen festlichen Gelegenheiten unter die Zuschauer zu mischen, daß der grauen Büßenden sich viele im Bereich der Reichsstadt umhertrieben und eine, wie es ihm dünkte, grundlose Vermuthung verwerfend, folgte er den Eltern.

Der graue Mönch harrte einige Minuten in derselben Stellung, wie jemand, der sich einer mächtigen Empfindung, die ihn plötzlich ergriffen hat, nicht zu entreißen vermag. Dann hob sich seine Brust mit einem schweren Seufzer und als jetzt die Seitenpforten des Ganges geöffnet wurden, um dem Volke, das sich zum Zuschauen herbeidrängte, Einlaß zu gewähren, als jetzt dieses in seinem gewaltigen Strome die weite Halle ausfüllte und nach der Treppe trieb, überließ auch er sich dem Wogen dieses Stromes und verschwand bald in der dunkeln, wildbewegten Masse.

Pater Clarus Trockenbrod hatte indessen seinem Freunde Gensbein auf dessen Fragen nach der in edler Einfachheit erscheinenden Patricierfamilie Genüge geleistet. Dann sprang er auf, warf den Terminirsack, der ihn nie verließ, über die Schulter und fügte, noch ein Stück des köstlichen Schweinkopfes der Thätigkeit seiner Kinnbacken übergebend, kauend hinzu:

»Jetzt drauf und dran! Meine lieben Brüder in Königstein wittern den Hirschbraten in Frankfurt auf drei Stunden Wegs. Sie hoffen auch ihr Theil davon zu erhalten und ich muß dazu thun, daß ihre Hoffnung nicht zu Wasser wird. Kommt, Freund Stadtschreiber! Meister Heinz wird uns auf einen guten Platz bringen. Er kann uns die Küchentreppe hinauflassen und im Gitterklosett bergen, wo er den Tafelabhub aufbewahrt. Da können wir Alles genau sehn, ohne selbst gesehen zu werden, da mag mir auch der Tafelmeister für mein Kloster einsacken, was ihm sein frommes Gemüth eingiebt.«

Mit Hülfe des freundwilligen Stadtkochs, dessen Thätigkeit bisher dem Auftragen der Speisen auf die Herrentafel gewidmet gewesen, gelangten die beiden Männer an die Stelle, die sie sich zur Befriedigung ihrer Schaulust ausersehn. Hier fanden sie sich behaglich, durch eine Gitterwand von der gedrängten Menge der übrigen Zuschauer, die hinter den rings umherlaufenden Schranken standen, abgesondert, hier konnten sie von einer kleinen Erhöhung durch die Öffnungen der leichtgeflochtenen Drahtwand die glänzend geschmückte Tafel, die prunkenden Gäste und das staunende Volk ungestört überblicken.

»Hier habt Ihr adspectum liberrimum, Aussicht auf die Tafelherrlichkeit!« sagte Meister Heinz. »Es ist das beste Plätzchen für einen, der nicht mit zu Tische sitzen darf, ein gar bequemer Käficht für zwei so lustige Vögel, wie Ihr seyd!«

Der Beruf des Stadtkochs nahm seine Zeit zu sehr in Anspruch, als daß er länger bei den Freunden hätte verweilen können. Er warf einen triumphirenden Blick auf das Speiseparadies, das seine Kunst auf die Tafel der edlen Herrn gezaubert hatte, er lächelte selbstgenügsam in sich hinein und eilte dann unverzüglich hinab, um für die feinen Leckereien des Nachtisches Sorge zu tragen.

Die Tafel, an welcher im weiten Halbkreise die Rathsherrn und Patricier, nebst ihren Familien und der großen Anzahl geladener Gäste, unter denen sich auch mehrere Burgherrn aus der Nachbarschaft befanden, ihre Plätze eingenommen hatten, zeigte allen Überfluß an Speisen und Getränken, allen seltsamen Prunk, den man in jenen Tagen als das nothwendige Erforderniß eines solchen Festmahls betrachtete. Oben in der Mitte, wo der Stadtschuldtheiß und die beiden regierenden Bürgermeister saßen, prangte in aufrechter Stellung, von Meister Heinz so künstlich gebraten und zugerichtet, daß man glaubte es zu sehen, wie es noch vor kurzer Zeit im Stadtgraben lebendig umhergewandelt, das edle Thier, von dem dies Mahl seinen Namen hatte. Es war zierlich mit grünen Blättern, mit Gold- und Silberschmelz verbrämt und von dem stattlichen Geweih, das noch auf dem Haupte sich erhob, flatterten bunte Bänder nieder. Zwischen den höchsten Enden zeigte sich eine glänzende Silberplatte in Gestalt des reichsstädtischen Doppeladlers, tief in den Rücken das große Messer mit silbernem Handgriff versenkt, mit dessen Hülfe der Bankettmeister den Hirsch geschickt, so daß er selbst zerlegt noch seine Stellung beibehielt, vorzuschneiden hatte. Auf den Seitentafeln erblickte man eine Unzahl von Rehen, Hasen, Kaninchen und Geflügel jeder Art, Alles in seinen Verhältnissen dem Zustande, welchen es im Leben behauptet, nachgebildet, umgeben von süß bereiteten Zugemüsen, von Hafer- und Mehlbreien, von Schalen voll starker Gewürze, deren sich Jeder nach Gelüst bediente. Eine eigene Erfindung von Meister Heinz, auf die er sich nicht wenig zu gut that, war es, gesalzene und gebackene Fische in künstlich gebildeten Behältern, worin eine hellglänzende Brühe das Wasser vorstellte, umherschwimmen zu lassen. Die Seitenwände dieser Behälter bestanden aus Zuckerteich; Gewächse, welche das scheinbare Wasser umgaben, waren zierlich von Gewürznäglein, Zimmetstangen und Rosinen zusammengesetzt. Zwischen diesen Speiseherrlichkeiten, welche Wald, Fluß, Hühnerhof und Feld geliefert, erhoben sich in thurmartigen Aufsätzen die beliebten, von einigen durch das Loos erwählten Patricier- und Rathsherrnfrauen eigenhändig verfertigten Mandelkäse, bei deren Bereitung, nach der seltsamen Sitte jener Zeit, ihnen drei Junggesellen aus den ehrbaren Geschlechtern hülfreichen Dienst leisten mußten. An Würzweinen und Claret in großen Silbergefäßen, welche bald Schiffe mit vollen Segeln, bald Eberköpfe, Reiher und Adler oder andre wunderliche Gestalten vorstellten, fehlte es nirgends. Dabei waren die eigens dazu besoldeten Spaßmacher, die sogenannten Lotterer allenthalben geschäftig, ihre Witze anzubringen, Gesundheiten von einem Gaste zum andern zu tragen, oder auch wohl in einem unfeinen Scherze irgend einem Gaste das beste Stück vom Teller zu naschen, ihm, wenn er zufällig nach einer andern Seite blickte, den Becher zu leeren. Dergleichen Muthwillen wurde nicht genau genommen. Die Nachbarn belachten einen solchen geschickt ausgeführten Streich aus vollem Herzen und belohnten ihn oft mit einem freiwillig dargereichten Trunke, wobei es ihnen nicht selten wiederfuhr, daß sich plötzlich das Spiel wandte und sie zur Zielscheibe jener plumpen Scherze wurden.

Der Limburger Stadtschreiber hatte lange, ohne ein Wort zu reden, die klugen Blicke über die glänzende Tafel schweifen lassen. Dann wandte er in einem zufriedenen, wohlgefälligen Tone sich zu seinem Schaugenossen:

»Das muß man einem hohen Rathe und ehrbarer Patricierschaft dieser reichsfreien Stadt eingestehen, daß sie in Allem, was des Lebens Freuden an Speis und Trank, an Geselligkeit und Scherz betrifft, wohl erfahren sind. Wie man der Augsburger Pracht und der Nürnberger Witz rühmt, so sollte man der Frankfurter Tafel rühmen. Das könnte man zierlich in ein Reimlein bringen:

›Witz, Pracht giebt Nürnberg, Augsburg fein;
Zu Tisch mußt du in Frankfurt seyn!‹«

Pater Clarus hatte indessen seine Nachbarn unter den Zuschauern, welche nur das dünne Gitterwerk von ihm trennte, genauer betrachtet. Dicht neben ihm stand, den ersten Platz an den Schranken einnehmend, der alte Hartmuth, der ihm aus frühern Zeiten noch recht wohl erinnerliche Leibdiener des Herrn Hanns vom Rhein. Der treue Diener schien für nichts andres Augen zu haben, als für seine Herrschaft; von Zeit zu Zeit aber sah er sich genöthigt, seinen Platz mit aller Anstrengung seiner Kräfte gegen zwei hinter ihm befindliche Personen, die sich durchaus vordrängen wollten, zu behaupten. In diesen erkannte der Barfüßer jene zwei verdächtigen Gestalten im grünen und braunen Mantel, welche, als er mit Herrn Gensbein am Lugfenster des Kochs die Einschreitenden gemustert, so geheimnißvoll aus dem düstern Hintergrunde der Halle hervorgeschlichen und die Treppe hinaufgeschlüpft waren. Sie trugen Barette, deren Schirmdächer den obern Theil des Antlitzes verhüllten, während sie den untern in ihren Mänteln verbargen. Die zweite auffallende Figur in der Vorderreihe, dicht neben dem greisen Hartmuth, war jener graue Mönch, der ebenfalls den beiden Gästen des Stadtkochs zum Gegenstande einer besondern Beachtung gedient hatte. Seine hohe Gestalt, die sich ganz aufgerichtet zeigte, trug nichts von den äußern Merkmalen der Demuth, welche sonst die Klostergeistlichen vor der Welt zur Schau zu stellen pflegten. Er schien vielmehr Alles, was ihn umgab, vergessen zu haben, er stand mit untergeschlagenen Armen, aus seinen Augen, die sich nicht von der Familie vom Rheine abwandten, leuchtete eine dunkle, räthselhafte Gluth. Bald war es die ehrwürdige Gestalt des Herrn Hanns, die seine Blicke fesselte, bald ruheten diese auf Frau Gisela, bald trafen sie den jungen Patricier, der liebevoll die blinde Mutter unterhielt, am häufigsten und längsten aber weilten sie auf Reginen, die mit Imagina hinter dem Sitze der edlen Frau stand und im Reize ihrer jugendlichen Schönheit, die von einem einfachen weißen Gewande, wie es auch die jüngere Imagina gleich ihr trug, noch erhoben wurde, die Aufmerksamkeit manches jungen Mannes aus den edlern Geschlechtern auf sich lenkte. Ihrer zweideutigen Geburt wegen durfte sie ebensowenig, wie die leibeigen geborene Imagina, in der Reihe der Töchter der Patricier, der Rathsherrn oder Stadtbeamten Platz nehmen; als Hausgenossin, als Pflegerin und Gesellschafterin der blinden Edelfrau aber war es ihr, wie jenem Kinde, vergönnt, sich innerhalb der Schranken, in der Nähe der mütterlichen Freundin, die ihrer Hülfsleistungen oft bedurfte, aufzuhalten. Sie stand, mit dem Rücken gegen ihn gewandt, ganz nahe vor dem grauen Mönch. Seine Hand konnte sie erreichen, sein Blick alle lieblichen Verhältnisse ihrer zarten Gestalt genau auffassen. Sie schien wenig auf Das was sich vor ihren Augen begab, zu achten. Ihre Stirn hatte sich in Falten des Nachsinnens gelegt, sie sah zur Erde, ihr ganzes Wesen verrieth, daß irgend eine Sache von Wichtigkeit alle Kräfte ihrer Seele in Anspruch nehme und ihre Aufmerksamkeit fernab von diesem Schauspiele der Schwelgerei und des Überflusses führe. Sie dachte an den wunderlichen Inhalt der Mittheilungen, die sie im Laufe des heutigen Tages aus dem Munde Salentins erhalten, sie wiederholte sich im Geiste seine Unterredung mit dem seltsamen Bewohner der Ingelheimer Au, wie aus dem tiefsten Grunde ihres Herzens stieg die Gestalt des unglücklichen Meisters Lukas vor ihrer Einbildungskraft auf. Sie konnte sich von diesem Bilde nicht trennen, sie mochte nicht suchen, es gewaltsam aus ihrem Innern zu verbannen. Es war, als wurzle es hier mit der Gewalt einer unwiderstehlichen Liebe, als sündige sie, wenn sie gegen diese Macht sich auflehnen wolle, als rage dieses Bild in ihre Zukunft hinüber, als werde es in diese lebendig aus ihrem Innern treten, um die Vergangenheit zu erhalten, um die Zukunft selbst zu beglücken. Wie sehr hatten jene Entdeckungen mit einemmale alle Entschlüsse, die sie so fest begründet glaubte, erschüttert, wie hatten sie die Liebe, die sie für immer begraben meinte, plötzlich wieder in's Leben, in die Freiheit kühner Wünsche und beseligender Hoffnungen gerufen! Indem sie sich diesen Betrachtungen hingab, senkte sich das liebliche Haupt zur Brust, der obere Theil ihrer Gestalt beugte sich, indem sie der Aufmerksamkeit auf sich vergaß, vornüber und ihr ganzes Wesen schien jetzt eher das einer tief Trauernden, als einer in schöne Träume der Zukunft Verlorenen. Da traf plötzlich der leise Klang einer melodischen Stimme in ihrer Nähe ihr Ohr. Sie zuckte zusammen, sie vernahm in seltsamer Aufregung die Worte:

»Traure nicht, Mägdlein! Schon erhebt sich aus der Nacht der Vergangenheit ein Stern, der leuchtend an den Himmel deines Lebens emporsteigt; sein Strahlenglanz wird dich umfließen, wird dich im Schwinden eines Augenblicks, der Edelsten, welche dieser Raum enthält, gleich stellen! Traure nicht, Regina! du glaubst die Blume deines Lebensgartens verwelkt; aber es ist eine Täuschung, ein Wahn, der sie dich so sehen läßt. Wie eine Wolke, die den Strahl der Sonne nur auf Stunden verhüllen konnte, wird dieser Wahn verschwinden und du blickst in ein Daseyn, dem alle Freuden des Lebens, alle süßen Gefühle, die zu beglücken vermögen, die Gewährung deiner geheimsten Wünsche, Wonnen, die dir die Gegenwart streng versagt, erblühen.«

War das eine Geisterstimme, die prophetisch zu der Jungfrau sprach? Ein seltsamer Schauer, ein banges Gefühl vor diesem wunderbaren Sprecher ergriff sie. Ihre Pulse waren aufgeregt, in stürmischer, beengender Wallung strömte das Blut durch ihre Brust. Sie besaß nicht den Muth, sich umzusehn. Im betäubenden Echo klang das Vernommene in ihrem Innern nach. Lag doch in dieser Rede derselbe Sinn, den die Verheißung des Meisters Lukas ausgesprochen, trat doch hier wiederum ein unerklärliches Wesen in ihr bis dahin so ungestört verflossenes Leben, mußte sie doch jetzt erst erkennen, daß sie unbekannte Freunde besaß, die geheimnißvoll für sie wirkten, die mehr von ihr wußten, als sie selbst! Die Stimme hatte ihren Namen genannt, sie hatte des süßen Geheimnisses, das tief im Herzen der Jungfrau sich barg, erwähnt. Niemand konnte ihre heutige Unterredung mit Salentin belauscht haben und daß dieser die Offenbarungen des büßenden Mönchs treu in seinem Innern bewahrt, davon war sie überzeugt. Schon bemühete sie sich, das Gehörte als ein Gaukelspiel der erregten Phantasie zu verwerfen, schon machte sie sich Vorwürfe, durch ein schrankenloses Hingeben an ihre Gedankenspiele diese Täuschung selbst veranlaßt zu haben, als jene Stimme, deren Klang sie unwiderstehlich ergriff und wie ein Ton der Liebe ihre Seele durchbebte, aufs Neue begann:

»Du heißest Regina und, bei dem ewigen Gotte! der Tag wird kommen, wo du als Königin des Festes obenan unter den Ritterfräulein prangst. Jetzt stehst du hier als eine Dienende; dann wirst du bedient werden. Theilnahmlos schweifen die Blicke über dich hin; dann wirst du der Gegenstand ihrer Huldigungen seyn. Wohl mag dein Bild siegreich im Herzen eines liebenden Jünglings leben, aber es gibt noch ein Herz, daß von überschwenglicher Liebe zu dir erfüllt ist, dessen Gefühle an Reinheit denen eines Vaters gleichkommen, an Allmacht, an Innigkeit unerreichbar sind! Und diese Liebe wird ihr Glück nur darin finden, dich zu beglücken. Ihr selbst leuchtet kein Stern der Hoffnung. Bald vielleicht wirst du sie empfinden, aber dann nur erst ganz erkennen, wenn das Herz, das sie belebte, starr und kalt geworden, wenn in dem Birkenhaine, der das Grab eines Unglücklichen beschattet, die Nachtigall von seinem Leid und seiner Liebe singt, wenn du aus ihrem Liede herauslauschest, daß sein Leben eine lange Buße, diese Buße die schmerzlichste Entbehrung gewesen.«

Die Stimme war so weich, so melodisch klagend geworden, daß Regina einer tiefen Rührung sich nicht erwehren konnte. Ohne daß sie es bemerkte, rannen Thränen über ihre Wange nieder. Sie zitterte, sie fühlte sich von diesem unerklärlichen Begegnisse so überwältigt, daß sie, um sich aufrecht zu halten, Imagina's Hand ergriff. Diese schrak zusammen, als sie das Zucken und Zittern in den Gliedern der schwesterlichen Freundin gewahrte. Sie sah zu Reginen auf, sie bemerkte die Thränen auf ihrer Wange, die entstellten, bleich gewordnen Züge.

»Bei der heiligen Jungfrau, dir ist unwohl!« sagte das erschrockene Kind. »Komm mit! Ich will dich hinausgeleiten. Der Hausvogt wird irgend ein stärkendes Heilmittel haben, das dir rasch wieder aufhilft.«

»Nein, nein!« antwortete Regina, »es ist nur eine Anwandlung, die schnell vorübergeht. Aber ich bitte dich, Imagina: sieh dich um und sage mir, wer hinter mir steht. Das Wunderbarste hat sich zugetragen. Noch vermag ich nicht mich zu fassen. Schau hin, Imagina! Mir selbst fehlt der Muth.«

»Hinter dir?« sprach verwundert das junge Mädchen, indem sie dem Verlangen der Freundin Folge leistete. »Da seh ich niemand, als den alten Hartmuth aus unserm Hause und neben ihm einen Mönch in grauer Kutte. Aber, bei allen Heiligen! Die Blicke des frommen Mannes sind so fest auf dich gerichtet, als wollten sie dich durchbohren, sie funkeln so gewaltig, daß man glauben möchte, sie könnten zünden, wie glühende Kohlen. Beruhige dich, Liebchen! der will dir nichts anthun. Scheint er doch zu den Büßenden zu gehören, denn sein Haupt und Angesicht ist mit der Kaputze verhüllt, die Augen sehen nur wie zwei Sterne aus den Öffnungen im härnen Gewande hervor. Böses liegt nicht in seinem Blicke. Ich möcht' es eine Andacht nennen, eine Erhebung, ein Vergessen der weltlichen Dinge.«

»Ein grauer Büßender!« versetzte mit schwankender Stimme Regina. »Welche Ahnung, welches wunderbare Zusammentreffen! Und dieser süße, tief in die Seele dringende Ton der Stimme? Ach, Salentin, welcher Verwirrung, welchen neuen Kämpfen hast du meine Seele, die sich kaum beruhigt, hingegeben?«

»Grolle ihm nicht!« sagte eifrig Imagina. »Er verdient es nicht um dich, denn deß bin ich gewiß, daß er dich über Alles hoch hält, daß er dich im Herzen trägt und nimmer von dir läßt. Er kann sein Glück nur mit dir finden und wo ersähest du Einen, der dich mehr zu beglücken vermöchte, als er? Sein redliches Gemüth, sein gutes Herz, sein frommer Sinn und kühner Muth finden nicht ihres gleichen. Blicke sie alle an die Junkherrn, wie sie dasitzen und sich spreitzen in ihrem bunten Staat, wie sie sich ein wichtiges Ansehn geben, als stecke etwas Rechtes hinter ihnen, wie sie bald ihr Antlitz in diese, bald in jene Falten legen, um anmuthig zu erscheinen und ihren Nachbarinnen zu gefallen. Dann werfen sie sich plötzlich hintenüber und quälen sich, die Späße des Lotterers zu belachen, blos damit sie durch ihre heftige Bewegung die Silberschellen an der Halskrause und den Ärmeln erklingen machen! Das sind lauter Milchgesichter gegen unsern Junker genommen. Betrachte sie alle der Reihe nach! Ist wohl einer unter ihnen, auf dessen Stirn sich Muth genug zeigte, ein armes verlassenes Kind aus dem Pesthause zu holen? Sie hätte meine Jammergestalt, sie hätte die Erkenntnis meiner schrecklichen Lage hinweggetrieben, wie dürres Laub im Sturme verweht. Ich kam mir vor, wie die Princessin im Märchen, die dem Drachen zum Opfer hingegeben wird; Herr Salentin aber erschien und es war dann wieder anders und ich sah in ihm den heiligen Erzengel Michael, der den Drachen überwindet. Mein Leben gehört ihm, und was ein schwaches Kind thun kann, seinem Retter zu danken, das werd' ich bis zum letzten Odemzuge vor Augen haben. Du bist die Glückliche, die er liebt, die Auserkorene seines Herzens! Nur das Eine mußt du bedenken, alles Andre, was feindlich Eurer Verbindung entgegen treten könnte, vergiß! In unsrer Einsamkeit erzählte mir die selige Mutter der Märchen mancherlei. Es war Abends unser Zeitvertreib, wenn der Vater den Forst durchwanderte, um den Wilddieben aufzulauern und den Waldfrevel zu verhüten. Glaube mir, Regina, die treue Liebe wird immer gekrönt und es geschehen Wunder, die ihr die Krone bringen, wenn sie sich nicht irren, nicht wankend machen läßt! Wie ein Wunder ist die Rettung durch Junker Salentin in das Grab, in dem ich lebendig begraben war, gekommen und ein gleiches Wunder wird sich ergeben, dich mit dem Brautkranze zu schmücken. Dann aber mußt du in deinem Glücke die arme Imagina nicht vergessen, dann mußt du mich fort und fort in deinem Hause dulden, als eine Dienerin, als eine niedre Magd, wenn du willst; aber von dir und Herrn Salentin kann ich nicht lassen.«

Regina hatte nur Weniges von dem, was ihre junge Freundin sagte, vernommen. Während Imagina's Rede gelang es ihr, sich zu sammeln, sie faßte Muth und blickte nun selbst verstohlen nach der Stelle hin, woher die wunderbare Stimme erklungen. Die hohe Gestalt des grauen Büßenden begegnete ihrem Auge. Indem sie ihr Angesicht nach ihm wandte, schien er von einer unwiderstehlichen Empfindung hingerissen. Er breitete die Arme nach ihr hin; er lehnte sich mit dem Oberleibe weit über die Schranken.

In diesem Augenblicke ertönten Pauken und Trompeten. Der Stadtschuldtheiß brachte die Gesundheit kaiserlicher Majestät aus, dann folgten viele andre Trinksprüche, in die Alle laut lärmend einstimmten, die Geselligkeit nahm einen wildern Character an, die Freude äußerte sich stürmisch.

»Jetzt wird mir's behaglich;« sagte der Limburger Stadtschreiber, zu dem wir von den traulichen Mittheilungen der beiden Jungfrauen zurückkehren, indem er selbst von froher Stimmung ergriffen, seinen Arm um den Nacken des Paters Clarus Trockenbrod legte.

»Wo man die Freud nach Lothen wägt,
Da nimmer meines Bleibens ist;
Doch fröhlich auch mein Herze schlägt,
Wo man die Lust in Scheffeln mißt!

Wir haben nichts zu trinken, Herzenspater, aber selbst mit trocknem Munde mach' ich doch all' die Trinksprüche mit.

Da muß das Herz der Becher seyn,
Aus dem wir Wonne schlürfen ein.

Vinum equus poëtarum: der Wein ist der Dichter Pegasus; aber wenn unsre Seele nicht noch nebenbei der Stall eines solchen Pegasus wäre, so würde manchem armen Schlucker von Poeten, dessen Keller so leer ist, wie bis dato Euer Terminirsack, das Reimen wohl vergehn. Doch, mein lieber Pater Clarus, der Ihr so wohl bekannt seyd in dieser freien Reichsstadt, saget mir, wer ist die blinde Frau in unsrer Nähe, mit welcher der Junker im knapp anliegenden Koller so treulich und dennoch ehrerbietig sich unterhält, was kann sie, deren Auge die bunte Herrlichkeit der Bankettlust verschlossen ist, die, wie ich mich überzeugt habe, weder Speise noch Trank berührt, wahrscheinlich weil sie sich vor den Leuten nicht ätzen lassen will, wie ein kleines Kind, hierhergeführt haben? Sie scheint in sich vergnügt, als genösse sie aller Lust des Anblicks, aller Freuden des Hirschessens.«

»Das ist meine Herrschaft, die edle Frau Gisela vom Rhein,« erhob sich hinter dem Gitter eine tiefe rauhe Stimme, die dem Leibdiener Hartmuth angehörte, »und bei'm Sanct Veit, wer ihrer lästert und ihres Unglücks spottet, der hat es mit mir zu thun! Wer mag es dem Mutterherzen verdenken, wenn es sich gern der Nähe des lieben Sohnes erfreut, der, nach vieljähriger Abwesenheit, heut zum erstenmale wieder die ihm gebührende Stelle unter den Söhnen der edlen Geschlechter einnimmt? Wer kann sie tadeln, daß sie eben darum, weil sie in ihrem Unglücke so Vieles entbehren muß, sich inniger und fester an das hält, was ihr geblieben ist? Genügt Euch diese Auskunft nicht, so kommt mit mir hinaus. Dort will ich sie mit einem Paar Fäusten bekräftigen, vor denen Eure Spott bald verstummen soll!«

»Ihr habt die Frage auf eine vollkommen befriedigende Weise gelöst,« erwiederte lachend Herr Gensbein. »Von sonstigen thätlichen Argumenten bin ich kein Freund und begehrt Ihr durchaus Streit mit mir, so mögts Ihr wissen, daß ich keine andre Waffen, als die Feder zu führen verstehe:

Die Feder ist scharf Ding,
Nicht achte sie gering;
Wo aller Schwerdter Spitz
Im Kampfe ist unnütz,
Da trifft sie sicherlich;
D'rum hüt' und wahre dich
Vor ihr und ihrem Naß
Aus schwarzem Dintenfaß!«

Brummend wandte sich der alte Leibdiener, der gern die Ehre seiner Herrschaft mit der wohlgeübten Faust verfochten hätte, ab. Wenn er auch das Sprüchlein des Stadtschreibers nicht ganz begriff, so sah er doch ein, daß er es mit einem Manne zu thun habe, der außer dem Bereiche des Zorns eines Leibeigenen stand.

Während die verschiedenen Individuen, denen wir bei'm Hirschessen in der freien Stadt Frankfurt bisher unsre nähere Theilnahme widmeten, in Beziehungen, die sich auf ihre eigenthümliche Verhältnisse gründeten, angeregt wurden, hatten die zwei Verhüllten im grünen und braunen Mantel sich in ein lebhaftes, immer eifriger werdendes Gespräch verloren, das sie flüsternd fortsetzten. Der Mann im grünen Mantel erhob oft unwillkürlich seine Stimme so laut, daß ihm ein Zischen der Nachbarn Stille gebot; das Frauenzimmer im weiten braunen Gewande zeigte durch ihre lebhafte Bewegungen, so wie durch den schlanken Körperbau, den selbst die Verhüllung nicht ganz verbergen konnte, ein jugendliches, rasches Wesen, eine rücksichtslose Heftigkeit, welche der männliche Begleiter vergebens bald durch ruhige ernste Ermahnungen, bald durch Ausbrüche des Unwillens zu dämpfen suchte.

»Es ist der Sohn des kaiserlichen Vogt's, sagst du, Vater;« ließ sich die Verhüllte in einer scharfen Betonungsweise vernehmen, welche die Vermuthung des Pater Clarus, wenn diese Worte sein Ohr erreicht hätten, zur Gewißheit erhoben haben würde. »Er ist einer von denen, die wir verfluchen, weil sie uns das Erbe unsrer Väter genommen, die wir verachten, weil sie vom unreinen Thiere essen, die wir hassen sollen, weil sie uns hassen, weil sie uns mit Spott und Hohn überhäufen, gegen die in unseren Schulen das Alenu lesschabbeach Schudt in seinen jüdischen Merkwürdigkeiten theilt ein Decret König Friedrichs I. von Preußen, in welchem die strengste Aufmerksamkeit auf dieses den Heiland lästernde Gebet empfohlen wird, mit. Das Decret ist datirt: Cölln an der Spree (Berlin.) 28. August 1703. gebetet wird. Vater, ihm kann ich nicht fluchen! Oft habe ich geträumt von dem himmlischen Cherubim, der mit dem Erzvater Jakob gekämpft, und die Züge, welche der Engel trug, finde ich in dem Angesichte dieses Mannes wieder. Er ist schlank von Gestalt wie die Ceder am Libanon, sein Antlitz strahlt wie der Himmel, den Moses am Horeb offen erblickte, seine Schönheit findet nicht ihresgleichen unter den Sterblichen.«

»Er ist ein Goi!« versetzte erboßt der jüdische Älteste Simeon Storch, denn niemand anders, als er und seine Tochter Cheyle, ein heftiges, leidenschaftliches Wesen, waren es, die dem Herkommen trotzend und die Wuth des Volks herausfordernd, sich vermummt zu dem Feste gedrängt hatten. »Er soll nicht schön seyn für dich, er soll dich bedünken, wie der Haman, der dem gesegneten Volke Gottes ein Greul bleibt für alle Zeit. Was kümmert dich der Goi, was brauchst du zu merken auf sein Antlitz, auf seine Gestalt? Ich habe dich hergeführt, daß du kennen lernen sollst den Prunk der Edelgesteine, der Perlen und des Geldes an den Frauen und Mädchen, daß es dir soll Freude machen zu gewahren, wie du das Alles herrlicher und reicher daheim besitzest, als sie. Blick dort auf die dicke Patriciersfrau am Eck! Erkennst du nicht die Perlenschnur, die sie am himmelhohen Henning trägt? Bei'm Gotte meiner Väter, ich schenkte sie deiner Mutter Selicha drei Tage vor ihrem Tode, den sie bei deiner Geburt fand, Du hast sie schon getragen als ein Kind und legtest sie ab, da du dreizehn Jahre zähltest. Jetzt prangt die hoffährtige Frau des Goi damit, aber die fünfhundert Turnosen, für die ich sie ihr überließ, stehn noch unausgestrichen in meinen Pergamenten. Und so, Cheyle, verhält es sich mit dem größten Theile des Staates, den du hier erblickst. Er ist mein Eigenthum und du kannst ihn daheim in unserm Hause zum Storchen noch einmal erschauen in der Gestalt von Briefen und Schuldverschreibungen!«

Simeon lachte unter dem Mantel, der die Hälfte seines Angesichts verbarg, dumpf in sich hinein. Cheyle aber sagte in einem trotzigem und herben Tone:

»Was kümmert mich Perlenschmuck und Edelstein, wie mag ich der vergelbten und staubigen Pergamente in deiner Schreibtruhe gedenken, wenn mein Auge, wenn meine ganze Seele von einem Zauber ergriffen ist, den ich nie zuvor empfunden? Als die Königin von Sabba den herrlichen Salomo zum erstenmale sah, erzitterte ihr Herz in freudiger Wonne, sie vergaß ihrer Macht und ihrer eigenen Schönheit, sie vergaß der klugen Sprüche, die sie erdacht, um den weisen König zu prüfen, sie vergaß der Größe, die ihr der Herr verliehen und erblickte nur ihn, sie versank mit allen ihren Gefühlen, Wünschen und Hoffnungen in das Anschauen desjenigen, nach dem ihre Seele begehrte. Vater, so geht es mir mit diesem jungen Manne, den du Salentin vom Rhein nennst! Sprich mir nichts dagegen, denn Alles, was du auch einwenden magst, würde in der Gluth, die mich verzehrt, mit untergehn. Was daraus werden soll, fasse ich selbst nicht. Ich werde von einer Gewalt hingerissen, der ich nicht widerstehn kann. Du liebtest mich immer, Vater, was du meinen leisesten Wünschen ablauschen konntest, war im nächsten Augenblicke mein; ich habe nie in meinem Begehren einen Widerstand erfahren, ich kann mich in eine Entsagung nicht finden. Sprich, Vater, rathe mir! Aber noch einmal: suche nicht die Flamme zu dämpfen, die mich ergriffen hat; ein kaltes, ein feindliches Wort entzündet sie nur mehr!«

»Verflucht sey das Gelüst, das mich und dich hierherführte!« brach Simeon, indem er nur mit der äußersten Anstrengung die nothwendige Vorsicht zu beachten vermochte, los. »Der Anblick dieses Goi verdreht dir den Kopf. Es wäre besser, du würdest, wie Loth's Weib, zur Salzsäule, als daß dich eine unsinnige Liebesgluth zur Rasenden macht. Weißt du, wie die Gojim mit der Tochter des auserwählten Volkes verfahren, die nach einem der ihrigen begehrt? Sie verbrennen sie auf dem Richtplatze in feuriger Lohe, sie geben ihre Asche den Winden Preis. Und was hat der Fant Besonderes, das deinem Auge wohlgefällt, Cheyle, mein Kind?« fuhr er leiser fort. »Ist nicht Baruch, der Sohn Salech's, schlanker gewachsen, als er? Besitzt nicht Josua, das Kind der Wittwe Sarah, ein ebenso zartes Antlitz, wie dieser Sohn der Gojim? Strahlt sein Auge feuriger, als das des Simson Cened? Wähle dir unter unsren Leuten den Bräutigam, Cheyle, und der Segen Abraham's und Jacob's wird auf deinem Bunde ruhn!«

Cheyle antwortete nichts, aber ihre Blicke weilten fortwährend in dunkler, leidenschaftlicher Gluth auf dem schönen Christen. Ein Getümmel im Eingange der Halle zog Aller Augen auf sich; sie bemerkte es nicht, ihre Sinne waren befangen, nur ein Gedanke, ein Gefühl beherrschte ihr ganzes Wesen. Ein wunderlicher Zug drängte sich von den äußern Gängen der Halle heran: erst in festlicher Kleidung die Diener derjenigen Patricier und Rathsherrn, die irgend ein Hinderniß vom Bankett zurückgehalten, dann die Spitalpfleger mit den Krankenwärtern, zuletzt der Stökerer oder Scharfrichter mit den sogenannten fahrenden Dirnen, die unter seiner Aufsicht ihr Gewerb in einem eigenen Bezirk der Stadt, der den Namen des Rosengartens trug, trieben. Alle empfingen nach einem alten Herkommen auch ihren Antheil von dem Hirschessen. Den daheimgebliebenen Standespersonen wurde er durch die Diener übersandt; die Übrigen brachten Schüsseln in Körbchen, die mit Blumen geschmückt waren, um ihn in Empfang zu nehmen. Der Verfall der Sitten war in jenen Zeiten so groß, daß die Patricierssöhne, selbst in Gegenwart der ehrbaren Frauen und Jungfrauen, sich erlauben durften, freie Reden an die fahrenden Dirnen zu richten, die mit leichtfertiger und lockender Gebehrde, in einem Kleiderprunk, der ihre Reize auf das Vortheilhafteste zur Schau stellte, einen Umzug um die Tafel hielten. Man vergaß bei solchen Gelegenheiten des Fluchs der Verworfenheit, der auf ihnen ruhete, selbst die Frauen betrachteten ihre Erscheinung als ein Schauspiel, das mit zu den Freuden des Tages gehörte; nur der Stökerer in seinem blutrothen Anzuge, mit dem weißgestickten Henkersbeil auf der Brust, erinnerte unangenehm an seinen Beruf.

Langsam hatte sich der Zug um die Tafel bewegt, oft aufgehalten durch lose Fragen, welche man den Dirnen vorlegte und die sie mit geläufiger, leichtfertiger Zunge beantworteten. Eben stand er im Begriff, die Halle wieder zu verlassen, als sich plötzlich in der Nähe des vergitterten Closetts, in welchem sich Herr Gensbein von Limburg und Pater Clarus befanden, ein Lärm erhob, der in ein wildes stürmisches Getöse ausartete.

Hartmuth, der alte Leibdiener des Herrn vom Rhein, hatte bis jetzt die empfindliche Zudringlichkeit der zwei verhüllten Gestalten in seinem Rücken geduldig ertragen und sich begnügt, nur von Zeit zu Zeit, wenn sie ihm allzu lästig geworden, sich durch einige unwillige Bewegungen Luft zu machen. Die Erscheinung der fahrenden Dirnen aber erregte die Neugierde des jüdischen Ältesten in einem zu hohen Grade, als daß er nicht die letzte Schranke der Mäßigung, in der ihn bisher die Scheu vor dem Orte und die Furcht erkannt zu werden, gehalten, durchbrochen hätte. Er drängte gewaltsam vor, er setzte dem alten Manne die Spitze seines Ellnbogens mit so schmerzlichem Drucke in die Seite, daß dieser, aller Ehrerbietung, welche er den Theilnehmern am Hirschessen schuldig war, vergessend, einen lauten Schrei ausstieß und mit einem kräftigen Stoße der Faust auf die Brust des Juden dessen Thätigkeit erwiederte.

»Hund von einem Leibeigenen!« knirschte Simeon, indem er seinerseits die geballte Faust drohend nach dem Angesichte Hartmuths ausstreckte. »Du wagst es, einen Freund deines Herrn, einen Mann, der tausend Schurken, wie du bist, bezahlen kann, zu schlagen? Glaubst du, ich fürchte dich, ich besäße nicht den Muth, es mit dir aufzunehmen, dir den Eselskinnbacken aus dem Rachen zu reißen und damit dich niederzustrecken, wie Simson die Philister?«

Der israelitische Älteste hatte in seiner gereizten Wuth ganz und gar die Besonnenheit verloren, seine laute Rede erregte die Aufmerksamkeit aller Zunächststehenden und zu seinem Unglücke fiel jetzt, wo so manches Auge auf ihn gerichtet war, durch die Heftigkeit seiner Bewegungen gelös't, der verhüllende Mantel von seinen Schultern. Das wohlbekannte Angesicht des reichen Juden Simeon Storch trat aus seiner bisherigen Verborgenheit hervor. Zuerst erregte die unerhörte Verwegenheit ein durch eine plötzlich eintretende Stille bezeichnetes Staunen. Man konnte kaum seinen eigenen Augen trauen, der Frevel schien so außerordentlich, daß man an der Wirklichkeit einer Erscheinung zweifelte, die noch nie bei einer solchen festlichen Gelegenheit statt gefunden hatte. Diese Stille dauerte aber nur einige Augenblicke. Dann folgte ein Ausbruch der Volkswuth, der den Juden und seine Begleiterin, die jetzt aus den Träumen ihrer Leidenschaft erwachte und sich zitternd an den Vater schmiegte, mit den rohesten Mißhandlungen bedrohete. Hundert Stimmen wurden in Verwünschungen und Flüchen laut, in Schimpfworten, wie sie bei der damaligen Rohheit der Sitten unter dem Pöbel gegen die verhaßten kaiserlichen Kammerknechte gebräuchlich waren. In wenigen Augenblicken lagen die Mäntel Simeon's und seiner Tochter zerrissen am Boden. Das Antlitz des Juden, von der Verzerrung des Grimms und der Verzweiflung entstellt, zeigte ohngeachtet der dringenden Gefahr, die ihn umgab, noch immer Trotz und Anmassung. Cheyle hatte sich bis an die Schranken vorgedrängt. Sie starrte nach Salentin hin, sie hob gegen diesen die Arme, als erwarte sie von ihm Heil und Rettung. Sie konnte, nach allen Begriffen orientalischer Reize, für schön gelten. Man sah nun, da die bergende Hülle gefallen war, die ganze Fülle der üppigen, dennoch anmuthig gebauten Gestalt, auf der sich das hochgetragene Haupt, von reichen dunkeln Locken umflossen, erhob, dessen Gesichtszüge, obschon vom Schreck gebleicht, in edlen Formen ein stolzes und heftiges Gemüth aussprachen. Der Seidenanzug, den sie trug, war mit Perlen und Edelsteinen gestickt; eben so trug Simeon Storch eine schwere goldne Kette, ähnlich den vom Kaiser verliehenen Ehrenketten, um den Hals. Der Anblick dieser Schmuckstücke schien neben der Wuth des Volks auch die Begehrlichkeit der Einzelnen zu reizen. Der Lärm erhob sich tobender, viele Hände streckten sich nach dem Juden und seiner Tochter aus, ein furchtbares Gebrüll aus hundert Kehlen verschlang die Worte, mit welchen Herr Hanns vom Rhein und einige der ältern Rathsherren, welche von ihren Sitzen aufgesprungen und an die Schranken geeilt waren, den Sturm zu beschwören suchten. Der jüngere Theil der Tischgesellschaft, besonders die Junker aus den edlen Geschlechtern ergötzten sich an dem schrecklichen Bedrängniß der Opfer einer entfesselten Volkswuth. Man gönnte denjenigen eine Strafe, die man wegen ihrer Reichthümer beneidete, man höhnte eines Unglücks, das nach den barbarischen Ansichten jener Zeit, den Meisten wohlverdient schien.

»Wenn kein Deus ex machina kommt,« raunte der Stadtschreiber von Limburg seinem Gefährten zu, »so wird dieser Jud und seine Begleiterin bald einem Paar Vögel ähnlich seyn, denen man die Federn ausgerupft hat. Ira est janua vitiorum:

Erst zeigt der Zorn sich mächtig groß,
Dann geht es auf ein Rauben los.

Diese güldene Kette, diese Perlen und Diamanten werden heute vor Mitternacht noch ganz andre Leute zieren, als vom Stamme Israel: gute Christen und geschickte Beutemacher!«

»Bei Sanct Franciscus!« versetzte der Bettelmönch: »ich mag diese Heilandsschänder so wenig leiden, wie Hunger und Durst, aber ich säße doch lieber in diesem Augenblicke trockenem Mundes in einer elenden Herberge, als daß ich hier in Erwartung des Schmauses bei Meister Heinz Zeuge einer blutigen Gewaltthat würde.«

Der Leibdiener Hartmuth, selbst im höchsten Grade erschrocken, eine Ursache dieser Störung der Festesherrlichkeit zu seyn, hatte sich voll ängstlicher Erwartung in einen Winkel zurückgedrängt. Der Jud und seine Tochter schienen verloren. Schon hatte man sich seiner bemächtigt und zwei Männer, die rohesten unter der empörten Menge, standen im Begriff, Hand an die geängstigte Cheyle zu legen. Die schöne Jüdin behauptete noch ihren Platz an der äußersten Grenze der Schranken, ihre Blicke flogen bittend nach Salentin, ihre zitternden Hände reichten nach ihm hin. Simeon rang indessen, seine nicht gewöhnliche Körperkraft aufbietend, mit den Gegnern, die ihn hinausschleppen wollten. Sein Trotz erlag nicht unter den Mißhandlungen, welche er bereits erlitt. Ein Strom von Schmähreden sprudelte aus seinem Munde, er war nur bemüht, sich in der Nähe der Tochter zu erhalten, die er mit einer jeder Aufopferung fähigen Zärtlichkeit liebte. Sein Widerstand aber vermehrte die Menge und Wuth der Bedränger. Von vielen Händen überwältigt stürzte er zu Boden, er würde wahrscheinlich unter den Stößen und Fußtritten, denen er hier bloßgestellt war, seinen Geist aufgegeben haben, wenn nicht im Augenblicke der höchsten Noth zwei gewaltige Arme mit einer Kraft, die übermenschlich schien, den Knäul der Menschen, der ihn umgab, getrennt hätte, wenn nicht die Wüthendsten der racheschnaubenden Judenfeinde von eben diesen Armen unwiderstehlich zurückgeschleudert und ihm so einige Momente der Freiheit verschafft worden wären, die er benutzte, sich, obwohl blutrünstig und durch Quetschungen furchtbar entstellt, rasch wieder aufzuraffen. Es war der graue Mönch, der die Kraft eines Athleten entfaltend, als der Beschützer des Israeliten auftrat. Er stellte sich vor ihn, er breitete schirmend beide Arme aus. Seine hohe Gestalt, das Düstre seines Anzugs, das Wunderliche seiner Erscheinung, an der nichts Menschliches zu erkennen war, als die dunkeln, Blitze schleudernden Augen, machten einen Eindruck auf die Menge, der ihre Wuth lähmte, der sie mit jener Scheu erfüllte, welche oft unerklärlich und unwiderstehlich das Toben der wildesten Leidenschaften zum Schweigen bringt. Ringsum war es still geworden, die Hände, die noch eben zu grausamer Mißhandlung, selbst vielleicht zum Morde bereit gewesen, hingen unthätig herab. Da stand mit einem Male der graue Mönch auf dem breiten Rande der Schranken. Er hatte sich so leicht hinaufgeschwungen, daß nur wenige diese Bewegung bemerkten und er den Meisten wie eine plötzlich auf wunderbare Weise sichtbar werdende Erscheinung dünken mußte. Ein Flüstern des Erstaunens und der Überraschung erhob sich unter den Tischgästen. Salentin's Blicke lagen unruhig, forschend und mit dem Ausdrucke der lebhaftesten Wißbegierde auf dem Mönche. Dieser hatte drohend beide Hände gegen die empörte Menge erhoben und sprach jetzt in einem wohllautenden, klangvollen Tone, der bis an die äußersten Enden der Halle vernommen wurde:

»Wollt Ihr denen gleichen, die Ihr verdammt, dem Beispiele derjenigen folgen, die Ihr verachtet? Kreuzigt ihn, kreuzigt ihn! schrieen einst die verblendeten Voreltern dieses unglücklichen Volkes. Sie meinten den Heiland, den unsterblichen Sohn Gottes, aber sich selbst richteten sie mit diesem Rufe auf alle Zeiten. Er liebte die, so ihn haßten, er vergalt ihnen, denn er ist die ewige Liebe, die nur Versöhnung kennt. Der Fluch jenes Richtspruches fiel auf sie zurück und verfolgt sie immerdar. Er zerstreut sie auf der weiten Erde, er verweigert dem ganzen Volke die heimathliche Stätte, er gönnt nur dem Einzelnen, daß er geduldet werde, immer geschäftig, diese Duldung in Verachtung, Haß und Verderben zu verkehren. Wollt Ihr, die Ihr Christen seyd, Euch der Macht dieses Fluches, der den Heiland treffen sollte, aber unschädlich an ihm vorüberging, unterwerfen? Wollt Ihr seinem Hasse die Seele, seinem Verderben Eure Werke hingeben? Die heiligen Märtyrer starben für die ewige Liebe Gottes, sie siegten im Tode, in der Liebe, in der Versöhnung über die finstern Höllenmächte des Hasses. Ringet auch Euch los von diesen! Macht Euch frei von Ihnen, indem ihr das böse Gelüst in Eurer Brust bekämpft, die Schlange, die an dem Keime des ewigen Heils, der in jeder Menschenseele liegt, naget, unschädlich macht. Mein ist die Rache, spricht Gott, der Herr! Lasset diesen Unglücklichen, auf dem ohnehin der Fluch der alten Zeit schwer lastet, in Frieden ziehn!«

Obgleich die Worte des Mönchs nur Liebe und Versöhnung athmeten, so erhob sich doch, während er sprach, wiederum ein unruhiges Flüstern, das bald zu einem drohenden Murren anwuchs, unter der Menge. Die erste Scheu war mit der Betroffenheit, welche die überraschende Erscheinung bewirkt, verschwunden, das Geschmeide, womit der Jude und sein Kind bedeckt waren, reizte zu sehr die Habsucht der Verworfensten unter den Glaubenseifrern, als daß sie einer gütigen Ermahnung, ihren Versuchen zu entsagen, hätten Gehör leihen mögen. Fast ganz fremd dem tollen Treiben in seiner Umgebung stand Salentin, der bei den ersten Worten des grauen Büßenden sich unwillkührlich von seinem Platze erhoben hatte. Diese Stimme war ihm nicht unbekannt, sie tönte von der Ingelheimer Au in seine Erinnerung herüber. Er hatte sie einst in glücklichen Verkündigungen, die ihm die Auflösung des wichtigsten Räthsels seines Lebens versprochen, vernommen; sie hatte sich so tief in seine Seele geprägt, daß hier keine Täuschung stattfinden konnte. Was aber bewog den unglücklichen Aussätzigen, der sich selbst einen Ausgestoßenen der Menschheit nannte, in ihrem geselligen Verein zu erscheinen, sich zu Freuden zu drängen, die seine tief verwundete Seele nicht reizen konnten, den Fluch seines Geschicks, den er, wie er selbst geäußert, ansteckend wähnte, andern nahe zu bringen? Kam er vielleicht um seinet-, um Reginen's willen? Er versenkte sich in diese Fragen, ohne sie beantworten zu können, er wurde endlich aus diesen träumerischen Gedanken durch ein entsetzliches Getöse, das jetzt von allen Seiten, hinter den Schranken und auf den Gallerieen erschallte, emporgerissen.

Die Volkswuth, welche auf Augenblicke unterdrückt gewesen, überwogte, gereizt und wiederum aufgeregt von Einzelnen, gleich einem reißenden Strome alle Dämme. In den oberen Schauräumen hatte man jetzt erst erfahren, wer eigentlich die Veranlassung dieser Störung sey. Kaum aber war es bekannt geworden, daß ein Jude mit seiner Tochter sich verkappt bei dem Feste eingeschlichen, so brach auch hier der Haß gegen die begünstigten reichen Kammerknechte des Kaisers in wilden Schimpfworten, im stürmischen Verlangen nach Bestrafung los. Nur die Ausrufungen Einzelner tönten manchmal aus diesem verwirrten Getöse hervor: »Hinweg mit dem Mönch! Was will der Pfaff? Hört nicht auf den Kuttenträger, der es mit den Juden hält!« Hätte nun auch die obrigkeitliche Behörde, die bis jetzt die Sache als einen Muthwillen, den die Anmaßung des Israeliten wohl verdient, angesehen, gewaltsam einschreiten wollen, so schien es zweifelhaft, ob die im Augenblicke vorhandenen Zwangsmittel ihren Zweck erreichen würden. Man hielt es daher für rathsamer, das Leben eines Juden, als das eigne Ansehn auf das Spiel zu setzen.

Als der Mönch sah, daß sein Versuch, die empörten Gemüther durch friedliche Ermahnung zu beschwören, vereitelt sey, verließ er seinen erhabenen Platz und drang mitten unter die wildbewegte Menge. Er theilte sie wiederum mit starken Armen, er wollte sich dem Juden nahe drängen, den indessen die Wüthendsten umringt, wiederum ergriffen und nach dem Ausgange gezerrt hatten.

»Wohin schleppt Ihr den Unglücklichen? Was wollt Ihr mit ihm thun?« rief mit Alles übertönender Stimme der graue Mönch, indem er mit dem Haufen auf dem äußern Gange nach der Treppe hintrieb. Ein rohes Gelächter tönte aus hundert Kehlen.

»Er soll getauft werden! Im Main wollen wir das Judenthum von ihm abwaschen! Kommt mit uns, ehrwürdiger Herr! Ohn' einen Pfaffen wär's doch nur eine Nothtaufe und dem Juden soll nichts entgehn vom heiligen Werke!«

Ein Mensch, dessen ganzes Äußeres an den Tag legte, daß er zu der Hefe des Volks gehörte, ertheilte dem büßenden Bruder diese Antwort. Er begleitete sie mit einem widrigen höhnischen Gelächter, er suchte sich des Arms des Mönchs zu bemächtigen, um ihn nöthigenfalls mit Gewalt seinen Absichten zu unterwerfen. Da ergriff ihn dieser aber, nur im Vorübereilen, mit einer Kraft, die des frechen Buben Gebein bis in das innerste Mark erschütterte, bei der Brust und schleuderte ihn so unwiderstehlich und nachdrucksvoll fernab in einen Winkel, daß er hier stöhnend und kaum seiner Sinne mächtig liegen blieb. Ohne weiter auf ihn zu achten, drang der Mönch vorwärts. Bald befand er sich in der Nähe des Juden, dessen Muth unter den fortgesetzten Mißhandlungen zu erliegen schien, der nun mit einem Zetergeschrei in die Worte ausbrach:

»Wo habt Ihr meine Tochter? Thut mit mir, was Ihr wollt, aber schont meines Kindes!«

Der Mönch gab noch nicht alle Hoffnung auf, dem Juden hülfreich seyn zu können. Er hielt sich so nahe an ihn, als möglich, aber immer bildeten diejenigen, welche sich seiner bemächtigt hatten, die ruchlosesten unter dem Haufen, eine undurchdringliche Scheidewand zwischen ihm und dem bedauernswürdigen Opfer der gereizten Volkswuth. So wälzte sich der Strom die Treppe hinab, über den freien Platz nach dem Thore hin, das an das Ufer des Mains führte.

Cheyle hatte indessen, als auch für sie der Augenblick, den Mißhandlungen ihrer Widersacher heimzufallen, gekommen schien, den Retter, den sie wünschte und ersehnte, gefunden. Nachdem man den Vater, der, so viel er es vermochte, die geliebte Tochter, den Stolz seines Hauses, mit seiner eigenen Person zu schützen gesucht, von ihr gerissen, war sie erst vielen, die bis dahin nur auf Simeon geachtet, zu Gesicht gekommen. Die Edelsteine, mit denen sie bedeckt war, ihre eigene Schönheit, das unverkennbare physiognomische Gepräge ihrer Nation, das aus ihren Gesichtszügen sprach, entflammten mehr und mehr die rasende Leidenschaftlichkeit des Pöbels.

»Was thut das Schicksel mit Gold und Diamant?« ertönte ein wüthendes Geschrei. »Reißt ihr die Flitter vom Leib und dann mit ihr dem Alten nach! Es ist doch nur fremdes Gut, gestohlen in Wucher und Schacher.«

Schon reichten viele schmutzige Hände nach dem Schmuck, schon drang ein wieherndes Gelächter höhnend und schrecklich drohend zu dem Ohr der Unglücklichen. Da riß sie selbst die Perlenschnur, die Diamanten und das Goldgeschmeide von Brust und Arm und warf es den Raubsüchtigen hin.

»Nehmt Alles!« rief sie. »Alles ist Euer, nur schont meiner und meines Vaters!«

Eine unbeschreibliche Verwirrung entstand jetzt unter den Bedrängern der Israelitin. Das Opfer, welches sie mit ihrem Schmucke brachte, befreite sie für den Augenblick von denjenigen, die einen Angriff auf ihre Person beabsichtigten. Alle stürzten im wilden Gewühle über die Kostbarkeiten, die vereinzelt zwischen ihren Füßen hinrollten, her. Jeder wollte Theil an dem Raub haben, jeder eine Trophäe eines Sieges, der ihn entehrte, mit heimnehmen. Das Unternehmen gegen die Jüdin war zersplittert; so viele sich bisher vereinigt, um eine gemeinsame Rache auszufechten, so viele balgten sich jetzt in einzelnen Kämpfen am Boden umher, nur auf Befriedigung der niedrigsten Habsucht bedacht, von dem Gelüst nach dem Eigenthume andrer belebt.

»Wirf weg und sey es noch so werth,
Was Schmerz und Unheil dir bescheert!«

sagte Herr Gensbein zu seinem Freunde, dem Pater Clarus. »Der schlauen Jüdin ist noch zu guter Zeit dieses Sprüchlein des Cato eingefallen: que nocitura tenes, quamvis sint cara relinque

Aber es waren doch noch der Wüthenden genug, die, zu fern, um an dem Raube Theil nehmen zu können, mit Gebehrden des heftigsten Zorns nach Cheyle deuteten, mit tobendem Geschrei ihre Bestrafung verlangten. Ein riesenmäßiger Schiebkärrner, den es ärgerte, daß die Jüdin einer List ihre Rettung verdanken sollte, stieg von der Gallerie herab mit unwiderstehlicher Gewalt durch das Gewirre der am Boden Suchenden und erhob, wie ein Adler die Kralle über der Taube, die ausgestreckte gewaltige Hand über dem Nacken des Mädchens.

Stumm vor Entsetzen hatten bisher Regina und Imagina dem empörenden Schauspiele beigewohnt. Sie standen an den Sessel der blinden Frau Gisela gedrängt, keine von ihnen vermochte die Fragen der mütterlichen Freundin zu beantworten. Da fielen Regina's Blicke auf die furchtbare Gestalt des Mannes, der bereit stand, Cheyle zu ergreifen. Sie stieß einen Schrei aus, sie faßte, Alles vergessend, Salentin' s Hand und sagte, indem sie nach der Jüdin, die verzweiflungsvoll die Hände rang, hinwies, in einem Tone, den die Angst bis zur Unverständlichkeit dämpfte:

»Salentin, rette die Unglückliche! Sie richtet flehend die Blicke auf dich, sie hebt in ihrer äußersten Noth die Hände bittend zu dir hin, sie scheint ihre Hoffnung nur auf dich, ihr letztes Vertrauen nur auf deine Hülfe zu setzen. Wie ist ihre Wange von Todesangst gebleicht, wie beben in schrecklichen Zuckungen ihre Glieder! Wohin sie blickt, begegnen ihr Hohn und Kälte, nur in deinem Angesichte glaubt sie einen Ausdruck des Mitleids, des Wohlwollens zu lesen. Deshalb wendet sie sich an dich – hilf ihr, Salentin, rette sie!«

Alle diese Ereignisse folgten in einem Raume weniger Minuten aufeinander. Salentin war durch die Erscheinung des grauen Mönches, durch die Entdeckung, daß dieser und der Aussätzige von der Rheininsel eine und dieselbe Person seyen, noch zu sehr befangen, um die Einzelnheiten der tragischen Scene, in welcher Cheyle die Hauptrolle spielte, wahrzunehmen. Kaum aber hatten Regina's Worte ihn auf die verzweiflungsvolle Lage der Tochter Simeons aufmerksam gemacht, so erwachten die Gefühle der Menschlichkeit, des Unwillens und der Ritterlichkeit, die jede Gewaltthat gegen das schwächere Geschlecht empört, so lebendig in seiner Brust, daß er mit wenigen hastigen Schritten an den Schranken stand, rasch das Schwerdt entblößte, dieses zwischen Cheyle und ihren Feind ausstreckte, der bei dem Anblicke des blanken Stahls betroffen zurückbebte, und nun die schöne Jüdin, indem er mit dem linken Arm ihren Leib umschlang, kräftig über die Scheidewand in das abgeschlossene Innere der Halle hob.

»Gott meiner Väter, laß mich sterben in diesem Augenblick!« drang im Tone des Entzückens eine schwache Stimme an sein Ohr. Er blickte auf Cheyle. Sie lag mit geschlossenen Augen an seiner Brust, sie hatte ihren Arm um seinen Nacken geschlungen. Das laute Hohngelächter einiger jungen Patricier in seiner Nähe lenkte seine Aufmerksamkeit von der Last, welche in süßer Hingebung an seinem Herzen zu ruhen schien, ab.

»Seht den Judenritter!« riefen jene. »Er will seine ersten Sporn im Kampfe mit Lastträgern und Kärrnern verdienen, er bricht der kaiserlichen Kammerdirne zu Ehren eine Lanze auf dem Vorplatz, außerhalb der Schranken.«

»Auch innerhalb der Schranken bin ich bereit gegen jeden, der an meiner Ritterehre zweifeln möchte, mit Schwerdt und Lanze den Beweis zu führen, daß er ein boshafter Lügner ist;« versetzte erglühend der junge Mann. Er ließ bei diesen Worten die schöne Jüdin los und trat in so fester, ernster Stellung jenen Spöttern näher, daß der Schimpf auf ihren Lippen verstummte und das Lächeln des Hohns aus ihren Zügen verschwand. Cheyle hatte ihre Fassung wieder gewonnen. Sie fühlte sich unter Salentins Schutz wieder stark, ihr Stolz erwachte, sie richtete sich empor und sah mit freiem, kühnen Blicke in die Versammlung. Manches Auge ruhete jetzt bewundernd auf ihrer Schönheit, viele Frauen und Fräulein, die bisher die Sache als einen der bei solchen Gelegenheiten nicht ungewöhnlichen Volkstumulte, welche durch einen geringfügigen Anlaß hervorgebracht werden konnten, angesehn hatten, schenkten jetzt dem armen Mädchen, das leichenblaß, mit aufgelöstem Haar, zitternd und dennoch von einem gewissen Selbstbewußtseyn beseelt, in der Mitte der Halle allein und als ein Gegenstand der verschiedenartigsten Bemerkungen stand, ihre wohlwollende Theilnahme.

»Du gibst uns Allen eine gute Lehre, mein Sohn!« sprach Herr Hanns vom Rhein, indem er zu Salentin schritt und diesem die Hand reichte. »Kein wackrer Rittersmann duldet, daß der Schwächre durch die Übermacht unterdrückt werde. Sie ist eine Jüdin, aber auch ein Weib. Der Leichtsinn hat sie hergeführt, aber mit der Angst, die sie erlitten, ist sie hinlänglich dafür gestraft. Bringe sie heim, Salentin! Und bei'm Haupte des heiligen Bartholomäus, wer nicht glaubt, daß dieser Ritterdienst ebenso edler Art sey, als wäre er einer Fürstentochter erwiesen worden, der kann auch noch einmal des alten Hanns Arm und Waffen prüfen! Heda, Trabanten!« rief er nach dem Hintergrunde: »Stellt die Ruhe hinter den Schranken her! Stopft den Lümmeln das Maul, die so wenig Achtung vor Obrigkeit und Ritterschaft haben, daß sie durch ihr ungebührliches Geschrei den Frieden des Bankett's stören!«

Während die Trabanten diesem Gebote, das um so weniger Widerstand erlitt, da die ärgsten Schreier sich mit Simeon entfernt hatten, Folge leisteten, ergriff Salentin die Hand der schönen Jüdin und führte diese, ohne noch ein verletzendes oder höhnendes Wort aus dem Munde seiner Standesgenossen zu vernehmen, aus der Halle. Auf dem Gange vor dieser empfing ihn der geschäftige Stadtkoch und geleitete ihn eine entlegene, einsame Hintertreppe nach einem Ausgange hinab, der ihn und die noch immer bebende Gefährtin in ein dunkles Gäßchen brachte, wo die völligste Ruhe herrschte und sich mehrere Wege zeigten, auf denen sie ungestört zu der Wohnung des Juden gelangen konnten. Schweigend schritt Cheyle an der Seite des jungen Patriciers einher, der sich bemühete, sie durch freundliche Worte zu beruhigen; von Zeit zu Zeit zuckte ihre Hand in der seinigen, sie preßte diese mit heftigem Drucke, sie verwandte das glühende Auge nicht von ihrem Begleiter. Schwere Odemzüge hoben ihre Brust und die Hand, welche er hielt, brannte fieberhaft.

»Ihr seyd krank, Ihr befindet Euch übel;« sagte mitleidig der Sohn des kaiserlichen Vogts. »In Eurer Wohnung werde ich Euch eine beruhigende Arznei bereiten.«

Der Mond trat in diesem Augenblicke hinter dem Giebel eines Hauses hervor. Salentin bemerkte, daß Cheyle lächelte und mit einem seltsamen Ausdrucke in ihren Gesichtszügen das Haupt schüttelte. Sie hatte sich in ihrem Leben noch nie so wohl, so glücklich gefühlt, als während der kurzen Zeit, in der die Hand Salentins die ihrige berührte, sein Odem ihre Wange traf, der süße Laut seiner Rede an ihr Ohr drang. Alles war vergessen, was sie erlitten, was sie noch vor wenigen Minuten schrecklich bedroht. Sie empfand nur die beglückende Nähe des Mannes, dem ihr stolzes Herz, von der Macht der Liebe getroffen, wie die Eiche vom Blitze, huldigte. Erst als sie an der Thüre ihres Hauses stand, als die Diener diese geöffnet und mit Ausrufungen der Besorgniß die junge Gebieterin, ohne ihren Vater, zurückkehren sahen, gedachte sie selbst wieder seiner.

»Edler Mann,« sagte sie im flehenden, dringenden Tone zu Salentin: »Euch hat der Gott meiner Väter aus denen, die uns hassen und verfolgen, auserwählt, um den Bedrängten auf's Neue seine Gnade zu offenbaren. Der Gott Israels ist noch immer ein starker und mächtiger Gott. Vor seinem Odem schmilzt das Eis, das sich um die Herzen der Menschen gelegt, dem Winke seiner Hand ist Alles unterthan. Vollendet Euer Werk! Hört auf das Flehn einer jammernden Tochter, die schwach genug seyn konnte, des Vaters in seiner Bedrängniß zu vergessen. Ich beschwöre Euch, verliert keinen Augenblick! Eilt hin, sucht ihn auf! Ich weiß nicht, wohin ihn die Unmenschen geschleppt haben, aber die allmächtige Hand, die Euch zu meiner Rettung geführt, wird Euch auch auf die Bahn lenken, wo Ihr seine Befreiung erreicht. Ihr seyd ein Cherubim mit himmlischer Gewalt ausgerüstet. Euer Auge flammt Blitz, Eure Gestalt trägt das Gepräge der göttlichen Abkunft, in Eurer Hand liegt Gottes Stärke: niemand kann Euch widerstehn. Geht, geht, rettet, wenn es noch Zeit ist!«

Sie sprach diese letzten Worte mit seltsamer Heftigkeit. Zugleich preßte sie die Rechte des erstaunten Salentin's an ihre glühenden Lippen, stieß ihn dann mit einer hastigen, fast wahnsinnigen Bewegung von sich und verschwand, von den Dienern gefolgt, in das Innere des Hauses.

Der junge Patricier schrieb die wunderliche Art dieses Abschieds der großen inneren Erregung, in welcher sich, nach den vorhergegangenen Ereignissen und bei den Besorgnissen um das Schicksal ihres Vaters, Cheyle befinden mußte, zu. Er konnte vermuthen, was der Muthwille und die gereizte Wuth des Pöbels mit dem mißhandelten Juden beabsichtigten. Er schlug den Weg ein, der ihn zunächst an das Ufer des Flusses führte. Bald hörte er von dort her ein wildes Getöse. Er konnte Gelächter und drohende Stimmen unterscheiden, er beschleunigte seine Schritte, um durch das Ansehn, welches ihm sein Stand und seine Stellung als Sohn des kaiserlichen Vogt's gab, dem zügellosen Beginnen der rohen Menge ein Ziel zu setzen. Indem er dem immer lauter ertönenden Lärm nachging, erreichte er eins der Wasserthore, welches, wie er sich sogleich überzeugte, von dem tolldreisten Gesindel gewaltsam gesprengt worden war. Die Söldnerwache stand unentschlossen und bestürzt über das Ereigniß, das sie im Sturme des ersten Andrangs überwältigt hatte. Da trat Salentin unter sie und forderte sie auf, ihm zu folgen. Sein ritterliches Äussere, sein entschiedener Ton, der Gedanke, durch Nachholung der versäumten Pflicht eine schwere Strafe abzuwenden, brachten die Zögernden nun sogleich zu einem Entschlusse. Sie schaarten sich um den jungen Patricier, sie erkannten ihn als ihren Anführer, meinten aber doch, wie es die Begriffe jener Zeit mit sich brachten, man müsse es um eines Juden willen nicht auf's Äußerste treiben.

»Was wir thun,« versetzte in einem ernsten Tone Salentin, »geschieht nicht um des Juden willen. Wir handeln im Namen des Kaisers für kaiserliches Recht, für das Ansehen der Obrigkeit, für die Ruhe der Stadt. Ich bin der Junker vom Rhein und nehme alle Verantwortung auf mich!«

Zwei dunkle Männergestalten, welche mit hastigen Schritten aus dem Inneren der Stadt kamen, traten in diesem Augenblicke an Salentin's Seite. Der junge Mann fühlte sich bei'm Arm ergriffen, sah in das Angesicht des Pater Clarus, der in seiner gewöhnlichen launigen Weise zu ihm sagte:

» Salve Salentine! Nimm uns mit, Söhnchen. Oben bei'm Hirschessen ist's still und langweilig geworden; dort am Wasser aber scheint's desto muntrer herzugehn. Heinz, der Koch, hat meinen Sack zurückbehalten, um ihn nach Pflicht und Gewissen zu füllen. Hier gibt's indessen Allerlei zu erleben, wovon man den lieben Klosterbrüdern daheim in den langen Winterabenden erzählen kann.«

Salentin fühlte keinen Beruf, sich jetzt mit seinem ehemaligen Lehrer in eine weitre Unterhaltung einzulassen. Er riß sich los und eilte mit dem Söldnerhaufen dem Strande zu, wo das Getöse mit einer Gewalt ertönte, die das Ärgste befürchten ließ. Der Bettelmönch und sein Begleiter, in dem wir den Limburger Stadtschreiber Gensbein wiederfinden, folgten ihm auf dem Fuße.

»Der Jüdin schöne Augen haben Wunder gewirkt;« sprach der Chronikenschreiber. »Bei'm heiligen Bonifacius, ich wollte tausend Goldgulden an ein Viertelpfund Heller setzen, daß sie es ist, die den jungen Mann zur Befreiung des alten Sünders aus Jacob's Stamme bewogen hat! Gleichviel! Es gibt immer ein hübsches Geschichtchen für die Nachwelt aufzuzeichnen:

Ihre Sitt' hat jede Zeit,
An der die Nachwelt sich erfreu't;
Die Narrenkapp währt ewiglich,
Nur ihre Farb' verändert sich.«

Kaum vermochte der Barfüßer vor dem schrecklichen Lärm, der Beide jetzt umgab, den Spruch des Stadtschreibers zu verstehn. Salentin hatte sich mit seiner Schaar zwischen den Juden und seine Bedränger geworfen, diese im plötzlichen Angriffe überrascht und zum Zurückweichen genöthigt. Simeon Storch stand auf einer Erhöhung des Ufers, das sich hier in einer steilen Mauer in den Fluß hinabsenkte. Neben ihm erhob sich die hohe Gestalt des grauen Büßenden, dem es bis jetzt durch die Macht der Rede und selbst durch kräftige That, wo sie noth gewesen, gelungen war, den Juden vor einer gänzlichen Heimfallung an den wüthenden Pöbel zu schützen. Er hielt den linken Arm schirmend vor ihn hingestreckt, während er mit dem rechten drohend zum Himmel deutete. Der Mond und einige brennende Kienfackeln, welche von schimpfenden, zerlumpten Knaben geschwungen wurden, warfen ein düstres Licht auf diese Scene der Verwirrung. Der reiche Anzug des Juden war kaum mehr erkennbar. Er hing in einzelnen zerrissenen Stücken herab, er war, wie das durch Todesangst entstellte, aber dabei doch noch trotzige Antlitz Simeons, mit Blut und Schmutz befleckt.

Die Wuth des Pöbels brach bei dem Anblicke einer bewaffneten Macht, die ihm sein Opfer zu entreißen drohte, in ein Gebrüll aus, welches dem Toben einer Heerde wilder Thiere, die sich der tödtlichen Jagd entgegenwirft, glich. In der Haltung eines Beschwörenden, eines Warners, der die Rache des Himmels verkündigt, zeigte sich noch immer der graue Mönch. Seine Lippen bewegten sich, man sah, daß er sprach, aber von dem Getöse der Wüthenden wurde seine Rede verschlungen. Salentin stand vor ihm, seine Schaar hatte einen Halbkreis um ihn und den Juden geschlungen.

Der Limburger Stadtschreiber und Clarus, erschrocken vor der Masse zurückweichend, die auf sie einstürmte, begnügten sich, jetzt in der Ferne den weitern Verlauf der Sache zu beobachten. Unwillig wandte sich der Bettelmönch zu seinem Freunde und sprach:

»Es ist nicht christlich, daß ein geweihter Diener der Kirche sich des Juden auf eine Weise annimmt, die sein eigenes Leben in Gefahr setzt. Bei'm heiligen Franciscus! Das halte ich für eine sündliche Buße, für ein schlechtes Martyrthum, sich einem Feinde des Heilands zu lieb stoßen, schänden und am Ende gar mit ihm säcken zu lassen. Mag der Jud' verloren seyn; ein Sohn der heiligen Kirche ist mehr werth.«

» Cauda de vulpe testatur!« versetzte Johannes Gensbein.

»Ein Urthel wird durch Zeugnis reif;
Den Fuchs erkennt man an dem Schweif!

Aber wegen dieses grauen Mönches bin ich noch nicht im Reinen, ob er mehr ein sogenannter Freund der Menschheit, zwischen Christ, Jud' und Heid' keinen Unterschied macht, oder ein Liebhaber zu des reichen Juden Geldsack ist. Wir wissen recht wohl, mein wackrer Pater Trockenbrod, daß Eure Gelübde der Armuth und Entsagung aller weltlichen Herrlichkeit heute zu Tage nicht mehr so ernstlich gemeint sind, als zu den Zeiten jener Anachoreten, die in den Höhlen der Berge lebten, sich mit Waldwurzeln als ihrer Vor-, Zu- und Nachkost begnügten und im Quellwasser ihren Durst löschten. Doch, mein Freund, wir stehen hier nicht mehr auf dem Plätzchen: Sicher! Ein edler Plebs beliebt den Juden und seine Beschützer mit Steinwürfen zu regaliren und von solchem Tractament bin ich kein sonderlicher Freund.«

Bei diesen Worten zog er den Pater rasch unter das Gewölbe des Thors. Hier hatten sie einen freien Blick auf das wilde Treiben am Flusse, ohne fürchten zu müssen, in seines Verwirrung mit verflochten zu werden. Der Angriff des Pöbels auf die Söldnerschaar wurde von dieser im raschen Sturmschritte mit vorgestreckten Piken zurückgewiesen. Salentin drang an ihrer Spitze muthig vor, allein er ermahnte zugleich die seinigen, sich alles Blutvergießens zu enthalten, nur drohend, aber nicht verletzend zu verfahren. Der Anblick der erhobenen, näher drängenden Waffen reichte auch für den Augenblick hin, das feige Gesindel, das nur auf seine Menge trotzte, in Verwirrung und Unthätigkeit zu versetzen. Sie flohen, wie Spreu vor dem Sturme; allein in einiger Entfernung sammelten sie sich wieder in einzelne Haufen und schienen zu berathen, wie sie nun, mit größerer Gewißheit eines glücklichen Erfolgs ihr Unternehmen gegen den Juden fortführen sollten. Da bemerkten einige von ihnen, daß Simeon im Begriff stand, von dem grauen Büßenden unterstützt, von seiner erhabenen Stelle hinab in einen Nachen zu steigen, der hier am Ufer angebunden lag. In wenigen Augenblicken flog diese Bemerkung von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr.

»Ihr dorthin auf die Lohnknechte!« rief ein Bursch, der, eine Pickelhaube auf dem Kopfe und einen keulenartigen Prügel in der Rechten, ein besondres Ansehn über einen Theil der versammelten Volksmenge zu behaupten schien. »Wir hinab an den Fluß, in den Fluß, wenn's Noth thut, um dem verdammten Mauschel und der grauen Vogelscheuche den Weg zur Flucht zu versperren!«

Dieser Vorschlag wurde mit tobendem Beifall aufgenommen und sogleich ausgeführt. Während Salentin sich noch immer gegen die wieder Anstürmenden nur vertheidigungsweise verhielt, eilten von ihm und den seinigen unbemerkt diejenigen, welche es in's Besondre auf den Juden abgesehn hatten, an das Ufer hinab. Schon hatten Simeon und der graue Mönch den Nachen betreten, schon war dieser glücklich losgebunden und der Büßende hatte das Ruder ergriffen, um ihn im Schatten der hohen Ufermauer stromaufwärts nach einem stillen, verborgenen Plätzchen oberhalb der Mainbrücke zu führen; als plötzlich mit einem wilden Hohngelächter, das dem Juden durch Mark und Bein drang, viele dunkle Gestalten, bis über die Hälfte des Leibes im Wasser watend, ihn umringten und mit unwiderstehlicher Gewalt an das Ufer zurückdrängten. Kaum gewahrte sie der graue Mönch, so schwang er das Ruder hoch über dem Haupte und rief in einem Tone, der keinen Zweifel über die Ausführung seiner Drohung ließ:

»Dem ersten, der es wagt, die Hand zu einer Frevelthat zu erheben, zerschmettert dieses Ruder den Schädel. Hinweg mit Euch! Ich gebiete es im Namen der heiligen Kirche.«

»Die heilige Kirche hat nichts zu schaffen mit dem Juden;« schallte es aus dem Strom herauf. »Der Pfaff ist nicht verantwortlich für die Judenseele; das geht den Rabbi und die Synagoge an. Aber wir wollen ihn dir in die Gemeinde liefern, Mönchlein! Sprich: gelobt sey Jesus Christus! Jud, oder friß mein Messer.«

Ein nackter nervigter Arm reichte aus der Dunkelheit nach Simeon hin, ein bloßes Messer blitzte vor seinen Augen. So nahe und drohend war im Laufe dieses verhängnißvollen Abends der Tod noch nicht zu dem israelitischen Ältesten herangetreten. Er sank bestürzt auf ein Brett des Nachens zurück, er verhüllte sein Haupt mit beiden Händen, er ergab sich, ein hebräisches Gebet leise für sich hinsagend, in sein Schicksal.

Ohne seine Fassung zu verlieren, hatte indessen der graue Mönch den drohend emporgehobenen Arm mit der Linken so gewaltig ergriffen, daß er unbeweglich wie in einem eisernen Bande lag, und mit einem Schlag des Ruders das Messer in den Fluß geschleudert.

»Wollt Ihr den Namen des Heilands schänden!« rief er in höchster Entrüstung, »daß Ihr ihn diesem Unglücklichen mit Gewalt in den Mund legt? Glaubt Ihr, es reiche hin, daß der Mund das heilige Wort spreche, ohne daß es im Herzen wiederklinge? Kann es Gott wohlgefällig seyn, den Preiß seines Namens von der Lippe desjenigen zu vernehmen, der ihm im Innern flucht? Frevel, Lästerung gegen seine Heiligkeit ist es und auf Euch fällt die Schuld, Euch wird der Zorn des Allmächtigen treffen!«

»Der Mönch ist vom Satan besessen!« rief in einem Schmerzenstone derjenige, dessen Arm noch immer, keiner Bewegung mächtig, in der Eisenfaust des grauen Büßenden lag. »Ich will geröstet werden, wie der heilige Laurentius, wenn er nicht Hexerei zu treiben versteht und mich gebannt hat, daß ich hier festliege und zapple, wie ein Fisch an der Angel. Stürzt den Nachen um. Die Hexerei hält nicht im Wasser und der Jud mag sich dann mit der Nothtauf' begnügen, weil's doch nicht anders ist.«

Ein lautes Gelächter erklang, zwanzig Hände zeigten sich geschäftig, den willkommnen Vorschlag auszuführen. Der graue Mönch ließ das Ruder über die Häupter der Verwegenen durch die Lüfte schwirren. Vergebens! Mehrere Hände ergriffen es und im ersten Augenblicke der Überraschung ward diese einzige Vertheidigungswaffe seiner Faust entrissen. Schon hob sich, von kräftigen Schultern gedrängt, die eine Seite des Nachens, schon drang von der anderen Wasser ein, schon schienen die ergrimmten und gereizten Gegner einen Triumph erlangt zu haben, dessen Folgen, nach Allem, was die Wuth des Pöbels bisher im Vollbringen ihres Werks gehindert, was sie bis zum höchsten Grade aufgeregt und gesteigert hatte, nicht vorauszusehen waren: als mit einemmale ein Ereigniß eintrat, das, indem es mächtig und überwältigend die Gemüther Aller ergriff, die Lage der Dinge gänzlich umgestaltete und der Scene dieser merkwürdigen Nacht einen noch düsterern, wenn auch weniger stürmischen Charakter gab.

Den Lärm der Streitenden am Ufer, das Geschrei der Männer im Wasser weit übertönend, drang aus der Vorstadt Sachsenhausen, in klagender, traueriger Weise, ein mehr als tausendstimmiger Gesang herüber. Zugleich erschienen auf der Brücke viele hunderte von brennenden Fackeln, die sich langsam der Stadt zu bewegten, die Glocke der Kapelle des deutschen Ordenshauses zu Sachsenhausen begann, wie zum feierlichen Umgange zu läuten und wenige Augenblicke darauf ließen sich alle Glocken der Stadt im feierlichen Chor vernehmen.

Wie durch den Willen einer höhern Macht gelähmt, standen der Pöbelhaufen, der sich mit Stangen und Knüppeln schnell bewaffnet hatte, und Salentins Leute plötzlich unthätig, lauschend einander gegenüber; die Männer, welche im Begriff gewesen, den Nachen mit dem Juden und dem Mönche umzustürzen, ließen von ihrem Beginnen ab, das Wunderbare der überraschenden Begebenheit fesselte ihre ganze Aufmerksamkeit. Während jener traurige Gesang im ungeheuern Chorus näher drang, herrschte am Flussesufer, wo noch eben der wilde Sturm des Volksaufruhrs gewüthet, die achtsamste, erwartungsvollste Stille.

»Das ist der Geißler Bußgesang!« erklang jetzt vom Thore her eine helle, schneidende Stimme, die Allen verständlich ward: »Laßt den Streit ruhn und bereitet Euch zu Gebet und Buße, die alte Zeit ist todt und eine neue ist jung geworden. Auf zu den Geißlern!

Der Geißler Buß, der Geißler Art
Vertilget Weltlust und Hoffarth!«

Es war der Stadtschreiber von Limburg, der also gesprochen. Hundert Stimmen wiederholten den Ruf: »Zu den Geißlern, zu den Geißlern!« Stangen und Knüttel wurden fortgeschleudert, die Bedränger des Juden ließen von diesem ab und beeilten sich an's Land zu kommen: alles was vorgegangen, was der Pöbel beabsichtigt, was noch vor wenigen Augenblicken die Menge in eine Wuth versetzt, die nur in einer Frevelthat ihr Ziel finden zu können geschienen, verschwand in Vergessenheit vor dem grossen Ereignisse, dem man schon lang entgegengesehn, dessen Erwartung schon seit Wochen alle Gemüther in Spannung erhalten hatte. Im wilden Gedränge wandten sich die nun von einem andern Zwecke angeregten Pöbelhaufen zurück ihn die Stadt; bald vernahm man nur noch aus der Ferne den erlöschenden Ruf: »zu den Geißlern!«

Jetzt, da Salentin durch einen so unerwarteten Beistand das Werk, dessen glücklicher Ausgang noch vor wenigen Augenblicken höchst zweifelhaft schien, beendigt sah, richteten sich seine Gedanken sogleich auf den grauen Mönch. Er sandte die Blicke forschend umher, er lenkte seine Schritte der Stelle des Ufers zu, wo jener mit dem Juden verschwunden war. Er wollte ihn anreden, er wollte ihn an seinen Besuch auf der Ingelheimer Au erinnern, er hoffte von ihm jene Aufschlüsse zu erhalten, die er durch des Mönchs damalige Verkündigung verbürgt glauben konnte. Da trat ihm keuchend von dem tiefer gelegenen Landungsplatze Simeon Storch entgegen. Vergebens suchte der junge Patricier an seiner Seite den Mönch; der Nachen, der hier anlag, war leer, nirgends zeigte sich die hohe dunkle Gestalt.

»Verschwarzen sollen diese Hunde von Gojim!« knirschte der aufgebrachte Jude, den die unzählichen Quetschungen und Stöße, die er im Gedränge der Wüthenden empfangen, schmerzlich nachempfand. »Die Pest ziehe ein in ihre Thüren: Schamir, der Würgeengel, komme über ihre Kinder und Kindeskinder!«

Salentin hörte nicht auf diese Verwünschungen. Der grauenvolle Gesang der Geißler zog näher heran, er schien den weiten Dom des Himmels auszufüllen. Ein düsterer, wunderbarer und mächtiger Geist sprach aus dieser Nacht. Während die Seele des jungen Mannes von Sehnsucht nach dem Mönche, der die große Räthselfrage seines Lebens lösen sollte, erfüllt war, blieb er nicht unempfindlich gegen den gewaltigen Eindruck, der in dem Wesen jener über ganz Europa Trauer und Schrecken verbreitenden Verbrüderung lag. Wie vieler Tausende Ruhe, Glück und Lebensfreuden wurden hier zu Grabe geläutet und gesungen! Wie im Fluge zogen düstere, schmerzliche Ahnungen durch sein Inneres. Dann aber war seine Aufmerksamkeit gleich wieder auf das Nothwendige, was der Augenblick gebot, gerichtet.

»Wo habt Ihr den Mönch? Wo ist Euer Beschützer?« fragte er dringend den israelitischen Ältesten.

»Weiß ich's?« erwiederte dieser störrisch, indem er unter dem starken Haupthaar, das struppig in sein Antlitz niederhing, einen tückischen Blick nach Salentin sandte. »Sucht ihn auf, wenn Ihr mit ihm zu thun habt. Er stieg an's Land, als ich mich mühesam vom Boden des Nachens aufraffte. Er mochte froh seyn, sich endlich auf eine gute Art von einem Handel frei zu sehn, der seine Kutte dem Kleide eines Juden nur zu nahe brachte. Er war verschwunden, wie man die Hand wendet, wie ein böser Geist, den's gereut, an einem guten Werke Theil genommen zu haben.«

»Undankbarer!« zürnte Salentin. »Du hast ihm die Rettung aus den Händen deiner Quäler, vielleicht das Leben zu verdanken und du schmähst seiner!«

»Danken?« sagte der Jude ingrimmig in sich hinein. »Bei'm Opfer Abrahams, diese Gojim verlangen noch gar, ich soll zu den Mißhandlungen, die sie mir angethan, zu der Todesqual, die ich erlitten, ein freundliches Gesicht machen und ein: Bedanke mich! sprechen. Aber Cheyle, mein Kind?« rief er plötzlich von Vaterangst ergriffen. »Was ist aus ihr geworden, was haben die Philister mit der Jungfrau aus dem Volke, das sie hassen, begonnen?«

Ohne auf Salentin, der ihm nachrief, zu hören, stürzte der Jude fort. Während der junge Patricier, in der Hoffnung, dem grauen Mönche wieder zu begegnen, den weiten Raum des Ufers durchstrich, eilte jener, von peinigenden Zweifeln über das Schicksal seiner Tochter bestürmt, durch stille, entlegene Gäßchen seiner Wohnung zu. Bald überzeugte sich Salentin, daß seine Bemühungen vergeblich seyen, daß es in der Absicht des grauen Büßenden liegen müsse, ein Zusammentreffen mit ihm zu vermeiden. Langsam und sinnend kehrte er in die Stadt zurück. Unwillkürlich führte ihn sein Schritt in das Gebäude des Lateran, wo er die Eltern in der bei'm Bankett des Hirschessens versammelten Gesellschaft verlassen hatte. Alles war still und öde. Einige dem Verlöschen nahe Lampen in den Gängen und auf den Treppen verbreiteten ein dämmeriges Licht. In der Speisehalle fand er nur den Vogt des Hauses, der um die verlassene Tafel schritt und beschäftigt war, die noch brennenden Kerzen zu verlöschen. Viele Stühle lagen umgestürzt am Boden; wohin er blickte, trat seinem Auge ein Bild der Zerstörung und Verwirrung entgegen. Von dem Vogte erfuhr er, daß die unerwartete Ankunft der Geißler eine Festlichkeit, die sonst bis spät nach Mitternacht, bis an den frühen Morgen selbst, zu dauern pflegte, plötzlich beendigt habe. Über die Zuschauer sey der wilde Geist, der allenthalben, wo die Brüder und Schwestern der großen Bußfahrt erschienen, das Volk ergreife, gekommen; unter heftigen Drohungen, daß nun das weltliche Regiment ein Ende habe, daß ein geistliches beginne, zu dem selbst der Niedrigste berufen sey, wären sie fortgestürmt den Geißlern entgegen, vielleicht zur Vereinigung mit ihnen, in keinem Falle aber mit friedlichen Gesinnungen gegen die Obrigkeit und die edlen Geschlechter. Deutlich habe er ihre Flüche und Verwünschungen vernommen: es sey nun an der Zeit, daß der Reiche arm, der Arme reich werde und der Schutz, den man, wie es sich noch heute Abend klar erwiesen, den Brunnenvergiftern, den Juden, gewähre, solle schwer an denen gerächt werden, die es, zum Nachtheile der christlichen Brüder, mit jenen hielten. Daß ein edler Rath, daß die Genossenschaft der ehrbaren Geschlechter unter solchen Umständen nicht für gut gefunden, die Freuden der Tafel fortzusetzen, sondern eingesehen, es erheische ein solches Ereigniß die schleunigste Beaufsichtigung und die Gegenwart des Einzelnen in seinem Hause, sey ganz natürlich, und, setzte der Mann mit einem Blick des Bedauerns auf die reichlichen Überreste an Speisen und Getränken, welche die Tafel enthielt, hinzu, es dünke ihn von der schlimmsten Vorbedeutung, daß die Herrn des Raths und von den Geschlechtern, zum erstenmale gewiß seit der Stiftung des Hirschessens, dieses ungesättigt verlassen hatten. Gewiß brächen nun noch schlimmere Zeiten herein und zu der Pestilenz geselle sich wenigstens noch Krieg und Hungersnoth.

Der junge Patricier ließ den Schwätzer, der nicht enden zu wollen schien, stehn und eilte aus dem verödeten Hause. Auf dem freien Platze des Römerberges, an den das Gebäude des Laterans stieß, blieb er stehen und lauschte nach dem Gesange der Geißler, der aus der Gegend des nahegelegenen Domes ertönte. Er konnte sich nicht bergen, daß in der düstern, feierlichen Weise, in der Macht des tausendstimmigen Chors ein Zauber lag, der ganz geeignet war, in einer Zeit, wo das Gemüth des Menschen nach einem festen Haltpunkt rang, dieses zu erschüttern, zu ergreifen und zu bewältigen. Dieses Lied schien einen allgemeinen Gedanken, ein allgemeines Gefühl der Menschheit auszusprechen. Es wollte sie dem Himmel näher drängen, es wollte von diesem gleichsam mit Gewalt eine Beruhigung herniederringen, nach welcher, unter den Schreckenserscheinungen der Pestilenz, eine Sehnsucht übermächtig und unwiderstehlich rege geworden war. Als aber Salentin jetzt empor zum Himmel blickte, als er den erhabenen Geist des Friedens, den Ernst Gottes, der in den sternenbesäeten Räumen waltete, erkannte, als er denken mußte, daß unverändert und unerschütterlich seit Jahrtausenden die Nacht in ihrer Allmacht, der Tag in seinem Alles umfassenden Segen heraufziehe, daß das Menschenleben unter diesem Dome dahinschwebe, wie der Seufzer eines Hoffenden – wie eitel, wie nichtig dünkte ihn da ein Treiben, das dem unantastbaren Himmel, dem ernst fortwaltenden Geiste des Ewigen Gewalt anthun wollte.



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