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Zweites Kapitel.


Unfall, Unfall, du wildes Thier!
Wie thust du dich wider mich sperren.

Wenn wir den Gang der Menschheit bis zu den Spuren ihrer Kindheit mit aufmerksamen Blicken verfolgen, so finden wir, daß ein Wechsel von Bildern, erst wie die Natur ihn in den Jahrszeiten, in ihren ungewöhnlichern, stürmischen Erscheinungen bietet, dann wie die entkeimende und fortschreitende Kunst, der Natur ihre Geheimnisse ablauschend, ihn in einem engern, aber durch die Phantasie mannichfaltiger ausgestatteten Kreise gestaltet, immer dem menschlichen Gemüthe zur Erhebung diente und ihm nach und nach zum Bedürfniß wurde. Die Nachahmungssucht ward die Mutter der ersten dramatischen Versuche und seitdem der Karren des Thespis den ersten Anstoß erhielt, rollt er unaufhaltsam durch alle Jahrhunderte fort. Seine Hülle hat unzähliche Verwandlungen erfahren, sein Wesen erscheint uns in einer Verfeinerung, die das Werk der fortschreitenden allgemeinen Cultur ist; allein seine Bedeutung erhält sich noch in ihrem ersten Ursprunge, sie übt die alte Macht auf das menschliche Herz: es zu erfreuen, zu rühren und zu erheben. Wir lassen es dahingestellt, ob die Geschmacksrichtung unserer Zeit in Sachen der Kunst die beste sey; sind jedoch überzeugt, daß so unvollkommen nach unseren Begriffen die dramatische Kunst in jenen Tagen, welche unsere Erzählung schildert, geübt wurde, sie nichtsdestoweniger die Macht ihrer Eindrücke vielleicht wirksamer behauptete, als jetzt, wo die Erfahrungen von Jahrtausenden das sinnliche Gefühl der Menschheit abgestumpft haben, wo der Geist den Reichthum einer geschichtlichen Vergangenheit überblickt, die der Phantasie wenig Neues mehr zu schaffen übrig läßt.

Jene Zeit besaß eine ebenso große Anzahl von Leuten, die es sich zum Berufe gemacht hatten, den Ernst des Lebens auf die genannte Weise zu erheitern, wie die jetzige. Freilich trat hier Alles in derbern Erscheinungen hervor, das Phantastische wurde zum Grotesken, der Scherz zur Posse, das Seltsame zum Abentheuerlichen. Die Märchen vom König Artus Hofe, vom Zaubrer Merlin, von Riesen und Zwergen, von Drachen und andern Ungeheuern, die damals unter dem Volke lebten, gaben den Maßstab zu den theatralischen Darstellungen, die von einer schwachen Nachbildung der Turniergepränge prunkvoller gemacht werden sollten, deren Dialoge hauptsächlich dem sogenannten Sprecher und dem ergötzlichen Pickelhäringe zufielen, während die übrigen Mitspielenden sich auf Action und andre körperliche Leistungen, in equilibristischen Kunststücken und seltsamen Kraftäußerungen bestehend, zu beschränken hatten. Auch die Tonkunst verlieh damals schon solchen Darstellungen einen erhöheten Reiz; Zitterspieler und Sängerinnen traten auf, trugen die beliebtesten Volkslieder, wo sie dem Anordner der theatralischen Spiele passend schienen, vor und genossen der besondern Vergünstigung, auch allein die Häuser der Vornehmen und Reichen besuchen zu dürfen, um sich hier hören zu lassen und einen ungewöhnlichen Tribut für ihre Leistungen zu erheben. Alle diese Leute, zu denen man auch Wahrsager und Wunderdoctoren rechnete, waren unter dem Namen des »fahrenden Volks« oder »fahrender Leute« bekannt. Sie hatten keine Heimath, sie zogen von Ort zu Ort, sie lebten unter einander nach ihren eigenen Gesetzen und bildeten so einen wandernden Staat, dessen Grenzen nicht zu bestimmen waren. Der Ritter und Bürger, der sich ihrer Spiele erfreute, verachtete sie zugleich unsäglich; der Geistliche, der ihren Darstellungen eben so gern beiwohnte, versagte ihnen ein ehrliches Begräbniß. Nur die öffentlichen Herbergen gestatteten ihnen ein Nachtlager und wenn die um Weniges höher gehaltenen Zitterspieler und Sängerinnen einmal Aufnahme in einem Rittersitze oder einem Bürgerhause fanden, so geschah das aus Rücksichten, die ihrem Stande fremd waren und die meist durch die höhere Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit der Gäste bestimmt wurden.

Wenn wir uns hier eine Abschweifung von dem Gange unsrer Erzählung erlaubten, so geschah dieses, um den Leser mit der Bedeutung und Eigenthümlichkeit einer Classe von Menschen bekannt zu machen, in deren Gesellschaft wir ihn einzuführen im Begriff stehn. Jede Zeit gibt sich nur in ihren Erscheinungen und wir müssen diese mit scharfem Blicke auffassen, um in ihrem Innern das uns Befreundete, die Wahrheit, die stets eine und dieselbe bleibt, zu entdecken.

Es war am Abende eines heitern Tages, als eine Bande solcher fahrender Leute in einem Waldgrunde, nur wenige Stunden von der freien Reichs- und Handelsstadt Frankfurt, welche das vorläufige Ziel ihrer Reise war, lagerte. Die Vertiefung, die sie zu ihrem Ruheplatze gewählt hatte, gehörte zu dem uralten Kaiserforste, der, die spitzzulaufende Erdzunge zwischen Main und Rhein einnehmend, freilich zu dieser Zeit durch das immer weiter um sich greifende Culturleben, schon sehr gelichtet war, aber doch noch abgeschlossenes Dickigt genug besaß, in dem Eber und Wolf eine Zufluchtsstätte vor den Verfolgungen der Jäger fanden. Den kleinen Thalkessel umgab von der einen Seite ein Birkengehölz, das ihn von der offenen, großen Heerstraße trennte, von der andern ein Steinbruch, dessen Halbrund sich mit beiden Enden an jenes Gehölz anschloß. Von dem Steinbruch, den die Bewohner der nahen Orte zu ihren Gebäuden benutzten, führte ein schmaler Fahrweg durch den Grund nach dem Birkengehölz und, dieses durchschneidend, nach der großen Straße. Neben ihm rieselte ein kleines Bächlein herab und wässerte den Wiesenboden des einsam gelegenen Raums.

Um ein Feuer in der Mitte des Platzes hatte sich in verschiedenen Gruppen der größte Theil der Gesellschaft niedergelassen. Ein großer Kessel, der über dem Feuer schwebte, enthielt die Bestandtheile einer Mahlzeit, zu der jedes Mitglied der achtbaren Truppe aus seinem Reisesacke sein Schärflein beigetragen. Der eine brachte ein ungerupftes Huhn, der andre einen Hasen mit Haar und Balg, der dritte eine wohlbefiederte Gans, der man die Eil ansah, mit welcher ihr der Hals umgedreht worden, ein vierter ein Spanferkel, das noch das mörderische Messer in der Brust trug, zum Vorschein. Alles war von geschäftigen Männer- und Frauenhänden rasch zum Kochen bereitet worden und in der Tiefe des mächtigen Kessels verschwunden. Man mochte wohl größtentheils auf die nämliche Weise zu diesen Leckerbissen gekommen seyn, wie zu den Rüben und Bohnen, die sich beim Vorübergehen an den Äckern des letzten Dorfes, unvermerkt in die Taschen der fahrenden Herrn und Damen verloren hatten. Die Reden des Pickelhärings, der in der Tracht seines Berufs und diesen im gewöhnlichen Leben auch immer vor Augen, sich zwischen den Lagernden umhertrieb, ließen wenigstens dergleichen vermuthen:

»Gelt,« sprach er zu dem einen, »diese Gans konnte nicht von dir lassen, als du aus dem Hause Martin's, des Schmidt's, schiedest und blos, um ihr zu Willen zu seyn, hast du sie mitgenommen; dieses Hühnlein,« neckte er einen andern, »ist dir aus purer Dankbarkeit nachgeflogen, weil du den Hahn so täuschend zu agiren wußtest, und du,« wandte er sich zu einem ferner Sitzenden, »hast durch dein Zitterspiel das Herz dieser Spansau so gerührt, daß sie, an deiner Gegenliebe verzweifelnd, sich selbst den Tod gegeben. Friede sey mit ihnen! Wir wollen ihnen ein fröhliches Begräbniß anstellen, unser Magen soll ihr Grab seyn, mit einem frischen Trunke Bergsträßer aus des Dux wohlgefülltem Fäßlein wollen wir ihr Gedächtniß feiern.«

Der Dux oder Director dieser Truppe hatte eine Art von Ehrenplatz am Feuer eingenommen, der freilich nur aus einem aufgerichteten Stein, über den man einen verschossenen und zerrissenen Teppich gebreitet, bestand. Er war ein Mann von gesetzten Jahren, von einem hohen schlotterigen Körperbau, dessen Knochen allenthalben scharf gezeichnet hervortraten. In seinen Zügen lag eine große Gleichgültigkeit, eine Abgestumpftheit gegen das Leben, ein verwittertes Bild von Erfahrungen, die gewiß manchen bittern Kampf mit dem tiefsten Elende, mit der niedrigsten Bedürftigkeit gekostet hatten. Sobald aber ein Mitglied seiner Bande ihn anredete oder sobald ein Wort an sein Ohr traf, das eine Berücksichtigung von seiner Seite zu erheischen schien, so war er gleich bemüht, ein angenehmes Lächeln zu zeigen, die schlaffen Muskeln der Wangen rundeten sich, die wulstigen Lippen dehnten sich in die Breite und unter diesem freundlichen Grinsen rann ein Redestrom von seinem Munde, der selbst Tadel und Mißbilligung in wohlgefällige Formen zu hüllen wußte. Dieser Sonnenschein auf dem Angesichte des Dux dauerte immer nur so lange, als er sprach. Mit dem letzten Worte, das seine Lippen verließ, trat sogleich im schroffsten Gegensatze jene Stumpfheit und Apathie hervor, die ein verödetes inneres Leben zur Schau stellten. Wie unter den fahrenden Leuten jener Zeit Jeder nur unter dem Eckelnamen, den man ihm beigelegt, bekannt war, so erging es auch diesem Führer einer irrenden, heimathlosen Heerde. Wegen seiner ausserordentlichen Freundlichkeit im Lebensverkehr hatte er von der ersten Gesellschaft fahrenden Volks, zu der er sich gefunden, den Namen Süßbutter erhalten. Dieser schien ihm nun neben dem Taufnamen Felician für sein ganzes Leben treu bleiben zu wollen und die Truppe, die unter seiner Anführung Deutschland durchzog, genoß, da er viel Geschick im Anwerben tauglicher Mitglieder besaß, eines gewissen Rufs, der ihre Erscheinung an den meisten Orten willkommen machte. Selbst die immer weiter um sich greifende Pest lähmte nur bei ihrem ersten Eindringen in irgend einen bedeutenden Ort die Freude, die Jung und Alt an den Darstellungen der fahrenden Leute fand; nach einigen Tagen war das erste Entsetzen verschwunden und man gab sich nun um so lieber zerstreuenden Vergnügungen hin, weil man aus ihnen ein Vergessen der ernst drohenden Wirklichkeit schöpfen wollte. Ueberdem war es damals nichts ungewöhnliches, daß ein Mensch im Laufe seines Lebens dreimal diese furchtbare Geisel des Morgenlandes Europa verheerend durchziehn sah. So versichert wenigstens der glaubwürdige Verfasser der bekannten Limburger Chronik.

Zu beiden Seiten des Dux hatten auf niedrigen Steinsitzen ein junges Weib und ein junger Mann, die sich durch feinere und zierlichere Kleidung, selbst durch einige glänzende Schmuckstücke von den übrigen Mitgliedern der fahrenden Gesellschaft auszeichneten, ihre Plätze genommen. Das Frauenzimmer ließ ihre Blicke frei und keck umherschweifen. Ihre Wangen zeigten eine Röthe, die mehr der Kunst, als der Natur anzugehören schien. Felician Süßbutter behandelte sie mit besondrer Aufmerksamkeit. Sein Mund verzog sich noch einmal so stark in die Breite, das Lächeln auf seinen Wangen wurde wahrhaft monströs, wenn sie ihn, bald mit einem muthwilligen Scherze, bald im gebietenden Tone anredete. In dieser Dame lernen wir Eitel Glockenklang, die Sängerin der fahrenden Gesellschaft, kennen. Der junge Mann an der andern Seite des Dux, der seine wohlgefälligen Blicke nicht von dem rosaseidenen Bande, an dem er sein Instrument hängen hat, abwenden kann, ist der Zitterspieler Muskablüt: ein glattes und niedliches Figürchen mit gealtertem, bartlosem Angesichte, mit grauen nichtssagenden Augen und einer Glatze, die den ganzen Kopf einnimmt. Seine dünnen Finger sind fortwährend an den Saiten der Zitter beschäftigt. Von Zeit zu Zeit schlagen sie einen Accord an und dann nur sieht Muskablüt auf, um einen schmachtenden Blick zum Himmel zu senden. An ihn und die Dame Eitel reihen sich die übrigen unbedeutendren Subjecte an: der pedantische Sprecher, der sich nur in erlernten, herkömmlichen Redensarten zu bewegen hatte, und viele Männer und Frauen, Seil- und Eiertänzer, Ball- und Taschenspieler, Springer und Grimassenschneider. Im Hintergrunde zeigt sich ein Leiterwagen, mit einem einzigen, magern und hinfälligen Pferde bespannt. Die Kinder, welche zu der Bande gehören, klettern an ihm umher und treiben ihr Kurzweil mit den theatralischen Maschinen, die er enthält. Bald verbergen sie sich in den Drachen, den Sanct Georg schon unzählichemale erstochen, bald kriechen sie in die sogenannte Hölle, in der – ein besondrer ergötzlicher Scherz jener Zeit – böse Weiber und Narren gebacken wurden.

Indem der größte Theil der Gesellschaft mit lüsternen Blicken den Kessel hütete, herrschte eine allgemeine Stille der Erwartung. Da räusperte sich plötzlich der Director Felicianus, verzog das schlaffe Antlitz zu einem angenehmen Lächeln und sagte, sich zu der Sängerin Eitel wendend:

»Wir haben lange nichts aus deiner Nachtigallkehle vernommen! Willst du uns nicht ein Lied singen? Die Sänger des Waldes schweigen, da sie dich erblicken, sie wagen es nicht, ihre Stimme vor der erklingen zu lassen, die sie als ihre Meisterin anerkennen. Laß uns eins der Lieder hören, womit du die Patricier der reichen Handelsstadt zu entzücken gedenkst, süße Eitel!«

»Wenn Muskablüt mich begleitet, so mag's seyn!« erwiederte die Sängerin. »Er muß aber hübsch bescheiden spielen und nicht immer sein Geklimper vordrängen wollen.«

Der Zitterspieler beantwortete diese Bemerkung nur mit einem geringschätzenden Blicke. Dann schlug er sogleich eine Weise an, in die Eitel mit folgenden Worten einfiel:

Auf grünen Matten
Wo Rose und Viol' sich gatten,
Ergeht die Liebe sich.
Sie kann zu zweien,
Ergötzen nur und freuen
Den Knaben, den getreuen,
Die Maid, so minniglich.

Das ist die Stärke
Von jedem minniglichen Werke,
Von süßer Liebeslust,
Daß sie stets zweien
Bringt Wonne und Erfreuen,
Dem Knaben, dem getreuen,
Der Maid, so minniglich.

Dann läßt ertragen
Sich leichter Kummer und Behagen,
So Lust wie Mißgeschick.
Die Lieb' zu zweien
Kehrt Alles in Erfreuen
Dem Knaben, dem getreuen.
Der Maid so minniglich.

Drum mögt ihr lieben
Mit süßen und getreuen Trieben,
Wann blüht der Lebensmai!
Mich, den Getreuen,
Mag Liebe nicht erfreuen,
Weil sie nicht ist zu zweien:
Mein Glück ist längst vorbei.

»Lieblich, süß, aber melancholisch!« sagte der Dux, nachdem Eitel geendigt hatte und während Muskablüt's Saiten noch in einigen nachhallenden Accorden rauschten. »Sollte das nicht wiederum ein Stückchen des aussätzigen Mönches auf der Rheininsel seyn? In seinen Liedern klingt immer eine gewisse Trauer, ein tiefer Kummer nach, woran sie zu erkennen sind. Er möchte so gern lieben, er möchte sich so gern den Menschen anschließen, aber sie haben ihn ausgestoßen, er ist in die Grenze seines kleinen Eiland's verbannt. Steht es denn viel anders um uns fahrende Leut', als um diesen unglücklichen Aussätzigen?« fügte der Director mit einem tiefen Seufzer, der für einen Augenblick sein wunderliches Grinsen unterbrach, hinzu. »Ganz Deutschland horcht auf seine Lieder, sie erklingen in den Palästen der Großen, in den Hütten der Armuth, auf dem Acker des Landmanns, wie in den Straßen der Städte, niemand aber mag ihm nahen, der Fluch der Ausgestoßenheit lastet auf ihm. So ergötzt man sich auch gern an unsern Spielen, so läßt man sich gern durch unsre Scherze den Ernst des Lebens erheitern, allein mit allen Bemühungen um die Menschen können wir uns keinen Freund unter ihnen gewinnen und wenn wir dann die vom langen Wanderleben müden Glieder zur letzten Ruhe strecken, so bettet man uns fern von denen, die wir so oft erfreuten, hinter der Kirchhofmauer oder an einem andern entlegenen Platze.«

Ein zweiter Seufzer folgte dem Schlusse dieser Betrachtung. Eitel Glockenklang lachte laut auf und sprach:

»Was sie einmal mit mir anfangen, wenn ich gestorben bin, das ist mir ganz gleichgültig. Die Pfaffen haben das so eingerichtet, weil sie neidisch auf uns sind und vermeinen, wir entziehen ihnen die Heller, die man besser ihren Passionsspielen darbrächte. Ich kann mir Weltlust und Weltfreude verschaffen, wie sie mein Herz begehrt! Wenn ich die Lieder des Meisters Lukas singe, so denke ich weder an sein Elend, noch an meinen Tod, sondern nur an das Geld und die Geschenke, die sie mir einbringen.«

»Und wenn Frauen und Jungfrauen mir zulächeln,« sagte, sich wohlgefällig betrachtend, Muskablüt, »wenn sie mich mit Bändern und Kränzen schmücken, wenn sie mich ihren süßen und lieben Muskablüt nennen, die Zitter beneiden, die an meinem Herzen ruht, die Saiten, die meine Hand berührt – was verlange ich mehr, welches Loos gäbe es, das wünschenswerther wäre, als dieses?«

Die Züge Felicians hatten sich unter den Reden der Sängerin und des Zitterspielers in ihre gewöhnliche Schlaffheit zurückbegeben. Er sah starr und gedankenvoll in das Feuer gleich einem Menschen der zu sehr alle Bitterkeiten des Lebens erfahren, um noch Freudiges von ihm zu hoffen.

»Ich allein kann mich rühmen,« hob indessen in einem wichtigen Tone der Sprecher an, »den gepriesenen Meister Lukas gesehen zu haben. Er hat mir das Leben gerettet, als es schon so wohlfeil geworden war, daß mir niemand einen Heller darauf geboten hätte. Ich kam von Bacharach herauf, wo ich die ehrsamen Bürger in der Zeit der Weinlese durch weise und lustige Sprüche ebensowohl belehrt, wie erheitert hatte. Mein Säckel war gut gespickt mit Silber- und Kupferpfennigen, die Edeln von Stahleck hatten mir einen würzigen Trunk und einen guten Imbiß mit auf die Reise gegeben. Im freundlichen Städtchen Bingen ließ man mich auch nicht vorübergehn, ohne mir einen muntern Spruch abzuverlangen, der gleich drauf mit einem guten Trunk bezahlt wurde. So wanderte ich heiter und sorglos am Rhein hinauf. Bald erreichte ich ein Schiff, das von Pferden Strom aufwärts gezogen wurde. Ich war müde und als die Schiffer hörten, daß ich ein fahrender Sprecher sey, der ihre Dienste mit Scherz und Kurzweil belohnen könne, nahmen sie mich gern auf. Bisher war das Wetter heiter, der Wind günstig und der Strom ruhig gewesen. Ehe wir es uns versahen, packte aber bei einer Wendung des Flusses eine Windsbraut aus der Schlucht von Rauhenthal uns mit unbändiger Gewalt, zertrümmerte Mast und Segel, daß sie über Bord fielen, und erschütterte das ganze Schiff so mächtig, daß die armen Pferde vom Ufer in den Strom gerissen wurden und jämmerlich ertranken. Der Boden des Schiffs gerieth bei diesem überraschenden Unfalle, der jeden verwirrte, an eine verborgene Steinmasse; das Fahrzeug schwankte, neigte sich und erhob sich wieder, aber zugleich drangen auch die Wellen ein und erfüllten den untern Raum. Die Männer, die sich grade dort befanden, eilten schreiend herauf: wir alle glaubten, es wäre unser letzter Augenblick gekommen. Wir befanden uns, rasch von den Wellen fortgetrieben, in der Mitte des Rheins. Wir hatten keinen Nachen, um an das Ufer zu gelangen, das Schiff sank immer tiefer, es folgte keiner Bewegung des Ruders, unser Untergang schien gewiß. In der Angst meines Herzens sagte ich einen frommen Spruch nach dem andern her; einige von meinen Reisegefährten machten sich fertig, ihr Leben durch Schwimmen zu retten, andre, die diese Kunst nicht verstanden, beteten, wieder andre fluchten. Nirgends ließ sich auf dem Wasserraume, der uns umgab, ein Schiff oder auch nur ein Nachen erblicken, von dem wir Beistand in dieser großen Noth hätten erwarten können. Wir fühlten, während der Strom uns fortriß, den Boden unter unsern Füßen sich senken, wir erwarteten in Todesangst den Augenblick, wo uns die Wellen verschlingen würden. Da stand plötzlich, von einer unsichtbaren Kraft gehalten, das Schiff mitten im Strome. Es war mit dem Vordertheil auf eine sandige Stelle gerathen, dieses hob sich hoch empor, während das Steuerbord tief unter die Fläche des Stroms hinabtauchte. Wir alle klimmten im Drange der Todesangst nach dem Vordertheile auf und klammerten uns hier, wo nur eine menschliche Hand haften konnte, fest. Jetzt lag das Schiff still, aber wir befanden uns in einem verzweiflungsvollen Zustande. Obgleich das Fahrzeug fest saß, so zeigte sich doch bei einer nähern Nachforschung, die einer der Schiffer anstellte, noch eine so bedeutende Tiefe, daß wir, wenn unsre erschöpften Kräfte es unmöglich machten, länger in unsrer schrecklichen Lage zu verweilen, diese nur verlassen konnten, um im Rhein ein nasses Grab zu finden. Ich stand eben im Begriff, den letzten Scheidespruch vom Leben, den ich gewöhnlich in der Comödie vom Jonas im Wallfische, wann der Prophet von dem Rachen des Ungeheuers verschlungen wird, hersage, meinen Leidensgenossen zum Troste mitzutheilen, als wir plötzlich einen Nachen erblickten, der, langsam den Strom aufwärts ziehend, nur von einem einzigen Menschen geleitet wurde. Wir schrieen, wir schwangen mit dem einen Arme, den wir frei geben durften, zum Zeichen unsrer Noth Tücher in die Luft. Der Mann im Nachen bemerkte uns. Er richtete den Lauf seines kleinen Fahrzeugs nach dem Punkt, wo wir festlagen, wo wir uns noch mit der äußersten Anstrengung erhielten. Bald konnten wir sehen, daß es ein Mönch war, in dem Gewande eines Bruders von den grauen Büßenden. Er hatte die Kappe seiner Kutte tief über die Stirn gezogen und führte mit so starker und geschickter Hand seinen Nachen durch die Strömung, dem noch immer stürmischen Winde entgegen, daß es uns dünkte: er möge mehr in weltlichen als in geistlichen Dingen seine Kräfte geübt haben. In kurzer Zeit war er an unsrer Seite. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich jetzt, daß er eine Larve trug, die sein ganzes Antlitz bedeckte. Die Schiffleute waren ganz still geworden. Einer nach dem andern stieg auf seinen Wink schweigend in den Nachen hinab. Sie drängten sich auf einen Haufen zusammen, sie ließen, so viel es der Umfang des Fahrzeugs gestattete, einen freien Raum zwischen sich und dem Mönch. Ich war der letzte, der die Trümmer des Schiffs verließ. Wir standen eng an einander in dem kleinen Nachen, aber dem Eigenthümer des Fahrzeugs nahte doch niemand. Ich begriff die Scheu nicht, doch fühlte auch ich mich ihr unwillkürlich unterworfen. Indessen brachte uns die kräftige Leitung des Mönches dem Ufer näher. Meine Gefährten beharrten noch immer in wunderlichem Schweigen. Der Mönch schien nicht darauf zu achten. Da erinnerte ich mich, daß ich ein Sprecher von Profession sey und redete ihn an. ›Gott zum Gruß, frommer Pater!‹ sagte ich. ›Ihr seyd recht als ein hülfreicher Engel gekommen, uns beizustehn in der höchsten Noth.‹ Der Mönch antwortete nicht, sondern schüttelte nur mit dem Kopfe. Die Schiffleute machten ein Zeichen, das mir Schweigen gebot und sahen mit zweideutigen, seltsamen Gebehrden vor sich nieder. Nun wurde es auch mir fast graulich zu Muthe in der Nähe des unheimlichen Mönch's. Als wir landeten, sprang ich so hastig, wie meine Gefährten, an's Ufer. Sie eilten in vollem Laufe einen Hügel hinan, der sich hier erhob; ich folgte ihnen, von unerklärlicher Angst getrieben, ebenso schleunig nach. Als sie die Spitze des Hügels erreicht hatten, standen sie still und schöpften Odem. Der Nachen des Mönchs glitt wieder in der Mitte des Rheins dahin, durch die Kraft des Schiffenden fest im Sturme erhalten. ›Das war der Aussätzige von der Ingelheimer Aue;‹ sprach da einer von den Schiffleuten: ›er verhüllt sein Angesicht, um die Spuren seiner entsetzlichen Krankheit nicht sehen zu lassen, er spricht zu niemanden, um ihn nicht mit seinem giftigen Hauche zu berühren. Gott lohn' ihm, was er an uns gethan hat; Gott behüt' uns, daß seine Nachbarschaft uns kein Übel bringe!‹« »Seht, ihr Leute,« fügte der Sprecher seiner Erzählung hinzu, »auf diese Weise habe ich den berühmten Meister Lukas kennen gelernt und wenn er mir auch damals keins seiner schönen Lieder vorgesungen hat, so ist er doch Schuld, daß ich sie von andrer Sänger Munde noch vernehmen kann.«

Die schöne Eitel und der süße Muskablüt hatten dieser Mittheilung eine nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Sie waren fortwährend zu sehr mit der Bedeutendheit ihrer eigenen Personen beschäftigt, als daß eine Erzählung, in der ein andrer und überdem noch eine Art Kunstgenosse, die Hauptrolle spielte, ihre Theilnahme erwecken konnte. Jedes Lob, das nicht ihnen gezollt wurde, dünkte sie unverdient; jede noch so rühmliche Eigenschaft eines andren stand in ihren Augen tief unter dem eigenen Talente, unter einer Kunstgeschicklichkeit, die – so wähnten sie – in der ganzen Welt nicht ihres Gleichen finde. Wie weit ist doch auch in dieser Hinsicht unser Zeitalter vorgeschritten! Wir sehen eine Periode nahen, in der die Bescheidenheit einer Sängerin sprüchwörtlich gelten, in der die zarte Demuth eines Virtuosen zu einer Autorität in der Sittenlehre erhoben werden wird. Freilich dürfte die Lesewelt jener Tage, wenn sie sich anders noch mit unserer Erzählung beschäftigt, dann vergebens nach den Urbildern zu Charakteren, wie schön Eitel und süß Muskablüt, forschen, aber sie findet sich dagegen durch die tröstliche Überzeugung erhoben, daß die Menschheit und in's Besondere die Künstlerwelt besser geworden sey, als in den früheren barbarischen Zeiten.

Mit unverkennbarer Theilnahme aber lauschte Felician den Worten des Sprechers. Er verbarg unter der Hülle der Gleichgültigkeit, unter angewöhnten Formen eine Gefühlsempfänglichkeit, die trotz eines langen Kampfes mit tausend herben Erfahrungen, ihre Stellen hatte, wo sie leicht verletzlich war. Alles was ein Individuum der Künstlerwelt betraf, erregte sein lebhaftes Mitgefühl und da er genöthigt war, den Künstlerstand, bei allem poetischen Werthe, den er ihm beilegte, für den unglücklichsten auf der Welt zu halten, so empfand er auch weit tiefer dessen Leiden, als daß ihm seine selten gebotenen Freuden erkennbar geworden wären. Mit jenem wunderlichen Lächeln, das ihn, so bald er den Mund zum Reden öffnete, wie ein Krampf zu befallen schien und unter dessen entstellender Gebehrde niemand die schmerzlichen Empfindungen, welche in diesem Augenblicke vielleicht seine Seele zerrissen, ahnte, sagte er zu dem Sprecher gewandt:

»Dieser Meister Lukas ist plötzlich, wie ein Gebild, aus einem zauberischen Reiche entstammend, oder vielmehr wie ein süßer, Alles entzückender Ton, von dem niemand weiß, woher er kommt, in das Leben getreten und als ein unsichtbarer Beherrscher der Gefühle durchzieht er ganz Deutschland. Sein entsetzliches Loos hält ihn in den Umkreis seines kleinen Eiland's gebannt, seine furchtbare Krankheit ist die Scheidewand, die zwischen ihm und dem menschlichen Geschlechte steht; aber sein Lied durchdringt und rauscht in seinem melodischen Strome über die Erde hin, ihn allvergegenwärtigend, den Ausgestoßenen Allen befreundend. Sage mir, Sprecher, hast du auf deiner Wandrung am Rheine nichts Näheres von ihm vernommen? Weiß man dort nicht, woher er kommt, kennt man nicht das Geschlecht, dem er entsprossen? Ihn hat nicht blos der Zufall zum Dichter gemacht. Aus jedem seiner Lieder spricht ein edler Sinn, eine Hoheit der Gefühle, die nur eine sorgliche Pflege des jugendlich entkeimenden Geistes zuwege gebracht haben kann.«

»Man kennt ihn auch dort nur unter dem Namen des Meisters Lukas;« versetzte der Angeredete. »Vor vielen Jahren sollen ihn zur Nachtzeit Mönche an das Ufer des Rhein's gebracht haben. Ein alter Fischer, der seitdem gestorben, wurde aus seiner Hütte herausgepocht und erhielt eine gute Belohnung, um den Aussätzigen, der auch damals schon seine Larve vor dem Angesichte trug, nach der Ingelheimer Au überzusetzen und dort zurückzulassen. Er sprach nichts bei'm Abschiede von den Mönchen, er ließ sich geduldig Alles gefallen, was mit ihm vorgenommen wurde. Auch gegen den Fischer, der einige neugierige Fragen an ihn richtete, beobachtete er ein hartnäckiges Schweigen. So kam er auf die Insel, wo er wöchentlich von den Mönchen aus Kloster Eubingen mit Speise und Trank versehen wird. Diese erhalten auch von ihm seine Lieder, die bald am ganzen Rheine gesungen werden und dann widerhallen durch alle deutsche Lande. Den Nachen, in dem er zu seiner Lust auf dem Rheine fährt, hat er sich selbst gezimmert, aber nie berührt er die bewohnten Ufer des Flusses und führt das Geschick ihn einmal mit Menschen zusammen, so dient er ihnen hülfreich, wo es noth thut, aber nimmer bricht er das Gelübde des Schweigens, dem er sich verpflichtet zu haben scheint.«

»Ich kannte einen Mann,« sagte vor sich hinlächelnd der Dux, »dessen Gestalt, dessen ganzes Wesen in meiner Erinnerung wieder auflebt, wenn ich die Lieder des armen Mönchs von der Rheininsel höre. Er war ein Rittersmann ohne Tadel, er schlug die Zitter nicht schlechter, als Muskablüt, er sang die schwäbischen Lieder mit wundersamem Wohlklange und wenn er ein Lied von seiner eigenen Erfindung anstimmte, so lebte in ihm ein ebenso zarter Geist, wie in denen des aussätzigen Mönches. Er war ein trefflicher Mann, er erlöste mich aus einer sehr unglücklichen Lage. Doch,« rief er, sich selbst plötzlich unterbrechend und die Sängerin bei der Hand ergreifend, »wir vergessen über solche Dinge, welche unsre schöne Freundin langweilen mögen, des Mittagsmahles. Frisch, Pickelhäring, gib das Zeichen! Alle herbei! Vorkost, Zuspeise und Nachtisch, Alles aus einem Topfe!«

Auf den Ruf des Direktors begann Meister Pickelhäring sogleich einen weithinschallenden Wirbel auf seiner Trommel, die hinter Felician und Eitel auf einem Holzblocke ruhete, zu schlagen. Kinder, die mit den Geräthschaften auf dem Karren gespielt hatten, Weiber, die am Bache mit Waschen beschäftigt gewesen, eilten auf das willkommene Zeichen herbei, um ihren Platz in dem nun sich erweiternden Kreise einzunehmen. Die Szene, die sich jetzt entwickelte, trug den Charakter des ungeordneten Nomadenlebens, in dem eine solche Bande fahrender Leute sich zu bewegen pflegte, und selten machten die bittweise ausgesprochenen Ermahnungen Felicians einigen Eindruck auf die Menge der den Speisekessel bestürmenden Männer, Weiber und Kinder. Nur Eitel und Muskablüt mischten sich nicht in dieses wilde, ungestüme Treiben. Sie wurden von dem Direktor selbst mit Aufmerksamkeit bedient, sie allein führten einiges Speisegeschirr mit sich und ein Besteck mit silbernen Messern und Gabeln, wie damals die angesehenen Leute beiderlei Geschlechtes am Gürtel zu tragen pflegten. Der Dux sprach den Speisen am Mäßigsten zu. Bald gab er den Versuch, seine Leute zu Sitte und Ruhe zu bekehren, auf. Er versank in ein tiefes Nachdenken, aus dem er erst wieder erwachte, als nach geendigter Mahlzeit eine allgemeine Stille folgte, aus der er schloß, daß man nun von seiner Seite die Erlaubniß erwarte, das Fäßlein Bergsträßer Wein, dessen schon der Pickelhäring gedacht, von dem Transportkarren herbeizuschaffen. Er gab sie lächelnd mit einem Zeichen der Hand und im nämlichen Augenblicke stürzte Alt und Jung, laut aufjubelnd nach dem Karren hin, um aus dem Bauche des Drachen, wo es wohl verwahrt lag, das Fäßlein herniederzulassen und vorsichtig zu den Füßen Felician's zu rollen. Er schlug es auf, er bot in einem kleineren silbernen Becher, den ihm Muskablüt überreichte, zuerst der schönen Eitel zu trinken, dann überließ er das Amt des Mundschenken fernerhin dem Sprecher, der es mit ebenso großem Ernste, als gemeinsinniger Unpartheilichkeit verwaltete.

»Wer weiß,« sprach süßlächelnd Felician zu der Sängerin, »wie lange unser harmloses Treiben noch Freunde und wohlwollende Aufnahme findet im guten Deutschland! Unsre Zeit dünkt mich wie ein letzter Nachhall der schönen Tage unter den Hohenstaufen, wo Sang und Ritterspiel, Dichterleben und Minnenlust die Höfe der Fürsten und Großen zierten.«

»Felician«, erwiederte Eitel, »du mußt deine Gedanken besser mit deinen Gesichtszügen in Einklang zu bringen suchen! In deiner Seele ist's trübe, wenn dein Antlitz Sonnenschein zeigt. Du weinst im Herzen, wenn deine Lippe lacht. Willst du durchaus ein verkehrter Mensch seyn, so sey es ganz und laß dein Äusseres auf das Innere wirken: trage den Sonnenschein des Antlitzes in das Gemüth über. Wozu diese finsteren Ahnungen, diese besorgnißvollen Träume einer unglücklichen Zukunft? So lange die Menschen noch Ohren haben, zu hören, noch Augen, zu sehen, so werden unsre Spiele nicht für sie verloren gehn, so werden wir auf dem Acker unsers Gewerbes reiche Früchte erndten.«

»Wie manches Ohr,« versetzte kopfschüttelnd, aber mit fortwährendem Lächeln der Dux, »ist schon taub geworden unter dem lähmenden Hauche der Pestilenz, wie manches Auge schon erblindet, schon erstarrt im Todesfroste, der sie begleitet! Haben wir nicht bereits Länder durchzogen, wo man unsre Spiele verdammlich schalt, wo man uns beschuldigte, durch frevelhafte und sündliche Gaukelei den Zorn des Himmels gereizt zu haben? Die Menschheit ist schlecht geworden, aber der Einzelne hält sich nicht für den Sünder, sondern schiebt die Schuld immer auf den Andern. Vom Frevel zur Reue ist nur ein Schritt. Dieser Schritt aber führt die Menschen nicht aus dem Gebiete der Sünde. Aus dem verbrecherischen Weltkinde wird nun ein verbrecherischer Fanatiker. Seht diese schrecklichen Geißler, die wie eine Heuschreckenschaar verheerend durch ganz Europa ziehn und auch uns auf dem Fuße folgen. Sie und die Pest werden unsre harmlosen Spiele vertreiben, unsre heitern Lieder verstummen machen. Wo ihre Traumgestalten mit den blutigen Wunden ihrer entsetzlichen Bußübungen erscheinen, wo ihre düstern Strafgesänge erschallen, da schweigt die Freude, da stirbt selbst das Bedürfnis, dem Leben eine heitre Bedeutung zu geben. Die Seelenkrankheit, der sie verfallen sind, ist ansteckend, wie die Pest selbst. Das Gelüst der Geiselung, der Selbstquälung dringt in die einsamen Kammern der Jungfrauen, an das Lager des Greises, in den geweiheten Bund der Ehe. Hat man nicht Mütter gesehen, die ihre Säuglinge geiselten, in dem schrecklichen Wahne, sie von der Erbsünde zu befreien? Es ist ein Wahnsinn, der die Gegenwart ergriffen hat und der, wie ein reißender Strom, Alles mit sich fortbewegt. Wir werden untergehn in diesem Strome, schöne Eitel! Vergebens werden wir die Hände nach Rettung aus seinen Wellen emporstrecken: auch uns wird man die schreckliche Geisel aufdringen, auch wir werden statt fröhlicher Actionen auf dem Brettgerüste, schmerzliche an unserm eigenen Leibe vornehmen müssen!«

Sobald er schwieg, versanken seine Gesichtszüge wieder in ihre gewöhnliche Erschlaffung, er blickte mit dem Anscheine großer Gleichgültigkeit in die Kohlenglut, die noch unter dem mächtigen Speisekessel glimmte, er stöberte mechanisch mit seinem Wanderstabe in der glühenden Asche.

»Pah!« sagte indessen Muskablüt, während er leicht mit der Hand über die Saiten seiner Zitter hinstrich: »ich fürchte weder diese Geißler, noch die Pest. Wir wissen, daß Drachen und andre Ungeheuer bei dem süßen Klange der Musik sanft, wie die Lämmer, geworden sind, und, wie Eitel sagt, solange die Menschen noch Ohren haben zu hören, so denke ich sie in so fern durch den Ton meiner Zitter zu bezaubern, daß die Geisel ihrer Hand entfällt, daß ihr düstrer Bußgesang gern schweigt, damit sie desto aufmerksamer meinem anmuthigern Liede lauschen können. Im Bunde mit Eitel mache ich mich anheischig ein ganzes Heer von Geißlern zu den Freuden des Lebens zu bekehren. Gegner die Pest aber besitze ich ein Schutzmittel, eine Besprechung, die mir ein frommer Mönch aus Kloster Einsiedeln in der Schweiz mitgetheilt. Sie ist in ein Säckchen eingenäht, das ich immer auf der Brust trage und kostet mich ein volles Pfund Heller.«

»Du meinst, du könntest mit den Geißlern verfahren, wie der Rattenfänger von Hameln mit den Ratten!« rief der Pickelhäring dazwischen. »Wie du spielst, glaubst du, müßten sie dir auftanzen, und was die heidnische Fabel vom Orpheus erzählt, das will Sire Muskablüt in unsren Tagen wieder aufleben lassen. Aber, prosit! Ich habe die Geißler von Angesicht zu Angesicht gesehn, ich habe ihre schauerlichen Bußlieder vernommen. In Straßburg war ich Zeuge, wie die Priester vor ihnen flohen, wie, wer nicht in Güte zu ihnen halten wollte, mit Gewalt dazu gezwungen wurde, wie sie viele tausend Juden verbrannten oder sonst zu Tode marterten, indem sie die Armen beschuldigten, die Brunnen vergiftet und dadurch das große Sterben hervorgebracht zu haben. Ich stand mitten unter dem Volke, als –«

»Genug, Pickelhäring!« fiel in einem gebieterischen und zugleich höhnenden Tone Eitel Glockenklang ein. »Man kann leicht begreifen, warum du einen besondern Haß auf die Geißler geworfen hast. Nagst du doch den ganzen Tag über an einer Zwiebel oder einem Stückchen Knoblauch, enthältst du dich doch, so gern du auch sonst Fleisch issest, alles Genusses vom Schweine, verehrst du doch dagegen ganz absonderlich die Gans, die auf alle Kinder Israels eine eigene Gewalt übt, und weigerst dich beständig, am Sabbath Theil an unsern Spielen zu nehmen. Wenn einmal alle Juden gehenkt werden sollten, so weiß ich, wo es dich jucken würde, Pickelhäring!«

Verdrießlich schlich der Pickelhäring bei Seite. Die Mitglieder der Gesellschaft ahnten wohl sämmtlich, daß ihr Lustigmacher ein heimlicher Bekenner des mosaischen Gesetzes sey, niemand aber hatte es bis jetzt so keck ausgesprochen, wie Eitel, die, im Bewußtseyn ihrer höhern Stellung, welche sie nicht selten den Großen und Reichen nahe brachte, mit Verachtung auf den Spaßmacher, dem in der Regel nur der Beifall des Pöbels zufiel, herabsah. Dennoch gönnte sie ihm auch diesen nicht. Sie hätte gern alle Gunstbezeugungen, die irgend ein Mitglied der Bande trafen, auf sich allein häufen, sie hätte, wenn es thunlich gewesen wäre, die Witze des Pickelhärings, die Künste der Seiltänzer, das Spiel Muskablüts, die Declamationen des Sprechers mit ihrem Gesange vereinigen mögen. Weil das aber nicht anging, so haßte sie heimlich Alles und glaubte, jedes Zeichen des Beifalls, das einem oder dem andern wurde, sey ein ihr unrechtmäßig entwendetes Gut. Muskablüt war immer zu sehr mit seiner eigenen lieben Person beschäftigt, um auf diese Untugend der Sängerin groß zu achten. Die übrigen untergeordneten Individuen der Gesellschaft aber erkannten sie recht wohl und vergalten das Vornehmthun der Dame mit Hohn hinter ihrem Rücken, ihren Haß mit gleichem Haß, aus dem sich tausend schadenfrohe Neckereien, tückische Streiche und Verdrießlichkeiten für sie entspannen, die jedoch ihren Übermuth nur vermehrten, ihre Anmaßungen steigerten. Felician Süßbutter drückte gern beide Augen zu über diese Zwistigkeiten unter seiner Truppe, er wußte klug jede Klage von irgendeiner Seite abzulehnen, da er überzeugt war, daß eine Entscheidung aus seinem Munde das Übel nur ärger machen werde. Trieb es einmal die schöne Eitel zu arg und drohete der Beleidigte die Gesellschaft zu verlassen, so nahm ihn der Direktor still bei Seite, beruhigte ihn durch ein Geschenk und verstand dabei seine schwachen Seiten so wohl zu benutzen, daß er mit vermehrtem Selbstbewußtseyn, mit siegreichem Trotze der hochfahrenden Sängerin wieder gegenüber erschien. So hatte der Dux fast beständig die Aufgabe zu lösen, die Wellen eines bewegten Meeres zu beruhigen und, indem er dieses Talent zu einer großen Vollkommenheit ausgebildet hatte, war es ihm gelungen, eine der vorzüglichsten Banden fahrender Leute in Deutschland zu besitzen.

Indessen mahnte der Stand der Sonne zum Aufbruch. Man sah ein, daß man keine Zeit zu verlieren habe, wenn man noch vor dem Einbruche der Nacht in der großen Reichs- und Handelsstadt eintreffen wolle, die das Ziel der heutigen Tagesfahrt war. Trompete und Trommel gaben das gewohnte Zeichen, Alles setzte sich plötzlich in Bewegung und in wenigen Augenblicken waren die Küchengeräthschaften der Bande, das leere Weinfäßchen und was sonst noch des Weiterführens verlohnte, auf den Karren, neben den Drachen, geladen. Auch schön Eitel, von dem Dux unterstützt, nahm hier ihren Platz, während Muskablüt, seine Zitter mit dem Seidenbande malerisch an sich ordnend, bereit stand, einem Troubadour ähnlich, seine regellose Reise durch die Welt zu Fuße fortzusetzen. Die Kinder der Bande hingen sich an den Karren und Pickelhäring, dem ein altes Herkommen das Geschäft des Fuhrmanns zugewiesen, bemühete sich durch das Reizmittel eines Stachelstockes das einzige lahme Zugpferd in Gang zu bringen. Der größte Theil der Gesellschaft, zufrieden gestellt in seinen augenblicklichen Bedürfnissen und belebt durch den Genuß des Weins, zeigte eine laute Fröhlichkeit, die gegen das ärmliche, bettelhafte Ansehn manches Einzelnen wunderlich abstach. Die seltsamste Figur in den verschiedenen Gruppen blieb immer Felician Süßbutter. Seine hohe, hagre Gestalt ragte über Alle hervor, seine greinende Stimme ließ sich überall vernehmen, zu Ordnung und Ruhe, jedoch vergebens, ermahnend.

Aber die Fortsetzung der harmlosen Unternehmungen dieser fahrenden Leute sollte auf eine grausame Weise gestört werden! Eben war es den Bemühungen des Pickelhärings gelungen, das lahme Pferd zu dem ersten Schritt vorwärts zu bewegen, eben wollte sich der Dux, seiner Würde gemäß, an die Spitze des Zuges stellen, als ringsum aus Wald und Buschwerk ein trauriger, aber gewaltiger Gesang von vielen hundert Stimmen ertönte, mit Angstgeheul und Wehklagen vermischt, von dem Geräusche einer rasch herandrängenden Schaar begleitet.

»Die Geißler! die Geißler!« Dieser Ruf des Entsetzens erklang in einem Augenblicke von Aller Lippen. Als jage ein Sturmwind sie auseinander, so stoben die fahrenden Leute plötzlich nach allen Richtungen. Wohin sie sich aber wandten, trieb sie der Bußgesang der Geißler zurück, die den ganzen Raum umgeben hatten und die geängstigte Bande in immer näher kreisenden Ringen umschlossen.

»Tretet herzu, wer büssen will,
So fliehen wir die heiße Höll,
Lucifer ist ein böser Gesell,
Wen er hat,
Mit Pech er ihn labt!«

So drang es in schauriger Grabesweise aus allen Gebüschen hervor und dazwischen vernahm man die taktmäßigen Schläge der Geiseln, das Seufzen und Stöhnen der Büßenden. Händeringend irrten indessen die Weiber der fahrenden Bande mit ihren Kindern umher, die Männer suchten sich auf gefahrvollen Pfaden, den Steinbruch hinauf, zu retten, allein wenn es ihnen auch gelang, eine ansehnliche Höhe zu erreichen, so sahen sie plötzlich hier durch eine steil ansteigende Wand, die sie nicht zu erklimmen vermochten, ihre Bemühung vereitelt. Die schöne Eitel war gleich beim ersten Schreckensrufe von dem Karren herabgesprungen und hielt zitternd einen Arm des Dux umschlungen. Felician selbst schien alle Besonnenheit verloren zu haben; mit dem widrigen Lächeln, das ihm mechanisch geworden war, sah er nach dem Orte hin, von dem der Gesang am Lautesten erklang; von den Wechseln des Schicksals schon zu oft gebeugt, vermochte er nicht den Gedanken eines Widerstands, der Möglichkeit, einem drohenden Unheile zu entgehn, zu fassen. Niemand aber hatte rascher nach einem Asyle geforscht und dieses glücklicher gefunden, als Muskablüt. Die stolze Hoffnung, durch sein Zitterspiel die Herzen der Geißler zu bezaubern und sie von quälender Buße zu heitrer Weltlust zurückzuführen, war bei dem ersten Tone des düstern Geißlerliedes aus seiner Seele entwichen. Einige schnelle Sprünge führten ihn zur Hinterseite des Karrens, hier schlüpfte er mit großer Gewandtheit hinauf und verbarg sich, seine zarte Gestalt geschmeidig zusammenziehend, die Zitter sorgsam mit der Brust bedeckend, in das Innere des Drachen, der, wie er hoffte, der Aufmerksamkeit der furchtbaren Büßenden, die unerbittlich Alles, was sich in ihrem Wege fand, zur Theilnahme an ihren schmerzlichen Übungen nöthigten, entgehen würde. Ein Bild des starrsten Entsetzens bot indessen derjenige, den sein Beruf zu immerwährender Heiterkeit, zu Scherz und Muthwillen verpflichtete. Todesangst in den bleichen Zügen, die Haare des Hauptes, von dem ihm die Kugelmütze entfallen war, emporgesträubt, die Glieder von krampfhaften Schauern durchzuckt, klammerte sich der Pickelhäring an die Speichen eines Vorderrades seines Karrens. Er würde zu Boden gesunken seyn, wenn seine zitternden Hände nicht diese Stütze gefunden hätten. Vernehmliche Töne vermochte er nicht hervorzubringen, allein seine Lippen waren in stets bebender Bewegung, er schien sprechen zu wollen, ohne in diesem Drange von der erforderlichen Kraft der Stimmorgane unterstützt zu werden.

»Wie ist die Betefahrt so hehr,
Christ zog gen Jerusalem,
Und führt ein Kreuz in seiner Hand,
Nun helf uns der Heiland!«

Mit diesen in dumpfer Klageweise gesungenen Worten erschien jetzt eine Abtheilung der Geißler auf dem von der großen Straße herführenden Wege, während aus den Seitenöffnungen des Waldes zugleich andre Haufen singend, stöhnend, klagend und sich verwünschend eindrangen. Zwei Männer, welche jener größern Schaar voranschritten, trugen blutrothe, mit vielen schwarzen Kreuzen bezeichnete Fahnen, in der Linken, während die Rechte eine knotige, mit Stacheln versehene Geisel schwang und diese in taktmäßigen Schlägen auf den halb entblößten Oberleib niederfallen ließ. In blutigen Strömen blieben die Spuren dieser Geiselhiebe zurück. Viele alte Narben gaben Zeugniß von der Beharrlichkeit dieser Bußübungen. Dem Beispiele der zwei Männer folgte der ganze Haufe, folgten auch jene, die in kleinern Abtheilungen aus dem Buschwerk hervortraten. Sämmtliche Geißler schritten langsam und düster heran, den dumpfen einförmigen Gesang durch die Schläge der Geiseln unterbrechend, welche unbarmherzig die nackten Schultern zerfleischten. Dem Zuge, der sich auf dem Fahrwege näherte, schloß sich auch eine Anzahl von Weibern und Kindern an. Sie gingen Paarweise, wie die Männer. Unter ihnen zeichnete sich eine Frau von hoher Gestalt und einer Gesichtsbildung aus, die noch Züge ehemaliger Schönheit trug. Sie wüthete ärger gegen sich selbst, als irgend einer von den Männern, als eine der übrigen Frauen. Ihr Haar flatterte wild und regellos vom Haupte nieder, ihre Augen schweiften glühend und irrend umher.

Indessen hatte sich die Gesellschaft der fahrenden Leute in banger Erwartung der Dinge, die da kommen würden, eng auf dem frühern Lagerplatze zusammengezogen. Nur der Pickelhäring, keines Entschlusses, keiner willkührlichen Bewegung fähig, blieb, wie gebannt an seiner Stelle, und Muskablüt, der Zitterschläger, verhielt sich ganz still und regungslos in dem seltsamen Versteck, zu dem ihn seine Furcht getrieben hatte. Eitel hing am Arme des Dux und erhielt endlich auf ihre vielfachen ängstlichen Fragen die trostlose Antwort:

»Was wird's seyn, schöne Eitel? Wir werden wohl auf ein vierzehn Tage lang das Gewerbe fahrender Spieler verlassen und die strenge Zucht fahrender Geißler mitmachen müssen! Dein zarter Nacken wird die scharfe Geisel kosten, dein Purpurmund statt heitrer Minnelieder die schaurigen Gesänge dieser Büßenden anstimmen. Ergieb dich geduldig darein, süße Glockenklang! Sieh es als eine Rolle an, die einmal durchgespielt seyn muß. Man kann sich an Alles gewöhnen. Auch diese vierzehn Tage werden ihr Ende erreichen und dann können wir wieder lachen und fröhliche Lieder singen.«

So sprach mit seinem gewöhnlichen wunderlichen Lächeln Felician Süßbutter. Jetzt war der ganze Raum von den Geißlern eingenommen, ihr düstrer Gesang erschallte mächtig aus mehr als tausend Kehlen, weithin in den Wald schien sich ihre Menge zu erstrecken. Da schwangen die zwei Meister, welche durch die Fahnen, die sie trugen, als solche bezeichnet wurden, diese und alle Stimmen fielen in die Worte zusammen:

»Jesus ward gelabt mit Gallen,
Daß sollen wir in eine Kreutze fallen!«

Sämmtliche Geißler, mit Ausnahme der Meister, breiteten bei diesem Gesange die Arme weit aus und stürzten sich in Kreuzgestalt mit dem Antlitz auf den Boden. Hier wiederholten sie in gellenden, verzweiflungsvollen Tönen jene Worte, hier legten sich einige steif auf den Rücken, um zu bezeichnen, daß sie als Mörder büßten, andre hoben zwei Finger der rechten Hand in die Höhe, womit sie sich meineidig erkannten, wieder andre bezeichneten auf eine sonst unter ihnen hergebrachte Weise die Art ihrer Sünden. Zuletzt ging der Gesang in ein wüstes Geheul über, viele wurden von Zuckungen ergriffen, einige stießen die gräßlichsten Verwünschungen gegen sich selbst aus. Endlich, auf ein neues Zeichen, welches die Meister mit den Fahnen gaben, verstummten diese fanatischen Ausrufungen, die Geißler standen vom Boden auf, verhüllten die blutenden Schultern in schwarze mit Kreuzen gestickte Gewänder und schienen nun erst die fahrenden Leute, diese eingeschüchterte und angstvolle Heerde, zu bemerken.

Einer der Meister, ein großer Mann von jugendlicher Bildung, dessen bleiches Angesicht, dessen flammende Augen etwas Unheimliches und Wahnsinniges in sich trugen, betrachtete sie mit düstern, unheilverkündenden Blicken. Er schien kein Deutscher zu seyn. Seine Adlernase, sein dunkles Auge, die bräunliche Hautfarbe verrieth den Südländer. Sein Nebenmann, der andre Meister, ein kleiner Alter mit einem klugen Gesicht, unterbrach die jetzt herrschende Stille, indem er jenen mit den Worten anredete:

»Sprich; Meister Galeazzo, was beginnen wir mit diesen? Alles besagt, daß es Satanskinder sind, Boten des Fürsten der Finsterniß, um die Christenheit zu verlocken und zu verführen. Ihr Wandel ist eitel Sünde auf Erden; ihnen wird Buße heilsam, ihnen wird die Geisel der Palmzweig der Sühne seyn!«

»Tretet herzu, wer büßen will!« sprach in dumpfem Tone der Italiener Galeazzo, indem er mit starkem Nachdrucke seine Rechte auf Felicians Schulter legte. »Du bereuest deine Sünden, mein Bruder, du wirst büßen mit deinen Gefährten, wie wir, du wirst dein Blut unter den Geiselhieben der Versuchung fließen lassen, du wirst gern den sündigen Leib züchtigen, um Gott und dem Heilande wohl zu gefallen, um durch ihre Gnade das große Sterben, das grausam durch die Menschheit schreitet, abzuwenden.«

Der Dux und seine Untergebenen wußten zu gut, daß jede Weigerung die Wuth der Geißler in einem Grade erregen würde, der selbst ihrem Leben gefährlich seyn konnte. Sie ergaben sich in das Unabänderliche, sie legten die mit Kreuzen bezeichneten Mäntel an, die ihnen von dienstfertigen Geistern dargeboten wurden, sie nahmen, ohne durch irgendeine Äußerung ihren Widerwillen zu verrathen, die stachlichten und knotigen Geiseln hin, die der zweite Meister, ein Schuhflicker aus Basel, Namens Godebrecht, unter sie vertheilte. Nur die schöne Eitel konnte einen tiefen Seufzer nicht unterdrücken, als sie in ihrer Hand das schreckliche Werkzeug erblickte, das ihren zarten Leib zerfleischen sollte. Galeazzo vernahm diesen Seufzer. Mit einem wilden Blicks rief er nach der Schaar der Geißlerfrauen, die, abgesondert von den Männern, im Hintergrunde Platz genommen hatten, hin:

»Tritt herbei, Joffriede! Nimm diese Weiber und Kinder unter deine Obhut. Hier steht, irre ich nicht, eine arge Sünderin, die den Becher der Weltlust bis zum Grunde geleert. Große Sünde, schwere Buße! Geißle dich, Unglückliche, geißle dich!« fuhr er gegen Eitel gewandt fort. »Nur mit deinem eigenen Blute tilgest du die Flecken aus deinem Wandel. Ein Todtenvogel ist auferstanden auf des Herrn Gebot und breitet die schwarzen Flügel über die weite Erde, und läßt von ihnen das Gift der Pestilenz niederträufeln auf die Menschheit. Die Saat findet gedeihlichen Boden in den Herzen der Sünder. Ihr Keim ist Krankheit, ihre Frucht der Tod. Fallet nieder und demüthiget Euch in Euren Sünden, züchtiget das verbrecherische Fleisch, lasset dahinrinnen das verderbte Blut! Wo ist derjenige, der da sagen kann: er sey rein von der Sünde? Sie ist die Mitgabe des Höllenfürsten, die er in unsre Wiege eingelegt, sie ist der Feind selbst, der in uns wüthet und wir müssen ihn bekämpfen, wir müssen ihn ausrotten aus dem Geiste und aus dem Fleische. Geißelt Euch, geißelt Euch!

Für Gott vergießen wir unser Blut,
Das wird uns kommen der Sünde zu gut!«

Joffriede, jene Frau, die, wie wir schon früher berichtet, sich durch ein heftigeres Wüthen gegen sich selbst vor den übrigen auszeichnete, war auf Galeazzo's Ruf herzugetreten. Sie ergriff die sich sträubende Eitel bei der Hand und führte sie mit heftiger, gewaltthätiger Bewegung in die Reihen der andern Geißlerinnen. Zitternd folgten auf ihren Wink auch die übrigen Weiber und Kinder der fahrenden Bande.

»Hier ist Euer Platz fortan!« sagte in einem harten, strengen Tone Joffriede, die Meisterin der Geißlerfrauen. »Kein andrer Gedanke erhebe sich jetzt in Eurer Seele, als der der Reue und Buße. Beichtet Eure Sünden den Meistern, sie werden sie würdigen und Eure Buße bestimmen. Schonet nicht Eures Leibes, gedenkt, daß ihr mit jedem Streiche mehr, den Ihr gegen den Feind in Euch führt, dem Himmel näher kommt. Mit Männern dürft Ihr nicht reden ohne meine Erlaubniß. Auch in den Kindern ist der Geist der Hölle schon thätig. Rettet sie vor seiner Macht, treibt ihn aus, daß er unverrichteter Dinge in das Reich der Finsterniß zurückkehren muß. Geißelt sie, geißelt sie! Gott hat Wohlgefallen an ihrem Blute, denn auch er hat das des einzigen Sohnes für die Menschheit hingegeben. Wer sein Kind liebt, der geis'le es, der lasse es büßen!«

Die Mütter zitterten, die Kinder weinten; aber Joffriedens Blicke ruhten mit einem Ausdrucke grausamer Freude auf ihnen, welche die ihr wohlgefälligen Opfer schon für die Zukunft zu berechnen schien. In ihrer Seele schlummerten bittere Empfindungen, die durch den Anblick der Kinder geweckt wurden. Mit Neid sah sie auf jede Mutter, die sich eines schönen Kindes erfreute, mit Gierde ergriff sie die Gelegenheit, dieses feindselige Gefühl in Qualen und Mißhandlungen an Müttern und Kindern auszulassen, indem sie zugleich ihrem Fanatismus fröhnte. Ihr früheres Leben war von einer schmerzlichen Erfahrung getroffen worden, für die sie, in wilder Leidenschaftlichkeit irrend, auf diesem Wege Vergeltung suchte. Eine dunkle Vergangenheit lag hinter ihr. Ihre Seele war ein Schauplatz aller Stürme gewesen, welche ungeregelte Gefühle, heftige Leidenschaften herbeirufen. Schwankend hatte sie den Pfad der Jugend betreten, sie fiel und erhob sich wieder, endlich sank sie in ihrer eigenen Meinung so tief, daß sie nur, indem sie mit halb wahnsinnigem Drange sich an den Gedanken der Entsündigung durch Selbstpeinigung klammerte, indem sie diese grausame Zucht des Leibes auch auf andere übertrug, sich einer himmlischen Verzeihung würdig zu machen hoffte. Sie war die treue Gefährtin des schrecklichen Fanatikers Galeazzo. Beide beherrschten durch das Beispiel ihrer wahnsinnigen Bußübungen die Geißlerschaar, die ihnen folgte, während der Schuhflicker Godebrecht den Anschein der Heiligkeit benutzte, seine Habsucht zu befriedigen, und es für gut hielt, durch Grausamkeit und Gewaltthaten das Ansehen und die Furchtbarkeit der Seele zu vermehren.

Die fahrenden Leute waren sämmtlich vereinzelt unter dem Haufen der Geißlerschaar untergesteckt worden. Traurig sah sich der Dux nach den Lämmern seiner zerstreuten Heerde um. Ihn selbst hatten Galeazzo und Godebrecht in die Mitte genommen. Nur verstohlen sandte er seine Blicke umher und, indem er Eitel an der Seite der finster blickenden Joffriede bemerkte, zeigte sich das seltsame Lächeln in seinen Zügen, das gewöhnlich seiner Anrede vorausging. Aber es verschwand bald wieder, denn wie hätte er, von den beiden Meistern der strengen Secte gehütet, wagen dürfen, der geängstigten Sängerin einige Worte des Trostes und der belebenden Hoffnung zuzurufen?

Der Mittelpunkt des Waldraums, auf dem früher die Bande der fahrenden Leute frölich gehaußt hatte, zeigte jetzt keinen andern bemerkenswerthen Gegenstand, als den Karren mit den Maschinen der Gesellschaft, der dem völlig fassungs- und besinnungslosen Pickelhäring zum Haltpunkte diente. Der Unglückliche hatte fortwährend eins der Räder krampfhaft umschlungen, er starrte mit glanzlosen Augen auf das Ereigniß, welches seine bisherigen lustigen Gefährten in Strengbüßende umwandelte, ohne es jedoch dem Anscheine nach zu begreifen, ohne eine Erkenntnis der Dinge, die sich unter seinen Augen begaben, zu haben. Da fielen die Blicke Godebrecht's auf seine Jammergestalt; höhnisch lächelnd trat der Schuhflicker auf ihn zu und sagte:

»Freund, mich dünkt, ich sollte dich kennen! Sahen wir uns einst nicht in der guten Stadt Straßburg? Warest du nicht einer von denen, die, überführt die Brunnen zum Verderben guter Christen vergiftet zu haben, schon auf dem Münsterplatze der gerechten Strafe harrten? Sprich, verruchter Kreuziger des Heilandes! Kannst du leugnen, daß du ein Feind der Rechtgläubigen, daß du ein giftmischender Jud bist, der mit seinen Verbrechensgenossen die schreckliche Pestilenz erschaffen und verbreitet hat?«

Bei der Annäherung und den Worten des Schuhflickers zeigte sich eine wiederkehrende Spur des Bewußtseyns in dem Wesen des Pickelhärings. Seine Arme sanken schlaff von dem Wagenrade herab, er fiel, ein gräßliches Schicksal, dem er einmal schon, durch einen Zufall begünstigt, entgangen war, ahnend, zu Godebrechts Füßen nieder, er wollte sprechen, aber bei dem Versuche hierzu sank er, plötzlich von der Macht der Todesangst übermannt, auf's Neue besinnungslos zur Erde.

»Ein Jud! Ein Jud!« schrieen indessen, ihrer fanatischen Wuth sich überlassend, die Geißler. »Feuer her! Laßt uns einen Scheiterhaufen errichten: der Giftmischer, der Feind des Heilands muß brennen.«

Ein Wink Galeazzo's brachte die tobende Menge zur Ruhe. Er trat vor den Pickelhäring, der bewegungslos am Boden lag und betrachtete ihn mit forschendem Blicke. Sein Auge erglühte, die dunkeln Adern seiner Stirn drängten sich höher hervor.

»Es ist einer von denen, die nicht zufrieden, den Sohn Gottes am Kreuze sterben zu lassen, sein heiliges Wort in seinen Bekennern ausrotten wollen;« sprach er zwischen den Zähnen für sich hin. »Wir wollen ein heiliges Werk üben, wir wollen ihn richten, den Jünger Belial's. Seine Brüder haben in Feuersgluth, in Stromeswellen ihre Verbrechen gebüßt; er mag mit seiner Sünde begraben werden, er mag des Todes sterben, den so mancher heilige Martyrer von den Händen dieser Teufelsbekenner erlitten hat. Steinigt ihn!« rief er hierauf mit schrecklicher Stimme. »Stürzt diese Mauerwände auf ihn hinab, daß sein Gebein zermalmt werde, daß das Gedächtnis dieses Gerichtes in dem Grabmale, das ihn bedeckt, warnend fortdaure!«

Viele hundert Hände waren bereit, das Gebot des furchtbaren Italieners auszuführen. Unter wildem, wüstem Geheul ergriffen die Geißler, von Godebrecht angeführt, den ohnmächtigen Bekenner des mosaischen Gesetzes und schleppten ihn auf eine erhabene Stelle in der Nähe des Steinbruchs. Sein Leben schien bereits entflohn, in der starren Gefühllosigkeit, die sich seiner bemächtigt hatte, empfand und erkannte er nichts von den Vorbereitungen zu dem entsetzlichen Tode, der ihn erwartete. Vergebens erklang Felicians bittende Stimme, vergebens vergoß, trotz ihres Widerwillens gegen den Pickelhäring, die schöne Eitel reichliche Zähren um sein Schicksal: die Worte des Dux verhallten in dem allgemeinen Getöse, die Thränen der Sängerin wurden nicht beachtet. Auf einem kleinen Hügel, der ausersehenen Richtstätte, lag regungslos das unglückliche Opfer, dem ein mitleidiges Geschick die Erkenntniß der Schrecken einer martervollen Todesart ersparen zu wollen schien. Seine Augen waren geschlossen, das Antlitz todtenbleich, die Züge krampfhaft verzerrt.

Da schwang sich der schreckliche Galeazzo auf einen Stein in seiner Nähe, so daß er von allen gesehen werden konnte. Die Geißler bildeten einen weiten Kreis um ihr Schlachtopfer, jeder hatte sich mit Steinen, die in großer Menge am Fuße des Steinbruchs lagen, bewaffnet. Ihre Blicke hafteten an Galeazzo. Dieser selbst hielt mit fast übermenschlicher Kraft einen gewaltigen Stein in beiden Händen über sein Haupt geschwungen, er zielte mit ihm nach dem Kopfe des Juden, der nur in der Entfernung weniger Schritte vor ihm lag.

»Verflucht sey der Mörder des Heiland's!« rief er plötzlich in einem gellenden Tone, der bis zu der entferntesten Stelle des Waldraumes drang. Zugleich schleuderte er die Steinmasse in seinen Händen auf den unseligen Gegenstand seiner Verfolgung, tausend Stimmen vereinigten sich in jenen Ruf, unzähliche Steine fielen im nämlichen Augenblicke hernieder und da wo man noch eben den unbeweglichen Körper des Juden erblickt hatte, zeigte sich jetzt ein Steinhaufen von bedeutender Höhe und ansehnlichem Umfange, an dessen unterm Rande dickes schwarzes Blut hervorsickerte.

Die Wuth der Geißler schien nun befriedigt, ihr entsetzlicher Glaubenseifer durch das Opfer, das sie ihm gebracht hatten, versöhnt. Auf ein Zeichen, das die Meister mit ihren Fahnen gaben, bildeten sie eine lange Doppelreihe, die sich langsam von dem Schauplatz des Gräul's entfernte und der großen Heerstraße wieder zubewegte. Die Meister stimmten einen Vers ihres gewöhnlichen Bußliedes mit folgenden Worten an:

»Nun rufen wir, Herre, mit lautem Tone:
Unsern Dienst, den nimm zum Lohne!
Behüt uns vor der Hölle Noth!«

Alle fielen in die düstre Weise dieses Gesanges ein, die noch lange, nachdem der Zug das Waldgebiet verlassen hatte, in hinschwindenden Klängen aus der Ferne herüberdrang.

Als es ganz still geworden, als selbst seit dem Verklingen des letzten Tones eine geraume Zeit vergangen war, zeigte sich eine fast unmerkliche Bewegung in dem Leibe des künstlichen Drachen auf dem Karren, dessen elendes Pferd während aller dieser Ereignisse keine Miene gemacht hatte, seine Stelle zu verlassen. Die Bewegung im Körper des Lindwurms wurde lebhafter, er richtete sich auf und wenige Augenblicke später erschien aus seinem Innern hervortretend, der Zitterspieler Muskablüt, der sich scheu umblickte, ob denn nun auch in der That und Wahrheit alle Gefahr, statt der Zitter die Geisel zur Hand nehmen zu müssen, verschwunden sey? Er überzeugte sich bald, daß er nichts mehr zu befürchten habe, schwang sich von dem Karren herab und floh mit raschen Schritten in das Dickigt, Wagen und Pferd, welche in dem Zustande, worin sie sich befanden, die Eile seiner Flucht nur gehemmt haben würden, ihrem Schicksale überlassend.



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