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IV.
Beginn der neuen Etappe des Kampfes gegen den Faschismus

Interview an die Auslands- und Sowjetpresse am Tage der Ankunft in Moskau

Am 27. Februar morgens erteilten die Gefängnisbehörden Dimitroff die Anweisung, seine Sachen zu packen, und brachten ihn dann zum Flughafen. Hier wurde ihm mitgeteilt, daß er in die Sowjetunion ausgewiesen wird. Die ganze Prozedur der Ausweisung ging in äußerster Hast und in aller Heimlichkeit vor sich. Die faschistischen Machthaber fürchteten, daß die Abreise Dimitroffs sich in eine große antifaschistische Demonstration verwandeln würde, wenn die Massen davon gehört hätten.

Am 27. Februar wurde Dimitroff mit einem Sonderflugzeug aus Berlin fortgeschafft. Am Abend kam er in Moskau an und wurde dort von Vertretern der Kommunistischen Internationale und Delegationen der Arbeiter, die von seiner Ankunft im letzten Moment erfahren halten, freudig empfangen.

Dimitroffs Befreiung aus dem faschistischen Gefängnis war ein Sieg der internationalen proletarischen Solidarität und eine anschauliche Demonstration der Kräfte der Arbeiterklasse und der werktätigen Massen und ihrer Einheitsfront im Kampf gegen den Faschismus.

Vom ersten Tag seiner Befreiung an führte Dimitroff den Kampf gegen den Faschismus fort. »Ich bin Soldat der proletarischen Revolution, Soldat der Komintern. Ich werde hier meine Pflicht bis zum letzten Atemzuge erfüllen«, erklärte er in seinem Interview an Pressevertreter.

Die erste Unterredung mit Journalisten fand am Abend der Ankunft in Moskau statt. In diese Zeit fallen einige Interviews und Reden, die sich auf den Leipziger Prozeß beziehen.

Nachstehend werden einige Äußerungen Dimitroffs aus dieser Zeit gebracht, die unmittelbare Beziehung zum Prozeß haben.

Das erste, was wir sagen müssen, ist unsere grenzenlose Dankbarkeit gegenüber dem internationalen Proletariat, den breitesten Schichten der Werktätigen aller Länder, den ehrlichen Intellektuellen, die für unsere Befreiung gekämpft haben. Und unseren heißen Dank vor allem den Arbeitern und Kollektivbauern des Sowjetlandes, unseres Vaterlandes.

Ich kann mit voller Überzeugung erklären: ohne diese bewundernswerte Mobilisierung der öffentlichen Meinung zu unserer Verteidigung wären wir wohl nicht in der Lage gewesen, hier mit Ihnen zu sprechen. Der deutsche Faschismus hatte es darauf abgesehen, uns moralisch und physisch zu vernichten.

Von der grandiosen Kampagne, die in der ganzen Welt für unsere Befreiung geführt wurde, haben meine Genossen und ich leider erst sehr spät erfahren. Erst jetzt, einige Stunden nach unserem Eintreffen hier, erfahren wir im Gespräch mit den Genossen vieles von dem, was während dieser ganzen Zeit um uns herum vor sich ging. Ich bin fest überzeugt, daß diese Kampagne nicht bloß uns gerettet hat, sondern ihr verdanken wir auch, daß die Provokation des deutschen Faschismus, die auf die Vernichtung vieler tausend Proletarier abzielte, vereitelt wurde. Diese Kampagne nahm den Faschisten die Möglichkeit, eine neue Provokation zur Ausrottung der führenden Kader des revolutionären Proletariats in Deutschland ins Werk zu setzen.

Um es kurz zu sagen – der Prozeß war eine Provokation, wie auch die Reichstagsbrandstiftung eine Provokation war. Durch den Prozeß sollten die Brandstifter getarnt werden. Man wollte die eigene Schuld auf andere schieben. Doch nach den Gesetzen der Dialektik, nach den Gesetzen des Klassenkampfes des Proletariats schlug der Prozeß in sein Gegenteil um. Aus dem antikommunistischen Prozeß wurde eine grandiose antifaschistische Demonstration und ein schmähliches Fiasko des Faschismus. Durch die Brandstiftung sollte das deutsche Volk davon überzeugt werden, daß die Kommunisten Brandstifter seien; der Prozeß überzeugte es, daß dies eine Legende ist.

Inzwischen ist ein Jahr vergangen, und obwohl das faschistische Deutschland ein einziges Gefängnis, von der gesamten Welt isoliert, ist, gibt es wenige Leute in Deutschland, die daran glauben, daß der Reichstag von den Kommunisten in Brand gesteckt wurde. Auch unter den einfachen nationalsozialistischen Parteimitgliedern gibt es viele, die überzeugt sind, daß der Reichstagsbrand das Werk der faschistischen Führer war.

Mit voller Gründlichkeit wird dies der künftige Oberste Gerichtshof des deutschen Volkes klarlegen. Kein Zweifel, daß die Organisatoren der Brandstiftung in den regierenden Kreisen des deutschen Faschismus zu suchen sind.

Wir wurden freigesprochen, aber nicht freigelassen. Man brachte uns nach Berlin, in die Katakomben der deutschen Gestapo. Offen gestanden wäre es gar nicht schlecht, die schlimmsten Feinde der Arbeiterklasse Deutschlands in diesen Katakomben zu sehen!

Wir haben Deutschland mit großem Haß gegen den deutschen Faschismus, aber auch mit großer Liebe, mit heißer Sympathie für die deutschen Arbeiter und Kommunisten verlassen. Infolge der strengen Isolierung konnten wir nicht genau wissen, was sie zu leiden haben und wie sie kämpfen. Doch bis ins Gefängnis und vor dem Gericht fühlten wir, daß die große deutsche Kommunistische Partei unerschütterlich auf ihrem Posten steht. Treue, Ergebenheit zu ihrer Partei sprach aus dem Auftreten der Arbeiterzeugen vor Gericht, die man aus den Konzentrationslagern vorführte. Der Kampf, der für unsere Befreiung geführt wurde, muß für die Befreiung der Tausende proletarischer Gefangenen aus den faschistischen Kerkern fortgesetzt werden.

Was ich hier tun werde? Das ist ganz klar ...

Ich bin Soldat der proletarischen Revolution, Soldat der Komintern. In diesem Sinne bin ich auch vor Gericht aufgetreten. Hier werde ich meine Pflicht als solcher Soldat erfüllen, ich werde sie weiter und bis zum letzten Atemzuge erfüllen.

Brief an Romain Rolland und Henri Barbusse

 

Moskau, den 18. März 1934

Mein lieber Kamerad Romain Rolland!

Mein lieber Kamerad Henri Barbusse!

Nachdem ich jetzt Gelegenheit hatte, die Dokumente der großen Massenbewegung zu studieren, die der Reichstagsbrandprozeß in der ganzen Welt ausgelöst hat, fühle ich das Bedürfnis, mich mit einigen Worten an Sie zu wenden. Diese Zeilen richten sich dabei sowohl persönlich an Sie, deren mutiges Auftreten gegen den imperialistischen Krieg und den Faschismus ich stets mit größter Aufmerksamkeit und Sympathie verfolgt habe, wie auch an die vielen Hunderte und Tausende von Dichtern, Künstlern und Wissenschaftlern, die sich im Laufe der Bewegung in aller Öffentlichkeit auf unsere Seite gestellt haben.

Ich weiß, daß Ihr und Ihrer Freunde Auftreten während des Prozesses nicht nur mir persönlich galt. Wir haben an dem Frontabschnitt, an dem wir uns befanden, gegen den barbarischen Faschismus und für den Kommunismus, für die kommunistische Internationale gekämpft, deren Befreiungskampf wir unser Leben gewidmet haben. Die Tatsache, daß auch im Zusammenhang mit den großen Kämpfen der werktätigen Massen, die sich in den letzten Wochen in Frankreich und Österreich abgespielt haben, Intellektuelle in großer Zahl die Partei der kämpfenden Arbeiter gegen die faschistische Reaktion ergriffen haben, bestärkt mich in der Auffassung, daß es Ihnen und Ihren Freunden vor allem um die große Sache des Proletariats geht.

Der Faschismus will das Rad der Weltgeschichte zurückdrehen. Er zerstört systematisch die Fundamente des kulturellen Fortschritts. Er erhält und vergrößert das Elend der werktätigen Massen. Er kämpft gegen die Technik und predigt offen die Rückkehr zur Barbarei. Was können die Intellektuellen von diesem Regime erwarten als einen weiteren Zerfall der Grundlagen der Forschung, des künstlerischen Schaffens, der Technik und damit der Existenzbedingungen der Intelligenz!

Die proletarische Revolution befreit die Massen von der Ausbeutung, öffnet ihnen die Tore zu einem schnellen Aufstieg, entfaltet die Herrschaft des Menschen über die Natur mit Hilfe der vom Menschen beherrschten Technik und schafft so die Voraussetzungen für eine ungeahnte Entfaltung der schöpferischen Kräfte. Das, was ich in der kurzen Zeit seit meiner Rückkehr in die Sowjetunion von den Erfolgen des sozialistischen Aufbaus habe sehen können, ist ein neues unbestreitbares Zeugnis von den gewaltigen Perspektiven, die der Sieg der proletarischen Revolution der Menschheit eröffnet.

Die Bourgeoisie wird alles tun, um Verwirrung in die Reihen der zum Sozialismus strebenden Intelligenz zu tragen. Sie wird vor keiner Verleumdung und Verdrehung zurückschrecken. Der Reichstagsbrandprozeß hat genug Beispiele dafür geliefert. Und die herrschende Klasse wird dabei unterstützt werden von der Politik der Sozialdemokratie, die vorgibt, auch den Sozialismus zu wollen, die aber grundsätzlich auf Seiten der bürgerlichen Ideologie steht und in allen entscheidenden Momenten praktisch der Front der revolutionären Arbeiterklasse entgegentritt. Die Schwierigkeiten sollen und werden uns, Sie und Ihre Freunde selbstverständlich nicht schrecken. Ein großes Ziel ist jedes Einsatzes wert. Und unsere Befreiung aus den Krallen der deutschen Faschisten zeigt, daß bei Anspannung aller Kräfte in gemeinsamer Front auch wirklich große Schwierigkeiten siegreich überwunden werden können.

So gilt es jetzt, mit aller Kraft sich einzusetzen für die Befreiung der noch in der Gewalt der Nationalsozialisten befindlichen antifaschistischen Kämpfer. Ich denke dabei besonders an Ernst Thälmann, den Führer der deutschen Kommunisten, den besten und klarsten führenden Kopf des deutschen Proletariats, dessen Schicksal mich während meiner Gefangenschaft und des ganzen Prozesses beunruhigt hat, und den ich heute keinen Augenblick vergessen kann.

Sie haben so viel für uns getan – es ist jetzt notwendig, mehr, viel mehr für ihn zu tun. Denn ihn zu befreien wird natürlich eine viel schwerere Aufgabe sein.

Ihnen, mein lieber Romain Rolland, mein lieber Henri Barbusse, und allen, die im Laufe dieses Jahres so hilfsbereit zu uns gestanden haben, spreche ich in unserem Namen und im Namen unserer Internationale Dank aus und freue mich auf die Tage, wo wir von neuem Schulter an Schulter dem gemeinsamen Feinde gegenüberstehen werden.

Ihr
G. Dimitroff

Auf den vorstehenden Brief von Dimitroff antwortete Romain Rolland mit folgendem Schreiben.

 

Schweiz
Villeneuve (Kanton Wallis), Villa Olga
29. März 1934

Lieber Genosse Georgi Dimitroff!

Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief, der am 27. in meinen Besitz gelangt ist.

Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie froh wir sind, Sie in Moskau zu wissen. Während des vergangenen Jahres hatten wir immer das bedrückende Gefühl, daß Sie sich in den Händen von Feinden befanden, die entschlossen waren, Ihren Untergang herbeizuführen. Ihre großartig mutige Haltung hat mehr zu Ihrer Rettung beigetragen als alle unsere Bemühungen. Sie hat in der öffentlichen Meinung der Welt so tiefen Widerhall gefunden, daß die Feinde unsicher wurden und den Rückzug antraten.

Aber es ist zu befürchten, daß sie jetzt an Genossen Thälmann für ihren Mißerfolg Rache nehmen; daher müssen wir all unsere Kraft aufbieten, um ihn zu retten.

Ich bedaure, daß mein außerordentlich schlechter Gesundheitszustand, der mich oft ans Bett fesselt, mich an persönlichem Eingreifen hindert. Aber bis zum letzten Atemzug werde ich meine Stimme erheben für die Sache des Proletariats und seinen Sieg in der ganzen Welt.

Ich drücke Ihnen freundschaftlich die Hand.

Ihr ergebener
Romain Rolland

Achtungsvollen Gruß an Ihre Mutter.

Flammenden Gruß den antifaschistischen Kämpfern Frankreichs!

Unterredung mit dem Mitarbeiter der »Humanité«, Florimond Bonte

Die faschistische Reaktion hatte uns so von der ganzen Welt isoliert, daß ich beim Lesen der Berichte über die antifaschistischen Demonstrationen eine große Genugtuung empfand. Die Unterredung erfolgte kurz nach der Ankunft Dimitroffs in Moskau. Florimond Bonte hatte Dimitroff eine Sammlung der Nummern der »Humanité« überbracht, die in der Woche vor der Urteilsfällung erschienen waren, als die mächtige Bewegung der antifaschistischen Einheitsfront besonders große Ausmaße angenommen hatte.

Wir hatten während des Prozesses allerdings den deutschen faschistischen Zeitungen entnommen, welch gewaltiges Ausmaß die Arbeiterdemonstrationen zugunsten unserer Sache in Frankreich erreichten, und wir fühlten, daß das französische Proletariat an der Weltkampagne gegen den Hitlerfaschismus und an dem kraftvollen Kampf für unsere Befreiung lebendigsten Anteil nahm.

Als ich während des Prozesses im Moabiter Gefängnis war, teilte mir das Gericht mit, daß von Romain Rolland und Henri Barbusse Briefe und Telegramme für mich eingegangen seien. Sie wurden mir jedoch nicht ausgehändigt. Das Gericht hielt sie zurück unter dem Vorwand, daß durch sie die Gefängnisordnung gefährdet werde. Diese Dokumente wurden zu meinen Akten gelegt.

Aus allen Ecken und Enden Frankreichs trafen für mich haufenweise Briefe, Telegramme und Zuschriften ein. Sie wurden mir aus dem gleichen Grunde vorenthalten.

Von den eingeschriebenen Briefen wurden mir nur einige in geschlossenem Umschlag vorgelegt, ich mußte den Empfang bescheinigen, damit sie nicht an die Absender zurückgingen. Der Briefe bemächtigte sich die Gefängnisverwaltung und nahm sie in Verwahrung. Niemals erlangte ich von ihrem Inhalt Kenntnis. Keinen einzigen dieser eingeschriebenen Briefe erhielt ich auch nur zum Durchlesen.

Während des Prozesses richtete ich an das Gericht eine Beschwerde nach der anderen. Ich verlangte, daß man mir wenigstens mündlich den Inhalt der Briefe mitteile, ich forderte nachdrücklich, daß man sie mir zum Durchlesen gebe, aber meine wiederholten Bitten blieben stets unberücksichtigt. Nach Auffassung des faschistischen Gerichts konnte bloße Kenntnis der allereinfachsten Tatsachen eine schwere Gefährdung der »Gefängnisordnung« darstellen.

Spitzfindige Heuchelei! Die Begründungen der Faschisten waren nur faule Ausreden. Das Lesen eines Briefes – eine Gefährdung der Gefängnisordnung! Tartüffs! In Wirklichkeit lag dem die offenkundige Absicht der faschistischen Häuptlinge zugrunde, mir eine Waffe zu nehmen, die mir vor Gericht besondere Dienste geleistet hätte.

Die Leipziger Richter gingen in der gleichen Weise vor, nur mit noch abgefeimterer Heuchelei. Das Gericht übergab nämlich diese Dokumente meinem »Verteidiger«, dem Rechtsanwalt Teichert, mit der kategorischen Weisung, mich von ihrem Inhalt nicht in Kenntnis zu setzen. Ich konnte die Wucht der von der Kommunistischen Partei Frankreichs geführten Kampagne, die unwiderstehliche Kraft der antifaschistischen Bewegung und die aktive Teilnahme der besten Vertreter von Wissenschaft, Literatur und Kunst gewissermaßen nur ahnen.

Ich spürte wirklich, daß ich vor dem faschistischen Gericht nicht nur als Angeklagter, nicht nur in meinem eigenen Namen sprach, sondern daß ich zugleich das Sprachrohr der gesamten werktätigen Massen war.

Ich war mir bewußt, daß ich den tiefsten Gefühlen und den unerschütterlichen antifaschistischen Kampfeswillen nicht nur der Millionen deutscher Betriebsarbeiter zum Ausdruck brachte, die in die Konzentrationslager gepfercht sind und in den Gefängnissen schmachten, sondern auch der Millionen Werktätigen der ganzen Welt Ausdruck verlieh, namentlich der in geschlossenen Reihen zum antifaschistischen Kampf antretenden Werktätigen Frankreichs.

Ich wußte, daß die Anklagebank sich zur Welttribüne verwandeln kann – und sie ist es tatsächlich geworden –, von wo die Welle der antifaschistischen Empörung einen neuen kräftigen Antrieb empfängt, dessen wuchtiger Stoß die ungeheuerliche Provokation der Hitlerleute endgültig ihrer Wirkung beraubt. Ich meine damit die scheußliche Intrige der Reichstagsbrandstiftung, die den Zweck verfolgte, dem Proletariat und seiner revolutionären Avantgarde, der Kommunistischen Partei Deutschlands, die abscheulichsten Verbrechen der deutschen Faschistenführer in die Schuhe zu schieben.

Zum Glück kann ich feststellen, daß mir dies nach besten Kräften gelungen ist, und daß wir auf diese Weise die unzerstörbare Einheit der antifaschistischen Kämpfer in der ganzen Welt fester zusammenfügen konnten.

In den letzten Wochen und Tagen meiner Gefangenschaft erlebte ich die große Freude, aus den, wenn auch tendenziösen und entstellten Mitteilungen der offiziellen Presse des deutschen Faschismus zu ersehen, mit welcher Begeisterung die französischen Arbeitermassen gegen den Faschismus im eigenen Lande aufgetreten sind und wie in der Feuerprobe des Kampfes die Einheitsfront des französischen Proletariats von unten her geschmiedet wurde.

Ich finde keinen Ausdruck für die Tiefe meiner Gefühle, als ich aus den ironischen und gehässigen Ausfällen der faschistischen Presse erfuhr, daß die Massen des französischen Proletariats während der grandiosen Demonstration und des Generalstreiks vom 12. Februar das Schicksal der Leipziger Angeklagten und mich selbst mit ihrem eigenen Vorgehen so eng in Verbindung brachten.

Diese erfreuliche Nachricht erfuhr ich aus einem Leipziger Faschistenblättchen. Ich sah in dieser Zeitung eine Karikatur, plump in der Idee und talentlos in der Ausführung, die eine Arbeiterdemonstration in Paris darstellen sollte. Die Arbeiter trugen Transparente mit dem Namen Dimitroff. Die abgeschmackte Erklärung besagte, die Arbeiter hätten deshalb demonstriert, weil man mir am Abend vorher den Nachtisch entzogen habe. So drang die Wahrheit selbst durch die Mauern unseres Gefängnisses, wenn auch vermittels einer faschistischen Verleumdung.

Diese machtvollen Demonstrationen waren ebenso wie die heroischen bewaffneten Kämpfe der Werktätigen Österreichs ein wirksames Gegenstück zu den moralischen Foltern und der peinlichen Fesselung, die wir in den faschistischen Gefängnissen durchmachen mußten.

Die tapfere Haltung der Pariser Proletarier und der wunderbare Heldenmut der österreichischen Arbeiter, die sich mit bewaffneter Hand gegen den Faschismus erhoben, waren mir ein deutlicher Beweis für die Richtigkeit meiner Haltung vor dem faschistischen Gericht und für die Richtigkeit jener Linie des Angriffs und der Offensive, die jetzt für die Bolschewiki der ganzen Welt gegen den Faschismus geboten ist.

Ich bitte, den Werktätigen Frankreichs und allen, die am antifaschistischen Kampf aktiven Anteil genommen haben, meinen revolutionären Dank zu übermitteln und der »Humanité«, die bei der Mobilisierung der werktätigen Massen eine so bedeutende Rolle gespielt hat, tiefempfundene Erkenntlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Ich danke auch der großen Sowjetunion, ihren Arbeitern und Bauern, den Erbauern der klassenlosen sozialistischen Gesellschaft, die uns die große Ehre erwiesen halben, uns wie eigene Söhne aufzunehmen, und die uns die Möglichkeit geben, in den Kampfreihen der großen bolschewistischen Partei unseren Kampfplatz einzunehmen.

Wir sind frei! Aber der Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands, unser Thälmann, und Zehntausende revolutionärer Arbeiter,

die vorbildliche Tapferkeit an den Tag gelegt haben, schmachten noch in den faschistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen. Man muß auch ihnen zur Freiheit verhelfen.

Unser Thälmann befindet sich im Gefängnis. Sein Leben ist in Gefahr. Er kann jeden Augenblick auf Grund einer von den barbarischen Faschistenführern listig inszenierten Provokation hinterhältig ermordet werden.

Die Befreiung Thälmanns ist eine Ehrensache des internationalen Proletariats.

Der Kampf für die Befreiung unserer Klassenbrüder ist eine Ehrensache für die Werktätigen der ganzen Welt!

Was mir Dimitroff gesagt hat

Dimitroffs Interview an den Korrespondenten der französischen Zeitung »Intransigeant«

Das Interview wurde in einer Klinik bei Moskau gegeben, in der sich Dimitroff nach dem Leipziger Prozeß zur Behandlung aufhielt.

Eine Zeitung hat unlängst geschrieben:

»Es ist erstaunlich, daß Dimitroff schweigt. Man muß darin zweifellos eine deutsch-sowjetische Vereinbarung erblicken. Das Leben Dimitroffs wurde um den Preis seines Schweigens erkauft.«

Dimitroff hat aber gesprochen.

Dimitroff und das Gefängnis – diese zwei Begriffe scheinen polare Gegensätze zu sein. Einer Familie von Revolutionären entstammend, verkörpert er die Freiheit, die alle Gitter zerbricht. Aber wie jede wirkliche Kraft, ist er ruhig, unerschütterlich ruhig. Über Göring sagt er:

»Göring gerät in Zorn, also ist er schwach.«

Er, Dimitroff, erhebt keinen Augenblick die Stimme, weder wenn er von seiner schlechten Behandlung im Gefängnis spricht, noch wenn er sein Urteil über die nationalsozialistischen Führer abgibt. Ein einziges Mal während des Interviews wird er lebhaft, als er von Thälmann spricht:

»Thälmann muß um jeden Preis gerettet werden. Er ist einer der besten von uns. Er ist ein lauterer Charakter. Ich verstehe nicht, wie auch nur ein Intellektueller in der Welt ruhig schlafen kann, solange Thälmann täglich vom Tode bedroht ist.«

Dimitroff ist ein Kämpfer, der stets für andere kämpfte. Seit Oktober 1913 bulgarischer Abgeordneter und einer der Führer der Kommunistischen Partei Bulgariens (der früheren Partei der »engherzigen« Sozialisten, der »Tesnjaki«), führt er einen politischen Kampf gegen den Krieg. Im Jahre 1918 wird er verurteilt, nach dem Kriege amnestiert. Aber er stellt den Kampf nicht ein, nimmt am Septemberaufstand 1923 teil, wird 1924 zum Tode verurteilt und lebt seither im Exil.

»Die Behandlung im bulgarischen Gefängnis, die schon recht brutal ist, kann jedoch mit dem, was ich in den deutschen Gefängnissen erdulden mußte, gar nicht verglichen werden.«

»Richtig«, sage ich, »erzählen Sie mir doch von den deutschen Gefängnissen. Als wir mit verhaltenem Atem aus der Ferne Ihren Prozeß verfolgten, sind soviel widerspruchsvolle Gerüchte zu uns gelangt.«

Und Dimitroff erzählt in dem gleichen ruhigen Tone:

»Wir wurden in dem Augenblick verhaftet, als die nationalsozialistische Kampagne gegen die Arbeiter und die kommunistische Bewegung einen Höhepunkt erreichte. Das Gefängnis des Berliner Polizeipräsidiums war voll von politischen Häftlingen, Kommunisten und anderen aktiven Kämpfern. Vom 9. bis zum 28. März 1933 hörte ich des Nachts von den Korridoren und vom Hofe her stundenlang entsetzliches Schimpfen, Knüppelschläge, herzzerreißende Schreie. Beide Male, als man mich zum Arzt führte, sah ich ganze Reihen von Gefangenen in blutbefleckten Kleidern, mit verbundenen Köpfen und Händen, weit aufgerissenen Augen und klaffenden Wunden. Das waren die Spuren der erlittenen Martern.«

»Sind Sie unter den Verhafteten einem Ihrer Freunde begegnet?«

»Ja, im März sah ich Ernst Thälmann. Ich war früher mit ihm auf verschiedenen Kongressen beisammen. Er ist einer meiner besten persönlichen Freunde. Ich halte ihn für einen der klarsten Köpfe der internationalen revolutionären Bewegung. Später begegnete ich ihm noch zweimal im Moabiter Gefängnis. Die ihm zugefügten moralischen Qualen waren ihm deutlich anzusehen. Aber sein Mut war ungebrochen. Später, im Gefängnis der Geheimen Staatspolizei, erfuhr ich, daß er zwei Wochen vor mir, im Januar 1934, dorthin überführt worden war. Zweifellos wollte man in diesem furchtbaren Keller einen besonderen Druck auf ihn ausüben. Dort wurde er von Göring persönlich aufgesucht. Das war zu der Zeit, wo der frühere sozialdemokratische Reichstagspräsident, Löbe, und der frühere preußische Innenminister, Severing, zur Kapitulation auf der ganzen Linie rüsteten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Göring so naiv war zu glauben, daß die Führer der Kommunisten, wenn auch nicht die gleiche schmachvolle Erklärung wie die Sozialdemokraten, so doch etwas Ähnliches abgeben würden, etwas, was Verwirrung und Mutlosigkeit in die antifaschistischen Massen in Deutschland tragen sollte. Aber ich kenne Thälmann. Es ist nicht seine Art, vor dem Feinde schwach zu werden.«

»Und wie hat man Sie selbst behandelt?«

»Im Gefängnis der Berliner Polizei hatte ich eine über alle Maßen enge Zelle. In ihr war knapp Platz für die Pritsche. Drehte ich mich auf ihr um, so mußte ich fürchten, gegen die Wand zu stoßen. Man nahm mir alles Geld weg, das ich besaß.«

»Aber hat man Ihnen dieses Geld zurückgegeben, als Sie auf freien Fuß gesetzt würden?«

»Nein. Man hat mir weder mein Geld noch meine Bibliothek, die 2000 Mark wert war, noch sonst etwas zurückgegeben, was bei mir beschlagnahmt wurde.«

»Wie war die Ernährung?«

»Eine Flüssigkeit, die mit ›Kaffee‹ bezeichnet wurde, natürlich ohne Zucker, und ein Stück Brot. Abends gab es ein Essen aus Bohnen, Erbsen oder einen Griesbrei. In den ersten Tagen wurde ich nicht einmal zum Spaziergang zugelassen. Erst später wurde mir erlaubt, eine Viertelstunde auf dem Hofe spazierenzugehen. Jedesmal, wenn ich mich mit der geringsten Frage an den Aufseher wandte, erhielt ich eine grobe Antwort. Als ich einmal in das anthropometrische Kabinett geführt wurde, sagte einer der Beamten, der die Untersuchung über den Reichstagsbrand führte, in meiner Gegenwart laut zu dem mich begleitenden Polizeibeamten: ›In Bulgarien ist dieses Subjekt der Hinrichtung entgangen, obwohl er zum Tode verurteilt war, aber hier wird er sicher gehängt werden.‹«

»Und wie war es nach der Überführung in das Moabiter Gefängnis?«

»Dort wurde ich in eine Zelle gebracht, die für die schlimmsten Schwerverbrecher bestimmt war, mit dreifachen Gittern vor dem Fenster, mit dreifachen Riegeln an der Tür und mit Zementfußboden. Man nahm mir die Kleider ab und steckte mich in die gestreifte Gefängniskleidung. Am 3. April begann die gerichtliche Voruntersuchung. Auf Anordnung des Richters wurden mir damals Handfesseln angelegt. Eine Erklärung, warum das geschah, wurde mir nicht gegeben. Bis zum 31. August war ich Tag und Nacht ununterbrochen gefesselt. Nur während des Essens und während ich mich zum Schlafen entkleidete, wurden mir die Fesseln abgenommen.«

»Was waren das für Fesseln?«

»Sie bestanden aus breiten eisernen Handschellen, die die Handgelenke ganz eng zusammenschnürten; untereinander waren sie durch doppelte Ketten verbunden. Es hing ganz von der Laune des Gefängniswärters ab, der mir die Fesseln anlegte, ob sie mir mehr oder weniger stark ins Handgelenk schnitten. Besonders nachts drückten die Fesseln so stark, daß mir die Hände abstarben. Sie können sich nicht vorstellen, was das für das Nervensystem und die Gesundheit bedeutet. Diese Fesseln, die ständig, Tag und Nacht, an den Handgelenken reiben, sind schlimmer als alle Foltern des Mittelalters und der Inquisition.«

»Ist es in Deutschland üblich, daß die Gefangenen gefesselt werden?«

»Keineswegs. Später habe ich erfahren, daß Fesselung nur in folgenden Fällen zulässig ist: bei Fluchtversuchen, Selbstmordversuchen, Tätlichkeiten gegen Gefängnisbeamte oder andere Gefangene. Keiner dieser Fälle lag bei mir vor. Aber alle Proteste blieben erfolglos. Ferner erfuhr ich, daß manchmal den zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung Fesseln angelegt werden, aber nur nachts. Ich forderte, daß man mich wenigstens nicht schlechter behandele als die zum Tode Verurteilten. Die Antwort des Untersuchungsrichters lautete: ›Bezüglich der Fesseln ist keine Veränderung möglich.‹

Im August wurde mir die Anklageschrift zugestellt. Ich mußte mich zur Verteidigung vorbereiten, mußte schreiben. Ich verlangte, daß man mir im Interesse der Verteidigung wenigstens zwei Stunden am Tage die Fesseln abnehme. Wieder die gleiche ablehnende Antwort. Ich mußte mit gefesselten Händen schreiben, häufig unter unglaublichen Schmerzen. Noch heute habe ich Nervenschmerzen, besonders in der rechten Hand.«

»Und warum entschloß man sich, Ihnen am 31. August die Fesseln abzunehmen?

»Das geschah im Zusammenhang mit einem Briefe, den ich an Romain Rolland schrieb. Ich dankte ihm darin für sein mutiges Eintreten angesichts meiner Schuldlosigkeit. Davon hatte ich aus der Antwort des Staatsanwalts an Romain Rolland Kenntnis erlangt. In dem Briefe ließ ich die Bemerkung einfließen, daß ich mich seit fünf Monaten mit gefesselten Händen im Gefängnis befinde. Dieser Brief wurde dem Vorsitzenden des Leipziger Gerichts, Dr. Bünger, vorgelegt. Eine Woche später wurde mir mitgeteilt, daß der Brief nur abgeschickt werde, falls ich den Satz über die Fesseln folgendermaßen ändere: ›... der Handfesselung, die mich während 5 Monaten ... bei Tag und Nacht gequält hat und die am heutigen Tage durch Beschluß des Reichsgerichts aufgehoben ist ... Das Gericht ordnete das wirklich an.«

»War Ihnen der Empfang von Besuchen gestattet?«

»Weder Besuche noch die Aushändigung von Paketen. Meine Wirtin, die mir Obst und Zigaretten schickte, wurde verhaftet. Die Lebensmittel, die mir meine Mutter aus Bulgarien sandte, wurden zurückgehalten unter dem Vorwand, daß aus dem Ausland kommende Lebensmittel nicht zugelassen seien. Ich wollte mir eine deutsche Grammatik beschaffen, man verweigerte sie mir. Wahrscheinlich war der Untersuchungsrichter der Meinung, daß jede Vervollkommnung meiner deutschen Sprachkenntnisse für den Staatsanwalt nachteilig sei. Briefe, die für meine Verteidigung wichtig waren, wurden mir ebenfalls vorenthalten.«

»War denn das Regime in den anderen Gefängnissen ebenso streng?«

»Eine der schlimmsten Erinnerungen meines Lebens ist die an den Aufenthalt im Münchener Gefängnis. Während der Fahrt dorthin genügten den faschistischen Beamten die Handfesseln nicht mehr. Meine Füße wurden an die Bank gekettet. Auf besondere Anordnung des Untersuchungsrichters sollte ich im Münchener Gefängnis besonders streng behandelt werden; dort gab es jedoch keine Handschellen. Sie waren dort niemals im Gebrauch. Da nahm man eine einfache Kette, die mir die Handgelenke tausendfach schmerzhafter einschnürte als die Fesseln im Moabiter Gefängnis. Diese improvisierten Fesseln erregten im ganzen Gefängnis Sensation. Alle Gefängnisbeamten, alle Aufseher und ungezählte Mitglieder der SA und SS kamen aus einem Umkreis von Dutzenden Kilometern in meine elende Zelle, um diese Handschellen zu sehen. Sie trauten ihren Augen kaum. Diese Maßnahme war von dem Untersuchungsrichter Vogt angeordnet worden, den ich besonders an den Pranger stellen möchte.«

»Aber nach dem Freispruch wurden Sie hoffentlich besser behandelt?«

Dimitroff lächelte über meine naive Frage.

» Welch ein Irrtum! Gerade nach dem Freispruch erreichte die schlechte Behandlung ihren höchsten Grad. Sie vergessen, daß wir in das besondere Gefängnis der Gestapo (Geheime Staatspolizei) in Berlin überführt wurden. Es stand unter der unmittelbaren Kontrolle Görings. Wir wurden in einem katakombenähnlichen Raum, dunkel, feucht und mit Zementfußboden, gefangengehalten. Das war der Keller der früheren Preußischen Akademie der Künste.«

»Wohin ist denn die Preußische Akademie der Künste übersiedelt?«, fragte ich erstaunt.

»Die Akademie der Künste mußte in einem winzigen Häuschen Zuflucht nehmen, in ihrem Gebäude aber errichtete man ein großes Gefängnis. Darin zeigt sich die ganze Herrlichkeit des Regimes. Erinnern Sie sich: die Nationalsozialisten haben auf dem Platz vor der Universität Bücher verbrannt, sie machen Goethe zum Vorwurf, daß er Freimaurer war.«

»Wurden Sie körperlich mißhandelt, geschlagen?«

»Ich hätte Schläge vorgezogen«, antwortete Dimitroff. »Der Schmerz von einem Schlag mit dem Knüppel vergeht schnell, aber die langsame Inquisition, die tägliche Folter der Fesselung erschöpft die Kräfte weit mehr. Was ich in den deutschen Gefängnissen ertragen mußte, ist vervollkommnete Inquisition, raffinierte Barbarei.«

»Wie persönliches Verhältnis zu den Gefängnisaufsehern, zu den unteren Beamten usw.?«

»Mit wenigen Ausnahmen waren sie gegen mich sehr korrekt, sehr menschlich. Ich bin bei den Polizeibeamten und selbst bei Mitgliedern der SA und SS sogar auf Mitgefühl und Sympathie gestoßen. Über wen ich mich beklage, das sind die oberen Stellen: die hohen Polizei- und Gerichtsbeamten, zum Beispiel der Untersuchungsrichter Vogt. Das deutsche Volk ist ein gutes Volk. Halt, da erinnere ich mich an einen Vorgang, der mich im Gefängnis erheitert hat. Ich hatte Hemden zum Waschen gegeben. Acht Tage darauf erhielt ich die Hemden so blitzsauber gewaschen, so sorgsam geplättet zurück, daß ich sie kaum wiedererkannte. Sehen Sie, ich bin ein Mensch, der viel allein gelebt hat. Eine solche Fürsorge bin ich nicht gewöhnt. Wer konnte meine Wäsche mit so viel Liebe waschen? Alles erklärte sich sehr einfach. Auf der Wäscherechnung war unten kaum bemerkbar eingeritzt: ›Rot Front!‹ «

»Und jetzt, wo Sie auf Sowjeterde stehen und nichts mehr zu fürchten haben, sagen Sie mir bitte Ihre wahre Meinung über den Reichstagsbrand.«

»Kann denn noch jemand daran zweifeln, daß der Brand nichts anderes als eine politische Provokation war? Wer hat den Reichstag angezündet? Wer hatte Interesse daran, daß er niederbrennt? Wer, außer den Nationalsozialisten, war daran interessiert? Bei den Methoden, mit denen die Untersuchung und der Prozeß geführt wurden, konnten die wahren Schuldigen natürlich unmöglich ausfindig gemacht werden. Die Beantwortung dieser Frage ist Sache des künftigen Revolutionstribunals des deutschen Volkes.«

»Und van der Lubbe?«

»Nach meiner vollen Überzeugung war er ein unzurechnungsfähiges Werkzeug in den Händen der nationalsozialistischen Provokateure. van der Lubbe wußte selbst nicht, wohin man ihn führte, wofür und für wen er arbeitete.«

»War er geisteskrank?«

»Mindestens war er politisch verrückt«, antwortete Dimitroff.

»In einigen Zeitungen wurde die Vermutung ausgesprochen, daß ihm narkotische Gifte eingeflößt wurden...«

»Das ist durchaus möglich. van der Lubbe war der einzige von uns Gefangenen, dem häufig besonders zubereitete Speisen gebracht wurden. Uns anderen wurde zum Beispiel ein Teller mit Brotschnitten durch die Klappe geschoben. Wir konnten unser Stück selbst aussuchen. van der Lubbe dagegen erhielt seines in Papier eingewickelt, auf dem ›van der Lubbe‹ geschrieben stand. Unter diesen Umständen ist es möglich, daß seinem Essen narkotische Gifte beigemengt wurden. Jedenfalls saß er in den Sitzungen oft völlig geistesabwesend da. Die Reflexe waren bei ihm ausgeschaltet. Der Schleim lief ihm aus der Nase. Der ihn begleitende Polizist mußte ihm wie einem Kinde die Nase putzen. Einmal erklärte er dem Vorsitzenden: ›Ich höre Stimmen!‹ «

»Hat er Ihrer Meinung nach den Reichstag angezündet?«

»Ich sehe, Sie halten sich an die offizielle Version. Die Sache ist aber die, daß im Reichstag zwei Brände waren. Der erste brach im Reichstagsrestaurant aus. Das war ein kleines, ein ›Kinder‹-Feuer. Ein völlig ›harmloser‹ Brand, bei dem höchstens die Tischtücher auf den Tischen verbrennen konnten. Dieser Brand wurde offenbar von van der Lubbe gelegt. Übrigens wußte er selbst niemals recht, warum. Der wirkliche Brand aber, der den Reichstag zerstörte, brach im Plenarsitzungssaal aus. Das war ein methodisch organisierter, ernst zu nehmender Brand, der Mittel und Vorbereitungen erforderte, die mit dem Kinderspiel des van der Lubbe keinerlei Ähnlichkeit hatten.«

»Was waren Ihrer Ansicht nach die Beweggründe?«

»Der Reichstagsbrand wurde von den Nationalsozialisten aus fünf Gründen organisiert: Erstens mußte die Aufmerksamkeit der Massen von den inneren Schwierigkeiten abgelenkt werden, die im Februar 1933 die sogenannte ›Nationale Front‹ spalteten; endlose Diskussionen zwischen den Nationalsozialisten und dem ›Stahlhelm‹, Hindenburg, Hugenberg. Zweitens sollte damit ein Druck auf Hindenburg und seine Umgebung ausgeübt werden. Die Nationalsozialisten wollten unbeschränkt die Herren der Lage sein. Die Koalition mit den Deutschnationalen war ihnen hinderlich. Sie wollten als die einzigen ›Retter des Vaterlandes‹ erscheinen. Sie wollten Hindenburg zwingen, die Notverordnungen vom 28. Februar zu unterzeichnen, die seit langem vorbereitet waren und die wahre ›nationalsozialistische Revolution‹ darstellten. Drittens war die Brandstiftung das Vorspiel zur Durchführung des Planes Görings und seiner Freunde. Göring plante seit langem die Zertrümmerung der deutschen Arbeiterorganisationen, der Kommunistischen Partei Deutschlands und aller antifaschistischen Kräfte im Reiche. Viertens sollte der Brand auch zur Täuschung des Auslandes dienen. Unter dem Vorwand der Rettung der europäischen Zivilisation vor dem Bolschewismus konnten die Nationalsozialisten die Aufrüstung durchführen, die sie als Militaristen, die sie waren, beabsichtigten. Fünftens war er eine wohlvorbereitete Rechtfertigung der terroristischen Maßnahmen, die die Nationalsozialisten gegen alles treffen wollten, was in Deutschland noch liberal war, und gegen jede Äußerung unabhängigen Geistes, selbst auf dem Gebiete der Wissenschaft, der Kunst und der Literatur.«

»Und wie ist Ihre Meinung über den Leipziger Prozeß selbst?«, fragte ich beharrlich und immer weniger bescheiden weiter.

»Der Prozeß war für Göring die größte Enttäuschung. Er war, wie alles, was die Nationalsozialisten tun, von ihnen methodisch organisiert. Aber die Durchführung des Prozesses und sein Endergebnis glitten ihnen aus den Händen. Der Prozeß hatte keineswegs den Zweck, die Wahrheit zu enthüllen. Er sollte einfach die These der faschistischen Diktatur untermauern. Er sollte beweisen, daß van der Lubbe auf Anstiften der Kommunisten gehandelt hatte. Er sollte die Möglichkeit geben, an Stelle der wirklichen Brandstifter die Kommunisten zu verurteilen und sofort hinzurichten. Deshalb gab man sich weder während der Voruntersuchung noch in der Hauptverhandlung die Mühe, die wichtigsten Punkte des Verbrechens aufzuklären. Zum Beispiel hatte van der Lubbe die Nacht vor dem Brande im polizeilichen Asyl zu Hennigsdorf, einer Vorstadt von Berlin, zugebracht. Er war dort mit noch zwei anderen Leuten. Niemand nahm sich die Mühe, diese Tatsache zu untersuchen. Niemand nahm sich die Mühe, nach den zwei Gefährten van der Lubbes zu forschen. Ein anderes Beispiel: wer hat als erster den Brand bemerkt? Nicht die ständige Polizeiwache im Reichstag, auch nicht die Hausverwaltung, sondern ein unbekannter Bürger machte die Polizeiwache am Brandenburger Tor darauf aufmerksam. Dieser unbekannte Bürger wurde niemals gesucht und blieb bis zum heutigen Tage unbekannt. Schließlich ist die Aussage des nationalsozialistischen Abgeordneten Dr. Albrecht ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand. Im Augenblick des Brandes verließ Dr. Albrecht den Reichstag mit verschiedenen Sachen unter dem Mantel. Während der Voruntersuchung erwähnte Dr. Albrecht diese Tatsache mit keinem Wort. Sie kam erst während des Verhörs zutage. Dr. Albrecht behauptete, er sei während des Brandes in den Reichstag gelaufen, um aus seinem Abgeordnetenschrank Familienpapiere und eine Ahnentafel zu holen. Ich persönlich glaube, daß er schon vor dem Brand im Reichstag war, und daß er unter dem Mantel etwas ganz anderes als Familienpapiere und seine Ahnentafel verbarg. Im übrigen werden Sie wohl zugeben, daß der Abgeordnetenschrank ein recht eigentümlicher Ort für die Aufbewahrung von Familienpapieren ist. Das Gericht nahm die Behauptung des Dr. Albrecht ohne Nachprüfung hin. Als ich während des Verhörs Fragen an Dr. Albrecht stellte, beeilte sich das Gericht, ihm zu sagen: ›Sie können sich entfernen.‹ Muß ich noch ausdrücklich hinzufügen, daß die Anklagezeugen wie durch Zufall alle den Reihen der nationalsozialistischen Abgeordneten, der Mitgliedschaft der faschistischen Organisationen und der Verbrecherwelt entnommen waren? Auf andere Zeugen mußte verzichtet werden, weil selbst die ärztlichen Sachverständigen sie nicht für zurechnungsfähig hielten. Das war übrigens der lustigste Teil des Prozesses. Mit Hilfe aller dieser falschen Zeugen und durch ein beschleunigtes, undurchsichtiges Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit hofften die Nationalsozialisten zu erreichen, daß wir zu Tode verurteilt werden, der Schlag gegen uns sollte den Kommunismus treffen und die Unterdrückung der Arbeiterklasse, der freiheitlichen Intelligenz und der Juden rechtfertigen.«

»Was hat sie denn daran gehindert?«

»Vor allem das Erwachen der öffentlichen Meinung in der ganzen Welt, die Empörung, die alle ehrlichen Menschen auf dem ganzen Erdball aus Anlaß dieser Provokation und dieses ungerechten Vorgehens ergriff. Dann der Druck der breiten Massen in Deutschland selbst. Die Erregung der Massen steigerte sich noch im Verlauf des Prozesses. Sie wurde verstärkt durch die illegale Propaganda, der Kommunistischen Partei, die vor keinen Opfern zurückschreckte. Ja, selbst in den Kreisen der deutschen Nationalsozialisten gab es Leute, die die offizielle Version nicht glauben wollten. Auch einige ›gutgesinnte‹ Bürger waren auf unserer Seite. Dafür wurden sie verfolgt und verhaftet. Beim Spaziergang im Gefängnishof begegnete ich Gefangenen, die wegen der Verbreitung oder sogar nur wegen des Lesens von Flugblättern über den Reichstagsbrand verhaftet worden waren. Andere, die die ganze Wahrheit wußten, sind spurlos verschwunden. So wurde der Fraktionsvorsitzende der Deutschnationalen, Oberfohren, tot auf den Eisenbahnschienen aufgefunden. Göring und Goebbels beschworen, daß er Selbstmord begangen habe.«

»Wie? Göring und Goebbels haben den Selbstmord unbequemer Leute erfunden?«

»Fühlen Sie sich nur nicht in Ihrem Nationalstolz verletzt. Lassen Sie auch die Deutschen hier und da einmal etwas erfinden. Übrigens sind diese Methoden der Erpressung und der Gewalt nicht immer von Erfolg gekrönt. So haben alle Versuche, von Mitgliedern der Kommunistischen Partei durch Folterungen falsche Aussagen herauszupressen, dank der Treue der Kommunisten zu ihrer Partei Schiffbruch erlitten. Die faschistischen Behörden waren gezwungen, wenn auch nur für das Ausland, eine gewisse Unparteilichkeit der Justiz zur Schau zu stellen. Sie konnten das Gericht noch nicht, wie andere Institutionen, völlig gleichschalten.

Schließlich kommt noch der Kampf hinzu, den wir kommunistischen Angeklagten im Prozeß selbst führten. So brachte der Prozeß den Faschisten das Gegenteil dessen, was sie erwarteten.«

»Waren Sie zufrieden mit Ihren Verteidigern?«

»Ich habe viele politische Prozesse verfolgt. Niemals habe ich eine so unwürdige, verächtliche, marktschreierische ›Verteidigung‹ erlebt wie die Verteidigung Torglers durch Dr. Sack. Das war nicht ein Rechtsanwalt, der mit gewissen Vorbehalten, unter gewissen Bedingungen die Verteidigung der unschuldig angeklagten Kommunisten übernommen hatte. Er handelte wie ein faschistischer Politiker, der in den faschistischen Kreisen Karriere machen wollte. Er benutzte die ›Verteidigungsrede‹ für Torgier zur Rehabilitierung Görings. Das war die größte Sabotage der Verteidigung, die ich jemals erlebt habe. Ich konnte nicht ruhig sitzen bleiben. Eines bedrückte mich, daß man mir während der Verhandlung nicht erlaubte, mit diesem Rechtsanwalt zu polemisieren. Daher sagte ich in meiner Verteidigungsrede vor Gericht: ›Ich ließe mich lieber unschuldig hinrichten, als nach der Methode des Dr. Sack verteidigt zu werden.‹«

In diesem Moment kommt ein greises Mütterchen in das Zimmer der Klinik. Sie hält sich aufrecht, diese 71jährige bulgarische Bäuerin. Es ist Dimitroffs Mutter. Sie hat schon drei ihrer Söhne verloren. Der erste starb in Sibirien, wohin ihn der Zar verbannt hatte. Ein zweiter fiel im Kriege. Der dritte wurde von bulgarischen Faschisten ermordet. Von ihnen sind ihr nicht einmal die Gräber geblieben, an denen sie weinen könnte.

Ich frage sie:

»Waren Sie während des Prozesses nicht ganz verzweifelt?«

Sie antwortet:

»Als ich sah, wie Georgi vor Gericht auftrat, dachte ich: ›Jetzt ist es aus ... Man wird mir auch ihn noch nehmen.‹ Ich verstehe nicht deutsch, aus seinen Gesten aber erkannte ich, daß er auf die Richter pfiff.«

Ich stellte ihr eine Frage, auf die ich eine andere Antwort erwartete, als ich sie erhielt:

»Natürlich haben Sie Ihrem Sohne geraten, mit den Leipziger Richtern sanfter zu sprechen?«

»Wie können Sie so etwas denken? Georgi weiß selbst, was er zu tun hat. Wenn er auf den Richter schimpft, so hat der es verdient. Er macht es schon richtig. Er tut nur seine Pflicht. Ich werde ihn nicht hindern, seine Pflicht zu erfüllen.«

Alles das sagte sie so einfach, daß ich ganz verblüfft war.

Ich wandte mich erneut an den Sohn:

»Und Sie, waren Sie während des Prozesses verzweifelt?«

»Ich glaubte nicht, daß man mich zum Tode verurteilen werde, besonders als ich sah, welche Wendung der Prozeß nahm. Ich befürchtete aber ein Attentat der deutschen Faschisten. Ich war überzeugt, daß ich im Gefängnis sterben werde. Vergessen Sie nicht, daß Göring mir vor Gericht erklärte: ›Selbst wenn Sie hier freigesprochen werden, werden wir Sie zu finden wissen.‹ In dieser Hinsicht kann man sich auf die Faschisten verlassen: sie sind gerissene Regisseure. Leute, die es verstanden, den Reichstagsbrand zu organisieren, hätten es auch verstanden, ein mißlungenes angebliches Attentat auf einen der nationalsozialistischen Führer zu organisieren, das selbstverständlich den Kommunisten in die Schuhe geschoben worden wäre. Dann konnte der zweite Teil des Schauspiels folgen: ein rachedurstiger Haufe hätte mich im Gefängnis erschlagen. Möglich war auch ein ›Selbstmord‹ ... Das einzige, was ich erhoffen konnte, war, daß die Sowjetunion, deren Bürger ich geworden war, auf die faschistischen Behörden einen solchen Druck ausübte, daß sie schließlich kein Interesse mehr daran hatten, mich umzubringen.«

»Das heißt also, Sie blieben an Leben, weil man keine Möglichkeit hatte, anders vorzugehen? ...«

Dimitroff unterbricht mich:

»Da hat unlängst Göring einem Sowjetjournalisten gesagt: ›Ich wollte Dimitroff zu mir in mein Jagdschloß einladen, um mit ihm nach seinem Freispruch zu sprechen. Ich habe jedoch darauf verzichtet. Er hätte glauben können, ich wolle ihn in eine Falle locken. Dimitroff hätte, sagen wir, aus meinem Automobil fallen können, und alle hätten gedacht, er sei von mir ermordet worden!‹

Ferner sagte Göring: ›Ich habe ihm von der Fahrt nach Moskau nichts gesagt. Wir wollten vermeiden, daß man ihm in Moskau einen fürstlichen Empfang bereitet.‹ So spricht ein Mensch, der sehr aufgebracht ist. Sehen Sie, für mich hat die Öffentlichkeit alles getan. Ich wünschte, daß sich die Öffentlichkeit jetzt ebenso für Thälmann einsetzt. Man darf nicht zulassen, daß er im Gefängnis ermordet wird.

Thälmann muß gerettet werden. Das ist eine unbedingte Notwendigkeit. Gegenwärtig ist er nur ein lebendiger Mensch im Grabe.«

»Waren Sie nicht gerührt von dem moralischen Mitgefühl, das Ihnen während des Prozesses aus Paris, London, New York bewiesen wurde? Ich weiß allerdings, daß Sie mit Ihren Zwischenrufen, Ihren Fragen, Ihrem Plädoyer selbst Ihr bester Verteidiger waren.«

»Mein ganzer Kampf vor Gericht«, erklärte mir Dimitroff, »wäre weniger erfolgreich gewesen, wenn die Sympathie und die moralische Unterstützung, die ich rings um mich spürte, nicht gewesen wären. Jedesmal, wenn ich nach den Ausschlüssen erneut zur Gerichtssitzung zugelassen wurde, besonders während der Aussagen Görings und Goebbels, wußte ich, daß die öffentliche Meinung auf meiner Seite war. Einmal schrie mich der Gerichtsvorsitzende Bünger an: ›Im Ausland ist man schon der Meinung, daß nicht ich, sondern Sie die Verhandlung leiten.‹ Da empfand ich, daß Millionen Menschen auf dem ganzen Erdball den Prozeß verfolgen und meine Sache zu der ihren machen. Das gestattete mir auch, meine revolutionäre Pflicht vor dem faschistischen Gericht bis zu Ende zu erfüllen. Die größten Vertreter der Wissenschaft, der Justiz, der Literatur und der Kunst in Frankreich, in England, in Amerika, überall brachten sie, obwohl sie mit dem Kommunismus nichts gemein haben, ihre Sympathie für mich zum Ausdruck. Hinter uns standen nicht nur unsere Gesinnungsgenossen, sondern alles, was es an Ehrlichem und Rechtschaffenem in der Welt gibt. Davon überzeugte ich mich noch mehr, als ich jetzt die nationalsozialistischen Zeitungen durchsah. Während zehn Monaten konnten sie nicht eine einzige Äußerung anführen, die für die Anklage günstig und für uns ungünstig gewesen wäre. Nicht eine einzige Äußerung einer bekannten Persönlichkeit, einer großen Organisation, ja nicht einmal eine einzige Äußerung aus den Kreisen der italienischen oder ungarischen Faschisten, die für Deutschland erfreulich gewesen wäre. Die nationalsozialistische Regierung war moralisch isoliert. Das ist das wichtigste Moment im ganzen Leipziger Prozeß.«

Mich interessierte die Zukunft Dimitroffs. Ich fragte ihn nach seinen Plänen.

»Welche Pläne haben Sie für die fernere Zukunft?«

»Welche Pläne kann ein Revolutionär haben? Selbstverständlich werde ich alle meine Kräfte anspannen, um zum Siege der proletarischen Revolution beizutragen. Besonders aber will ich meine Tätigkeit meinem Heimatlande widmen. Ich vergesse nicht, daß ich ein Sohn des bulgarischen Volkes bin. Die Sowjetunion, das Vaterland aller Werktätigen, hat mich gerettet. In dem stolzen Bewußtsein, daß ich Sowjetbürger bin, fühle ich mich jedoch um so mehr verpflichtet, am Werk der Befreiung der bulgarischen Werktätigen mitzuwirken.«

» Eine letzte Frage, die unbescheidenste von allen, vielleicht auch die unangenehmste, aber die, die die beste Vorstellung vom Menschen gibt. Ich weiß, daß Sie aufrichtig und gerade sind, daher kann ich die Frage nicht unterdrücken: was denken Sie über Ihre Feinde? Sie kennen sie – sagen Sie, welche Meinung haben Sie von den deutschen Führern?«

»Ich bin der Meinung, daß ihr Privatleben keinen entscheidenden Einfluß auf die deutsche Politik ausübt. Wenn der Lebenswandel des einen oder anderen von ihnen recht sonderbar ist, wenn der eine oder der andere schon einmal in der Irrenanstalt war, wenn der eine oder der andere körperlich degeneriert ist oder sich mit Morphium vergiftet, so sind das alles keine ausreichenden Gründe für die Erklärung eines Regimes. Nach Goebbels, Göring und anderen Nationalsozialisten zu urteilen, die ich während der Gerichtsverhandlung sah und die mehr oder weniger hervorragende Stellungen einnehmen, sind die nationalsozialistischen Führer meiner Meinung nach eine skrupellose, brutale, militaristische Gruppe von Vertretern der äußersten, räuberischsten, aggressivsten, chauvinistischsten und rücksichtslosesten Oberschicht der deutschen Bourgeoisie und der Junker. Ich halte sie weder für besonders klug noch für besonders weitblickend. Sie sind nur ausführende Organe. Die wahren Herren des Landes sind sie nicht. Hinter ihnen verbergen sich die wirklichen Herren, die Kanonenkönige, die Beherrscher der Schwerindustrie, die Krupp, Thyssen usw. Aber als Vollstrecker des Willens ihrer Herren gehen sie bis zum äußersten. Sie schrecken weder vor Blutvergießen im eigenen Lande, noch vor Krieg mit der Außenwelt zurück.

Meine Gegner während der Gerichtsverhandlung waren zwei der größten ›Helden‹ des heutigen Deutschland: Göring mit dem Säbel und der Axt, Goebbels mit seiner Schnauze und seiner Haartolle. Göring sprach mit brutaler Offenheit als Vorkämpfer der Reaktion. Er machte wenigstens den Versuch, auf meine für ihn peinlichen Fragen direkt zu antworten.

Vielleicht begriff er später – zu spät –, daß seine Antworten die beste Propaganda für den Kommunismus waren, mit dessen angeblicher Vernichtung er sich brüstete. Goebbels begann mit der Erklärung, daß er auf alle meine Fragen antworten werde, aber mit Ausnahme einer einzigen drückte er sich um alle herum. Er gab nicht eine einzige klare Antwort. Goebbels ist ein Gaukler, weiter nichts. Der Oberpriester der Reinheit der arischen Rasse ist klein, dunkel, verkrüppelt, mit einem Wort, das Musterbeispiel eines Menschen, in dessen Adern sicher Mischblut fließt. Er ist ein lebender Beweis für den ganzen Blödsinn der Rassen›theorie‹.«

Ein Sieg der proletarischen Solidarität

Auszug aus Dimitroffs Artikel in der »PRAWDA« vom 4. März 1934

Der Reichstagsbrand war als das Signal zum Terrorfeldzug des deutschen Faschismus gegen die revolutionäre Bewegung des Proletariats gedacht und hat tatsächlich auch als solches gedient. Die faschistische Provokation vom 27. Februar 1933 sollte das Signal zur »Vernichtung des Marxismus« sein, wobei unter Marxismus die revolutionäre Bewegung des Proletariats in Deutschland verstanden wurde. Die faschistischen Hanswürste wollten alle konterrevolutionären und sowjetfeindlichen Kräfte aufmarschieren lassen und die »historische Rolle« des deutschen Faschismus demonstrieren, die Rolle eines Gendarmen gegen die proletarische Revolution im kapitalistischen Europa.

Die provokatorische Inbrandsetzung des Reichstags durch die Faschisten war die Einleitung zu zahllosen Greueltaten, zu den blutigen Märztagen 1933 in Deutschland, die die ganze werktätige Menschheit gegen die faschistische Diktatur in Front brachten.

Der provokatorische Prozeß in Leipzig – der größte derartige Prozeß in der politischen Geschichte der jüngsten Zeit – war von der faschistischen Führung ausgeheckt worden, um vor der ganzen Welt den Beweis zu führen, daß die faschistischen Henker Ende Februar 1933 »Europa vom Bolschewismus errettet haben«.

Der deutsche Faschismus wollte in Leipzig die allgemeine Anerkennung als »Retter« erlangen. Aus der Anklageschrift, die sowohl während des Prozesses wie während der dreimonatigen Voruntersuchung streng geheimgehalten wurde, geht klar hervor, daß der Prozeß sich nicht allein gegen den Kommunismus in Deutschland richtete.

Die faschistische deutsche Presse hielt es zu Beginn des Prozesses nicht einmal für nötig, daraus ein Geheimnis zu machen. Mir und meinen Genossen wurde zur Last gelegt – wie dies auch in der Anklageschrift offen gesagt wird –, wir seien »Beauftragte der russischen Kommunistischen Partei in Moskau« zur Organisierung eines bewaffneten Aufstands in Deutschland, der durch die Inbrandsetzung des Reichstags eingeleitet werden sollte und sich das Ziel setzte, ganz Deutschland zu sowjetisieren. Die von der Staatsanwaltschaft herbeigeschafften falschen Zeugen sagten während der Voruntersuchung in voller Übereinstimmung mit den Wünschen der Faschisten aus, daß »dieser Aktion«, d. h. der Reichstagsbrandstiftung, ähnliche Brandstiftungen in Warschau, Wien und Prag folgen sollten, um »den Brand über ganz Europa auszubreiten«.

Welche konkreten Aufgaben stellte sich der deutsche Faschismus, als er den Leipziger Prozeß in Szene setzte?

Erstens, die faschistischen Brandstifter und Henker innerhalb des Landes und vor dem Auslande zu rehabilitieren, die wirklichen Schuldigen zu verheimlichen und die Schuld auf die Kommunisten abzuwälzen.

Zweitens, den barbarischen Terror und die ungeheuerlichen Verfolgungen des revolutionären Proletariats zu rechtfertigen. In den Augen der Weltöffentlichkeit die barbarische Vernichtung enormer Kulturwerte, den Feldzug gegen die Wissenschaft, die rücksichtslose Vernichtung sogar des linksbürgerlichen »Freidenkertums«, die Massenpogrome, Ermordungen usw. zu rechtfertigen.

Drittens, der Prozeß sollte den Stoff für eine neue antikommunistische Kampagne liefern. Er sollte als Grundlage für einen neuen »Monsterprozeß« gegen die Kommunistische Partei Deutschlands dienen.

Viertens, der Prozeß sollte beweisen, daß die faschistische Regierung »siegreich« den Weltkommunismus bekämpft und Europa von der kommunistischen Gefahr rechtzeitig errettet hat. Die Köpfe der vier angeklagten Kommunisten wurden von den Faschisten bei dem bevorstehenden weiteren Kuhhandel mit den imperialistischen Ländern als Scheidemünze betrachtet, wofür diese als Entgelt für die »historischen Verdienste« Hitlers in der Frage der »Gleichberechtigung« in den Rüstungen etc. Zugeständnisse machen sollten. Die deutschen Faschisten maßen diesem Prozeß eine außerordentlich große außenpolitische Bedeutung bei.

Die Vorbereitungen für den Prozeß waren ungewöhnlich breit angelegt. Die Faschisten setzten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel in Bewegung. Der gesamte Apparat wurde mobil gemacht – sowohl der Polizei- wie der Gerichtsapparat, der Zentralapparat der Nationalsozialisten und der kolossale, weitverzweigte Apparat des Propagandaministeriums. Und das alles wurde in Szene gesetzt nicht nur, um die Anklageschrift zu fabrizieren, sondern vor allem – koste es, was es wolle – , um »passende« Zeugen zu finden. Über der krampfhaften und verzweifelten Suche nach Zeugen verging ungefähr ein halbes Jahr.

Die Faschisten waren sehr daran interessiert, die von ihnen gewünschten Zeugen gerade in Arbeiterkreisen, unter Kommunisten und führenden Funktionären der kommunistischen Bewegung zu finden. Diese Zeugen sollten nach dem Plan der faschistischen Brandstifter aussagen, daß die Kommunistische Partei Deutschlands und der Rote Frontkämpferbund im Februar/März 1933 einen bewaffneten Aufstand vorbereiteten, daß sie entsprechende Direktiven erteilt haben und daß der Reichstagsbrand das Signal zu diesem Aufstand gewesen war. Die Faschisten machten vor keinem Verbrechen halt, um solche Zeugen zu beschaffen. Tausende und aber tausende Kommunisten und revolutionäre Arbeiter wurden in den Gefängnissen und Konzentrationslagern den ungeheuerlichsten moralischen und körperlichen Foltern ausgesetzt, um sie zu gefügigen Zeugen zu machen, die bereit wären, alles zu bestätigen, was die Thesen der provokatorischen Anklageschrift verlangten.

Aber die Faschisten erlitten ein vollständiges Fiasko. Trotz aller Bemühungen waren die vom Standpunkt der Anklage entscheidenden Zeugen ausschließlich nationalsozialistische Abgeordnete, faschistische Journalisten, kriminelle Verbrecher, Banknotenfälscher, Gewohnheitsdiebe, Geistesgestörte und Morphinisten.

Es war den Faschisten nicht gelungen, auch nur einen einzigen Zeugen vor Gericht zu bringen, der den Kreisen der Arbeiter entstammte, aktiver Teilnehmer der proletarischen Bewegung in Deutschland oder verantwortlicher Funktionär der Kommunistischen Partei gewesen wäre. Und das war die Achillesferse der Anklage. Andererseits wurde durch diese Tatsache vor dem Angesicht der ganzen Welt auf das glänzendste die Unbeugsamkeit, Treue und grenzenlose Hingabe der deutschen Arbeiter an die Sache der proletarischen Revolution, des Kommunismus und der Komintern demonstriert.

Der Leipziger Prozeß war das erste Debüt des Faschismus als europäischen Gendarmen gegen den Kommunismus. Dieses Debüt endete für die Faschisten mit einer Katastrophe. In Anlehnung an ein bekanntes bulgarisches Sprichwort kann man wohl sagen, daß der deutsche Faschismus sich nach Leipzig stolz wie ein Löwe begeben hatte, aber von dort von Kopf bis Fuß bespuckt abgezogen ist.

Der Prozeß war ein Prüfstein für die Kommunistische Partei und für die Arbeiterklasse, deren beste Leute in den Konzentrationslagern und anderen faschistischen Kerkern schmachteten. Und er wurde zu einer glänzenden Demonstration der Treue zu ihrem Banner, der rückhaltlosen Pflichterfüllung und der proletarischen Disziplin.

Die heißen Sympathien, die die deutschen Arbeitermassen während des Prozesses uns entgegenbrachten, die Solidarität mit meinem Auftreten, durch das die faschistischen Brandstifter entlarvt wurden, die Sympathien, die ich im Gerichtssaal und überall, wo ich mich unter Bewachung zeigte, und selbst im Gefängnis fühlte, die Sympathien, die sich in den Briefen, Grüßen und Solidaritätsbezeugungen äußerten und die, auf mir völlig unbegreiflichen Wegen, durch alle Polizeisperren hindurch zu mir drangen – das alles ist ein unwiderlegliches Zeugnis dafür, daß die deutsche Arbeiterklasse trotz der furchtbaren Schläge, die sie infolge des Verrats der Sozialdemokratie erhalten hat, nicht den Kopf verlor, nicht den Kampfgeist einbüßte und unter den unerhört schwierigen Bedingungen ihren Kampf fortsetzt.

Der Prozeß zeigte ferner, welch gewaltige Kraft die internationale Solidarität der Massen darstellt.

Der Faschismus und besonders der »klassische« deutsche Faschismus ist ein zügelloser kriegerischer Nationalismus und Chauvinismus. Sein Banner ist der Krieg, der Krieg gegen das Proletariat im eigenen Lande und der Krieg für neue Eroberungen außerhalb des Landes. Die gesamte ideologische Arbeit der Nationalsozialisten – und sie ist kolossal – setzt sich das Ziel, die internationale Solidarität in der deutschen Arbeiterklasse auszurotten und zu vernichten. Doch der Prozeß und das, was jenseits der Mauern des Gerichts in der ganzen Welt vorging, hat gezeigt, daß die internationale Solidarität lebt und eine gewaltige Kraft darstellt. Durch den Einsatz aller Bemühungen der Arbeitermassen Deutschlands und des Weltproletariats, sowie der Arbeiterklasse der Sowjetunion, alles dessen, was in der Weltöffentlichkeit ehrlich fühlt, wurde der Prozeß in Leipzig zu einem Schlachtfeld, und der gegen den Kommunismus geführte Schlag fiel mit verheerender Wucht auf den deutschen Faschismus zurück.

Diese internationale Solidarität kam anschaulich im Kampf des deutschen Proletariats während des Prozesses zur Geltung. Sie fand auch in anderen Ländern Ausdruck. Sie schuf nicht nur die Voraussetzungen für den Sieg über den Faschismus in Leipzig in dem Sinne, daß Kommunisten, die für die Guillotine bestimmt waren, für den Kampf gerettet wurden, sondern sie versetzte den weiteren Provokationsplänen des Faschismus einen tödlichen Schlag.

Zwischen der Anklagebank, von der aus wir gegen den Faschismus kämpften, und dem Kampf des Proletariats in Deutschland und in anderen Ländern bestand eine ständige unlösbare Verbindung, die wir fühlten. Davon zeugt nicht nur der Widerhall, den unser Kampf in der ganzen Welt fand, und die Sympathie, die man uns in anderen Ländern entgegenbrachte. Durch uns Angeklagte auf dem Prozeß kämpfte das revolutionäre deutsche Proletariat gegen den Faschismus, und sein Kampf brachte das Proletariat der ganzen Welt in Bewegung. Er inspirierte den Kampf der österreichischen Arbeiter gegen den Faschismus, den Kampf der französischen Arbeiter: er war ein Anstoß für die Verschärfung des Kampfes gegen den Faschismus in der ganzen Welt. Ebenso wie wir Angeklagten auf dem Prozeß aus dem Bewußtsein, daß uns Millionen Arbeiter in und außerhalb Deutschlands unterstützten, Kraft und Zuversicht schöpften, schöpften die Arbeiter in Deutschland und in der ganzen Welt Kraft und Zuversicht angesichts unseres Kampfes, den wir gegen den Faschismus vom Gerichtssaal, aus führten.

Aber der Kampf geht weiter und muß verstärkt werden. Die antifaschistische Weltöffentlichkeit darf sich nicht mit diesem Sieg zufrieden geben. Der Kampf um die Befreiung Ernst Thälmanns, des Führers der revolutionären Arbeiter Deutschlands, der Kampf um die Befreiung von tausend anderen Opfern des Faschismus ist für die internationale antifaschistische Bewegung eine Ehrensache.

G. Dimitroff


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