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I.
Der Kampf bis zum Prozeß

Erklärung an die polizeiliche Untersuchungsbehörde

Am Abend des 27. Februar 1933 brach im Gebäude des Deutschen Reichstages ein Brand aus. Noch am gleichen Tage spätabends teilte der deutsche Rundfunk mit, daß im Reichstagsgebäude ein Brandstifter, der »holländische Kommunist« van der Lubbe, festgenommen worden sei, bei dem man angeblich ein Mitgliedsbuch der Kommunistischen Partei gefunden hätte.

Am nächsten Tage wurde eine vom preußischen Innenminister Göring inspirierte Meldung veröffentlicht, daß die Reichstagsbrandstiftung ein Werk der Kommunistischen Partei Deutschlands sei, die damit angeblich das Signal zum bewaffneten Aufstand geben wollte. Gleich danach wurde eine Notverordnung zur Unterdrückung »kommunistischer, staatsgefährdender Gewaltakte« herausgegeben, wurden eine Reihe von Artikeln der Weimarer Verfassung aufgehoben und die kommunistischen und sozialdemokratischen Zeitungen verboten. Der deutsche Faschismus benutzte die Reichstagsbrandstiftung, um einen Terrorfeldzug gegen die Kommunistische Partei, die Arbeiterbewegung und die Demokratie in Deutschland zu beginnen.

Am 9. März 1933 wurden Dimitroff und zwei andere Bulgaren in Berlin verhaftet. Torgler, der Vorsitzende der kommunistischen Reichstagsfraktion, hatte sich am Tage nach dem Reichstagsbrand ohne Einverständnis des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands »zum Zwecke der Rehabilitierung« selbst bei der Polizei gestellt und war dort verhaftet worden. Der formale Vorwand für die Verhaftung Dimitroffs war eine Denunziation des nationalsozialistischen Kellners Hellmer, der erklärte, daß er angeblich Dimitroff mit van der Lubbe gesehen habe.

Vom 9. bis 28. März wurde die Untersuchung von einem Kommissar des Berliner Polizeipräsidiums geführt. Dimitroff befand sich damals im Gefängnis des Polizeipräsidiums.

Während der polizeilichen Verhöre weigerte sich Dimitroff, die Untersuchungsprotokolle zu unterschreiben, wobei er erklärte, daß er gegen die Beschuldigung einer Gemeinschaft mit van der Lubbe protestiere, daß er nicht das geringste Vertrauen zur deutschen Polizei und zur Polizei überhaupt habe, und daß er alles, was er zu sagen für notwendig finde, in einer von ihm selbst aufgesetzten Erklärung niederlegen werde. Diese Erklärung wurde am 20. März 1933 geschrieben und der Polizeibehörde übergeben.

Das hier veröffentlichte Dokument ist das einzige, das in bulgarischer Sprache abgefaßt ist. Alle übrigen Dokumente schrieb Dimitroff deutsch.

An die polizeiliche Untersuchungsbehörde

Im Zusammenhang mit meiner Verhaftung erkläre ich folgendes:

1. Ich, Georgi Dimitroff, ehemaliger bulgarischer Abgeordneter, ehemaliger Sekretär des Gewerkschaftsbundes Bulgariens und Mitglied des ZK der KP Bulgariens seit 1910, bin politischer Emigrant seit Oktober 1923 und wurde in Bulgarien im Zusammenhang mit dem Aufstand vom September 1923 in meiner Abwesenheit verurteilt. Meine politischen Gegner bedrohten mich mit Ermordung auch im Ausland, so daß ich in Europa nicht unter meinem richtigen Namen leben konnte und gezwungen war, unter anderem Namen zu leben. So kam es, daß ich unter dem Namen Dr. Rudolf Hediger verhaftet wurde.

2. Als im Frühjahr 1932 in Bulgarien von neuem die Frage einer Amnestie für die noch in Sachen der Ereignisse von 1923 verurteilt Gebliebenen auftauchte und im Zusammenhang damit in Bulgarien ein großer politischer Kampf entbrannte, beschloß ich, die Sowjetunion, wo ich mich damals aufhielt, zu verlassen und nach Europa zurückzukehren, um unmittelbar vom Auslande aus an der Kampagne für eine volle politische Amnestie mitzuwirken. Ende Juni 1932 kam ich in Berlin an und unternahm von hier aus eine Reise nach Wien, Prag, Amsterdam, Paris und Brüssel, wo ich angesehene Persönlichkeiten, diverse Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen, Assoziationen – kulturelle, wissenschaftliche usw. – dafür zu gewinnen suchte, die Amnestieforderung moralisch und politisch zu unterstützen. Zu diesem Zwecke verfaßte ich über diese Frage Informationsmaterialien, veröffentlichte Briefe an angesehene Persönlichkeiten, an Redaktionen und Organisationen und schrieb eine Reihe von Artikeln über die wirtschaftliche und politische Lage Bulgariens, über seine innere und äußere Politik usw. für die Auslandspresse, sowie für die »Internationale Pressekorrespondenz«, die in Paris in französischer, in London in englischer und in Berlin in deutscher Sprache erscheint. Zu diesem Zwecke verfolgte ich die bulgarische Presse und Literatur, wie auch die Meldungen über Bulgarien in der ausländischen Presse, sammelte statistische und andere Materialien in der Preußischen Bibliothek und anderen Institutionen, was aus den in meiner Wohnung gefundenen bulgarischen und anderen Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, Zeitungsausschnitten und übrigen Drucksachen zu ersehen ist.

3. Meinen persönlichen Unterhalt sowie auch die Ausgaben für meine Reisen bestritt ich aus dem Honorar für meine Artikel sowie Übersetzungen aus dem Deutschen und Russischen. Die bei mir bei der Verhaftung vorgefundene Summe von 350 RM und 10 Dollar ist mein ganzes in den 10 Jahren Emigration erworbenes Vermögen.

4. Während meines Aufenthalts in Deutschland habe ich mich in die inneren deutschen Angelegenheiten nicht eingemischt. Ich habe weder mittelbar noch unmittelbar am politischen Kampf dieses Landes teilgenommen. Ich habe mich restlos der Aufgabe gewidmet, die für mich als bulgarischen Politiker eine Lebensfrage ist: soweit es meine Kräfte gestatten, zur möglichst raschen Erkämpfung einer vollen politischen Amnestie in Bulgarien beizutragen, damit ich nach zehnjähriger Emigration in mein Land frei zurückkehren und dort, meinen Überzeugungen und meinem Ideal gemäß, meinem Volke dienen kann. Die bei mir vorgefundenen Dokumente: der Aufruf der Kommunistischen Internationale über die Einheitsfront und der Aufruf über die Einberufung eines internationalen antifaschistischen Kongresses hatten für mich eine informative Bedeutung. Sie sind in der ganzen kommunistischen Weltpresse veröffentlicht und stellen keine illegalen Dokumente dar. Überhaupt habe ich in Deutschland kein einziges Dokument verfaßt oder verbreitet, das die Lage in Deutschland und deutsche Fragen beträfe.

5. Von dem Reichstagsbrand erfuhr ich am 28. Februar morgens aus den Zeitungen im Zuge München-Berlin, ebenso wie alle anderen Passagiere des Zuges. Den Namen und die Photographie des »Brandstifters« sah ich zum erstenmal in den deutschen Zeitungen nach ihrer Bekanntgabe. Ihn selbst habe ich in meinem Leben weder gesehen noch gesprochen. Als Kommunist, als Mitglied der Kommunistischen Partei Bulgariens und der Kommunistischen Internationale bin ich prinzipiell gegen den individuellen Terror, gegen jedwede solcher unsinnigen Brandstiftungen, da solche Akte unvereinbar sind mit den kommunistischen Grundsätzen und Methoden der Massenarbeit und mit dem wirtschaftlichen und politischen Massenkampf, und weil solche Akte der Freiheitsbewegung des Proletariats, der Sache des Kommunismus nur schaden. Programm und Satzungen aller kommunistischen Parteien und der Kommunistischen Internationale verbieten den individuellen Terror unter Androhung des Ausschlusses jedes Mitgliedes, das zu Methoden des individuellen Terrors greift. Alle in Bulgarien verübten Terrorakte, darunter auch die Sprengung der Kathedrale in Sofia im April 1925, wurden von mir persönlich sowie auch von der Partei, der ich angehöre, und von der Kommunistischen Internationale öffentlich und aufs schärfste verurteilt. Wir sind Kommunisten und keine Anarchisten. Nach meiner tiefen Überzeugung kann die Inbrandsetzung des Reichstages nur das Werk verrückter Leute oder aber der ärgsten Feinde des Kommunismus sein, die durch diesen Akt eine günstige Atmosphäre für die Zertrümmerung der Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Partei Deutschlands schaffen wollten. Ich bin aber weder verrückt noch ein Feind des Kommunismus.

6. Außerdem war ich zu der Zeit, als der Reichstagsbrand stattfand, nicht einmal in Berlin, sondern in München, wo ich am 26. Februar morgens eintraf und von wo ich am 27. Februar abends mit dem D-Zug im Schlafwagen III. Klasse nach Berlin zurückfuhr.

7. Ich weise mit tiefer Entrüstung jeden Verdacht einer direkten oder indirekten Beteiligung an dieser antikommunistischen Handlung, an dieser von jedem Standpunkt aus verwerflichen Übeltat zurück und protestiere energisch gegen die unerhörte Ungerechtigkeit, die an mir begangen wurde, indem man mich aus Anlaß und im Zusammenhang mit diesem Verbrechen verhaftet hat.

Eine Verletzung der deutschen Gesetze durch mich besteht einzig darin, daß ich als politischer Emigrant, dem Ermordung drohte, illegal in Deutschland lebte.

8. Ich protestiere ebenfalls dagegen, daß man mich wie einen Kriegsgefangenen behandelt, dem man aus seinen eigenen Mitteln keinen Pfennig Geld für die Befriedigung der allernotwendigsten Bedürfnisse gelassen hat, und der sogar der elementarsten Rechtshilfe beraubt ist.

 

Berlin, 20. März 1933

G. Dimitroff

P. S. Was die bei mir und in meiner Wohnung gefundenen Bücher betrifft, so erkenne ich als unbestritten meine nur diejenigen an, die in meinem persönlichen Beisein festgestellt wurden. Die Haussuchung in meiner Wohnung wurde in meiner Abwesenheit vorgenommen.

Brief an Henri Barbusse

Am 28. März 1933 wurde Dimitroff vom Gefängnis des Polizeipräsidiums in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit überführt. Am 3. April teilte ihm der Untersuchungsrichter Vogt bei der Vernehmung offiziell mit, daß er der Reichstagsbrandstiftung beschuldigt werde.

Dimitroff machte verschiedenen Freunden von der gegen ihn erhobenen provokatorischen Beschuldigung schriftlich Mitteilung. Der Untersuchungsrichter Vogt, durch dessen Hände nach den geltenden Bestimmungen alle Briefe gehen mußten, ließ jedoch, wie sich später herausstellte, diese Briefe nicht befördern, mit Ausnahme des hier folgenden Schreibens an Barbusse.

 

Berlin, 5. April 1933

Henri Barbusse, Paris
durch die Redaktion der »L'Humanité«

Mein lieber Freund Barbusse!

Ich muß Ihnen eine traurige Mitteilung machen:

Seit dem 9. März bin ich in Haft. Obwohl ich, wie Sie gut wissen, mich nur um meine bulgarischen Angelegenheiten kümmere (die Frage der politischen Amnestie), bin ich unglücklicherweise unter die Anschuldigung, ein politisches Verbrechen in Deutschland begangen zu haben, gestellt.

Wie mir gestern von der zuständigen gerichtlichen Stelle offiziell mitgeteilt wurde, wurde ich in Haft genommen wegen der Anschuldigung,

»zu Berlin innerhalb nicht rechtsverjährter Zeit, insbesondere am 27. Februar, gemeinschaftlich mit dem Maurer Marinus van der Lubbe durch eine und dieselbe fortgesetzte Handlung:

a) es unternommen zu haben, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern;

b) vorsätzlich, das Reichstagsgebäude, welches zur Wohnung von Menschen dient, in Brand gesetzt zu haben, und zwar, indem er die Brandstiftung in der Absicht begangen hat, um unter Begünstigung derselben einen Aufruhr zu erregen«. Ich hoffe, daß der furchtbare Irrtum geklärt werden wird, aber wie es gewöhnlich in solchen komplizierten Fällen der Fall ist, wird sich die Sache eine geraume Zeit hinziehen.

Das Schlimmste ist, daß meine Gesundheit ohnedies stark erschüttert ist, und dabei habe ich momentan keine Mittel für die notwendige Zusatznahrung und die Befriedigung anderer persönlicher Bedürfnisse im Gefängnis.

Ich bitte Sie, über meine Lage auch Herrn Romain Rolland zu benachrichtigen, da ich seine jetzige Adresse nicht kenne.

Mit bestem kameradschaftlichen Gruß

G. Dimitroff
(gewesener bulgarischer
kommunistischer Abgeordneter)

P. S. Wie meine Behandlung ist, läßt sich aus folgenden Tatsachen ersehen:

a) mein persönliches Geld wurde beschlagnahmt, und ich sitze fast ohne einen Pfennig, manchmal sogar, ohne das Porto für meine Briefe zahlen zu können;

b) ich bekomme keine Zeitung;

c) ein Monat ist bereits verflossen, und ich konnte noch keinen Rechtsanwalt bekommen;

d) niemand wird zu mir gelassen;

e) sogar meine Brille wurde mir weggenommen.

 

Brief an den Übersetzer Tarapanoff

15. April 1933

Durch den Herrn Untersuchungsrichter für den bulgarischen Übersetzer Herrn Tarapanoff

Sehr geehrter Herr Tarapanoff!

Ich bitte Sie, wenn es Ihnen möglich ist und wenn der Herr Untersuchungsrichter das erlaubt, so gut zu sein, mir ein Lehrbuch der deutschen Sprache zu senden. Sie werden am besten wissen, was für ein Lehrbuch für mich geeignet ist.

Ich möchte meine Gefangenenzeit möglichst ausnutzen und insbesondere in bezug auf die richtige Erlernung der von mir so hochgeschätzten und direkt geliebten deutschen Sprache – der riesig reichen und herrlichen Sprache von Goethe und Heine, Hegel und Marx.

Hochachtungsvoll und mit bestem Dank
G. Dimitroff

Brief an Marcel Cachin

In einer gleichgeschalteten deutschen Zeitung, von der Dimitroff zufällig eine Seite in die Hände bekam, waren die Lichtbilder der der Brandstiftung Angeschuldigten veröffentlicht sowie eine Mitteilung des Untersuchungsrichters Vogt, daß ihre Verbindung mit van der Lubbe erwiesen sei. Um diesen falschen Behauptungen entgegenzutreten und die provokatorischen Pläne der deutschen Faschisten zu entlarven, schrieb Dimitroff Briefe an einige politische Freunde im Ausland, darunter auch an Marcel Cachin. Aber auch diese Schreiben wurden nicht weiterbefördert.

 

22. April 1933

Herrn Marcel Cachin, Deputé, Paris

Lieber Marcel Cachin!

Wenn es auch ganz unglaublich ist, so ist es leider Tatsache, daß ich seit dem 9. März 1933 in Haft bin, und zwar unter der Anschuldigung, mit der Reichstagsbrandstiftung etwas zu tun zu haben. Die offizielle Begründung des Haftbefehls lautet:

»weil er (Dimitroff) dringend verdächtig ist, zu Berlin innerhalb nicht rechtsverjährter Zeit, insbesondere am 27. Februar 1933, gemeinschaftlich mit dem Maurer Marinus van der Lubbe durch eine und dieselbe fortgesetzte Handlung:

a) es unternommen zu haben, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern;

b) vorsätzlich das Reichstagsgebäude, welches zur Wohnung von Menschen dient, in Brand gesetzt zu haben, und zwar, indem er die Brandstiftung in der Absicht begangen hat, um unter Begünstigung derselben einen Aufruhr zu erregen«.

Da die deutsche und ausländische Presse die unrichtige Behauptung verbreitet hat, daß ich mit dem Reichstagsbrandstifter in Verbindung gestanden habe – eine Behauptung, die meine politische und persönliche Ehre als kommunistischer Schriftsteller, Mitglied des ZK der KP Bulgariens und der Exekutive der Kommunistischen Internationale tief schädigt –, bitte ich Sie, in der Öffentlichkeit und speziell durch die »Internationale Pressekorrespondenz« bekanntzugeben, daß

ich nie in meinem Leben den Reichstagsbrandstifter Lubbe gesehen, getroffen oder gesprochen habe, und daß ich natürlich keine, weder direkte noch indirekte, Beziehung zu der Reichstagsbrandstiftung – diesem wahnsinnigen, verbrecherischen, volksfeindlichen und ausgesprochen antikommunistischen Unternehmen – gehabt habe.

Besonders wichtig für mich ist, daß diese meine kategorische Erklärung in Bulgarien selbst bekannt wird und daß meine bulgarischen Volksgenossen und Freunde im Ausland von ihr Kenntnis bekommen.

Mit bestem Gruß
G. Dimitroff

P. S. Da mein persönliches Geld beschlagnahmt worden ist, befinde ich mich in großen materiellen Schwierigkeiten und erwarte von meinen Freunden eine möglichst rasche Unterstützung. Wenn meine bulgarischen Freunde die Möglichkeit haben, etwas Geld zu schicken, mögen sie es bitte an Rechtsanwalt Werner Wille (für mich) oder direkt an das Untersuchungsgefängnis Moabit adressieren.

Briefe an den Untersuchungsrichter Vogt

Die faschistischen Kerkermeister setzten sich zum Ziel, den revolutionären Kampfgeist des eingekerkerten Dimitroff zu brechen. Sie glaubten das durch systematische raffinierte Schikanen, die sie während der gesamten Haftzeit anwendeten, zu erreichen; sie leiteten einen großen Teil der Korrespondenz nicht weiter, gaben für Besuche des Verteidigers und anderer Personen keine Genehmigung, händigten die Lebensmittel nicht aus, die Dimitroffs Mutter schickte, und entzogen dem Verhafteten sogar die Brille. Das ganze Geld wurde Dimitroff abgenommen, so daß er keine Zeitungen abonnieren und sich keine Lebensmittel beschaffen konnte.

Als Dimitroff nach beharrlichem Kampf die Erlaubnis durchsetzte, auf eigene Kosten faschistische Zeitungen zu halten, konnte er von dieser Erlaubnis solange keinen Gebrauch machen, bis von seinen Angehörigen aus dem Ausland Geld an die Gefängniskasse überwiesen wurde.

Vom 4. April an war Dimitroff ununterbrochen, bei Tag und Nacht gefesselt, und zwar die ersten drei Wochen auch an den Beinen und außerdem noch mit einer kurzen Kette an die Wand angeschlossen. Er mußte die ganze Vorbereitungsarbeit zum Prozeß unter großen Schmerzen mit gefesselten Händen erledigen, ebenso seine Korrespondenz und Auszüge, die er sich aus Büchern machte. Die faschistischen Behörden, die den unteren Gefängnisbeamten offenbar nicht trauten, ließen regelmäßig nachprüfen, ob die Fesseln auch zugeschraubt waren. Die Fesselung, wie überhaupt die meisten Maßnahmen des Untersuchungsrichters, standen im Widerspruch zu den gellenden Bestimmungen über die Behandlung von Untersuchungsgefangenen.

Aber nichts konnte den Kampfgeist Dimitroffs brechen.

Unter Ausnutzung der in Deutschland geltenden Bestimmungen über die Behandlung der Untersuchungsgefangenen führte Dimitroff den Kampf gegen das Gefängnisregime und wandte sich mit Protesten an den Untersuchungsrichter und später an den Gerichtsvorsitzenden.

Die nachstehenden Briefe an den Untersuchungsrichter Vogt zeigen einige Seiten dieses Kampfes.

 

26. April 1933

An den Herrn Untersuchungsrichter!

Sehr geehrter Herr Reichsgerichtsrat!

Gestatten Sie mir bitte, Sie daran zu erinnern, daß ich immer noch Bescheid erwarte über:

1. eine Besprechung mit meinem Rechtsanwalt;

2. die Überweisung der von meinem beschlagnahmten Gelde freigegebenen 5 Mark an die Kasse des Untersuchungsgefängnisses;

3. den nicht abgesandten Brief an Fräulein K.;

4. das deutsche Lehrbuch.

Ferner habe ich bereits festgestellt, daß ich die an mich gerichtete Korrespondenz oft mit großer Verspätung bekomme. Gestern z. B. habe ich wieder einen Brief vom 19. April, also am 6. Tage, erhalten.

Ich verstehe wohl, daß für die Kontrolle eine gewisse Frist notwendig ist, aber eine fast einwöchige Verspätung ist doch mit diesem Grunde nicht zu erklären und noch weniger zu rechtfertigen.

Ich bitte um Ihre Anordnung, meine Korrespondenz nach Möglichkeit regelmäßig befördern zu wollen.

Endlich erinnere ich Sie daran, daß meine Hände immer noch Tag und Nacht gefesselt sind. Gefesselt muß ich lesen und schreiben, sitzen und schlafen. Genügt es Ihnen nicht, daß ich schon fast einen Monat diese moralische und physische Qual ertrage? Ist es nicht an der Zeit, diese barbarische Maßnahme aufzuheben?

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

4. Mai 1933

An den Herrn Untersuchungsrichter!

Sehr geehrter Herr Reichsgerichtsrat!

Für Ihre Mitteilung, daß Sie die Freigabe des bei mir beschlagnahmten Geldes ablehnen, ist natürlich nicht zu danken.

Und doch haben Sie mich damit von einer Illusion befreit. Ich hatte einen Augenblick angenommen, daß ich wenigstens in dieser Beziehung als politischer Mann, der wegen der Reichstagsbrandstiftung unschuldig sitzt und nur wegen der Erfüllung seiner kommunistischen Pflicht leidet, nicht schlechter als Räuber und Mörder behandelt werden würde und auf einige Mark von meinem Gelde für Zeitungen, Porto und ein deutsches Lehrbuch rechnen könnte.

Jetzt sehe ich, daß das eine Illusion war. Ich darf keinen Betrag von meinem Geld zurückbekommen. Ich darf keinen Besuch haben und dabei muß ich bei Tag und Nacht gefesselt sein.

Soweit mir bekannt ist, sind sogar die angeklagten Mörder nicht in einer solchen Lage.

Und das habe ich Ihnen zu verdanken!

Ja, so ist es recht und konsequent. Ich bin in den Händen des Klassenfeindes, der auch die Justiz als Waffe für die Ausrottung des Kommunismus, d. h. praktisch für die Vernichtung seiner überzeugten, konsequenten und unbeugsamen Träger auszunutzen bestrebt ist.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

Briefe an Verwandte und Bekannte

Die Briefe Dimitroffs an seine Verwandten waren fast die einzige Verbindung mit der Außenwelt, die von den faschistischen Behörden, wenn auch mit großen Einschränkungen, gestattet worden war. Dimitroff benutzte diesen Briefwechsel, um die Öffentlichkeit über seine Lage zu informieren und auf notwendige Maßnahmen im Kampf gegen die provokatorische Anschuldigung hinzuweisen.

Die Mutter Dimitroffs, Paraschkewa Dimitroff, eine Greisin, die bereits drei Söhne in den Kämpfen für die Revolution verloren hatte, machte sich unverzüglich an die Verteidigung ihres vierten Sohnes, als sie von ihm Mitteilung von seiner Verhaftung erhielt. Sie schickte ihm Briefe, sandte ihm Lebensmittelpakete und Geld. Sie fuhr ins Ausland, trat in großen Volksversammlungen auf, erzählte den Lebenslauf Dimitroffs und wies seine absolute Unschuld nach. Sie erzwang eine Unterredung mit ihrem Sohn, war während der Verhandlungen im Gerichtssaal anwesend und half Dimitroff in seinem heroischen Kampfe mit allem, was in ihren Kräften stand. Sie erwarb sich durch ihren aktiven Kampf für die Verteidigung ihres Sohnes die heiße Sympathie der Werktätigen.

Die im Brief erwähnte Ljuba Iwoschewitsch war Dimitroffs erste Frau und treue Kampfgefährtin. Sie nahm 25 Jahre hindurch aktiv an der revolutionären Bewegung Jugoslawiens und Bulgariens teil und war eine hochbegabte proletarische Dichterin. Nach langer Krankheit starb sie am 27. Mai 1933 in Moskau. Magdalina Baramoff ist die Schwester Dimitroffs, die die Mutter auf der Reise ins Ausland begleitete.

 

Berlin-Moabit, 10. Mai 1933

Frau Paraschkewa Dimitroff und Magdalina Baramoff, Samokoff, Bulgarien

Meine liebe Mutter und Schwester!

Eure Briefe habe ich erst am 5. Mai erhalten. Die Summe leider noch nicht. Besonders habe ich mich über den Brief unserer geliebten Mama gefreut. Daß sie, trotz allem, so tapfer, mutig und hoffnungsvoll ist, ist für mich eine große moralische Erleichterung und ein bedeutender Trost.

Ich bin auf unsere Mutter wegen ihres edlen Charakters, wegen ihrer Festigkeit und ihrer aufopfernden Liebe immer stolz gewesen und bin es jetzt noch mehr. Ich wünsche ihr noch für lange Jahre eine recht gute Gesundheit und Lebensfrische und die bisherige Tapferkeit und Zuversicht. Ich bin auch sicher, daß wir uns wiedersehen und glücklich sein werden.

Über meine Lage könnt Ihr Euch vielleicht von Zeit zu Zeit durch meinen Rechtsanwalt, Herrn Werner Wille, informieren lassen. Er weiß besser, als ich selbst, was um mich herum vorgeht. Es wäre notwendig, ihm sofort eine Summe, vorläufig wenigstens 50 Mark, als Vorschuß auf sein Honorar zu schicken. Ich konnte ihm bis jetzt leider kein Geld geben.

Es ist selbstverständlich, daß ich – »ähnlich wie der Apostel Paulus« wie Mama schreibt! – mit dem nötigen Mut, mit Geduld und Festigkeit mein Kreuz tragen werde. Wenn nur meine Gesundheit nicht versagt – alles andere wird gut gehen!

Ich bemühe mich, meine Gefangenschaft im Rahmen des Möglichen gut auszunutzen. Augenblicklich bin ich mit dem gründlichen Studium der so lehrreichen deutschen Geschichte beschäftigt. Zu meinem Glück gibt es in der Gefängnisbücherei einige Bücher über diese Frage. Dieses Studium gibt mir viel auch zum richtigen Verständnis und zur Erkenntnis der internationalen Bedeutung der jetzigen Ereignisse in Deutschland.

Es bedrückt mich schwer, daß ich nichts über die Lage in meiner Heimat erfahren kann. Bulgarische Zeitungen bekomme ich selbstverständlich gar nicht zu sehen. Deutsche Zeitungen lese ich nur ab und zu, und sie bringen gewöhnlich keine Informationen über Bulgarien.

Da ich aller Wahrscheinlichkeit nach noch eine Zeitlang hier werde bleiben müssen – solche politischen Prozesse dauern leider gewöhnlich sehr lange! – wäre ich Euch sehr dankbar, wenn Ihr mir einige, in den letzten Jahren neu erschienene bulgarische Bücher über bulgarische Geschichte, über Bulgarien im Balkan- und Weltkrieg und über die wirtschaftliche und politische Lage Bulgariens schicken könntet. Es sind einige Bücher von Dr. Michaltscheff, Dr. Sakaroff, Prof. Slatarski, Prof. Zankoff und anderen erschienen. Versucht auch, mir die Zeitschrift der »Ökonomischen Vereinigung« sowie »Swesda« zu schicken. Vielleicht auch anderes, was für mich von Interesse ist. Herr Rechtsanwalt Dr. Djukmedjieff wird bestimmt wissen, was in dieser Beziehung für mich passend ist. Ich hoffe, daß man mir erlauben wird, diese geschichtlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bücher in bulgarischer Sprache zu empfangen, und daß man sie mir ausliefern wird.

Von Lena habe ich noch keine Antwort auf meinen Brief. Ich weiß auch nicht, was mit Ljuba geschehen ist. Laut einer Nachricht, die ich kurz vor meiner Verhaftung erhielt, sollte die Arme auf dem Sterbebett liegen. Ihr wißt sehr wohl, was dieser Verlust für mich bedeuten würde. Das ist der größte Verlust und der schwerste Schlag, den ich in meinem ganzen Leben erhalten habe.

Schreibt mir bitte öfter! Herzliche Grüße an Stefan, Lubo, Boris und die Kinder.

Mit Grüßen und Küssen
Euer Sohn und Bruder Georgi

 

Berlin-Moabit, den 22. Juni 1933

Frau Paraschkewa Dimitroff, Samokoff

Meine teure, geliebte Mutter!

Ich habe Deinen so sehnsüchtig erwarteten Brief vom 12. Juni mit großer Freude erhalten. Ich war schon sehr unruhig geworden. Von dem Rechtsanwalt habe ich noch keine Nachricht, ob er das Geld bekommen hat. Da aber Frau Kr. das von Euch geschickte Geld erhalten hat, nehme ich an, daß auch der Rechtsanwalt inzwischen die Summe bekommen hat und mich bald benachrichtigen oder besuchen wird.

Die Mitteilung in den bulgarischen Zeitungen, daß Lena und Lisa in meiner Sache in Deutschland gewesen sind, hat mich sehr verwundert. Ich habe keine Ahnung davon gehabt. Die Zeitungen pflegen ja in solchen Fällen oft sensationelle und irreführende Nachrichten zu veröffentlichen.

Die letzten beiden Sendungen (Kaschkavalkäse) konnte ich nicht bekommen, weil, wie ich Euch schon geschrieben habe, im Gefängnis die Aushändigung von Lebensmitteln aus dem Ausland nicht gestattet wird.

Die Voruntersuchung gegen mich wurde offiziell am 1. Juni abgeschlossen. Jetzt warte ich auf die Anklage. Wir werden ja sehen, was das für eine Anklage sein wird.

Meine momentane Lage ist selbstverständlich nicht leicht, aber alles ist zu ertragen.

Sehr wichtig ist, daß ich genug Geld für meinen Rechtsanwalt, für Zusatznahrungsmittel und für andere Bedürfnisse im Gefängnis habe. Ich brauche vorläufig eine Summe bis zu 300 Reichsmark wenigstens. Ich rechne fest auf Eure Hilfe in dieser Beziehung.

Schreibe mir bitte öfters! Viele Grüße an alle zu Hause, besonders an Lina, Stefan, Lubo und Lubtscho. Und Dir, meine liebe Mutter, tausend Küsse

Dein Sohn Georgi

 

Berlin-Moabit, den 12. September 1933

Frau Paraschkewa Dimitroff, Samokoff

Meine liebe Mutter!

Deinen lieben Brief vom 30. August (samt den 200 Leva) habe ich mit Freude und Dank erhalten. Ich war schon wieder unruhig geworden, weil ich dachte, daß Du erkrankt seist oder zu Hause irgendein Unglück passiert sei, und daß deswegen niemand schreibe. Gott sei Dank sehe ich jetzt, daß alles in Ordnung verläuft, und daß Du – was für mich besonders wichtig ist – trotz aller Anstrengungen und Strapazen gesund bist.

Gestern war Herr Rechtsanwalt Detscheff bei mir, der mir unter anderem mitgeteilt hat, daß Lena bald nach Berlin kommen soll. Ich freue mich sehr, sie wieder einmal zu sehen und zu sprechen.

Die Arme, sie hat sich große Mühe gegeben, Verteidiger für mich zu besorgen. Das Reichsgericht ist aber viel eifriger als sie – in seiner Ablehnung aller bis jetzt vorgeschlagenen Rechtsanwälte. Es laufen zwar vor dem Reichsgericht noch drei Anträge für die Zulassung des bulgarischen Rechtsanwalts Peter Grigoroff, des amerikanischen Rechtsanwalts Leo Gallagher und des deutschen Rechtsanwalts Lehmann aus Saarbrücken als Verteidiger, aber ich befürchte, daß diese Anträge kein glücklicheres Schicksal haben werden als die früheren.

In jedem Brief beklagt sich Lena, daß ich ihr nicht geantwortet habe. Und dabei vergißt sie immer, mir ihre Adresse anzugeben! Wie kann ich ihr ohne genaue Adresse nach Paris schreiben. Paris ist ja groß, und unsere Lena ist zwar sehr tüchtig, aber sie ist doch bei weitem noch keine so weltberühmte Persönlichkeit geworden, daß der Pariser Post ihr Name auf einem Briefumschlag genügt, um sie ausfindig zu machen. So ist unsere gute Lena eigentlich immer gewesen – eine richtige zerstreute Professorin!

Ich habe Euch schon einige Male geschrieben, daß die bulgarischen Zeitungen für mich zwar regelmäßig eingehen, aber leider nicht in meine Hände kommen. Ich bekam nicht die Bewilligung, bulgarische Zeitungen zu erhalten und zu lesen. Es scheint, daß meine »Vorgesetzten« sehr um meine Ruhe besorgt sind und nicht wollen, daß ich mich auch noch über die bulgarischen Ereignisse ärgere. Vielleicht denken sie, daß der Ärger über die deutschen Ereignisse mir vollkommen genügt... Es hat daher keinen Zweck mir weiter Zeitungen zu schicken.

Ich wünsche Dir, meine liebste Mama, und allen zu Hause alles Gute und vor allem recht gute Gesundheit. Was meine Gesundheit betrifft, so ist sie befriedigend. Mir geht es jetzt unvergleichlich besser, nachdem seit dem 31. August durch einen Beschluß des Reichsgerichts endlich die Handfesselung aufgehoben worden ist, unter der ich fünf Monate lang Tag und Nacht leiden mußte.

Herr Detscheff hat mir gesagt, daß Lina wegen der Verurteilung Lubtschos zu Gefängnis nach Varna abgereist ist.

Viele herzliche Grüße an sie und den tapferen Lubtscho. Ich brauche mich seiner nicht zu schämen. Ganz im Gegenteil! Und auch Lina, als seine Mutter, kann nur stolz sein.

Dir meine besten Grüße! Es küßt Dich
Dein Sohn Georgi

 

P. S. 13. September

Soeben erhalte ich den Brief von Lina und Dir vom 5. September. Besten Dank! Lina hat recht, wenn sie schreibt: »Die Mutter ist wirklich eine Heldin.« Eine zweite in unserer Familie war es bestimmt auch, unsere unvergeßliche Ljuba. Wir können uns an Dir und Ljuba alle ein gutes Beispiel nehmen. Noch einmal viele, viele Küsse

Dein Georgi

 

Berlin-Moabit, 16. August 1933

Fräulein Rosy Fleischmann

Liebes Fräulein Fleischmann!

Nach fünf Monaten seit meiner Verhaftung (9. März) habe ich endlich die Anklageschrift erhalten, und wie mein offizieller Verteidiger (Dr. Paul Teichert, Leipzig) mitteilt, wird die Hauptverhandlung voraussichtlich in der ersten Hälfte des September beginnen. Ich warte darauf mit Ungeduld und Sehnsucht, daß das vorgekommene ungeheure Mißverständnis endgültig liquidiert wird und ich meine Freiheit wieder erreichen kann.

Die Anklage lautet auf Hochverrat im Zusammenhang mit der Reichstagsbrandstiftung, entgegen meiner Erwartung, daß ich nur wegen Paßvergehens und unangemeldeten Wohnens als politischer Emigrant (was meine eigentliche Schuld dem deutschen Gesetz zufolge ist) angeklagt werde.

Da ich aber mit diesem Verbrechen gar nichts zu tun gehabt habe, so konnte die Anklageschrift selbstverständlich keine positiven, einwandfreien Beweise gegen mich bringen. Dabei war ich während des Reichstagsbrandes sogar nicht in Berlin, sondern in München.

Ich bemühe mich, meine Gefangenenzeit nach Möglichkeit auszunutzen und bin seit Monaten schon hauptsächlich mit einem näheren Studium der deutschen Geschichte beschäftigt. Dieses Studium ist sehr interessant und lehrreich und zeigt dabei klar den Zusammenhang zwischen der Vergangenheit des deutschen Volkes und den jetzigen weltumspannenden Ereignissen in Deutschland und bringt viel zur richtigen Aufklärung dieser Ereignisse und ihres vorübergehenden Charakters als ein Rückfall in vielen Hinsichten in die Vergangenheit.

Mir persönlich geht es natürlicherweise nicht leicht. Oft fühle ich mich als ein gefesselter Vogel, der Flügel hat und sie nicht gebrauchen kann.

Ich erinnere mich oft an die witzigen Byron-Verse:

»Ich bin so hilflos, als der Teufel wünschen kann: Mich zu verdammen, ist nicht mehr Gewinn, Als einen Fisch ans Land zu ziehen, der an der Angel hängt, Ein Lamm zur Schlachtbank hinzuführen, das dem Fleischer nicht entrann. Doch pass' ich schlecht zu so erhabener Kost Und sehne mich noch wenig auf den Rost!«

Und wenn es mir manchmal besonders schwerfällt, so singe ich leise das berühmte Gedicht Goethes:

»Feiger Gedanken, Bängliches Schwanken, Weibisches Zagen, Ängstliches Klagen, Wendet kein Elend, Macht Dich nicht frei! Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten, Nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen, Rufet die Arme der Götter herbei!«

Und besonders tröste ich mich mit dem ausgezeichneten Goethespruch:

»Gut verloren – etwas verloren, Ehre verloren – viel verloren, Mut verloren – alles verloren!«

Ja, so ist es, Mut, Mut und immer wieder Mut! Und mit Volldampf voran – trotz alledem!

Sehr oft bin ich mit meinen Gedanken in Wien und der Wiener Umgebung – angefangen mit dem Augarten über Kahlenberg, Kirling, Hermannskogel, Grinzing (Papagei »Dora«), Prater, Vöslau, Wachau, Krems (riesige Klosterbibliothek), große Donau, Diana, Union, Baden usw. – bis zu Klosterneuburg (das mir als meine zweite Heimat gilt!).

Inzwischen, am 8. Mai, ist meine Frau einer langjährigen unheilbaren Krankheit erlegen. Die Arme hat in den letzten Jahren gelebt und ist gestorben als eine wirkliche Märtyrerin! Meine Schwester wird jetzt ihre Gedichte sammeln und in einem Büchlein, als bestes Denkmal, veröffentlichen lassen.

Ihnen wünscht alles Gute, mit bestem Gruß!

G. Dimitroff

Erklärung an die richterliche Untersuchungsbehörde

Wie bei den polizeilichen Verhören verweigerte Dimitroff auch bei den Vernehmungen vor dem Untersuchungsrichter die Unterzeichnung der offiziellen Protokolle. Bei Beendigung der Vernehmungen setzte er wieder eine eigenhändige schriftliche Erklärung auf.

Schon bei Beginn der Untersuchung hatte der Untersuchungsrichter Vogt ein Lichtbild Dimitroffs veröffentlichen lassen und alle diejenigen, die ihn kennen, aufgefordert, sich bei der Behörde zu melden. Daraufhin waren einige Erklärungen von Personen eingegangen, die ihn unter anderem Namen (Dr. Schaafsma, Dr. Hediger) kannten. Dimitroff gibt in seinem Schreiben unter anderem auch darüber Aufklärung.

 

30. Mai 1933

An die richterliche Untersuchungsbehörde

Im Zusammenhang mit der richterlichen Vernehmung vom 12., 13., 19. und 20. Mai 1933.

Über meinen Aufenthalt in Deutschland. Ich bin im Jahre 1921 das erstemal mit meiner Frau in Deutschland (Berlin) gewesen, unter meinem richtigen Namen und als bulgarischer Sobranje-Abgeordneter (Parlamentsmitglied). Im Jahre 1927 und 1928 hielt ich mich auf der Durchreise von Wien kurze Zeit in Berlin auf. Seit Ende 1929 habe ich in Berlin als politischer Emigrant unangemeldet gelebt, mit öfteren, kurzen und auch monatelangen Unterbrechungen. So war ich von Dezember 1929 bis Mai 1930 und auch vom November 1931 bis Mitte Juni 1932 nicht in Deutschland.

Über meinen Namen. Wie ich bereits in meiner Erklärung vom 20. März 1933 angegeben habe, mußte ich als in Bulgarien zum Tode verurteilter politischer Mann und als oft Verfolgter, der auch im Auslande von seinen bulgarischen Gegnern mit Todesdrohungen verfolgt wurde, unter fremden Namen und unangemeldet leben. Bis Ende 1930 habe ich unter dem Namen Dr. Schaafsma und nachher unter dem Namen Dr. Hediger gelebt. Für die Leute aber, die mich von früher her als Schaafsma kannten, bin ich auch weiter unter diesem Namen geblieben.

Über meine Tätigkeit in Deutschland. Ich wiederhole meine Aussage vom 20. März, daß ich in Deutschland mit meinen bulgarischen Fragen und meiner bulgarischen schriftstellerischen Arbeit beschäftigt war (hauptsächlich mit der Lage der politischen Emigration, der Kampagne für die politische Amnestie in Bulgarien usw.).

Den bei mir gefundenen Aufruf der Kommunistischen Internationale und den Aufruf für einen internationalen antifaschistischen Arbeiterkongreß, die in der »Internationalen Pressekorrespondenz« sowie in der kommunistischen Weltpresse veröffentlicht wurden, habe ich von der Redaktion der »Inprekorr« zur Information erhalten.

Die mir vom Herrn Untersuchungsrichter gezeigte Pressenachricht der KPD über die Reichstagsbrandstiftung habe ich bei dieser Gelegenheit zum erstenmal gesehen. So ein Schriftstück habe ich nie in meinen Händen gehabt und auch nie gelesen.

Über meine politischen Verbindungen in Deutschland. Ich war in Verbindung mit der Redaktion der »Internationalen Pressekorrespondenz«, wo ich auch meine Artikel über Bulgarien, über die politische Amnestie und über andere Fragen veröffentlicht habe. Ich war auch von Zeit zu Zeit in Verbindung mit der »Internationalen Arbeiterhilfe« wegen verschiedener Fragen der bulgarischen Sektion der IAH. In der Frage der bulgarischen politischen Emigration habe ich direkt die gelegentlich notwendigen Verbindungen mit dem Internationalen Sekretariat der Roten Hilfe gehabt. Andere Verbindungen in Deutschland brauchte ich für meine Arbeit überhaupt nicht.

Ich kenne persönlich die führenden deutschen Kommunisten, die an den verschiedenen Tagungen der Kommunistischen Internationale in Moskau während meiner Anwesenheit dort teilgenommen haben und öffentlich aufgetreten sind, wie z. B. Thälmann, Heckert, Pieck.

Neubauer habe ich nie gesehen noch gesprochen. Ich habe nur manchmal seine Artikel über Deutschland in der »Internationalen Pressekorrespondenz« gelesen.

Torgler kenne ich ebenfalls nicht persönlich. Ich weiß nur, daß er im Reichstag oft im Namen der kommunistischen Fraktion aufgetreten ist.

Ich muß ausdrücklich betonen, daß ein Kriminalpolizeikommissar mir bei dem Abschluß der polizeilichen Vernehmung alle bei mir gefundenen Schriftstücke und Notizen gezeigt und in meiner Anwesenheit besonders notiert und numeriert hat. Das Schreiben an Helmut, der Umschlag mit dem Namen Ferdi, die Quittung für ein Telegramm an Inner, die Pressenachricht der KPD – alle diese Sachen waren damals nicht dabei, befanden sich nicht unter meinen Sachen.

Obgleich ich es für eine große Ehre halte, ein sowjetrussischer Angestellter oder Funktionär zu sein, bin ich jedoch nicht ein solcher gewesen.

In meinem Reisefahrplan habe ich Reichstag und Schloß nie durch Zeichen kenntlich gemacht. Das brauchte ich auch gar nicht. Ich war im Jahre 1921 als bulgarischer Abgeordneter im Reichstag gewesen und wußte genau, wo der Reichstag liegt.

Ich unterstreiche meine kategorische Erklärung vom 20. März, die ich schon bei jeder Gelegenheit mit allem Nachdruck betont habe, daß ich als parteidisziplinierter, verantwortlicher und führender bulgarischer Kommunist weder in direkter noch indirekter Beziehung zu der Reichstagsbrandstiftung stehen konnte und tatsächlich auch nicht gestanden habe. Den Brandstifter selbst habe ich nie in meinem Leben gesehen, nie getroffen, nie gesprochen.

Eine solche Tat wie die Reichstagsbrandstiftung kann nur von geistig verrückten Leuten oder von ärgsten politischen Feinden oder Provokateuren zum Schaden des Kommunismus begangen werden.

Ich habe selbstverständlich auch nichts zu tun gehabt mit irgendwelchen Plänen in bezug auf die Organisierung eines Aufstandes im Februar zur gewaltsamen Änderung der Verfassung in Deutschland. Von solchen angeblich kommunistischen Plänen habe ich erst bei der Vernehmung gehört. Es ist aber allgemein bekannt, daß auf Grund der Beschlüsse der Kommunistischen Internationale und der KPD selbst die ganze kommunistische Politik und Tätigkeit in dieser Periode in der Linie der politischen Mobilisierung der Massen gegen den Faschismus, der Herstellung der Einheitsfront des deutschen Proletariats, des wirtschaftlichen und politischen Massenkampfes zur Verteidigung der Lebensinteressen und der Rechte aller Werktätigen und damit auf die Durchführung der Aufgabe, die Mehrheit der Arbeiterklasse für den Kommunismus zu erobern, eingestellt war. Diese politische Linie und diese konkrete Orientierung der kommunistischen Politik in Deutschland, festgelegt in den für alle kommunistischen Parteimitglieder obligatorischen Beschlüssen, schließen vollständig jede terroristische Aktion und jegliche abenteuerlichen, aufrührerischen Pläne von kommunistischer Seite aus. Diese werden von der Kommunistischen Internationale und der KPD ausdrücklich und entschieden als unzulässig, unsinnig und schädlich für den Kommunismus und das Proletariat erklärt und verurteilt.

Die Behauptung, daß mich jemand mit dem Reichstagsbrandstifter gesehen hat, kann nur auf einer Täuschung beruhen, wie das bei einer Zeugin der Fall gewesen ist. Wie bekannt ist, hat sie bei der polizeilichen Vernehmung ganz kategorisch behauptet, daß sie mich mit van der Lubbe am 26. Februar um 3 Uhr nachmittags in einem Lokal in der Düsseldorferstraße gesehen habe. Nachdem aber festgestellt wurde, daß ich zu jener Zeit gar nicht in Berlin gewesen bin, ist diese Zeugin mit ihrer felsenfesten Behauptung vom Schauplatz der Untersuchung verschwunden.

Es ist begreiflich, daß ich keine näheren Auskünfte über meine Verbindungen mit bulgarischen politischen Emigranten im Auslande sowie mit meinen Freunden in Bulgarien geben kann, weil sie wegen ihrer politischen Tätigkeit verfolgt werden. Aus diesem Grunde kann ich auch den Namen meines bulgarischen Freundes, mit dem ich am 26. und 27. Februar 1933 eine Besprechung in München gehabt habe – die noch im Dezember 1932 in Paris zwischen uns verabredet worden war – nicht angeben. Wie die Dinge in Bulgarien liegen, kann er wegen der Verbindung mit mir in 24 Stunden samt seiner Familie buchstäblich ruiniert werden.

Meine Schuld, gegenüber den deutschen Gesetzen während meines ganzen Aufenthaltes in Deutschland besteht einzig und allein darin, daß ich als bulgarischer politischer Emigrant unter fremdem Namen, mit falschem Paß und unangemeldet gelebt habe. Ich konnte und durfte aber nicht anders leben.

Im Zusammenhang mit allen polizeilichen und richterlichen Vernehmungen muß ich ausdrücklich betonen, daß ich für die Richtigkeit meiner Angaben und Aussagen, die in meinen eigenen schriftlichen Erklärungen vom 20. März und 30. Mai 1933 enthalten sind, die volle Verantwortung trage. Eine solche Verantwortung in bezug auf die Vernehmungsprotokolle lehne ich jedoch ab.

G. Dimitroff

Briefe an die Rechtsanwälte Dr. Wille und Detscheff

Dimitroff hatte sich am Tage nach seiner Verhaftung an den Rechtsanwalt Dr. Rosenfeld gewandt, der ihm aus der Verteidigung bulgarischer politischer Emigranten bekannt war. Dr. Rosenfeld schickte den Rechtsanwalt W. Wille zu Dimitroff.

Dimitroff hatte sich entschlossen, Rechtsanwalt Willes Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Verbindung zur Außenwelt herzustellen und die notwendige juristische Beratung zu erhalten.

Wille war aber nur zweimal bei Dimitroff. Die faschistischen Behörden scheuten vor keiner Maßnahme zurück, um diejenigen, die es wagten, dem Verhafteten Hilfe zu erweisen, zu terrorisieren. Sehr bald teilte Rechtsanwalt Wille dann auch in einem Schreiben mit, daß er die Verteidigung niederlege.

 

7. Juni 1933

Herrn Dr. Wille, Rechtsanwalt, Berlin

Sehr geehrter Herr Doktor!

In Erwartung Ihres baldigen Besuches möchte ich Ihnen nur in einer Frage schreiben. Ich bin seit 4. April 1933, d. h. über zwei Monate, bei Tag und Nacht gefesselt. Ich kenne leider die deutschen Gesetze nicht, aber ich kann nicht glauben, daß eine solche Maßnahme in meinem Falle genug gesetzliche Begründung und Rechtfertigung hat, davon zu schweigen, daß sie praktisch, als Sicherheitsmaßnahme, vollkommen unsinnig ist.

Übrigens ist im schriftlichen Reglement des Gefängnisses folgendes zu lesen (Paragraph 18):

»Als Sicherheitsmaßregeln sind... nur zulässig: ...«

Es liegt auf der Hand, daß diese Bestimmung bei mir auf keinen Fall Anwendung finden kann.

Jetzt, nachdem die Voruntersuchung geschlossen ist, glaube ich, ist eine Überprüfung der angeordneten Maßnahme zum Zwecke ihrer endgültigen Aufhebung noch mehr am Platze.

Ich bitte Sie um entsprechende Aufklärungen, sowie auch um Untersuchung der gebotenen Schritte zur Aufhebung der Handfesselung.

Jedenfalls habe ich meines Erachtens das Recht, genau zu wissen, aus welchen Gründen ich gefesselt bin und wer persönlich die Verantwortung für diese inquisitorische Maßnahme trägt.

Eine andere Frage ist, ob das nicht auch zum System der sogenannten Ausrottung des Kommunismus, d. h. der physischen Vernichtung der führenden Kommunisten gehört. Dann aber muß das offen und klar gesagt werden.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

Berlin NW 40, 18. Juli 1933

Herrn Dr. Wille, Rechtsanwalt, Berlin

Sehr geehrter Herr Doktor!

In Ihrem Briefe vom 30. Juni haben Sie mir geschrieben:

»In Ihrer Sache werde ich Sie im Laufe der nächsten Woche aufsuchen, um mit Ihnen über die Ihnen zur Last gelegten Beschuldigungen nochmals persönlich zu sprechen.«

Ich habe Ihren Brief am 6. Juli beantwortet und die von mir unterschriebene Vollmacht zurückgeschickt.

Bis heute (18. Juli) – ganze drei Wochen nach Ihrem Brief – warte ich vergeblich auf Ihren Besuch, oder irgendwelche Nachricht von Ihnen zu bekommen.

Es ist möglich, daß Sie Ihr Versprechen nicht erfüllen konnten. Dann sollten Sie mich wenigstens brieflich darüber verständigen.

Es ist wirklich ein merkwürdiges Verhältnis zwischen Angeschuldigtem und seinem Verteidiger: unsere letzte Unterredung war am 22. Mai; mehrere meiner Briefe an Sie sind unbeantwortet geblieben, verschiedene meiner Bitten sind unbeachtet gelassen, und obendrein Ihr eigenes Versprechen, mich aufzusuchen – in drei Wochen Zeit nicht erfüllt!

Ich finde, mich in einer solchen Ungewißheit zu halten, für unzulässig und bitte Sie, wenn Sie sich nicht mit meiner Sache beschäftigen wollen oder nicht können, umgehend mir Bescheid zu geben.

Ich bin mit allergrößter Geduld gerüstet, aber Sie werden wohl verstehen, daß meine Geduld, als eines an der Sache ganz unschuldigen Gefangenen, schon monatelang auf die höchste Probe gestellt ist.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

Berlin, 20. Juli 1933

Herrn Detscheff, Rechtsanwalt, z. Z. Berlin

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ihr Brief vom 14. Juli ist gestern in meine Hände gelangt. Beigelegt wurde nur ein Formular für die Vollmacht. Ich schicke Ihnen die Vollmacht von mir unterschrieben (in zwei Exemplaren) zurück.

Die Mitteilung der Kasse des Gefängnisses über die von Ihnen eingezahlten 10 Mark habe ich dankend erhalten. Hoffentlich werden meine Angehörigen durch Sie für mich weitere Beträge einzahlen, da ich mich in einer großen Notlage befinde.

In Erwartung Ihres baldigen Besuchs, um eine regelmäßige Verbindung mit Ihnen aufnehmen zu können, verbleibe ich mit bestem Gruß

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

Berlin, 13. August 1933

Herrn Dr. Wille, Rechtsanwalt, Berlin

Sehr geehrter Herr Doktor!

In einem Brief von meiner Schwester, den ich schon am 12. Juli erhalten habe, teilt sie mir mit, daß Sie ihr geschrieben haben, »den größten Teil der erhaltenen Summe für Deine (d. h. meine) rückständigen Mietschulden zahlen mußten«. Da die Wirtin mir geschrieben hat, daß sie

keinen Pfennig erhalten hat, so muß hier bestimmt ein Mißverständnis vorhanden sein.

Ich bitte Sie, mir Bescheid zu geben, wie die Sache in Wirklichkeit steht.

Ich habe schon die Anklageschrift erhalten. Wie mein offizieller Verteidiger Dr. Paul Teichert (Leipzig) mir mitgeteilt hat, wird die Hauptverhandlung voraussichtlich in der ersten Hälfte des September beginnen. Ich möchte hoffen, daß dies wirklich der Fall sein wird, und warte ich darauf sehnsüchtig, damit dieses ungeheure Mißverständnis endlich liquidiert werden kann.

Wie zu erwarten war, bringt die Anklageschrift selbstverständlich gegen mich keine positiven einwandfreien Beweise. Sie konnte das auch nicht, weil ich ja gar nichts mit diesem Verbrechen zu tun gehabt habe. Es ist zu bedauern, daß die Anklageschrift nicht jetzt noch veröffentlicht wird. Die Veröffentlichung wäre die beste Verteidigung für mich. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß meine Lage als Angeklagter in dieser Sache unvergleichlich leichter ist als die Lage des Reichsanwalts, der die Anklage vor dem Gericht und vor der Öffentlichkeit vertreten und verantworten muß. Er ist bestimmt gar nicht zu beneiden!

In Erwartung Ihrer baldigen Antwort

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

Briefe an Rechtsanwalt Dr. Teichert

Am 25. Juli 1933 bestellte der IV. Strafsenat des Reichsgerichts als Offizialverteidiger für Dimitroff und die beiden anderen angeklagten Bulgaren den Rechtsanwalt Teichert, für van der Lubbe den Rechtsanwalt Seuffert.

Um alle zur Verfügung stehenden legalen Möglichkeiten des Kampfes während des Prozesses auszunutzen, erklärte sich Dimitroff bereit, die Dienste des Rechtsanwalts anzunehmen. Er stellte ihm jedoch eine Reihe von Bedingungen, damit der vom Gericht ernannte Anwalt seine Stellung nicht zum Schaden seines Klienten und zum Schaden des antifaschistischen Kampfes mißbrauchen könne. Die weiteren Ereignisse bewiesen, wie richtig Dimitroffs Stellungnahme war.

Gleichzeitig bestand Dimitroff gegenüber dem Gericht auf der Zulassung von ausländischen Rechtsanwälten und beantragte als Wahlverteidiger: Detscheff und Grigoroff aus Bulgarien, Gallagher aus Amerika, Moro Giafferi, Campinchi, Torrès und Willard aus Frankreich und andere. Das Gericht lehnte alle diese Anträge ab.

Torgler nahm in seinem Verhältnis zu den Rechtsanwälten eine Stellung ein, die sich schroff von der Dimitroffs unterschied. Auf Torglers Antrag wurde der faschistische Rechtsanwalt Sack zu seinem Verteidiger bestellt. Dieser Rechtsanwalt war früher als Verteidiger von Faschisten und Monarchisten in den skandalösesten Prozessen bekannt geworden (in Sachen der Ermordung Rathenaus, in Sachen der faschistischen Häuptlinge Helldorf, Ernst und anderer, die im Auftrag von Hitler Morde organisiert hatten). Während der Verhandlungen vor Gericht nutzte Sack seine Stellung als Rechtsanwalt aus, um mit allen Kräften die faschistischen Reichstagsbrandstifter reinzuwaschen, und trat als geschworener Feind der deutschen Werktätigen auf.

Die Wahl des Rechtsanwalts Sack war Torglers erster Schritt zum offenen Dienst für den Faschismus.

Fünf Monate nach der Verhaftung erhielt Dimitroff die Anklageschrift, in der er auf Grund verleumderischer Behauptungen und aller möglichen Fälschungen beschuldigt wurde, an der Reichstagsbrandstiftung mit dem Ziele des Sturzes der bestehenden Staatsordnung teilgenommen zu haben. Für dieses Verbrechen drohte die Todesstrafe.

Dimitroff studierte die Anklageschrift eingehend und begann sofort mit der Entlarvung ihres Inhalts.

Er gab dem Rechtsanwalt briefliche Anweisungen, machte Vorschläge über die Ladung von Zeugen und empfahl eine Reihe weiterer Maßnahmen, die auf die Widerlegung der faschistischen Beschuldigungen abzielten.

Da Dimitroff für den bevorstehenden Prozeß die Linie des politischen Kampfes bezogen hatte, kam es zu einer Reihe von Zusammenstößen zwischen ihm und dem Rechtsanwalt, der sorgfältig bemüht war, sich auf die rein persönliche Verteidigung des Angeklagten zu beschränken und politische Fragen nicht zu berühren. Dimitroff verwarf diese Linie des Rechtsanwalts und bestand darauf, daß er so vorgehe, wie sein Klient es fordert.

In seinem Brief an den Rechtsanwalt vom 4. August entlarvte Dimitroff die von den faschistischen Behörden fabrizierte Fälschung über seine angebliche »Verlobung«, die darauf berechnet war, den Angeklagten persönlich zu diskreditieren, und die kraß zeigte, welcher schmutzigen Methoden sich die Anklagebehörden bei der Vorbereitung des Prozesses bedienten.

 

1. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ihren Brief vom 27. Juli habe ich heute erhalten und von der Mitteilung, daß Sie mir vom Reichsgericht als Verteidiger beigeordnet worden sind, Kenntnis genommen.

Ich teile Ihnen mit, daß ich am 20. Juli den bulgarischen Rechtsanwalt Herrn Stefan Detscheff (z. Z. in Paris, Palace Hôtel) mit meiner Verteidigung betraut habe, ferner, daß durch meine Schwester in meinem Auftrag die französischen Rechtsanwälte, die Herren Giafferi, Campinchi und Torrès, als meine Verteidiger engagiert worden sind. Diese werden sich wahrscheinlich mit Ihnen in Verbindung setzen.

Was meinen Fall anbetrifft, so bin ich sehr erstaunt, im Zusammenhang mit der Reichstagsbrandstiftung vom Reichsgericht angeklagt zu werden. Dem Sachverhalt nach sollte die Voruntersuchung unbedingt zu dem Ergebnis führen, daß ich absolut nichts mit diesem verrückten und provokatorischen Verbrechen zu tun gehabt habe. Es scheint aber, daß wir drei bulgarischen politischen Emigranten bestimmt sind, die Plätze der nicht zu findenden wirklichen Täter auszufüllen. In den politischen Prozessen kommt ja am besten zum Ausdruck, wie die Justiz als ein Instrument der Politik gehandhabt wird.

In meinen schriftlichen Erklärungen vom 20. März und 30. Mai, die ich dem Herrn Untersuchungsrichter des Reichsgerichts, Reichsgerichtsrat Vogt, abgegeben habe, habe ich alles Wesentliche in meiner Sache gesagt. Ich bitte Sie, sich mit diesen Schriftstücken näher bekanntzumachen.

Ich bin sehr gespannt zu erfahren, wie die Reichsanwaltschaft eine Anklage wegen Hochverrats aus Anlaß der Inbrandsetzung des Reichstagsgebäudes gegen einen politischen Mann, der tatsächlich in keiner, aber auch in gar keiner Beziehung dazu gestanden hat, zu begründen versuchen wird.

Irgendwelche Beweisanträge lassen sich erst dann formulieren, wenn ich den Text der Anklage selbst, die, wenn sie wirklich wegen Reichstagsbrandstiftung erhoben wird, ein Kunstwerk der deutschen Justiz sein muß, in Händen haben werde.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

 

4. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Gestern habe ich die Anklageschrift erhalten.

Zur Formulierung der notwendigen Beweisanträge wäre es am besten, wenn Sie mich persönlich sprechen könnten. Ich bitte Sie daher um eine beschleunigte Unterredung, wenn das möglich ist.

In bezug auf die Beschuldigungen gegen mich kann man ruhig sagen daß mit solchen Vermutungen, Kombinationen und Auslegungen, wie sie z. B. gegen mich angewendet wurden, jeder Kommunist als Hochverräter und Reichstagsbrandstifter beschuldigt werden könnte.

Die Anklageschrift gegen mich gipfelt auch in einer groben Unwahrheit auf Seite 23, wo folgende unerhörte Behauptung steht:

»Trotzdem Dimitroff verheiratet ist, hat er sich unter dem Namen Dr. Schaafsma-Schmidt mit der geschiedenen Frau Anny Krüger verlobt und auch Verlobungsanzeigen drucken lassen. Eine solche Karte befindet sich in Band B II, Blatt 132 d der Akten.«

Ich erkläre ganz kategorisch, daß die genannte »Verlobungsanzeige« ein niederträchtiges Falsifikat sein muß, da ich unter keinem Namen eine Verlobung vollzogen habe, noch irgendwelche Verlobungsanzeigen drucken ließ.

Man fragt sich vergebens, wann und zu welchem Zweck ein solches Falsifikat gemacht wurde, wenn man nicht annehmen will, daß hier die Absicht vorliegt, den betreffenden Angeschuldigten auf diese unerhörte Weise moralisch herabzusetzen.

Ich möchte Sie bitten, die genannte »Verlobungsanzeige« persönlich in den Akten nachzusehen und festzustellen, von wo und von wem dies »Beweisdokument« stammt.

Der Fall ist nicht ohne Bedeutung auch in bezug auf die Charakteristik der Beweismethode der Anklageschrift überhaupt.

Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß, wenn diese Behauptung, die als Beschuldigung meiner Persönlichkeit anzusehen ist, in der Presse Platz findet, Sie als mein Verteidiger auch meine kategorische Widerlegung und meine Bezeichnung der »Karte« (?) als Falsifikat veröffentlichen.

In Erwartung Ihres baldigen Besuchs oder schriftlichen Ratschlags verbleibe ich

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

Berlin NW 40, 8. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich habe gestern Ihren Brief vom 3. August d. J. erhalten. Wie ich Ihnen schon geschrieben habe (4. August), ist mir auch die Anklageschrift zugestellt worden.

In bezug auf die Beweisanträge teile ich Ihnen folgendes mit:

Seit dem Jahre 1921 bin ich nie im Reichstagsgebäude gewesen. Torgler habe ich nie (bis heute auch nicht) persönlich gesehen. Ich bin ihm sogar während der ganzen Vernehmung nicht gegenübergestellt worden. Wie kann ich aber Zeugen namhaft machen, die bestätigen können, daß ich wirklich nicht im Reichstagsgebäude gewesen bin? Es ist fast unmöglich, mit Zeugen zu beweisen, was überhaupt nicht geschehen ist. Ich kann nur beweisen, daß ich ungefähr 10 Tage, bis zu meiner Abreise nach München (am 25. Februar), krank war, täglich bis 12 oder 1 Uhr am Tage zu Hause geblieben (bei Mansfeld, Klingsorstraße 96) und abends gegen 8, 9, 10 Uhr zurückgekommen bin. Am Sonntag dieser Tage war ich fast den ganzen Tag zu Hause. Nachmittags war ich gewöhnlich in meiner Arbeitsstelle (bei Koch, Zähringerkorso 7), von wo ich abends nach Hause gefahren bin. In dieser Zeit hatte ich auch furchtbare Zahnschmerzen und bin auf Empfehlung des Herrn Mansfeld dreimal zu einem ihm befreundeten Zahnarzt Dr. Sonnenfeld (oder Sonnenbach?), Retinstraße 20 (oder 21), gegangen und habe mir zwei Zähne herausnehmen lassen.

In bezug auf meine Zusammenkünfte im »Bayernhof« kann Herr Jakobus Rosner, österreichischer Schriftsteller (wohnhaft in Berlin- Wittenau – die genaue Adresse weiß ich nicht) bestätigen, daß er bis Weihnachten mit mir häufig im »Bayernhof« gewesen ist und daß nie in unserem Kreise van der Lubbe gewesen ist, den ich auch nie (bis heute auch nicht) persönlich gesehen habe.

Auf Grund der Photographie des van der Lubbe, die ich erst in den Zeitungen gesehen habe, nehme ich an, daß eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit zwischen Rosner und Lubbe vorhanden ist, daß bei dem Zeugen Hellmer (Anklageschrift S. 175) eine Personenverwechslung vorgekommen sei.

Ich beantrage ferner, die folgenden Zeugen zu laden:

Alexander Malinoff, Vorsitzender des bulgarischen Parlaments und gewesener bulgarischer Ministerpräsident;

– bulgarischer Minister Murawieff;

– bulgarischer Minister Vergil Dimoff;

– bulgarischer Minister Dimiter Gitscheff;

– bulgarischer Minister a. D. Nedelko Atanasoff;

– bulgarischer Minister a. D. Christo Stojanoff;

– Dr. Nikola Sakaroff, Direktor der landwirtschaftlichen Bank;

– Anton Straschimiroff, bulgarischer Schriftsteller;

– alle wohnhaft in Sofia.

Sie sollen bestätigen:

a) daß am 9. Juni 1923 durch einen Militärputsch (mit Unterstützung der bewaffneten mazedonischen Organisation) die konstitutionelle Bauernregierung Stambolijski gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit des bulgarischen Volkes gestürzt und eine Terrorregierung eingesetzt wurde;

b) daß tausende und aber tausende Arbeiter, Bauern und Intellektuelle (auch Ministerpräsident Stambolijski und andere Minister) meuchlings ermordet worden sind;

c) daß die größten Parteien im Lande – der Bauernbund und die Kommunistische Partei – sowie ihre Anhänger unter bestialische Verfolgungen gestellt wurden;

d) daß die politischen Rechte des Volkes aufgehoben wurden und eine militärfaschistische Diktatur aufgerichtet wurde; e) daß die dadurch geschaffene unerträgliche Lage im Lande unvermeidlich zu der Volkserhebung am 23. September 1923 geführt hat;

f) daß ich im Zusammenhang mit diesem Aufstand in meiner Abwesenheit, Monate später, zum Tode verurteilt worden bin, deshalb nicht nach dem Lande wieder zurückkehren und mich dort politisch betätigen kann;

g) daß ich auch im Auslande mit Todesanschlägen seitens meiner politischen Gegner (besonders der faschistischen Mazedonier) verfolgt war und deswegen nicht unter meinem eigenen Namen als politischer Emigrant leben konnte;

h) daß im Herbst 1932 im bulgarischen Parlament ein neues Amnestiegesetz eingebracht wurde und auch die Frage meiner Amnestierung wieder aufgerollt wurde;

i) daß ich im Auslande mit der Sache der bulgarischen politischen Emigration und der Amnestiekampagne beschäftigt war und für meine Amnestierung gearbeitet habe;

k) daß ich Parlamentsabgeordneter, Gemeinderat von Sofia, Generalsekretär der Zentralkommission der Gewerkschaften und politischer Schriftsteller gewesen bin.

Ich beantrage als Zeugen auch: Henri Barbusse (französischer Schriftsteller) – Redaktion »L'Humanité«, Paris, der bestätigen soll:

a) daß ich mit der Sache der bulgarischen politischen Emigration im Auslande beschäftigt war;

b) daß ich mich mit ihm in Amsterdam (August 1932) und Paris (Dezember 1932) beraten habe über die Entfaltung der ausländischen Kampagne zugunsten der politischen Amnestie in Bulgarien;

c) daß ich von meinen politischen Gegnern auch im Auslande mit dem Tode bedroht war und deswegen illegal, unter fremdem Namen und in strengem Inkognito leben mußte.

Marcel Cachin, Chefredakteur der »L'Humanité«, Paris, der bestätigen soll, daß ich ständiger Mitarbeiter der »L'Humanité« bis zu meiner Verhaftung (Anfang März 1933) gewesen bin.

Berlioz, Redaktion der »Internationalen Pressekorrespondenz«, Paris (Redaktion der »L'Humanitá«), der bestätigen soll, daß ich ständiger Mitarbeiter der »Internationalen Pressekorrespondenz« bis zu meiner Verhaftung gewesen bin.

Im Zusammenhang mit dem politischen Teil der Anklageschrift beantrage ich folgende Zeugen:

Manuilski (Sekretär der Kommunistischen Internationale);

Kuusinen (Sekretär der Kommunistischen Internationale).

(Alle Moskau – Komintern)

Sie können bestätigen:

a) daß die Kommunistische Internationale eine einheitliche Weltpartei ist, deren Beschlüsse für alle Sektionen und jedes einzelne Parteimitglied in den verschiedenen Ländern obligatorisch sind;

b) daß Ende 1932 und Anfang 1933 die Aufgabe des unmittelbaren Kampfes um die Macht durch einen bewaffneten Aufstand auch in Deutschland nicht gestellt worden ist;

c) daß in dieser Periode die Hauptaufgabe der Kommunistischen Partei Deutschlands war: die Herstellung der proletarischen Einheitsfront, der Kampf für die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse in Deutschland durch tägliche Massenarbeit und konkreten Kampf zur Verteidigung der Interessen der Arbeiter und aller Werktätigen;

d) daß jegliche Art individueller Terror und partielle bewaffnete Aktionen für unzulässig und schädlich für den Kommunismus und das Proletariat gehalten und deswegen scharf verurteilt werden;

e) daß Parteimitglieder, die an solchen Aktionen sich beteiligen, keinen Platz mehr in der Kommunistischen Internationale und ihren Sektionen haben.

Als Beweisdokumente beantrage ich:

a) die Beschlüsse des XII. Plenums der Exekutive der Kommunistischen Internationale (September 1932);

b) den Aufruf der deutschen, polnischen und italienischen RGO zur Einberufung eines internationalen Arbeiterkongresses gegen den Faschismus (Berlin, 25. Februar 1933);

c) den Aufruf des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale für den Einheitskampf des Proletariats (Moskau, 5. März 1933);

d) das Programm und Statut der Kommunistischen Internationale.

Alle diese Dokumente sind durch die Exekutive der Kommunistischen Internationale (Moskau) zu beschaffen.

Aus diesen Dokumenten ist zu ersehen und zu bestätigen, daß in der Zeit der Reichstagsbrandstiftung die KPD sich keineswegs auf einen bewaffneten Aufstand orientiert, sondern ihre Kräfte auf eine systematische Massenarbeit und den Massenkampf – wirtschaftlicher und politischer Natur – sowie auf die Verteidigung ihrer offenen Existenz und die Aufrechterhaltung ihrer Verbindungen mit den Massen unter allen Umständen (aktive Anteilnahme an den Wahlen am 5. März) konzentriert hat, daß die Reichstagsbrandstiftung nur als eine antikommunistische Unternehmung geplant werden konnte und daß die Urheber und Täter außerhalb der Reihen der Angehörigen der Komintern und der KPD zu suchen sind.

Wenn die von mir beantragten Zeugen nicht offiziell eingeladen werden, dann möchte ich auf Grund des § 220 der Strafprozeßordnung diese Zeugen privat unmittelbar von mir einladen lassen.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

10. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Zur Ergänzung meines gestrigen Briefes teile ich Ihnen noch folgendes mit:

Bei verschiedenen Zeugen ist eine Personenverwechslung in bezug auf mich vorhanden. Das ist ersichtlich aus folgendem:

a) Man behauptet, daß man mich schon im Sommer 1932 mit Popoff und Taneff gesehen habe, obwohl Popoff nach Berlin erst Anfang November 1932 gekommen ist und Taneff sich erst Ende Februar auf der Durchreise nach Frankreich in Berlin aufgehalten hat. Beide waren vorher in Moskau wohnhaft, was einwandfrei durch die betreffenden Moskauer Behörden bestätigt werden kann.

b) Die Anklageschrift gibt selbst zu, daß ein solcher Irrtum bei dem Zeugen Theel (S. 179), der mich angeblich am Tage des Reichstagsbrandes vor dem Reichstagsgebäude gesehen hat, vorhanden ist. Wäre ich aber nicht zufällig in dieser Zeit in München gewesen, so hätte die Aussage dieses Zeugen bestimmt in der Anklageschrift eine entscheidende Rolle gespielt und wäre gar nicht als Irrtum angesehen worden.

c) Besonders charakteristisch in dieser Beziehung ist der folgende Fall:

Am Anfang der Vernehmung wurde eine Zeugin gebracht, die behauptete, daß sie mich mit van der Lubbe in einem Restaurant in der Düsseldorferstraße am 26. Februar, 3 Uhr nachmittags, gesehen habe. Aus diesem Anlaß hat der untersuchende Beamte mir triumphierend gesagt: » Jetzt haben wir alles. Das fehlte uns nur!« Dieselbe Zeugin hat angeblich die erste Anzeige gemacht, daß sie einen Mann, der mein Aussehen hatte, mit van der Lubbe gesehen habe. Auf Grund dieser Anzeige ist meine Verhaftung erfolgt und der Verdacht entstanden, auf Grund dessen die Anklage gegen mich als Reichstagsbrandstifter aufgebaut worden ist.

Nachdem aber festgestellt wurde, daß ich am 26. Februar gar nicht in Berlin gewesen bin, ist diese Zeugin verschwunden, und über ihre Anzeige ist kein Wort mehr in der Anklageschrift zu finden! Sie können sich aber leicht vorstellen, welch großer Wert auf die Aussagen dieser Zeugin gelegt worden wäre, wenn ich in dieser Zeit in Berlin gewesen wäre.

Man hat bei der Vernehmung im Zusammenhang mit dieser Zeugin auch ein Zeichen in meinem Berliner Stadtplan an der Stelle der Düsseldorferstraße »ausfindig« gemacht, als einwandfreien Beweis, daß ich wirklich in dem genannten Restaurant gewesen bin!

Ich bitte Sie, auch alle diese Nachrichten entsprechend auswerten zu wollen.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

P. S. Da ich keinen gewählten Rechtsanwalt in Berlin haben kann, bitte ich Sie, sich mit meinen Angehörigen in Verbindung zu setzen und so gut zu sein, meine Mutter und Schwester über meine Lage und den Verlauf meiner Sache nach Möglichkeit zu informieren. Die Adresse meiner Mutter und Schwester ist: Magdalina Dimitroff-Baramoff, Samokoff (Bulgarien).

 

12. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich habe Ihnen am 8. und 10. August d. J. geschrieben und eine Reihe von Beweisanträgen und Nachrichten in meiner Strafsache unterbreitet. Hoffentlich haben Sie meine Briefe erhalten und werden Sie rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen treffen können.

Es ist, glaube ich, ein Ding der Selbstverständlichkeit (aber um etwaige unerwünschte Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich es ausdrücklich betonen), daß ich nur für solche Ihrer Schritte und Vorschläge in meiner Strafsache Verantwortung tragen kann, die auf meine ausdrückliche Veranlassung oder mit meinem vorherigen Einverständnis und im Sinne meiner Auffassung und meiner Vorschläge Ihrerseits als meinem Verteidiger gemacht worden sind. Gegenüber allen sonstigen Ihrer Handlungen in bezug auf meine Strafsache, die Sie evtl. trotzdem unternehmen, behalte ich mir das Recht vor, sie zu akzeptieren oder abzulehnen.

Ich bitte Sie, von dieser meiner Erklärung Notiz nehmen zu wollen.

Ich habe gestern den Beschluß des Reichsgerichts (IV. Strafsenat) vom 10. August in bezug auf den Rechtsanwalt Stefan Detscheff, der Ihnen wohl schon bekannt sein wird, erhalten und habe mich mit Herrn Detscheff in Verbindung gesetzt, um eine baldige Besprechung mit ihm.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

17. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich habe noch keine Bestätigung, ob Sie meine Briefe vom 8., 10., 12. und 15. August d. J. rechtzeitig erhalten und für die entsprechenden Beweisanträge in der gesetzlichen Frist (17. August) ausgewertet haben. Ich erwarte auch Ihre Mitteilung, was Sie überhaupt bis jetzt in bezug auf meine Strafsache unternommen haben und insbesondere auf eine baldige persönliche Unterredung mit Ihnen, wie Sie mir selber in Ihrem Schreiben vom 3. August versprochen haben.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

Berlin, 18. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich bitte Sie, meinen aufrichtigen Dank an den französischen Schriftsteller Romain Rolland wegen seiner entschlossenen Verteidigung meiner Unschuld, wie das aus dem Brief des Herrn Oberreichsanwalts zu ersehen ist, übermitteln zu wollen und gleichzeitig ihm mitteilen zu lassen, daß die Behandlung im Gefängnis mir gegenüber sonst menschlich ist bis auf Handfesselung, unter welcher ich schon seit bald fünf Monaten leiden muß.

Es wäre angebracht, auch die konkrete Begründung der Beschuldigungen, die die Anklageschrift gegen mich erhoben hat, dem Herrn Romain Rolland bekanntzugeben. Übrigens ist es zu bedauern, daß die Anklageschrift jetzt noch nicht wortwörtlich veröffentlicht werden kann. Ihre Veröffentlichung wäre bestimmt der beste und interessanteste Beweis für meine Unschuld.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

Briefe an den Rechtsanwalt Dr. Teichert und an den Senatspräsidenten

Die Handfessel, die Dimitroff auf Anordnung der faschistischen Inquisition vom 4. April an Tag und Nacht tragen mußte, war ein Folterwerkzeug besonderer Art, das in deutschen Gefängnissen vorher nicht in Gebrauch war. Sie bestand in einem oben durch ein Schloß zusammengehaltenen Stahlstreifen, der um die übereinandergelegten Handgelenke geschlossen wurde. In der Nacht verursachte jede im Schlaf gemachte Bewegung Schmerzen, was häufiges Erwachen zur Folge hatte. Am Tage mußte Dimitroff gefesselt seine gesamte Arbeit verrichten; die Fessel wurde ihm nur während der Mahlzeiten und beim Aus- und Ankleiden abends und morgens auf einige Minuten abgenommen. Die an den Handgelenken entstandenen Wunden verheilten erst lange nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis.

 

18. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Seit dem 4. April d. J. bis zum heutigen Tage bin ich Tag und Nacht mit gefesselten Händen. Meine mehrmaligen Proteste gegen diese Maßnahme sowie meine Ersuchen, daß sie aufgehoben werde, blieben ergebnislos.

Am 26. Juli habe ich wieder den Herrn Untersuchungsrichter des Reichsgerichts ersucht, wenn es nicht möglich ist, die Fesselung völlig aufzuheben, so wenigstens nur in der Nacht gefesselt zu sein, wie das bei den zum Tode verurteilten Gefangenen der Fall ist. Darauf habe ich Antwort erhalten, daß in der Frage der Fesselung zur Zeit eine Änderung nicht eintreten kann.

Im Zusammenhang mit der notwendigen Anfertigung meiner schriftlichen Verteidigungsarbeiten habe ich den Herrn Untersuchungsrichter ersucht, einige Tage (täglich einige Stunden) mit entfesselten Händen zu sein. Darauf habe ich folgende Antwort erhalten:

»Seine Entfesselung ohne Aufsicht kann nicht gestattet werden.«

Da gewöhnlich Zeit zum Schreiben nur 1/ 2 bis 1 Stunde ist, war ich gezwungen, sogar einen großen Teil meiner Briefe an Sie mit gefesselten Händen zu schreiben, bei in solchem Fall unvermeidlichen Handschmerzen.

Es ist klar, daß auf diese Weise die Vorbereitung meiner Verteidigung bedeutend gestört ist und mich in meinem gesetzlichen Recht außerordentlich beschränkt, um nicht zu sagen, – daß es mir faktisch genommen wird.

Übrigens, diese Maßnahme ist in meinem Fall überhaupt nicht zu rechtfertigen, weil ich keinen Fluchtversuch unternommen habe, noch Selbstmordabsichten gezeigt oder haben kann. Gerade durch diese schwere und in vielen Hinsichten sehr peinliche Maßnahme kann ein Gefangener mit schwachen Nerven zu Selbstmordgedanken kommen!

Ich bitte Sie mögliche Schritte in dieser Frage unternehmen zu wollen und so gut zu sein, mich zu benachrichtigen.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

Berlin, den 24. August 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Ich lese im § 116 (Abs. 3) der Strafprozeßordnung folgendes:

»Fesseln dürfen im Gefängnis dem Verhafteten nur dann angelegt werden, wenn es wegen besonderer Gefährlichkeit seiner Person, namentlich zur Sicherung anderer, erforderlich erscheint, oder wenn er einen Selbstentleibungs- oder Entweichungsversuch gemacht oder vorbereitet hat. Bei der Hauptverhandlung soll er entfesselt sein.«

Da in meinem Falle diese Maßnahme weder »zur Sicherung« anderer erforderlich erscheint, noch ich »einen Selbstentleibungs- oder Entweichungsversuch gemacht oder vorbereitet« habe, so ist zu schließen, daß die Anwendung der Fesselung auch bisher gesetzwidrig war.

Außerdem macht mein Verhalten im Gefängnis, wie das ganze Gefängnispersonal (vom Herrn Vorsteher bis zum letzten Aufsichtsbeamten) bestätigen kann, eine solche Sicherheitsmaßnahme vollständig überflüssig. Ich hoffe, daß der obengenannte Paragraph auch jetzt in Kraft ist, und bitte Sie, noch einmal die notwendigen Schritte unverzüglich unternehmen zu wollen, damit die Fesselung so bald wie möglich aufgehoben wird.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

 

28. August 1933

An den Herrn Präsidenten des IV. Strafsenats des Reichsgerichts, Dr. Bünger

Sehr geehrter Herr Präsident!

Seit dem 4. April d. J. bin ich bei Tag und Nacht mit gefesselten Händen. Meine mehrmaligen Gesuche, diese Maßnahme aufzuheben, sind ohne Ergebnis geblieben.

Am 26. Juli habe ich den Herrn Untersuchungsrichter des Reichsgerichts wieder ersucht, wenn es schon nicht möglich wäre, die Fesselung völlig aufzuheben, mich dann wenigstens nur in der Nacht gefesselt zu halten, wie das bei den zum Tode verurteilten Gefangenen üblich ist. Ich habe darauf die Antwort erhalten, daß »in der Frage der Fesselung zur Zeit eine Änderung nicht eintreten kann«.

Am 18. August habe ich mich an den mir gestellten Verteidiger, Herrn Dr. Teichert, mit der Bitte gewandt, die notwendigen Schritte zur Aufhebung der Fesselung unternehmen zu wollen.

Da ich bis jetzt keine Antwort erhalten habe und die gesundheitsschädliche und furchtbar peinvolle Fesselung weiter andauert, habe ich mich entschlossen, mich an Sie zu wenden, um eine gesetzmäßige Entscheidung herbeizuführen.

Ich lese in der Strafprozeßordnung (§ 116) folgenden Absatz:

»Fesseln dürfen im Gefängnis dem Verhafteten nur dann angelegt werden, wenn es wegen besonderer Gefährlichkeit seiner Person, namentlich zur Sicherung anderer, erforderlich erscheint, oder wenn er einen Selbstentleibungs- oder Entweichungsversuch gemacht oder vorbereitet hat. Bei der Hauptverhandlung soll er entfesselt sein.«

Daraus geht hervor, daß die Anwendung der Fesselung bei mir keine gesetzliche Unterlage und Rechtfertigung hat.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

Brief in die Sowjetunion

Mit diesem in persönlichem Ton gehaltenen Brief an den Direktor des Sanatoriums »Deßjatiletje Oktjabrja« in Kislowodsk gelang es Dimitroff, die Öffentlichkeit der Sowjetunion über den bevorstehenden Prozeß zu informieren.

 

Berlin-Moabit, den 14. August 1933

Herrn Dr. Bolotner,
Direktor des Sanatoriums »Deßjatiletje Oktjabrja« Kislowodsk (UdSSR)

Lieber Herr Dr. Bolotner!

In meiner monatelangen Haft habe ich mich sehr oft mit Freude und Dank an Ihre »Gesundheitswerkstätte« (»Sdrawnitza«) erinnert, wo ich im vorigen Jahre meine so stark erschütterte Gesundheit glücklich wiederherstellen konnte. Wenn diese Kur nicht so erfolgreich durchgeführt worden wäre, so wäre ich jetzt bestimmt nicht in der Lage gewesen, die schwere Haft auszuhalten, und meine Gesundheit und Arbeitsfähigkeit wären sicher zugrunde gegangen. Die in Kislowodsk angesammelten Gesundheitsvorräte sind für mich zweifellos eine wirkliche Rettung gewesen. Dafür meinen aufrichtigen herzlichen Dank an Sie, Dr. Popoff und Dr. Ehrlichsmann und das ganze Personal des Sanatoriums.

Nach fünf Monaten habe ich endlich die Anklageschrift erhalten. Sie lautet auf Hochverrat im Zusammenhang mit der Reichstagsbrandstiftung – ein Verbrechen, das dem Gesetz nach mit dem Tode zu bestrafen ist. Da ich aber mit diesem Verbrechen gar nichts zu tun gehabt habe und sogar während der Brandstiftung nicht in Berlin gewesen bin, konnte die Anklageschrift auch keine positiven, einwandfreien Beweise gegen mich enthalten.

Wie mir mein Offizialverteidiger (Dr. Paul Teichert, Leipzig) mitgeteilt hat, wird die Hauptverhandlung voraussichtlich in der ersten Hälfte September beginnen. Ich möchte hoffen, daß das wirklich der Fall sein wird, und ich warte mit Ungeduld darauf, um die ungerechte Anklage widerlegen zu können.

Es wird Ihnen gewiß nicht schwerfallen, sich vorzustellen, wie ich mich nach Freiheit, nach Schaffen und Kampf sehne, und auch danach, noch einmal Gelegenheit zu haben, in Ihrer »Sdrawnitza« neue Kräfte und Energien und die nötigen Gesundheitsvorräte zu gewinnen.

Ich würde mich sehr freuen, etwas von Ihnen, von Ihrem Sanatorium (wo jetzt wohl ein großer Betrieb herrscht) und von meinen Freunden und Bekannten zu hören.

Ich bitte Sie, Herrn Dr. Popoff, Dr. Ehrlichsmann, Dr. Beligson, den Schwestern und allen anderen meine besten Grüße zu übermitteln.

Ihnen und Ihrer Frau wünsche ich alles Gute und Ihrer Sdrawnitza besten Erfolg.

Mit Gruß
G. Dimitroff

Brief an Romain Rolland

In der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« war eine Antwort des Oberreichsanwalts Werner an Romain Rolland und Branting (den bekannten schwedischen Rechtsanwalt und Antifaschisten) veröffentlicht, aus der Dimitroff erfuhr, daß Romain Rolland und andere Antifaschisten gegen die ungeheuerliche Anklage der faschistischen Behörden aufgetreten waren.

Am 24. August schrieb Dimitroff an Romain Rolland. Der Brief ging, wie alle Briefe in dieser Zeit, durch die Hände des Senatspräsidenten Bünger, der erklärte, der Brief könne nur dann abgeschickt werden, wenn die scharfe Charakterisierung der Anklageschrift gestrichen und hinzugefügt werde, daß die Fesselung auf Beschluß des Gerichts aufgehoben sei.

Da der Brief sonst nicht abgesandt worden wäre, wurden diese Korrekturen vorgenommen.

Offensichtlich hat dieses Schreiben den Beschluß des Gerichts über die Aufhebung der Fesselung beschleunigt. Der Brief wurde in der hier abgedruckten Form abgesandt.

 

Berlin-Moabit, 31.8. 1933

Herrn Romain Rolland, Luzern

Lieber Herr Rolland!

Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen meinen aufrichtigsten Dank für Ihr entschlossenes Auftreten zur Verteidigung meiner Unschuld auszusprechen. Ich habe auch schon meinen offiziellen Verteidiger, Herrn Dr. Paul Teichert (Leipzig, Otto-Schill-Straße 2) ersucht, Ihnen meinen Dank zu übermitteln und zugleich die konkrete Begründung der Beschuldigungen, die durch die Anklageschrift gegen mich erhoben worden sind, Ihnen mitteilen zu wollen.

Die von mir beantragten Wahlverteidiger: der bulgarische Rechtsanwalt Herr Detscheff und die französischen Rechtsanwälte, die Herren Giafferi, Campinchi und Torrès, wurden vom Reichsgericht abgelehnt. Die Motivierung bei Detscheff ist: »Weil der Rechtsanwalt der deutschen Sprache nicht mächtig ist«; bei den französischen Rechtsanwälten: »Auch abgesehen davon, daß nicht feststeht, ob die Rechtsanwälte der deutschen Sprache mächtig sind und ob das Einverständnis des deutschen Verteidigers zur gemeinschaftlichen Verteidigung vorliegt, ist für ihre Zulassung neben dem gestellten Verteidiger kein Anlaß ersichtlich.«

Die Hauptverhandlung ist endlich auf den 21. 9. festgesetzt worden. Da ich mit dem Reichstagsbrand gar nichts zu tun gehabt habe, so warte ich voller Ruhe und Zuversicht auf die Hauptverhandlung, deren Ergebnis – dem Sachverhalt nach – zu meiner Freilassung führen muß.

Meine Behandlung im Gefängnis ist, abgesehen von der strengen Einzelhaft sowie der Handfesselung, die mich während 5 Monaten (seit dem 4. April d. J.) bei Tag und Nacht gequält hat und die am heutigen Tage durch Beschluß des Reichsgerichts aufgehoben ist, sonst menschlich.

Ich werde mich freuen, wenn ich von Ihnen ein paar Zeilen erhalte und auch etwas über Ihre werte Gesundheit und Arbeit erfahren kann.

Viele Grüße an unseren Freund Barbusse!

Mit bestem Gruß
Ihr
G. Dimitroff

Briefe an den Rechtsanwalt Dr. Teichert

Der vom Reichsgericht als »Offizialverteidiger« bestellte Rechtsanwalt Dr. Teichert kam den Vorschlägen Dimitroffs auf Ladung von Zeugen, Anforderung von Dokumenten usw. nicht nach. Er verweigerte dem von Dimitroff als Wahlverteidiger beantragten bulgarischen Rechtsanwalt Detscheff den Einblick in die Anklageschrift und hintertrieb dessen Zulassung zur Verteidigung.

Angesichts dieser Haltung sandte Dimitroff dem »Offizialverteidiger« den nachstehenden Brief.

 

6. September 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ihren Brief vom 2. September habe ich dankend erhalten und freue mich sehr, daß auch Sie eine Kampfnatur besitzen.

Es handelt sich aber nicht um die Frage, wer besser beurteilen kann, wie die Verteidigung zu führen ist, und noch weniger um überreizte Nerven, sondern um die Tatsache, daß ich Wert darauf lege, daß ein Landsmann von mir, der mich persönlich und meine politische Laufbahn genau kennt und deswegen mit 100prozentiger Sicherheit an meine Unschuld glauben kann, an der Verteidigung – direkt oder indirekt – teilnehmen kann. Das ist ein Ding der Selbstverständlichkeit. Da Sie immer erklären, daß Sie die Verteidigung ganz ernst führen wollen und Ihre Hände in dieser Hinsicht durch nichts gebunden fühlen, können Sie auch nichts dagegen haben; eine solche Mitbeteiligung müßte Ihrerseits im Gegenteil nur begrüßt werden.

Dem Herrn Detscheff wurde eine gewisse indirekte Beteiligung an meiner Verteidigung (durch Sie) vor Gericht genehmigt. Es ist aber klar, daß, wenn er keine Kenntnis von der konkreten Begründung der Beschuldigungen, die durch die Anklageschrift gegen mich erhoben worden sind, haben kann, er auch nichts Positives zu meiner Verteidigung beitragen kann. Und gerade die Informationen über die konkrete Begründung der Beschuldigungen (nicht die Namen der Zeugen oder andere »Geheimnisse« aus der Anklageschrift!) konnte er von Ihnen – wie er schreibt – nicht erhalten.

Das ist, finde ich – mit Ihrer Erlaubnis – sehr bedauernswert und sogar in Widerspruch mit dem Sinn des Beschlusses des Reichsgerichts selbst.

Da ich nicht auf die Beteiligung eines bulgarischen Rechtsanwalts an der Verteidigung verzichten kann, habe ich mich wiederholt an das Reichsgericht mit der Bitte gewandt, den bulgarischen Rechtsanwalt Herrn Peter Grigoroff, zur Zeit in der Schweiz, der der deutschen Sprache mächtig ist, zur gemeinschaftlichen Verteidigung zuzulassen.

Ich bitte Sie, dem Gericht das gesetzlich notwendige Einverständnis Ihrerseits als deutscher Verteidiger geben zu wollen.

Hochachtungsvoll
G. Dimitroff

P. S. Obwohl ich kein Jurist bin, glaube ich doch so viel zu verstehen, daß der bestellte Verteidiger sich nicht vom Angeklagten Vorschriften machen zu lassen braucht. Und natürlich habe ich eine solche Absicht nie gehabt. Der offizielle Verteidiger ist andererseits aber auch kein Vorgesetzter dem Angeklagten gegenüber und kann in diesem Falle nicht nach dem sogenannten »Führerprinzip« handeln. Hier ist unbedingt notwendig eine gegenseitige Verständigung zwischen dem Verteidiger und dem Verteidigten. Sonst kann der Angeklagte auf den »Segen« einer eigenwilligen Verteidigung ruhig verzichten und eine, wenn auch sehr mangelhafte, Selbstverteidigung vorziehen.

Dimitroff wurde am 18. September wegen der Anberaumung der Gerichtsverhandlung in Leipzig in das dortige Gefängnis überführt. Da die faschistischen Behörden im Leipziger Gefängnis Dimitroff die kleinen Vergünstigungen nahmen, die er in Berlin für sich durchgesetzt hatte, mußte der Kampf gegen das Gefängnisregime von neuem begonnen werden. Aus diesem Anlaß schrieb Dimitroff den Brief an Rechtsanwalt Teichert. Der Rechtsanwalt unternahm aber nicht das geringste, ja, er ließ sogar den Brief unbeantwortet. Zwei Wochen hindurch erhielt Dimitroff keine Zeitungen, keinen Tabak, keine Schreibutensilien usw.

 

18. September 1933

Herrn Dr. Paul Teichert, Rechtsanwalt, Leipzig

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich hatte im Moabiter Untersuchungsgefängnis die Genehmigung des Untersuchungsrichters des Reichsgerichts, meinen Füllfederhalter, Tinte, Papier, meine schriftlichen Sachen und Notizen, deutsche Grammatik, eine Zeitung, meine Wäsche usw. zu haben. Alles das wurde mir hier abgenommen und es scheint, daß eine neue besondere Genehmigung wegen dieser Sachen notwendig ist.

Da ich besonders die schriftlichen Sachen im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung dringend brauche, bitte ich um sofortige Intervention, damit ich sobald wie möglich die Sachen bei mir haben kann.

Außerdem, trotz der Versicherung von Moabit, daß mein Geld mitgenommen und im Leipziger Gefängnis übergeben wird, erfahre ich jetzt, daß das Geld mit der Post geschickt werden soll. Ich weiß aus Erfahrung, daß solche Dinge leider nicht schnell gehen. Daher bitte ich Sie, wenn es Ihnen möglich ist, einige Mark an die Gefangenenkasse für mich zu zahlen, um etwas zu rauchen, Schreibmaterialien zu kaufen und eine Zeitung für eine Woche für mich bestellen zu können.

Ich erwarte Ihre baldige Beantwortung.

G. Dimitroff


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