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Sechsunddreißigstes Kapitel

Wie Mr. Winkle aus dem Regen in die Traufe kommt.


Nachdem der vom Schicksal so schwer geprüfte Mr. Winkle die unglückliche Ursache des geschilderten ungewöhnlichen Lärms und der Störung sämtlicher Bewohner von Royal-Crescent gewesen und eine Nacht voll Bangigkeit und Angst zugebracht hatte, verließ er das Dach, unter dem seine Freunde noch schlummerten, und entfloh, ohne zu wissen wohin. Die selbstlosen Erwägungen, die ihn zu diesem Schritte veranlaßten, können gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Wenn – sagte sich Mr. Winkle –, wenn dieser Dowler sich untersteht – und ich zweifle keineswegs, daß er es tun wird –, seine Androhungen persönlicher Gewalttätigkeiten gegen mich in Ausführung zu bringen, so werde ich nicht umhin können, ihn zu fordern. Er hat eine Frau; diese Frau liebt ihn über alles und kann ohne ihn nicht leben. Gütiger Gott! Wenn ich ihn in der Blindheit meines Zornes tötete, welche Vorwürfe müßte ich mir zeitlebens machen!

Dieser peinliche Gedanke wirkte so mächtig auf das Gefühlsleben des menschenfreundlichen jungen Mannes, daß seine Knie schlotterten und sich auf seinem Gesichte beunruhigende Kennzeichen tiefer innerer Bewegung malten. Er packte seinen Mantelsack, schlich sich leise die Treppen hinab, verschloß die verwünschte Haustür so geräuschlos wie möglich und machte sich auf und davon. Er lenkte seine Schritte zum Royal-Hotel, traf dort eine Kutsche, die im Begriff war, nach Bristol zu fahren, und da ihm Bristol für seine Zwecke ein ebenso guter Ort dünkte, wie jeder andre, kletterte er auf den Bock und erreichte den Ort seiner Bestimmung so schnell, wie man ihn mit zwei Pferden, die täglich zwei oder mehrere Male den ganzen Weg hin und her machen mußten, billigerweise erreichen konnte.

Er stieg im Gasthof »Zum Busch« ab, und, entschlossen, jedem brieflichen Verkehr mit Mr. Pickwick so lange auszuweichen, bis Mr. Dowlers Zorn nach menschlicher Berechnung einigermaßen verflogen sein werde, ging er aus, um sich die Stadt zu besehen, an der ihm weiter nichts auffiel, als daß sie noch ein wenig schmutziger war als jeder andre Ort, den er bisher in Augenschein genommen. Nachdem er die Docks und Schiffswerften sowie auch die Kathedrale besichtigt, erfragte er den Weg nach Clifton und schlug sofort die Richtung ein, die man ihm bezeichnet hatte.

Wie indessen das Pflaster von Bristol nicht das breiteste und reinlichste auf Erden ist, so sind auch die Straßen dieser Stadt nicht eben die geradesten oder unverwickeltsten, und da Mr. Winkle durch ihre mannigfaltigen Windungen sehr verwirrt wurde, so sah er sich nach einem anständigen Laden um, in dem er sich Rat holen und Erkundigungen einziehen könnte.

Seine Augen fielen auf ein frischgetünchtes Haus, das offenbar erst vor kurzem in ein Mittelding zwischen einem Laden und einem Privathaus verwandelt worden war und, wie eine über das fächerförmige Fenster der Haustür vorhängende rote Lampe sowie eine Inschrift: »Chirurgisches Ambulatorium« in goldenen Buchstaben besagte, der Wohnsitz eines Heilkünstlers war. Da Mr. Winkle dies für einen geeigneten Ort hielt, um seine Wißbegier zu stillen, trat er in den kleinen Laden, und, da niemand anwesend war, klopfte er mit einer halben Krone auf den Tisch, um die Aufmerksamkeit der Leute anzulocken, die sich, wie er mutmaßte, im Hinterzimmer befinden müßten, das er für das Allerheiligste der Anstalt hielt, da das Wort »Chirurgisches Ambulatorium« hier aufs neue und zwar zur Abwechslung diesmal mit weißen Lettern an die Tür gemalt war. Auf sein leises Klopfen hörte ein bis jetzt deutlich vernehmbares Geräusch, wie wenn mit Rapieren gefochten würde, plötzlich auf, und beim zweiten schlüpfte ein gelehrt aussehender junger Mann mit einer grünen Brille auf der Nase und einem gewaltigen Buch in der Hand in den Laden, stellte sich hinter den Tisch und fragte nach dem Begehren seines Gastes.

»Entschuldigen Sie, wenn ich störe, Sir«, stotterte Mr. Winkle, »aber würden Sie nicht vielleicht die Güte haben, mir zu sagen, wo+…«

»Hahaha!« lachte der gelehrte junge Herr, warf das große Buch in die Luft und fing es mit erstaunlicher Gewandtheit in demselben Augenblick wieder auf, wo es sämtliche Flaschen auf dem Tisch zu Atomen zu zertrümmern drohte. »Das nenne ich einmal sonderbar.«

Das war es auch wirklich, denn Mr. Winkle war über das auffallende Benehmen des Äskulapjüngers so über die Maßen erstaunt, daß er unwillkürlich gegen die Tür zurückwich und äußerst unruhig über diesen kuriosen Empfang dreinsah.

»Wie, kennen Sie mich nicht mehr?« fragte der Medikus.

Mr. Winkle murmelte, er habe nicht das Vergnügen.

»Nun gut«, fuhr der Doktor fort, »dann habe ich noch Hoffnung. Wenn mir das Glück nur ein bißchen wohl will, so kann ich die Hälfte der alten Weiber von Bristol zu Patienten bekommen. Fort mit dir, du verschimmelte alte Bestie!«

Mit dieser Verwünschung, die dem großen Buche galt, schleuderte der Chirurg das Werk mit bewundernswürdiger Fertigkeit nach dem entfernten Ende des Ladens, nahm seine grüne Brille ab und ließ das leibhaftige Grinsen Robert Sawyers, Esquire, früher im Guys-Hospital, mit einer Privatwohnung in Landstreet, erkennen.

»Sie haben mich also wirklich nicht gleich erkannt?« fragte Mr. Bob Sawyer, mit freundschaftlicher Wärme Mr. Winkle die Hand schüttelnd.

»Auf Ehre nicht«, versicherte Mr. Winkle, den Händedruck erwidernd.

»Haben Sie denn meinen Namen nicht gelesen?« fuhr Mr. Bob Sawyer fort und lenkte die Aufmerksamkeit seines Besuches auf die äußere Tür, wo ebenfalls weiß angemalt die Worte standen: »Sawyer, früher Nockemorf.«

»Ich habe es nicht bemerkt«, erwiderte Mr. Winkle.

»Bei Gott, wenn ich gewußt hätte, daß Sie es sind, wäre ich sogleich herausgestürzt und hätte Sie in die Arme geschlossen, aber so wahr ich lebe, ich meinte, es sei der Steuereinnehmer.«

»Wirklich?«

»Ja. Und ich wollte eben sagen, ich sei nicht zu Haus, werde übrigens ausrichten, was er mir mitzuteilen habe, denn er kennt mich so wenig wie der Beleuchtungs- und Pflastersteuereinnehmer. Dem Steuerviertler für die Kirche scheint es indes schon zu schwanen, wer ich bin, und der Wasseronkel kennt mich auch, denn ihm habe ich gleich nach meiner Ankunft einen Zahn ausgezogen. Doch kommen Sie jetzt, treten Sie näher.«

So schwatzend, drängte Mr. Bob Sawyer seinen Freund Winkle in das Hinterzimmer, allwo niemand geringerer als Mr. Benjamin Allen saß und zum Zeitvertreib mit einem glühenden Schüreisen kleine runde Löcher in das Kamingesims bohrte.

»Wahrhaftig«, rief Mr. Winkle, »das ist ein Vergnügen, auf das ich nicht gefaßt war. Sie haben ja ein recht hübsches Heim hier.«

»Na, so ziemlich«, gab Bob Sawyer zu. »Ich habe bald nach unsrer denkwürdigen Abendgesellschaft das Examen gemacht; meine Freunde schossen mir das Nötige zur Einrichtung vor, und dann habe ich mir einen schwarzen Anzug nebst Brille zugelegt, um so feierlich wie möglich auszusehen, und habe mich hier niedergelassen.«

»Sie haben ohne Zweifel eine recht hübsche Einnahme?« fragte Mr. Winkle mit Kennerblick.

»Macht sich«, meinte Bob Sawyer, »so hübsch, daß Sie nach wenigen Jahren den ganzen Profit in ein Weinglas legen und mit einem Stachelbeerblatt bedecken können.«

»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?« sagte Mr. Winkle. »Schon die Vorräte+…«

»Lauter Firlefanz, Freundchen. In der einen Hälfte der Schublade ist gar nichts, und die andern können nicht einmal herausgezogen werden.« – Und zum Beweis zerrte Mr. Sawyer zu verschiedenen Malen vergeblich an den kleinen vergoldeten Knöpfchen der falschen Schubladen. »Im ganzen Laden ist kaum etwas Reelles als die Blutegel, und auch die haben schon einmal Dienste geleistet.«

»Das hätte ich nicht gedacht«, rief Mr. Winkle überrascht.

»Will ich auch hoffen«, erwiderte Bob Sawyer, »denn was nützte mir sonst all der Glanz. Doch was wollen Sie jetzt genießen? Halten Sie mit. Ben, lieber Kamerad, geh an den Schenktisch und hole uns den Patentmagenwärmer.«

Mr. Benjamin Allen gab seine Bereitwilligkeit durch ein Lächeln zu erkennen und zog aus dem Schrank neben sich eine schwarze, halbgefüllte Brandyflasche hervor.

»Sie trinken natürlich pur?«

»Danke Ihnen«, wehrte Mr. Winkle ab, »es ist noch ziemlich früh, und ich nehme lieber Wasser dazu, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Nicht das geringste, wenn Sie es mit Ihrem Gewissen vereinen können«, erwiderte Bob Sawyer, mit großem Behagen ein Glas hinabstürzend. »Ben, das Töpfchen!«

Mr. Benjamin Allen zog aus demselben Versteck einen kleinen messingenen Topf hervor, auf den Bob Sawyer stolz zu sein behauptete, da er so apothekermäßig aussähe. Nachdem das Wasser in diesem kunstgerechten Topfe vermittels mehrerer Schaufeln voll Kohlen, die Mr. Bob Sawyer einem »Sodawasser« überschriebenen Wandschrank entnommen hatte, zum Sieden gebracht war, mischte Mr. Winkle seinen Brandy, und die Unterhaltung fing bereits an, allgemein zu werden, als sie durch einen jungen Burschen unterbrochen wurde, der in einer schlichten grauen Livree mit goldbetreßtem Hut und einem kleinen Deckelkorb unter dem Arm in den Laden trat und vom Herrn des Hauses mit den Worten bewillkommnet wurde:

»Kommst du endlich, Tom, du Schlingel?«

Der Junge trat sogleich vor.

»Gewiß bist du wieder mit allen Gassenjungen von Bristol herumgestrolcht, du Spitzbube.«

»Nein, Sir, ganz gewiß nicht«, beteuerte der Knabe.

»Möcht es dir auch nicht geraten haben«, brummte Mr. Bob Sawyer mit drohender Gebärde. »Wer wird einen Wundarzt rufen lassen, wenn man sieht, daß sein Laufbursche auf der Gasse spielt wie kleine Jungen? Hast du die Arzneien alle abgegeben?«

»Ja, Sir.«

»Die Pulver für das Kind in dem großen Hause, wo die neue Familie wohnt, und die Pillen, die der hypochondrische alte Herr mit seinem Podagra täglich viermal einnehmen soll?«

»Ja, Sir.«

»Na, dann mach die Tür zu und besorge den Laden.«

»Nun«, sagte Mr. Winkle, als der Knabe sich entfernt hatte, »die Sachen scheinen doch nicht so schlimm zu stehen, wie Sie mich glauben machen wollten. Sie haben doch immerhin Medizinen auszuschicken.«

Mr. Bob Sawyer spähte in den Laden, ob kein Unberufener ihn hören könne, beugte sich dann zu Mr. Winkle und sagte leise:

»Er bringt sie alle in die falschen Häuser.«

Mr. Winkle blickte äußerst verwundert drein, und Bob Sawyer und sein Freund lachten.

»Sehen Sie«, erklärte Bob, »er geht in ein Haus, läutet an, gibt dem Bedienten ein Paket ohne Aufschrift und entfernt sich. Der Herr des Hauses öffnet es und liest die Aufschrift: ›Ein Trank, beim Schlafengehen einzunehmen – Pillen, wie das letzte Mal – Wasser, wie gewöhnlich – das Pulver. Nach den Vorschriften Dr. Sawyers, früher Nockemorf, sorgfältig bereitet usw.‹ Er zeigt es seiner Frau, sie liest die Aufschrift ebenfalls; dann geht das Paket wieder an die Dienerschaft zurück, und diese liest es auch. Am andern Tag kommt der Bursche wieder und sagt, es tue ihm sehr leid – er habe sich vergriffen – das große Geschäft – so viele Pakete zum Austragen – Komplimente von Dr. Sawyer, früher Nockemorf. Der Name wird bekannt, und sehen Sie: so, Freundchen, muß es ein Mediziner anpacken. Ich versichere Ihnen, alter Freund, das wirkt weit besser als alle Ankündigungen der Welt. Wir haben eine Vierunzenflasche, die schon halb Bristol durchwandert hat und noch in manchen Häusern Besuche abstatten muß.«

»Jetzt geht mir ein Licht auf«, rief Mr. Winkle. »Das ist ja ein ganz vortrefflicher Plan!«

»Oh, Ben und ich haben schon ein Dutzend ähnliche ausgeheckt«, meinte Bob Sawyer sehr vergnügt. »Der Lampenanzünder bekommt achtzehn Pence wöchentlich dafür, daß er jedesmal, wenn er vorbeigeht, zehn Minuten lang die Nachtglocke läutet, und mein Junge stürzt immer gerade, wenn die Leute nichts zu tun haben als herumzugucken, in die Kirche und ruft mich heraus, mit einem Gesicht, auf dem sich Schauder und Entsetzen malen. ›Ach Gott‹, sagt dann alles, ›es muß jemand plötzlich krank geworden sein, man hat nach Sawyer, früher Nockemorf, geschickt. Welche Praxis der junge Mensch schon hat!‹«

Nach dieser Enthüllung einiger Geheimnisse der Arzneiwissenschaft warfen sich Mr. Bob Sawyer und sein Freund Ben Allen in ihre Stühle zurück und lachten aus vollem Halse.

Wie bereits früher einmal angedeutet, pflegte Mr. Benjamin Allen nach dem Genuß von Brandy gewöhnlich sentimental zu werden, und da er bereits seit fast drei Wochen bei Mr. Bob Sawyer zu Gaste war, war er diesmal solchen Anfällen ganz besonders unterworfen.

»Mein teurer Freund!« schluchzte er daher, die momentane Abwesenheit Mr. Bob Sawyers benützend, der in den Laden gegangen war, um einige von den obenerwähnten gebrauchten Blutegeln abzugeben, »mein teurer Freund, ich bin sehr unglücklich!«

Mr. Winkle sprach sein herzliches Bedauern aus und begehrte zu wissen, ob er nichts tun könne, um den Kummer des leidenden Studenten zu mildern.

»Ach nein, mein teurer Freund, nichts«, erwiderte Ben. »Sie erinnern sich Arabellas, Winkle – meiner Schwester Arabella? Ein kleines Mädchen, Winkle, mit schwarzen Augen – damals, als wir bei Wardle waren? Ich weiß nicht, ob Sie zufällig bemerkt haben – ein hübsches kleines Mädchen, Winkle. Vielleicht erinnern Sie sich an ihre Züge, wenn Sie mich ansehen?«

Mr. Winkle bedurfte keineswegs einer solchen Gedächtnisnachhilfe, und zu seinem Glück, denn die Züge Benjamins hätten ohne Zweifel seine Erinnerung nicht sehr aufgefrischt. Er antwortete daher mit aller Fassung, die er aufzubringen vermochte, er erinnere sich der jungen Dame noch sehr gut und wünsche von Herzen, daß sie sich wohl befinde.

»Unser Freund Bob ist ein herrlicher Kerl, Winkle«, war die einzige Antwort Mr. Ben Allens.

»Ohne Zweifel«, gab Mr. Winkle zu, dem diese nahe Zusammenstellung der beiden Namen keineswegs behagte.

»Ich hatte sie füreinander bestimmt; sie waren füreinander geschaffen – füreinander in die Welt gesandt –, füreinander geboren, Winkle«, jammerte Mr. Ben Allen und stellte mit großem Nachdruck sein Glas nieder. »Es waltet ein besonderes Geschick in dieser Sache, mein lieber Herr; sie sind nur um fünf Jahre voneinander verschieden, und beider Geburtstage fallen in den August.«

Mr. Winkle war zu begierig, zu hören, was folgen würde, als daß er ein großes Erstaunen über diesen außerordentlichen und wirklich wunderbaren Umstand ausgedrückt hätte. Mr. Ben Allen erzählte ihm daher nach ein paar Tränenergüssen weiter, trotz aller seiner Achtung,. Wertschätzung und Verehrung für seinen Freund, betätige Arabella unbegreiflicher- und pflichtvergessenerweise die entschiedenste Abneigung gegen ihn.

»Ich glaube«, schloß Mr. Ben Allen, »ich glaube, es steckt eine frühere Neigung dahinter.«

»Haben Sie vielleicht diesbezüglich eine Vermutung?« fragte Mr. Winkle zaghaft.

Ben Allen ergriff das Schüreisen, schwang es kriegerisch über seinem Haupte, führte einen furchtbaren Schlag gegen eine in seiner Einbildung vorhandene Hirnschale und sagte in höchst bedeutsamem Tone, es sei sein einziger Wunsch, Näheres erraten zu können.

»Ich würde ›ihm‹ dann sagen, was ich von ihm denke«, rief Mr. Ben Allen und schwang aufs neue noch drohender als zuvor das Schüreisen.

Dies alles mußte natürlich äußerst beschwichtigend auf die Gefühle des Mr. Winkle wirken, der ein paar Minuten lang stillschwieg, endlich aber sich ein Herz faßte zu fragen, ob Miß Allen in Kent sei.

»Nein, nein«, sagte Mr. Ben Allen mit einem schlauen Blick und legte das Schüreisen weg. »Wardles Haus schien mir eben nicht der geeignetste Platz für ein widerspenstiges Mädchen. Da nun unsre Eltern tot sind und ich Arabellas natürlicher Beschützer und Vormund bin, so habe ich sie in der hiesigen Gegend auf ein paar Monate zu einer alten Tante gebracht, die in einem zwar etwas abgelegenen, aber dennoch recht netten Orte wohnt. Dies wird sie schon kurieren, mein Freund; wo nicht, gehe ich ein Weilchen mit ihr ins Ausland und versuche, ob das nicht hilft.«

»Ah, die Tante ist also in Bristol?« stotterte Mr. Winkle.

»Nein, nein; nicht in Bristol«, erwiderte Mr. Ben Allen, mit dem Daumen über die rechte Schulter deutend, »da unten. Aber still jetzt; Bob kommt; kein Wort mehr, teuerster Freund, kein Wort.«

So kurz diese Unterhaltung gewesen, so versetzte sie doch Mr. Winkle in die peinlichste Aufregung und Angst. Eine mutmaßliche frühere Neigung nagte an ihrem Herzen?! War er vielleicht der Gegenstand derselben? Konnte die schöne Arabella um seinetwillen den lustigen Bob Sawyer über die Achsel angesehen haben, oder hatte er einen glücklichen Nebenbuhler? Er beschloß, sie um jeden Preis zu besuchen; aber hier stellte sich ihm ein unüberwindliches Hindernis entgegen, denn er konnte schlechterdings nicht erraten, ob Ben Allens erklärende Worte »da unten« eine Entfernung von drei, dreißig oder dreihundert Meilen zu bedeuten hatten. Indes blieb ihm für den Augenblick keine Zeit, seinen Liebesgedanken nachzuhängen, denn Bob Sawyers Rückkehr ging unmittelbar einer noch warmen Fleischpastete voran, und der Hausherr bestand darauf, er müsse sie verzehren helfen. Eine Reinmachefrau, die als Mr. Bob Sawyers Haushälterin fungierte, deckte den Tisch; ein drittes Paar Messer und Gabeln wurde von der Mutter des Jungen in der grauen Livree entlehnt – denn Mr. Sawyers häusliche Einrichtungen ließen noch mancherlei zu wünschen übrig –, man setzte sich zu Tisch, und das Bier wurde, wie Mr. Sawyer bemerkte, in vaterländischem Zinn kredenzt.

Nach dem Essen ließ Mr. Bob Sawyer den großen Mörser aus dem Laden holen und begann einen dampfenden Rumpunsch darin zu brauen, wozu er die Materialien in kundiger Apothekerweise mit dem Stößel umrührte und amalgamierte. Als Junggeselle besaß er nur ein einziges Glas, das ehrenhalber für Mr. Winkle, als den Gast, bestimmt wurde. Ben Allen erhielt einen unten mit einem Kork zugestopften Trichter, und Bob Sawyer selbst begnügte sich mit einem jener weitrandigen, von einer Menge kabbalistischer Zeichen bedeckten Kristallgefäße, in denen die Apotheker den Rezepten gemäß ihre Flüssigkeiten abzumessen pflegen. Nachdem diese Präliminarien erledigt waren, wurde der Punsch gekostet und für vortrefflich erklärt. Sofort einigte man sich, Bob Sawyer und Ben Allen sollten die Erlaubnis haben, zwei Gläser zu trinken, bis Mr. Winkle mit einem fertig würde, und sodann begann in Herrlichkeit und Freuden das Gelage.

Gesungen wurde nicht, weil Mr. Bob Sawyer es mit der Würde seiner Stellung für unverträglich hielt; um sich jedoch für diese Entbehrung zu entschädigen, schwatzte und lachte man so laut, daß man sie am Ende der Straße hätte hören können und wahrscheinlich auch hörte. Diese Unterhaltung erheiterte auch dem Laufbuben wesentlich seine Stunden und trug zu seiner ferneren Ausbildung bei, denn statt den Abend seiner gewöhnlichen Beschäftigung zu widmen, nämlich seinen Namen auf den Ladentisch zu schreiben und dann wieder auszulöschen, schaute er heute durch die Glastür, wo er genug zu hören und zu sehen bekam.

Mr. Bob Sawyers Lustigkeit reifte schnell zum Furiosen heran; Ben Allen verfiel in seine gewohnte Sentimentalität, und der Punschmörser war beinahe ganz geleert, als der Bursche hereinstürzte und meldete, es sei soeben ein Dienstmädchen dagewesen und habe ausgerichtet, Mr. Sawyer, früher Nockemorf, möchte sogleich zu einem Patienten kommen, der ein paar Straßen entfernt wohne. Das gab das Signal zur Beendigung des Schmauses. Mr. Bob Sawyer kapierte die Botschaft, nachdem man sie ihm etliche zwanzigmal wiederholt hatte, endlich, band sich ein nasses Tuch um den Kopf, um sich wieder nüchtern zu machen, was ihm auch einigermaßen gelang, setzte seine grüne Brille auf und folgte dem Ruf der Pflicht. Trotz aller Bitten, bis zu seiner Rückkehr zu bleiben, nahm Mr. Winkle, da er es rein unmöglich fand, mit Mr. Ben Allen eine vernünftige Unterhaltung über das Thema, das ihm so sehr am Herzen lag, oder wenigstens etwas Ähnliches anzuknüpfen, Abschied und kehrte in den »Busch« zurück.

Die Gemütserregung und die zahllosen Betrachtungen, welche die Erinnerung an Arabella in ihm hervorgerufen, hatten es verhindert, daß seine Portion aus dem Punschmörser die Wirkung hervorbrachte, die unter andern Umständen unausbleiblich gewesen wäre. Nachdem er daher noch in der Hotelbar ein Glas Sodawasser mit Whisky getrunken, begab er sich, durch die Vorfälle des Abends mehr entmutigt als animiert, in das Gastzimmer.

Vor dem Kamin saß ein langer Herr in einem großen Überrock und wendete ihm den Rücken zu; sonst befand sich niemand im Zimmer. Es war ein für diese Jahreszeit etwas kühler Abend, und der Herr schob seinen Stuhl auf die Seite, um dem neuen Gast auch etwas von der Ofenwärme zukommen zu lassen.

Wer vermöchte aber Mr. Winkles Gefühle zu schildern, als er auf einmal das Gesicht und die Gestalt des rachsüchtigen, blutdürstigen Dowler erblickte!

Sein erster Gedanke war, so heftig wie möglich an der nächsten Klingelschnur zu ziehen, aber diese hing unglückseligerweise unmittelbar hinter Mr. Dowlers Kopf. Er hatte schon einen Schritt nach ihr getan, hielt aber plötzlich inne, und im selben Augenblick retirierte Mr. Dowler schleunig an die Wand.

»Ach, Mr. Winkle, beruhigen Sie sich! Schlagen Sie mich nicht! Ich könnte es nicht ertragen. Einen Schlag! Nein, nie!« rief Mr. Dowler und sah dabei weit sanftmütiger aus, als man von einem so wilden Manne erwartet hätte.

»Einen Schlag, Sir?« stammelte Mr. Winkle.

»Einen Schlag, Sir«, erwiderte Dowler. »Beruhigen Sie sich. Setzen Sie sich. Hören Sie mich an.«

»Sir«, stotterte Mr. Winkle, von Kopf bis zu Fuß zitternd, »bevor ich mich darauf einlassen kann, ohne die Anwesenheit eines Kellners neben Ihnen Platz zu nehmen, muß ich mich vorher wenigst einigermaßen mit Ihnen auseinandergesetzt haben. Sie haben gestern abend eine schreckliche Drohung gegen mich fallen lassen, Sir – ja, eine schreckliche Drohung, Sir!« – Mr. Winkle wurde leichenblaß und stockte.

»Allerdings«, gab Mr. Dowler mit einem beinahe ebenso weißen Gesicht zu, »ich leugne es nicht. Die Umstände waren verdächtig, haben sich inzwischen aber aufgeklärt. Allen Respekt vor Ihrer Tapferkeit. Ich kenne Ihre vornehme Gesinnung. Sie sind im Bewußtsein Ihrer Unschuld mit Recht erzürnt. Hier meine Hand.«

»Wirklich, Sir?« versetzte Mr. Winkle, unschlüssig, ob er seine Hand hinreichen solle oder nicht, denn er fürchtete, es könne eine Falle sein, »wirklich, Sir+…«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen«, unterbrach ihn Dowler. »Sie fühlen sich beleidigt. Sehr natürlich. Es ginge mir auch so. Ich war im Unrecht. Ich bitte um Verzeihung. Seien wir wieder gut. Vergeben Sie mir.«

Mit diesen Worten ergriff Dowler gewaltsam Mr. Winkles Hand, schüttelte sie mit äußerster Heftigkeit, schwur, Mr. Winkle sei ein Mann von außerordentlichem Mut, und er habe von ihm eine höhere Meinung als je.

»Aber jetzt«, sagte er, »setzen Sie sich. Erzählen Sie mir alles. Wieso haben Sie mich hier gefunden? Wann sind Sie mir nachgereist? Seien Sie offen! Sprechen Sie.«

»Es ist ganz zufällig«, erwiderte Mr. Winkle, in hohem Grade verblüfft über die sonderbare, unerwartete Art dieses Zusammentreffens, »reiner Zufall.«

»Freut mich«, sagte Dowler. »Ich wachte diesen Morgen auf und hatte meine Drohungen ganz vergessen. Lachte über die Geschichte. Ich hatte auch gar keine bösen Absichten gehabt. Sagte es auch sogleich.«

»Wem haben Sie es gesagt?« fragte Mr. Winkle.

»Meiner Frau. – ›Du hast ein Gelübde getan‹, sagte sie. – ›Ja.‹ – ›Es war recht unüberlegt‹, meinte sie. – ›Weiß ich wohl‹, sagte ich. ›Ich will es zurücknehmen. Wo ist er?‹«

»Wer?« fragte Mr. Winkle.

»Nun, Sie. Ich ging die Treppe hinunter, aber Sie waren nicht zu finden. Pickwick sah recht ärgerlich aus. Schüttelte den Kopf. Hoffte, es werden keine Gewalttätigkeiten vorkommen. Ich sah alles ein. Sie fühlten sich natürlich beleidigt und waren ausgegangen, vielleicht um einen Sekundanten zu holen. Vielleicht auch um Pistolen. ›Couragierter Gentleman‹, sagte ich. ›Ich bewundere ihn.‹«

Mr. Winkle hustete, und da er anfing einzusehen, wieviel es geschlagen hatte, nahm er eine höchst strenge Miene an.

»Ich habe ein Billett an Sie zurückgelassen«, fuhr Dowler fort. »Ich sagte, es tue mir aufrichtig leid. War auch so. Ein dringendes Geschäft rief mich hierher. Sie waren nicht zufrieden. Sind mir nachgereist. Wollten eine nähere Erklärung. Haben ganz recht. Aber jetzt ist alles vorbei. Mein Geschäft ist abgemacht. Morgen reise ich zurück. Fahren Sie mit mir.«

Je deutlicher sich Dowler in seiner abgerissenen Redeweise erklärte, desto würdevoller wurden Mr. Winkles Mienen. Mr. Dowler hatte augenscheinlich ebensoviel Abneigung gegen das Duell wie er selbst. Kurz und gut, dieser aufbrausende, schreckliche Mann war einer der exemplarischsten Hasenfüße, die lebten. Er hatte Mr. Winkles Abwesenheit durch die Brille seiner eigenen Furchtsamkeit betrachtet, denselben Schritt getan wie jener und sich wohlweislich zurückgezogen, bis jede Aufregung geschwunden sein werde.

Als der wirkliche Sachverhalt so in Mr. Winkles Kopf dämmerte, blickte er höchst grimmig drein und sagte, er habe vollständige Satisfaktion, und zwar in einem Tone, aus dem Mr. Dowler notwendigerweise schließen mußte, wäre dies nicht der Fall, so hätte es unausweichlich zu einer höchst schauderhaften Katastrophe kommen müssen. Mr. Dowler schien von der Großmut und Herablassung Mr. Winkles tief ergriffen zu sein, und die beiden kriegerischen Parteien verabschiedeten sich für die Nacht mit mannigfachen Versicherungen ewiger Freundschaft.

 

Ungefähr um halb ein Uhr, als Mr. Winkle etliche zwanzig Minuten im vollen, üppigen Genuß des ersten Schlafs geschwelgt hatte, wurde er plötzlich durch ein lautes Klopfen an seine Kammertür geweckt, das sich mit vermehrter Heftigkeit erneuerte und ihn veranlaßte, sich im Bett aufzurichten und zu fragen, wer da sei und was es denn gebe.

»Erlauben Sie, Sir, es ist ein junger Mann da, der sagt, er muß Sie sofort sprechen«, antwortete die Stimme des Stubenmädchens.

»Ein junger Mann?« rief Mr. Winkle.

»Ja, Sie werden es sogleich zu wissen bekommen, Sir«, ertönte eine andere Stimme durch das Schlüsselloch, »und wenn dieser interessante junge Mensch nich unverzüglich reingelassen wird, denn könnte es leicht passieren, daß er mit seine Beine früher als wie mit 'm Kopf reingetreten kommt.«

Der junge Mann stieß nach diesem zarten Wink mit dem Fuß an eines der unteren Türbretter, wie um seiner Bemerkung mehr Kraft und Nachdruck zu geben.

»Sind Sie's, Sam?« fragte Mr. Winkle, aus dem Bett springend.

»Is ja doch nich möglich, irgendein Gentleman auf 'ne Art und Weise zu identifizieren, wo ein gewissen Grad von geistige Befriedigung mit sich bringen tut, wenn man ihm nich sehen tut, Sir«, erwiderte die Stimme dogmatisch.

Mr. Winkle zweifelte nicht länger, wer der junge Mann sei, und öffnete die Tür. Aber kaum hatte er es getan, als Mr. Samuel Weller mit großer Hast eintrat, sorgfältig von innen abschloß, mit großem Bedacht den Schlüssel in die Westentasche steckte und, nachdem er Mr. Winkle von Kopf bis zu Fuß gemustert, anhob: »Sie sin ja 'n recht humoristischer junger Mann, Sir.«

»Was soll dies unglaubliche Benehmen, Sam?« rief Mr. Winkle entrüstet. »Verlassen Sie das Zimmer, Sir! Sofort! Was glauben Sie denn eigentlich, Sir?«

»Was ich glaube?« erwiderte Sam. »Nur nich so üppig, wie die junge Dame sagte, als sie mit dem Pastetenbäcker in Streit geriet, weil er 'ne Schweinspastete an sie verkaufte, wo innen nichts wie Fett war. Was ich glaube? Gut, ich glaube, daß das 'n ganz netter Spaß is.«

»Öffnen Sie die Tür und verlassen Sie sogleich dies Zimmer«, befahl Mr. Winkle.

»Ich werde dieses Zimmer hier haargenau in demselben Augenblick verlassen, wenn Sie es verlassen«, antwortete Sam in sehr eindringlichem Ton und setzte sich dabei gravitätisch nieder. »Falls ich es für nötig halten sollte, Ihnen huckepack wegzutragen, werde ich mir das nach Möglichkeit bis zuletzt aufsparen; aber gestatten Sie mir, die Hoffnung zu äußern, daß Sie mir nich zu solche Extremitäten treiben werden; währenddem, daß ich das sagen tue, fällt mir der feine Mann ein, wo die widerspenstige Auster mit der Nadel nich rauspulen konnte und denn sagte, daß er langsam Angst bekam, daß er ihr kaputtschlagen würde müssen.« Am Ende dieser für ihn ungewöhnlich langen Ansprache stemmte Mr. Weller seine Hände auf die Knie und sah Mr. Winkle mit einem Ausdruck ins Gesicht, in dem deutlich zu lesen war, daß er nicht die entfernteste Absicht habe, sich mit Ausflüchten abspeisen zu lassen.

»Sie sind ja 'n recht liebenswürdiger junger Mann, Sir«, fuhr Mr. Weller im Ton des moralischen Vorwurfs fort, »daß Sie unseren lieben Herrn in alle möglichen Sachen verwickeln, wo es doch sein Grundsatz ist, überall den graden Weg zu gehen. Sie sind noch viel schlimmer als wie Dodson, Sir, und was Fogg betrifft, den sehe ich geradezu als 'n geborenen Engel an gegen Sie.«

Nachdem Mr. Weller diese seine letzte Ansicht mit einem nachdrücklichen Schlag auf beide Knie begleitet hatte, verschränkte er mit entrüsteter Miene seine Arme und warf sich in seinen Stuhl zurück, als erwartete er die Verteidigung des Angeklagten.

»Mein guter Junge«, sagte Mr. Winkle, die Hand ausstreckend und mit den Zähnen klappernd, denn er war während der ganzen Lektion Mr. Wellers in einem leichten Nachtgewand dagestanden, »mein guter Junge, ich achte Ihre Anhänglichkeit an meinen vortrefflichen Freund hoch, und es tut mir in der Tat sehr leid, ihm Ursache zum Kummer gegeben zu haben. Da, Sam, da!«

»Gut«, sagte Sam mürrisch, obgleich er die hingebotene Hand ehrerbietig schüttelte, »es darf Ihnen wohl leid tun, und mir freut es ungemein, daß Sie mich hier getroffen haben; denn wenn ich ihm dazu helfen kann, denn soll ihm keine sterbliche Seele 'n Kummer machen.«

»Da haben Sie ganz recht, Sam«, erwiderte Mr. Winkle. »Aber jetzt gehen Sie zu Bett, und morgen früh wollen wir weiter über die Sache sprechen.«

»Tut mir riesig leid«, erklärte Sam, »aber ich kann nich zu Bett gehen.«

»Nicht zu Bett gehen?«

»Nein«, sagte Sam, den Kopf schüttelnd, »kann nich sein.«

»Sie werden doch nicht in der Nacht zurückreisen wollen, Sam?« drängte Mr. Winkle sehr überrascht.

»Nö, außer wenn Sie's absolut wünschen«, versetzte Sam; »aber ich darf dies Zimmer hier nich verlassen. Der Herr hat mir ganz eindeutige Befehle gegeben.«

»Unsinn, Sam«, sagte Mr. Winkle. »Ich muß zwei oder drei Tage hierbleiben, und was noch mehr ist, Sam, Sie müssen auch hierbleiben, um mir zu einer Zusammenkunft mit einer jungen Dame zu verhelfen – nämlich mit Miß Allen. Sie erinnern sich ihrer gewiß noch; ich muß und will sie sehen, bevor ich Bristol verlasse.«

Statt aller Antwort auf diesen Vorschlag schüttelte Sam mit großer Festigkeit das Haupt und erwiderte ausdrucksvoll:

»Geht absolut nich.«

Nach manchen Argumentationen und Vorstellungen Mr. Winkles jedoch und nach einer umständlichen Auseinandersetzung über das Zusammentreffen mit Dowler begann Sam zu schwanken, und zuletzt kam ein Vertrag zustande, dessen Hauptbedingungen folgende waren:

Daß sich Sam entfernen und Mr. Winkle im ungestörten Besitz seines Zimmers belassen solle, jedoch mit der Erlaubnis, die Tür von außen zu schließen und den Schlüssel mitzunehmen; dagegen habe er, im Fall ein Feuer ausbreche oder sonst eine Gefahr eintrete, die Tür sogleich zu öffnen. Ferner solle am nächsten Morgen in aller Frühe Mr. Dowler ein Brief an Mr. Pickwick mitgegeben werden, in dem Sam und Mr. Winkle um Erlaubnis bäten, zu dem bereits bezeichneten Zwecke in Bristol zu bleiben, und um eine Antwort mit der nächsten Postkutsche ersuchten. Falle diese günstig aus, so sollten sie bleiben – wo nicht, unmittelbar nach Empfang des Schreibens nach Bath zurückreisen. Endlich solle Mr. Winkle sich mit Wort verpflichten, in der Zwischenzeit nicht durch das Fenster, den Kamin oder sonst auf hinterlistige Art zu entweichen.

Nachdem diese Abmachungen festgesetzt waren, schloß Sam die Tür und ging.

Er war beinahe die Treppe unten, als er stehenblieb und den Schlüssel aus der Tasche zog.

»Ich habe ganz vergessen, ihn umzuhauen«, brummte er und drehte sich unschlüssig halb um. »Der Herr hat es doch ausdrücklich gesagt. Oh, ich Rindvieh. Aber macht nichts«, setzte er, sich plötzlich besinnend, hinzu, »läßt sich ja morgen leicht nachholen.«

Durch diesen Gedankengang augenscheinlich sehr getröstet, steckte er dann den Schlüssel wieder in die Tasche, ging ohne weitere Gewissensbisse die paar Stufen vollends hinunter und begrub sich kurz darauf, gleich den übrigen Bewohnern des Hauses, in seine Kissen.


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