Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiunddreißigstes Kapitel

Mr. Weller senior macht einige kritische Bemerkungen über Briefstellerei und Poesie und übt mit Hilfe seines Sohnes Samuel eine kleine Wiedervergeltung an dem hochwürdigen Herrn mit der roten Nase.


Am Morgen des dreizehnten Februar, der dem Tag, an dem der Prozeß Mrs. Bardells verhandelt werden sollte, vorausging, hatte Mr. Samuel Weller alle Hände voll zu tun, denn er mußte unaufhörlich von morgens neun Uhr bis mittags um zwei von dem »Georg und Geier« nach der Wohnung Mr. Perkers und wieder zurück gehen und kleine Briefe abgeben, in denen Mr. Pickwick, außer sich vor Unruhe, seinem Anwalt unaufhörlich die Frage schrieb: »Lieber Perker, steht alles gut?« Prompt antwortete Mr. Perker jedesmal: »Lieber Pickwick, den Umständen angemessen«, denn es ließ sich nicht gut etwas anderes berichten, ehe nicht die Sitzung des Gerichtshofes am folgenden Morgen vorüber war.

Sam hatte sich mittags mit einem sehr angenehmen kleinen Mahl erquickt und wartete in der Schenkstube auf das warme Getränk, mit dem er sich Mr. Pickwicks Weisung gemäß nach den Mühseligkeiten seiner Morgenwanderung stärken sollte, als ein junger Bursche von etwa drei Fuß Höhe, dessen Fellmütze und Barchent-Überhosen, ebenso wie seine ganze übrige Kleidung den lobenswerten Ehrgeiz verrieten, sich mit der Zeit zur Würde eines Stallknechts aufzuschwingen, in dem Hausflur des »Georg und Geier« nach ihm verlangte.

»Was, 'n alter Herr hat nach mir gefragt?« knurrte Sam mit tiefer Verachtung.

»Der Herr, wo die Postkutsche nach Ipswich fährt und bei uns absteigt«, erwiderte der Junge. »Er sagte gestern morgen zu mir, ich soll heute mittag in den ›Georg und Geier‹ gehen und nach Sam fragen.«

»Das is mein Vater, Schätzchen«, erklärte Mr. Weller mit einem erläuternden Blick der jungen Dame in der Schenkstube, »ich glaube wahrhaftig, er weiß meinen Familiennamen nich mehr. Na, und was will er denn von mir, du junger Frechdachs?«

»Na«, erwiderte der Junge, »Sie sollen heute abend um sechs in unser Haus kommen; er will Sie da treffen – ›Blauer Eber‹ auf dem Leadenhall Market. Soll ich ihm sagen, daß Sie kommen?«

»Ja, Sie können das melden, Sir«, erwiderte Sam, und der junge Gentleman entfernte sich, indem er sämtliche Echos in George Yard durch verschiedene diskrete und äußerst korrekte Nachahmungen von Kutscherliedern aufweckte, die er mit klangvollem Tone pfiff.

Nachdem Sam Weller Urlaub von Mr. Pickwick erhalten hatte, der in seinem Zustand von Aufregung und Angst gerne allein blieb, machte er sich lange vor der bestimmten Stunde auf den Weg, und da er noch über hinreichend Zeit zu verfügen hatte, schlenderte er nach Mansion House, wo er haltmachte und mit der Ruhe eines Philosophen die zahllosen Kutschen betrachtete, die sich zum großen Schrecken und zur Beunruhigung der vielen alten Damen dieses Viertels an diesem berühmten Sammelplatz einzustellen pflegten. Allda verweilte er etwa ein halbes Stündchen, kehrte dann um und begann durch eine Reihe von Nebenstraßen den Weg nach dem Leadenhall Market einzuschlagen. Da er seine überflüssige Zeit darauf verwandte, bei allen Gegenständen, die sich seinen Blicken darboten, stehenzubleiben und sie zu betrachten, so darf es nicht wundernehmen, daß er auch vor dem Fenster eines kleinen Buch- und Bilderhändlers haltmachte. Auffallend jedoch war, daß er beim Anblick der diversen zum Verkauf ausgesetzten Bilder plötzlich zusammenfuhr, mit dem rechten Fuß heftig auf den Boden stampfte und lebhaft ausrief: »Wahrhaftig, jetzt hätte ich beinahe die ganze Geschichte vergessen. Und denn nachher wäre es zu spät gewesen.«

Das Bild, an dem Sam Wellers Augen hingen, war ein mit starken Farben aufgetragenes Gemälde zweier durch einen Pfeil verbundener Menschenherzen, die auf einem lustigen Feuer gebraten wurden, während ein Kannibale und eine Kannibalin, beide modern gekleidet, der Herr in einem blauen Frack und weißen Beinkleidern, die Dame in einem dunkelroten Schal mit ditofarbigem Sonnenschirm, sich auf einem mit Kies bestreuten Schlangenpfad mit hungrigen Augen dem Mahl näherten. Ein entschieden unanständig mit ein paar Flügeln und sonst weiter nichts bekleideter junger Herr besorgte das Kochen. In einiger Entfernung erblickte man den Kirchturm von Langham Place, und das Ganze stellte einen Liebesbriefsteller vor, wovon, laut der geschriebenen Ankündigung im Fenster, hier ein großes Lager vorrätig war, das der Buchhändler an seine Landsleute stückweise zu dem herabgesetzten Preis von einem Schilling und sechs Pence zu verkaufen sich anheischig machte.

»Ich hätte es vergessen, wahrhaftig, ich hätte es vergessen«, murmelte Sam, ging sogleich in den Laden und verlangte einen Bogen feines Briefpapier mit goldenem Rand nebst einer hartgeschnittenen Feder, die aber nicht spritzen dürfe, und ging, nachdem er diese Artikel schnell erhalten, beschwingten Schrittes nach dem Leadenhall Market. Hier sah er sich um und erblickte ein Schild, auf dem die Kunst des Malers etwas dargestellt hatte, was eine entfernte Ähnlichkeit mit einem himmelblauen Elefanten darbot, der statt des Rüssels eine Adlernase besaß. Da er daraus mit Recht schloß, dies sei der »Blaue Eber«, trat er in das Haus und fragte nach seinem Vater.

»Er wird erst in drei viertel Stunden oder noch später kommen«, sagte die junge Dame, die den häuslichen Geschäften des »Blauen Ebers« vorstand.

»Sehr wohl, mein Schätzchen«, erwiderte Sam. »Haben Sie inzwischen die Güte, mir für neun Pence Brandy mit Wasser und zugleich das Schreibzeug zu geben.«

Das Verlangte wurde sogleich in das kleine Gastzimmer gebracht, und nachdem die junge Dame die Kohlen sorgfältig zusammengedrückt hatte, damit sie nicht zu hell lodern sollten, nahm sie das Schüreisen mit, um der Möglichkeit vorzubeugen, daß ohne vorher eingeholte Mitwisserschaft und Erlaubnis des »Blauen Ebers« das Feuer wieder mehr angefacht würde. Sam Weller setzte sich an einen Tisch nahe am Kamin, zog sein goldgerändertes Briefpapier nebst der hartgeschnittenen Feder aus der Tasche, betrachtete sie sorgfältig, ob sie nicht vielleicht ein Haar in der Spalte habe, blies den Tisch ab, um keine Brotkrumen unter das Papier zu bekommen, schlug seine Rockärmel zurück, legte seine Ellenbogen auf und schickte sich an zu schreiben.

Für die Damen und Herren, die sich in der Wissenschaft der Federführung keine praktischen Kenntnisse erworben haben, ist das Briefschreiben keineswegs eine leichte Aufgabe. Sie halten es in solchen Fällen für unumgänglich notwendig, den Kopf auf den linken Arm niederzubeugen, so daß die Augen möglichst in gleicher Höhe mit dem Papier liegen, und, während Seitenblicke auf die eben entstehenden Buchstaben fallen, die Zunge die entsprechenden Laute nachsprechen zu lassen. So zweckmäßig and förderlich diese Maßnahmen auch unbestreitbar für originelle Kompositionen sein mögen, so verzögern sie doch die Geschwindigkeit beim Schreiben einigermaßen, und Sam hatte, ohne es zu merken, schon volle anderthalb Stunden geschrieben, wobei er häufig mißratene Buchstaben mit seinem kleinen Finger auslöschte und neue an ihre Stelle setzte, wobei oft große Nachhilfe nötig war, um sie durch die alten Flecken hindurch sichtbar zu machen, als er auf einmal durch das Aufgehen der Tür und den Eintritt seines Vaters unterbrochen wurde.

»Na, Sammy!« rief Mr. Weller senior.

»Na, alte biedere Haut!« antwortete der Sohn und legte die Feder weg. »Wie is es mit der Stiefmutter? Wie lautet die neueste Bekanntmachung?«

»Mrs. Weller verbrachte 'ne recht gute Nacht; aber sie is heute morgen vollkommen verdreht und launisch; unterzeichnet: S. Weller, Hochwohlgeboren senior. Das is die letzte Nachricht, wo ausgegeben wurde, Sammy«, antwortete Mr. Weller und knotete sein Halstuch auf.

»Also noch nich besser?« forschte Sam.

»Ach was, alle Anzeichen haben sich verschlimmert«, entgegnete Mr. Weller kopfschüttelnd. »Aber was treibst du da? Womöglich wissenschaftliche Beschäftigung unter erschwerende Umstände, Sammy?«

»Ich bin schon fertig«, sagte Sam etwas verlegen, »hab da bloß was geschrieben.«

»Das sehe ich«, erwiderte Mr. Weller, »aber doch nich etwa an 'n junges Frauenzimmer, Sammy, will ich doch hoffen?«

»Warum soll ich es nich sagen?« versetzte Sam. »Es is 'n Liebesbrief.«

»Was is es?« rief Mr. Weller, offensichtlich starr vor Entsetzen über dieses Wort.

»'n Liebesbrief«, wiederholte Sam.

»Samuel, Samuel!« sagte Mr. Weller in vorwurfsvollem Ton, »das hätte ich nicht von dir erwartet. Wo dir doch die lästerliche Neigung deines Vaters hätte warnen müssen, wo ich dir so viel über diese Sache gesagt habe, wo du sogar selber deine Stiefmutter gesehen hast und mit ihr zusammen gewesen bist, da würde ich doch annehmen, das mußte dir eine moralische Lehre sein, wo niemand vergessen kann. Bis zu seinem letzten Tage nich! Das hätte ich nicht erwartet, Sammy, das hätte ich nicht erwartet, daß du so was machen würdest!« Der gute alte Mann wurde von seinen eigenen Betrachtungen überwältigt; er führte Sams Krug an seine Lippen und trank ihn aus.

»Na, was is denn dabei?« sagte Sam.

»Jedenfalls, Sammy«, erwiderte Mr. Weller, »wird es mir auf meine alten Tage ein schwerer Kummer sein. Aber ich bin ja zum Glück schon ziemlich zähe geworden, und das ist mein Trost, wie der alte Puter sagte, als der Pächter meinte, er wollte ihn für den Markt schlachten.«

»Was wird dir Kummer machen?« erkundigte sich Sam.

»Wenn ich dir verheiratet sehen werde, Sammy, wenn ich dir als betörtes Schlachtopfer erblicken muß«, erwiderte Mr. Weller, »wo obendrein noch in seiner unschuldigen Dummheit glaubt, daß es glücklich wird. Ach, Sammy, das is 'n schrecklicher Kummer für 'n Vaterherz.«

»Unsinn!« sagte Sam. »Ich will mir doch gar nich verheiraten. Mach dir keine Sorgen deswegen; ich weiß doch, daß du in solchen Sachen ordentlich beschlagen bist. Steck dir 'ne Feife ins Gesicht, und ich will dir den Brief vorlesen.«

Ob es nun die Aussicht auf die Pfeife oder der tröstliche Gedanke war, daß ein Heiratstrieb unwiderstehlich im Blut der Familie stecke, was Mr. Wellers Unruhe beschwichtigte und seinen Kummer verscheuchte, jedenfalls klingelte er, um sich Tabak bringen zu lassen, zog seinen Überrock aus, nahm die Pfeife, stellte sich mit dem Rücken gegen den Kamin, so daß er dessen volle Hitze empfing und sich zugleich an das Kaminsims anlehnen konnte, wandte sich zu Sam und bat ihn mit einer durch den besänftigenden Eindruck des Tabaks um ein Erkleckliches aufgeheiterten Miene um Feuer.

Sam tauchte seine Feder ein, um sich zu allen nötigen Verbesserungen bereit zu halten, und begann mit theatralischem Pathos: »›Liebliches+…‹«

»Halt!« unterbrach Mr. Weller und klingelte wieder, »'n Doppelglas von dem Bewußten, liebes Kind!«

»Ganz recht, Sir«, erwiderte das Mädchen, das mit großer Schnelligkeit erschien, verschwand, wieder erschien und wieder verschwand.

»Sie scheinen deinen Geschmack hier schon zu kennen«, bemerkte Sam. »Also: ›Liebliches Wesen+…‹«

»Stürzt du dir etwa in Verse?« unterbrach der Vater.

»Nein, nein!« versicherte Sam.

»Das freut mich zu hören. Verse sind was ganz Unnatürliches, kein Mensch redet in Verse, außer den Büttel an Boxtage oder die, wo Warrens Schuhwichse oder Makassaröl ausschreien und anderes Lumpengesindel von der Sorte. Du darfst also nie im Leben so weit runterkommen, mein Sohn, daß du in Verse sprichst.« – Mr. Weller führte mit kritischer Feierlichkeit seine Pfeife wieder an den Mund, und Sam begann abermals:

»›Liebliches Wesen, ich fühle mir ganz beschmiert+…‹«

»Is kein schicklicher Ausdruck«, verwies Mr. Weller und nahm die Pfeife aus dem Mund.

»Ach nein, heißt auch nicht ›beschmiert‹«, wandte Sam ein und hielt den Brief ans Licht, »es heißt ›beschämt‹, es is 'n Tintenklecks da – ›ich fühle mir beschämt!‹«

»Na gut«, brummte Mr. Weller, »weiter!«

»›Fühle mir beschämt und gänzlich ver…‹ Da weiß ich schon wieder nich, wie das Wort heißt«, murmelte Sam und kratzte sich in vergeblichen Bemühungen, die Buchstaben zu entziffern, mit der Feder am Kopf.

»Warum liest du nich?« forschte Mr. Weller.

»Ich lese doch«, antwortete Sam, »aber da is schon wieder so 'n Tintenklecks; ich erkenne bloß 'n v und 'n e.«

»Verloren vielleicht?« riet Mr. Weller.

»Nö, is es nich. Verzaubert. Das is es!«

»Is aber kein so gutes Wort wie ›verloren‹, Sammy«, wendete Mr. Weller ernsthaft ein.

»Meinst du nich?«

»Mag vielleicht zärtlicher sein«, gab Mr. Weller nach einigem Nachdenken zu. »Lies weiter, Sammy!«

»›Fühle mir beschämt und vollständig verzaubert, indem daß ich an Ihnen schreibe, denn Sie sind so ein hübsches Mädchen, wie keine andere nicht.‹«

»Sehr hübsch gesagt«, meinte Mr. Weller senior und nahm die Pfeife aus dem Mund, um seiner Bemerkung Platz zu machen.

»Ja, ich denke, es is nich übel«, gab Sam zu und fühlte sich höchlichst geschmeichelt.

»Was mir an diese Art Schreibweise besonders gefallen tut«, sagte Mr. Weller senior, »is, daß da keine solche fremden Namen drin vorkommen, keine Venüsse und so was; was kommt dabei raus, Sammy, daß man ein junges Weibsbild Venus oder Engel nennt?«

»Da hast du ganz recht«, erwiderte Sam.

»Ebensogut könntest du sie Vogel Greif oder Einhorn nennen, was doch bekanntlich auch bloß fabelhafte Tiere sind, was?«

»Ganz richtig. – Also: ›Bevor ich Ihnen zu Gesicht bekam, dachte ich, alle Frauenzimmer sind egal+…‹«

»Das sind sie aber auch«, warf Mr. Weller senior in Parenthese hin.

»›… aber jetzt merke ich erst, was für ein Hornochse ich gewesen bin, denn es gibt kein Frauenzimmer, wo Ihnen gleichen tut, und ich liebe Ihnen mehr, als wie alle andern zusammen.‹ – Ich dachte, es haut am besten hin, wenn ich's 'n bißchen wuchtig mache«, erklärte Sam aufschauend.

Mr. Weller nickte beifällig.

»›Ich bediene mir also, Mary, mein Schatz, mit dem Prifilegium dieses Tages – wie der verschuldete Schenlmän, als er am Sonntag ausging – um Ihnen zu sagen, daß Ihr Bild sich das erste und einzige Mal, als ich Ihnen sah, schneller und in glänzendere Farben in mein Herzen eindrückte, als wie jemals ein Bild von der Silhouttiermaschine aufgefaßt wurde (Sie haben vielleicht auch schon von gehört, liebste Mary), obgleich dieselbe ein Portreh nebst Rahmen, Glas und Haken zum Aufhängen innerhalb von zweiundeineviertel Minute fix und fertig macht.‹«

»Ich habe Sorge, Sammy, das streift schon wieder ans Poetische«, meinte Mr. Weller unschlüssig.

»Ganz und gar nicht«, erwiderte Sam und las schnell weiter, um weitere Erörterungen über diesen Punkt zu vermeiden. »›Nehmen Sie mir als Ihren Fallentin an, schönste Mary, und überlegen Sie, was ich gesagt habe. – Meine teuerste Mary, jetzt will ich schließen.‹ – Das is alles«, setzte er hinzu.

»'n bißchen plötzlich angehalten, Sammy«, meinte Mr. Weller.

»Ach wo«, erklärte Sam. »Sie wird eben wünschen, daß noch mehr kommt, und das is eben die große Kunst beim Briefschreiben.«

»Na gut. Auch nich ohne. Ich wünschte bloß, daß deine Stiefmutter sich in ihre Unterhaltungen nach dasselbe Prinzip richten würde. Aber willst du nich mit Namen unterzeichnen?«

»Das ist doch die Schwierigkeit«, meinte Sam, »ich weiß nich, wie ich unterzeichnen soll.«

»Unterzeichne doch ›Weller‹«, riet der älteste noch lebende Träger dieses Namens.

»Nicht doch«, sagte Sam, »als Fallentin darf man doch nicht mit dem eigenen Namen unterzeichnen.«

»Na, denn schreib ›Pickwick‹. 's is 'n sehr hübscher Name und läßt sich auch leicht buchstabieren.«

»Da hast du recht«, sagte Sam. »Da könnte ich auch mit 'nem Vers schließen. Was hältst du davon?«

»Will mir nich recht gefallen, Sam. Habe noch nie 'n ehrenwerten Kutscher kennengelernt, wo in Verse schreiben tat, außer einen einzigen, und der wurde in der Nacht darauf wegen Straßenraubs gehängt, 's war aber bloß einer aus Camberwell und muß also als Ausnahme angesehen werden.« Sam ließ sich jedoch von seiner poetischen Idee, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatte, nicht mehr abbringen und schrieb unter den Brief:

»Von Liebe krank den Brief ich schick
Ihr guter Freund Pickwick.«


Sodann faltete er das Schreiben auf eine höchst verwickelte Art zusammen und verfertigte in einem schiefen Winkel die Adresse: »An Mary, Dienstmädchen bei Mayor Nupkins, Ipswich, Suffolk«, versiegelte es und steckte es in seine Tasche, um es selbst auf die Post zu tragen. Nachdem dieses wichtige Geschäft beendet war, brachte Mr. Weller senior die Angelegenheit, deretwegen er seinen Sohn hatte rufen lassen, zur Sprache.

»Vor allem, Sammy«, sagte er, »wollen wir von deinem Herrn sprechen. Wird nich sein Prozeß morgen verhandelt werden?«

»Allerdings.«

»Na gut. Ich habe mir nun gedacht, er wird vielleicht 'n paar Zeugen brauchen, damit daß er seinen guten Ruf nachweisen tut, oder vielleicht auch seinen Alibi. Die ganze Geschichte is mir lange im Kopf rumgegangen, aber jetzt kann er ohne Sorgen sein, Sammy. Ich habe 'n paar Freunde parat, die werden beides für ihn beschwören; ich habe bloß noch den Rat für ihn, daß er nich so sehr fest auf seinem guten Ruf bestehen soll, lieber soll er sich mit den Alibi begnügen. Ich versichere dir, Sammy, es geht nichts über einen Alibi.«

Mr. Weller blickte sehr gelehrt drein, als er dieses Rechtsgutachten abgab, begrub seine Nase in dem Humpen und blinzelte über den Rand hinüber seinem erstaunten Sohne zu.

»Was meinst du damit?« fragte Sam. »Glaubst du vielleicht, sein Prozeß wird in Old Bailey verhandelt?«

»Kommt hier weiter nich in Betracht, Sammy. Die Sache mag abgehandelt werden, wo sie will, 'n Alibi muß seine Freisprechung bewirken. Wir haben Tom Wildpark, der auf Totschlag angeklagt war, mit 'nem Alibi losgekriegt, als alle die gelehrten Perücken dachten, ihn kann nichts mehr retten. Wenn dein Herr keinen Alibi nich nachweisen kann, denn is er unten durch, wie die Italiener sagen.«

Da Mr. Weller der festen und unabänderlichen Überzeugung war, Old Bailey sei der oberste Gerichtshof des Landes und nach seinen Normen müßten sich alle übrigen richten, so achtete er sehr wenig auf die Versicherungen und Beweisgründe seines Sohnes, der ihm auseinandersetzen wollte, daß ein Alibi hier unzulässig sei, und behauptete mit großer Heftigkeit, in diesem Fall werde Mr. Pickwick »ein Schlachtopfer«. Als Sam sich endlich überzeugt hatte, daß ein weiteres Streiten über diesen Gegenstand doch zu nichts führen würde, brach er davon ab und fragte nach dem zweiten Punkt, über den sein verehrter Vater sich mit ihm zu beraten wünschte.

»Es betrifft die häuslichen Angelegenheiten, Sammy«, sagte Mr. Weller. »Dieser Stiggins da+…«

»Der Rotnasige?«

»Ja, derselbe. Dieser rotnasige Schlingel besucht deine Stiefmutter mit 'ner Freundlichkeit und Beharrlichkeit, wo ihresgleichen sucht. Er is 'n solcher Freund unsrer Familie, Sammy, daß es ihm außerhalb unsres Hauses nirgends wohl ist, wofern er nich irgend 'n Andenken an uns hat.«

»An deiner Stelle«, meinte Sam, »würde ich ihm 'n Denkzettel auf 'n Rücken schreiben, den er die nächsten zehn Jahre nich vergessen sollte.«

»Nur nichts übereilen«, wandte Mr. Weller ein, »ich wollte gerade sagen, er bringt jedesmal 'ne Flasche mit, wo so ihre anderthalb Maß enthält, und ehe er geht, füllt er sie mit Ananasgrog.«

»Und wahrscheinlich leert er sie jedesmal, bevor er wiederkommt?«

»Bis auf den letzten Tropfen! Er läßt nich mehr übrig als den Korken und den Geruch. Und diese Halunken wollen heute nacht an der Monatsversammlung von der Bricklane-Abteilung, von den vereinigten großen Ebenezer-Mäßigkeitsvereinen dran teilnehmen. Deine Stiefmutter wollte auch hingehen, Sammy, aber sie hat sich verkühlt und kann nich; na, und da habe ich die beide Einlaßkarten eingesteckt, wo sie ihr geschickt haben.«

Mr. Weller brachte dieses Geheimnis mit großer Fröhlichkeit vor und blinzelte dabei so unermüdlich, daß Sam schon glaubte, er habe einen Krampf im rechten Augenlid.

»Na und?«

»Na und«, fuhr Sams Erzeuger fort und blickte vorsichtig umher, »wir beide wollen heute abend frühzeitig hingehen, und der Vizehirt will nich, Sammy, der Vizehirt will nich.«

Wie von einem Paroxismus ergriffen, fing Mr. Weller aus vollem Halse zu lachen an und lachte so lange, als es ein ältlicher Herr nur wagen kann, wenn er nicht geradezu ersticken will.

»Sammy«, flüsterte er dann und blickte mit noch größerer Vorsicht um sich, »ich muß dir was erzählen. Zwei von meine Freunde, was auf der Oxfordstreet fahren tun und gerne mal 'n Spaß haben, die haben den Vizehirten ins Schlepptau genommen, und wenn er in den Ebenezer-Verein kommt, denn wird er so voll Grog sein, wie er jemals im ›Marquis von Granby‹ gewesen is, und das will bestimmt allerhand heißen.«

Bei diesen Worten schlug Mr. Weller senior abermals ein unmäßiges Gelächter an und verfiel aufs neue in einen Zustand unvollständiger Erstickung.

Nichts hätte mit Sam Wellers Gefühlen und Wünschen mehr übereinstimmen können als dieser Plan zur Entlarvung des rotnasigen Heuchlers, und da die Zeit zur Versammlung herannahte, machte er sich mit seinem Vater auf den Weg nach Bricklane; dabei vergaß er natürlich nicht, seinen Brief gelegentlich auf einem Postbüro abzugeben.

 

Die monatlichen Versammlungen der Bricklane-Abteilung des Vereinigten großen Ebenezer Mäßigkeitsvereins wurden in einem großen freundlich und luftig gelegenen Saal gehalten, in den man vermittels einer sichern und bequemen Leiter leicht gelangen konnte. Präsident war ein gewisser Mr. Anthony Humm, ein bekehrter Spritzenmann, derzeit Schulmeister und gelegentlich Wanderprediger. Das Sekretariat bekleidete Mr. Jonas Mudge, Inhaber eines Kramladens, ein enthusiastisches, uneigennütziges Mitglied, das an die Gesellschaft den Tee verkaufte, denn vor Beginn der Geschäfte pflegten die Damen, auf Bänken sitzend, so lange Tee zu trinken, bis sie nicht mehr konnten, während auf dem mit einem grünen Tuch überzogenen Amtstisch, jedermann weithin sichtbar, eine große hölzerne Geldbüchse stand und hinter ihr der Sekretär, um jeden neuen Zuwachs der darin verborgenen Kupfermünzensammlung mit holdseligem Lächeln zu quittieren.

Dieses Mal tranken die Damen wirklich unglaublich viel Tee, zum großen Abscheu Mr. Wellers senior, der trotz aller warnenden Winke Sams mit dem unverstelltesten Erstaunen nach allen Richtungen umherstarrte.

»Sammy«, flüsterte er, »wenn morgen früh nich mehrere von die Weiber abgezapft werden müssen, denn bin ich nich dein Vater, und damit Punktum. Sieh bloß, die Alte da neben mir ersäuft noch im Tee.«

»Kannst du denn gar nich ruhig sein?« brummte Sam.

»Sammy«, flüsterte Mr. Weller einen Augenblick später im Ton tiefster Bewegung, »merke dir, was ich jetzt sagen tue: Wenn der Sekretär da bloß noch fünf Minuten so weitermacht, denn muß er vor lauter Butterbrot und Wasser auseinanderplatzen.«

»Na, laß ihn doch, wenn es ihm Spaß macht«, erwiderte Sam, »es geht dir doch nichts an.«

»Wenn das so weitergeht, Sammy«, flüsterte Mr. Weller, der sich gar nicht beruhigen konnte, »denn halte ich es für meine Menschenpflicht, aufzustehen und mir an den Präsidenten zu wenden. Dort auf der dritten Bank, da sitzt 'n junges Frauenzimmer, die hat schon neuneinhalb große Tassen getrunken; die schwillt richtig an, ich seh es ganz deutlich.«

Ohne allen Zweifel hätte Mr. Weller seine wohlwollende Absicht sofort ausgeführt, hätte ihn nicht zum Glück ein großes Geräusch, das durch Abräumen der Tassen und Kannen entstand, daran erinnert, daß die Teezeit vorüber war. Nach Entfernung des Geschirrs wurde der grüne Tisch mitten in den Saal gestellt, und ein sehr lebhafter kleiner Mann mit einem Kahlkopf und lichtbraunen Kniehosen, der hurtig und mit augenscheinlicher Gefahr, seine zwei in besagte lichtbraune Hosen eingeschlossene Schenkelchen zu verlieren, die Leiter erkletterte, eröffnete die Sitzung mit der Ansprache:

»Meine Herren und Damen, ich mache den Vorschlag, daß unser vortrefflicher Bruder, Mr. Anthony Humm, den Präsidentenstuhl einnehme.«

Die Damen ließen auf diesen Vorschlag eine auserlesene Sammlung von Taschentüchern wehen, und der ungestüme kleine Mann beförderte Mr. Humm im buchstäblichen Sinn des Wortes in den Präsidentenstuhl, indem er ihn an den Schultern nahm und in einen alten Mahagonisessel warf.

Mr. Humm, ein Mann mit blassem Gesicht, der sich beständig in Transpiration befand, verbeugte sich holdselig zum großen Entzücken der Damen und waltete sofort mit würdevoller Feierlichkeit seines Amtes. Der kleine Mann in den lichtbraunen Hosen gebot Stillschweigen und las folgendes Dokument vor:

 

»Bericht
des Komitees der Bricklane-Abteilung des Vereinigten Großen Ebenezer Mäßigkeitsvereins

Das Komitee hat im verflossenen Monat seine dankbaren Arbeiten fortgesetzt und kann mit unaussprechlichem Vergnügen folgende neue Bekehrungen zur Mäßigkeit mitteilen:

I. Mr. Walker, Schneider, nebst Frau und zwei Kindern.

Er bekennt, in bessern Umständen täglich Ale und Bier getrunken zu haben, und weiß nicht mit Bestimmtheit anzugeben, ob er nicht seit zwanzig Jahren wöchentlich zweimal ›Hundsnase‹ genossen hat, ein Getränk, das den Nachforschungen unseres Komitees zufolge aus warmem Porter, Farinzucker, Wacholderbranntwein und Muskatnuß gebraut wird. (Stöhnen und Zustimmung im Publikum.) Gegenwärtig ist er ohne Arbeit und ohne Geld und der Ansicht, daß daran der Porter (Beifall) oder der Umstand schuld ist, daß er seine rechte Hand nicht mehr gebrauchen kann. Er ist zwar noch im Zweifel darüber, hält es aber für sehr wahrscheinlich, daß, wenn er in seinem ganzen Leben nichts als Wasser getrunken hätte, sein Geselle ihn nicht mit einer verrosteten Nadel gestochen und dadurch sein Unglück herbeigeführt haben würde. (Stürmischer Beifall.) Er trinkt jetzt lediglich kaltes Wasser und fühlt sich nicht mehr so durstig wie zuvor. (Lauter Beifall.)

II. Betsy Martin, Witwe mit einem Kind und einem Auge.

Sie wäscht um Tagelohn, hat nie mehr als ein Auge besessen, weiß aber, daß ihre Mutter starkes Doppelbier trank, und würde sich nicht wundern, wenn ihr Unglück davon herrührte. Sie hält es nicht für ausgeschlossen, daß sie, wenn sie sich stets geistiger Getränke enthalten hätte, dadurch den Gebrauch ihres andern Auges auch erlangt haben würde. (Stürmischer Zuruf.) Sie erhielt gewöhnlich an jedem Ort, wohin sie ging, täglich achtzehn Pence, eine Maß Porter und ein Glas Brandy, hat aber, seitdem sie Mitglied der Bricklane-Abteilung geworden, statt dessen immer drei Schilling und sechs Pence verlangt. (Die Verkündigung dieses höchst interessanten Falles wurde mit Enthusiasmus aufgenommen.)

III. Henry Beller – war viele Jahre hindurch Toastausbringer bei den Diners mehrerer Korporationen und hat in dieser Zeit eine Menge ausländische Weine getrunken, mag auch zuweilen eine Flasche oder zwei mit nach Hause genommen haben – weiß dies zwar nicht ganz gewiß, ist aber überzeugt, daß er, wenn er es tat, sie auch ausgetrunken hat. Er fühlt sich sehr niedergeschlagen, hat oft Fieber, leidet an beständigem Durst und glaubt, dies seinem früheren Weintrinken zuschreiben zu müssen. (Beifall.) Ist gegenwärtig ohne Beschäftigung und rührt unter keinen Umständen mehr einen Tropfen fremden Wein an. (Schallender Zuruf.)

IV. Thomas Burton – versorgt den Lordmajor, die Sheriffs und mehrere Mitglieder des Geheimrats mit Katzenfleisch (atemlose Aufmerksamkeit, als der Name dieses Gentleman genannt wird), hat ein hölzernes Bein, findet es kostspielig, damit über das Pflaster zu gehen, pflegte sich alte gebrauchte hölzerne Beine zu kaufen und jeden Abend ein Glas heißen Wacholderbranntwein mit Wasser zu trinken – manchmal auch zwei. (Tiefe Seufzer.) Fand, daß die alten, schon gebrauchten hölzernen Beine sehr schnell zersplitterten und faulten, und ist fest überzeugt, daß ihre Beschaffenheit durch den Genuß von Wacholderbranntwein mit Wasser untergraben wurde. (Anhaltender Beifall.) Kaufte sich kürzlich neue hölzerne Beine und trinkt nichts als Wasser und schwachen Tee. Die neuen Beine halten zweimal so lange als die andern, und er schreibt dies einzig und allein seiner gegenwärtigen Mäßigkeit zu.« (Triumphgeschrei.)

 

Anthony Humm machte sodann den Vorschlag, ein Lied zu singen. Mit besonderer Rücksicht auf die geistlich-sittlichen Genüsse der Versammelten habe Bruder Mordlin die schönen Verse: »Wer kennt ihn nicht, den lustigen Matrosen« und so weiter, einer alten wohlbekannten Volksmelodie angepaßt und bitte nun, ihn bei diesem Liede zu akkompagnieren. (Großer Beifall.) Zugleich nähme er Gelegenheit, seine feste Überzeugung auszusprechen, daß der selige Mr. Dibdin, der Komponist, nachdem er die Irrtümer seines früheren Lebenswandels eingesehen, dieses Lied geschrieben habe, um die Vorteile der Enthaltsamkeit darzutun. »Es ist«, sagte Mr. Humm, »ein Temperenzlerlied.« (Wirbelwind von Beifall.) »Der schmucke Anzug des interessanten jungen Mannes im Liede, die Gewandtheit seiner Bewegungen, der beneidenswerte Gemütszustand, kraft dessen er, um mit den schönen Worten des Dichters zu sprechen, ›Dahingerudert aller Sorgen bar‹ und so weiter, alles dies vereinigt sich zu dem Beweise, daß er ein Wassertrinker gewesen sein muß. (Beifall.) O welch ein Zustand tugendhafter Fröhlichkeit!« (Entzückter Beifall.)

Während des Gesangs verschwand das kleine Männlein mit den lichtbraunen Hosen, kehrte aber nach Beendigung desselben schnell zurück und flüsterte mit überaus wichtiger Miene dem Präsidenten etwas ins Ohr.

»Meine Freunde und Freundinnen«, sprach Mr. Humm, indem er, um Ruhe bittend, seine Hand emporhob, um diejenigen von den alten Damen, die noch um ein paar Takte zurück waren, zum Schweigen zu bringen, »meine Freunde und Freundinnen, ein Abgesandter der Dorkinger-Abteilung unserer Gesellschaft, Bruder Stiggins, wartet unten, erfahre ich soeben.«

Aufs neue flogen die Taschentücher heraus und wehten stärker als je, denn Mr. Stiggins war bei den weiblichen Mitgliedern von Bricklane außerordentlich beliebt.

»Also soll er kommen, dächte ich«, sagte Mr. Humm, mit einem fetten Lächeln um sich blickend. »Bruder Tadger, führen Sie ihn herauf.«

»Er kommt, Sammy«, flüsterte Mr. Weller und wurde vor unterdrücktem Lachen purpurrot im ganzen Gesicht.

»Sprich jetzt nicht«, mahnte Sam, »ich kann mir sonst nich halten. Er is dicht vor der Tür. Ich höre, wie er mit dem Kopp an die Latten und an die Wand anschlägt.«

Gleich darauf flog die kleine Tür auf und herein trat Bruder Tadger, gefolgt von dem ehrwürdigen Mr. Stiggins, dessen Anblick mit gewaltigem Applaus, Füßegetrampel und Taschentücherwehen begrüßt wurde – Freudenbezeigungen, die er nur dadurch erwiderte, daß er mit stieren Augen und einem dummen Lächeln in das Licht auf dem Tisch glotzte, wobei er höchst unsicher hin und her schwankte.

»Sind Sie unwohl, Bruder Stiggins?« fragte Mr. Anthony Humm flüsternd.

»Ach was, mir ist ganz gut, Sir«, erwiderte Mr. Stiggins heftig, aber mit schwerer Zunge. »G–ganz g–gut, Sir.«

»Oh, bitte sehr«, entschuldigte sich Mr. Anthony Humm und wich ein paar Schritte zurück.

»Ich hoffe, daß sich hier niemand unterstehen wird, zu sagen, es sei mir nicht g–ganz g–gut, Sir!« schrie Mr. Stiggins.

»Oh, gewiß nicht«, erwiderte Mr. Humm.

»Hätt es auch niemand geraten, Sir; h–hätt es niemand ge–geraten«, lallte Mr. Stiggins.

Inzwischen war die ganze Versammlung mäuschenstill geworden und sah mit Bangigkeit dem weitern Verlauf der Dinge entgegen.

»Wollen Sie vielleicht eine Rede an die Versammlung halten?« fragte Mr. Humm mit einem einladenden Lächeln.

»Nein, Sir«, erwiderte Mr. Stiggins, »nein Sir; ich will nicht, Sir.«

Die Versammelten blickten einander mit großen Augen an und ein Murmeln der Verwunderung lief durch den Saal.

»Meine Meinung, Sir, ist –«, begann Mr. Stiggins mit sehr lauter Stimme und knöpfte seinen Rock auf, »m–meine M–Meinung, Sir, ist – d–daß diese Versammlung b–betrunken ist, Sir. Bruder Tadger«, fuhr er fort, wurde immer aufgeregter und drehte sich barsch nach dem kleinen Männchen in den lichtbraunen Hosen um, » Sie sind betrunken, Sir.«

Da naturgemäß Mr. Stiggins den Wunsch hegte, die Nüchternheit der Versammlung zu fördern und deswegen alle ungeeigneten Charaktere auszuschließen, so schlug er nach Bruder Tadger und traf seine Nasenspitze mit solcher Sicherheit, daß die lichtbraunen Höslein wie ein Blitz verschwanden. – Bruder Tadger war kopfüber die Leiter hinabgestürzt.

Sofort erhoben die Damen ein lautes Jammergeschrei, stellten sich gruppenweise vor ihren Lieblingsbrüdern auf und schlangen die Arme um sie, um sie vor Gefahren zu schützen. Dieser Beweis von Zärtlichkeit wäre Mr. Humm beinahe schlecht bekommen, denn da er ungemein beliebt war, so warfen sich ihm so viele fromme Schöne an den Hals und hingen sich so fest an ihn, daß er beinahe erstickt wäre. Der größere Teil der Lichter wurde ausgelöscht, und von allen Seiten hörte man nichts als Geschrei und wildes Lärmen.

»Jetzt, Sammy«, sagte Mr. Weller und entledigte sich mit großer Kaltblütigkeit seines Überziehers, »jetzt geh raus und hole 'n Konstabler.«

»Und was willst du einstweilen unternehmen?« fragte Sam.

»Laß mich nur machen, Sammy. Ich will inzwischen mit diesem Stiggins 'n bißchen abrechnen.«

Und ehe noch Sam es verhindern konnte, war sein heroischer Vater in einen entfernten Winkel des Saales gedrungen, wo er Ehrwürden Mr. Stiggins mit ungemeiner Geschicklichkeit angriff.

»Komm mit!« rief ihm Sam zu.

»Nur ran, du Halunke!« schrie Mr. Weller seinem Gegner zu. Und ohne weitere Aufforderung versetzte er Ehrwürden Mr. Stiggins einen gewaltigen Faustschlag auf den Kopf und tanzte, während er ihn bearbeitete, so flink und lustig um ihn herum, wie man es von einem Herrn in seinem Alter gar nicht erwartet hätte.

Da Sam sah, daß alle seine Vorstellungen vergeblich waren, drückte er seinen Hut fest auf den Kopf, warf seines Vaters Überrock über die Schultern, faßte den alten Herrn fest um den Leib und zog ihn mit Gewalt die Leiter hinab und auf die Straße; ja, er ließ ihn nicht eher los, bis sie die Ecke erreicht hatten.

Von dort noch konnten sie das Geschrei der versammelten Volksmenge, die Zeuge der Abführung Ehrwürden Stiggins in ein wohlverwahrtes Nachtquartier war, und den Lärm vernehmen, unter dem sich die Mitglieder der Bricklane-Abteilung des Vereinigten großen Ebenezer Mäßigkeitsvereins nach allen Richtungen zerstreuten.


 << zurück weiter >>