Charles Dickens
Nikolas Nickleby
Charles Dickens

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41. Kapitel

Behandelt einen höchst romantischen Auftritt zwischen Mrs. Nickleby und dem Herrn in den Kniehosen

Seit ihrer letzten inhaltsreichen Unterredung mit ihrem Sohn hatte Mrs. Nickleby allmählich angefangen, auf ihr Äußeres eine ungewöhnliche Sorgfalt zu verwenden, indem sie nach und nach ihrer bisherigen Witwentracht eine Menge von Ornamenten hinzufügte, die vielleicht an und für sich unbedeutend waren, aber zusammengenommen einen gewissen Knalleffekt anzustreben schienen. Sogar das trübe Schwarz ihrer Kleidung bekam durch die mädchenhaft neckische Art, mit der sie sich trug, etwas Fröhlichlachendes, und ihre Trauerkleider, so abgenutzt sie auch waren, erschienen in ganz neuem Licht durch kluge Verteilung gewisser jugendlich wirkender Schmucksachen, die, wahrscheinlich nur ihres geringen Wertes wegen dem allgemeinen Schiffbruch entronnen, bisher friedlich im Winkel irgendeiner alten Kommode oder Schachtel, wohin nur selten das Tageslicht drang, eine Art Todesschlaf gehalten hatten. Ganz leise und allmählich wurden so aus dem äußeren Zeugnis der Hochachtung für den Verblichenen und des Leides um seinen Verlust Merkmale gefährlicher und mörderischer Absichten auf einen Lebendigen.

Jedenfalls wurde Mrs. Nickleby nur durch übertriebenes Pflichtgefühl und ohne Zweifel durch höchst löbliche Regungen zu diesem Vorgehen veranlaßt. Vielleicht, daß sie allmählich das Sündige einer allzu langen nutzlosen Trauer oder auch die Notwendigkeit einsah, ihrer jungen blühenden Tochter ein lebendiges Beispiel von Adrettheit und Chic vor Augen zu führen. Möglich auch, daß dieser Wechsel den Gefühlen reinster und selbstlosester Nächstenliebe entsprang, denn Nikolas hatte den Herrn nebenan hinterrücks einmal verschimpfiert, ihn – unhöflich genug – sogar eine Art verrückten Narren und Dummkopf genannt, und für diese Angriffe auf den Verstand des liebenswürdigen Nachbars fühlte sie sich gewissermaßen zu einer Gutmachung verpflichtet. Wahrscheinlich empfand sie, daß sie als gute Christin durch alle ihr zu Gebote stehenden Mittel beweisen müsse, wie wenig der so herabgesetzte Herr weder das eine noch das andere verdiene, und was konnte sie zu diesem tugendhaften und löblichen Zweck Besseres tun, als beweisen, daß seine Leidenschaft das Vernünftigste, was man sich denken könne, sei und weiter nichts als die Wirkung des übermächtigen Zaubers ihrer gereiften Reize auf das Herz eines liebeglühenden und nur allzu empfänglichen Mannes, wie dann jeder denkende Mensch klar einsehen müßte.

»Ach«, seufzte Mrs. Nickleby und schüttelte ernst das Haupt, »wenn Nikolas wüßte, wie sein armer seliger Vater litt, als ich, ehe wir verlobt waren, nichts von ihm wissen wollte, so würde er nicht so wenig gefühlvoll sein. Niemals werde ich den Morgen vergessen, an dem ich ihm einen indignierten Blick zuwarf, als er mir den Sonnenschirm tragen wollte. Oder den Abend, als ich gereizt zu ihm war. Es hätte wenig gefehlt, so wäre er in seiner Verzweiflung ausgewandert.«

Ob der Selige nicht vielleicht besser dabei gefahren wäre, wenn er in seinen Junggesellenjahren den Wanderstab ergriffen hätte, das war eine Frage, die zu erwägen seine Witwe vorläufig unterließ. Überdies trat gerade Kate mit ihrem Nähkästchen ins Zimmer, und eine Unterbrechung, selbst wenn sie noch so unbedeutend war, gab Mrs. Nicklebys Gedankengang stets eine neue Richtung.

»Liebe Kate«, sagte sie, »ich weiß nicht, wie es kommt, aber ein so schöner warmer Sommertag wie der heutige, wo die Vögel so fröhlich zwitschern, erinnert mich immer an Schweinebraten mit Salbei, Zwiebelsauce und Bouillon.«

»Wirklich eine höchst seltsame Ideenassoziation, Mama«, sagte Kate lächelnd.

»Wahrhaftig, ich weiß wirklich nicht, wie ich darauf komme«, fuhr Mrs. Nickleby fort. »Wart einmal: – Schweinebraten? Ja richtig! Genau fünf Wochen nach deiner Taufe hatten wir einen gebratenen – nein, es konnte doch kein Schweinebraten gewesen sein, denn ich erinnere mich, daß es ein paar waren, und ich kann mir deinen seligen Vater nicht vor einer Schüssel mit ein paar Schweinen sitzend vorstellen. Es müssen daher wohl Rebhühner gewesen sein. Schweinebraten? Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, daß wir je einen gehabt hätten, und überdies fällt mir jetzt ein, daß dein Papa immer einen unendlichen Ekel empfand, wenn er einen Schweinskopf in den Charkutierläden auf dem Teller liegen sah. Er sagte immer, es fielen ihm dabei neugeborene Kinder ein, nur daß Spanferkel eine viel hübschere Haut hätten. Er hatte nämlich auch vor kleinen Kindern einen gewissen Abscheu. Einmal, weil er nicht gern von einem Zuwachs seiner Familie hörte, und dann aus natürlichem Widerwillen. Es ist doch wirklich seltsam, wie mir auf einmal so etwas in den Kopf kommen konnte! Aber, ja richtig, jetzt erinnere ich mich, daß wir einmal bei Mrs. Bevans in der Broad Street im Hause des Wagenbauers zu Mittag gespeist haben und daß damals ein betrunkener Mann ungefähr eine Woche vor dem Quartalschluß durch das Kellerloch eines leeren Hauses fiel und erst gefunden wurde, als der neue Mieter einzog – ja, damals hatten wir Schweinebraten. Ja, das muß es sein, was mich darauf gebracht hat. Um so mehr, als ein kleiner Vogel in einem Käfig im Zimmer hing und die ganze Zeit über sang – nein, es war doch kein kleiner Vogel, sondern ein Papagei, und der sang auch nicht, schwatzte aber um so mehr und fluchte fürchterlich. Es muß wohl so ähnlich gewesen sein. Ja, ja, ich bin jetzt fest überzeugt, daß es so gewesen sein muß. Meinst du nicht auch, liebes Kind?«

»Gewiß, es unterliegt doch gar keinem Zweifel, Mama«, entgegnete Kate heiter lächelnd.

»Wirklich? – Aber ich fürchte, du sagst es nur so und es ist dir gar nicht ernst damit, Kate«, sagte Mrs. Nickleby todesernst, als handle es sich um eine Frage von höchstem und wichtigstem Interesse. »Wenn das der Fall ist, so sage es lieber gleich unverhohlen heraus, denn es ist immer gut, wenn man bei der Wahrheit bleibt, besonders bei Anlässen, die höchst merkwürdig sind und wohl verdienen, daß man sich im Geist über sie klar wird.«

Kate erwiderte lächelnd, sie sei vollkommen überzeugt, daß es sich so verhalte, wie ihre Mutter soeben gesagt, aber da diese noch immer unschlüssig zu sein schien, ob es nicht nötig sei, das Thema von neuem vorzunehmen, so machte sie den Vorschlag, gemeinsam in den Garten hinunterzugehen, um sich an dem schönen Tage zu freuen. Mrs. Nickleby paßte dies sehr, und so begaben sie sich dann augenblicklich hinunter.

»Wirklich, ich muß gestehen«, begann Mrs. Nickleby, als sie sich in dem Gartenstuhle zurechtgesetzt hatte, »es hat noch nie einen so guten Menschen gegeben wie diesen Smike. Nein, wirklich. Was er sich nicht für Mühe gegeben hat, die kleine Laube hier in Ordnung zu bringen und die schönen Blumen einzusetzen! – Es ist wahrhaft erstaunlich. Nur wäre es gut gewesen, wenn er nicht allen Sand auf deine Seite hinübergeschafft und mir auch ein wenig mehr als den feuchten bloßen Boden gelassen hätte.«

»Liebe Mutter«, rief Kate, »aber so tauschen wir doch die Plätze!«

»Nein, mein Kind, ich bleibe hier auf meiner Seite sitzen«, sagte Mrs. Nickleby. »Du sollst mich nicht aus meinem Gebiet verdrängen.« – Kate blickte fragend auf.

»Wahrhaftig«, redete Mrs. Nickleby weiter, »es ist sehr aufmerksam von ihm, daß er – Gott weiß, wo er sie hergenommen haben mag – ein paar Ableger hier herbeigeschafft hat, wo ich erst vorgestern erwähnte, daß du sie so gerne habest, und dich fragte – nein, vielmehr von denen du vorgestern sagtest, daß du sie so gerne habest, worauf du mich fragtest, ob ich sie nicht auch leiden könne – ach was, es läuft schließlich auf eins hinaus. Ich sehe übrigens hier auf meiner Seite nicht eine einzige davon«, setzte Mrs. Nickleby forschend umherblickend hinzu. »Aber sie werden wohl am besten auf Sand gedeihen. Gewiß, Kate, so ist es, du kannst dich drauf verlassen. Das mag auch der Grund sein, weshalb er sie alle auf deine Seite gepflanzt und den Sand dahin gebracht hat, weil es die Sonnenseite ist. Es ist erstaunlich, welche Umsicht er entfaltet; – ich selbst würde es kaum halb so gut haben machen können.«

»Mutter«, fiel ihr Kate unruhig in die Rede und beugte sich so über ihre Arbeit, daß ihr Gesicht kaum zu sehen war, »ehe du dich verheiratetest -«

»O Himmel, Kate!« rief Mrs. Nickleby, »Wie kommst du nur plötzlich darauf, wo ich doch jetzt gerade von seinen Aufmerksamkeiten gegen dich spreche. Du scheinst dich wirklich nicht im mindesten für den Garten zu interessieren.«

»Du weißt doch, Mutter, wie lieb er mir ist«, sagte Kate aufblickend.

»Ja, ja, schon gut«, fuhr Mrs. Nickleby unbeirrt fort. »Aber warum erkennst du denn nicht seine Sorgfalt an? Wie sonderbar von dir, Kate!«

»Ich erkenne sie doch an, Mama«, antwortete Kate sanft. »Der arme Mensch!«

»Und doch habe ich dich noch nie davon sprechen hören«, blieb Mrs. Nickleby beharrlich bei ihrem Thema. »Das ist alles, was ich sagen wollte.«

Die gute Witwe hatte sich auffallend lang bei einem Thema behauptet, so daß die kleine List ihrer Tochter, sie davon abzulenken, jetzt eigentlich von selbst gelang.

»Was wolltest du vorhin sagen, Kind?« fragte sie plötzlich und unvermittelt.

»Ich?«

»Aber Kate!« rief Mrs. Nickleby. »Schläfst du, oder was ist eigentlich mit deinem Gedächtnis? Du wolltest doch von der Zeit, ehe ich verheiratet war, reden.«

»Ja, ja, ich entsinne mich«, erwiderte Kate rasch. »Ich wollte dich fragen, ob du zur Zeit deiner Mädchenjahre viele Bewerber hattest.«

»Verehrer? Bewerber, liebes Kind?« rief Mrs. Nickleby geschmeichelt. »Es müssen ihrer mindestens ein Dutzend gewesen sein.«

»Aber Mama.«

»Ja, ja, liebes Kind«, bekräftigte Mrs. Nickleby. »Ein ganzes Dutzend. Dabei noch nicht einmal deinen seligen Papa und den Herrn mit eingerechnet, der mit mir dieselbe Tanzstunde besuchte und sich nicht abhalten ließ, uns goldene Uhren und Armbänder in Papier mit Goldschnitt gewickelt ins Haus zu senden – sie wurden natürlich immer zurückgeschickt –, und der später unglücklicherweise in die Deportiertenkolonie von Botany-Bay ging, in den Busch entfloh, Schafe schlachtete – ich habe keine Ahnung, wie sie dahin gekommen sein mögen – und dafür aufgehenkt werden sollte, aber er erhenkte sich zufällig selbst, und die Regierung begnadigte ihn. Und dann waren ferner noch«, zählte Mrs. Nickleby an den Fingern ab, »der junge Lukin – dann Mogley – Tipslark – Babbery – Smiffens –« Mrs. Nickleby hatte beim linken Daumen angefangen und war bis zum kleinen Finger gelangt und wollte eben zur rechten Hand übergehen, als ein lautes »Hum«, das hinter der Gartenmauer ertönte, sie und ihre Tochter nicht wenig erschreckte.

»Was war das, Mama?« flüsterte Kate.

»Wahrhaftig, liebes Kind«, stotterte Mrs. Nickleby ganz fassungslos, »wenn es nicht der Herr war, dem das Haus nebenan gehört, so kann ich mir wirklich nicht denken, wer es wohl gewesen sein –«

»Ah hüm –« rief es wieder, und zwar nicht in einer Art, wie man sich gewöhnlich räuspert, sondern mehr, wie ein Hund bellt, so daß es in der ganzen Nachbarschaft widerhallte, sich wie ein Geheul fortziehend, so daß man berechtigterweise annehmen konnte, der unsichtbare Urheber müsse schon ganz schwarz vor Hustenanstrengung im Gesicht sein.

»Ach, ich weiß jetzt schon, liebes Kind«, sagte Mrs. Nickleby und ergriff Kates Hand. »Sei nur ganz ruhig, es gilt nicht dir. Auch hat er nicht die Absicht, uns zu erschrecken. Ich weiß schon, wem es gilt, Kate – ich fühle mich verpflichtet, dir dies zu sagen.«

Und Mrs. Nickleby nickte freundlich mit dem Kopf, streichelte ihrer Tochter die Hand und nahm eine Miene an, als könne sie, wenn sie wolle, außerordentlich wichtige Enthüllungen machen, die sie augenblicklich aber vorzöge, für sich zu behalten.

»Was meinst du damit, Mama?« fragte Kate erstaunt.

»Sei ruhig, mein Kind«, flüsterte Mrs. Nickleby und schielte nach der Gartenmauer hinüber. »Du siehst, es hat mich selbst gar nicht erschreckt, und wenn jemand hätte erschrecken können, so doch gewiß ich. Aber du siehst mich gefaßt, Kate, und vollkommen ruhig.«

»Es hat ganz den Anschein, als ob unsere Aufmerksamkeit damit rege gemacht werden sollte«, meinte Kate.

»Allerdings geschah es in dieser Absicht, liebes Kind«, erwiderte Mrs. Nickleby stolz und streichelte die Hand ihrer Tochter noch zärtlicher als vorher. – »Es ist eine Aufmerksamkeit, die einer von uns gilt – hm, du brauchst dich durchaus nicht zu beunruhigen, liebes Kind.«

Kate war nicht wenig verwirrt und wollte ihre Mutter eben um nähere Erklärung bitten, als sich abermals dasselbe Geheul vernehmen ließ und überdies ein Lärm, als wenn ein älterer Herr ungestüm in losem Sande herumtrample. Und dann sah man plötzlich mit der Geschwindigkeit einer Rakete eine große Gurke durch die Luft fliegen, sich überschlagen und zu Mrs. Nicklebys Füßen niederfallen.

Diesem höchst seltsamen Meteor folgte bald ein ähnlicher, nämlich eine schöne Kürbismelone von ungewöhnlichem Umfang. Gleich darauf flogen mehrere Gurken zusammen auf, gefolgt von einem Schauer von Zwiebeln und ähnlichen Küchenkräutern, daß sich fast der Himmel verdunkelte, bis sie nach allen Richtungen niederfielen und auf dem Boden herumkollerten.

Beunruhigt sprang Kate von ihrem Sitze auf und ergriff die Hand ihrer Mutter, um mit ihr ins Haus zu eilen, aber sie fühlte sich in ihrer Absicht mehr gehemmt als unterstützt, und als sie die Richtung von Mrs. Nicklebys Blicken folgte, erschrak sie nicht wenig, eine alte schwarze Samtkappe hinter der Mauer auftauchen zu sehen, die ruckweise, wie wenn ihr Eigentümer Treppen oder eine Leiter hinaufstiege, über die Scheidewand der beiden Gärten emportauchte. Schließlich wurde ein großer Kopf und ein altes Gesicht darunter sichtbar, in dem sich ein Paar verstörte graue Augen befanden, die verwirrt und weit aufgerissen mit einem leeren und schmachtenden und geradezu schauerlich anzusehenden Ausdruck aus ihren Höhlen hervorquollen.

»Mama!« schrie Kate ernstlich erschrocken, »warum bleibst du noch? – Bitte, bitte komm doch mit!«

»Liebe Kate«, verwies Mrs. Nickleby, ohne sich auch nur einen Zoll von der Stelle zu rühren, »wie kannst du nur so töricht sein? Ich muß mich deiner ja rein schämen. Wie kannst du hoffen, je durchs Leben zu kommen, wenn du so furchtsam bist? – Was wünschen Sie, Sir?« wandte sie sich sodann mit einer Art gezierten Unwillens an den Eindringling. »Wie können Sie es wagen, in diesen Garten herüberzuschauen?«

»Königin meines Herzens«, flötete der Fremde, die Hände gefaltet, »tun Sie einen Trunk aus diesem Becher.«

»Ich bitte Sie, was ist das für ein Unsinn, Sir?« rief Mrs. Nickleby. »Liebe Kate, ich muß dich bitten, ruhig zu bleiben.«

»Wollen Sie den Becher nicht schlürfen?« fuhr der Fremdling fort, den Kopf schief auf die Seite geneigt und die Rechte aufs Herz gedrückt. »Ach, schlürfen Sie diesen Becher!«

»Nie werde ich freiwillig, Sir, in etwas Derartiges einwilligen«, erwiderte Mrs. Nickleby stolz und abweisend. »Ich bitte, entfernen Sie sich.«

»Ach, warum«, rief der alte Herr, klomm noch eine Sprosse höher hinauf und stemmte seine Ellbogen auf die Mauer, wie jemand, der aus einem Fenster blickt – »ach, warum ist doch die Schönheit immer so hartherzig, selbst wenn die Bewunderung so aufrichtig und hochachtungsvoll ist wie die meinige?« Er lächelte nach diesen Worten holdselig, warf Kußhände um sich und nickte, sich verbeugend, rastlos mit dem Kopf. »Es ist wie bei den Bienen, die nach Ablauf der Honigmonate, wenn man sie mit Schwefel getötet zu haben wähnt, in Wirklichkeit ins Berberland fliegen und die gefangenen Schwarzen mit ihren einlullenden Liedern in Schlaf summen. Oder«, setzte er hinzu und dämpfte seine Stimme fast bis zum Flüsterton, »oder vielleicht liegt der Grund darin, daß man die Statue von Charingcross kürzlich zur Mitternachtsstunde in einen Harnisch gehüllt Arm in Arm mit dem Brunnenknaben von Aldgate auf der Börse hat spazierengehen sehen?«

»Mama«, flüsterte Kate ängstlich, »hörst du?«

»Still, mein Kind«, flüsterte Mrs. Nickleby. »Es ist nur Galanterie von ihm, und ich glaube, er zitiert irgendeinen Dichter. Aber was fällt dir denn ein – du drückst mich ja blau und braun am Arm! – Ich muß Sie bitten, sich zu entfernen, Sir!«

»Gänzlich zu entfernen?« rief der Herr mit schmachtendem Blick. »Gänzlich?«

»Freilich gänzlich«, versetzte Mrs. Nickleby, »Sie haben hier nichts zu suchen. Sie wissen doch, daß dieser Garten Privateigentum ist?«

»Ich weiß es«, flötete der alte Herr und legte den Finger schalkhaft an die Nase. »Ich weiß, daß dies hier eine geheiligte und verzauberte Stätte ist. – Wo himmlische Grazie –«, er küßte seine Fingerspitzen und verbeugte sich abermals – »und Honigduft über die Gärten der Nachbarn weht und Pflanzen und Früchte zu frühzeitiger Reife gedeihen läßt. Alles das ist mir wohl bekannt. Aber gestatten Sie mir eine einzige Frage, holdestes aller Wesen: solange der Planet Venus, der gegenwärtig in der Garde-Kürassierkaserne rastlos beschäftigt ist, noch nicht unter uns weilt, da er sonst – eifersüchtig auf Ihre überwältigende Schönheit – hemmend zwischen uns treten würde –«

»Kate«, wendete sich Mrs. Nickleby indigniert gegen ihre Tochter, »wie peinlich. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich dem Herrn entgegnen soll. Du siehst ein, unhöflich darf man doch nicht sein.«

»Liebe Mama«, flehte Kate, »bitte, sage ihm kein Wort. Laufen wir fort, so schnell wir können, und sperren wir uns ein, bis Nikolas nach Hause kommt.«

Mrs. Nickleby hatte für diesen Vorschlag einen grandiosen, um nicht zu sagen einen verächtlichen Blick und wandte sich dann wieder zu dem alten Herrn, der während dieses Flüstergesprächs das Auge nicht von den beiden Damen verwandt hatte.

»Wenn Sie sich wie ein Mann von Bildung benehmen, Sir, der Sie Ihrer Sprache und – und – auch Ihrem Äußern nach zu sein scheinen (wirklich ganz das Ebenbild deines Großvaters in seinen besten Tagen, liebe Kate) und sich überdies ein bißchen klarer ausdrücken wollten, so will ich Ihnen eine Antwort nicht versagen.«

Wenn wirklich Mrs. Nicklebys vortrefflicher Papa in seinen besten Tagen auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit dem jetzt auf der Mauer hockenden Nachbarn hatte, so mußte er zum mindesten ein höchst seltsamer Kauz gewesen sein. Kate schien ähnliche Gedanken zu haben, aber sie nahm sich soweit zusammen, um wenigstens auf den seltsamen Herrn hinzublicken, der jetzt seine Samtkappe abnahm und ein billardkugelkahles Haupt sichtbar werden ließ und seine pagodenhaften Verbeugungen mit einer ganzen Schnur von Kußhänden begleitete. Endlich von diesem höchst anstrengenden Geschäft erschöpft, setzte er seine Kappe wieder auf, zog sie sorgfältig über die Ohren und begann, seine frühere Stellung wieder einnehmend:

»Es handelt sich darum –«

Ängstlich brach er ab und sah sich nach allen Seiten um, um sich zu überzeugen, ob auch kein Horcher in der Nähe sei. Diesbezüglich beruhigt, schlug er sich mehrmals an die Nase und machte ein so schlaues Gesicht, als ob er sich außerordentlich freue, so vorsichtig gewesen zu sein, reckte den Hals empor und fuhr krächzend fort:

»Sind Sie eine Prinzessin?«

»Oh, Sie spotten«, rief Mrs. Nickleby empört und tat, als ob sie sich anschicke, sofort den Platz zu verlassen.

»Oh, gewiß nicht. – Sind Sie es wirklich nicht?« fragte der alte Herr.

»Aber Sie wissen das doch selbst, Sir«, entgegnete Mrs. Nickleby.

»Dann sind Sie wahrscheinlich eine Verwandte des Erzbischofs von Canterbury?« fragte der alte Herr neugierig weiter. »Oder des Papstes in Rom? Oder des Sprechers im Unterhaus? Verzeihen Sie, wenn ich irre, aber man hat mir gesagt, Sie wären die Nichte des Pflasterkommissärs und die Schwiegertochter des Bürgermeisters und des Stadtratkollegiums, was Ihre Verwandtschaft mit den drei Erstgenannten zur Genüge erklären würde.«

»Wer solche Gerüchte ausstreut, Sir«, rief Mrs. Nickleby empört, »hat sich Freiheiten mit meinem Namen erlaubt, die mein Sohn keinen Augenblick ungerächt lassen würde, wenn er davon hörte. Schon der Gedanke«, protestierte Mrs. Nickleby, sich in die Brust werfend – »Nichte eines Pflasterkommissärs!!«

»Ich bitte dich, liebe Mama, so komme doch mit fort«, flüsterte Kate ängstlich.

»Ach was, Albernheiten, Kate«, schalt Mrs. Nickleby ärgerlich. »Das ist wieder so ganz deine Weise. Wenn man sagte, ich wäre die Nichte eines pfeifenden Gimpels, würdest du dir wahrscheinlich auch nichts daraus machen. Aber nirgends finde ich eben Verständnis«, seufzte sie geziert. – »Nun, zum Glück rechne ich ja auch nicht darauf.«

»Wie? Tränen?« schrie der alte Herr und sprang so hastig auf seiner Leiter in die Höhe, daß er ein paar Sprossen herunterfiel und sich das Kinn an der Mauer zerkratzte. »Man fange die Kristallkügelchen aus der Luft – tue sie in eine Flasche – stöpsle diese fest zu – versiegle sie – mit dem Siegel des Liebesgottes – und schreibe darauf: Ia Qualität superfein ff., stelle sie in den Schrank Nummer vierzehn und bringe eine Eisenstange darauf an, damit der Blitz nicht hineinschlägt.«

Der alte Herr stieß diese Worte im Kommandoton hervor, als stünden zu ihrem augenblicklichen Vollzuge wenigstens ein Dutzend Diener bereit, kehrte dann das Futter seiner Samtkappe nach außen und setzte sie würdevoll wieder auf, aber so, daß sein rechtes Auge und dreiviertel seiner Nase davon bedeckt wurden, stemmte dann die Arme in die Seite, warf einem in der Nähe sitzenden Spatzen einen so grimmigen Blick zu, daß er auf der Stelle fortflog, steckte dann seine Kappe mit größter Zufriedenheit wieder in die Tasche und wendete sich mit respektvoller Haltung abermals an Mrs. Nickleby.

»Holdseligste Fraue« – flötete er – »sollte ich mich hinsichtlich Ihrer Familie und Verwandtschaft geirrt haben, so bitte ich untertänigst um Verzeihung. Wenn ich vermutete, Sie können mit ausländischen Mächten oder inländischen Institutionsrepräsentanten verschwägert sein, so lag der Grund darin, daß Sie ein Wesen, eine Haltung und eine Würde besitzen, in denen Ihnen niemand gleichkommt als Sie selbst – höchstens vielleicht ausgenommen die tragische Muse, wenn sie vor der ostindischen Kompagnie aus dem Stegreif Melodien auf der Drehorgel phantasiert. Ich bin kein Jüngling mehr, holdseligste Fraue, wie Sie sehen, und obgleich Wesen, wie Sie, nicht altern können, so wage ich es dennoch, mich dem Glauben hinzugeben, daß wir füreinander geschaffen sind.«

»O Himmel, liebe Kate«, rief Mrs. Nickleby mit schwacher Stimme und wendete sich schamhaft ab.

»Ich besitze Landgüter, Madame«, fuhr der alte Herr eindringlich fort und fuchtelte mit der Hand verächtlich in der Luft herum, als bedeuteten irdische Dinge für ihn nur Tand, »Kleinodien, Leuchttürme, Fischweiher, eine eigene Walfischfängerei in der Nordsee und mehrere höchst einträgliche Austernbänke im Stillen Ozean. Wenn Sie die Güte haben wollten, sich mit mir nach der königlichen Börse zu begeben und dem breitschulterigsten der dortigen Portiers seinen dreieckigen Hut abzunehmen, so werden Sie in dem Futter darin meine in blaues Papier eingewickelte Visitkarte finden. Auch mein Spazierstock wird gezeigt, wenn man sich an den Kaplan im Unterhause wendet, der den strikten Auftrag hat, ihn ohne Eintrittsgebühr Fremden zu zeigen! – Ich bin von Feinden umringt, Madame«, setzte er leise hinzu und warf einen argwöhnischen Blick auf sein Haus zurück, »die mich auf Schritt und Tritt belauern und mich meines Vermögens berauben möchten. Wenn Sie mich mit Ihrem Herzen und Ihrer Hand beglücken wollen, so brauchen Sie sich nur an den Lordkanzler zu wenden oder im schlimmsten Falle das Militär aufzubieten – es würde dazu vollständig genügen, wenn Sie dem Platzkommandanten meinen Zahnstocher schicken –, und das Haus wird von ihnen gesäubert sein, noch ehe die Trauungsfeierlichkeit vorüber ist. Und dann gibt es Liebeswonne und Entzücken. Liebesentzücken und Wonne. Werden Sie die Meinige! – Werden Sie die Meinige!«

Begeistert setzte der alte Herr seine schwarze Samtkappe wieder auf, warf einen Blick gen Himmel und stotterte etwas nicht ganz Verständliches über einen Luftballon, den er erwarte und der unglaublich lange ausbleibe, und verfiel dann von neuem in seinen früheren Refrain: Werden Sie die Meinige – werden Sie die Meinige.

»Liebe Kate«, hauchte Mrs. Nickleby, »ich bin wirklich kaum imstande, Worte zu finden, aber es ist für das Glück beider Parteien unbedingt nötig, daß diese Angelegenheit sofort ins reine kommt.«

»Aber du brauchst doch nicht das mindeste zu erwidern, Mama«, stellte ihr Kate vor.

»Du wirst mir gefälligst erlauben, mein Kind, das selber zu beurteilen«, remonstrierte Mrs. Nickleby erregt.

»Werden Sie die Meinige – werden Sie die Meinige«, lallte der alte Herr.

»Sie können doch nicht gut von mir erwarten«, begann Mrs. Nickleby, die Augen züchtig zu Boden schlagend, »daß ich einem Fremden sagen soll, ob ich mich durch derlei Anträge geschmeichelt oder verpflichtet fühle oder nicht. Sie müssen zugeben, daß Ihre Worte unter höchst wunderbaren Umständen gefallen sind, aber gleichwohl müssen sie – natürlich nur bis zu einem gewissen Grade – den Gefühlen einer Dame angenehm und erfreulich klingen.«

»Werden Sie die Meinige – werden Sie die Meinige«, lallte der alte Herr, »Gog und Magog, Gog und Magog. Werden Sie die Meinige – werden Sie die Meinige.«

»Es muß Ihnen genügen, Sir, wenn ich Ihnen sage«, nahm Mrs. Nickleby würdevoll ihre Rede wieder auf, »und ich bin überzeugt, Sie werden nach dieser Antwort sich unbedingt entfernen – nämlich, daß ich fest entschlossen bin, Witwe zu bleiben und mich ganz meinen Kindern zu weihen. Sie werden es vielleicht nicht glauben wollen, daß ich bereits Mutter von zwei Kindern bin – es haben das schon viele Leute bezweifelt und mir versichert, nichts auf der Erde könne sie dazu bewegen, an eine solche Möglichkeit zu glauben –, aber trotzdem ist es der Fall, und beide sind bereits erwachsen. Wir freuen uns ungemein, Sie zum Nachbarn zu haben – sind sehr erfreut, entzückt sogar –, aber ein intimeres Verhältnis ist zwischen uns durchaus undenkbar. Trotzdem ich noch jung genug bin, mich wieder zu verehelichen, so werde ich doch halten, was ich einmal gesagt habe. Gewiß, es ist mir sehr schmerzlich, Anträge zurückzuweisen, und es wäre mir am liebsten, es wären überhaupt keine solchen Worte gefallen, aber dennoch bleibe ich fest, und meine Antwort wird stets dieselbe sein.« Mrs. Nickleby richtete diese Worte teils an den alten Herrn, teils an Kate, teils an sich selber. Je länger sie fortsprach, eine desto unehrerbietigere Achtlosigkeit legte der Freier an den Tag, und Mrs. Nickleby war kaum zu Ende, als er zum großen Schrecken der beiden Damen plötzlich seinen Rock auszog, auf die Mauer hinauf sprang, eine Attitüde annahm, die seine Kniehosen und grauwollenen Strümpfe im vorteilhaftesten Lichte zeigte, dann auf einem Bein balancierte und sein Lieblingsgeheul immer lauter und lauter erschallen ließ.

Noch während er die letzte Note aushielt und sie mit einem gedehnten Triller verschönte, sah man verstohlen, aber rasch wie wenn es gälte, eine Fliege zu fangen – eine schmutzige Pfote von hinten her über den Mauerrand greifen und mit raubtierartiger Behendigkeit den linken Knöchel des alten Herrn umfassen. Kaum war dies geschehen, tauchte auch eine zweite Pfote auf und packte den andern Knöchel.

So festgehalten, hob der alte Herr seine Beine ein paarmal schwerfällig auf, als ob er Bleisohlen anhabe, schielte dann in seinen Garten hinunter und brach in ein lautes Gelächter aus.

»Ach so, Sie sind's«, sagte er.

»Ja, i' bin's«, versetzte eine rauhe Stimme.

»Was macht der Kaiser der Chinesen?« fragte der alte Herr.

»Es geht ihm noch allaweil a so wie früher«, war die Antwort. »Weder besser noch schlechter.«

»Und der junge Prinz?« fuhr der alte Herr angelegentlich fort. »Hat er sich mit seinem Schwiegervater, dem großen Kartoffelhändler, wieder ausgesöhnt?«

»A gar ka Spur«, antwortete die rauhe Stimme, »'s is ihm wurscht, hat er g'sagt.«

»Wenn es sich so verhält«, bemerkte der alte Herr, »so wird es wohl am besten sein, ich komme hinunter.«

»Dös glaub i' a'«, sagte der Mann auf der andern Seite.

Eine der Hände machte sich jetzt vorsichtig und lauernd von dem linken Knöchel des alten Herrn los, und dieser ließ sich in eine sitzende Stellung nieder, blickte sich dann um, verbeugte sich holdselig gegen Mrs. Nickleby und verschwand so plötzlich, als ob ihn jemand auf der andern Seite hinunterzöge.

Kate fühlte sich durch sein Verschwinden höchst erleichtert und wollte eben das Wort an ihre Mutter richten, als die schmutzigen Pfoten wieder auftauchten und unmittelbar darauf sich die Gestalt eines derbknochigen untersetzten Mannes zeigte, die auf denselben Sprossen in die Höhe klomm, deren sich vorher der seltsame Herr Nachbar bedient hatte.

»Entschuldigen S', meine Damen«, sagte der Mann, grinste von einem Ohr bis zum andern und berührte flüchtig seinen Hut. »Hat er einer von Ihnen einen Heiratsantrag g'macht?«

»Ja«, hauchte Kate.

»Na ja«, meinte der Mann, nahm sein Taschentuch aus seinem Hut und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Dös macht er immer a so, dagegen is ka Kraut g'wachsen.«

»Es ist wohl unnötig zu fragen, ob der arme alte Herr bei Sinnen ist?« forschte Kate.

»Na ja, dös denk i' a'«, erwiderte der Mann und warf einen trübseligen Blick auf seinen Hut, tat mit einem Klaps sein Taschentuch hinein und setzte ihn wieder auf. »Da müßt einer scho' blind sein.«

»Leidet er schon lange daran?« fragte Kate.

»Sehr lang.«

»Ist keine Hoffnung auf seine Genesung?« fragte Kate mitleidig.

»A gar ka Spur. – Er verdienet's a' gar nöt«, versetzte der Wärter. »Jetzt, wo er verruckt is, is er vüll umgänglicher als früher. Früher war er der heilloseste und hartherzigste alte Schuft, wo jemals aner umanand g'loffen is.«

»Wirklich?« rief Kate.

»Bei der heiligen Veronika«, brummte der Wärter und schüttelte den Kopf so nachdrücklich, daß er die Stirne runzeln mußte, um den Hut nicht zu verlieren. »An so an niederträchtigen Halunken hat's überhaupt noch nöt geb'n. Sei' arm's Weib hat er unter die Erd' bracht und seine Kinder zum Haus 'naus g'worfen. A wahrer Segen is, daß er schließlich vor lauter Bosheit, vor lauter Liabsg'schichten und Saufereien verruckt g'worden is, sonst hätten noch ganz andre den Verstand verloren. A Hoffnung für den alten Halunken! Dös fehlt grad noch.«

Nachdem der Wärter dieses Glaubensbekenntnis zum besten gegeben, schüttelte er abermals den Kopf, als wollte er sagen: nur ein ganz unheilbarer Optimist würde sich hier noch Hoffnungen versprechen, dann berührte er mürrisch den Rand seines Hutes – nicht etwa, weil er übler Laune gewesen wäre, sondern, weil ihn der Gedanke an die frühere Niederträchtigkeit seines Schutzbefohlenen aufbrachte, stieg die Leiter hinunter und nahm sie weg.

Während des ganzen Gespräches hatte Mrs. Nickleby ihn mit strengen und festen Blicken betrachtet. Sie holte jetzt einen tiefen Seufzer, warf empört den Kopf zurück und schüttelte ihn zweifelnd.

»Der arme Mensch!« sagte Kate.

»Ja, in der Tat«, rief Mrs. Nickleby. »Es ist eine Sünde und eine Schande, daß man solche Zustände duldet. – Ja, eine Sünde und eine Schande ist es.«

»Aber man kann doch nicht anders, Mama«, gab Kate traurig zu bedenken. »Die Gebrechen der menschlichen Natur –«

»Gebrechen?« wiederholte Mrs. Nickleby. »Wie? Auch du glaubst, daß dieser arme Mensch verrückt ist?«

»Kann man denn etwas andres glauben, wenn man ihm zugehört hat, Mama?«

»Nun, ich will dir etwas sagen, Kate«, erwiderte Mrs. Nickleby. »Es wundert mich nur, daß selbst du dich täuschen läßt. Es ist doch sichtlich eine Verschwörung dieser Leute, sich, wie er sagte, seines Eigentums zu bemächtigen. Er mag vielleicht, ach Gott, wie so viele von uns ein bißchen wunderlich und exzentrisch sein – aber verrückt?! – Ein Wahnsinniger drückt sich niemals so ehrerbietig und so schwungvoll poetisch aus, stellt auch seine Anträge nicht mit soviel Bedacht, Klugheit und Vorsicht, sondern läuft auf die Straße und vergafft sich allenfalls in den nächsten besten Backfisch! – Nein, nein, Kate, für einen Wahnsinnigen ist zuviel Methode darin – darauf kannst du dich verlassen, meine Liebe.«


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