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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Miß Havishams Geschichte.

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Der blasse junge Herr und ich standen uns in Barnards Inn gegenüber und schauten einander an, bis wir Beide in ein lautes Gelächter ausbrachen.

»Wer hätte gedacht, daß Sie es sind!« sagte er.

»Wer hätte gedacht, daß Sie es sind!« sagte ich.

Worauf wir einander von Neuem betrachteten und abermals in Gelächter ausbrachen.

»Nun!« sagte der blasse junge Herr, mir gutmüthig die Hand reichend, »es ist jetzt Alles vorbei, hoffe ich, und es wird großmüthig von Ihnen sein, wenn Sie mir es vergeben wollen, daß ich Sie so zerknufft habe.«

Ich entnahm dieser Rede, daß Mr. Herbert Pocket (denn der Taufname des blassen jungen Herrn war Herbert) noch immer seine Absichten etwas mit seinen Thaten verwechselte. Aber ich gab ihm eine bescheidene Antwort, und wir drückten einander warm die Hände.

»Sie waren damals noch nicht zu Ihrem großen Glücke gekommen?« sagte Herbert Pocket.

»Nein,« sagte ich.

»Nein,« sagte er beistimmend; »ich hörte, daß die Sache sich erst ganz kürzlich ereignete. Ich war damals eigentlich auf der Glücksjagd.«

»Wirklich?«

»Ja. Miß Havisham hatte mich holen lassen, um mich kennen zu lernen und zu sehen, ob sie sich für mich würde interessiren können. Aber sie konnte es nicht – wenigstens that sie's nicht.«

Es schien mir, daß die Höflichkeit von mir verlangte, zu bemerken, es wundere mich, das zu hören.

»Schlechter Geschmack,« sagte Herbert lachend, »aber ein Factum; ja, sie hatte mich zu einem Besuch auf Probe kommen lassen, und falls derselbe zu ihrer Befriedigung ausgefallen wäre, würde ich wahrscheinlich versorgt gewesen sein; vielleicht wäre ich dann – wie heißt es gleich – mit Estella geworden.«

»Was ist das?« sagte ich, plötzlich ernst werdend.

Er war damit beschäftigt, das Obst auf Tellern auszulegen, wodurch seine Aufmerksamkeit getheilt und ihm dieser Mangel an dem rechten Worte verursacht wurde.

»Versprochen,« sagte er erläuternd und noch immer mit dem Obste beschäftigt. »Verlobt, oder wie es sonst heißen mag. Irgend ein Wort der Art.«

»Wie ertrugen Sie diesen Fehlschlag?« fragte ich.

»Bah!« sagte er. »Ich machte mir nicht viel daraus. Sie ist eine böse Hexe.«

»Miß Havisham?« sagte ich.

»Dazu sage ich auch nicht nein, aber ich meinte Estella. Das Mädchen ist bis zum äußersten Grade hartherzig, hochmüthig und launenhaft, und von Miß Havisham dazu erzogen, sie an dem ganzen Männergeschlechte zu rächen.«

»Auf welche Weise ist sie mit Miß Havisham verwandt?«

»Gar nicht,« sagte er, »bloß adoptirt.«

»Warum soll sie Rache üben an dem ganzen Männergeschlecht? Welche Art von Rache?«

»Mein Himmel, Mr. Pip!« sagte er. »Wissen Sie das nicht?«

»Nein,« sagte ich.

»Du meine Güte! Das ist eine förmliche Geschichte, und wir wollen sie bis zu Tische aufsparen. Und jetzt erlauben Sie, daß ich mir die Freiheit nehme, eine Frage an Sie zu thun. Wie kamen Sie an jenem Tage dort hin?«

Ich erzählte es ihm, und er hörte mir aufmerksam bis zu Ende zu, und dann brach er in Gelächter aus und fragte mich, ob ich hinterher viele Schmerzen gehabt? Ich fragte ihn nicht, ob er viele Schmerzen gehabt habe, denn meine Ueberzeugung hiervon stand vollkommen fest.

»Mr. Jaggers ist Ihr Vormund, wie ich höre?« fuhr er fort.

»Ja.«

»Sie wissen vermuthlich, daß er Miß Havishams Geschäftsmann und Advocat ist, und in Allem ihr Vertrauen besitzt, wie sonst Niemand?«

Dies führte mich (wie ich fühlte) auf ein gefährliches Feld. Ich antwortete daher mit einer Gezwungenheit, die ich nicht zu verbergen suchte, daß ich Mr. Jaggers an dem Tage unseres Kampfes in Miß Havishams Hause gesehen, doch sonst nie wieder, weder vorher noch nachher, und daß ich nicht glaube, er erinnere sich, mich jemals dort gesehen zu haben.

»Er war so freundlich, meinen Vater als Lehrer für Sie in Vorschlag zu bringen, und kam deshalb zu ihm, um ihn zu fragen, ob er dazu geneigt sei. Natürlich kannte er meinen Vater wegen seiner Verwandtschaft mit Miß Havisham. Mein Vater ist Miß Havishams Vetter; doch muß man deshalb nicht auf einen vertraulichen Umgang zwischen ihnen schließen, denn er ist ein schlechter Höfling, und will nichts thun, um sie sich geneigt zu machen.«

Herbert Pocket besaß eine leichte, offne Art und Weise, die etwas sehr Einnehmendes hatte. Ich hatte damals – und habe auch seitdem – noch niemals Jemand gesehen, bei dem sich in jedem Tone und jeder Miene so deutlich die natürliche Unfähigkeit ausdrückte, irgend etwas Heimliches, oder Niedriges zu thun. Es lag in seinem ganzen Aussehen etwas wunderbar Hoffnungsvolles, und zu gleicher Zeit etwas, das mir ein Gefühl verursachte, als ob er niemals sehr glücklich oder reich werden würde. Ich weiß nicht, wie dies zuging. Der Gedanke kam mir bei jener Gelegenheit, ehe wir uns zu Tische setzten, in den Kopf, aber ich kann durchaus nicht angeben, wodurch.

Er war noch immer ein blasser junger Herr, und durch all seine Munterkeit und Lebhaftigkeit blickte eine gewisse überwundene Mattigkeit hindurch, welche einen Mangel an natürlicher Kraft anzudeuten schien. Er hatte kein schönes Gesicht, aber eines, das viel besser war, als schön, nämlich liebenswürdig und heiter. Seine Gestalt war auch jetzt noch, wie zu jener Zeit, wo meine Knöchel sich solche Freiheit mit ihr erlaubt, etwas unzierlich, doch sah sie aus, als würde sie stets leicht und jugendlich bleiben. Es ist vielleicht die Frage, ob Mr. Trabbs provinziales Kunstwerk sich auf ihm anmuthiger ausgenommen haben würde, als auf mir: doch bin ich mir ganz klar darüber, daß er in seinen alten, etwas abgetragenen Kleidern weit besser aussah, als ich in meinem neuen Anzuge.

Da er so mittheilsam war, fühlte ich, daß Zurückhaltung von meiner Seite eine Undankbarkeit sein würde, die nicht für unsere Jahre paßte. Ich erzählte ihm demzufolge meine kleine Lebensgeschichte und legte besondern Nachdruck auf den Umstand, daß man mir verboten, mich nach meinem Wohlthäter zu erkundigen. Ich bemerkte ferner, daß ich, als Schmiedelehrling auf dem Laude groß geworden, sehr unbekannt sei mit den Sitten und Manieren der feinen Welt, und ihm deshalb sehr dankbar sein werde, falls er mir jedes Mal, wenn er mich in Verlegenheit oder etwas Verkehrtes thun sähe, einen Wink geben wolle.

»Mit Vergnügen,« sagte er, »obgleich ich zu prophezeien wage, daß Sie nur sehr weniger solcher Winke benöthigt sein werden. Ich denke mir, wir werden ziemlich viel zusammen sein und ich möchte gern jeden unnöthigen Zwang zwischen uns beseitigen. Wollen Sie mir die Freundlichkeit erzeigen, gleich damit anzufangen, daß Sie mich ›Du‹ und ›Herbert‹ nennen?«

Ich dankte ihm und willigte ein, und unterrichtete ihn dann meinerseits, daß ich Philipp heiße.

»Mir sagt Philipp nicht recht zu,« sagte er lächelnd, »denn es klingt nach einem moralischen Jungen im Kinderlehrbuch, der so faul war, daß er in einen Teich fiel, oder so dick, daß er nicht aus den Augen sehen konnte, oder so geizig, daß er seinen Kuchen aufsparte, bis die Mäuse ihn fraßen, oder so darauf versessen, Vogelnester auszunehmen, daß er von Bären verzehrt wurde, welche sich gelegener Weise in der Nachbarschaft aufhielten. Ich will Dir sagen, was ich wohl möchte. Wir harmoniren so schön, und Du bist ein Schmied gewesen – wäre es Dir nicht unangenehm?«

»Nichts, das Du vorschlagen wirst, kann mir unangenehm sein,« sagte ich, »aber ich verstehe Dich nicht.«

»Würde es Dir unangenehm sein, wenn ich Dich im vertraulichen Umgange Händel nennte? Es giebt ein sehr hübsches Musikstück von Händel, der ›harmonische Schmied‹ genannt.«

»Es würde mir sehr angenehm sein.«

»Dann also, mein lieber Händel,« sagte er sich umwendend, als die Thür geöffnet wurde, »ist hier unser Mittagessen, und ich muß Dich ersuchen, Dich ans obere Ende des Tisches zu setzen, da Du der Gastgeber bist.«

Da ich hiervon natürlich nichts hören wollte, nahm er am obern Ende des Tisches Platz und ich setzte mich ihm gegenüber. Es war ein gutes kleines Mahl – es erschien mir damals als ein wahrer Lord Mayors Schmaus – und erhielt eine noch erhöhte Würze durch die unabhängigen Verhältnisse, unter denen es verspeist wurde, indem keine älteren Leute zugegen waren und ganz London um uns lag. Dann verschönerte ein gewisser zigeunerhafter Charakter noch das Banket: denn während der Tisch, wie Mr. Pumblechook sich ausgedrückt haben würde, in Luxus schwelgte – da derselbe vollständig von der Restauration aus mit allem Erforderlichen versehen worden – hatten dagegen die umliegenden Regionen des Wohnzimmers ein vergleichsweise unfruchtbares, nothbeholfenes Aussehen: denn der Kellner war genöthigt, in den Zimmern Wanderungen zu machen und die Schüsseldeckel auf den Fußboden zu legen (wo er über sie stolperte), die Butter auf den Lehnstuhl zu stellen, das Brod auf das Bücherbret, den Käse in den Kohlenkasten, und das gekochte Huhn auf mein Bett im nächsten Zimmer, wo ich, als ich mich schlafen legte, einen ansehnlichen Rest der Sauce von gehackter Petersilie und Butter in geronnenem Zustande vorfand. Alles dies trug dazu bei, das Mahl noch angenehmer zu machen, und wenn der Kellner nicht da war, um mich zu beobachten, so war mein Vergnügen ein vollkommen ungemischtes.

Als wir ziemliche Fortschritte mit dem Mittagessen gemacht hatten, erinnerte ich Herbert an sein Versprechen, mir von Miß Havisham zu erzählen.

»Das ist wahr,« sagte er, »ich will es sogleich erfüllen. Laß mich den Gegenstand mit der Bemerkung eröffnen, Händel, daß es in London nicht Mode ist, das Messer in den Mund zu nehmen – damit man nicht etwa ein Unglück habe – und daß die Gabel zwar zu diesem Zwecke bestimmt ist, man sie aber nicht weiter hineinsteckt, als nöthig ist. Es ist kaum des Erwähnens werth, aber es ist immer gut, es wie andere Leute zu machen. Auch faßt man den Löffel gewöhnlich nicht von oben, sondern von unten. Dies hat zwei Vortheile. Du kommst dadurch besser an den Mund (was ja eigentlich doch der Hauptzweck ist) und Du sparst Dir ziemlich viel von der Stellung des Austernöffnens, mit dem rechten Ellnbogen nämlich.«

Er brachte diese freundschaftlichen Rathschläge in so scherzender Weise vor, daß wir Beide lachten und ich kaum erröthete.

»Jetzt,« fuhr er fort, »was Miß Havisham betrifft. Miß Havisham, mußt Du wissen, war ein verzogenes Kind. Ihre Mutter starb, als sie noch ein ganz kleines Kind war, und ihr Vater versagte ihr nichts. Ihr Vater war ein reicher Brauer und lebte in Eurer Gegend. Ich weiß nicht, weshalb es für vornehm gilt, ein Brauer zu sein; aber es ist eine unbestreitbare Thatsache, daß, obgleich Du unmöglich vornehm sein kannst, wenn Du Brod bäckst, Du brauen kannst, so viel Du willst, und dabei für den vornehmsten Menschen von der Welt passiren kannst. Man sieht das alle Tage,«

»Aber ein Gentleman darf doch keine Bierschenke halten, wie?« fragte ich.

»Unter keiner Bedingung,« erwiederte Herbert, »aber eine Bierschenke darf einen Gentleman erhalten. Nun, also! Mr. Havisham war sehr reich und sehr stolz und seine Tochter desgleichen.«

»Miß Havisham war einziges Kind?« wagte ich zu fragen.

»Warte einen Augenblick. Ich werde gleich darauf kommen; sie hatte einen Halbbruder. Sein Vater heirathete heimlich wieder – seine Köchin, glaube ich fast.«

»Ich dachte, er sei stolz gewesen?« sagte ich.

»Mein guter Händel, das war er auch. Und weil er stolz war, heirathete er seine zweite Frau heimlich, und im Laufe der Zeit starb auch sie. Als sie todt war, glaube ich, sagte er seiner Tochter erst, was er gethan, worauf der Sohn als Mitglied der Familie aufgenommen wurde, welche in dem Hause wohnte, mit dem Du bekannt bist. Als der Sohn zum jungen Manne heranwuchs, wurde er ausschweifend, verschwenderisch, ungehorsam – ganz und gar schlecht. Zuletzt verstieß und enterbte ihn sein Vater; doch erweichte sich sein Herz gegen ihn, als er im Sterben lag, und er hinterließ ihm ein hübsches Vermögen, obgleich lange nicht so viel, wie Miß Havisham erhielt. Trinke noch ein Glas Wein, und entschuldige mich, wenn ich bemerke, daß die Gesellschaft im Allgemeinen es Niemandem zumuthet, sein Glas so gewissenhaft zu leeren, daß er genöthigt ist, den obern Rand mit der Nase zu berühren.«

Ich hatte dies im Uebermaße meiner Aufmerksamkeit auf seine Erzählung in der That gethan. Ich dankte ihm und entschuldigte mich. Er sagte: »Bitte, nicht nöthig,« und fuhr fort.

»Miß Havisham war jetzt eine reiche Erbin, und daher, wie Du Dir denken kannst, sehr als gute Partie gesucht. Ihr Halbbruder hatte nunmehr reichliche Mittel, aber brachte bald wieder mit Schulden und allerlei neuen Tollheiten Alles durch. Es gab jetzt zwischen ihr und ihm größere Zwistigkeiten, als je zwischen ihm und seinem Vater Statt gefunden, und man vermuthet, daß er einen tiefen, tödtlichen Haß gegen sie nährte, weil er glaubte, daß sie des Vaters Zorn gegen ihn angeregt habe. Jetzt komme ich zu dem grausamen Theile der Geschichte, und unterbreche mich bloß, lieber Händel, um zu bemerken, daß eine Serviette nicht in ein Wasserglas hineingeht.«

Warum ich versuchte, die meinige in mein Wasserglas zu pressen, bin ich durchaus nicht im Stande zu sagen. Ich weiß nur, daß ich mich darauf ertappte, sie mit einer Beharrlichkeit und Anstrengung, die einer weit bessern Sache würdig gewesen wäre, in jene engen Grenzen hineinzustopfen. Ich sagte abermals, ich danke ihm und bitte um Entschuldigung, und er antwortete wieder auf die fröhlichste Weise: »Bitte, durchaus nicht nöthig!« und fuhr fort.

»Es erschien jetzt auf dem Schauplatze – wir wollen annehmen, daß es auf einem Wettrennen oder auf einem öffentlichen Balle oder sonst irgendwo gewesen – ein gewisser Herr, welcher Miß Havisham den Hof zu machen begann. Ich habe ihn nie gesehen, Händel, denn dies trug sich vor fünfundzwanzig Jahren zu, als Du und ich noch nicht geboren waren, aber ich habe meinen Vater sagen hören, daß er ein Mann von ins Auge fallendem Aeußern war, und gerade der Mann für den Zweck. Aber mein Vater behauptet zugleich fest, daß er ohne Unwissenheit oder Vorurtheile, unmöglich für einen Gentleman angesehen werden konnte; denn er stellt den Grundsatz auf, daß kein Mann, der nicht im Grunde des Herzens ein Gentleman ist, jemals, so lange die Welt steht, ein echter Gentleman in seinem äußern Auftreten war. Er sagt, kein Firniß kann je die Adern des Holzes verbergen, und je mehr Firniß man darauf bringt, desto deutlicher werden die Adern sich zeigen. Genug, dieser Mensch verfolgte Miß Havisham unausgesetzt, und that, als ob er ihr aufs tiefste ergeben sei. Ich glaube, sie hatte bisher nicht viel Empfänglichkeit verrathen; aber dieselbe zeigte sich jetzt in ihrem ganzen Umfange, und sie liebte ihn nunmehr mit wahrer Leidenschaft. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß sie ihn förmlich vergötterte. Er wußte sich ihre Zuneigung dermaßen zu Nutze zu machen, daß er große Summen Geldes von ihr erhielt, und sie bewog, ihrem Bruder einen Antheil an der Brauerei (welche der Vater schwach genug gewesen, ihm zu vermachen) für einen ungeheuren Preis abzukaufen, unter dem Vorwande, daß, sobald er ihr Gemahl sein werde, er das Ganze in Händen haben und leiten müsse. Dein Vormund besaß zu jener Zeit noch nicht Miß Havishams Vertrauen und sie war zu hochmüthig und liebte den Menschen zu sehr, um sich von irgend Jemand rathen oder leiten zu lassen. Ihre Verwandten, mit Ausnahme meines Vaters, waren arm und intriguant: mein Vater war wohl arm genug, aber weder neidisch, noch ein Speichellecker. Als der einzige Selbständige unter ihnen warnte er sie und sagte ihr, sie thue zu viel für diesen Menschen und gebe sich zu rückhaltlos in seine Macht. Sie ergriff die erste Gelegenheit, um meinen Vater, in seiner Gegenwart, zornig aus dem Hause zu schicken, und mein Vater hat sie seitdem niemals wieder gesehen.«

Ich erinnerte mich, wie sie gesagt hatte: »Matthew wird zuletzt doch kommen, wenn man mich todt auf diesen Tisch da gelegt haben wird«, und fragte Herbert, ob denn sein Vater sich durchaus nicht mit ihr versöhnen wolle?

»Das ist es nicht,« sagte er, »aber sie beschuldigte ihn Angesichts ihres Verlobten, daß er sich in der Erwartung, sie für seine eigenen Vortheile zu gewinnen, getäuscht fühle, und falls er jetzt zu ihr ginge, würde es – selbst ihm und ihr – scheinen, als ob dem wirklich so gewesen. Um jedoch auf den Mann zurück und mit ihm zu Ende zu kommen. Der Hochzeitstag war angesetzt, die Hochzeitskleider gekauft, die Hochzeitsreise projectirt und die Hochzeitsgäste geladen. Der Tag kam, aber der Bräutigam nicht. Er schrieb ihr einen Brief –«

»Welchen sie erhielt,« unterbrach ich ihn. »als sie sich zur Trauung ankleidete? Zwanzig Minuten vor neun Uhr?«

»Zur selbigen Stunde und Minute,« sagte Herbert mit dem Kopfe nickend, »zu der sie später alle Uhren still stehen ließ. Was noch sonst dahinter war, außer, daß er auf das herzloseste die Heirath abbrach, das weiß Niemand. Als sie sich von der schlimmen Krankheit erholte, welche sie in Folge des unglücklichen Ereignisses befiel, ließ sie das ganze Etablissement in den wüsten Zustand fallen, in welchem Du es gesehen hast, und hat seitdem nie mehr das Tageslicht erblickt.«

»Ist das die ganze Geschichte?« frug ich, nachdem ich ein wenig darüber nachgedacht.

»Alles, was ich darüber weiß; und ich weiß es in der That nur, indem ich es mir aus Diesem und Jenem, was ich gehört, zusammengestellt habe; denn mein Vater vermeidet stets den Gegenstand, und sagte mir damals, als ich zu Miß Havisham ging, nur gerade so viel davon, wie ich nothwendiger Weise wissen mußte. Aber Eines habe ich vergessen. Es wird vermuthet, daß der Mann, dem sie ihr übel angebrachtes Vertrauen schenkte, von Anfang bis zu Ende im Einverständnisse mit ihrem Halbbruder handelte; daß es eine Verabredung zwischen ihnen war und sie den daraus erwachsenden Profit theilten.«

»Dann wundert es mich aber, daß er sie nicht heirathete, um so das ganze Vermögen in die Hände zu bekommen,« sagte ich.

»Er mag möglicher Weise bereits verheirathet, und ihre bittere Demüthigung ein Theil von ihres Halbbruders Rache gewesen sein,« sagte Herbert. »Aber merke wohl, daß ich das nicht weiß

»Was wurde aus den beiden Männern?« fragte ich, nachdem ich abermals über die Sache nachgedacht hatte.

»Sie sanken immer tiefer in Schande und Erniedrigung – falls es noch tiefere Erniedrigung geben kann – und Verderben.«

»Sind sie jetzt noch am Leben?«

»Das weiß ich nicht.«

»Du sagtest, Estella sei nicht verwandt mit Miß Havisham, sondern bloß adoptirt. Wann wurde sie von ihr adoptirt?«

Herbert zuckte die Achseln. »Es hat immer eine Estella gegeben, so lange ich von einer Miß Havisham gehört habe. Mehr weiß ich darüber nicht. Und jetzt, Händel,« sagte er, die Geschichte gewissermaßen bei Seite legend, »ist ein vollkommenes offenes Verständniß zwischen uns. Alles, was ich über Miß Havisham weiß, das weißt auch Du jetzt.«

»Und was ich weiß,« entgegnete ich, »das weißt Du

»Ich glaube es vollkommen. Und so können zwischen Dir und mir weder Mißverständnisse noch Verlegenheiten Statt finden. Und was die Bedingung betrifft, unter welcher Du Dein Avancement im Leben erhalten – daß Du nämlich keine Erkundigungen oder Untersuchungen darüber anstellst, wem Du dasselbe zu verdanken hast – so kannst Du versichert sein, daß weder ich noch irgend einer meiner Angehörigen den Gegenstand jemals unberufener Weise berühren wird.«

Und er sagte dies in Wahrheit auf so zartsinnige Weise, daß ich fühlte, wir seien mit der Sache fertig, und wenn ich jahrelang unter seines Vaters Dache bliebe. Er sagte es dabei aber auch mit so vieler Andeutung, daß ich ebenso deutlich wahrnahm, wie er in Miß Havisham meine Wohlthäterin sehe, und über dieses Factum so klar war, wie ich selbst.

Es war mir bisher nicht eingefallen, daß er die Sache zur Sprache gebracht, um sie ein für alle Mal aus dem Wege zu räumen; aber wir fühlten uns hinterher um so Vieles gemüthlicher und erleichtert, daß ich jetzt bemerkte, welche Absicht Herbert geleitet hatte. Wir waren sehr fröhlich und mittheilsam, und ich fragte ihn im Laufe der Unterhaltung, was er sei? Er erwiederte: »Capitalist – Schiffsversicherer.« Er bemerkte vermuthlich, wie ich mich im Zimmer umschaute, um etwas von Schiffen oder Capital zu sehen, denn er fügte hinzu: »In der City.«

Ich hatte ungeheure Begriffe von dem Reichthume und der Wichtigkeit der Schiffsversicherer in der City, und begann mit ehrfurchtsvollem Schrecken daran zu denken, daß ich einen solchen jungen Versicherer auf den Rücken geworfen, ihm das speculirende Auge blau geschlagen, und das kaufmännische Haupt zerbläut hatte. Dann aber kam mir, zu meiner Beruhigung, wieder jener merkwürdige Gedanke, daß Herbert Pocket niemals sehr glücklich, oder reich werden würde.

»Ich werde mich nicht begnügen, mein Capital bloß im Schiffsversicherungsgeschäft anzulegen. Ich werde einige gute Lebensversicherungsactien kaufen, und Direktor werden. Ich werde auch etwas im Bergbau machen. Keine dieser Unternehmungen wird mir verwehren, ein paar tausend Tons auf eigene Rechnung zu chartern. Ich werde aus Ostindien Seidenstoffe, Shawls, Gewürze, Farben, Specereien und kostbare Holzarten importiren,« sagte er, sich in seinem Stuhle zurücklehnend. »Es ist ein sehr interessanter Handel.«

»Und bringt großen Profit?« sagte ich.

»Ungeheuren Profit!«

Ich wurde wieder unsicher, und begann zu denken, daß es hier größere Erwartungen gebe, als die meinigen.

»Und dann,« sagte er, indem er seine Daumen in seine Westentaschen steckte, »werde ich aus Westindien Zucker, Tabak und Rum importiren. Aus China Thee. Und auch aus Ceylon hauptsächlich Elephantenzähne.«

»Du wirst viele Schiffe gebrauchen,« sagte ich.

»Eine ganze Flotte,« sagte er.

Völlig überwältigt von der Großartigkeit dieser Geschäfte, fragte ich ihn, mit welchem Lande er augenblicklich am meisten handle?

»Ich habe noch nicht angefangen,« sagte er. »Ich schaue mich erst um.«

Ich weiß nicht, wie es war, aber diese Beschäftigung schien mir mehr mit Barnards Inn im Einklange, als der Handel mit Ostindien und der mit den Elephantenzähnen. Ich sagte (in einem Tone der Ueberzeugung) »Ah –h!«

»Ja. Ich bin auf einem Comptoir und schaue mich um.«

»Ist ein Comptoir einträglich?« fragte ich.

»Für – meinst Du für den jungen Mann, der sich darin umschaut?« fragte er seinerseits.

»Ja; für Dich.«

»Nun, n–ein.« Er sagte dies mit einer Miene, als ob er zusammenrechne und einen sorgfältigen Saldo ziehe. »Nicht geradezu einträglich. Das heißt, man bekommt nichts und hat – für sich selbst zu sorgen.«

Dies sah allerdings nicht sehr einträglich aus, und ich schüttelte den Kopf, wie um dadurch zu verstehen zu geben, daß es ihm schwer fallen würde, von einer solchen Verdienstquelle großes Vermögen zurückzulegen.

»Aber die Sache ist die,« sagte Herbert Pocket, »daß man sich umschauen kann. Das ist die große Hauptsache. Man ist in einem Comptoir, siehst Du, und man schaut sich um.«

Es frappirte mich als eine merkwürdige Folgerung, daß man nicht außerhalb eines Comptoirs sich umschauen könne; aber ich ordnete mich schweigend seiner größern Erfahrung unter.

»Dann kommt die Zeit,« fuhr Herbert fort, »wo man seine Gelegenheit sieht. Und man geht drauf los, ergreift sie, und – da ist man ein gemachter Mann!«

Dies sah ganz außerordentlich seiner Art und Weise bei jener Affaire im Garten ähnlich; sehr, sehr ähnlich. Die Art und Weise, in welcher er seine Armuth ertrug, war im vollkommensten Einklange mit der Art und Weise nach seiner Niederlage. Es schien mir, daß er jetzt alle Stöße und Schläge gerade so hinnahm, wie damals die meinigen. Es war in die Augen fallend, daß er nichts um sich hatte, als die einfachsten nothwendigsten Gegenstände, denn Alles, was ich bemerkte, erwies sich als meinetwegen von der Restauration oder sonst wo her gesandt.

Und doch, obgleich er im Geiste bereits sein Glück gemacht, war er so wenig stolz darauf, daß ich ihm ordentlich Dank wußte, daß er nicht aufgeblasen war. Es war dies eine angenehme Zugabe zu seinen natürlichen angenehmen Manieren, und wir wurden herrlich mit einander fertig. Abends gingen wir in den Straßen spazieren, und für halben Preis ins Theater; und am folgenden Tage gingen wir nach der Westminster Abtei, und Nachmittags machten wir einen Spaziergang in den Parks, und ich dachte, wer wohl alle die Pferde beschlüge, die ich dort sah, und wünschte, daß Joe es gewesen wäre.

Nach mäßiger Berechnung waren es an diesem Sonntage viele Monate, seit ich Joe und Biddy verlassen. Der Raum, der zwischen mir und ihnen lag, besaß dieselbe Ausdehnung und die Marschen lagen in irgend einer beliebigen Entfernung. Daß ich erst am allerletzten Sonntage in meinen alten Sonntagskleidern in unserer alten Dorfkirche gewesen, schien eine Combination von geographischen, gesellschaftlichen, solarischen und lunarischen Unmöglichkeiten. Und dennoch empfand ich in den Straßen Londons, die von Menschen wimmelten und in der Abenddämmerung so hell erleuchtet waren, mehr als einmal den niederdrückenden Vorwurf, daß ich die arme alte Küche daheim so weit von mir gethan; und in der Nacht fiel der Fußtritt irgend eines betrügerischen, unfähigen alten Thürstehers, der unter dem Vorwande, als bewache er uns, in Barnards Inn umherschlich, mir dumpf aufs Herz.

Am Montag Morgen, ein Viertel vor neun Uhr, ging Herbert aufs Comptoir, um sich zu melden – und um sich zugleich umzuschauen, denke ich mir – und ich begleitete ihn. Er sollte sich in ein paar Stunden beurlauben, um mich nach Hammersmith zu bringen, und ich sollte unterdeß umhergehen und auf ihn warten. Es schien mir, daß die Eier, aus denen junge Kaufleute gebrütet werden, in Staub und Hitze gelegt würden, wie Straußeneier, wenigstens nach den Orten zu urtheilen, nach denen jene angehenden Handelsriesen sich Montag Morgens begaben. Auch erschien das Comptoir, in welchem Herbert sich umschaute, meinen Augen durchaus nicht als ein gutes Observatorium; denn dasselbe lag in einem Hofe in der Hinterseite eines Hauses, in der zweiten Etage, und hatte vielmehr eine Einsicht, als eine Aussicht in eine andere zweite Etage, und war überhaupt in allen seinen Einzelnheiten eine unsaubere Erscheinung.

Ich wanderte wartend umher, bis es Mittag wurde, und ging in die Börse, wo ich rußige Männer unter den Anschlagezetteln, welche über Schifffahrt berichteten, sitzen sah und sie für große Kaufleute hielt, obgleich ich nicht begreifen konnte, warum sie Alle so niedergeschlagen waren. Als Herbert kam, gingen wir zum Frühstück nach einer berühmten Restauration, welche ich damals förmlich vergötterte, von der ich jetzt aber zu glauben geneigt bin, daß sie das verworfenste Betrügernest in ganz Europa war, und wo ich selbst damals nicht umhin konnte, zu bemerken, daß viel mehr Sauce auf den Tischtüchern, Messern und den Kellnerkleidern war, als auf den Beefsteaks.

Nachdem wir für diese Erfrischung mit einer mäßigen Summe (denn sie war mäßig, wenn man die viele Sauce auf den Tischtüchern &c. in Anschlag bringt, welche uns nicht angerechnet wurde) Zahlung geleistet, kehrten wir nach Barnards Inn zurück, um meinen kleinen Nachtsack abzuholen, und begaben uns dann nach der Postkutsche, welche nach Hammersmith fuhr. In Hammersmith langten wir gegen drei Uhr an, und hatten nur eine kurze Strecke Weges bis zu Mr. Pockets Hause zu gehen. Ein Pförtchen öffnend, gingen wir geradezu in einen kleinen Garten, der am Ufer des Flusses lag und in welchem wir Mr. Pockets Kinder umherspielen sahen; und falls ich mich nicht über einen Punkt täusche, der sicherlich meine eigenen Interessen oder Vorurtheile nichts anging, so sah ich augenblicklich vollkommen so klar, wie nur jemals später, daß Mr. Pockets Kinder nicht aufwuchsen oder aufgezogen wurden, sondern aufpurzelten.

Mrs. Pocket saß lesend auf einem Gartensessel unter einem Baume und hatte ihre Füße auf einen zweiten Gartensessel gelegt, und Mrs. Pockets beide Kinderwärterinnen, welche ungefähr aussahen, als ob sie die Besitzerinnen von Mrs. Pocket seien, sahen sich um, während die Kinder spielten. »Mama«, sagte Herbert, »dies ist der junge Mr. Pip.« Worauf Mrs. Pocket mich mit einer Miene von liebenswürdigem Enthusiasmus empfing, und mir als eine außerordentlich charmante Dame erschien.

»Master Alik und Miß Jane«, rief die eine der Wärterinnen zweien von den Kindern zu, »wenn Sie so wild gegen die Büsche da springen, so werden Sie ins Wasser fallen und ertrinken, und was wird dann Ihr Papa sagen?«

Zugleich nahm diese selbe Wärterin Mrs. Pockets Taschentuch vom Boden auf und sagte: »Ob das nicht das sechste Mal ist, daß Sie's haben fallen lassen?« Worauf Mrs. Pocket lachte und sagte: »Danke, Flopson« und sich bloß auf einem Sessel zurechtsetzend, zu ihrer Lectüre zurückkehrte. Ihr Gesicht nahm augenblicklich einen ernsten, versunkenen Ausdruck an, als ob sie bereits seit einer Woche gelesen habe; ehe sie jedoch ein halbes Dutzend Zeilen gelesen haben konnte, heftete sie auf die liebenswürdigste Weise ihre Augen auf mich und sagte: »Ich hoffe Ihre Mama ist ganz wohl?« Diese unerwartete Frage brachte mich in solche Verlegenheit, daß ich auf die albernste Weise zu sagen begann, falls eine solche Persönlichkeit existirte, bezweifle ich nicht, daß sie sich ganz wohl befinden, Mrs. Pocket sehr dankbar sein und ihre Empfehlung geschickt haben würde, als die Wärterin mir zu Hülfe kam.

»Na!« rief sie aus, indem sie das Taschentuch abermals aufnahm, »ob das nicht sieben Mal sind! Was machen Sie nur heute Nachmittag, Madam!« Mrs. Pocket nahm ihr Taschentuch anfangs mir einem Blicke des unaussprechlichsten Erstaunens, als ob sie es noch nie vorher gesehen, und sagte dann mit einem Lachen des Erkennens: »Dank, Flopson!« und vergaß mich und vertiefte sich wieder in ihre Lectüre.

Ich entdeckte jetzt, da ich Muße hatte, sie zu zählen, daß nicht weniger als sechs kleine Pockets sich in den verschiedenen Stadien des Aufpurzelns befanden. Ich hatte kaum meine Addition vollendet, als sich ein siebentes Kleines irgendwo in der Luft hören ließ, indem es kläglich wimmerte.

»Wo das nicht das Kleinste ist!« sagte Flopson, indem sie außerordentlich überrascht aussah. »Machen Sie schnell, daß Sie hinauf kommen, Millers.«

Millers, welche die andere Wärterin war, ging ins Haus hinein, und allmälig wurde das Wimmern des Kindes gedämpfter, als ob es ein junger Bauchredner gewesen wäre mit irgend Etwas in seinem Munde. Mrs. Pocket las fortwährend. Endlich blickte sie wieder auf und mich an und fragte, ob ich gern reiste? Die abstracte Natur dieser Frage überraschte mich abermals so, daß ich »Nein« sagte, was – ohne daß ich irgend etwas damit gemeint oder beabsichtigt hatte, Mrs. Pocket lieb zu sein schien. »Nein,« sagte sie, »es verursacht Einem so viel Eile und Mühe, nicht wahr?« Flopson legte sich hier mit der Bemerkung dazwischen: »Es ist nichts für Sie, Madam«; worauf Mrs. Pocket »Nein, Flopson« sagte, und lachte und zu lesen fortfuhr.

Wir warteten hier, wie ich vermuthete, bis Mr. Pocket zu mir herauskommen würde; jedenfalls warteten wir, und dies bot mir eine Gelegenheit, das auffallende Familienphänomen zu bemerken, daß jedes Mal, wenn eines der Kinder im Spielen Mrs. Pocket zu nahe kam, das Kind stolperte und über sie fiel – und zwar jedes Mal zu ihrem – Mrs. Pockets – eigenen großen augenblicklichen Erstaunen, und des Kindes weit dauernderem Jammer. Es war mir unmöglich, mir diese erstaunliche mütterliche Eigenschaft zu erklären, und ich konnte nicht umhin, ziemlich ernstlich darüber nachzugrübeln, bis nach einer kleinen Weile Millers mit dem kleinsten Kinde herunterkam, welches letztere sie Flopson überlieferte und Flopson Mrs. Pocket reichen wollte, als auch sie – Flopson – mit dem Würmchen über Mrs. Pocket hinstürzte und von Herbert und mir aufgefangen wurde.

»Mein Himmel, Flopson!« sagte Mrs. Pocket mit mildem Staunen, »Alles fällt ja!«

»Ja mein Himmel, Madam!« entgegnete Flopson, welche sehr roth im Gesichte wurde, »was haben Sie nur?«

»Was ich habe, Flopson?« fragte Mrs. Pocket.

»Na! ob das nicht Ihre Fußbank ist!« rief Flopson aus; »und wie man da wohl nicht fallen soll, wenn Sie sie so unter Ihren Röcken verstecken! Hier, nehmen Sie das Kind, Madam, und geben Sie mir Ihr Buch, bitte.«

Mrs. Pocket folgte dem Rathe und ließ das Kleine auf ihrem Schooße tänzeln, während die anderen Kinder es fröhlich umspielten. Dies hatte jedoch nur eine sehr kurze Weile gewährt, als Mrs. Pocket einen summarischen Befehl ertheilte, die Kinder alle zu einem Nachmittagsschläfchen ins Haus zu führen. Auf diese Weise machte ich an diesem ersten Nachmittage eine zweite Entdeckung, welche darin bestand: daß die Erziehung der kleinen Pockets in abwechselndem Niederpurzeln und Insbettlegen bestand.

Unter diesen obwaltenden Umständen war ich – als Millers und Flopson die Kinder wie eine Schafheerde ins Haus getrieben hatten und Mr. Pocket herauskam, um meine Bekanntschaft zu machen – nicht sehr überrascht, zu finden, daß Mr. Pocket ein Herr mit einem ziemlich verdutzten Gesichtsausdrucke war, dessen Haar etwas unordentlich auf seinem Haupte empor stand, wie wenn er nicht recht wisse, auf welche Weise er in irgend Etwas einige Ordnung bringen könne.

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