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Zwanzigstes Kapitel.
Mr. Jaggers in seinem Glanze.

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Die Reise von unserm Städtchen nach der Hauptstadt währte etwa fünf Stunden. Es war bald nach Mittag, als die vierspännige Postkutsche, in der ich ein Passagier war, in den Verkehrsknäuel gerieth, der sich fortwährend um die Croß-Keys, Wood-Street, Cheapside, in London, schlingt.

Wir Britten waren zu jener Zeit vollkommen darüber einig geworden, daß es Hochverrath sei, zu zweifeln, daß wir von Allem das Beste seien und hätten; sonst, denke ich mir, wäre mir vielleicht, während die Unendlichkeit Londons mich fast erschreckte, ein leiser Zweifel gekommen, ob es nicht eigentlich ziemlich häßlich, unregelmäßig und eng gebaut und räucherig sei.

Mr. Jaggers hatte mir, seinem Versprechen getreu, seine Adresse geschickt; dieselbe nannte Little Britain, und er hatte auf seiner Karte noch hinzugefügt »gerade, wenn man aus Smithfield heraus kommt, und dicht neben dem Posthofe.« Dessenungeachtet packte mich ein Droschkenfuhrmann, der auf seinem schmierigen Ueberrocke so viele Kragen zu haben schien, als er Jahre alt war, in seine Kutsche und schloß mich in dieselbe mit einem Geklapper und Gerassel des Kutschenschlags ein, als ob er mich wenigstens fünfzig Meilen weit zu fahren beabsichtigte. Sein Besteigen des Bocks, welcher, wie ich mich entsinne, mit einer alten erbsgrünen Decke verziert war, an deren Zerstörung sich die wechselnde Witterung und die Motten in gleichem Maße betheiligt, erforderte einige Zeit. Es war überhaupt eine wunderbare Equipage; sechs Grafenkronen glänzten auf der Außenseite, und hinten baumelten zerfetzte Riemen, als Anhaltspunkte für ich weiß nicht wie viele Bedienten, und unter ihnen war ein Eisenkamm, um Straßenjungen abzuhalten, der Versuchung, improvisirte Bedientenrollen zu übernehmen, nachzugeben.

Ich hatte kaum Zeit gehabt, mich dem Genusse des Fahrens in dieser Kutsche hinzugeben, und zu finden, daß es hier sehr wie in einem feuchten Strohhofe und dabei zugleich wie in einem Lumpenladen dufte, und zu denken, warum wohl die Futterbeutel der Pferde drinnen lägen, als ich bemerkte, wie der Kutscher sich zum Absteigen anschickte, wie wenn er in Kurzem stille halten würde. Und so geschah es auch, und zwar in einer düstern Straße, vor einem gewissen Geschäftslocal, auf dessen offen stehender Thür die Worte »Mr. Jaggers« gemalt waren.

»Wie viel?« fragte ich den Kutscher. Der Kutscher antwortete: »Einen Schilling –falls Sie nicht noch was zulegen wollen.«

Ich sagte natürlicherweise, daß ich durchaus nicht wünsche noch etwas zuzulegen.

»Dann muß es bei einem Schilling bleiben.« bemerkte der Kutscher. »Mich verlangt nicht danach, in Ungelegenheiten zu gerathen. Ich kenne ihn!« Er schloß mit einem finstern Blicke auf Jaggers Namen ein Auge und schüttelte den Kopf.

Als er seinen Schilling in Empfang genommen hatte und es ihm im Verlaufe der Zeit gelungen war, wieder seinen Bock zu besteigen, fuhr er davon (was sein Gemüth zu erleichtern schien), und ich trat, meinen kleinen Nachtsack in der Hand, ins vordere Comptoir und fragte, ob Mr. Jaggers zu Hause sei.

»Nein er ist nicht zu Hause,« sagte der Schreiber. »Er ist augenblicklich im Gericht. Spreche ich mit Mr. Pip?«

Ich sagte, er spreche in der That mit Mr. Pip.

»Mr. Jaggers läßt Ihnen sagen, Sie möchten ihn in seinem Zimmer erwarten. Er konnte nicht sagen, wie lange er fortbleiben würde, da er gerade eine Sache zu führen hat. Aber es versteht sich natürlich von selbst, daß er, da seine Zeit kostbar ist, nicht länger bleiben wird, als er es durchaus nöthig hat.«

Mit diesen Worten öffnete der Schreiber eine Thüre und führte mich in ein inneres Zimmer hinten hinaus. Hier fanden wir einen Herrn mit nur einem Auge in einem Anzuge von Baumwollensammet und Kniehosen, der, da wir ihn in seinem Studium der Zeitung störten, sich mit dem Aermel die Nase wischte.

»Geht hinaus und wartet draußen, Mike,« sagte der Schreiber.

Ich fing an zu sagen, ich hoffe, ich störe nicht – als der Schreiber diesen Herrn mit der allergeringsten Ceremonie der Welt hinausschob, ihm seine Pelzmütze nachwarf und mich allein ließ.

Mr. Jaggers Zimmer erhielt sein Licht nur durch ein Deckenfenster, und war höchst ungemüthlich; das Deckenfenster war auf excentrische Weise ausgeflickt und bepflastert, wie ein zerschlagener Kopf, und die verdrehten benachbarten Häuser sahen aus, als ob sie sich so verdreht hätten, um durch dieses Fenster hindurch auf mich herabzuschauen. Es lagen nicht so viele Papiere umher, wie ich zu sehen erwartete, aber einige merkwürdige Gegenstände, die ich nicht zu sehen erwartet hätte, wie z. B. eine alte rostige Pistole, ein Schwert in einer Scheide, mehrere seltsam aussehende Kistchen und Paquete und, auf einem Bücherbrete, zwei Abdrücke von eigenthümlich geschwollenen Gesichtern, die um die Nase herum etwas Verzerrtes hatten. Mr. Jaggers eigener hochlehniger Stuhl war von rabenschwarzem Roßhaar, und hatte durch die Reihen von Messingnägeln, mit denen er beschlagen war, etwas Sargartiges, und es war mir, als sähe ich ihn sich in demselben zurücklehnen, und, an seinem Zeigefinger nagend, mit seinen Clienten verhandeln. Das Zimmer war nur klein, und die Clienten schienen die Gewohnheit zu haben, sich mit dem Rücken gegen die Wand zu lehnen: denn die Wand war, namentlich Mr. Jaggers Stuhle gegenüber, schmierig von ihren Schultern. Auch erinnerte ich mich, daß der einäugige Herr sich an der Wand entlang geschoben hatte, als ich die unschuldige Ursache seiner Ausweisung geworden war.

Ich setzte mich in den Clientenstuhl, der Mr. Jaggers Stuhle gerade gegenüber stand, und wurde wie behext von der unheimlichen Atmosphäre des Gemaches. Ich erinnerte mich jetzt, daß der Schreiber, wie sein Herr, das Aussehen habe, als wisse er etwas zu Jedermanns Nachtheile. Ich erging mich in Muthmaßungen, wieviele Schreiber wohl noch oben seien, und ob sie wohl alle dieselbe herabsetzende Ueberlegenheit über ihre Mitmenschen beanspruchten. Dann erging ich mich in Muthmaßungen über die Geschichte aller der sonderbaren Sachen, die im Zimmer umherlagen, und wie sie wohl dort hingekommen; und ob wohl die beiden geschwollenen Gesichter Mr. Jaggers Familie angehörten, und warum, falls er das Unglück hatte, ein Paar so schlimm aussehende Verwandte zu besitzen, er sie hier auf diesen staubigen Sims ausstellte, als Ablagerungsplatz für Fliegen und schwarze Rußflocken, anstatt ihnen zu Hause einen Platz zu geben. Natürlich besaß ich noch keine Erfahrungen über die Eigenthümlichkeiten eines Londoner Sommertages, und fühlte mich vielleicht durch die heiße Luft und den Staub und Sand, die auf jedem Gegenstande lagerten, bedrückt. Aber ich saß in Verwunderung und Erwartung in Mr. Jaggers schwülem Zimmer, bis ich wirklich die beiden Gesichter aus dem Simse über Mr. Jaggers Stuhle nicht länger ertragen konnte, und deshalb aufstand und hinausging.

Als ich dem Schreiber sagte, ich wolle, so lange ich noch zu warten habe, ein wenig draußen im Freien auf und ab gehen, rieth er mir, um die Ecke zu gehen, wo ich dann nach Smithfield kommen würde. Demzufolge langte ich in Smithfield an, und der schändliche Platz, der von Schmutz und Fett und Blut starrte, schien an mir fest zu kleben. Ich schüttelte ihn daher mit möglichster Schnelle von mir ab, indem ich in eine Straße einbog, wo ich hinter einem großen, düster aussehenden Steingebäude, das mir ein Unbekannter als das Newgate Gefängniß vorstellte, die große schwarze Kuppel der Sanct Pauls Kirche hervorragen sah. An der Mauer des Gefängnisses entlang gehend, bemerkte ich, daß der Fahrweg mit Stroh bedeckt war, um das Getöse der vielen vorüberfahrenden Fuhrwerke zu dämpfen; und, hiernach, so wie nach der Menge von Menschen, welche umherstanden und nach Bier und geistigen Getränken rochen, schloß ich, daß die Gerichtsverhandlungen im Gange seien.

Während ich mich hier umschaute, fragte mich ein ausgezeichnet unsauberer und halb berauschter Diener der Gerechtigkeit, ob ich Lust habe, hinein zu gehen und ein paar Verhöre mit anzuhören, indem er hinzufügte, daß er mir für eine halbe Krone einen Platz in der Vorderreihe verschaffen könne, der mir einen vollen Anblick des Lord-Oberrichters in seiner Perrücke und seinem Amtskleide gestatten würde: als ob er mir eine Wachsfigur zu zeigen habe, die er mir gleich darauf zu dem herabgesetzten Preise von achtzehn Pence anbot. Da ich das Anerbieten unter dem Vorwande ablehnte, mich mit einem Freunde bestellt zu haben, war er so freundlich, mich in den Hof zu führen, und mir zu zeigen, wo man den Galgen aufbewahrte, und wo man die Leute öffentlich auspeitschte, und dann zeigte er mir das Schuldnerthor, durch welches die Verbrecher herauskamen um gehangen zu werden; wobei er das Interesse dieses fürchterlichen Portals noch durch die Mittheilung zu erhöhen suchte, daß »Vier Solche« übermorgen früh um acht Uhr durch diese Pforte herauskommen würden, um in einer Reihe aufgehangen zu werden. Dies war entsetzlich, und gab mir einen Begriff von London, der mir fast Uebelkeit verursachte, und zwar um so mehr, da der Besitzer des Lord-Oberrichters, von seinem Hute abwärts bis zu seinen Stiefeln, und umgekehrt – sein Taschentuch mit eingerechnet – verschimmelte Kleider trug, die offenbar nicht ursprünglich ihm gehörten, sondern die er, wie ich mir fest in den Kopf setzte, billig vom Henker erstanden. Unter diesen Umständen glaubte ich mir Glück wünschen zu dürfen, ihn durch das Opfer eines Schillings los zu werden.

Ich kehrte nach der Expedition zurück, um zu sehen, ob Mr. Jaggers noch nicht angekommen sei, und da ich fand, daß dies nicht der Fall, schlenderte ich wieder hinaus. Dies Mal nahm ich meinen Weg durch Little Britain und bog dann in Bartholomew Close ein; und jetzt wurde ich gewahr, daß außer mir noch mehr Leute auf Mr. Jaggers warteten. Ich sah zwei Männer von geheimnißvollem Aussehen in Bartholomew Close umherwandern und, während sie sich unterhielten, gedankenvoll ihre Füße in die Spalten des Steinpflasters einpassen, und als sie zum ersten Male an mir vorbeikamen, hörte ich, wie der eine zum anderen sagte:

»Wenn sichs überhaupt thun läßt, so ist Mr. Jaggers der Mann dazu.«

An einer Ecke stand eine Gruppe von drei Männern und zwei Frauen, und eine der Letzteren weinte in ihren schmutzigen Shawl hinein, während die andere, indem sie ihr eigenes Tuch über ihre Schultern zog, sie mit den Worten zu trösten suchte:

»Jaggers ist für ihn, Melia, und was kannst Du mehr verlangen?«

Dann kam, während ich müssig dort umherwanderte, ein rothäugiger kleiner Jude in das Sackgäßchen, begleitet von einem zweiten kleinen Juden, den er mit einem Auftrage fortschickte; und während der Bote fort war, sah ich diesen Juden, der von außen ordentlich aufgeregtem Temperament zu sein schien, unter einem Lampenpfosten einen Tanz der Angst ausführen, den er in einer Art von Raserei mit den Worten begleitete:

»O, Jaggersch, Jaggersch, Jaggersch! ist ganz was andersch als Cag-Maggersch, ich bin für Jaggersch!«

Dieses Zeugniß für die Popularität meines Vormundes machte tiefen Eindruck auf mich, und ich war mehr denn je von Verwunderung und Staunen erfüllt.

Endlich, da ich durch das eiserne Thor von Bartholomew Close in Little Britain hineinschaute, sah ich Mr. Jaggers über den Weg herüber mir entgegenkommen. Alle die Anderen, die auf ihn gewartet hatten, erblickten ihn in demselben Augenblicke und stürzten förmlich auf ihn los. Mr. Jaggers legte, ohne ein Wort zu mir zu sagen, eine Hand auf meine Schulter und schob mich so an seiner Seite mit sich fort, während er mit den Uebrigen redete.

Zuerst nahm er die beiden geheimnißvoll aussehenden Männer vor.

»Ich habe nichts mehr mit Euch zu schaffen,« sagte Mr. Jaggers, ihnen seinen Zeigefinger zuwerfend. »Ich verlange gar nicht mehr zu wissen, als ich schon weiß. Was den Erfolg betrifft, so hängt er vom Zufall ab. Ich habs Euch von Anfang an gesagt, daß er vom Zufall abhängt. Habt Ihr Wemmick bezahlt?«

»Wir haben heute Morgen zusammengelegt, Sir,« begann der eine der beiden Männer in unterwürfigem Tone, während der andere in seinem Gesichte las.

»Ich frage nicht, wann Ihr zusammengelegt habt, oder wo, oder ob Ihr überhaupt zusammengelegt habt. Hat Wemmick das Geld erhalten?«

»Ja, Sir,« sagten die beiden Männer zugleich.

»Sehr gut; dann könnt Ihr gehen. Ich sage Euch, ich wills nicht haben!« sagte Mr. Jaggers, indem er mit der Hand winkte, daß sie zurückbleiben sollten, »Wenn Ihr mir ein Wort sagt, so lasse ich die Sache fallen.«

»Wir dachten nur, Mr. Jaggers« … begann der eine der Männer, den Hut abziehend.

»Das ist gerade, was ich Euch verboten habe,« sagte Mr. Jaggers. » Ihr dachtet! Ich denke für Euch, und daran müßt Ihr Euch genügen lassen. Wenn ich Eurer bedarf, werde ich Euch schon zu finden wissen; ich will nicht, daß Ihr mich aufsucht. Ich wills nicht haben. Kein Wort weiter.«

Die beiden Männer sahen einander an, als Mr. Jaggers ihnen abermals mit der Hand bedeutete, zurückzubleiben, und blieben dann unterwürfig stehen und wurden nicht mehr gehört.

»Und jetzt Ihr!« sagte Mr. Jagger plötzlich stille stehend und sich zu den beiden Frauen mit den Tüchern wendend, von denen die drei Männer sich mit demüthiger Miene getrennt hatten. »O, Amelia ists, wie?«

»Ja, Mr. Jaggers.«

»Und erinnert Ihr Euch wohl, daß, wenn ich nicht gewesen wäre, Ihr nicht hier sein würdet, gar nicht hier sein könntet?« fragte Mr. Jaggers.

»O ja, Sir!« riefen beide Frauen einstimmig aus. »Gott segne Sie, Sir, das wissen wir sehr wohl!«

»Warum,« sagte Mr. Jaggers, »kommt Ihr da her?«

»Mein Billy, Sir!« flehte die weinende Frau.

»Jetzt will ich Euch was sagen!« sagte Mr. Jaggers. »Laßt Euchs ein für alle Mal gesagt sein: wenn Ihr nicht wißt, daß Euer Billy sich in guten Händen befindet, so weiß ich es wenigstens. Und wenn Ihr darauf besteht, herzukommen und mich mit Euerm Billy zu langweilen, so will ich an Euch sowohl als an Euerm Billy ein Beispiel statuiren, und ihn mir durch die Finger schlüpfen lassen. Habt Ihr Wemmick bezahlt?«

»O ja, Sir! Jeden Heller!«

»Sehr gut. Dann habt Ihr Alles gethan, was nöthig war. Sagt noch ein Wort ein einziges Wort, und Wemmick soll Euch Euer Geld wiedergeben.«

Diese fürchterliche Drohung bewirkte, daß die Frauen augenblicklich zurückblieben. Es blieb jetzt Niemand weiter als der aufgeregte Jude, der bereits zu wiederholten Malen Mr. Jaggers Rockschooß an seine Lippen gedrückt hatte.

»Ich kenne diesen Menschen nicht!« sagte Mr. Jaggers in derselben vernichtenden Weise. »Was will dieser Mensch von mir?«

»Mein lieber Mischter Jaggersch. Bin der Bruder des Abraham Lazarus!«

»Wer ist das?« sagte Mr. Jaggers. »Laßt meinen Rock zufrieden.«

Der Supplicant erwiederte, indem er nochmals das Gewand küßte, ehe er es fahren ließ:

»Abraham Lazarus, der wegen des Silbers in Verdacht ist.«

»Ihr kommt zu spät,« sagte Mr. Jaggers, »ich bin auf der andern Seite.«

»Gott der Gerechte! Mischter Jaggersch!« rief mein aufgeregter Bekannter erbleichend; »sagen Sie mir nicht, daß Sie sind gegen Abraham Lazarus!«

»Ich bin gegen ihn, und damit Punctum,« sagte Mr. Jaggers. »Geht aus dem Wege.«

»Mischter Jaggersch! Eine halbe Minute! Mein eigener Vetter ist soeben gegangen zu Mischter Wemmick in diesem selben Augenblick, um anzubieten ihm jede beliebige Summe. Mischter Jaggersch! Eine halbe Viertelminute! Wenn Sie wollten die Gnädigkeit haben, sich abkaufen zu lassen an die andere Seit – für jeden höhern Preis! – Geld kein Gegenstand! … Mischter Jaggersch! … Mischter …«

Mein Vormund schüttelte den Supplicanten mit erhabenster Gleichgültigkeit von sich ab, und derselbe blieb tanzend und hüpfend auf dem Trottoir zurück, wie wenn dasselbe glühend heiß gewesen wäre. Wir langten ohne fernere Unterbrechung im vordern Comptoir an, wo wir den Schreiber und den Mann in dem Baumwollensammet und mit der Pelzmütze fanden.

»Hier ist Mike,« sagte der Schreiber, indem er von seinem hohen Sessel herabstieg und vertraulich auf Mr. Jaggers zuging.

»O!« sagte Mr. Jaggers, sich zu dem Manne wendend, der sich an einer Locke in der Mitte über seiner Stirne zupfte; »Euer Mann kommt diesen Nachmittag an die Reihe. Nun?«

»Ja nun, Master Jaggers,« entgegnete Mike mit der Stimme eines Mannes, der an habitueller Erkältung leidet; »ich habe mit furchtbarer Mühe endlich Einen gefunden, der passend sein möchte.«

»Was ist er zu beschwören vorbereitet?«

»Je nun, Mas'r Jaggers,« sagte Mike, sich dieses Mal die Nase mit der Pelzmütze wischend, »im Allgemeinen so ziemlich Alles.«

Mr. Jaggers wurde plötzlich außerordentlich zornig, »Hab ich Euch nicht gesagt,« sagte er, dem erschrockenen Clienten seinen Zeigefinger zuwerfend, »daß, falls Ihr Euch je untersteht, hier solche Reden zu führen, ich ein Beispiel an Euch statuiren will? Ihr niederträchtiger Schurke, wie könnt Ihr es wagen, mir so etwas zu sagen?«

Der Client sah erschrocken aus, aber zu gleicher Zeit auch etwas verblüfft, wie wenn er durchaus nicht wisse, was er gethan.

»Tölpel!« sagte der Schreiber mit leiser Stimme, indem er ihn mit dem Ellnbogen anstieß. »Schafskopf! Wozu braucht Ihr ihm das gerade ins Gesicht zu sagen?«

»Jetzt frage ich Euch, Ihr faseliger Einfaltspinsel,« sagte mein Vormund mit großer Strenge, »noch ein Mal und zum letzten Male, was der Mann, den Ihr mitgebracht habt, zu beschwören bereit ist?«

Mike schaute meinen Vormund aufmerksam an, wie wenn er sich eine Antwort aus dessen Gesichte herauslesen wolle, und entgegnete dann langsam:

»Entweder, daß er einen guten Ruf hat, oder auch daß er in jener Nacht fortwährend in seiner Gesellschaft gewesen ist und ihn keine Minute verlassen hat.«

»Jetzt nehmt Euch in Acht. In welcher Lebensstellung ist dieser Mann?«

Mike schaute in seine Pelzmütze hinein, dann auf den Fußboden, dann zur Decke hinauf, dann sah er den Schreiber und dann sogar mich an, ehe er anfing auf zaghafte Weise zu antworten: »Wir haben ihn herausstaffirt wie einen« – als mein Vormund mit den Worten:

»Was? Ihr wollts doch, wollt Ihr?« herausfuhr und ihn unterbrach.

»Tölpel!« fügte der Schreiber abermals hinzu, wobei er ihn nochmals mit dem Ellnbogen anstieß.

Nach einigem hülflosen Rathsuchen erhellte sich Mikes Gesicht, und er begann nochmals:

»Er ist wie ein anständiger Pastetenbäcker gekleidet. Eine Art von Koch.«

»Ist er hier?« fragte mein Vormund.

»Er sitzt«, sagte Mike, »draußen um die Ecke herum auf 'ner Thürschwelle.«

»Führt ihn vor diesem Fenster da vorbei, daß ich ihn mir ansehen kann.«

Das Fenster, welches er bezeichnete, war das des Comptoirs. Wir stellten uns alle Drei hinter die Drahtvorsetzer und sahen kurz darauf den Clienten wie durch Zufall vorbeigehen, begleitet von einem mörderisch aussehenden, großen Kerl in einem Anzuge von weißer Leinwand und mit einer Papiermütze auf dem Kopfe. Dieser arglose Conditor war nichts weniger als nüchtern, und hatte ein blutrünstiges Auge, in dem grünen Stadium der Genesung, welches er durch Malerei zu verbergen versucht hatte.

»Sagen Sie ihm, daß er auf der Stelle seinen Zeugen fortführt.« sagte mein Vormund mit äußerster Entrüstung zu dem Schreiber, »und fragen Sie ihn, was er damit sagen will, daß er mir einen solchen Kerl herbringt!«

Mein Vormund führte mich dann in sein eigenes Zimmer, und während er sein Frühstück, das er in Form von mit Fleisch belegten Butterbrödchen und einem Fläschchen Sherry – und er schien sogar seinen Butterbrödchen Angst einzujagen, während er sie verzehrte – stehend zu sich nahm, unterrichtete er mich von den Arrangements, die er für mich getroffen.

Ich sollte nach »Barnards Inn«, nach des jungen Mr. Pockets Junggesellenquartier gehen, wohin man ein Bett geschickt hatte für meinen Gebrauch; ich sollte bis zum Montage beim jungen Mr. Pocket bleiben; am Montage aber mit ihm einen Besuch in seines Vaters Hause machen, und versuchen, ob es mir dort gefiele. Auch sagte er mir, welche Summe man mir zur Verfügung gestellt habe – dieselbe war eine höchst anständige – und überreichte mir aus einer seiner Schubladen die Karten der verschiedenen Handwerker, bei denen ich die verschiedenen Toilettegegenstände und alle andern verständigen Bedürfnisse kaufen sollte.

»Sie werden finden, daß Sie Credit haben, Mr. Pip,« sagte mein Vormund, dessen Sherryfläschchen, als er hastig einen erquickenden Trunk daraus nahm, wie ein ganzes Oxhoft duftete, »aber auf diese Weise werde ich im Stande sein, Ihre Rechnungen zu controliren, und Sie festzuhalten, wenn ich finde, daß Sie es zu arg machen. Natürlich werden Sie auf eine oder die andere Weise auf Abwege gerathen, aber das geht mich nichts an.«

Nachdem ich über diese ermuthigende Denkungsart ein wenig nachgegrübelt, fragte ich Mr. Jaggers, ob ich mir eine Droschke holen lassen dürfe? Er sagte, das sei nicht der Mühe werth, da ich meinem Bestimmungsorte so nahe sei; Wemmick solle, falls ich es wünsche, mich hinbringen.

Ich entdeckte hier, daß Wemmick der Schreiber im anstoßenden Zimmer sei. Man schellte, damit ein anderer Schreiber von oben herunterkäme, um seine Stelle während seines Ausbleibens einzunehmen, und ich folgte ihm in die Straße, nachdem ich mit einem Händedrucke von meinem Vormunde Abschied genommen. Wir fanden draußen eine Gruppe von Leuten vor, doch bahnte uns Wemmick einen Weg durch sie hindurch, indem er ganz trocken aber sehr entschieden sagte: »Ich sage Euch, es nützt nichts; er will mit keinem einzigen von Euch was zu thun haben« – wodurch wir sie bald los wurden, und dann neben einander dahingingen.

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