Charles Dickens
Clown Grimaldi
Charles Dickens

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Fünfzehntes Kapitel.

Zerstörung des Covent-Garden-Theaters durch eine Feuersbrunst. – Grimaldi begibt sich nach Manchester, wo ihm, wie auch in Liverpool, ein Unglücksfall zustößt. – Die Kneipe zum »Sir Middleton« in Sadlers-Wells und mehreres von ihren Gästen.

Wie es immer bei Grimaldi war, so auch diesmal: es kamen Umstände, mit denen kein Mensch gerechnet hätte, die ihn um einen Teil des in Birmingham so geschwind verdienten Geldes bringen sollten. Kurz vor der Abfahrt von London nach Birmingham hatte es ihm an Geld gefehlt. Er hatte einen Freund, in den er volles Vertrauen setzte, damit beauftragt, ihm einen Wechsel in Höhe von 150 Pfund zu diskontieren. Der Freund hatte den Wechsel genommen, eingesteckt und versprochen, abends das Geld zu bringen. Der Abend war wohl gekommen, nicht aber das Geld, und das Geld war auch noch nicht da, als Grimaldi aus Birmingham zurückkehrte. Der Freund war nirgends zu finden, dafür hatte Grimaldi bald darauf das Vergnügen, die ganze Summe zu bezahlen, ohne einen Heller von dem Gelde gesehen zu haben.

Während der Saison 1808 hatte Grimaldi seine vornehmste und glücklichste Rolle in der Burlette »Der schnurrige Kauz oder: Mrs. Scaite im Serail« zu spielen. Es war ein abgeschmacktes und triviales Machwerk, dessen Held, von Grimaldi gespielt, Jeremias, Sohn einer Fischhändlerswitwe Scaite, von Grimaldis Mutter gespielt, der »Hans im Glück« war. Auch Grimaldis, nebenbei gesagt, sehr häßliche Frau hatte eine Rolle in dem Stück. Grimaldis beide Benefize fielen aufs glänzendste aus, und das Theater wurde am 26. September nach einer höchst gewinnreichen Reihe von Abenden geschlossen.

Die Saison in Covent-Garden, die mit dem 13. Juli zu Ende gegangen war, begann wieder am 12. September. Sieben Tage später brannte das Schauspielhaus bis auf den Grund ab. Die Bühne wurde nach dem italienischen Opernhause, in der Folge nach dem Haymarket-Theater verlegt.

Da man jedoch für Grimaldi dort zurzeit keine Verwendung hatte, nahm er eine Einladung nach Manchester an, dessen Theater damals unter der Leitung der Herren Ward, Lewis, Knight stand.

Zwischen den beiden damals den Verkehr Londons mit Manchester verbindenden Postkutschen-Gesellschaften bestand ein lebhafter Wettbewerb. Aus Rücksicht auf die Sicherheit der Passagiere war ihnen von der Behörde aufgegeben worden, daß keine ihrer Kutschen der andern vorausfahren dürfe. Grimaldi hatte seinen Sitz in der hinteren bekommen. In Maclesfield gerieten die beiden Kutschen, als sie hielten, um die Pferde zu wechseln, so hart aneinander, daß beide umgeworfen wurden.

Glücklicherweise kamen sämtliche Reisende ohne Schaden davon, Grimaldi kam insofern am schlechtesten dabei weg, als fünf starke Männer auf ihn zu liegen kamen, unter deren Wucht er sich nur mühsam hervorarbeiten konnte.

Er spielte in Manchester an sechs Abenden und einmal in Liverpool. Seine Einnahme aus diesem siebenmaligen Auftreten bezifferte sich auf 251 Pfund.

Es begegneten ihm dabei ein paar Unglücksfälle, die bös genug abliefen, leicht aber noch böser hätten ablaufen können, In Manchester arrangierte er eine nette kleine Pantomime, »Luftschlösser« betitelt, in der er natürlich wieder den Clown spielte. Gleich in der ersten Szene hatte er aus einer großen, mitten auf der Bühne stehenden Bowle herauszusteigen, die die Aufschrift »Stachelbeer-Narr« trug, und konnte nur durch eine von ihr versteckte Versenkung hineingelangen. Gleich bei der ersten Vorstellung rissen die Stricke, als er schon mit der Bühne in gleicher Höhe sich befand, und er stürzte wieder hinunter in die Tiefe. Im ersten Augenblick war er wie betäubt, kam aber bald wieder zu sich, ging die Treppe hinauf, betrat die Bühne und spielte, wie wenn ihm gar nichts passiert wäre.

Während des ersten Auftritts verspürte er noch Schmerzen, die aber in der Aufregung, in die ihm seine Rolle versetzte, sich allmählich legten, und als die Pantomime zu Ende war, fühlte er sich so munter wie zu Anfang derselben.

Das Theater in Liverpool stand unter der gleichen Direktion wie das zu Manchester. Die ganze Truppe reiste dorthin und nahm auch den Maschinisten mit. Grimaldi kanzelte ihn wegen seiner Fahrlässigkeit tüchtig ab und ermahnte ihn, sich in Liverpool größerer Achtsamkeit zu befleißigen. Wohl versprach er es, hielt aber leider nicht Wort. Eben tauchte Grimaldi unter dem Jubel des Publikums aus der Bowle hervor – es wurde natürlich in Liverpool die gleiche Pantomime aufgeführt wie in Manchester – als die Stricke abermals nachgaben, so daß er in der Versenkung hängen blieb. Eine Zeitlang gelang es ihm, sich festzuhalten; schließlich stürzte er aber doch hinunter und verletzte sich dabei die Schultern. Er litt empfindliche Schmerzen, so daß er die erste Szene nur mit der größten Mühe zu Ende spielen konnte; dagegen spielte er alle übrigen, durch den Beifall des Publikums angefeuert, ohne auch nur an seinen Anfall noch zu denken.

Als aber das Nachspiel vorüber war – eine jener unter dem Schlagwort »Entertainments« üblichen Dialoge, mit Liedern und Tänzen durchsetzt, die sowohl szenarisch als auch inhaltlich in der Regel das beste bieten – und er sich auf den Heimweg nach seinem Gasthause machte, konnte er vor Schmerzen kaum vom Flecke. Er nahm zu seiner bewährten Einreibung Zuflucht, wurde aber in einem Zustande großer Hilflosigkeit zu Bett gebracht und mußte sich am andern Morgen in den Wagen, in welchem er nach London zurückfuhr, tragen lassen.

Er spielte auf dem Haymarket-Theater nur selten bis nach Weihnachten. Dort wurde dann die »Mutter Gans« mit einer neuen Schlußszene wiedergegeben, in der man die Trümmer des Covent-Garden-Theaters erblickte, durch Harlekins Zauberrute in ein neues und glänzendes Gebäude verwandelt.

Im März trat er zum ersten Male in der Pantomime »La Peyrouse« als Kanko auf, einer sehr anstrengenden pantomimischen Rolle, die aber kein Clown war. Am 23. Mai hatte er sein Benefiz. Ein paar Abende nachher schloß die Saison und mit ihr, wie hier bemerkt werden mag, die Kunstlaufbahn des berühmten Lewis, der sich zu dieser Zeit von der Bühne ganz zurückzog.

Im folgenden Jahre brachte Sadlers-Wells keine besondere Novität. Ein Stück, »Johnnie Armstrong«, worin Grimaldi den Kirstie, eine Art »Prüfstein« – wie der Narr in Shakespeares »Wie es Euch gefällt« – spielte, fand großen Beifall, und die Saison erwies sich als höchst gewinnreich, wie damals alle in Sadlers-Wells-Theater.

Dort wurde die Pantomime in der Regel zuerst gegeben, so daß Grimaldis Obliegenheiten in der Regel um halb neun Uhr zu Ende waren. Dann begab er sich in der Regel auf ein Stündchen in das Gasthaus »Zum Sir Middleton«, trank mit ein paar guten Bekannten ein Gläschen Wein, mit Wasser vermischt, und kutschierte dann in seinem Gig nach Finchley hinüber.

In diesem Gasthof war er hie und da mit einem gewissen George Hamilton zusammen, einem jungen Manne aus Clerkenwell, der ein Juweliergeschäft betrieb und ein sehr angenehmer Gesellschafter, aber leichter Vogel war, gern einen über den Durst trank, viel Geld durchbrachte, sich wenig um sein Geschäft bekümmerte, nicht gern davon hörte, daß er ein Geschäft betrieb, sondern sich lieber als vornehmer Herr aufspielte. –

Dabei war er ein gewandter Kaufmann und verdiente sehr gut in seinem Geschäft, allgemein ging aber die Rede, daß er weit mehr ausgebe, als er einnehme. Grimaldi war ein gutherziger Mensch und wollte ihn oft zum bessern lenken, aber Hamilton ließ von seinem leichtsinnigen Wandel nicht ab.

Hamilton hatte auch ein körperliches Gebrechen, es fehlte ihm nämlich der dritte Finger an der linken Hand. Er bemühte sich immer, dieses Gebrechen zu verstecken dadurch, daß er ein paar andere Finger einzog, so daß es, wenn er die Hand einmal sehen lassen mußte – was er nicht gern tat – dann immer aussah, als wenn er bloß zwei Finger hätte.

Grimaldi machte seine Bekanntschaft zuerst im Jahre 1808, seit Ostern 1809 traf er aber häufiger mit ihm zusammen. In der Zwischenzeit hatte Hamilton sich verheiratet und brachte, wie es damals bei den Gewerbetreibenden Brauch und Sitte war, häufig seine junge hübsche Frau mit ins Gasthaus.

Grimaldi achtete anfangs wenig darauf, bis ihm auffiel, daß sich mit Hamilton eine ernstliche Veränderung vollzog. Der junge Mann wurde heftig und reizbar, führte unzusammenhängende Reden, und schon in seinem Blick und seinen Mienen verriet sich ein höchst unruhiges Gemüt. Auch in seiner Kleidung hatte sich viel geändert, er hatte sich früher immer wie ein anständiger, in behäbigen Verhältnissen lebender Bürger getragen, entfaltete jetzt aber einen eigentümlichen Prunk, trug eine Menge Ringe und andere Schmucksachen, verletzte die anderen ehrsamen Bürger, die im »Sir Middleton« verkehrten, durch geringschätzige Reden über das Handwerk und dessen Betrieb, und geriet häufig in ernsten Wortwechsel darüber.

Seine Frau war darüber sichtlich sehr unglücklich. In ihrer Gegenwart nahm er sich freilich immer zusammen, trank auch nicht so viel wie sonst, wenn er allein einkehrte, hatte aber der Unarten noch übergenug an sich, daß sie, wenn sie sich unbemerkt wähnte, oft die bittersten Tränen weinte.

Eines Abends brachte er einen Kumpan mit, der durch sein Aussehen und Benehmen vom ersten Augenblicke an das lebhafteste Mißtrauen weckte. Hamilton stellte ihm Grimaldi vor, der sich aber, als er merkte, daß beide schon einen Rausch hatten, ablehnend gegen jede Unterhaltung verhielt und sich, sobald es unauffällig geschehen konnte, aus dem Gasthause entfernte.

Von da ab kamen die beiden Kumpane häufiger zusammen in dem »Sir Middleton«, und gar bald fiel es auf, daß Hamilton den Fremden immer dann mitbrachte, wenn er einen Rausch hatte. Niemand kannte denselben und niemand mochte ihn leiden. Die Stammgäste des Hauses steckten dann immer die Köpfe zusammen und schüttelten bedenklich und geheimnisvoll die Köpfe.

Eines Abends saß Grimaldi allein und in die Lektüre eines Zeitungsblattes vertieft in der Gaststube, als Hamilton in Begleitung seiner Frau und eben dieses Fremden auch eintrat. Hamilton war so berauscht, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Seine Frau hatte verweinte Augen, dagegen zeigte der Fremde ein höchst vergnügtes, doch um so häßlicher wirkendes Gesicht.

Grimaldi hielt sich das Zeitungsblatt so vor das Gesicht, daß ihn die drei Leute nicht sehen konnten, aber er merkte genau auf das Gespräch, das sie zusammen führten, Hamilton ließ Bier kommen, seine Frau bat ihn, doch lieber mit nach Hause zu gehen, er versprach es ihr, sobald er sein Glas ausgetrunken haben würde, war aber, als es vom Kellner auf den Tisch gesetzt wurde, bereits eingeschlafen.

Grimaldi hatte jetzt zum ersten Male den Namen des Unbekannten, Archer, gehört. Ein paar Minuten betrachtete nun dieser seinen in Schlaf versunkenen Kameraden, dann beugte er sich plötzlich zu dessen Frau hinüber und stieß sie mit dem Ellbogen an. Die Frau blickte erschrocken auf. Der Wicht blinzelte verächtlich nach dem Trunkenbolde hinüber, nahm ihre Hand und drückte sie auf eine kaum mißzuverstehende Weise. Die Frau sprang entrüstet auf und warf Archer einen niederschmetternden Blick zu. Aber eine Stunde saß er nun mit verschränkten Armen da, wandte die Augen nicht vom Boden, raffte sich aber endlich auf und half der Frau, ihren betrunkenen Mann zu wecken.

Hamilton schüttete den Inhalt seines Glases hinunter, und nun entfernten sich die drei Leute wieder. Die Frau ging Archer sichtlich aus dem Wege und vermied es auch, ihn nur mit dem Arme zu streifen.

Der Auftritt hatte Grimaldi in unbeschreibliche Erregung versetzt. Er blieb eine ganze Stunde länger als sonst in dem Gasthause sitzen und ging ernstlich mit sich zu Rate, wie er sich Hamilton gegenüber verhalten solle. Zuerst hielt er es für das beste, Hamilton scharf ins Gebet zu nehmen, dann aber schien es ihm für geratener, erst mit seiner Frau über den Fall zu sprechen und ihrer Entscheidung das weitere Verhalten anheimzustellen. Seine Frau riet ihm, sich mit der Sache nicht weiter zu befassen, sondern es der Klugheit und dem Pflichtgefühl von Hamiltons Frau zu überlassen, ihren Mann auf die rechte Bahn zu führen und vor dem hinterhältigen Freunde zu warnen.

Das nächste mal traf er im »Sir Middleton« Hamilton allein, der ihm sogleich zunickte und sich erkundigte, ob er noch immer nach Finchley hinaus führe.

»Nein«, antwortete Grimaldi; »aber ich wollte, ich könnte es. Leider hält mich eine Verpflichtung in der Stadt davon ab.«

»Ich dachte, Sie führen alle Abende im Sommer hinaus«, warf Hamilton gleichgültig hin.

»Nein, alle Abende nicht, aber doch fünfmal in der Woche.«

»Fahren Sie morgen hinaus?« fragte Hamilton,

»Morgen bestimmt«, antwortete Grimaldi, »in dieser Woche überhaupt jeden Abend, nur eben heute nicht.«

Darauf sagten sie einander gute Nacht und gingen auseinander.

Es kamen aber am andern Tage ein paar Kollegen von auswärts nach London und besuchten Grimaldi, so daß er auch an den nächsten beiden Tagen nicht die Fahrt nach der Stadt antreten konnte.

Am vierten Tage darauf aber, am 9. Juli, ging er wieder in den »Sir Middleton«, um vor der Heimfahrt noch ein Gläschen zu trinken. Da erinnerte er sich lebhaft an die unglückliche Frau und ihren leichtsinnigen Mann und erkundigte sich, ob etwa dieser zugegen sei. Man antwortete ihm, Hamilton hätte sich seit dem Abend nicht mehr sehen lassen, an welchem Grimaldi mit ihm zum letzten Male gesprochen hätte.

Als Grimaldi seine Zeche bezahlen wollte, sah er erst, daß er nur zwei Einpfundnoten bei sich hatte. Er gab dem Aufwärter eine, um sie wechseln zu lassen, und steckte die andere in die Westentasche. Es war seine Gewohnheit, Banknoten in einer Brieftasche bei sich zu führen, die er aber zu Hause hatte liegen lassen.

Der Aufwärter brachte ihm das Geld, das er herausbekam. Er bestieg sein Gig und fuhr ab. In Tottenham Court Road wurde er durch ein Geschäft und in Kentish Town durch einen Freund abgehalten, mit dem er ein halbes Stündchen verplauderte, so daß es fast Mitternacht geworden war, als er sich seiner Wohnung näherte.

 


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