Charles Dickens
Aufzeichnungen aus Amerika
Charles Dickens

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13. Kapitel

Ein Abstecher nach der Looking-Glass Prairie

Das Wort Prärie wird in Nordamerika auf verschiedene Art ausgesprochen: bald Perahr, bald Perihrer oder Perohrer. Das letztere ist wohl das häufigste.

Unsre Gesellschaft bestand aus vierzehn Personen, lauter junge Leute. Überhaupt ist es eine merkwürdige, aber leicht erklärliche Eigentümlichkeit der Bewohnerschaft dieser weitabgelegenen Niederlassungen, daß sie größtenteils aus Leuten im kräftigsten Lebensalter besteht, so daß man nur selten einen grauen Kopf sieht. Damen begleiteten uns nicht, denn die Reise war sehr anstrengend. Punkt fünf Uhr morgens wollten wir aufbrechen.

Man weckte mich um vier, damit ich niemand auf mich warten ließe. Nach dem Frühstück (nur aus Brot und Milch bestehend) machte ich das Fenster auf und sah auf die Straße, in der Erwartung, die ganze Gesellschaft mit den Vorbereitungen zum Aufbruch eifrigst beschäftigt zu sehen. Doch da alles noch sehr ruhig war und die Straße den trostlos öden Anblick darbot, den sie um fünf Uhr morgens auch anderwärts hat, hielt ich es für das beste, mich wieder schlafen zu legen, was ich auch sogleich tat.

Um sieben Uhr erwachte ich wieder, und inzwischen hatte sich die Reisegesellschaft versammelt und umstand einen leichten Wagen mit sehr soliden Achsen, ein Etwas auf Rädern, am meisten dem Fuhrwerk eines Dilettanten-Karrenführers ähnlich, einen Doppelphaeton von ehrwürdigem Alter und überirdischer Bauart, ein Gig mit einem großen Loch in der Rückseite und einem Riß in der Decke, und einen Reiter, der den Zug anführen sollte. Ich setzte mich mit drei andern in den ersten Wagen; die übrigen verteilten sich in die andern; zwei große Eßkörbe wurden auf dem leichtesten befestigt, und zwei große Steinkruken in Korbgeflecht, Demijohns genannt, wurden den Solidesten der Gesellschaft anvertraut. So bewegte sich der Zug zur Fähre, wo Menschen, Vieh und Wagen über den Fluß setzen sollten, wie es in diesen Gegenden Brauch ist.

Am andern Ufer des Flusses angekommen, hielten wir abermals Musterung vor einem hölzernen Kasten auf Rädern, der mit einer Seite halb in den Morast versunken und mit der Aufschrift »Marchand-tailleur« versehen war. Nachdem wir hier unsern Zug geordnet und uns über den einzuschlagenden Weg geeinigt hatten, setzten wir uns wieder in Bewegung, und zwar durch einen abscheulichen, schwarzen Morastgrund, Black Hollow genannt.

Der voraufgegangene Tag war nicht heiß gewesen – denn dies Wort ist zu schwach und lauwarm, um einen Begriff von der Temperatur zu geben. Die Stadt war wie in Flammen gehüllt, die Luft selbst sengte wie unsichtbares Feuer. Aber spätabends fing es an, in Strömen zu regnen, und erst gegen Morgen wurde das Wetter hell. Wir hatten ein paar sehr starke Pferde vor unserm Wagen, konnten aber doch durch den grundlosen Brei von schwarzem Kot und Wasser nicht mehr als zwei Meilen die Stunde zurücklegen. Der Weg war ein ewiges Einerlei, außer in der Tiefe. Zuweilen sank der Wagen bloß bis zur halben Höhe der Räder ein, dann bis über die Achsen und zuzeiten selbst bis fast in die Fenster. Von allen Seiten umtönte uns das laute Gequak der Frösche, welche mit den Schweinen (eine häßliche, schlechte Rasse von so ungesundem Aussehen, als wären sie ein Gewächs des Bodens) die alleinigen Herren der Gegend waren. Dann und wann trafen wir auf eine Blockhütte; aber sie standen weit entfernt voneinander, denn obgleich der Boden außerordentlich fruchtbar ist, können doch nur wenige Menschen in dieser todbringenden Luft atmen. Auf jeder Seite des Weges, wenn man es so nennen darf, stand dichtes Gehölz; alles andere aber war stehendes, faulendes, übelriechendes, breiartiges Wasser.

Da es in diesen Gegenden üblich ist, den Pferden ein paar Eimer Wasser zu geben, wenn sie im Schweiß sind, machten wir zu diesem Zweck bei einer Schenke im Walde halt, wie jedes Haus dort aus unbehauenen Baumstämmen zusammengefügt und weit abgelegen von jeder andern menschlichen Wohnung. Das Haus hatte nur ein große Zimmer, die Wände und Decke natürlich unverkleidet, und darüber einen Bodenraum. Oberkellner und Hausknecht in einer Person war ein junger, sonnverbrannter Wilder mit einem Hemd aus großblumigem Kattun und zerrissenen Hosen. Außerdem erblickten wir noch zwei halbnackte Knaben, die sich am Brunnen in die Sonne gelegt hatten. Diese ganze Gesellschaft, nebst dem einen Gast in der Schenke, trat heraus, um uns zuzusehen.

Der Reisende war ein alter Mann mit einem grauen struppigen Bart, einem starken Schnauzbart von derselben Farbe und dicken, buschigen Augenbrauen, die fast seine matten, gläsernen Augen versteckten, wie er uns mit übereinandergeschlagenen Armen und sich abwechselnd auf Zehen und Hacken wiegend zusah. Er trat zu uns heran und sagte, indem er sich mit seiner schwieligen Hand am Kinn rieb, daß es klang, als ob eine starkbenagelte Sohle auf Kiessand knirsche, er sei aus Delaware und habe sich eine Farm »dort unten« gekauft, wobei er nach einer Sumpfstrecke wies, wo die verkrüppelten Bäume dichter standen als anderswo. Er gehe jetzt nach St. Louis, fügte er hinzu, um seine Familie nachzuholen; aber er schien damit keine große Eile zu haben, denn als er uns verließ, ging er wieder in die Hütte, entschlossen, wie es schien, sie nicht eher zu verlassen, als bis sein Geld zu Ende sei. Es versteht sich von selbst, daß er ein großer Politiker war, und er trug einem meiner Reisegesellschafter das System seiner Meinungen mit großer Ausführlichkeit vor. Leider kann ich mich nur an das eine erinnern, daß er sein Glaubensbekenntnis mit einem Vivat auf irgend jemand und einem Pereat für das übrige schloß, was im allgemeinen ein ziemlich treffendes Bild von derartigen Überzeugungen gibt.

Als die Pferde zum doppelten Umfang angeschwollen waren (es scheint hier die Meinung zu herrschen, daß das die Schnelligkeit ihres Ganges befördere), setzten wir unsere Reise fort, durch Sumpf und Kot und Nebel und erstickende, feuchte Hitze, durch Gestrüpp und Gehölz, immer begleitet von der Musik der Frösche und Schweine, bis wir kurz vor Mittag in Belleville ankamen.

Belleville ist eine kleine Ansammlung von hölzernen Hütten, so recht in der Mitte von Sumpf und dichtem struppigem Wald zusammengewürfelt. Viele von den Hütten hatten ganz merkwürdige schön gelb und rot angestrichene Türme; denn der Ort war vor kurzem von einem reisenden Maler besucht worden, »der sich durch das Land fraß«, wie man sagte. Das Gericht war gerade versammelt und hatte über ein paar Pferdediebe zu entscheiden, die einer harten Strafe ziemlich gewiß sein konnten, denn da in solchen öden Gegenden das Vieh auf der Weide überhaupt nicht sehr sicher ist, wird es fast höher geschätzt als ein Menschenleben; aus diesem Grunde finden sich die Geschworenen in der Regel bewogen, alle des Viehdiebstahls Angeklagten ohne Umstände schuldig zu finden.

Die Pferde, die dem Richter und den Zeugen gehören, wurden an improvisierte Raufen gebunden, die man geradezu auf der Straße aufstellte, das heißt auf einem Waldweg, wo man bis an die Knie in Kot und Schlamm versank.

Es war ein Hotel da, das, wie alle Hotels in Amerika, seinen großen Speisesaal für alle Gäste hatte. Es war ein seltsames, schief stehendes Nebengebäude mit niedrigem Dach, halb Kuhstall, halb Küche, mit einem groben, braunen Tischtuch auf der Tafel und zinnernen Wandleuchtern, die zum Souper zu leuchten hatten. Der Reitknecht hatte Kaffee und etwas Essen bestellt, was inzwischen beinahe fertig war. Er hatte Weißbrot und »fixe« Hühner verlangt, statt »Schwarzbrot und was Gewöhnliches dazu«. Denn unter letzterem versteht man bloß Schweinefleisch und Speck; das erstere dagegen enthält gekochten Schinken, Würste, Kalbskoteletts, Beafsteaks und dergleichen andere Speisen, von denen man erwarten kann, daß sie ein Huhn in den Verdauungsorganen eines Herrn oder einer Dame gehörig »fixieren« können.

An einer Tür des Gasthofes stand auf einem Blechschild mit goldenen Buchstaben »Doktor Crocus«, und auf einem Blatt Papier, welches daneben angeklebt war, stand die geschriebene Annonce, daß Doktor Crocus diesen Abend für das Publikum von Belleville eine phrenologische Vorlesung halten werde; auch war dabei der Eintrittspreis bemerkt.

Während die Hühner »fixiert« wurden, ging ich ein wenig die Treppe hinauf und kam zufällig an der Kammer des Doktors vorbei; und da die Tür weit offenstand und die Stube leer war, hatte ich die Kühnheit, einen Blick hineinzuwerfen.

Es war ein unmöbliertes, unwirtliches Zimmer mit nackten Wänden; zu Häupten des Bettes hing ein Bild ohne Rahmen; ich hielt es für ein Porträt des Doktors, denn die Stirn war frei, und der Zeichner hatte die Gehirnorgane besonders hervorgehoben. Das Bett selbst hatte eine alte, geflickte Bettdecke, das Zimmer war ohne Teppich oder Vorhang. Am Feuerplatz war kein Ofen, aber sehr viel Holzasche; dann waren da ein Stuhl und ein sehr kleiner Tisch, auf dem die ganze Bibliothek des Doktors, aus einem halb Dutzend schmierigen Büchern bestehend, paradierte.

Nun war dieses Gemach gewiß das letzte auf der ganzen Welt, in dem jemand sein Heil hätte suchen mögen. Allein, wie gesagt, die Türe stand gleichsam einladend offen und sagte deutlich und einstimmig mit dem Stuhl, dem Porträt und dem Tisch mit Büchern: »Treten Sie nur ein, Gentlemen, treten Sie ein! Fallen Sie in Ohnmacht, Gentlemen, Sie können im Nu wieder ganz gesund werden. Doktor Crocus ist hier, Gentlemen, der berühmte Doktor Crocus! Doktor Crocus hat die große Reise hierher gemacht, um Sie zu kurieren, Gentlemen! Wenn Sie noch nichts vom Doktor Crocus gehört haben, so ist es nicht seine Schuld, sondern Ihre, weil Sie hier ein bißchen außer der Welt leben. Treten Sie ein, Gentlemen, nur herein!«

Als ich wieder die Treppe hinabging, begegnete ich ihm selbst. Eine Masse Menschen war aus dem Gerichtshof hereingeströmt, und eine Stimme aus dem Hause rief dem Gastwirt zu: »Colonel! Stellt den Doktor Crocus vor!«

»Mr. Dickens«, sagt der Colonel, »Doktor Crocus.« Worauf Doktor Crocus, ein schlanker, hübscher Schotte, der aber etwas zu kriegerisch für einen Mann der friedlichen Heilkunst aussieht, aus der Menge hervorstürzt, so stark als möglich die Brust heraus- und mir die Rechte entgegenstreckt mit den Worten: »Ihr Landsmann, Sir!«

Worauf wieder Doktor Crocus und ich uns die Hand drücken, und Doktor Crocus macht ein Gesicht, als ob ich seinen Erwartungen durchaus nicht entspräche, was sehr wohl möglich war, denn ich trug eine Leinwandbluse, einen großen Strohhut mit grünem Band, keine Handschuh und auf Gesicht und Nase Moskitostiche und Wanzenbisse ohne Zahl.

»Schon lang in dieser Gegend, Sir?« sage ich.

»Drei oder vier Monate, Sir«, sagt der Doktor.

»Gedenken Sie bald in die alte Heimat zurückzukehren, Sir?« sage ich.

Doktor Crocus erwidert kein Wort, sieht mich aber bittend an, als wollte er sagen: »Wollen Sie mich das nicht noch einmal fragen, ein bißchen lauter, wenn Sie so gut sein wollen?« so daß ich meine Frage wiederhole.

»Ob ich bald in die alte Heimat zurückzukehren gedenke, Sir?« wiederholt der Doktor sehr laut.

»Ja, in die alte Heimat, Sir«, antworte ich.

Doktor Crocus sieht sich unter dem Haufen um, den Effekt zu beobachten, den er hervorbringt, reibt sich die Hände und sagt mit sehr lauter Stimme: »Das hat gute Weile, Sir. Damit werden Sie mich gerade nicht drankriegen. Dazu habe ich die Freiheit ein bißchen zu lieb, Sir. Haha! Es wird einem nicht so leicht, sich von einem freien Lande wie diesem zu trennen, Sir. Haha! Nein, nein! Haha! Damit ist's nichts, bis man gezwungen wird, Sir. Nein, nein!«

Bei diesen letztern Worten schüttelt Doktor Crocus pfiffig den Kopf und lacht wieder. Viele von den Umstehenden schütteln ebenfalls den Kopf, lachen und sehen einander an, als wollten sie sagen: »Der Crocus ist doch ein prachtvoller Kerl, ein Haupthahn!« und wenn ich mich nicht sehr irre, sind jenen Abend gar viele, die in ihrem Leben weder an Crocus noch an Phrenologie gedacht haben, in die Vorlesung gegangen.

Von Belleville aus kamen wir wieder durch dieselbe Art von Wüstenei und fortwährend von derselben Musik begleitet, bis wir um drei Uhr nachmittags in einem Dorfe, Lebanon genannt, haltmachten, um die Pferde zu tränken und zu füttern, wozu es hohe Zeit war. Währenddessen ging ich ein wenig ins Dorf, wo mir ein vollständiges Wohnhaus begegnete, welches, von zwanzig und vielleicht noch einigen Ochsen gezogen, munter eine Anhöhe hinunterfuhr.

Das Wirtshaus war so sauber und gut, daß die Führer des Zuges beschlossen, zurückzugehen und über Nacht daselbst einzukehren. Da man sich für diesen Vorschlag allgemein entschied und die Pferde sich gestärkt hatten, machten wir uns wieder auf den Weg und kamen mit Sonnenuntergang nach der Prärie.

Ich wüßte nicht zu sagen, warum oder wieso, aber wahrscheinlich, weil ich so viel davon gehört und gelesen hatte – genug, ich fand mich in meinen Erwartungen getäuscht. Gegen die untergehende Sonne zu lag vor meinen Blicken eine weite Fläche, die durch nichts als eine dünne Baumreihe unterbrochen war und zuletzt in den glühenden Himmel zu tauchen schien, mit dessen üppigen Farben und fernem Blau sie in eins zusammenschmolz. Da lag sie, ein stiller See ohne Wasser – wenn man dies Gleichnis brauchen darf –, auf dem die Sonne untergeht: einige Vögel flogen hie und da herum; Einsamkeit und Schweigen waren ringsum alleinherrschend. Aber das Gras war noch nicht hoch gewachsen, der Boden hatte nackte, schwarze Flecke, und die wenigen wilden Blumen, die sich zeigten, sahen ärmlich aus. So groß das Gemälde war, so vernüchterten und schwächten gerade seine Ausdehnung und Fläche, die der Phantasie keinen Spielraum ließen, den Eindruck. Ich empfand wenig von jenem Gefühl der Freiheit und des Frohsinns, das eine schottische Heide oder selbst unsere englische Düne erweckt. Es war eine einsame Wildnis, aber drückend, niederschlagend durch ihre trostlose Eintönigkeit. Ich fühlte deutlich, daß ich mich auf der Fahrt durch die Prärien nie mit jenem Selbstvergessen dem Schauspiel der Natur hingeben könnte, welches mich unwillkürlich überkäme, wäre die Heide unter meinen Füßen oder eine hochgelegene Küste weithin vor mir; oft würde ich wohl nach dem fernen und immer zurückweichenden Horizont ausschauen, aber nur, weil ich ihn schon erreicht und hinter mir gelassen zu haben wünschte. Es ist freilich eine Szene, die man nicht vergißt, aber doch auch keine – wie ich wenigstens überzeugt bin –, an die man mit großem Vergnügen oder gar mit der Sehnsucht nach einem Wiedersehen zurückdenkt.

Wir kampierten nicht weit von einem einsam stehenden Blockhaus, seines Wassers wegen, und hielten unser Diner auf der freien Ebene. Die Körbe enthielten gebratenes Geflügel, Büffelzunge (beiläufig gesagt, ein ausgesuchter Leckerbissen), Schinken, Brot, Butter und Käse, Zwieback, Champagner, Sherry, Zitronen und Zucker zum Punsch und grobes Eis im Überfluß. Die Mahlzeit war köstlich und unsere Gastherren die Güte und Heiterkeit selbst. Ich habe oft mit Freude jener traulichen Unterhaltung gedacht und werde, auch in der Heimat am Tische mit älteren Freunden, nicht leicht meine gemütlichen Gesellschafter in der Prärie vergessen.

Wir kehrten diese Nacht noch nach Lebanon zurück und blieben in dem kleinen Wirtshaus, wo wir am Nachmittag haltgemacht hatten. Was Sauberkeit und Komfort betrifft, hätte sich diese kleine Schenke mit jedem schlichten Dorfwirtshaus in England messen können.

Am nächsten Morgen stand ich um fünf Uhr auf und machte einen Spaziergang um das Dorf: diesmal gingen keine Häuser spazieren, aber vielleicht war es ihnen noch zu früh am Tage; dann ging ich um eine Art von Meierhof hinter der Schenke herum, dessen Hauptmerkwürdigkeiten folgende waren: ein verworrener Haufen von rohen Schuppen statt der Ställe, ein grob gearbeiteter Säulengang zum Spazierengehen im heißen Sommer; ein tiefer Brunnen; ein großer Speicher aus Erde, um im Winter Gemüse und Früchte aufzubewahren; und endlich ein Taubenhaus, dessen kleine Türen, wie bei jedem Taubenschlag, viel zu klein aussahen für die fetten, vollbrüstigen Vögel, die gespreizt drum herumstolzierten, als läge ihnen nicht so viel daran hineinzukommen. Nachdem mein Interesse daran erschöpft war, besah ich mir die zwei Gesellschaftszimmer in der Schenke, die mit den kolorierten Kupferstichporträts von Washington und dem Präsidenten Madison und mit einem lebendigen Fräulein verziert waren (ihr weißer Teint hatte sehr unter den Fliegen gelitten), die ihre goldene Halskette jedem, der sie sehen wollte, zur Bewunderung hinhielt und allen bewundernden Ankömmlingen zu verstehen gab, sie sei »gerade siebzehn« Jahr, obwohl ich sie für älter gehalten hätte. Im Prunkzimmer aber hingen zwei ganz kleine Ölbilder, die den Wirt und sein Söhnchen vorstellten; beide sahen kühn wie die Löwen drein und glotzten aus der Leinwand mit einer innern Kraft heraus, die um keinen Preis zu teuer bezahlt sein konnte. Ich glaube, sie hatten sich von demselben Künstler malen lassen, der die Türen in Belleville mit Rot und Gold angestrichen hatte; denn ich erkannte seinen Stil im Augenblick.

Wir brachen nach dem Frühstück auf, um auf einem andern Wege als unserem gestrigen zurückzukehren; um zehn Uhr trafen wir ein Lager deutscher Auswanderer, die ihr Hab und Gut auf Karren mit sich führten und ein tüchtiges Feuer angemacht hatten, welches sie eben verließen. Hier machten wir halt, um einige Erfrischungen einzunehmen. Und das Feuer kam uns sehr zustatten; denn so heiß es gestern gewesen, so kalt war es heute, und der Wind ging scharf und schneidend. Als wir weiterfuhren, sahen wir aus der Ferne wieder eine Indianergruft ragen, »The Monks' Mound« genannt zum Andenken an einen Haufen fanatischer Brüder vom Orden La Trappe, die vor vielen Jahren, als noch auf tausend Meilen in die Runde kein Ansiedler war, hier ein einsames Kloster gründeten und von dem ungesunden Klima alle hinweggerafft worden sind; doch werden gewiß nur wenig vernünftige Menschen glauben, daß die Gesellschaft durch jenes beklagenswerte Ereignis irgendeinen großen Verlust erlitten hat.

Der Weg war heute ganz wie der gestrige. Wieder derselbe Morast, Sumpf und Busch, derselbige ewige Chor der Frösche, derselbe dürftige und wilde Graswuchs, dieselben ungesunden Ausdünstungen. Dann und wann stießen wir in der Einöde auf einen zerbrochenen Wagen, der mit dem Hab und Gut irgendeines neuen Ansiedlers beladen war. Einen mitleiderregenden Anblick bot eines dieser Fuhrwerke, das tief im Kote stak: die Achse war gebrochen; ein Rad lag müßig daneben; der Mann war meilenweit fortgegangen, um Hilfe zu suchen; die Frau saß zwischen ihrem Hausgerät, mit einem Kind an der Brust, ein Bild der leidenden Geduld und Niedergeschlagenheit; das Ochsengespann kauerte trauervoll im Schlamm und blies so dicke Wolken aus Mäulern und Nüstern, daß all der feuchte Nebeldunst ringsum von ihm allein auszugehen schien.

Zur gehörigen Zeit kamen wir noch einmal vor das Haus des Marchand-Tailleur und setzten dann mit dem Fährboot über den Fluß nach der Stadt: auf der Überfahrt sahen wir einen Fleck, »Bloody Island« genannt; es ist der Duellplatz von St. Louis und hat jenen Namen zu Ehren des letzten unglücklichen Pistolenduells, das hier vorgefallen ist, erhalten. Beide Kämpfer stürzten tot zur Erde; und vielleicht glauben manche vernünftigen Leute, wie von den wahnwitzigen Fanatikern auf dem Monks' Mound, auch von diesen, daß die Welt an ihnen nichts verloren hat.

 


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