Charles Dickens
Aufzeichnungen aus Amerika
Charles Dickens

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9. Kapitel

Ein Nacht-Dampfschiff auf dem Potomac. Eine virginische Landstraße und ein schwarzer Kutscher. Richmond. Baltimore. Die Harrisburgher Mail und ein Blick auf die Stadt. Ein Kanalboot

Zunächst mußten wir per Dampfschiff reisen, und da es gebräuchlich ist, an Bord zu schlafen, weil es des Morgens um vier Uhr abgeht, fuhren wir zum Anlegeplatz zu jener für derlei Expeditionen ungeeigneten Stunde, in der Schlafrock und Pantoffeln am schätzbarsten sind und das vertraute Bett, das uns in ein paar Stunden erwartet, sich gar angenehm ausnimmt.

Es ist zehn Uhr abends, vielleicht halb elf; mondhell, warm und still. Das Dampfschiff (einer Arche Noah für Kinder nicht unähnlich, mit der Maschinerie auf dem Dache) schwankt träge hin und her und stößt mit dumpfem Schall gegen den hölzernen Landungssteg, wie der leichte Wellenschlag des Flusses mit seinem unbeholfenen Rumpfe spielt. Der Kai befindet sich in einiger Entfernung von der Stadt. Es ist niemand zu sehen, und ein paar düstre Lampen auf dem Deck des Dampfschiffes sind, nachdem unsre Kutsche wieder abgefahren ist, die einzigen Zeichen von menschlichem Leben in der Nähe. Sobald sich unsre Schritte auf den Brettern hören lassen, taucht eine fette Negerin aus dem Winkel einer dunklen Treppe empor und geleitet meine Frau in die Damenkajüte, wohin ihr ein mächtiger Ballen von Mänteln und Überröcken nachgetragen wird. Ich meinerseits fasse den tapfern Entschluß, gar nicht zu Bett, sondern auf dem Landungssteg bis zum Morgen auf und ab zu gehen.

Ich beginne meine Promenade, indem ich an lauter entfernte Dinge und Personen denke; Naheliegendes berührt mich nicht. Dann geh ich wieder an Bord, und da ich in die Nähe einer der Lampen komme, seh ich nach meiner Uhr, denke, sie muß stehengeblieben sein, und wundere mich, wo mein brauner Sekretär bleibt, den ich von Boston mitgenommen habe. Er soupiert mit unserem letzten Wirte (der ohne Zweifel wenigstens ein Feldmarschall ist) zur Feier unserer Abreise und kann noch zwei Stunden ausbleiben. Ich gehe wieder umher, aber es wird immer langweiliger und eintöniger; der Mond geht unter; der nächste Junimonat scheint mir in der Finsternis nur um so ferner, und das Echo meiner Schritte erschreckt mich selbst. Es ist überdem kalt geworden, und unter solchen Umständen allein hin und her zu gehen, ist eine armselige Unterhaltung. Drum gebe ich meinen tapfern Entschluß auf und denke, es dürfte vielleicht ebenso gut sein, wenn ich zu Bett ginge.

Ich gehe wieder an Bord, öffne die Tür zur Herrenkajüte und trete hinein. Ich weiß nicht, wie es kam – wahrscheinlich, weil es darin so still war, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, daß niemand in der Kajüte sei. Zu meinem Schrecken und Staunen liegt sie voll von Schläfern in jedem Stadium, von jeder Gestalt, Stellung und Verschiedenartigkeit des Schlafs, in den Kojen, auf den Stühlen, auf dem Fußboden, auf den Tischen und vorzüglich rings um meinen geschworenen abscheulichen Feind, den Ofen. Ich gehe einen Schritt weiter und stolpere über das glänzende Gesicht eines schwarzen Stewards, der in ein Bettuch gewickelt am Boden liegt. Er springt auf, grinst halb schmerzlich, halb gastfreundlich, flüstert mir meinen eigenen Namen ins Ohr und führt mich, sich zwischen den Schlafenden durchtappend, zu meinem Schiffbett. Während ich daneben stehe, überzähle ich die schlafenden Passagiere und komme bis über vierzig. Weiter zu zählen könnte mir den Kuckuck nützen, daher fang ich an mich auszukleiden. Da die Stühle alle besetzt sind und ich keinen andern Platz sehe, wohin ich meine Kleider tun könnte, lege ich sie auf den Fußboden; dabei besudele ich mir die Hände, denn der Boden ist in demselben Zustande wie die Fußteppiche auf dem Kapitol und auch aus demselben Grunde. Nachdem ich mich nun halb entkleidet habe, klimme ich in mein Fach hinein und halte den Vorhang noch einige Minuten auf, um meine Mitreisenden noch einmal zu betrachten. Dann lasse ich ihn vor ihnen, mir und der Welt wieder fallen, drehe mich um und fange an zu schlafen.

Bei der Abfahrt wache ich natürlich wieder auf, denn dabei geht es nicht ohne beträchtlichen Lärm ab. Der Tag bricht eben an. Alle erwachen zugleich. Manche sind gleich gesammelt, andre aber sind ganz konfus und wissen nicht eher, wo sie sind, als bis sie sich die Augen gerieben und, auf den Ellbogen gestützt, sich rings umgesehen haben. Manche gähnen, andre stöhnen, fast alle speien aus, und nur wenige stehen auf. Zu diesen letzteren gehöre ich, denn es läßt sich leicht bemerken, ohne erst in frischer Luft gewesen zu sein, daß die Atmosphäre der Kajüte im höchsten Grade verdorben ist. Ich springe rasch in meine Kleider, gehe in die Vorkajüte, lasse mich rasieren und wasche mich. Die Wasch- und Reinigungsapparate zum allgemeinen Gebrauch der Passagiere bestehen in zwei Handtüchern, drei kleinen hölzernen Becken, einem Fäßchen Wasser mit einem Löffel, um es herauszuschöpfen, sechs Quadratzoll Spiegel, zwei dito gelber Seife, einem Kamme und einer Bürste für die Haare und keiner für die Zähne. Jedermann benutzt den Kamm und die Bürste. Alles glotzt mich an, weil ich meinen eigenen habe, und zwei oder drei Herren haben große Lust, mich wegen meiner Vorurteile aufzuziehen, was sie jedoch bleiben lassen. Nachdem ich meine Toilette beendigt habe, gehe ich auf das oberste Deck und spaziere zwei Stunden lang emsig hin und her. Die Sonne geht in vollem Glanze auf; wir kommen am Mount Vernon vorbei, wo Washington begraben liegt; der Fluß ist breit und reißend und seine Ufer anmutig. Alle Schönheit, aller Glanz des Tages ist im Steigen und wird mit jeder Minute prachtvoller.

Um acht Uhr frühstücken wir alle in der Kajüte, wo ich die Nacht zubrachte; aber jetzt stehen alle Türen und Fenster offen, und da allerdings ist die Luft frisch. Weder Eile noch Eßbegierde zeigt sich bei diesem Mahle. Es dauert länger als ein Reisefrühstück bei uns, so wie es auch ordentlicher und artiger dabei zugeht.

Bald nach neun Uhr gelangen wir nach Potomac Creek, wo wir anlegen; und hier kommt der lustigste Teil der Reise. Sieben Landkutschen machen Anstalt, uns weiterzubefördern. Einige davon sind schon bereit, andere noch nicht. Einige von den Kutschern sind Schwarze, andere Weiße. Zu jeder Kutsche gehören vier Pferde, und sämtliche Pferde stehen geschirrt oder ungeschirrt dabei. Die Passagiere steigen aus dem Dampfschiff in die Kutschen; das Gepäck wird auf lärmenden Schubkarren herübergeschafft; die Pferde scheuen und harren ungeduldig der Abfahrt; die schwarzen Kutscher schnattern sich in ihrem Affendialekte an, und die weißen schreien wie Ochsentreiber; denn hier ist bei der ganzen Kutscherei die Hauptsache, so viel Lärm wie möglich zu machen. Die Kutschen ähneln etwas den französischen, sind aber nicht ganz so gut. Statt in Federn hängen sie in Bändern vom stärksten Leder. Man hat nicht viel zu wählen, und es ist auch kein großer Unterschied zwischen ihnen; man könnte sie dem Kutschkasten einer Schaukel, wie man sie auf einem englischen Jahrmarkt sieht, vergleichen, der überdacht, auf Achsen und Räder gesetzt und mit Vorhängen von bemalter Leinwand versehen ist. Von der Decke bis zur untersten Radfelge sind sie mit Kot bedeckt, denn seit sie gebaut worden sind, hat man sie nie gereinigt.

Die Billetts, die wir an Bord des Dampfschiffs erhielten, sind mit Nr. 1 bezeichnet, mithin gehören wir zur Kutsche Nr. 1. Ich werfe meinen Mantel auf den Bock und hebe meine Frau und ihr Mädchen in das Innere derselben. Die Kutsche hat bloß einen Tritt, und da dieser fast eine Elle über der Erde schwebt, gelangt man mittels eines Stuhles darauf; ist kein Stuhl da, so müssen die Damen sich der göttlichen Vorsehung empfehlen. Die Kutsche faßt neun Personen, indem sie von einer Tür zur andern querüber noch einen dritten Sitz hat, worauf wir in England die Füße stellen, so daß das Aussteigen eine noch größere Heldentat ist als das Einsteigen. Außen sitzt bloß ein Passagier, und zwar auf dem Bock. Da ich dieser eine bin, klettere ich hinauf; und während das Gepäck auf dem Kutschendach festgeschnallt und hinten in eine Art Mulde gestopft wird, habe ich die beste Gelegenheit, mir den Kutscher zu betrachten.

Es ist ein in der Tat recht schwarzer Neger. Seine Kleidung besteht in einem (vorzüglich an den Knien) vielfach geflickten und gestopften pfeffer- und salzfarbigen Anzug, grauen Strümpfen, außerordentlich großen und ungewichsten Schuhen und sehr kurzen Hosen. Er hat zwei Handschuhe von verschiedenen Paaren, einen von buntfarbiger Wolle und den andern von Leder, eine sehr kurze Peitsche, die in der Mitte zerbrochen und mit Bindfaden zusammengeflickt ist. Und doch trägt er einen niedrigen, breitrandigen schwarzen Hut: das nachgeäffte, blasse Schattenbild eines englischen Kutschers! Allein während ich diese Beobachtungen mache, ruft eine unsichtbare Autorität: »Vorwärts!« Die Post, in einem von vier Pferden gezogenen Wagen, fährt voraus, und alle Kutschen folgen in der Reihe nach, angeführt von Nr. 1.

Beiläufig will ich hier bemerken, daß, wo ein Engländer »Alles in Ordnung!« ruft, der Amerikaner allemal »Vorwärts!« ruft, was gewissermaßen auch den Nationalcharakter der beiden Länder bezeichnet.

Während der ersten Viertelstunde führt die Straße über Brücken, die aus lose über zwei parallele Balken gelegten Brettern bestehn; diese Bretter springen, sowie die Räder über sie hinrollen, in die Höhe und in den Fluß hinab. Der Fluß hat ein lehmiges Bett und ist voller Löcher, so daß immer eine Pferdehälfte plötzlich verschwindet und lange Zeit nicht wiedergefunden werden kann.

Doch wir überstehen auch das und kommen auf die wirkliche Landstraße, die aus einer Reihe abwechselnder Sümpfe und Sandgruben besteht. Eine fürchterliche Passage liegt jetzt dicht vor uns; der schwarze Kutscher rollt mit den Augen, verzieht das Maul und blickt grade zwischen den beiden Vorderpferden hindurch, als wenn er zu sich selbst sagte: »Wir sind schon oft drüber gefahren, aber diesmal wird es krachen.« Er nimmt einen Zügel in jede Hand, ruckt, zieht beide an und trampelt mit beiden Füßen auf dem Tritte herum (natürlich ohne aus dem Sitz zu fallen) wie der selige, viel beklagte Ducrow auf seinen beiden feurigen Rennern. Wir kommen jetzt zur Stelle, sinken fast bis an die Kutschenfenster, in einem Winkel von fünfundvierzig Grad, in den Schlamm und bleiben so stecken. Die Innensitzenden kreischen angsterfüllt, die Kutsche hält an, die Pferde zappeln und schlagen aus; die andern sechs Kutschen halten gleichfalls, und ihre vierundzwanzig Pferde schlagen gleichfalls aus, doch bloß zur Gesellschaft und aus Sympathie mit den unsern. Jetzt spielt sich folgende Szene ab:

Der schwarze Kutscher zu den Pferden: »Hi!« Nutzt nichts. Innen abermaliges Kreischen.

Der schwarze Kutscher zu den Pferden: »Ho!«

Die Pferde stürzen und bespritzen den schwarzen Kutscher mit Kot.

Ein Herr in der Kutsche herausguckend: »Aber was in aller Welt –«

Der Herr erhält verschiedene Kleckse auf die Nase und zieht den Kopf wieder zurück, ohne seine Frage zu beendigen oder auf eine Antwort zu warten.

Der schwarze Kutscher immer noch zu den Pferden: »Jiddy, Jiddy!«

Die Pferde ziehen heftig an und zerren die Kutsche aus dem Loch eine so steile Anhöhe hinauf, daß die Beine des Kutschers in die Luft emporfliegen und er selbst unter das Gepäck auf dem Kutschendach rutscht. Er sammelt sich jedoch sogleich wieder und ruft (immer noch zu den Pferden): »Pill!«Statt pull (zieht!) (Anmerkung des Übersetzers).

Es hilft aber nichts. Im Gegenteil, die Kutsche rollt auf Nr. 2 zurück, Nr. 2 auf 3, diese auf Nr. 4 und so fort, bis man Nr. 7 fast eine englische Viertelmeile hinter uns fluchen und schimpfen hört.

Der schwarze Kutscher lauter als vorher: »Pill!«

Die Pferde kämpfen von neuem, um auf die Anhöhe zu gelangen, und abermals rollt die Kutsche rückwärts.

Der schwarze Kutscher lauter als vorher: »Pi-i-i-l!«

Die Pferde kämpfen wieder ganz verzweifelt.

Der schwarze Kutscher sich erhebend: »Hi, Jiddy, pill!«

Die Pferde machen noch eine Anstrengung.

Der schwarze Kutscher aus allen Kräften: »Ally Loo! Hi! Jiddy, Jiddy! Pill! Ally Loo!«

Fast gelingt es den Pferden jetzt.

Der schwarze Kutscher indem ihm die Augen aus dem Kopfe treten: »Zu da! zu da! Hi! Jiddy, Jiddy! Pill! Ally Loo! Hi-i-i-i!«

Die Pferde erreichen jetzt die Anhöhe, und mit fürchterlicher Schnelligkeit rennen sie auf der andern Seite wieder hinunter. Es ist nicht möglich, sie aufzuhalten, und unten am Fuß der Anhöhe ist ein tiefer Wasserpfuhl. Die Kutsche rollt mit furchtbarer Schnelligkeit dahin. Die Insassen kreischen. Kot und Wasser spritzen hoch um uns empor. Der schwarze Kutscher strampelt mit den Beinen wie ein Verrückter. Plötzlich, durch irgendein Wunder, sind wir an der gefährlichen Stelle vorbei und schöpfen wieder Atem.

Ein schwarzer Freund des schwarzen Kutschers sitzt auf einem Geländer. Der schwarze Kutscher zeigt, daß er ihn erkennt, indem er den Kopf wie ein Harlekin schüttelt, die Augen verdreht, mit den Achseln zuckt und von einem Ohr zum andern grinst. Er hält auf einmal an, wendet sich zu mir und sagt: »Wollen Sie schon durchbringen, Sir, wie geschmiert, und hoffen, Ihnen gefallen, wenn wir Sie hier durchbringen. Altes Weib zu Hause« (indem er herzlich lacht), »der Gentleman auf dem Bock oft an das alte Weib zu Hause denkt«; hier grinst er wieder.

»Ja, ja, wir wollen schon Sorge tragen für die Alte. Fürchtet nichts.«

Der schwarze Kutscher grinst noch einmal; doch da ist schon wieder ein Loch und drüben schon wieder eine Anhöhe vor uns. Er hält auf einmal an, ruft den Pferden zu: »Ruhig, ruhig! Nur ruhig! Hi! Jiddy, Pill! Ally, Loo!« bis wir wieder in die schrecklichste Not geraten, so daß es rein unmöglich scheint, sich da herauszufinden.

Auf diese Weise legen wir die zehn oder elf englischen Meilen in zweieinhalb Stunden zurück; zwar ohne ein Bein zu brechen, aber mit mannigfachen Quetschungen; und endlich hat er uns durchgebracht, »wie geschmiert«.

Diese merkwürdige Fahrt endigt in Fredericksburgh, von wo eine Eisenbahn nach Richmond führt. Der Landstrich, welchen wir passierten, war früher ergiebig, aber der Boden ist dadurch erschöpft worden, daß man durch eine übertriebene Masse Sklavenarbeit Ernten erpreßte, ohne das Land wieder zu kräftigen, und es ist jetzt wenig besser denn eine sandige, mit Bäumen bewachsene Wüste. So traurig und uninteressant auch der Anblick dieser Landstrecke ist, so freute ich mich doch herzlich, etwas zu finden, was der Fluch jener scheußlichen Einrichtung, des Sklavenhandels, getroffen hat, und es machte mir mehr Vergnügen, den ausgedörrten Boden zu betrachten, als die reichste, üppigste Kultur an derselben Stelle mir hätte gewähren können.

In dieser Gegend, so wie in allen andern, über welchen der Fluch der Sklaverei schwebt (und ich habe dies häufig selbst von ihren eifrigsten Verteidigern zugestehen hören), erblickt man nichts als Ruin und Verfall, was von dem System unzertrennlich ist. Die Scheunen und Nebengebäude verfallen; die Schuppen sind schlecht ausgebessert und halb ohne Dach; die Blockhütten (in Virginia befinden sich die Essen von Lehm oder Holz an der Außenseite derselben) sind im höchsten Grade unsauber. Nirgends sieht man Bequemlichkeit und Anstand. Die elenden Stationen neben der Eisenbahn, die großen, verwilderten Holzhöfe, von wo die Maschine mit Brennmaterial versehen wird, die Negerkinder, die sich vor den elenden Hütten mit den Hunden und Schweinen im Kot umherwälzen, die vorüberschleichenden zweifüßigen Lasttiere, alles zeigt düstre Niedergeschlagenheit und Entwürdigung.

In dem zu unserem Zuge gehörigen Negerwagen saß eine Mutter mit ihren Kindern, die eben verkauft worden waren; der Gatte und Vater war bei dem vorigen Besitzer zurückgeblieben. Die Kinder schrien während der ganzen Fahrt, und die Mutter war ein Bild des Elends. Der Streiter für Freiheit und allgemeine Glückseligkeit, der sie gekauft hatte, fuhr mit demselben Wagenzug, und jedesmal, wenn angehalten wurde, stieg er aus, um zu sehen, ob sie noch da waren. Der Schwarze in Sindbads Reisen mit einem Auge in der Mitte der Stirn, das wie eine glühende Kohle brannte, war ein Aristokrat der Natur, verglichen mit diesem weißen Gentleman.

Es war zwischen sechs und sieben Uhr abends, als wir zum Hotel fuhren; auf dem Vorplatze und Altan desselben wiegten sich zwei oder drei »Bürger« auf Schaukelstühlen und rauchten ihre Zigarren dazu. Das Hotel war sehr groß und elegant eingerichtet, und wir wurden so gut bedient, wie es Reisende nur wünschen können. Da das Klima ein gar durstiges ist, fehlte es zu keiner Stunde des Tages an Gästen in dem geräumigen Schenkzimmer; auch waren hier die Leute viel lustiger und fröhlicher, und bei Nacht gab es Musik auf allerhand Instrumenten, was dem Ohre wieder einmal recht wohl tat.

An den beiden folgenden Tagen fuhren und gingen wir in der Stadt umher, die auf acht Hügeln am James River eine entzückende Lage hat; aus dem Flusse tauchen hie und da frische grüne Inseln hervor. Obwohl wir kaum Mitte März hatten, war das Wetter dennoch äußerst warm; die Pfirsiche und Magnolien standen in voller Blüte, und alle Bäume waren grün. In den nahen Bergen liegt ein Tal, das von einem furchtbaren Kampfe mit den Indianern »Bloody Run« (Blutbach) heißt. Es ist für einen solchen Kampf ganz geeignet und hatte, wie jede andere Stätte, an die sich eine Sage von jenem wilden Volke knüpft, das jetzt so schnell von der Erde verschwindet, sehr großes Interesse für mich.

Die Stadt ist der Sitz des regionalen Parlaments von Virginia; in seinen schattigen Gesetzgeberhallen hielten einige Redner schläfrige Deklamationen über die Hitze des Tages. Durch die öftere Wiederholung hatten indes diese konstitutionellen Schauspiele ebensowenig Reiz mehr für mich, als wenn es Parochialversammlungen gewesen wären; daher freute ich mich der Abwechslung, die mir die Besichtigung einer wohlgeordneten öffentlichen Bibliothek und der Besuch einer Tabakfabrik gewährte, in welcher alle Arbeiter Sklaven sind.

In dieser Fabrik sah ich, wie der Tabak sortiert, gerollt, gepreßt, getrocknet, in Fässer verpackt und beschriftet wurde. Der ganze so behandelte Tabak wurde zum Kauen zugerichtet; und man hätte glauben sollen, daß in diesem einzigen Hause genug Vorrat war, um selbst die weiten Backen Amerikas damit zu füllen. In dieser Gestalt sieht der Tabak wie die Ölkuchen aus, mit denen wir das Rindvieh mästen, und ist, selbst wenn man nicht an seinen späteren Gebrauch denkt, durchaus nicht einladend.

Viele Arbeiter schienen starke Leute zu sein, und es ist kaum nötig hinzuzusetzen, daß sie alle ruhig und still arbeiteten. Nach zwei Uhr ist ihnen täglich zu singen erlaubt, und zwar darf eine bestimmte Anzahl im Chor singen. Als ich gerade da war, schlug die Stunde, und ungefähr zwanzig Mann sangen eine Hymne gar nicht übel, wobei sie immerfort ihre Arbeit verrichteten. Wie ich fortgehen wollte, läutete eine Glocke, und alle stürmten in ein Haus auf der entgegengesetzten Seite der Straße, um ihr Mittagsbrot zu genießen. Ich erwähnte verschiedene Male, daß ich sie gern beim Essen sehen möchte; aber da der Mann, gegen den ich diesen Wunsch äußerte, plötzlich taub geworden zu sein schien, wiederholte ich meine Bitte nicht weiter. Über das Aussehen der Arbeiter werde ich gleich einige Bemerkungen zu machen haben.

Am folgenden Tage besuchte ich eine Pflanzung von ungefähr zwölfhundert Morgen Landes auf der andern Seite des Flusses. Obwohl ich mit dem Besitzer der Pflanzung zu dem »Quartier« ging, wie der Teil, wo die Sklaven wohnen, genannt wird, so wurde ich doch keineswegs eingeladen, in eine der Hütten zu treten. Ich sah bloß, daß sie sehr elend und gebrechlich gebaut waren und daß in der Nähe halb nackte Kinder sich sonnten oder im Staube wälzten. Doch glaube ich, der Besitzer dieser Pflanzung ist ein sehr gerechter, vortrefflicher Herr, der seine fünfzig Sklaven erbte und mit Menschenfleisch keinen Handel treibt; auch überzeugte ich mich durch eigne Beobachtung, daß er ein gutmütiger, würdiger Mann ist.

Das Wohnhaus des Pflanzers war eine luftige ländliche Wohnung, welche Defoes Schilderung solcher Orte mir deutlich ins Gedächtnis rief. Das Wetter war sehr warm, doch da die Jalousien alle geschlossen waren und Fenster und Türen weit offenstanden, herrschte eine schattige Kühle in den Zimmern, die nach der Hitze und dem blendenden Licht im Freien sehr wohltat. Vor den Fenstern befand sich eine offene Piazza, wo man bei heißer Witterung – was sie hier selbst heiß nennen – sich in Hängematten wiegt und dabei trinkt oder schlummert. Ich weiß nicht, wie die dort bereiteten kühlen Erquickungen in den Hängematten schmecken mögen, doch nach meiner Erfahrung kann ich bestätigen, daß das Eis und der Julep und der Sherry-Punsch, den man unter diesem Breitengrade macht, Erfrischungen sind, an die man nachmals zur Sommerzeit nicht denken darf, wenn man sich seine Seelenruhe bewahren will.

Über den Fluß führen zwei Brücken; die eine gehört zur Eisenbahn, und die andere, ein sehr altes, wackliges Ding, ist das Privatbesitztum einer in der Nähe wohnenden alten Dame, die von den diese Brücke passierenden Stadtbewohnern einen Zoll erhebt. Als ich auf meinem Rückweg über diese Brücke ging, sah ich einen Anschlag am Tore, wodurch jedermann gewarnt wurde, langsam zu fahren, bei einer Strafe von fünf Dollar, wenn der Übertreter ein Weißer, und von fünfzehn Peitschenhieben wenn er ein Neger wäre.

Derselbe Verfall, dieselbe Düsterkeit, die man auf dem Wege dahin überall erblickt, schwebt auch über der Stadt Richmond Es gibt hübsche Villen und heitere Häuser in ihren Straßen, und die Natur lächelt über die Gegend ringsum; aber dicht neben den schönen Wohnhäusern, so wie die Sklaverei mit manchen hohen Tugenden Hand in Hand geht, stehen jämmerliche Hütten, unausgebesserte Gehege und verfallene Mauern. Diese und viele andere traurige Anzeichen der Art, die noch größeres heimliches Unheil erraten lassen, drängen sich der Betrachtung auf, und man denkt mit drückenden Gefühlen an sie zurück, wenn heitere Erinnerungen längst vergessen sind.

Auf diejenigen, die glücklicherweise nicht daran gewöhnt sind, machen die Gesichter auf den Straßen und Arbeitsplätzen einen höchst unangenehmen Eindruck. Wer da weiß, daß es gegen die Unterrichtung der Sklaven Gesetze gibt und Strafen, die den Betrag der Geldbußen, der auf das Verkrüppeln und Martern der Sklaven steht, noch übersteigen, wird natürlich auf den Gesichtern dieser entwürdigten Menschenklasse keinen intellektuellen Ausdruck erwarten. Allein die Dunkelheit – nicht der Haut, sondern der Seele –, die bei jedem Schritt dem Auge des Fremden begegnet; das Tierische oder der gänzliche Mangel aller von der Hand der Natur gezeichneten bessern Züge im Gesicht übertreffen bei weitem seine schlimmste Erwartung. Als Gulliver, nachdem er unter den Pferden gelebt, plötzlich aus einem hohen Fenster auf seinesgleichen zitternd niedersah, konnte er kaum mehr zusammenschaudern als ich beim ersten Anblick dieser Sklavengesichter.

Den letzten dieser Unglücklichen sah ich in der Gestalt eines elenden Arbeitstiers, das, nachdem es den ganzen Tag von früh bis Mitternacht herumgelaufen war und zuweilen in den Zwischenzeiten verstohlenerweise auf den Treppen geschlafen hatte, die finstern Gänge früh um vier Uhr scheuerte. Ich setzte meine Reise mit dankbarem Herzen fort, daß ich nicht verdammt bin, da zu leben, wo die Sklaverei herrscht, und daß meine Sinne, mein Gefühl nicht gegen die Abscheulichkeiten derselben schon in einer von Sklaven geschaukelten Wiege abgestumpft worden sind.

Es war meine Absicht gewesen, auf dem James River und der Chesapeake Bay nach Baltimore zu fahren; doch da eins der Dampfschiffe infolge irgendeines Unfalles nicht auf seiner Station war und man sich also nicht mit Gewißheit auf die Mittel zum Fortkommen verlassen konnte, kehrten wir auf dem Wege, den wir gekommen waren, nach Washington zurück (an Bord des Dampfschiffs befanden sich zwei Konstabler, die entlaufenen Sklaven nachsetzten), und nachdem wir da übernachtet hatten, reisten wir am andern Nachmittag nach Baltimore.

Das komfortabelste aller Gasthäuser, die ich in den Vereinigten Staaten kennenlernte – und deren sind nicht wenige –, ist Barnum's Hotel in dieser Stadt, wo der englische Reisende das erste und wahrscheinlich auch das letzte Mal in Amerika Vorhänge an seinem Bett findet und wo er genug Wasser zum Waschen erhalten kann, was sich nicht immer trifft.

Die Hauptstadt von Maryland ist voller geschäftigen, emsigen Lebens und treibt beträchtlichen Handel, besonders zu Wasser. Derjenige Teil, der sich am besten dazu eignet, ist freilich keiner der saubersten; allein der obere Teil trägt einen ganz andern Charakter und hat viele schöne Straßen und öffentliche Gebäude. Unter den letztern sind vorzüglich zu erwähnen das Washington Monument, eine schöne Säule mit einer Statue, das medizinische Kollegium und das Schlachtdenkmal zum Andenken an ein Treffen mit den Briten bei North Point.

In Baltimore ist ein sehr gutes Gefängnis, so wie sich auch das Staatszuchthaus hier befindet. In diesem letzten kamen zwei merkwürdige Fälle vor.

Der eine betraf einen jungen Mann, der als Mörder seines Vaters vor Gericht stand. Die Beweise wider ihn waren sehr umständlicher Art und höchst zweifelhaft; auch war es nicht möglich, einen Beweggrund anzugeben, der ihn zu einem so schauderhaften Verbrechen hätte verführen können. Er war zweimal verhört worden; beim zweiten Verhör entließ die Jury weil sie ihn nicht für überwiesen halten konnte, ein Verdikt auf Totschlag oder Mord zweiten Grades, was jedoch nicht wohl der Fall sein konnte, da kein Zank oder Streit dabei stattgefunden hatte und da er, wenn er überhaupt schuldig war, des Mordes in der ärgsten Bedeutung des Wortes schuldig sein mußte.

Das Merkwürdige bei dem Falle war, daß, wenn der unglückliche Erschlagene wirklich nicht von seinem Sohne gemordet worden war, ihn sein Bruder getötet haben mußte. Die Aussagen waren, höchst merkwürdigerweise, gegen beide. In allen verdächtigen Punkten war des Toten Bruder Zeuge; alle Erklärungen, die für den Angeklagten lauteten (und darunter einige sehr plausible), ließen folgern, daß jener die Schuld von sich auf seinen Neffen zu wälzen suche. Einer von beiden war jedenfalls der Verbrecher, und die Jury hatte zwischen zwei Arten von Verdacht zu entscheiden, beide gleich unnatürlich, unerklärlich und sonderbar.

Der zweite Fall betraf einen Mann, der vor zwei Jahren zu einem Destillateur gegangen war und ein kupfernes Maß, das eine Quantität Branntwein enthielt, gestohlen hatte. Man hatte ihn verfolgt und das Gestohlene bei ihm gefunden; sein Urteil lautete auf zwei Jahre Gefängnis. Als er nach Verlauf dieser Zeit aus dem Kerker kam, ging er wieder zu demselben Destillateur und stahl abermals dasselbe kupferne Maß mit derselben Quantität Branntwein. Es war auch nicht der geringste Grund zur Vermutung da, daß der Mann wieder in das Gefängnis zu kommen wünschte; vielmehr ließ, außer dem Verbrechen selbst, alles auf das Gegenteil schließen. Nun kann dieses sonderbare Benehmen nur auf zweierlei Weise erklärt werden. Erstlich mochte er glauben, daß er nach so vielen Leiden um dieses kupferne Maß sich eine Art von Recht auf dasselbe erworben habe. Oder es war vielleicht durch die ewige Erinnerung daran zur Monomanie bei ihm geworden und hatte in seinen Augen einen Zauber gewonnen, dem er nicht mehr zu widerstehen vermochte, indem das Maß in seiner Phantasie vielleicht aus einem irdischen Kupfergeschirr sich zu einem ätherischen goldenen Faß erhob.

Nachdem ich ein paar Tage hiergeblieben, nahm ich mir vor, dem Plane, den ich mir erst vor kurzem entworfen, streng zu folgen, und beschloß, unsre Reise nach dem Westen ohne ferneren Verzug zu beginnen. Nachdem ich daher unser Gepäck (indem ich alles, was uns nicht durchaus nötig war, nach New York zurücksandte, damit es uns von da nach Kanada geschickt werden könne) so weit wie möglich vermindert und mir die nötigen Kreditbriefe an die Bankhäuser, die wir etwa auf unserer Reise treffen würden, besorgt hatte, verließen wir Baltimore wieder mit einer andern Eisenbahn um halb neun Uhr morgens und erreichten die sechzig und einige englische Meilen entfernte Stadt York gerade zu der frühen Dinerzeit des Hotels, von wo aus die vierspännige Kutsche abfuhr, mit welcher wir nach Harrisburgh fahren sollten.

Diese Kutsche, auf der ich mir glücklicherweise einen Sitz im Coupé verschaffte, hatte uns vom Bahnhof abgeholt und war so schmutzig und schwerfällig wie gewöhnlich. Da an der Tür des Gasthauses noch mehr Passagiere auf uns warteten, bemerkte der Kutscher, indem er sein altes Pferdegeschirr anglotzte, als ob er zu diesem redete, in seinem gewöhnlichen halblauten Selbstgespräch: »Ich denke, wir werden die große Kutsche brauchen.«

Ich war neugierig, wie groß diese Kutsche sein mochte und wieviel Passagiere sie werde einnehmen müssen; denn das Fuhrwerk, das nach des Kutschers Meinung für uns zu klein sein sollte, war etwas größer als zwei schwere englische Nachtkutschen. Meine Neugier war jedoch bald gestillt; denn sobald wir gespeist hatten, kam gleich einem korpulenten Riesen eine Barke auf Rädern die Straße hergerumpelt. Nach vielem Stolpern und Rückwärtsfahren hielt sie endlich an unsrer Tür, wobei sie schwerfällig hinüber- und herüberschwankte, als wenn sie sich in ihrem kalten Schuppen erkältet hätte und nach der zu raschen Bewegung in ihrem wassersüchtigen Alter nicht wieder zu Atem kommen könnte.

»Wenn das nicht endlich die Harrisburgher Mail ist und wenn sie nicht noch dazu verteufelt munter und nett aussieht«, rief ein ältlicher Gentleman mit einiger Lebhaftigkeit, »so soll mich doch gleich der Teufel holen!«

Wenn es wirklich von der Richtigkeit seiner Bemerkung über das nette Aussehen der Harrisburgher Mail abhing, so hätte den ältlichen Herrn jedenfalls der Teufel holen müssen. Indessen man packte zwölf Personen in das Innere, und nachdem das Gepäck (das aus allerhand Trödel bestand, wie zum Beispiel aus einem großen Schaukelstuhl und einer ziemlich langen Speisetafel) endlich auf dem Dach befestigt worden war, fuhren wir in großer Parade ab.

An der Tür eines andern Gasthauses stand wieder ein Passagier, der auf uns wartete.

»Platz frei, Sir?« fragt der neue Passagier den Kutscher.

»Oh, Platz genug!« erwidert der Kutscher, ohne jedoch abzusteigen oder nach dem Fragenden zu blicken.

»Es ist gar kein Platz mehr, Sir«, ruft ein Gentleman aus dem Innern der Kutsche, was ein anderer Gentleman, auch im Innern, bestätigt, indem er voraussagt, daß ein Versuch, noch mehr Passagiere einsteigen zu lassen, nicht angehen werde.

Der neue Passagier, ohne die geringste Verlegenheit zu verraten, guckt in die Kutsche und dann zum Kutscher hinauf. »Nun, wie wollt Ihr's denn machen?« fragt er nach einer Pause, »denn ich muß fort.«

Der Kutscher beschäftigt sich damit, einen Knoten in seine Peitschenschnur zu knüpfen, und nimmt keine weitere Notiz von der Frage, was deutlich beweist, daß er sich um nichts zu bekümmern hat und daß die Passagiere gut daran tun werden, die Sache untereinander selbst auszumachen. Bei diesem Stand der Dinge scheint das Ganze eine andere Wendung nehmen zu wollen, als auf einmal ein anderer Passagier, in einer Ecke, der fast erstickt, mit matter Stimme ruft: »Ich will hinaus.«

Das ist jedoch für den Kutscher kein Grund, sich zu beruhigen oder zu freuen, denn in seiner unerschütterlichen Philosophie läßt er sich durch nichts, was in der Kutsche vorgeht, stören. Von allen Dingen in der Welt scheint die Kutsche das letzte zu sein, um das er sich kümmert. Der Platzwechsel wird indes vorgenommen, und dann kommt der Passagier, der seinen Sitz aufgegeben hat, auf den Bock geklettert und will sich, wie er sagt, in die Mitte setzen, das heißt mit der Hälfte seiner werten Person auf meine Beine und mit der andern auf die des Kutschers.

»Vorwärts, Kap'tän«, ruft der kommandierende Oberkutscher.

»Vorwärts!« ruft der Kap'tän seiner Kompanie, den Pferden, zu, und fort geht es.

Nachdem wir etwa eine Stunde gefahren waren, nahmen wir an einer Dorfschenke einen betrunkenen Gentleman mit, der auf das Dach unter das Gepäck kletterte, jedoch wieder herunterrutschte, ohne sich zu beschädigen, und, wie wir von weitem sahen, nach der Grogschenke zurücktaumelte, an welcher wir ihn getroffen hatten. Nach und nach wurden wir immer mehr von unsrer Ladung los, so daß ich beim nächsten Pferdewechsel wieder allein auf dem Bock saß.

Die Kutscher wechseln ständig die Pferde und sind gewöhnlich ebenso schmutzig wie die Kutsche selbst. Der erste war wie ein schäbiger englischer Bäcker gekleidet, der zweite wie ein russischer Bauer; denn er trug einen faltigen roten Kamelottrock mit Pelzkragen, um den Leib von einer bunten wollenen Schärpe zusammengehalten, graue Hosen, hellblaue Handschuhe und eine Mütze aus Bärenfell. Inzwischen hatte es tüchtig zu regnen angefangen, und ein kalter feuchter Nebel hatte sich erhoben, der bis auf die Haut drang. Ich freute mich, beim nächsten Anhalten einmal absteigen zu können, um das Wasser von meinem Mantel zu schütteln und die gewöhnliche Anti-Mäßigkeitsmedizin gegen die Kälte einzunehmen.

Als ich wieder zu meinem Sitz emporkletterte, sah ich ein neues Paket auf dem Kutschendach liegen, was ich für eine ziemlich große Geige in einem braunen Sack hielt. Nachdem wir jedoch einige Meilen zurückgelegt hatten, entdeckte ich, daß dieses Bündel an dem einen Ende eine Glanzledermütze und am andern ein Paar schmutzige Schuhe hatte; fernere Beobachtungen zeigten mir, daß es ein kleiner Junge in einem schnupftabakfarbigen Rock war, der die Hände tief in seine Taschen gesteckt hatte. Er war vermutlich ein Verwandter oder Freund des Kutschers, da er mit dem Gesicht dem Regen zugewandt lag und, außer wenn eine Veränderung der Lage seine Schuhe mit meinem Hute in Berührung brachte, zu schlafen schien. Endlich, als wir einmal anhielten, richtete sich dieses Ding zu einer Höhe von drei Fuß sechs Zoll auf; es heftete seinen Blick auf mich und bemerkte mit einem selbstgefälligen Gähnen, das sich halb in eine verbindliche Gönnermiene verlor, und mit fistulierender Stimme: »Nun, Fremder, ich vermute, Sie finden dies Wetter fast wie in England an einem Nachmittag, he?«

Die Gegend, die anfangs ziemlich zahm gewesen war, wurde während der letzten zehn oder zwölf Meilen wirklich schön. Unser Weg wand sich durch das angenehme Susquehannah-Tal; der Fluß mit seinen zahllosen grünen Inseln lag uns zur Rechten und ein steiler Felsenhang mit dunklen Fichten zur Linken. Der Nebel, der hundert phantastische Bilder formte, schwebte feierlich über dem Wasser dahin, und die Abenddämmerung verlieh dem Ganzen etwas Geheimnisvolles, Schweigsames, was den natürlichen Reiz des Schauspiels noch erhöhte.

Wir fuhren auf einer überdachten, von beiden Seiten verschlagenen und fast meilenlangen hölzernen Brücke über den Fluß. Auf dieser Brücke war es natürlich stockfinster, überall kreuzten sich Balken in allen möglichen Winkeln, und durch die breiten Spalten am Boden schimmerte der reißende Strom gleich einer Legion Augen herauf. Wir hatten keine Lampen, und das ferne, bleiche Lichtfleckchen, dem die Pferde entgegenstolperten, schien sich immer weiter zu entfernen. Dabei erfüllte der schwerfällig dahinrollende Wagen die ganze Brücke mit dumpfem Dröhnen; ich bückte mich beständig mit dem Kopf, um mich nicht etwa an Querbalken zu stoßen, und mir war, als ob ich in einem schweren Traum läge; denn ich habe oft geträumt, ich müsse mir mühsam einen Weg durch solche Gegenden bahnen, und ebensooft habe ich mir gleichzeitig gesagt: »Das kann nicht Wirklichkeit sein.«

Endlich gelangten wir in die Straßen von Harrisburgh, deren matte Lampenlichter, sich unheimlich auf dem nassen Boden spiegelnd, keine sehr heitere Stadt beschienen. Wir befanden uns bald in einem behaglichen Gasthause, welches, obwohl kleiner und nicht so glänzend eingerichtet wie andere, in denen wir eingekehrt waren, dennoch in meiner Erinnerung hoch über allen steht, weil der Wirt der verbindlichste, artigste und rücksichtsvollste Mann war, mit dem ich jemals zu tun hatte.

Da wir erst nach Mittag unsere Reise fortsetzen wollten, ging ich am nächsten Morgen aus, um mich umzusehen. Man zeigte mir ein nach dem Einzelhaftsystem erbautes Mustergefängnis, das jedoch noch keine Bewohner hatte; den Stumpf eines alten Baumes, an welchen Harris, der erste Ansiedler hier (den man auch später darunter begrub) von den feindlichen Indianern gebunden wurde, die schon den Scheiterhaufen um ihn aufschichteten, als er noch zur rechten Zeit durch das Erscheinen einer befreundeten Abteilung Indianer am entgegengesetzten Ufer gerettet wurde, und noch andere Merkwürdigkeiten der Stadt.

Es war mir sehr interessant, eine Anzahl der mit den Indianern abgeschlossenen Verträge durchzusehen, die die verschiedenen Häuptlinge zur Zeit ihrer Ratifikation unterzeichnet hatten und die im Sekretariat der Republik aufbewahrt wurden. Die Unterschriften dieser Häuptlinge, die natürlich von ihrer eignen Hand herrührten, sind rohe Zeichnungen der Waffen oder Lebewesen, nach denen sie genannt wurden. So zeichnet die Große Schildkröte mit der Feder eine Schildkröte, der Büffel skizziert einen Büffel, das Kriegsbeil malt ein rohes Bild dieser Waffe als Unterschrift; und so ist es mit dem Pfeil, dem Fisch, dem Skalpiermesser, dem großen Kanu usw.

Als ich auf diese plumpen, unsichern Zeichnungen von Händen blickte, welche den härtesten Bogen vom Horn des Wapitihirsches spannten oder mit einer Flintenkugel eine Feder trafen, konnte ich nicht umhin, an Crabbes Betrachtungen über die Kirchspielregister und die unregelmäßigen Krähenfüße zu denken, von Männerhänden, die die längste Furche schnurgerade von einem Ende zum andern zu pflügen verstanden. Kummer erfüllte mich bei dem Gedanken an die einfältigen Krieger, deren Herzen und Hände in aller Aufrichtigkeit unterschrieben hatten und die erst von weißen Männern ihr Wort zu brechen und Verträge zu verdrehen lernten; und ich hätte gern wissen mögen, wie oft die leichtgläubige Große Schildkröte oder das vertrauensvolle Kleine Beil ihren Namen unter Abmachungen gesetzt hatten, die ihnen falsch vorgelesen worden waren, und wie oft sie Sachen unterzeichnet hatten, die ihnen unbekannt blieben, bis sie sich in ihrem eigenen Vaterlande in der Tat als Wilde behandelt sahen.

Unser Wirt verkündigte uns vor unserem zeitigen Mittagsmahle, daß einige Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaft uns die Ehre ihres Besuches erweisen wollten. Er hatte uns gütigst das Zimmer seiner Frau überlassen, und als ich ihn bat, jene Mitglieder nur einzulassen, sah ich, daß er mit schmerzlicher Ahnung auf den schönen Teppich blickte, obschon mir im Augenblick, da ich andere Dinge im Kopf hatte, seine Unruhe nicht auffiel.

Es würde wahrscheinlich allen betreffenden Teilen angenehmer gewesen sein und die Unabhängigkeit der Amerikaner durchaus nicht verletzt haben, wenn einige jener Herren dem Vorurteile zugunsten der Spucknäpfe nachgegeben oder wenn sie sich für den Augenblick in den konventionellen Unsinn, Schnupftücher zu führen, gefügt hätten.

Es fuhr noch immer fort, tüchtig zu regnen, und als wir nach Tische zu dem Kanalboot (denn mit diesem Fahrzeug wollten wir weiter) hingingen, war das Wetter fortwährend so naß, wie man es nur wünschen konnte. Auch war der Anblick dieses Kanalbootes, auf dem wir drei oder vier Tage zubringen sollten, keineswegs erheiternd, da er einige beunruhigende Gedanken hinsichtlich des nächtlichen Unterkommens der Passagiere erweckte und über die andern innern Einrichtungen des Schiffes unserer Forschung ein weites Gebiet eröffnete.

Doch dort lag das Kanalboot – eine Barke mit einem kleinen Hause, wenn man es von außen betrachtete, und eine Jahrmarktsbude von innen. Die Herren waren, wie dies die Zuschauer gewöhnlich sind, in einem jener lokomotiven Museen, Pfennig-Wunder genannt, untergebracht, und die Damen durch einen roten Vorhang abgesondert, wie es in denselben Schaustellungen die Riesen und Zwerge sind, welche ihr Privatleben in gar strenger Exklusivität verbringen.

Hier saßen wir, indem wir schweigend über die zu beiden Seiten der Kajüte befindlichen Reihen kleiner Tische hinblickten und auf den auf das Boot klatschenden und mit kläglicher Fröhlichkeit im Wasser plätschernden Regen horchten, und harrten der Ankunft des Dampfwagenzugs, der unsere Passagiere vollzählig machen sollte. Mit diesem Zuge erhielten wir eine große Menge Koffer, die mit schrecklichem Gepolter auf das Dach geworfen wurden, daß man Kopfweh bekam, und mehrere durchnäßte Gentlemen, die sich um den Ofen pflanzten und deren Kleider allmählich zu dampfen anfingen. Es würde ohne Zweifel etwas tröstlicher gewesen sein, wenn der Regen, der jetzt toller als je herabströmte, ein Fenster zu öffnen erlaubt hätte oder wenn wir Passagiere etwas weniger als dreißig an der Zahl gewesen wären. Doch es war kaum so viel Zeit, um daran zu denken, als auch schon drei Pferde an das Schlepptau gespannt wurden; der auf dem vordersten sitzende Junge klatschte mit seiner Peitsche, das Ruder knarrte und stöhnte in Klagetönen, und wir hatten unsere Fahrt begonnen.

 


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