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Die Verwandlungen der Venus.

»Zeugen, Geburt und Tod,
Wann wird es stille!
Wo glüht das Urgebot,
Wo wacht der Wille?«
            Otto Julius Bierbaum.

Gebet der Sucht.

        Niemals sah ich die Nacht beglänzter,
diamantisch reizen die Fernen;
durch mein staubiges Kellerfenster
sticht der Schein der Gaslaternen,

schielt auf meine frierenden Hände,
und ich fühle meinen Hunger;
grau sind diese nackten Wände,
und sie flimmern. Und mein junger

irrender Wille kann sich nicht mehr täuschen
unsre Lüste wollen fruchtbar sein!
Mit den Schatten meiner keuschen
Kammer spielt ein schwüler Schein. 203

An den hohen Häusern drüben glühen
aus der Finsternis die Fenster,
wo die Freudenmädchen blühen –
niemals sah ich die Nacht beglänzter!

Und die Sterne sind wie brennende Blicke,
Welten sehnen sich nach mir!
Ich verschmachte. Ich ersticke.
Ja: ich frevelte an Ihr!

Selbst in meiner kalten Zelle
fühlte ich das Leben toben,
der ich wagte, dieses schnelle
Herz zu dämpfen; aber oben

über meinem dunklen Thale,
Venus, seh ich angebrannt
Deine flammenden Fanale,
und den Blick hinaufgewandt

ruf'ich aus dem tiefen Turme
meiner Aengste zu dir hoch:
Göttin, wandle dich zum Wurme,
sei im Wurme Göttin noch!

Sausend schaukelt eine Not mein Herz
wie in erster süßer Knabenfrühe;
ich verschmachte! ich verglühe!
jeder Stern ist mir ein Schmerz, –

ihrer Strahlen ferne starre Ruten
martern, wenn du mich nicht kühlst,
wenn nicht Du mit deinem brünstigen Blute
meine brennenden Dürste stillst! 204

Sieh, es lichtet sich ein neues Fenster,
zuckt ein steiler Kerzenstreifen –
niemals sah ich die Nacht beglänzter!
Ja: entzünde dich dem Reifen,

Ewige, lächle: Deine Kerzen bleiben,
alle andern sind verblichen!
Hinter jenen schwarzen Scheiben
schlafen alle Ordentlichen . . .

 

V enus A nadyomene

        Das ist die alte Stimme wieder,
aus langen Träumen jung erwacht;
sie sang die allerersten Lieder,
trunken und schüchtern, – sie singt und lacht:
          »Ueber dem grünen Roggenmeere
          wiegte die Glut zwei Pfauenaugen,
          blühend roch die brütende Leere;
          tief im grünen Roggenmeere
          lag ein Knabe mit blauen Augen.
Das war, als du noch Fehle hattest,
noch alte Furcht und fremde Scham,
als du noch keine Seele hattest,
die nur aus Deinem Blute kam.
          Aber du sahst die Falter leuchten,
          mit flackernden Flügeln bunt sich greifen;
          träumte dir von zwei dunkelfeuchten
          Augen, und die sahst du leuchten
          unter bunten, flatternden Schleifen. 205
Das war die Zeit des Schaums der Säfte,
die Aehren stäubten gelben Seim,
vieltausendjährige Ueberkräfte
erregten schwellend einen Keim;
          ahntest unterm andern Kleide
          andre nackte Glieder klopfen,
          deine Hände flackerten beide,
          in die einsam heiße Haide
          quoll ein erster Samentropfen.
Das that die Sehnsucht dieser Erde,
die opfernd um die Sonne schweift;
sie sprach das allererste Werde, –
beichte! die Sprache der Mannheit reift

 

V enus P rimitiva

        O daß der Kuß doch ewig dauern möchte,
– starr stand, wie Binsen starr, der Schwarm der Gäste;
der Kuß doch ewig, den ich auf die Rechte,
tanztaumelnd dir auf Hals und Brüste preßte!

Nein, länger duld'ich nicht dies leere Sehnen,
ich will nicht länger in verzücktem Harme
die liebekranken Glieder Nächtens dehnen;
»O komm, du Weib!« entbreit'ich meine Arme . . .

Oh komm! noch fühlt dich zitternd jeder Sinn,
vom heißen Duft berauscht aus deinem Kleide,
fühlt wogend glühn, du Flammenkönigin,
im Aschenflor um dich die Kupferseide. 206

Gieß aus in mich die Schale deiner Glut!
ich dürste nach der Sünde: nach dem Grauen
vor dieses Feuerregens wilder Brut,
vor diesen Weh'n, die wühlend in mir brauen.

Es schießt die Saat aus ihrem dunklen Schooß,
die lange schmachtend lag in spröder Hülle;
ich will mich lauter blühn, lauter und los
aus meiner dumpfen Brunst zu Frucht und Fülle!

Satt werden will ich meiner scheuen Lust:
oh komm, du Weib! nimm auf in deine Schale
die Furcht, die Sehnsucht dieser jungen Brust;
noch trank ich nie den Rausch eurer Pokale . . .

Auf Nelkendüften kommt die Nacht gezogen,
o kämst auch Du so süß und so verstohlen:
so mondesweiß dich in die Sammetwogen,
den Purpurflaum der schwärzlichen Violen,

die ich dir streun will, an mich her zu betten,
daß alle meine Mächte an des Weibes
enthüllten Göttlichkeiten sich entketten,
versink'ich – in den Teppich – deines – Leibes!

 

V enus P andemos

        Und jenes letzte Mal. Im Nachtcafé
der Vorstadt wieder, müde vom Geruch
der schwülen Sofaplüsche und des Punsches,
der vor mir glühte, und vom Frauendunst
der feuchten Winterkleider; müde, lüstern. 207
Die Tabakswolken schwankten vom Gelächter
und feilschenden Gekreisch der bunten Dirnen
und Derer, die drum warben; das Gerassel
der Alfenidelöffel am Büffett
ermunterte den Lärm des Liebesmarktes,
ununterbrochen, wie ein Tamburin.
Ich saß, den langen Mittelgang betrachtend,
und lauschte, wie das Licht des Gaskronleuchters,
der drüber hing, sich mühsam mit den Farben
aus den Gesichtern um die Marmortische
in seiner gelben Sprache unterhielt;
wozu der schwarze Marmor blank auflachte.
Ich war schon bei der Wahl. Da teilte sich
die rote Thürgardine neben mir:
ein neues Paar trat ein. Ein kalter Zug
schnitt durch den heißen Raum, und Einer fluchte;
die Beiden schritten ruhig durch den Schwarm.
Mir grade gegenüber, quer am Ende
des Ganges, als beherrschten sie den Saal,
nahmen sie Platz; der broncene Kronleuchter
hing über ihnen wie ein schwerer, alter
Thronhimmel; Keiner schien das Paar zu kennen.
Doch hört'ich rechts von mir ein heisres Stimmchen:
»Bejejent muß ik Die woll schon wo sein!« –
Er saß ganz still. Das laute Grau der Luft
schrak fast zurück vor seiner krassen Stirne,
die wachsbleich an die schwachen Haare stieß;
die großen, blassen Augenlider waren
tief zugeklappt, auf beiden Seiten lag
ihr Schatten um die eingeknickte Nase,
der dürre Vollbart ließ die Haut durchscheinen.
Nur wenn die üppig kleinere Gefährtin
ihm kichernd einen Satz zuzischelte, 208
sah man sein eines schwarzes Auge halb
und drehte sich sein langer, dünner Hals
langsam, und kroch der nackte Kehlkopf hoch,
wie wenn ein Geier nach dem Aase ruckt.
Es wurde immer stiller durch den Raum;
sie sahen Alle auf den stummen Mann
und auf das sonderbar geduckte Weib.
»Sie ist ganz jung«, war um mich her ein Flüstern;
auch trank sie Milch, und gierig wie ein Kind.
Doch schien sie mir fast alt, so oft die Zunge
durch eine Lücke ihrer trüben Zähne
spitz aus dem zischelnden Munde zuckte, während
ihr grauer Blick den Saal belauerte;
das Gaslicht brannte drin wie giftiges Grün.
Jetzt hob sie sich. Sein Glas stand unberührt;
ein großes Geldstück glänzte auf dem Marmor.
Sie ging; er folgte automatisch nach.
Die rote Thürgardine that sich zu,
der kalte Zug schnitt wieder durch die Hitze,
doch fluchte keiner; und mir schauderte.
Ich blieb für mich, – ich kannte sie auf einmal:
es war die Liebesseuche und der Tod.

 

V enus S ocia

        – Kaffee, Branntwein, Bier –
im Spelunkenrevier,
und ein Lied scholl rührend durch die Thür;
und das sangen und spielten die traurigen Vier,
ein Vater mit seinen drei Töchtern.
Er stand am Ofen, die Geige am Kinn
schief neben ihm hockte die Harfnerin, 209
und die Jüngste knixte, und aus das Lied,
die Geige die machte ti-flieti-fliet:
          »War Eine, die nur Einen lieben kunnt« . . .

Die dritte ging stumm
mit dem Teller herum,
ums polternde Biljard, blaß und krumm;
und nun drehte der Alte die Fidel um
und klappte darauf mit dem Bogen.
Und auf Einmal schwieg der Keller ganz,
die Jüngste die hob die Röcke zum Tanz;
die Harfe die machte ti-plinki-plunk,
und die Jüngste war so kinderjung
          und sang zum Tanz ein wüstes Hurenlied . . .

Sie sang's mit Glut,
das zarte Blut;
und der schwarze, zerknitterte Roßhaarhut
stand zu der plumpen Harfe gut,
mit den weißen papiernen Rosen.
Laut schrillten die Saiten tiflieti-plunk,
und Alle beklatschten den letzten Sprung,
und die Tellermarie stand vor mir; stumpf
»Spielt mir noch Einmal«, bat ich dumpf,
          »War Eine, die nur Einen lieben kunnt« . . .

 

V enus G loria

        Ich träume oft von einer bleichen Rose.
Hell ragt ein Berg; sie blüht in seinem Schatten,
zum fernen Lichte schmachtend, mit dem matten
dem Blumenblick, aus ihrem dunklen Loose. 210

Dann bangt sie mich; tief stockt mein Fuß im Moose.
Doch weiter muß ich, muß das Ziel erreichen,
den Gipfel mit den immergrünen Eichen;
so steh ich schwankend zwischen Berg und Rose.

Denn wie sich auch mein Fuß bemüht zu kämpfen,
ich kann die bange Sehnsucht nicht mehr dämpfen,
aus ihrem Schooß den reinen Duft zu schlürfen.

Da –: Flügel –: frei! und an der Brust die Blume!
schon naht der Hain mit seinem Heiligtume,
wo auch die Rosen immergrünen dürfen . . .

 

V enus U rania

        Kommst du, Grollender?
tief von Unten?
Ueber Felsen und Wolken:
suchst du mich, im dunkeln Mantel Du,
schwarzgekrönter Wetterriese,
mit der bleiernen Stirne?

Höher doch! näher! herauf zu mir,
mir und meiner Sonne,
die hier mein zitternder Arm sich
vom Himmel riß,
die mich erleuchtet,
von mir umglüht,
sie meine Seele, ihr Leben ich,
taumelnd versunken in Eine große
einige, einzige Flammenwelt! 211

Ja, du suchst uns,
willst uns segnen,
Du mit deinen Donnerorgelstürmen,
willst empor zu Unsrer
Flamme, Flammender Du!
Sehnst dich, tief in Unser tiefes
lichtes, allumstrickendes Glück zu blicken,
auch ein Lichtkind,
allverkettender Erschüttrer . . . komm!

Ja, ich
kenne dich: du bist
mein Bruder!
Komm, tief schaue,
tief auch Ich dir,
tief durchs nächtige Auge,
in dein heißes zuckendes Herz, das gute:
Du wirfst Frucht,
Liebe aufs schmachtende Feld herab,
wenn du mit wuchtender Faust
krachend zerbrichst
das dumpf drückende Dunstbrett.

Tobe nur, Kommender! nimm,
hebe die splitternde Axt!
Hebe die düstern,
schönen,
schattenumhangenen Lider!
Grüße mich, du glühend,
Ewigkeiten sprühend Auge:
satt, ich will mich satt sehn, satt
an dieser funkelnden Unendlichkeit! 212

Auf, ihr schmetternden Lippen, jauchzt!
aus eurem rollenden Donnersang rauscht mir
das ewige Lied vom Samen der Sehnsucht,
vom Krieg des Lebens: der Atem der Lust.

Sonne, meine Sonne!
weh – Er – stählerne
Ströme sein Blick,
über uns – brennend –
Sonne, wo bist du –
Licht – oh Sonne –
stehn wir umklammert,
stehn wir von blendenden,
heißen, sausenden Wonnen umzuckt . . .

Sonne, mein zitterndes Licht!
Lache! Nur den Baum,
sieh, den Felsen nur
traf sein zischendes Beil.
Hörst du ihn jauchzen?
über der klaffenden Buche,
über den thalab polternden Trümmern,
im flatternden Bart ihn
Jauchzen sein eisernes Lied:
Weckender Tod,
komm, reckend loht
von Stamm zu Stamm die straalende Kraft,
Einer stürzt, der tausend drückte!
Stürzen die Ragenden, wachsen die Ringenden;
tausend wachsen, Einer ragt!
Tod-und-Leben-stammelnde Laute dröhnen,
doch darunter schweigt der heil'ge
Mund der Macht . . . 213

Greller doch, Blitze!
spotte nur, Donner du!
triff, zerbrich,
was furchtsam zitternde Kronen trägt!
Uns
segnest du;
uns
prüftest du,
Blut von Deinem Blut, mit heißen
Fingern in deiner Flammentaufe.
Wir
sind fromm und heilig:
mit gefeitem Diademe krönte
uns die Liebe,
unsre sonnenselige Liebe,
zitternd von Wünschen und steiler Kraft!

Oh, und trifft auch Uns,
will ein Bruderopfer Deine Liebe:
nimm uns! herrlich stürzen wir,
vermählt verglühend in Deiner reinen,
in unsrer eignen reinen Glut.

Nein, wir fürchten dich
nicht,
rasend liebender Bruder!
Wir
sind stark wie Du:
ich und meine Sonne,
meine Lust und Seele,
wir zwei Eines,
Eines aller, aller Lust: 214
wir lieben Alle:
Alle müssen
uns
lieben . . .

 

V enus R eligio

        Charfreitagsruhe. Fühlst du's auch:
dies bange Grün und diesen Hauch,
der drüber träumt?
Und fühlst du's, wie der Fliederstrauch
von Knospen perlt und überschäumt?

Und sehnen deine Brüste sich
dem Auferstehungsmorgen zu,
wie's Magdalenen innerlich
nicht ließ in Ruh,
bis sie zum offnen Grabe schlich?

Denn übermorgen graut der Tag
ins Frühlingsfeld,
da unterwarf sich Der die Welt,
den einst dein Volk dafür gequält,
daß eine Sehnsucht in ihm lag.

Viel Glocken läuten zu mir her;
so dumpf und sehr! die Luft so schwer!
wem läuten sie?
Das waren Deine Glocken nie
und sind nicht Meine Glocken mehr. 215

Im Flieder hängt ein altes Laub;
du willst nun mein sein ganz und gar.
Noch steht der Hain wie blind und taub;
ist dir auch klar,
daß unsre Kindheit Feindschaft war?!

Mir ist, daß meine Seele dich
gesucht seit ewig ohne Ruh;
fühlst Du's wie Ich?
Und sehnen deine Brüste sich
dem neuen Ostermorgen zu? –

 

V enus G enetrix

        Aller Wunder wundersamstes,
länger trug's die Seele nicht.
Ihre großen Thränen strömten
über dein und mein Gesicht.

»Nur für dich!« ein Flehn, ein Stammeln
schluchzender Verkündigung;
und mir keimte deine Lilje
aus dem Schooß der Dämmerung.

Doch es wuchs, es hob die Blüte
ihr befeuchtetes Gesicht,
bis wir ahnten und erkannten,
daß die Lilje deine nicht.

Denn in meine Welt gehoben,
dir entwachsen ganz und gar,
lagen wir in ihrem Kelche,
mir du, dir du offenbar, 216

tranken wir mit unserm Munde
ihre große Trunkenheit,
hat aus ihrem Seelengrunde
uns ein stummer Schwur geweiht.

 

V enus M ater

        Träume, träume, du mein süßes Leben,
von dem Himmel, der die Blüten bringt;
Blumen winken da, die beben
von dem Lied, das deine Mutter singt . . .

Träume, träume, Knospe meiner Sorgen,
von dem Tage, da die Blume sprießt,
von dem hellen Blütenmorgen,
da dein Seelchen sich der Welt erschließt . . .

Träume, träume, Blüte meiner Liebe,
von der stillen, von der heiligen Nacht,
da die Blume Seiner Liebe
diese Welt zum Himmel mir gemacht . . .

 

V enus M adonna

        Aus Mannesadel wächst des Weibes Tugend;
er träumt ein Ziel, sie soll es ihm gebären.
Des Griechen Schönheitsinbrunst sah die Sphären
beherrscht von Aphroditens Reiz und Jugend; 217

dem Christen aber ward die Reinheit Wesen,
selbst noch die Mutter will er sich verklären
und beugt sich vor Marias Hochaltären,
die keusch des Sohns, des keuscheren, genesen.

Wann kommt die Zeit, daß Männer freier denken
und ihre eigne Welt von Gottessöhnen
hell mit dem Huldbild ihrer Freiheit krönen,

bis Alle Allen die Erlösung schenken,
die Wir uns schenkten, meine Magd und Sonne,
Du keusche Venus, reizende Madonne!

 

V enus N utrix

        Aber nicht wieder! nein, nie wieder!
Ja, du wolltest mich beglücken:
wie sie an dein Fleisch sich drücken,
diese kleinen nackten Glieder.
          Aber mir diese Lust beschauen,
          ist mir ein Grauen.

Zu tief sah ich unsrer zahmen Katze
in die mütterlichen Augen,
wie sie ließ die Jungen saugen
unter der steifen, scharfen Tatze;
          und der jungen, blinden Brut
          schmeckte das alte Raubtier gut! 218

Decke die Brust zu, wenn die Lippen
deines Sohnes dich berühren;
laß ihn andre Wonnen spüren
als den Blick der Ahnen und der Sippen!
          Nein. ich wollte dich nicht betrüben;
          nur – nur anders laß uns lieben!

Bebt'ich doch selber, als ich ihn küßte,
und ich will die Wonnen der Ammen
nicht verdammen:
dunkel ist der Zweck der Lüfte.
          Aber die Mütter – nein, schweigen wir!
          wehe, der Mensch ist ein Säugetier.

 

V enus D omestica Die durch Haken [◡] ersetzten Silben und Zeilen hat die Verlagsanstalt aus Rücksicht auf den Gotteslästerungsparagraphen unterdrücken zu müssen geglaubt. Ich kann nicht umhin, mich gegen solche Deutung meiner menschlich dichterischen, rein künstlerischen Absichten ausdrücklich und entschieden zu verwahren.     R. D.

        Ja, die heilige Familie . . .
Josef ◡ Maria ◡ ◡
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
denn das Esulein freute sich eben
an dem Heuduft einer trockenen Lilie.

◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ 219

Wenn man so von drei vier Kindeln
erst gewohnt ist ◡ ◡ ◡
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
◡ ◡ ◡ ◡ alten Windeln
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡

Blos, hm, weißt du, ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
bitte, zeige dich nicht nackt vor mir;
deinen Leib, den schenk'ich dir
und vielleicht sogar 'nem Andern . . .

Weine nicht, mein Herz! der gute
Josef war ein weiser Mann.
Dein Gesicht ist Dein – und mir ein Bann;
doch was sonst so drum und dran,
hast du sehr gemein mit jeder Pute!

Und, trotz innersten Gelübden,
aber hör'ich manchmal so dies Schrein
◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡ ◡
möcht ich auch wol nach Egypten,
blos – alleine, ohne Esulein!

 

V enus A dultera

        Komm, Schatz; komm, Katz; laß das Wimmern!
Nein, das darf dich nicht bekümmern,
ob ich auch »treu« bin; rück nur her!
Komm: ich hab ein Dutzend Seelen,
wer kann all die Kammern zählen,
sechse stehen grade leer. 220

Sieh nicht auf den Ring an meinem Finger;
hoh, mein Kind, ich bin viel jünger
als mein narbiges Gesicht.
Weißt du, die Runzeln und die Hiebe
thun erst die Würze zu Ehre und Liebe!
Ja, mein süßer Bösewicht:

Viel geliebt, noch mehr getrunken,
manchmal fast im Strom versunken,
heida wie der Schläger pfiff!
Soll das Leben dir was nützen,
lerne auch dein Blut versprützen:
nicht gezuckt! los! blick und triff!

Hast ja auch schon – Blut verspritzt,
oft . . . ah! wie dein Auge blitzt:
zürnst wol gar dem frechen Buben?
Was denn: Thränen? o nicht doch! oh!
Herzchen, so'was lernt man so
in der Luft der Ehestuben!

Komm: sei gut, Kind! Gieb mir die Hand!
Hast mich ja lieb, Kind – und hast Verstand:
nein, ich will dich nicht verführen.
Aber gelt, du wärst gern Braut?
Hier das Venushalsband deiner Haut
läßt verhaltene Wünsche spüren!

Sieh mich doch an, du: bin kein Dieb!
habe das Halsband nur so lieb
und deine dunkeln Augenringe.
Sieh doch: mein Blick ist ein zündender Pfeil,
und meine Stimme ein sausendes Seil:
komm, durch Höllen und Himmel soll's dich schwingen! 221

 

V enus P erversa

        Auch vorbei; und sieben Kreuze
hinter Jede! mein Gelüst ging irr.
Aber – ich brauche tiefere Reize:
Dich: komm, liebe dich vor mir.

Dich nur, Dich nur: deine genossenen Blicke
und deine bittende Scham und deine treuen
Hände lieb'ich . . . Ja, entzücke
mich mit Deinen Rasereien!

Oh Du! wenn die Knospen deiner müden
Brüste unter deinen tastenden Fingern
wieder schwellen, wie in jüngern
Nächten . . . oh du, keinen Frieden

ließ mir's: meine eigenen Freuden
sind mir Schaum, der bitter ist!
aber Du, wenn Du so stöhnst und glühst,
will ich mich an Deiner Wildheit weiden:

wie du gleich verlassnen Bräuten
deine Sehnsucht nach mir stilltest,
wenn du tief in deinen Heimlichkeiten
mit berauschten Armen wühltest –

wühlst . . . stillst . . . Seele, bricht dein Blick?
oh du: laß mich diesen Blick genießen,
dies Verröcheln von Lippen bis zu Füßen,
recke dich nicht so starr zurück – – 222

Ekelt dich? Ah –: fühlst du nun auch den reifen
Menschen? bist du satt der Kuhnatur?! –
Und wir fliehen, wir begreifen
den Triumph der Unnatur . . .

 

V enus B estia

        Ich und mein Freund, wir saßen einmal
in einem menschenheißen Weinlokal;
zwei Tisch weit neben uns saßen
ein Herr und eine Dame, offenbar
– den Ringen nach – ein jüngeres Ehepaar,
deren Blicke sich manchmal vergaßen.
Mein Freund sah weg, wir lächelten eigen,
wir schwiegen unser bestes Schweigen.

Der Gatte nahm jetzt die Speisekarte,
den kleinen Finger gespreizt – dran saß
ein Nagel, langgefeilt und leichenblaß,
der spitz wie eine Kralle starrte;
der Zeigefinger war stumpf beschnitten.
Die Frau saß weich zurückgesunken;
aus ihren Augenhöhlenschatten glühten
wie zwei Kohlenfunken
Blicke hinüber auf seine Finger,
dunkle, glimmende Blicke hin.
Ich weiß nicht, mir kam der Raubtierzwinger,
der Zoologische Garten in Sinn;
Ja – die Tigerin!
So lag sie neulich hinter dem Gitter,
die ferne Gier im schwarzen Blick,
im weichen Fell ein gelb Gezitter, 223
und wartete brütend auf das braune Stück
Fleisch, das draußen der Wärter brachte,
das tote Fleisch – es roch so matt,
nicht warm nach Blut – sie lag so satt;
Jetzt kam er, ihr purpurnes Auge lachte,
es war doch Fleisch! hoch griff sie zu,
die triefenden Kiefer kniff sie zu,
nun lag sie drüber mit brünstigen Pranken,
die Zunge gekrümmt, die Zähne stier,
sie konnte nicht fressen vor röchelnder Gier,
flackernd leckte der Schweif die Flanken,
im Blick ein Grün von hohlem Hasse –
wie dieser Tigerin zuckender Rachenschlund
war mir das Auge der Frau da, und
da sagte mein Freund: Du, das Weib hat Rasse!

Jetzt hob der Gatte das Genick;
Dem saß der gelbe Wolf im Blick.
Zittrig über sein hartglatt Kinn
strich sein Krallennagel hin,
ein goldnes Münzenarmband hing
ihm ums Handgelenk und machte kling;
seine breitroten Lippen glühten
durch den magern Schnurrbart wie Dornstrauchblüten,
die Backen schmeckten ein Gericht,
dann senkte sich wieder sein Gesicht.
Ich sah eine lautlos stürzende Meute,
mit kochenden Zungen, durch bleiche Nacht,
steif die Ruten gesträubt, fern Schlittengeläute,
die witternden Nüstern steil ins Weite,
in keuchender Jagd,
und jeder aus der schäumenden Masse
würde, den heißen Hunger zu kühlen, 224
blind, auch im Eignen Fleisch und Geschlechte wühlen –
da bemerkte mein Freund: Du, auch der Kerl hat Rasse!

Jetzt wurden sich die Beiden schlüssig,
sie trafen sich mit ihren Augen;
die schienen sich ineinander zu saugen,
fast durstig und fast überdrüssig,
ganz langsam. Und plötzlich stand mir klar
gestern das große schwarze Schneckenpaar
in dem nassen Fliegenpilz vor Augen,
das Moderlaub im feuchten Park;
ich sah die beiden schwarzen Schleime
in dem weißen Fleische, dem giftigen Mark
des roten Pilzes schmausen und saugen
wie in einem Honigseime –
und sah dort drüben den Gattenblick.
Ich mußte, ich schob den Stuhl zurück:
Komm! stieß ich mit dem Freunde an.
Er wunderte sich: Warum denn, Mann?
Komm, sagt'ich; bitte, thu mir die Liebe! –
Wir zahlten. Wir traten auf die Straße,
ins Wagengerassel, ins Menschengeschiebe,
und immerfort hört'ich: Rasse, Rasse, Rasse . . .

 

V enus H omo

        Bettle nicht vor mir mit deinen Brüsten,
deinen Brüsten bin ich kalt;
tausend Jahre alt
ist dein Blick mit seinen Lüsten. 225

Sieh mich an, wie Du als Braut gethan:
mit dem Blick des Grauens vor der Schlange!
Viel zu lange
war ich, Weib, dein Mann.

Willst du Gift aus meiner Wurzel saugen?
unverwundbar bin ich deinem Biß!
Folge mir ins Paradies:
sieh mich an mit deinen Menschenaugen . . .

 

V enus S apiens

        Zwielicht . . . Sterbend hängt die scharfe
Zunge aus dem Lästermaul.
Sieh, nun weint dein König Saul,
und dein David singt zur Harfe.
Alle Kleider sind zerrissen,
die den alten König schmückten;
brütend hört er den Entzückten
nahen aus den Finsternissen.

Goliath tot! den König schauert;
seine Schwermut ahnt ihr Ende.
Und dein Sänger steht und trauert,
blutig zucken seine Hände.
Aber weiter muß er schreiten,
seine Töne sind ein Bann,
selig greift er in die Saiten:
Komm, o komm, mein Jonathan! 226

Traure nicht um den gebeugten
Vater, dem vor morgen graut;
denn die Trübsal ist die Braut
aller nicht vom Geist Gezeugten.
Jonathan, du sahst ihn sitzen,
den Berater deiner Reife,
nackt und schamlos, und das steife
Haupt umstarrt von Lanzenspitzen.

Und du sahst vor seinem Zelt
sterben den Philisterfürsten;
aber Leben braucht die Welt,
laß uns nach dem Geiste dürsten!
Denn es weht von allen Hügeln
immer neu sein ewiger Segen;
lerne nur dein Herz beflügeln,
und er wird auch dich bewegen!

Jonathan, zu jeder Frist
sei nun meiner Liebe sicher;
und sie ist viel sonderlicher,
als mir Frauenliebe ist.
Glutwind droht den jungen Saaten;
nimm den Bogen in die Hände,
daß dein Pfeil mir Warnung sende,
sinnt der Vater Wahnsinnsthaten.

Jonathan, wir sahn uns nackt!
Du mein Bruder, Freund, Berater,
hilf mir, wenn die Glut mich packt:
Jonathan, Ich war dein Vater! – 227
Jona, Jona: unsre Kinder!
– Mutter! weinen meine Saiten . . .
David, komm! du Ueberwinder
unsrer Unwillkürlichkeiten . . .

 

V enus V ita

        Und einen Feldweg, und um Morgengrauen,
        die kahlen Bäume stehen da wie tot,
        ich aber wandre, ohne aufzuschauen.
Ich fühle eine Furcht; und Regen droht.
        Ich höre den gedüngten Acker schweigen;
        und heute wird kein Morgenrot.
Die Straße teilt sich. In den schwarzen Zweigen
        sagt keine Tafel mir die rechte Spur:
        soll ich hinunter, soll ich steigen.
Da däucht mir, in der tiefen Flur
        rief mich mein Name; aus ersticktem Munde.
        Ich horche; Nichts. Im Osten nur
enttaucht ein Licht dem fernen blassen Grunde.
        Es ist kein Stern, es schimmert warm und traut,
        mir dämmert eine längst vergangne Stunde,
und wieder hör'ich fern und laut
        die bange Stimme meinen Namen rufen;
        und mir graut.
Mir scheinen plötzlich diese Ackerhufen
        bekannt; ich bin so wandermatt;
        und dieser Pfad, und diese Wurzelstufen?
hinab! – Schon wird der Abhang glatt; 228
        auf Einmal, wie von einem Kinderwagen,
        springt mir ein Rad
unter den Füßen auf. Ich seh es jagen,
        es springt und rollt den Kiesweg vor mir her,
        seh's Funken schlagen;
mein Schreck, mein Zittern wird Begehr,
        ich muß ihm nach, es haben! bis zur Kehle
        hämmert mein Herz, das Rad rennt immer mehr,
und immer ruft mich klagend jene Seele
        und winkt das Licht,
        das Rad – Ich – jetzt: ich greife, fehle,
es ist ein Lichtrad! halt! nach, eh's zerbricht!
        ich fass'es, stürze – wach'ich? meine matten
        Finger umklammern es, – nein – nicht:
in meiner Hand zerrann es wie ein Schatten . . .

 

V enus M ors

        Eine rote Feuerlilie schreitet
riesig durch die Weltennacht.
Von der Sonne bis zum Sirius breitet
sich ihr Scharlachkelch. Der Schacht
des gezähnten Schlundes kocht von Gluten,
düster flammt des Rachens Zackenfirne;
um die wirbelnden Gestirne
schlingt sie hungrig ihre Samenruten.

Gelb aufzüngelnd schlürft sie die getrennten
Welten gierig in den wilden Schooß,
aus den schwarzen Firmamenten
ringen Sonne, Sirius sich los; 229
lodernd sehn sie die Unendlichkeiten
ihrer alten Sehnsucht überbrückt,
aus den Angeln wanken sie verzückt,
zu einander stürzen die befreiten.

Taumelnd folgen, brodeln, glühen
ringsum die Trabantenlüfte;
aus der brennenden Lilie sprühen
Lavastürme durch die Himmelsgrüfte.
Auf der Erde ras't ihr Licht als Mord,
sengend frißt es Wälder, Ströme, Quellen,
Asche trieft aus blendenden Wolkenhöllen,
alle Kreatur verdorrt.

Nur ein Brautpaar will noch fühlend enden,
keuchend, schon erblindet beide;
mit den heißen Liebeshänden
nestelt er an ihrem Kleide.
Aber in der Nacht der Seele
wird der grelle Durst zur Wut;
wühlend wittert er ihr Blut,
beißt er, schlürft er sich in ihre Kehle.

Alles saugt der große Flammenschlund,
kreisend will er überschäumen,
rissig klafft der zuckende Muttermund,
Dämpfe bersten, Feuerpollen säumen
den zerfetzten Riesenblütenrand,
eine neue Welt entrollt der toten,
strahlend quillt sie aus dem morgenroten
furchtbar'n Siriusliebestodesbrand. 230

 

V enus M ea

        Der Himmel gähnt, der Tag ist auferstanden,
ich habe nun genug geschaut nach Osten;
die Seele will in ihren Abendlanden
Vollendung kosten.
          An dem Thor des neuen Evagartens
          steht ein knöchernes Gerippe,
          mit dem Ausdruck des Erwartens,
          aber nicht mehr in der Faust die Hippe.
Sein Scheitel schimmert; eine Pfauenfeder
ragt aus der Rechten steil zum Himmelsrand,
drin sonnt sich tausendfarbig, was ein Jeder
war und empfand.
          In der Stunde einer neuen Frucht
          perlt ein Strahl aus diesem Spiegel,
          dann verglimmt die Wonnesucht,
          still empfängt der dunkle Keim sein Siegel.
Schon dämmert Glanz; krystallne Ketten hängen
klar her zu dir aus väterlichen Sphären.
So sollst auch Du dich aus der Dämmrung drängen
und dich verklären,
          Seele, bis dein starr Gehirn sich lichtet,
          wie die Sonne scheint durch Eis,
          und dir deine Brunst beschwichtet
          und im Traum selbst deinen Willen weiß.
Noch flimmert's nur; tief lockt die alte Nacht
mit ihrer Schaar verworrner Muttergluten.
Doch du wirst wiederkehren! du bist Macht!
sieh, rings sind Fluten.
          wenn zwei Liebende zusammensinken,
          die du Einmal nur erleuchtet, 231
          und im Rausche blind ertrinken,
          wird die Frucht von Deinem Licht befeuchtet.
So tagt es. Mit dem Ausdruck des Verächters
sollst du dem alten Garten kalt entschreiten:
dir weist die Pfauenfeder unsres Wächters
Unsterblichkeiten.

 

Gebet der Sättigung.

        Nun verging der Stern der Frühe,
meine Augenlider brennen;
und die Sonne kann mit Mühe
die gefrornen Nebel trennen.

Mich verdrießt mein nächtlich Brüten;
drüben an den Häuserwänden
sprießen diamantne Blüten.
Meine Prüfung kann nun enden! –

Dieser Keller: dumpfer Zwinger!
Auf die dunstbelaufnen Scheiben
will ich breit mit steifem Finger
V enus R ediviva schreiben!

Denn ich weiß, du bist Astarte,
deren wir in Ketten spotten,
du von Anbeginn, du harte
Göttin, die nicht auszurotten.

Aber Ich war weich wie glühend Eisen;
darum sollst du mich in Wasser tauchen,
bis mein Wille läßt sein siedendes Kreisen
und der Stahl wird, den wir brauchen. 232

Nicht mehr will ich meine Brunst kasteien,
die dann mit berauschter Durstgeberde
wünscht, daß unsre Lüste fruchtbar seien
und ein Wurm zur Göttin werde.

Nach der Nacht der blinden Süchte
seh ich nun mit klaren bloßen
Augen meine Willensfrüchte;
denn ich bin wie jene großen

Tagraubvögel, die zum Fliegen
sich nur schwer vom Boden heben,
aber, wenn sie aufgestiegen,
frei und leicht und sicher schweben.

Glitzernd winkt mein Horst, – Du Eine,
die ich liebe: Ja und Amen:
heute komm ich! heut soll meine
Klarheit Deinen Schooß besamen!

Schon errötet dort der Giebel;
Sonne, mach ein bischen schneller.
»Schuster – bring mir meine Stiebel,
heut verlass'ich deinen Keller!« 233


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