Jakob Julius David
Die Troika
Jakob Julius David

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Wir hatten unsere ständige Wohnung ganz im Grünen in Dresden und machten auch ein großes Haus. Er meinte, das gehöre zu einem Künstler von seinem Rang, und wir haben auch niemals das verbraucht, was er erworben hat. Vertan hat er nichts, nur gelegentlich gern ausgegeben, für einen schönen Teppich oder so etwas. Und die Stadt mochte er gerne. Sie ist still und doch nicht ohne Leben, wohlfeil und sehr freundlich in allem. Auch liegt sie, so an der Grenze von Österreich und Deutschland, für einen fahrenden Schauspieler sehr bequem; man macht gute Musik, und es ist ein sehr anständiges Theater da, an dem er immer ein willkommener Gast war. Nur fesseln mochte er sich nicht mehr lassen, und sie konnten ihm auch das nicht mehr bieten, was er fordern mußte.

Mit meinen Studien war das ein eignes Ding. Ich weiß noch heute nicht, was er mit mir vorhatte. Ich mußte Sprachen lernen, und wie er sich immer mehr und immer ausschließlicher an mich und meine Gesellschaft gehalten hat, so bin ich zu allen seinen Gastspielen mitgenommen worden samt meinem Erzieher. Aber Sie können sich denken, was das für ein Lernen war, einmal in der Hotelstube und einmal anderwärts. Allein sein aber konnte er nicht. Er mußte jemand im Hause wissen, an den er sich wendete, für den er gewissermaßen allein spielte. Meine Mutter mochte nicht mit. Sie saß daheim, ließ sich beneiden und sich den Hof machen und verzehrte sich in stillem Kummer.

Nämlich – sie war grenzenlos eifersüchtig. Und vielleicht nicht einmal so aus Leidenschaft, wie aus ihrem sehr strengen Begriff von Recht und von der Ehe. Und wie ich erst einmal älter war, so habe ich gesehen, daß mein Vater mehr als ein Mensch hätte sein müssen, sollte sie keinen Grund dazu haben. Da ist die große und beständige Versuchung. Da sind die Kolleginnen für einen Abend, die wissen: ein Wort dieses Mannes, und mein Weg ist gemacht, und die geneigt sind, dieses Wort mit allem, am liebsten mit der ihnen geläufigsten Münze zu bezahlen, die sich oftmals geehrt fühlen und das gar nicht verhehlen, wenn sich der große Künstler aus seiner Wolke oben zu ihnen herabläßt. Und dann die Enthusiastinnen mit ihren närrischen Briefen, mit dem Sturm in sich, den er entfacht hat und nun beschwichtigen soll. In Stößen sind solche Briefe gekommen, aus allen Schichten, von der Fürstin bis zur Näherin, und ganz besonders, wenn man wieder einmal in Wien war, hat man Merkwürdiges erlebt, das mir nicht so lange verborgen bleiben konnte, als mir vielleicht gut gewesen wäre.

Daß meine Mutter derlei ahnte, war sicher. Daß sie's nicht mitansehen mochte, konnte ich ihr nicht verargen. Es wäre, glaube ich heute, manches anders geworden, hätte sie mehr von der richtigen Geduld, die nicht hadert, gehabt. Aber die ist nicht eines jeden Sache. Sie zog sich in ihre beleidigte Frauenwürde zurück, und es war dann bei uns zum Frieren traurig, und sogar ich, trotz meiner Jugend, war ganz glücklich, wenn es wieder fortging. Dann rieb sich mein Vater die Hände: ›Wladimir, nun geht's dreispännig in die Welt!‹ Auch wenn sie nur etwas mehr Anteil an seinem Beruf genommen oder bezeigt hätte, so wär's gut gewesen. Dagegen aber nährte sie mit den Jahren einen immer stärkeren Haß, als an sich sündig und als Quelle aller seiner Sünden, und war doch an alle seine Erfolge und ihren reichen Ertrag gewöhnt und hatte sie hingenommen wie etwas, das gar nicht anders sein darf. Er aber hätte niemals und zu keinem Menschen hin einen ersten Schritt gemacht. Was er tat, das war gut, weil er's so tun mußte. Und so haben sie denn, wenn wir nicht Gäste bei uns hatten, oft in Monaten kein überflüssiges Wort gesprochen.

Einmal brachte sie das Gespräch auf meine Zukunft und was das mit mir werden solle. ›Zum Leben wird er haben. Ein gebildeter Mensch. Ein Komödiant nicht‹, sagte er mit seiner höflichsten Verneigung, ›schon aus Rücksicht auf dich nicht.‹ Und sie schwieg.

Er liebte die Musik leidenschaftlich. Die mußte also gepflegt sein, darauf bestand er, und ich dank' es ihm nun ins Grab, obzwar mir vordem seine Rücksichtslosigkeit in diesem Sinn manchmal Pein genug gemacht hat und als Quälerei erschien. Sowie man am Ziel war, noch so müd' von der Reise, so mußte die Geige hergenommen werden und geübt sein. Sonst störte ihn in seinen Studien alles, Musik war ihm nie zuviel; er schnitt höchstens vergnügte Grimassen dazu und suchte die Verse, die er eben wiederholte, der Weise anzupassen, die eben erklang. Ein Konzert, etwa der Philharmoniker, die an Sonntagnachmittagen spielen, auszulassen, wäre ihm eine große Sünde gewesen. Und wenn er sich einmal an seiner Rolle recht aufgeregt hatte, und er kam mit Zittern in den Händen aus dem Theater, wo nichts gegangen war, wie es sollte, und sein Kopf glühte, und er wollte keinen Menschen sehen, so mußt ich bis tief in die Nacht spielen, und er ging auf und nieder und hörte summend zu, oder er setzte sich nieder und stierte mit seinen großen, unheimlich großen Augen, in denen es in seinen späteren Jahren manchmal wie das Entsetzen vor etwas Unfaßbarem, Unentrinnlichem gewesen ist, auf mich herüber, ehe er ohne Laut, ohne Kuß und mit müden, erschöpften Bewegungen zur Ruhe gegangen ist. Ich glaube, er hätte gerne einen großen Komponisten aus mir gemacht.

Es fehlte mir auch sonst nicht an Gelegenheiten, Bildung zu erwerben. Gesehen habe ich doch sehr viel, und er, der selber zu nicht viel kam, bestand unbarmherzig darauf, daß mich mein Lehrer zu allem Wichtigen führe. Und an klugen und ernsthaften Gesprächen, denen ich zuhören durfte, war denn auch kein Mangel. Wer kam nicht alles zu uns! Da waren Schriftsteller mit neuen Stücken, die er auf seine Rolle hin prüfen sollte und denen er dann von seinem klugen, aber nur schauspielerischen Standpunkt seine Ansichten auseinanderlegte. Man hat nämlich wirklich das Gefühl dabei gehabt, als nehme er einen Stoff her und breite ihn auseinander, daß man jede Falte sieht und jeden Faden und wie er verläuft. Oder Direktoren und Agenten haben sich die Türe in die Hand gegeben. Und ihnen allen gegenüber war er wie ein König und ein Gebender. Ja, ganz so war er, und ich habe die Großartigkeit einer solchen Existenz mitgenossen und mitgelebt. Und mir hat man geschmeichelt: und die kleinen Mädchen vom Theater haben mir schön getan und Süßigkeiten gegeben – nun, je nach den Jahren, so Süßigkeiten. Und so bin ich denn sehr früh reif geworden und habe sehr jung mein Stück Leben gehabt, so daß es mir vielleicht deshalb später leichter geworden ist, auf alles zu verzichten. Und ich habe gesehen, was eine Persönlichkeit kann und was sie wert ist. Denn zum Beispiel: wir sind irgendwo eingerückt, recht wie Eroberer, und es war in den Schauspielern auch die gewisse Bangigkeit vorher, und ich bin gewissermaßen inkognito, so als Kundschafter, im Theater, um die Bude zu prüfen und zu sehen, was sie für eine Komödie machen, weil ich das wirklich aus dem Grund verstanden habe. Nun, sie haben sich's geleistet, so gut, wie sie konnten, also recht jammervoll, sagen wir. Und dann an seinem Abend, sowie er auf die Szene gekommen ist, so war's ganz anders, und alle waren anders und voll Eifer und um ein gut Ende gewachsen. So hat er und er allein sie mitgerissen und gehoben. Überhaupt wenn der Mann seinen guten Tag hatte! Aber – Sie müssen darüber andre hören...

So bin ich in mein mündiges Alter gekommen, ohne eigentlich an einen Beruf zu denken. Denn ich habe einen gehabt. Mein Vater hat nicht gut und nicht gerne geschrieben, wie das oft bei Menschen ist, die zu gut sprechen. So ist mir seine Korrespondenz zugefallen, die groß und nach allen Hinsichten wichtig und verantwortlich war. Da war Geschäftliches zu ordnen. Oder es war der Plan für die Einteilung seiner Gastspiele zu machen, damit es nach der Ordnung, ohne zu großen Gewinnentgang und wieder ohne erschöpfende Hatz abgehe. Oder ich hatte den Bankiers seine Aufträge zu überbringen. Denn er wollte sein Geld niemals an einem Fleck beisammen wissen. Dazu hat er niemand genug getraut und hat auch gern profitiert – nach seiner Weise. An jedem großen Ort, an dem er regelmäßig zu erscheinen pflegte, hatte er ein Depot, und es machte ihm Spaß, zu beheben und einzulegen, zu befehlen, mich und den Bankier in Atem zu halten, zu kaufen und zu verkaufen und den gerissenen Geschäftsmann zu spielen, der er doch gar nicht war. Das war ihm eine Aufregung, wie es einem andern das Kartenspielen ist, und eine Ablenkung von seinen Gedanken, die ihn früher manchmal recht viel Geld gekostet hat, weil in seinen Berechnungen immer etwas Phantastisches von tausend Möglichkeiten war, das man bei etwas Gewissenlosigkeit, wenn man seine Einbildungen zum Durchgehen brachte, recht leicht mißbrauchen konnte. Ich habe das eingesehen und war somit sehr nüchtern und auf unsrer Hut. Es war drollig, wenn er einmal anfing, mit den unerhörtesten, für die damaligen Verkehrs- und Theaterverhältnisse undenkbaren Gastspielerträgen zu rechnen, die er in einer Weise nutzbar zu machen gedachte, die schon durchaus wucherisch war. Und wenn er dann ein Riesenvermögen beisammen hatte, so erstanden Stiftungen für erwerblose Schauspieler mit Abstufungen nach der früheren Bedeutung, mit Regeln bis ins kleinste, und Schulen für ihre Kinder und ein fürstliches Besitztum, alles zu überwachen und zu leiten für sich selber und uns. Und auf einmal lachte er hämisch und grell über sich selber, stippte mit dem Finger so vor sich, als stieße er ein Kartenhaus um. ›So – da hätt ich wieder ein hübsches Luftschloß möbliert...‹

Sie haben keinen vollkommeneren Mann gekannt. Und wenn ich eigentlich nichts gelernt habe, so hat er doch tausend Bildungsbedürfnisse in mir geweckt, und sie sind mir in meiner Einsamkeit geblieben, und ich langweile mich sonst nicht leicht und habe kein leeres Leben. Kommt's einmal über mich, so geigt man sich's weg. Wir konnten keiner mehr ohne den andern sein. Und dennoch, bei aller Vertraulichkeit ist niemals an die Schranke gerührt worden, welche Vater und Sohn scheiden muß. Ging er seiner Wege, so habe ich mir nicht einmal recht Gedanken getraut. Er ist eben immer über mir und in der unbedingtesten Verehrung gestanden.

So sind wir wieder einmal nach Wien gekommen.

Die Stadt hat ihn immer aufgeregt. Ich denke, es war doch seine große Kränkung, daß er sich vordem hatte vom Burgtheater wegdrängeln lassen. Denn es war in jener Zeit doch in aller Welt die einzige Bühne, auf der er als Erster unter Vollbürtigen hätte wirken können, und wo immer sonst er gespielt, hat er sich wie verbannt und vereinsamt betrachtet.

Ohnedies – er hat sicherlich mit einer Hingebung gearbeitet, wie sonst kein Mensch. Bei ihm stand alles. Mit seinem unvergleichlichen Scharfsinn war es überlegt und ineinandergefügt mit den eisernen Klammern seines unbeugsamen Willens, der niemals ein Hindernis zwischen sich und seinem Ziele gekannt oder mindestens anerkannt hat. Mehr damit als durch seine Begabung wollte er auch erreicht haben, was er dem widerspenstigen Leben abgetrotzt hatte.

Aber seiner Sache sicher war er niemals. Er brauchte viel, um in Stimmung zu kommen, und den ersten Abend kämpfte er immer mit bösen Ahnungen und schwankte und wollte absagen. Ich allein, nicht die Tausende, die in Erwartung und angereizt vom Klange seines Namens dasaßen, konnte merken, wie unsicher, wie zaghaft gewissermaßen der Mann begann an einem solchen Eröffnungsabend, wie umflort seine metallene Stimme klang, wie tastend, mit ängstlich vorgestreckten Schneckenhörnlein sozusagen, er seine ersten Szenen nur probierte. Bis er warm ward von der Schwüle, die vom Haus zur Bühne zieht, und der erste Beifall sich regte. Es war dann zunächst etwas Verwundertes in seinen Augen. Alsdann aber war der Bann gebrochen. Er war sicher und blieb es. ›Daniel in der Löwengrube, noch ohne Kenntnis vom geschätzten Appetit der Bestien‹, spottete er selber über sich.

Dieses Gastspiel in Wien nun war ein großer Triumph, und zwar in Gegenwart fast aller seiner ehemaligen Kollegen, die, soweit sie dienstfrei waren, im Theater saßen. Ich sagte ihm das, und er, noch übermüdet von den Aufregungen, sah mich mit den ernstesten Augen an, und mit einer heiseren Stimme und einem müden Zug, der diesmal zum erstenmal nicht der Freude über den großen Sieg weichen wollte, sagte er mir: ›Ja – die Troika geht mir noch so ziemlich in die Hand.‹

Ich hatte das Bild wohl schon von ihm vernommen, aber noch nie so bestimmt, und sah ihn also mit ziemlichem Erstaunen an.

›Du weißt doch, was eine Troika ist?‹

›Ja.‹

›Also‹, und sobald er von seiner polnischen Heimat sprach, hatte er den gewissen lispelnden und zischenden Akzent des Polen, den er sich sonst mit seiner starken Selbstzucht völlig abgewöhnt hatte, – ›also man reist damit bei mir zu Hause. Und es ist ein schönes und ein flinkes Fahren: das Mittelpferd mit dem hohen Bogenjoch und den hellen Schellchen, und das Geläut der beiden andern Pferdchen ist harmonisch dazu gestimmt. Das klingt lustig, und es geht in der weiten Ebene mit dem Wind in die Wette, daß man wie betrunken wird von der sausenden Luft und der schwindelnden Bewegung. Und so, in der Troika, kutschiert jeder Künstler von meinem Rang in der Welt herum. Aber er hat drei meisterlose Pferde vor den Wagen gespannt. Er kann sie wohl bändigen mit seiner ganzen Kraft und mit seiner ganzen Achtsamkeit, aber wissen muß er immer dabei, ein wie gefährliches Fahren das ist. Es kann das Mittelpferd straucheln, und er es nicht mehr aufreißen, oder der Handige steigt in bedrohlicher Weise; oder der Sattlige will einfach nicht mehr, oder sie alle zusammen brennen ihm durch, nicht mehr zum zügeln, und werfen ihn in einen Graben oder in einen Abgrund, daß er zerschellt. Sie gehorchen ihm und sie tragen ihn, wohin er kommen will – aber nur solange er stärker bleibt als sie und sie den Herrn spüren, der nur mit der Zunge schnalzen muß, damit sie wissen: er treibt sie an. Noch bin ich stärker, aber‹ – er dämpfte seine Stimme bis zum Unhörbaren – ›sie gehen mir immer strenger im Leitseil, und sie reißen so furchtbar an den Zügeln.‹

Ich konnte das Bild nicht gleich begreifen. Melancholische Anfälle waren bei meinem Vater nicht selten, der eben das schwere Slawenblut in den Adern hatte, und er war sehr leicht niedergeschlagen, viel leichter als erfreut und viel nachhaltiger. Und endlich – ich hörte das, wie man so manches hört, und dachte nichts dabei, besonders, weil ich damals andre Gedanken im Kopfe zu haben begann – Gedanken erfreulicher Art, und die mich sehr beschäftigten.

Nämlich – ich war nach aller Ordnung der Dinge verliebt.

Sie wissen ja, wie das mit so vierundzwanzig Jahren ist. Man hat seine ersten Erfahrungen gemacht. Sie sind auch danach. Besonders wenn man mit dem Theater zu tun hat, ein Zigeunerleben lebt und die Weiber sich an den Sohn heranmachen und den Vater meinen. Die Flegeljahre hat man allerdings hinter sich; aber so ganz überwunden sind sie nicht, daß man nicht oftmals rückfällig würde. Erst hat man geschwärmt; das liegt nun schon hinter einem. Nun ist man, so aus Angst, man könnte wieder in den Sirup und den Honigseim und alle seine Klebrigkeit geraten, frech und zynisch und weiß dennoch ganz genau, dies ist wieder nicht das Rechte, sondern nur so ein kleiner Übergang.«

Er hielt inne und tat einen stärkeren Schluck. Sein Glas stand leer. Und obgleich er wußte, der Aufwärter verstünde kein Wort deutsch, so schwieg er argwöhnisch und nachdenklich dennoch, bis der Fraskati wieder vor ihm stand. So in einer gewissen Selbstvergessenheit saß er da, und ganz leise, nur zwischen den Zähnen pfiff er die Takte einer sehr süßen und einschmeichelnden Weise. Alsdann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und hub wiederum an:

»Ich denke, es war den dritten Tag unsers Wiener Aufenthaltes. Der Vater hatte den Königsleutnant gespielt. Er mußte da keine Maske machen – nur den Schnurrbart vor, und fertig. Solche Rollen hatte er am liebsten. Denn er konnte in ihnen die volle Beweglichkeit und Ausdrucksfähigkeit seines Gesichtes verwenden und ganz unmittelbar wirken. Es hat ihn auch gerade in derlei niemand erreicht.

Also – der Erfolg war sehr groß. Ich habe meine tägliche Arbeit vorgenommen, die Kritiken durchgelesen, ausgeschnitten und ordentlich, wie er es liebte, nach dem Alphabet eingeklebt in ein großes Buch, das für Wien allein und aus allen Jahren bestimmt war, von der Stunde seines ersten Debüts hier an. Wir mußten so immer wahrhaftig mit einer kleinen Bibliothek reisen. Danach habe ich die Briefe durchgemustert. Was Gesuche und sonst Bettelbriefe sind, das hat man schon so im Griff. Die habe ich geöffnet, weggeworfen, nach meiner Vollmacht erledigt oder, wenn ich annehmen konnte, ihr Inhalt werde ihn interessieren, so habe ich sie auf seinen Tisch gelegt, wo schon ein ganzer Stoß von der gewissen andern Sorte lag.

Mit Wappen, mit Parfüm, in Löschpapier. In allen möglichen Schriften. Mit der Post sind sie gekommen und von Dienstmännern und Livreedienern überbracht worden. Er hat sich immer darüber gefreut, wenn er sich auch wenig darum kümmerte. So gar jung war er doch nicht mehr, aber sie waren ihm die Beweise der heftigsten, unmittelbarsten und persönlichsten Wirkung. An mich kam gar nie ein Brief. Verkehr und Freunde hatte ich nicht. Ich war ja auch nur ein Schatten mehr, den mein Vater geworfen hat.


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