Max Dauthendey
Ultra-Violett
Max Dauthendey

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Im Paradies

Wie weißes Eisen glüht die Sonnenluft. Jeder Atemzug ein Schluck qualmendes Blut.

Der stumme Mann hält seinen Hut in der Hand. Die Straße hinauf. Immer im Schatten. Den schmalsten Schattenrand benutzend, und über die Strecken, wo sie die Trottoirs besprengt hatten, mit Behagen in die glatten dunklen Lachen.

Er war schon vorbei. Aber die Kühle zog sich ihm in den Nacken. Da trat er zurück in die weite hohe Türe, in die eisig nächtige Kirche.

Einen Augenblick kreiste und zersprang es in flimmernden Blasen und splitterndem Sand über seiner Haut, seinen Augen. Bis Wärme und Kälte sich gemischt hatten. Und auch das Licht, das er in sich trug mit dem Dunkel um ihn.

Durch die hageren langen Fenster filtrierte nur dünnes Nebellicht. Aber das Säulengold und das Altargold troff in dem wenigen Lichte blankschweißig. Das Purpurgehänge am Hochaltar mit dem Staubpelz blähte sich üppig in feisten Falten.

Unten in braunen trägen Chorstühlen hockten alte Frauen und standen graue runzlige Männer, wie in Ställe gepfercht, und andere kamen, tauchten drei Finger in das gelbe, steinerne Weihwasserbecken und besprengten sich.

Aber alle starrten zu den goldenen Puppen und dem Bilde eines Hingerichteten zwischen roten Marmorsäulen.

Da kam eine schamdunkle Demütigung über den stummen Mann.

Siehe, diese sind alle deine Brüder und Schwestern.

Und sie knien hier, gläubig vor dem Golde und dem Flitter und hoffen und verlangen. Und keiner unter ihnen ahnt, daß er vor einem tauben Loche kniet.

Das Loch gibt ihnen nichts als seinen hohlen leeren Atem. Aber sie glauben ihm, denn es läßt die Hoffnungen auf der einen Seite ungehindert ein, auf der andern wieder hinaus. Und weil das Loch so gutmütig ist und ihr Wünschen nicht hemmt, haben sie Gold um seinen Schlund gebaut und Marmor und Purpur. Halten es heilig, weil es so sehr bequem, so ungemein beruhigend ist, dies Wunschloch.

Aber es wird eine Zeit kommen mit zurückgeworfenem Nacken und Knien von Eisen und gehärteten Augen, vor ihnen wird das Gold und aller Flitter vor dem Loche wie weichliche Daunen zerstäuben, und sie werden den Blick der Leere ertragen.

Es ist traurig, wie diese hier blöde wie Tiere stieren und ihre Kraft mit dem Brüten über einem holen Loche verschlemmen.

Wolltest du jetzt schon an das Loch klopfen, daß seine Hohlheit ertöne, steinigen würden sie dich. Sie wurden dich steinigen.

Siehe, das sind deine Brüder und Schwestern. –

Auf den Gesimsen standen kleine weiße Figuren aus Wachs. Ein so naives, lallendes Weiß. Es gehörte nicht in den plumpen Wust. Es ist heilig dieses Weiß. Dies Weiß allein ist heilig.

Und der stumme Mann mußte an sein Kind denken.

Eine Frau mit dickem Leib, hängenden Wangen und Nase und Augen spitz und zänkisch, stand zum Fortgehen am Weihwassertrog. Immer wieder kreuzten die Finger Stirn, Mund, Brust, Stirn, Mund, Brust. Ihr Rock staubig wie Spinnweben, und so gelb hornig das Gesicht. Dazu ein Blinzeln von tückischen Wimpern.

Der stumme Mann sehnte sich nach seinem Kinde.

Er ging wieder. Die Hitze preßte sich auf seine Schultern. Diese Straße steil, mit den bleiernen Häusern, den sonnenblanken endlos gezerrten Gesimslinien, die Fenstervierecke in marternder Regelmäßigkeit, ein polternder, fauldunstiger Bierwagen, Lastkarren wie Gerippe und gedunsene erschöpfte Menschengestalten, das steigerte die Sehnsucht nach seinem Kinde.

Aber kann ich wieder zu meinem Kinde? Er stand vor einem Schaufenster, drinnen in langen Reihen Stiefel und Schuhe, Glanzleder – und die Schuhe oben mit zerknittertem Stanniol ausgestopft.

Er musterte sich in der Scheibe.

Etwas gebeugter ging er. Und die faltige Schneide an der Nasenwurzel war grauer.

Dies zehrende Mohnblut, das er jetzt in sich trug! Dies stete Wimmern lechzender Sinne!

Es war damals anders, als er täglich sein Kind besuchte.

Eine silberdünne Sehnsucht schmachtete jetzt in ihm nach diesem Damals. Ein weiches Dehnen der Züge, die Brauen hoben, rundeten sich, und die trübe Schicht der Augen geritzt, zerfloß.

Sein Kind! – Dieses Kind!

Es griff sich in den eigenen Blick, bis in das Herzblut tief, es rann wie goldblauer Schnee, so rein strahlten seine Gedanken, so kühl, so durchsichtig.

Der rote Vorhang im Schaufenster zwischen zwei hohen Lackstiefeln bewegte sich.

Er wandte sich rasch. Sein Gesicht verknitterte wieder, aber in sich blieb er strahlend. Und er hielt schützend die Hand über die zarten scheuen Gedanken.

Dann zu Haufe.

Im Korridor quoll Seifendunst. Er ging rasch in sein Zimmer, und zugeriegelt und gleich wieder vor den Spiegel.

Und nun mit Bekümmernis und pochendem Hoffen wieder untersucht, Gesicht, Haltung. Würde sein Kind ihn erkennen, er war entstellt. Dann rasch abgebrochen mit dem Zerfasern – schloß die Fenster, einen Augenblick hielt er noch den sonnenglühenden Fenstergriff in der Hand. Unten schleppte sich eine blaue Pferdebahn vorbei, schwer voll Menschenlast. Drüben gingen Menschen, pfahlsteif, immer mit den Augen an den Dachfirsten entlang, und ein Knattern und – –

Er ging ins Zimmer. Er lächelte. Immer lächelte er. Nahm die Venusstatuetten und die Faunbüsten von den Konsolen beiseite – und die Opiumphiole in den Spucknapf. Alles mit behaglichen gemäßigten Bewegungen und immer noch dies Lächeln eines Feinschmeckers, dessen Zunge im geschlossenen Munde sich zum Genusse dehnt und schwillt.

Dann noch die Etagere fortgezerrt, und die verstellte veilchenblaue Portiere war nun frei.

Er schob sie zurück. Die Ringe klirrten jäh, Staub flüchtete mehldunstig. Noch die Heupolsterung fortgeschleift. Störrischer Qualm, Moder wirbelten auf, nun war sie wieder da die hohe emailleblaue Flügeltüre.

Er sah sich nochmals vorsichtig um. Horchte. Draußen nur das Glucksen und Rieseln der Wasserleitung und oben, in der Etage über der Decke, das Schieben eines Kinderwagens hin, her, hin, her.

Das Schloß war hartgerostet. Der Riegel brach ab.

Und dann drinnen.

Sah sich gar nicht um. Gleich an den weißen Schrank mit den silbernen Leisten.

Erst die Wäsche. Steigt, ein dünnes Nesselhemd mit zitternden Goldspitzen. Warf die alten Kleider ab. In lange goldseidene Strümpfe bis hoch über das Knie. Beim Ankleiden krampfte sich die Erwartung heftiger.

Wie es sich freuen wird! Ob es ihn wiedererkennen wird? – O, sein Kind!

Aber die Umgebung stocherte in sein Träumen. Der glaskühle Harzduft vom Kleiderschrank und dann von der Toilette aus winzigen Flacons raunende Walddüfte – Eichen und Erdbeer und Moos. Doch in ihre Kristallglätte wühlte noch ein aufrührischer brandäugiger Dunst aus seinen alten Kleidern. Er schob sie mit zwei Fingern zur Seite.

Dann an der Toilette. Rieb sich mit einem Kirschlederballen Geicht und Hände. Sprühte Maiglockenessenz über Gesicht und Hände. Das war des Kindes Lieblingsduft.

Und immer lächelte der stumme Mann.

Dann am Schrank. Sonst war die Wahl schwer. Aber heute ohne Warten, griff rasch hinein, und nahm alles in Scharlach.

Noch nie hatte er Scharlach genommen. Aber es war Widerspruch, Macht in dieser Farbe, das schmiegte sich an seine Stimmung. Es mußte sich selbst trotzen, deshalb Scharlach.

Weite, gesträubte Beinkleider in schwellenden Bäuschen bis zum Knie. Mit Watte gepolstert weiche Wülste auf den Schultern. Daran offene langflatternde Ärmel in Feuerzungen gefranst. Dies Seide. Und das Wams Samt mit frohlockenden Lichtern und dumpfen gesättigten Tiefen. Samt auch die engen knappen Ärmel bis zum Handgelenk. Um die Hüften ein Gürtel, spitz zum Schoß, starr aus gleißenden Rotgoldschuppen, die Schuhe rotes Leder mit geschmeidigen Sohlen und Rubinspangen.

Er streichelte die Seide und rieb sie, bis sie elektrisch knisterte. Und koste das üppige Rot mit den Augen im Spiegel.

Es wird sich freuen!

Es wird jauchzen!

Und er hörte des Kindes Lachen wie schmächtige gläserne Glocken.

Er streichelte von neuem die Seide, bis sie wie Schaumgold knisterte und immer erregter wurde.

Ganz allmählich hielt er an. Seine Nasenflügel vibrierten. Er roch in die Luft, ging rasch, und stieß die alten Kleider in eine Ecke.

Dieser brandige Dunst!

Sonst war es ihm nie so aufgefallen! Und er goß von neuem in die Ärmelfalten und in den Hals von der Maiglockenessenz.

Rasch fort.

Den weiten schwarzen spanischen Mantel über.

Ein geschlossener Wagen – – fort.

Der Kutscher kannte ihn.

Er fuhr ihn immer.

Aber schon in der dritten Straße wieder dieser Geruch. Er mußte aus seinem Fleische kommen. Er hielt die Hände vor den Mund, hauchte hinein Aber sein Atem war rein. Doch – ganz deutlich, als er die Handflächen beroch – es kam aus den Poren.

Sein Kind – nein, er durfte es so nicht küssen.

Er klopfte an die Vorderscheibe, der Kutscher bückte sich, er zog an der Gurte, das Fenster fiel nieder.

Bei einer Parfümerie soll er halten.

Hyazinthenduft oder Jasmin. Das mußte alles andere durchwirken. Der Kutscher brachte Jasmin.

Und er schüttete es im rüttelnden Wagen über Hände, Gesicht, goß es in die Schuhe und in den Nacken, bis nur noch ein Stechen und Raufen um ihn war, und er ganz wund von den keifenden Düften.

Nach einer Viertelstunde über die letzte Brücke draußen, am Ende der Stadt. Die Schwarzen Kandelaber an den Brückenköpfen eben angezündet. Wie große gepreßte Goldklumpen hing das gelbe Licht in der scharfen Abendbläue.

An der roten Kaserne vorbei. Lärm, Gejohle in der Kantine. Schlaffe, schmauchende Soldaten bei der Wache am Eingang.

Dann eine pfeilgerade Chaussee, weiß, spitz in die Ferne getrieben, darüber die Ulmenwölbung, ein fortlaufender grüner Tunnel. Laubgebauschte, weiche Berge, gelbe Felder, ein träges Tal, der Fluß und drüben wieder Berge, Weinberge.

Beim vierzigsten Ulmenbaume halt. Der Kutscher wußte das. Er verzählte sich nie. Aber heute – beim zweiundvierzigsten erst.

"Es war zu lange her, seit ich Sie fuhr," entschuldigte er, lüftete den Wachstuchhut und wischte die Schweißfunken von der Stirn.

Der stumme Mann nickte nur und stieg vorsichtig aus. Sprang über den Chausseegraben beim dritten Baume, gleich rechts in einen dünnen Weg zwischen hohen Ähren. Gerade mit den Augen sah er noch über die braunen Halmenköpfe.

Er hörte den Wagen umwenden.

Noch einen Baum weiter gefahren und man hätte ihn drüben vom Paradies sehen müssen. Der Wagen knirschte immer ferner auf der Landstraße – dann wurde es ganz still.

Die Grannen hingen gebeugt, nur in leisem schwachen Schwanken. Die Hitze preßte dumpfen Korngeruch aus den Ähren, und unten zwischen den Halmschäften war die Erde aschgrau und in Rissen geborsten.

Der stumme Mann schlug den Mantel auf und ließ ihn nachschleifen. Von dem Scharlach ging ein lauernder Schein hellrötlich an den steifen Halmen entlang, mit jedem Schritt flirrte das Rot an andere Halme. Eine Lerche zog sich hinauf in den Himmel, ihre Töne plätscherten nieder, aber sie rieselten nur durch die Stille, zerstörten sie nicht.

Drüben, weit im graugelben Feld trieb dunkles, gedrängtes Grün hoch, in Kuppeln, in Säulen, aus dem flachen niedern Halmboden steilsteigend zusammengepreßt, wie eine schroffe hohe Insel.

Vor dem schwarzgrünen gestauten Laub standen violette Dunstschichten, in langen dünnen Strichen. Oben in Laubklüften zwischen runden blaudunklen Kronen sammelten sich grüne flaumige Dämpfe, kreisten, quollen aus der Laubtiefe und goren wieder zurück. Manchmal, blitzschnell, mitten darin, zersprang ein Smaragdlicht und dann ein Augenblick danach, schwieg alles und lag still, – und die Laubfarbe ward röchelnder, stumpf, und die violetten Schichten erschöpft weißgelb.

Der stumme Mann schüttelte den Kopf:

Das war sonst nie gewesen!

Er blieb öfters stehen, zog die Hutkrempe über die Augen, der scharfe Abendstrahl blendete.

Aber auch als er näher kam, blieben die zitternden Dünste und die grünen puffenden Dampfknäule in den Laubbrüchen.

Noch die Akazienallee.

Schweres Schilf, und blaue Lilien und schwarzgraue Lilien am Wege entlang. Die Lilien, die blauen immer üppiger gegen das Ende der Allee und die Blütentrauben in den Akazien schäumender.

Dann am silbernen Gitter.

3u beiden Seiten eine blühende Lanzenwand um den Park. Grüne Malvenzepter, Zepter bei Zepter, mit roten, und blaßgrünen, und rosigen und weißen Blütenrosetten.

Der stumme Mann suchte an den bunten Pfeilern und wollte dem Kinde eine ganz weiße Malve mitbringen. Aber ganz weiß keine. Die weißen alle mit feinem roten Geäder oder einem grauen Insektenbiß.

Er ging hinein.

Seinen Mantel ab – und ins Gebüsch gelegt, behutsam, und dann mit rauschenden Schritten leise über den blauglimmernden Rasen.

Kein Laut in dem Garten.

Rings die Bäume mit bläulichen Blättern. Eine Bläue wie aus scheidenden Säuren.

Über den Blättern ein Vibrieren, goldgrüne Käfer und durchsichtige Libellen in haardünnem singenden Flug.

Sonst kein Laut in dem Garten.

Kein Laut sonst.

Und mit jedem Schritte wechselten die Düfte, erst zartbitter von Pappelblättern, dann Myrten und Duft von Reseda und Ananas. Wie opalrosige Milchstrahlen flossen die Düfte an ihm vorbei.

Überall, wo er ging, schluckte das Laub den Scharlachschein seinens Gewandes.

Er schüttelte wieder verwundert den Kopf. Er befühlte ein Blatt, das er gestreift, es war warm, und ein leichtes Pochen in den Adern.

Aber oben zwischen den Bäumen nichts. Durch die Kronen keine Dämpfe mehr, – und zurück – auch draußen nichts mehr, keine Dunstschichten, – stiller gespannter Hyazinthenhimmel, nur rötlicher, insichgekauerter als sonst.

Aber hinter ihm, durch den Rasen, in der Bläue des Grases standen seine Fußspuren rot, das Gras wie in Glut gefacht, und darüber zitterten dünne Dampfringe. Wo sein Fuß einen Tulpenbecher berührt hatte, stieg vom Grunde ein Rauchfaden, steil wie eine dünne modergraue Schlange.

Er ging schneller.

Die Stille und die Hitze, Düfte und Farben schwollen.

In einer feuchtschillernden Grotte hoben sich zwei Schwäne, zischten, schlugen mit den Flügeln und stoben auf. Ganz weit fielen sie knatternd nieder.

Einige Federn lagen an der warmen Stelle. Er hob sie auf. Um den Kiel lief eine rote Windung und die Spitze war auch rot.

Er schüttelte wieder den Kopf.

Wo ist mein Weiß! Meinheiliges Weiß! –

Ein weiter blütenüberschwollener Platz. Ringsum starr stockend der violette Laubwall. Im Blütenschaum die Häupter zweier Sphinxe, aus ernstem Lapislazuli, tiefblau, andächtig, wie ein eherner Nachthimmel.

Über die elfenbeinblassen Blüten zuckt das Herz pochen der Sphinxe, jeder Herzschlag ein wimmerndes Lila, ein Fluglicht aus ihren Augen, aus ihren Brüsten über die elfenbeinblassen Blüten.

Purpurbraune Moosstufen zu einer Blütenhalle. Weiße einfache Alabastersäulen, von Säule zu Säule rote Korallenstäbe. Die Decke des Saales dasselbe violette Laub wie im Garten und dazwischen triefende Granatblüten und Drachenblüten und Blutdolden, und aus allen Dolden sickert ein bläulicher Phosphorglimmer und strählt die Säulen.

Der Phosphor schwimmt in der Halle, und die Lust ein leuchtender blauer Nebel, alle Linien darin zart und grübelnd verschwommen.

Der stumme Mann trat tiefer hinein. Da begann in der Bläue ein Zittern, ein fieberndes Rieseln, der Scharlach an ihm sog die Helle und es sank alles an ihm nieder, glimmerte auf den Fäden der Seide, auf den Haarspitzen des Samtes und zerrann.

Bald war die Luft rings kahl und klar. Die Formen in der Klarheit scharf und unerschütterlich. Nur an den Pfeilern klopfte noch der blaue Phosphor, aber gelähmter und dürftiger.

Der stumme Mann zitterte.

Mein Kind? – Wo bist du? –

Mein Kind? –

Es regte sich nichts. Nur der Phosphor rann nieder, und draußen pochte der Herzschlag der Sphinxe über die Blüten. Aber sonst hing alles steif und gläsern.

Auf den silbernen Muschelplatten des Fußbodens blauseidne Pfühle, gefüllt mit duftigen Rosenblättern.

Der stumme Mann lag und starrte hinaus in den blauen Garten, und sein Scharlach bräunte die blaue Seide, der Jasminduft an ihm zerfraß den scheuen Rosenduft und alle Düste rings.

Über dem Blütenplatz fort, drüben im matten Baum dunkel ein dünnes Licht.

Der Stumme Mann zitterte. Seine Brauen bogen sich, die Augen vorgepreßt standen rund und steif.

Mein Kind – mein Kind!

Wie ein blasser Eisfunke ging es fern durch die Bäume.

Kam näher.

Eine durchsichtige Gestalt

Ein Kindergesicht.

Horchende Augen, wie blauer Marmor und Milch. Leuchtende wachsbleiche Haare über Schulter und Nacken. Von den Schultern ein mondblaues Gewand, in geraden Falten wie silberne senkrechte Regenstrahlen und durch das schwache keusche Blau, der Leib in träumendem Meerschaumweiß.

Über dem Haupte kreiste langsam ein dünner Reif aus silbernen Blütenknospen.

Die Gestalt schwebte lautlos durch die Bäume. Die dunklen Zweige und Äste schimmerten matt durch den hellen Leib. Der Reif schwebte immer mit ihr.

Der stumme Mann preßte die Finger an die Schläfen. Sein Herz wurde eisig. Seine Augen folgten stöhnend dem Gange des Kindes.

Es bückte sich oft.

Es küßte die Erde.

Und ging denselben Weg zurück, den er gekommen, und die Zweige, die er gestreift, und die Blüten küßte es, und sein Licht zuging in der Ferne.

Der stumme Mann kroch in sich zusammen. Die Falten auf der Stirn klemmten sich grauer und tiefer. Die Finger griffen in das Wangenfleisch. Er kämpfte und stemmte sich gegen ein würgendes Grau, das sein Herzblut stockte.

Über dem Garten wölbte sich die Bläue wie eine Kristallkuppel. Ganz weit darüber flogen Wolken. Aber so fern, nur wie schwacher Rauch, und kein Wolkenschatten fiel über die Blüten unten. Der blaue Nebel der Düfte im Garten leuchtete aus sich selbst.

Aber die Wolken draußen flogen immer gereizter und Sturm stürzte hoch über die Gartenbläue. Doch hier in die Tiefe drang es nur als ein Fächeln, sang in den Äolsharfen, in den rosigen Muschelhörnern zwischen den Säulen der Halle, und die Blüten draußen wiegten sich und stäubten feinen glimmernden Puder.

Der Stumme Mann krümmte sich und schauerte. Er stopfte sich die Seide in die Öhren und kroch in die Pfühle, und sein Herz stöhnte:

Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr! – mein Kind! Du wirst kommen – du mußt – Wie ihr mich martert, ihr höhnischen Fratzen – es ist heilig hier, alles heilig hier – fort – ich bin nicht euch –

Aber der Scharlach grinste:

Du gehörst uns, ganz uns. Alles gehört uns.

Da wühlte er sich noch tiefer in die Pfühle, so tief, daß er durch das weiche Rosenpolster den kühlen Muschelboden fühlte. Dann lag er erschöpft. Die Muschelplatten vibrierten mit den Tönen der Äolsharfen. Er zählte ihr feines Schwingen und dabei schlief er ein.

Im Traume sah er sein Kind im Küssen durch die Bäume gehen, und jeder Kuß auf das Laub, das sein Scharlach erhitzt hatte, rann als Blutstrahl durch den durchsichtigen Körper des Kindes. Nach jedem Kuß reckte sich der Leib und die Brüste schwollen. Der Knospenreif über seinem Haupte erhitzte sich und die Knospen sprangen im Rubinlicht auf.

Dann kam es wieder den Weg zurück, es trat aus den Bäumen, da war das gläserne Kleid von seinem Leibe geschmolzen. Der Boden rauchte hinter ihm, und zehrte die Bläue von dem Laube und die Bläue aus der Luft. Über den Baumwänden schwollen die Wetterwolken, geduckt, gelbbraun mit weißen knisternden Augen.

Und das Kind kam über den Blütenschaum näher. Zu allen Seiten runzelten sich die Blüten und zerkrümelten grau versengt.

Es kam näher zur Halle.

Der Herzschlag der Sphinxe loderte fiebernder, ein breiter schütternder Schlag, – dann erstarrten sie, ihre Herzen zerfielen in Asche.

Er hatte sich bei dem Schlage umgewälzt. Ein röchelnder Branddunst von qualmendem Fleische – knirschende Hitze gegen sein Gesicht. Das Kind stand vor ihm.

Es preßte sich in heißen Linien gegen seien geschlossenen Augen.

Es bog sich über ihn. Die Augen gierig schwarz wie Tollkirschen. Vom Rubinreif über ihr tropfte die Glut und rann in roten Schlangen am Haar nieder, das wachsbleiche Haar hing purpurn in triefenden Bränden. In ihrem Körper verschlangen sich gierige Adernetze und die Spitzen der Brüste glühten.

Vater?!

Sie umschlang ihn.

Er wehrte ihr.

Aber sie kroch über ihn. Und ihr Leib drängte bebend und geschmeidig wie heiße Gallerte an ihn.

Sie sprachen nicht.

Sie küßten sich die Gedanken in das Herz. Und ihre Umarmungen, ihre Küsse waren Klagen und Tränen.

Draußen klirrte das Laub eisern, der Sturm rollte die Luft in polternden Blöcken, prallte zur Tiefe, begrub die Stille, und die Muschelhörner kreisten und barsten und die Äolsharfen zersprangen in Seufzern. Die Bläue erstickte, nur die Dolden glommen an den Korallenstäben, der Phosphor rann in Feuertränen an den faulen nieder. Von allen Blüten der Decke tropfte warmes Blut und zerspritzte pochend über den weißen Muschelboden.

Ich habe dich vergiftet, mein Kind! Ich selbst –!

Ich habe dich aus meinem Blute geboren und muß dich nun mit meinem Blute töten, – mein Kind, – mein Kind! –

Es hörte nicht mehr. Es war eine Gier über das blasse Geschöpf gekommen, es warf sich über den stummen Mann, zerschnitt mit den Zähnen seine Pulse und sog lüstern sein Blut. Und die Brüste blähten sich und die glühenden Spitzen fraßen den Scharlach von seinem Leibe.

Er sträubte sich, rang dagegen, aber sie ließ ihn nicht, bis sie satt und erschöpft.

Er hob sich zitternd, mit den letzten Schluchzenden Kräften und legte sie behutsam in die Pfühle.

Gelbe Wetterwolken krochen wie Hyänen durch die Säulen.

Er betrachtete immer sein Kind. Er mochte, er konnte es nicht verlassen. Wenn er erwachte, würde es ihm neue Marter bringen, und endlich den Tod, aber er wich nicht.

Die gelben hohlen Wolken krochen näher.

Er wollte das Kind wecken, daß es ihn töte mit seinen Küssen.

Aber es blieb reglos. Er horchte. Das Herz war still. Der Körper erstarrt.

Langsam hob er den steifen toten Leib auf.

Draußen bissen sich weiße Feuer am Himmel. Ein Brüllen aus Wolkenschlünden, der Boden schütterte.

Er schleppte sein Kind über die rauchenden Blütenaschen zur Gartenpforte.

Die silbernen Gitter waren geschmolzen. Die Malven taumelten geknickt und zerrauft.

An der Schwelle zerrann ihm die Tote unter den Händen. Er trat zurück. Immer wieder entglitt sie ihm. Er konnte sie nicht über die Schwelle zwingen.

Dann legte er sein Kind in die warmen Aschen und küßte es auf das schweigende Herz und flüsterte in das tote Ohr:

"Ich werde dich wiedergebären. Auf Wiedersehen! Ich werde dich wiedergebären."

Dann ging er.

Hinter ihm fraßen die Blitze sein Paradies.

 

Ein Vernichtungskampf begann gegen das Lasterblut, das er eingesogen.

Er raste gegen die Welt, gegen sich gegen sein Fleisch.

Er preßte Tropfen um Tropfen des wollüstigen Giftes aus seinem Körper, und wenn die Nägel nicht mehr pressen wollten, dachte er an das Verlorene und wühlte mit neuem Willen in seinen Adern.

So gingen Jahre.

 

An einem Nachmittag im Spätherbst lag der stumme Mann zu Hause.

Er hatte Schnupfen.

Auf dem Sofa vier, fünf Taschentücher. Den Rauchtisch neben sich gerückt, darauf einige Bücher. Auf dem Stuhl daneben wieder Taschentücher. Und die Polster mit Karbol besprengt.

Der Gaumen schmerzte und spannte, der Hals kratzte und die Nase stach.

Es wurde dunkel, und er Setzte sich an das Fenster. Er blätterte in einem neuen Buche. Er wollte die Seiten nicht erst aufschneiden. Damit das Licht auf jede Seite fiel, stand er bald abwechselnd links, bald rechts am Fenster.

Aber bald schmerzten die Augen. Die Buchstaben zitterten, das Buch schwankte in seiner Hand, und er legte es auf das Fensterkissen.

Es war fast ganz dunkel.

Er stand an einem Sessel, hielt die Lehne in den Händen und starrte immer auf seine Gedanken.

Je dunkler es wurde, desto deutlicher sah er sich – die feinste Runzel und die fernste pochende Ader, und all die dunklen kreisenden Wünsche bekamen Farbe und leuchteten.

Aber alle Äste trafen sich in einem Kern, und von dem Kern bröckelten lockere Schlacken .... und im Innern durch matte Häute und Ritzen fehlten Schon Zage blaue Strahlen und das Licht preßte sich immer steifer, genährter gegen die Schale. Bald mußte sie fallen. –

An der Türe klopfte es.

Das Mädchen.

Den Brief bringe ein Dienstmann und warte auf Antwort.

Der stumme Mann nickte, Machte Licht.

Von Freunden eine Einladung.

Er setzte sich an den Schreibtisch.

Ihr verzeiht. Ich kann mit dem besten Willen nicht kommen. Ihr müßt mir schon einige Wochen Einsamkeit gönnen. Ich muß mich schonen, da ich bald gebären werde.

Das Mädchen nahm die Antwort und ging. –

Der stumme Mann blies das Licht aus. Setzte sich ganz leise an das Klavier. Und spielte stumm, ohne einen Ton anzuschlagen. Dabei sah er im Dunkeln ganz genau, wie glücklich er lächelte.

 


 


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