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Dreizehntes Kapitel

In dem roten Hause, dem Palaste Belisars, in der Neustadt «Justinina» (Sycä) saß Antonina in dem Frauengemach, emsig in Arbeit vertieft. Sie stickte an einem mit goldnen Lorbeeren verbrämten Mantel für den Helden Belisarius.

Auf dem Citrustischlein neben ihr lag, in kostbarem Umschlag, mit Edelsteinen besetzt, ein mit Purpurtinte geschriebenes Prachtexemplar von Prokops «Vandalenkrieg», dem kürzlich erschienenen Werke, das den glänzendsten Feldzug ihres Gemahls beschrieb.

Zu ihren Füßen lag ein herrlich Tier, einer aus dem Doppelpaar der zahmen Jagdleoparden, die der Perserkönig nach dem letzten Frieden dem Sieger Belisar geschenkt –: eine höchst kostbare Gabe, da nur selten die Zähmung völlig sicher gelang und viele hundert der jung eingefangenen oder auch in der Gefangenschaft geworfenen Jungen nach jahrelanger Abrichtung als unzähmbar getötet werden mußten.

Das wunderschöne, große und starke Tier – es verwilderte zu leicht auf der Jagd durch Genuß warmen Blutes und war deshalb zu Hause gelassen worden – streckte sich behaglich, wie eine Hauskatze, auf Antoninens Gewand, spielte mit dem Knäuel von Goldfaden, ringelte den Schweif und rieb den runden, klugen Kopf und den Bug an der Gebieterin Füßen.

Da meldete die Sklavin einen fremden Mann, – in unscheinbarer Mietsänfte sei er angekommen und in schlechtem Mantel –: man habe ihn abweisen wollen, da der Hausherr fern und Antonina in seiner Abwesenheit keinen Besuch mehr empfange. «Aber man kann ihm nicht widerstehn! Er befahl: ‹Meldet Antoninen den Überwinder des Papstes Silverius.›»

«Cethegus!» rief Antonina: sie erbleichte und zitterte.

«Laßt ihn schleunigst ein.»

Die Überlegenheit, die der gewaltige Geist in jener ersten Stunde ihrer Begegnung über sie gewonnen und nie wieder verloren hatte, die Erinnerung, wie dieser Mann, als ihr Gatte und der kluge Prokop und all die Heerführer vor dem Priester widerstandslos erlegen waren, den Überwinder überwunden und gedemütigt hatte, wie er dann, bei dem Einzug in Rom, in der Schlacht an der Aniobrücke, in Roms Verteidigung gegen Witichis, in dem Lager vor Ravenna, bei der Gewinnung dieser Stadt, immer und überall seine Obmacht bewährt und sie doch nie feindlich gegen Belisar gebraucht hatte – wie Unheil nur aus dem Widerstreben gegen seine Warnungen gefolgt – wie jeder seiner Ratschläge an sich siegreich gewesen war – all diese Erinnerungen schossen nun verwirrend und betäubend in ihrem Haupte zusammen.

Die Schritte des Präfekten nahten. Sie stand hastig auf.

Der Leopard, unsanft weggeschoben und um des Eindringlings willen aus seinem behaglichen Spiel aufgestört, richtete sich leise knurrend auf, drohend gegen den Eingang blickend, und die gelben Zähne fletschend.

Ungestüm schlug der Eintretende die Vorhänge zurück und steckte das halb von der Kapuze bedeckte Haupt herein.

Das erschreckte oder reizte den Leopard: – bei der ersten Bändigung bedienten sich die persischen Löwen- und Tigerzüchter langer Wollteppiche und Gesicht und Hals schirmender Vermummungen: – Erinnerung an einen alten Feind mochte in dem grimmen, nie ganz gebändigten Tier erwacht sein: mit furchtbarem Wutgeschrei duckte es sich zum tödlichen Ansprung, den Boden mit der langen Rute peitschend und Geifer spuckend –: das sichere Anzeichen grimmigster Wut.

Entsetzt erkannte das Antonina. «Flieh, flieh, o Cethegus», schrie sie.

Tat er das, wandte er den Rücken, so war er verloren –, so saß ihm das Untier festgebissen auf dem Nacken.

Denn keine verschließbare Tür, nur Vorhänge sperrten den Rückweg.

Er trat rasch vor, warf die Kapuze zurück, blickte scharf in des Leoparden Augen, den Zeigefinger der Linken gebietend erhoben und ein breites, blitzendes Dolchmesser gerade vor sich hin streckend.

«Nieder! Nieder! Heiß Eisen sonst droht!» So rief er in persischer Sprache dem knurrenden Untier entgegen, noch einen Schritt vortretend.

Da brach der Leopard in ein winselndes Heulen der Furcht aus: die zum Sprung gekrümmten Muskeln erschlafften: winselnd kroch er, auf allen vieren sich vorschiebend, heran und leckte, zitternd vor Furcht, dem Manne die Sandale des linken Fußes, indes ihm dieser den rechten Fuß fest auf den Nacken setzte.

Antonina war vor Entsetzen auf die Knie gesunken: starr blickte sie jetzt auf das furchtbar schöne Bild.

«Das Tier – die Proskynese!» stammelte sie. «Dareios hatte sie immer verweigert: – er wurde wütend, wann Belisar sie erzwingen wollte: – Wo hast du, Cethegus, das gelernt?»

«In Persien natürlich», sagte dieser. Und er stieß dem ganz gebrochenen Tier so heftig den Fuß in die Rippen, daß dieses, laut aufschreiend vor Schmerz, hinwegfuhr und in der fernsten Ecke des Zimmers Schutz suchte, wo es zitternd, die Augen ängstlich auf den Mann gerichtet, liegen blieb.

«Belisarius hat nur die Burgen, nie die Sprache der Perser bemeistert», sagte Cethegus: «diese Bestien aber verstehen nicht griechisch. Du bist ja grimm gehütet, wenn Belisar fern ist», fuhr er fort, den Dolch wieder in den Brustfalten bergend.

«Was führt dich in sein Haus?» fragte, noch bebend, Antonina.

«Die oft verkannte Freundschaft. Es gilt, deinen Gatten zu retten, der den Mut des Löwen, aber nicht die Geschicklichkeit der Maus besitzt! Prokop ist leider fern. Sonst hätt' ich diesen ihm vertrauteren Berater gesendet. Ich weiß, daß Belisar von dem Kaiser ein schwerer Schlag droht. Es gilt ihn abzuwenden. Des Kaisers Gunst... –»

«Ist wankelhaft, ich weiß es. Aber die Verdienste Belisars –»

«Gerade diese sind sein Verderben. Einen Unbedeutenden würde Justinian nicht fürchten. Aber er fürchtet Belisarius.»

«Das haben wir oft erfahren», seufzte Antonina.

«Wisse denn – du zuerst von allen, was niemand außerhalb des Palastes ahnt –: des Kaisers Schwanken ist seit heut' entschieden –: für den Gotenkrieg.»

«Endlich!» rief Antonina, und ihr Antlitz hellte sich auf. – «Ja, aber – bedenke die Schmach! –: nicht Belisar ist zum Feldherrn bestimmt.» – «Wer sonst?» fragte Antonina zornig. «Ich bin der eine Feldherr... –» Mißtrauisch blickte sie auf ihn.

«Ja, das war mein Streben schon lang: ich gestehe es.

Aber der zweite soll Areobindos sein. Ich kann mit diesem Schattenmann nichts anfangen. Ich kann nicht neben ihm, mit ihm, gehemmt durch seinen Unverstand, die Goten besiegen. Die Goten besiegt niemand als Belisarius. Deshalb muß ich ihn wieder neben mir, meinetwegen über mir, als Oberfeldherrn, mit mir haben. Sieh, Antonina, ich halte mich für den größeren Staatsmann –»

«Mein Belisar ist ein Held, kein Staatsmann», sagte die stolze Gattin.

«Aber lächerlich wäre es, mich als Feldherrn mit dem Vandalen-, Perser- und Goten-Besieger zu vergleichen. Sieh, ich gestehe dir ja ganz offen: nicht bloß Wohlwollen für Belisarius, auch Selbstsucht leitet mich dabei.

Ich muß Belisar zum Waffengenossen haben.» – «Das leuchtet mir ein», sagte sie wohlgefällig.

«Justinian ist aber nicht zu bewegen, Belisarius zu ernennen. Noch mehr: er mißtraut ihm aufs neue: und zwar mehr denn je.»

«Weshalb aber, bei allen Heiligen?»

«Belisarius ist zwar unschuldig, aber sehr unvorsichtig. Seit Monden erhält er heimlich Briefe, Zettel, Mahnungen zugesendet, in den Mantel im Bade gesteckt, in den Garten geworfen, – die ihn zur Teilnahme an einer Verschwörung auffordern.»

«Himmel, du weißt davon?» stammelte Antonina.

«Leider nicht nur ich, auch andre Leute –: der Kaiser selbst!» – «Es gilt aber nicht des Kaisers Leben oder Thron», beschwichtigte Antonina. «Nein, nur seiner Freiheit, seiner Selbstbestimmung: ‹Krieg gegen die Goten› – ‹Belisar Feldherr› – ‹schmählich ist's, den Undankbaren dienen› – ‹zwing den Herrn zum eignen Vorteil› – So und ähnlich lauteten die Zettelchen, nicht wahr? Nun, Belisar hat zwar nicht Folge geleistet. Aber er hat auch, der Unkluge, nicht gleich den ersten Wink von diesen Aufforderungen dem Kaiser angezeigt! Das kann Belisars Kopf kosten!»

«O alle Heiligen!» rief Antonina händeringend, «er unterließ es auf meinen Rat, auf mein Bitten. Prokop riet ihm – wie du jetzt – gleich alles dem Kaiser zu melden. Aber ich zitterte vor des Kaisers Mißtrauen, das schon in der Aufforderung an Belisar einen Schein der Schuld erblicken konnte.»

«Das war es wohl nicht allein», sprach Cethegus vorsichtig, erst nach Lauschern sich umblickend, «was deinen Rat bestimmte, dem Belisar, wie immer, folgte.»

«Was sonst? Was kannst du meinen?» forschte Antonina leise. Sie errötete über und über.

«Du wußtest, daß gute Freunde eures Hauses beteiligt waren: – diese wolltest du erst warnen, erst lösen von den Schuldigen, ehe sie angezeigt würden.» –

«Ja», stammelte sie, «Photius, sein Freigelassener –»

«Und noch ein andrer», flüsterte Cethegus, «der doch nicht, aus Theodoras goldnem Kerker kaum befreit, gleich in die Gewölbe des Bosporus wandern sollte.»

Antonina schlug beide Hände vor das Antlitz.

«Ich weiß alles, Antonina: – die geringe Schuld von früher – die starken guten Vorsätze späterer Zeit.

Aber hier hat dich die alte Neigung bestrickt. Statt nur an Belisar zu denken, hast du auch an sein Wohl gedacht. Und wenn nun darüber Belisar untergeht – wes ist die Schuld?»

«O halt ein, erbarme dich», flehte Antonina.

«Verzage nicht», fuhr Cethegus fort. «Dir bleibt ja eine starke Stütze – eine Fürsprecherin bei Justinian. Wenn auch vielleicht Verbannung droht – das Äußerste wird doch die Fürbitte deiner Freundin abwenden, der Allmächtigen.»

«Die Kaiserin! Weh uns!» rief Antonina entsetzt. «Wie wird sie alles darstellen! Ach, sie hat uns den Untergang geschworen.»

«Dann ist's schlimm», sprach Cethegus, «sehr schlimm. Denn auch die Kaiserin weiß von der Verschwörung und von den Ladungen an Belisar. Und du weißt: viel geringere Schuld als die, zu einer Verschwörung aufgefordert zu sein, genügt...»

«Die Kaiserin weiß es? Dann sind wir verloren! O du, der du Auswege zu finden weißt, wo kein Auge sonst sie sieht: – hilf, rette.»

Und die stolze Gestalt sank flehend vor dem Präfekten nieder.

Aus der Zimmerecke erscholl ein klägliches Geheul, bei diesem Anblick schüttelte den Leoparden aufs neue die Furcht.

Einen raschen Blick warf der Präfekt auf den heulenden Gegner – dann erhob er sanft die Kniende.

«Auf, Gattin Belisars, verzage nicht. Ja, es gibt ein Mittel, Belisar zu retten. Aber nur eines.»

«Soll er jetzt die Anzeige machen, sobald er heimkehrt?»

«Das ist zu spät. Und zu wenig. Man würde ihm nicht glauben, daß es ihm Ernst mit bloßen Worten. Nein, er muß in Taten seine Treue beweisen. Er muß die Verschworenen alle zusammen fassen und alle zusammen dem Kaiser ausliefern.»

«Wie kann er sie zusammen fassen?»

«Sie laden ihn ja selbst. Heute nacht, in des Photius, seines Freigelassenen, Hause versammeln sie sich. Wohlan: er sage zu, ihr Haupt zu werden. Er erscheine und nehme sie dort alle gefangen. –

Anicius», fügte er rasch bei, «ist von der Kaiserin selbst gewarnt für heute nacht – er war bei mir.»

«Oh, und müßt' er sterben: – es gilt ja, Belisar zu retten. Er muß es tun! Ich seh' es ein. Und es ist kühn, gefährlich – es wird ihn reizen.»

«Wird er seinen Freigelassenen opfern?» –

«Siebenmal haben wir den Toren vergebens gewarnt. Was liegt an Photius, wenn es Belisar gilt. Wenn ich je Gewalt über ihn gehabt: – heute werd' ich ihn überzeugen. Schon früher riet ihm Prokop, einmal einen solchen, wie er sagte, brutalen Beweis seiner Treue zu führen, nachdem er nicht gleich die erste Aufforderung dem Kaiser mitgeteilt. Ich werde ihn dieses Rats Prokops erinnern. Sei gewiß: er folgt meinem, unsrem übereinstimmenden Rat.»

«Gut, er soll vor Mitternacht dort sein. Wann der Wächter auf den Mauern die zwölfte Stunde ausruft, breche ich in den Saal: und, auf daß er ganz sicher geht, soll er nur eintreten, wenn er meinen Mauren Syphax in der Nische des Hauses hinter der Petrus-Statue sieht. Auch kann er einige seiner Leibwächter vor das Haus stellen: sie sollen ihn decken für den Notfall und Zeugnis ablegen für ihn. Große Verstellungskunst wird ihm nicht zugemutet. Er soll erst kurz vor Mitternacht eintreten: er braucht dann nur zu hören, nicht zu reden. Unsere Wachen harren im Hain des Constantinus vor der Hintertür des Muschelhauses des Photius: mit dem Ausruf der Mitternacht – die Tuba bläst die Ablösung der Wachen, du weißt, man hört es deutlich – brechen wir ein. Er braucht also gar nicht das Wagnis zu übernehmen, ein Zeichen zu geben.»

«Und du, – du kommst gewiß?»

«Ich werde nicht fehlen. Leb' wohl, Antonina.»

Und rasch war er, rückwärts schreitend, das Antlitz dem gebändigten Tiere zugekehrt, das Messer zückend, an dem Ausgang. Der Leopard hatte auf den Moment gewartet: er regte sich leise in der Ecke, sich aufrichtend.

Da aber, zwischen den Vorhängen, erhob Cethegus nochmal den Stahl und drohte. «Nieder, Dareios! Heiß Eisen sonst droht.»

Und er war hinaus.

Der Leopard duckte den Kopf auf den Mosaikestrich und stieß ein kläglich Geheul ohnmächtiger Wut aus.


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