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Neuntes Kapitel

Am andern Morgen stand Kaiser Justinian in tiefem Nachdenken vor dem hohen, heiligen Goldkreuz in seinem Gemach.

Sein Ausdruck war sehr ernst, aber nicht bestürzt und nicht zweifelig. Entschlossene Ruhe lag heute auf seinen Zügen, die, sonst nicht schön oder edel, in diesem Augenblick Geistesschärfe und Überlegenheit verrieten. Er erhob Stirn und Augen fast drohend gegen das Goldkreuz und sprach: «Auf harte Proben, Gott des Kreuzes, stellst du deinen treuen Knecht! Mir ist, Herr Christus, ich hätte Besseres um dich, von dir verdient! Du weißt ja doch, was alles ich getan, zu deines Namens Ehre! Warum triffst du mit deinen Schlägen nicht deine Feinde, die Heiden, die Ketzer? Warum mich? Aber da du's nun einmal so gewollt, sollst du erfahren: Justinianus kann noch mehr als Kirchen baun und Bilder weihn.»

Und er schritt durch das Gemach: sein Blick fiel auf die Büsten der Kaiser, welche hier an den Wänden auf kleinen Sockeln prangten.

«Großer Constantinus, Gründer dieses Ostreichs, Schirmherr des rechten Glaubens! Bangst du für dein Werk? Bange nicht: getrost! du hast's gebaut, und Justinianus wird's erhalten. Ihr andern alle hattet's leicht, groß sein, Großes schaffen: – Augustus – die Antonine – Trajanus – Hadrianus: – ihr alle wart noch im Anfang oder auf den Höhen. Ich aber soll das Rad aufhalten, das von dem Gipfel niederrollt. Und ich will's aufhalten. Und ich hab' es schon aufgehalten. Und hab' es mühevoll auch wieder ein gut Stück emporgehoben. Ich sehe euch getrost ins Antlitz: ich schäme mich nicht vor euch. Wo ist der wilden, ketzerischen Vandalen Reich? Der Enkel Geiserichs, des gefürchteten Seekönigs, kniete vor mir im Hippodrom. Laß sehen, ob Justinian nicht wie Karthago auch Rom zurückgewinnt. Sie wollen den Frieden ertrotzen, die Barbaren, in Italien: sie sollen ihn finden, den Frieden des Grabes!»

Da meldete der Velarius: «Herr, der Senat ist versammelt im Saale von Jerusalem. Die Kaiserin betritt soeben die Löwentreppe.»

«Gut», sagte Justinian, «geh. Die Stunde der Prüfung ist gekommen für Theodora. Und für sie alle, die sich meine Räte nennen. Sie sind nie verlegen, wenn es kleine Mittel gilt für kleine Ziele. Wenn sie, behaglich auf den Seidenpolstern sitzend, Verbannung und Konfiskation über ihre Amtsgenossen rechtfertigen sollen, wie scharfsinnig, wie erfinderisch sind sie! Des Reiches und des Kaisers Majestät ist das Alpha und Omega dieser Sklavenlippen. Laß sehen, ob sie auch heute dran gedenken. Nur heute versage mir nicht, du höchste Kunst des Herrschers: undurchschaubare, tief ausholende Verstellung. Heute gilt es, eure Kraft erproben, ihr Staatsmänner von Byzanz. Ich ahne, wie ihr bestehn werdet. Und mich freut's. Eure Erbärmlichkeit ist die beste Stütze meines Throns. Und die beste Rechtfertigung meines Regiments. Klar soll euch werden in eure erschrockenen Herzen hinein, daß ihr einen Zwingherrn braucht, ihr feigen, ehrlosen, ratlosen Sklaven!» –

Da erschienen die Kämmerer, das Ankleidepersonal.

Justinian vertauschte nun das Morgengewand mit der kaiserlichen Staatstracht. Kniend halfen ihm dabei die Vestiarii.

Er legte die weiße, bis an die Knie reichende Tunika an von weißer Seide, an beiden Seiten mit Gold besetzt und durch einen purpurfarbenen Gürtel gehalten: auch die ganz eng anschließenden Beinkleider waren von Seidenstoff und Purpurfarbe. Über die Schulter warf ihm der Mantelsklave den prachtvollen Kaisermantel von hellerer Purpurfarbe mit breitem Clavus (Saum) von Gold, in welchem rote Kreise und in grüner Seide gestickte symbolische Tiergestalten, zumal Vögel, wechselten; aber die verschwenderisch darübergestreuten Perlen und Edelsteine machten die Zeichnung kaum erkennbar und den ganzen Mantel so schwer, daß die Hilfe der Schleppträger nicht unerwünscht sein mußte.

Jeden Unterarm bedeckten drei breite goldne Armringe. Das Diadem, links und rechts breit vom Kopf abstehend, von massivem schwerem Golde, war von zwei Perlenbogen überwölkt. Den Mantel hielt auf der rechten Schulter eine kostbare Spange mit großen Edelsteinen. In die Hand gab ihm der Zepterverwahrer den über mannslangen goldnen Herrscherstab, der oben die Weltkugel aus einem einzigen Smaragd und darauf das Goldkreuz trug.

Fest ergriff ihn der Kaiser und sprang von der Kline auf.

«Noch die Sandalen, Herr, die Kothurn-Sandalen», mahnte ein kniender Kämmerer.

«Nein, heute brauch' ich keine Kothurn», sprach Justinian und schritt aus dem Gemach.

Über die Löwentreppe, benannt von vierundzwanzig aus Karthago von Belisar eingebrachten hohen Marmorlöwen, welche die zwölf Stufen von beiden Seiten bewachten, stieg der Kaiser in ein tieferes Geschoß und in den großen Beratungssaal des Palastes, den «Saal von Jerusalem».

Dieser trug seinen Namen von den Porphyrsäulen, Onyxschalen, Goldtischen und zahllosen Goldgeräten, die an den Wänden und auf Halbsäulen angebracht, der Überlieferung nach dereinst den Tempel von Jerusalem geschmückt. Von dort hatte Titus nach der Eroberung der Stadt diese Schätze nach Rom entführt. Aus Rom hatte sie der Meerkönig Geiserich auf seinen vandalischen Drachenschiffen, gleichzeitig mit der Kaiserin Eudoxia, nach seiner Hauptstadt Karthago getragen. Und nun hatte sie Belisar aus Afrika dem Kaiser des Ostreichs zugeführt.

Die Kuppel des Saales war dem Himmelsgewölbe nachgebildet, aus kostbaren blauen Halbedelsteinen zusammengefügt: und außer der Sonne, dem Mond, dem Auge Gottes, dem Lamm, dem Fisch, den Vögeln, der Palme, der Rebe, dem Einhorn und andern christlichen Sinnbildern war der ganze Zodiakus, und waren zahllose Sterne aus massivem Golde in die Mosaikarbeit eingelassen. Die Kosten dieser Kuppel allein schlug man in Byzanz so hoch an als das Gesamterträgnis der Grundsteuer des ganzen Reiches für fünfundvierzig Jahre.

Gegenüber den drei hohen Eingangsbogen, die von Vorhängen geschlossen und außerhalb des Saales – er war der einzige Eingang – von der kaiserlichen Leibwache der «Goldschildner» in dreifacher Kette gehütet waren, erhoben sich in der Tiefe des halbrunden Saales der Thron des Kaisers und, links von diesem, etwas niedrer, der der Kaiserin.

Als Justinian den Saal betrat mit großem Gefolge der Palastdiener, warfen sich alle Versammelten, die höchsten Würdenträger des Reiches, auf das Antlitz zu demütiger Proskynese.

Auch die Kaiserin erhob sich, beugte tief das Haupt und kreuzte die Arme auf der Brust. Ihre Kleidung war der des Gemahls ganz ähnlich: auch ihre weiße Stola überwallte der Purpurmantel, dem jedoch der kaiserliche Clavus fehlte. Auch sie trug ein Zepter, aber nur ein ganz kurzes, aus Elfenbein.

Einen matten, aber verachtungsvollen Blick warf die Herrscherin über die Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe, Patrizier und Senatoren, welche, über dreißig an der Zahl, die im Halbkreis ausgestellten goldnen Stühle mit den Seidenpolstern füllten.

Durch den in der Mitte den Saal teilenden Gang schritt nun Justinianus und bestieg mit raschem, sicherem Schritt seinen Thron, das Zepter schwingend.

Zwölf der ersten Palastbeamten standen auf den Stufen der beiden Throne, weiße Stäbe in den Händen. Trompetenschall gab nun den auf das Antlitz Gesunkenen das Zeichen, sich zu erheben.

«Wir haben auch berufen», hob der Kaiser an, «heilige Bischöfe und erlauchte Senatoren, in schwerer Sache euren Rat zu hören. Aber warum fehlt unser Magister Militum per Orientem, Narses?»

«Er ist gestern erst aus Persien eingetroffen – er liegt schwer krank zu Bett», meldete der Proto-Keryx.

«Unser Quästor sacri palatii Tribonianus?»

«Ist noch nicht zurück von deiner Sendung nach Berytus um die Codices.»

«Warum fehlt Belisarius, unser Magister Militum per Orientem extra Ordinem?»

«Er wohnt nicht in Byzanz, sondern drüben in Asien, in Sycae, im roten Hause.»

«Er hält sich sehr abseits im roten Hause. Das mißfällt uns. Was entzieht er sich unserem Blick?»

«Er war dort nicht zu finden.»

«Auch nicht im Hause seines Freigelassenen Photius, im Muschelhaus?»

«Er war auf die Jagd geritten, die persischen Jagd-Leoparden zu erproben», sagte Leo, der comes spathariorum.

«Er ist nie da, wenn man ihn braucht. Und immer, wenn man ihn nicht braucht. Ich bin nicht zufrieden mit Belisarius. – – Vernehmt nun, was geschehen, was uns in den letzten Tagen durch viele Briefe zuging: zuletzt sollt ihr auch mündlichen Bericht der Boten hören. –

Ihr wißt: wir haben den Krieg in Italien einschlafen lassen, weil wir andre Aufgaben hatten für unsre Feldherrn. Ihr wißt: der Barbarenkönig bat um Frieden, um Überlassung Italiens. Wir wiesen das damals ab, gelegene Zeit erwartend.

Antwort hat der Gote nicht in Worten, in sehr verwegnen Taten gegeben. Ihr wißt noch nicht davon: – niemand in Byzanz – wir behielten die Nachricht für uns, sie unmöglich, oder doch übertrieben erachtend. Aber wahr ist alles, was gemeldet ward: vernehmt, und dann erteilet Rat.

Eine Flotte und ein Heer hatte der Barbarenkönig nach Dalmatien geschickt in aller Heimlichkeit und Eile. Die Flotte lief in den Hafen von Muicurum bei Salona, und das gelandete Heer nahm die feste Stadt mit Sturm. Ebenso überraschte die Flotte die Seestadt Laureata.

Claudianus, unser Befehlshaber zu Salona, schickte zahlreiche und stark bemannte Dromonen, den Goten die Stadt wieder zu entreißen. Aber in einer großen Seeschlacht schlug ein Gotenherzog – Guntharis – diese unsere Flotte dermaßen, daß er alle Dromonen ohne Ausnahme eroberte und siegreich in den Hafen von Laureata einführte.

Eine zweite Flotte von vierhundert großen Schiffen rüstete der König bei Centumcellä aus. Sie war meistenteils gebildet aus unsern Dromonen, die, vom Orient aus nach Sizilien für Belisar gesendet, in Unkenntnis, daß die italischen Häfen wieder in der Hand der Goten, mit aller Bemannung und Ladung waren weggenommen worden von einem Gotengrafen – Grippa. Das Ziel auch dieser neu geschaffenen Flotte war unbekannt.

Plötzlich erschien der Barbarenkönig selbst mit dieser Flotte vor Regium, der festen Hafenstadt an der äußersten Südspitze Bruttiens, die wir gleich bei der ersten Landung gewonnen und seither nicht wieder verloren hatten. Nach tapferm Widerstand ergaben sich die Heruler und Massageten unserer Besatzung.

Der Tyrann Totila aber wandte sich nun rasch nach Sizilien, diese früheste Eroberung Belisars uns wieder zu entreißen. Er schlug den Römer Comes Dommentiolus, der ihm ins offene Feld entgegentrat, und gewann rasch das ganze Eiland. Nur Messana, Panormos und Syracusä schützten noch ihre festen Mauern. Eine Flotte, die wir zum Schutze, zur Wiedergewinnung von Sizilien aussandten, zerstreute der Sturm. Eine zweite blies der Nordwest in den Peloponnes zurück.

Gleichzeitig segelte eine dritte Trierenflotte dieses unerschöpflichen Königs unter einem Grafen Haduswinth gegen Corsica und Sardinia. Die erstere Insel fiel alsbald den Goten zu, nachdem die kaiserliche Besatzung ihrer Hauptstadt Aleria in offener Schlacht geschlagen war. Der reiche Corse Furius Ahalla, dem der größte Teil des Eilands gehörte, war zwar fern in Indien. Aber seine Institoren und Colonen waren angewiesen, im Fall einer Landung der Goten diesen keinen Widerstand, sondern beste Förderung zu leisten.

Von Corsica wandten sich die Barbaren nach der Insel Sardinia. Hier schlugen sie bei Karalis die Truppen, die unser Magister Militum von Afrika zur Beschützung der Insel herübergeschickt. Und sie nahmen diese Stadt, wie Sulci, Castra Trajani und Turres in Besitz.

Auf beiden Eilanden aber, auf Corsica und auf Sardinia, richten sich die Goten häuslich ein. Sie behandeln dieselben als dauernd erworbene Zubehörden ihres Reiches in Italien. Sie setzen Gotengrafen in allen Städten ein. Und sie erheben nach gotischem Verfassungsrecht die Steuern. – Diese sind – unbegreiflich – ! – viel geringer als die unseren. Und die Untertanen dort erklären schamlos: sie zahlen lieber den Barbaren fünfzig als uns neunzig.

Aber nicht genug.

Nordöstlich heraufsegelnd von Sizilien vereinte der Tyrann Totila sein Geschwader mit einer vierten Flotte unter Graf Teja auf der Höhe von Hydrus. Eine dieser vereinten Flotten, unter Graf Thorismut, landete auf Corcyra, nahm die Insel in Besitz und gewann von dort aus alle umliegenden Eilande, zumal die Sybotischen Inseln.

Aber noch nicht genug.

Der Tyrann Totila und sein Graf Teja griffen bereits das Festland unseres Reiches an.»

Ein Murmeln des Schreckens unterbrach hier den kaiserlichen Redner.

Finster und grimmig fuhr dieser fort: «Sie landeten in dem Hafen von Epirus vetus, eroberten die Städte Nikopolis und Anchisus, südwestlich von dem alten Dodona, und nahmen eine Menge unserer Schiffe in jenen Küstengewässern weg. Das bisher Mitgeteilte mochte nur euren Unwillen erregen über die Verwegenheit der Barbaren. Aber nun vernehmt, was euch anders ergreifen mag. Kurz gesagt und klar, – nach den gestern hier eingetroffenen Boten ist es gewiß: Die Goten sind in vollem Anzug auf Byzanz.»

Da sprangen einzelne der Senatoren von ihren Stühlen.

«In doppeltem Angriff. Ihre versammelten Geschwader, von Herzog Guntharis, den Grafen Markja, Grippa und Thorismut geführt, haben in zweitägiger Seeschlacht unsre Flotte der Inselprovinz geschlagen und in die Meerenge von Sestos und Abydos getrieben.

Ihr Landheer aber, unter Totila und Teja, zieht quer durch Thessalien über Dodona gegen Makedonien: schon ist Thessalonike bedroht. Die ‹neuen Mauern›, die wir dort gebaut, hat dieser Graf Teja gestürmt und geschleift.

Die Straße nach Byzanz liegt ihnen offen. Und kein Heer steht mehr zwischen uns und den Barbaren. All unsere Truppen liegen an der Persergrenze.

Und nun vernehmt, was uns der Barbarenkönig bietet. Glücklicherweise hat ihn ein Gott betört und unsre Schwäche ihm verhüllt.

Hört es: er bietet uns abermals den Frieden unter den gleichen Bedingungen wie vor Monaten.

Nur Sizilien verlangt er jetzt dazu. Aber alle andern Eroberungen will er ohne Schwertstreich räumen, wenn wir ihn nur in Italien anerkennen.

Da ich gar kein Mittel, weder Segel noch Kohorte, hatte, ihn aufzuhalten, rückte er vor, so habe ich einstweilen Waffenstillstand gefordert. Diesen nahm er an, unter der Voraussetzung, daß der Friede unter jenen Bedingungen geschlossen werde.

Das sagte ich zu.» – – –

Hier warf er einen prüfenden Blick auf die Versammlung, auch einen Seitenblick auf seine Kaiserin.

Die Versammelten atmeten sichtlich auf.

Die Kaiserin schloß die Augen, deren Ausdruck zu verbergen. Sie drückte die kleine Hand krampfhaft auf die goldne Lehne ihres Throns.

«Nur unter dem Vorbehalt, noch meiner Gemahlin, die zuletzt nur noch für den Frieden sprach, und meines weisen Senates Meinung zu vernehmen. Ich fügte bei, ich sei dem Frieden geneigt.»

Da glätteten sich die Gesichter bedeutend.

«Und ich glaubte, das Urteil meiner Räte voraussagen zu können. Daraufhin machten die vordringenden Reiter Graf Tejas auf Befehl des Königs widerwillig halt vor Thessalonike: leider nahmen sie noch vorher den Bischof der Stadt gefangen. Aber sie sandten ihn mit andern Gefangnen, mit Boten und Briefen hierher, vernehmt sie selbst. Dann fasset euren Entschluß. Bedenkt aber dabei, daß die Barbaren in wenigen Tagen vor unsern Toren stehen, verwerfen wir den Frieden.

Und daß wir nur abtreten sollen, was das Reich seit vielen Jahrzehnten aufgegeben hatte, und was zwei Feldzüge Belisars nicht wiedergewinnen konnten: Italien. Führt nun die Boten ein.»

Durch die Eingangsbogen wurden nun von den Leibwachen hereingeleitet Männer in geistlicher, in Amts- und Kriegertracht.

Sie warfen sich vor Justinians Thron nieder unter Zittern und Seufzen, auch Tränen fehlten nicht. Auf einen Wink erhoben sie sich wieder und stellten sich vor den Stufen des Thrones auf.

«Eure Bittbriefe und Klageberichte», sprach der Kaiser, «hab' ich gestern schon durchlesen. Protonotarius, verlies nur den einen, den gemeinsamen des gefangenen Bischofs von Nikopolis und des verwundeten Comes von Illyricum, – der ist seither seinen Wunden erlegen. –»

«An Justinianus, den unbesiegbaren Kaiser der Romäer. Dorotheos, Bischof von Nikopolis, und Nazares, comes per Illyricum.

Der Ort, wo wir dies schreiben, ist der beste Beweis für den Ernst unsrer Worte. Wir schreiben dies an Bord des Königsschiffs des Gotenfürsten, ‹Italia› mit Namen. Bekannt ist dir wohl, wann du diese Worte liesest, der Flotten Niederlage, der Inseln Verlust, der ‹neuen Mauern› Erstürmung, des Landheeres von Illyricum Zerstreuung.

Rascher als die Boten, rascher als die Flüchtlinge von diesen großen Schlachten haben uns die gotischen Verfolger erreicht. Nikopolis hat der Gotenkönig erobert und verschont. Anchius hat Graf Teja erobert und verbrannt.

Ich, Nazares, diene dreißig Jahre in Waffen: nie hab' ich solchen Angriff gesehen, wie den, bei welchem Graf Teja mich im Tore von Anchisus niederschlug. – Er ist unbezwingbar! Seine Reiter fegen durch alles Land von Thessalonike bis Philippi.

Die Goten im Herzen von Illyricum! Seit sechzig Jahren ist es unerhört! Und der König hat geschworen, alle Jahre wiederzukehren, bis er den Frieden hat oder – Byzanz. Seit er Corcyra hat und die Syboten, steht er auf der Brücke in dein Reich. Und da Gott das Herz dieses Königs gerührt hat, daß er dir Frieden bietet um billigen Preis – ja nur um den Preis, den er schon hat – flehen wir dich an, im Namen deiner zitternden Untertanen, deiner rauchenden Städte: schließe Frieden. Rette uns und rette Byzanz!

Denn eher werden deine Feldherrn Belisar und Narses die Morgensonne und den Nordsturm aufhalten auf ihren Bahnen als den König Totila und diesen fürchterlichen Teja.»

«Beide Briefschreiber waren gefangen», unterbrach der Kaiser. «Sie reden vielleicht aus Furcht vor der Barbaren Todesbedrohung. Sprecht nun ihr: du, ehrwürdiger Bischof Theophilos von Thessalonike, du, Logothetes von Dodona, Anatolius, du, Parmenio, tapfrer Führer der makedonischen Lanzen, ihr seid hier sicher in unsrem kaiserlichen Palast, aber ihr habt die Barbarenführer gesehn: – was ratet ihr?»

Da warf sich der greise Bischof von Thessalonike abermals auf die Knie und sprach:«O Kaiser der Romäer: der Barbarenkönig Totila ist ein Ketzer. Und ewig verdammt. Das könnte mich irre machen an den Grundlehren der Kirche. Denn nie sah ich einen Mann so reich geschmückt mit allen christlichen Tugenden. Ringe nicht mit ihm! Im Jenseits ist er verworfen auf ewig. Aber – ich kann es nicht fassen – auf Erden segnet die Gnade Gottes alle seine Schritte: er ist unwiderstehlich.»

«Ich fass' es wohl», fiel Anatolius, der Logothetes, ein, «Schlauheit gewinnt ihm die Herzen: tiefste Heuchelei, Verstellung, die all unsre viel gerühmte und gescholtene Griechenklugheit übertrifft. Der Barbar spielt die Rolle des erbarmenden Menschenfreundes so unübertrefflich täuschend, daß er beinahe auch mich getäuscht hätte, bis ich mir sagte, daß es dergleichen in der Welt nicht geben könne, was dieser Gote spielt wie ein Mime. Er tut, als ob er wirklich Erbarmen habe mit besiegten Feinden! Er speist die Hungernden, er läßt das erbeutete Geld deiner Steuerkassen, o Kaiser, unter die Landleute verteilen, deren Felder durch den Krieg gelitten. Er gibt den Männern die Weiber unversehrt zurück, die diese in die Wälder geflüchtet und seine Reiter, die allgegenwärtigen, gefunden haben. Er reitet unter Harfenspiel eines schönen Knaben, der ihm des Rosses Zügel führt, in die Dörfer ein. Weißt du, was die Folge ist? Deine eignen Untertanen, o Kaiser der Romäer, fallen ihm zu, tragen ihm Kundschaft, liefern ihm deine Beamten, die deinen strengen Steuergeboten gehorchten, in Ketten aus. So mich selber die Bauern und Colonen von Dodona.

Dieser Barbar ist der größte Schauspieler des Jahrhunderts. Denn Wahrheit kann's nicht sein.

Dieser kluge Heuchler hat aber zu noch viel mehr Dingen Verstand als zum Zuschlagen. Er hat mit den fernen Persern, mit deinem Erzfeind Choroës, Verbindungen angeknüpft zu gegenseitiger Waffenhilfe wider dich. Wir haben selbst die persischen Gesandten gesehen, die aus seinem Lager wieder ostwärts ritten.»

Der Makedonen-Hauptmann aber sprach: «Beherrscher der Romäer: seit Graf Teja die Heerstraße von Thessalonike gewonnen hat, steht nichts mehr zwischen deinem Thron und seiner schrecklichen Streitaxt als die Mauer dieser Stadt. Wer die ‹neuen Mauern› dort achtmal nacheinander bestürmt und aufs neuntemal erstiegen hat, der ersteigt aufs zehntemal die Wälle von Byzanz. Nur mit siebenfacher Übermacht hältst du die Goten auf. Hast du die nicht, dann schließe Friede.»

«Friede! Friede! Wir flehen dich an im Namen deiner zitternden Provinzen Epirus, Thessalien, Makedonien.»

«Schaff' uns die Goten aus dem Lande!»

«Laß nicht Alarichs, Theoderichs Tage sich schrecklicher erneuern.»

«Friede mit den Goten! Friede! Friede!»

Und alle die Gesandten, Bischöfe, Beamten, Krieger sanken auf die Knie mit dem flehenden Rufe: «Friede!»

Denn furchtbar war der Eindruck dieser Nachrichten auf die Versammlung.

Wohl kam es oft vor, daß an den äußersten Marken des Reiches Perser und Sarazenen im Osten, Mauern im Süden, Bulgaren und Slawen im Nordwesten plündernd über die Grenze brachen, auch wohl die nächsten Truppen schlugen und mit ihrem Raub ungestraft wieder entkamen.

Aber, daß auf die Dauer griechische Inseln von den Feinden besetzt, daß griechische Küstenstädte von Barbaren gewonnen und verwaltet, daß die Straßen von Byzanz von Germanen beherrscht wurden, – das war seit acht Jahrzehnten unerhört.

Mit Entsetzen gedachten die Senatoren der Tage, da gotische Schiffe und gotische Heere alle griechischen Inseln überzogen und wiederholt die Wälle von Byzanz bestürmten, nur durch Erfüllung aller ihrer Forderungen von der Erstürmung abzubringen: schon hörten sie die Beilschläge des schwarzen Teja an die Tore pochen. So lag der Ausdruck hilfloser Furcht auf allen Gesichtern.

Ruhig prüfend blickte Justinian zur Rechten und zur Linken auf die Reihen.

«Ihr habt gehört», begann er dann, «was Kirche, Staat und Heer verlangen. Ich fordre nun euren Rat. Waffenstillstand haben wir schon erreicht. Soll neuer Krieg, soll Friede daraus werden? Ein Wort erkauft den Frieden: Abtretung des doch verlornen Italiens. Wer von euch für den Krieg, erhebe seinen Arm.»

Kein Arm erhob sich.

Denn die Senatoren bangten für Byzanz; und sie hatten an der Friedensneigung des Kaisers keinen Zweifel.

«Einstimmig wählt mein Senat den Frieden. Ich sah's voraus», sagte Justinian mit einem seltsamen Lächeln. «Ich bin gewohnt, stets meinen weisen Räten zu folgen. Und meine Kaiserin?»

Da sprang Theodora wie eine bäumende Schlange von ihrem Sitz und schleuderte ihr elfenbeinernes kurzes Zepter so heftig von sich, daß es weit in den Saal hinabflog.

Schreck malte sich in den Zügen der Senatoren.

«So fahre hin», rief sie mit aller Anstrengung, «was mein Stolz gewesen, jahrelang: mein Glaube an Justinian und seine Kaiserhoheit! So fahre hin jeder Anteil an der Sorge für das Reich und seine Ehre. Wehe, Justinianus, wehe mir und dir, daß ich solche Worte hören mußte aus deinem Mund!»

Und sie verhüllte das Haupt in ihren Purpurmantel, die Schmerzen bergend, welche die Erregung ihr verursacht.

Der Kaiser wandte sich zu ihr: «Wie, die Augusta, unsre Gemahlin, die seit Belisars zweiter Heimkehr immer zum Frieden riet – mit kurzer Ausnahme –, sie rät, jetzt, in solchen Gefahren...?»

«Krieg!» rief Theodora, den Purpur fallenlassend.

Und ihr Angesicht wurde schön in hohem Ernst, wie es nie war in spielendem Scherz.

«Muß ich, dein Weib, dich mahnen an deine Ehre?

Du willst es dulden, daß Barbaren in deinem Reiche sich festsetzen, dich durch Bedrohung zu ihrem Willen zwingen? Du, der geträumt von Wiederherstellung des Reiches Constantins? Du, Justinianus, der du die Namen Persicus, Vandalicus, Alanicus und Goticus dir zugelegt, willst dulden, daß dieser gotische Jüngling dich am Barte dahin zerrt, wohin er will? Dann bist du nicht der Justinianus, den seit Jahren die Welt, Byzanz, Theodora bewundert. Ein Irrtum war unsere Verehrung.»

Da ermannte sich der Patriarch von Byzanz – er glaubte immer noch, der Kaiser habe den Frieden bereits unwiderruflich beschlossen – zum Widerstand gegen die Kaiserin, die leider nicht immer haarscharf die von ihm gerade vertretene, feine Schattierung der Rechtgläubigkeit traf.

«Wie», sprach er, «die erhabne Frau rät zum blutigen Krieg? Wahrlich, die heil'ge Kirche hat nicht Ursache, für die Ketzer zu sprechen. Indessen: der neue König ist wunderbar mild gegen die Katholiken in Italien, und man kann ja gelegnere Zeit abwarten, bis...»

«Nein, Priester», unterbrach Theodora, «die beschimpfte Ehre dieses Reiches kann nicht warten. O Justinianus» dieser schwieg immer noch beharrlich und schloß die Augen, auf daß deren Ausdruck nicht seine Stimmung verrate. «O Justinianus, laß mich, laß die Welt nicht irre an dir werden. Du darfst dir nicht schimpflich abtrotzen lassen, was du der Bitte verweigert! Muß ich dich mahnen, wie schon einmal deines Weibes Rat und Kraft und Mut dich, deine Ehre, deinen Thron gerettet hat?

Hast du vergessen den furchtbaren Aufstand der Nika?

Vergessen, wie die vereinten Parteien des Zirkus, die Grünen und die Blauen, der rasende Pöbel von Byzanz heranwogte gegen dieses Haus?

Die Flammen und die Rufe: ‹Nieder die Tyrannen!› schlugen zusammen über diesem Dach. Flucht oder Nachgeben rieten dir alle deine Räte, alle diese heiligen Bischöfe und weisen Senatoren, auch deine Heerführer. Denn Narses war fern in Asien. Und Belisar war schon eingeschlossen von den Rebellen im Meerpalast.

Alle verzagten sie, die Männer.

Da war dein Weib, Theodora, der einzige Held an deiner Seite. Gabst du nach oder flohest du, so war dein Thron, dein Leben, ganz gewiß aber deine Ehre verloren. Du schwanktest, du neigtest zur Flucht.

‹Bleib und, wenn es sein muß, stirb›, sagte ich damals, Justinian, ‹aber stirb im Purpur.›

Und du bliebest, und dein Mut hat dich gerettet. Du harrtest aus, den Tod auf dem Thron erwartend mit mir – aber – Gott sandte Belisar zum Entsatz und Sieg.

So spreche ich auch jetzt. Weiche nicht, Kaiser der Romäer, gib nicht nach den Barbaren. Bleibe fest: laß dich von den Trümmern des goldnen Tors begraben, sprengt es jenes wütigen Goten Beil.

Aber stirb als Kaiser!

Befleckt ist dieser Purpur von maßloser Frechheit der Germanen. Hier werf' ich ihn von mir, und ich schwör's, bei der heiligen Weisheit Gottes: nicht eher wieder leg' ich ihn an, bis kein Gote mehr auf dieses Reiches Boden steht.»

Und sie riß den Purpurmantel ab und schleuderte ihn auf die Stufen des Thrones: dann aber, tief erschöpft, war sie im Begriff, auf den Sitz zurückzusinken.

Allein Justinianus fing sie auf in seinen Armen und drückte sie an seine Brust. «Theodora», rief er mit leuchtenden Augen, «mein herrlich Weib!

Du brauchst keinen Purpur um die Schultern: dein Geist ist in Purpur gekleidet. Du allein verstehst Justinianus. Krieg und Verderben den Barbaren!»

Schrecken und Staunen befiel die bebenden Senatoren bei diesem Schauspiel.

«Ja», sprach der Kaiser, zu diesen gewendet, «weise Väter, diesmal waret ihr allzuklug, um weise, um Männer zu sein. Wohl ist es eine Ehre, der Nachfolger Constantins zu heißen. Aber keine Ehre ist es, euer Herr zu sein. Recht haben, fürcht' ich, unsre Feinde: nur den Namen, die tote Mumie Romas hat Constantin hierher verpflanzt, die Seele Romas war bereits entflohn.

Weh um dies Reich! Wär' es frei, wär' es Republik: – es wäre heute versunken in Schande. Einen Herrn muß es haben, der es, wie ein faules Roß, aus dem Sumpf, darin es zu versinken droht, emporreißt, ein scharfer Reiter mit Peitsche, Zügel und Sporn.»

Da drängte sich durch die Eingangstüren ein kleiner, gebückter Mann, auf eine Krücke gestützt, und hinkte durch den Saal bis vor den Thron.

«Kaiser der Romäer», hob er an, von seiner Proskynese sich erhebend, «auf meinem Schmerzenslager erreichte mich dunkle Kunde, von dem, was die Barbaren gewagt, von dem, was hier entschieden werden soll in dieser Stunde. Da rafft' ich mich empor und schleppte mich mühsam hierher: denn ich muß es erfahren, durch ein Wort deines Mundes, ob ich von jeher ein Narr gewesen, daß ich dich, trotz vieler Kleinheiten, für einen großen Herrscher hielt, ob ich deinen Feldherrnstab in den tiefsten Brunnen werfen muß, oder ob ich ihn noch tragen kann mit Ehren? Sprich nur ein Wort. Krieg oder Friede?»

«Krieg, Magister Militum!» sagte Justinian, und sein hehres Antlitz strahlte.

«Sieg, Justinianus», rief der Feldherr und warf die Krücke weg. «Oh, laß mich deine Hand küssen, Imperator.» Und er hinkte die Stufen des Thrones hinauf.

«Aber Patricius», höhnte Theodora, «du bist ja auf einmal ein Mann? Du warst doch immer gegen den Gotenkrieg! Hast du plötzlich Sinn für Ehre?»

«Was Ehre!» rief Narses. «Dieser bunten Seifenblase mag Belisarius, das große Kind, nachlaufen. Nicht die Ehre: das Reich steht auf dem Spiel.

Solang ernste Gefahr vom Osten drohte, riet ich zum Perserkrieg. Von den Goten drohte nichts. Nun aber haben deine Frömmigkeit, o Kaiserin, und des Belisarius Heldenschwert so lang in dies Hornissennest gestochen, bis uns der Schwarm gefährlich um das Antlitz fliegt. Jetzt droht die Gefahr dringend, brennend von dort: und Narses rät zum Gotenkrieg. Die Goten stehen näher bei Byzanz, als Chosroë unsrer Ostgrenze steht. Wer, wie dieser Totila, ein Reich aus dem Abgrund zieht, kann viel leichter ein andres in den Abgrund stürzen. Dieser junge König ist ein Wundertäter, dem man beizeiten die Mirakel legen muß.»

«Diesmal erlebe ich», sprach Justinian, «die seltene Freude, daß meine Kaiserin und Narses eines Sinnes sind.» Und er war im Begriff, die Versammlung zu entlassen.

Da ergriff die Kaiserin seinen Arm: «Halt», sprach sie, «mein Gemahl, ich habe mir heute zum zweitenmal die Ehre erworben, dein bester Berater zu sein. Nicht wahr? Wohlan, so höre mich weiter und folge auch meinem weitern Rat.

Halte diese ganze weise Versammlung außer Narses bis morgen im Palast gefangen. Zittert nicht, ihr Illustrissimi: es gilt diesmal nicht das Leben. Aber ihr könnt nicht schweigen, ausgenommen mit abgeschnittenen Zungen. Dieses Mittel mag für diesmal durch Einsperrung ersetzt werden. Höre, Justinianus: es besteht eine Verschwörung wider dein Leben oder doch wider deine freien Entschlüsse.

Man wollte dich zum Kriege mit den Goten zwingen. Dieser ist nun zwar beschlossen. Aber heute in der Nacht oder morgen früh schon bricht die Verschwörung los: es gilt, die Verschwornen gewähren zu lassen.

Man darf sie nicht durch die Mitteilung, daß ihr Zweck ohnehin erreicht sei, abhalten von ihrem Tun.

Gefährliche, längst verdächtige und – o Justinianus – sehr, sehr reiche Leute sind darunter. Es wäre schade, wenn sie meinem aufgestellten Netz entgingen.»

Justinianus war nicht erschrocken bei dem Wort Verschwörung.

«Auch ich wußte davon», sagte er. «Aber schon so weit gediehn? Morgen früh schon? Theodora», rief er, «du bist mehr für das Reich als Belisar und Narses. Auf, Archon der Goldschildner, du hältst alle hier Versammelten gefangen, bis Narses kommt, sie abzuholen. Denkt nach indessen über diese Stunde, fromme und weise Väter, und ihre Lehren. Narses, folge uns und der Kaiserin.»

Und er schritt die Stufen des Thrones hinab.

Die Eingangsbogen wurden von starrenden Speeren erfüllt.


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