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IV.

Mißstimmung in mehreren Teilen des Reichs. – Die Ursachen, welche einige Betrüger dazu veranlaßten, den Namen Peters III. anzunehmen. – Pugatschews Aufruhr. – Seine Erfolge. – Der Tod desselben. – Potiomkin wird Katharinas Günstling. – Reise nach Moskau. – Sawadowskijs Erhebung zum Günstling. – Tod der ersten Gemahlin des Großfürsten. – Pauls Reise nach Berlin. – Seine zweite Ehe. – Soritsch wird Favorit.

Natalie Alexiewna

Das Glück der Kaiserin verdunkelte sich, ja, es schien für einen Augenblick zu erlöschen. Stürme der drohendsten Art waren in den entlegensten Provinzen des Reiches ausgebrochen, näherten sich dem Mittelpunkte ihrer Residenz und schienen den Thron Katharinas umstürzen zu wollen. Bei den meisten ihrer Untertanen hatte sie eine mit Haß gemischte Unzufriedenheit erregt. Die Großen fanden sich durch ihre Launen und den das Reich zugrunde richtenden Luxus ihrer Günstlinge beleidigt; die Priester grollten ihr immer noch über den Verlust der geistlichen Privilegien; das Volk seufzte unter einem Druck, der ihm früher nie so unerträglich vorgekommen war, und die Bauern endlich waren in Verzweiflung, daß man ihnen ihre Söhne gewaltsam entriß, um die Armeen neu zu rekrutieren, welche durch die Kämpfe und ansteckenden Seuchen an den Ufern der Donau dahingerafft wurden. Die Kosaken am Don gaben das erste Signal zur Erhebung. Sie hatten einen Mann zu ihrem Anführer gewählt, dem es bald glückte, mehrere Provinzen zu revoltieren, und der, wenn er es besser verstanden hätte, die von ihm erzielten Erfolge zu benutzen, ohne Zweifel Rußlands Geschick hätte wenden können.

Die Popen konnten Katharina nie verzeihen, daß sie das Versprechen, ihnen ihre Privilegien zurückzugeben, gebrochen hatte. Sie glaubten nun in dem Manne, der als Führer des Aufstandes aufgetreten war, das sicherste Werkzeug zur Ausführung ihrer Rache gewonnen zu haben; in schlauer Berechnung der Leichtgläubigkeit des Volkes und in Erinnerung des Glücks, das dem Pseudo-Demetrius Wahrscheinlich ein Mönch aus dem Kloster Tschudow, namens Grischka Otrepjew, der im Jahre 1603 auftrat und 1605 in Moskau gekrönt wurde. in der russischen Geschichte geblüht hatte, hatten sie im stillen das Gerücht verbreitet, Peter III. sei nicht tot, sondern nur gefangen gewesen, sei nun entkommen und werde bald hervortreten, um den ihm geraubten Thron wieder zurückzufordern.

Man sah dann zuerst in der Provinz Woronesh einen falschen Peter III. auftreten; aber er wurde sogleich ergriffen, als Betrüger entlarvt und gehängt.

Einige Jahre darauf erschien ein Deserteur vom Regiment Orlow, mit Namen Tschernyschew, an der Grenze der Krim und gab sich daselbst für den toten Kaiser aus. Die Popen verschafften ihm eine Menge Anhänger und bereiteten sich schon darauf vor, ihn zu krönen, als ein Oberst der russischen Truppen, welcher davon benachrichtigt wurde, daß Tschernyschew das Volk aufwiegle, sich des Deserteurs bemächtigte und ihm den Kopf abschlagen ließ.

In Montenegro, welches damals eine tributpflichtige Provinz des ottomanischen Reiches war, benutzte ein Arzt, mit Namen Stephano, den Enthusiasmus, welchen allein der russische Name den griechisch-orthodoxen Christen in dieser Provinz einflößte, dazu, diese glauben zu machen, daß er selbst Peter III. sei. Der Bischof und die Mönche unterstützten ihn aufs wärmste, und diese Betrügerei veranlaßte das Volk zu einem Auflauf. Bald aber zwangen die Janitscharen Stephano, die Flucht zu ergreifen, und glücklicher als die beiden vor ihm aufgetretenen Betrüger entkam er dem Schafott.

Ein anderer falscher Peter III. zeigte sich in Gestalt eines geborenen Leibeigenen der Familie Woronzow. Er flüchtete sich zu den Kosaken und folgte einem Trupp derselben, welcher sich mit der russischen Armee vereinigen sollte. Als man zu einer der Lagerstationen gekommen war, die man zwischen dem Don und der Wolga findet, sammelte er seine Kameraden um sich und gab ihnen die Versicherung, daß sie in ihm die Person des entthronten Peters III. sähen. Diese ebenso einfältige und leicht zu täuschende, als barbarische Truppe glaubte ihm, erkannte ihn als Kaiser an und schwur, für seine Verteidigung zu sterben. Er ernannte sogleich seine Minister, seine Generale und trug seine Krone mit einer solchen Sicherheit, als hätte er ein mächtiges Reich und eine gewaltige Armee hinter sich. Aber seine Regierung hatte nur die kurze Dauer eines einzigen Tages. Ein russischer Offizier kam, ergriff die neue Majestät bei den Haaren, ließ sie sodann durch seine eigenen, so leicht erworbenen Untertanen fesseln und in die nächste Stadt führen. Dort suchten einzelne Soldaten mit Hilfe der von den Mönchen aufgewiegelten Einwohner den Betrüger zu befreien. Aber der Kommandant der Festung, deren Garnison dem größeren Teile nach treu geblieben war, zerstreute die Rebellen durch einen Bajonettangriff und machte dem Aufstande ein schnelles Ende. Der Betrüger wurde zur Knute verurteilt und endete sein Leben unter den Händen des Büttels.

Ein Gefangener in Irkutsk wollte dieselbe Rolle spielen, wurde aber auch wie jene vier von demselben Geschick ereilt. Helbig, Biographie Peters III., Bd. II, S. 198 – 200. Alle diese tragisch endenden Farcen waren aber nur die Vorläufer zu den blutigen Szenen, welche von einem geschickteren Betrüger vorbereitet wurden.

Imelka Pugatschew

Jemeljan oder Jemelka Pugatschew war der Sohn eines Kosaken und 1726 an den Ufern des Don geboren. Pugatschew zählte zur Zeit des Aufstands noch nicht vierzig Jahre. Er war von mittlerer Größe, bräunlicher Gesichtsfarbe und hager, hatte dunkelrotes Haar und einen schwarzen, kurzen, spitz zulaufenden Bart. Einer der oberen Zähne war ihm, als er noch ein Knabe, ausgeschlagen worden. Auf der linken Schläfe hatte er einen weißen Flecken und auf der Brust Spuren der sogenannten schwarzen Krankheit. Er war des Lesens und Schreibens unkundig und bekreuzigte sich nach Art der Sektierer. Vergl. Alexander Puschkin, Geschichte des Pugatschewschen Aufruhrs, Stuttgart 1840, S. 105 Er diente im Beginn seiner Laufbahn als einfacher Reiter in der Armee der Kaiserin Elisabeth im Feldzuge des Jahres 1756 gegen den König von Preußen und nahm auch noch später an dem Kriege des Jahres 1769 gegen die Türken teil. Er kämpfte unter dem General P. J. Panin bei der Belagerung von Bender mit und hielt nach der Einnahme dieser Stadt um seine Entlassung an; als man ihm dieselbe aber verweigerte, floh er zu seinem in Taganrog angesiedelten Schwager, zettelte mit diesem eine Verschwörung an, flüchtete nach einer vorzeitigen Entdeckung, wurde ergriffen, entfloh aus der Haft, geriet abermals in die Gewalt der Obrigkeit und rettete sich zum zweitenmal, indem er heimlich nach Kleinrußland floh.

Dort wanderte er als angeblicher Sektierer im Lande umher und nahm seine Zuflucht bei den in Kleinrußland in großer Zahl ansässigen Altgläubigen, die sich zu der Lehre bekennen, welche die primitive griechische christliche Gemeinde vortrug. Diese Sektierer werden von den orthodoxen Griechen »Raskolniki« genannt, was der römisch-katholischen Bezeichnung »Ketzer« gleichkommt. (Anmerkung des Verfassers.)

Aus Furcht, irgendwo als Deserteur erkannt zu werden, begab sich Pugatschew bald wieder aus Kleinrußland hinweg und suchte die Kosaken am Don auf. Von dort ging er später zu den Bewohnern der Ufer des Jaik, eines Flusses, welchem Katharina später, um damit das Andenken an die Erhebung Pugatschews zu vernichten, seinen Namen nahm und fortan Ural zu nennen befahl. Hier vertraute er mehreren Kosaken seine Absicht an, sich eine Partei zu bilden, und bewog sie, ihm in die Berge des Kaukasus zu folgen, indem er ihnen die Versicherung gab, daß sie dort mächtige Hilfe finden würden. Man wußte noch nicht, daß er sich für Peter III. ausgeben wollte; als man aber erfuhr, daß er das Volk zum Aufruhr aufwiegele, verhaftete man ihn und sandte ihn nach Kasan, von wo er im Mai 1773 seinen Wächtern gerade in dem Augenblicke entfloh, als die Bestätigung seiner Verurteilung zur körperlichen Strafe und zur Deportation nach Pelim eintraf. Brückner, Katharina II., S. 189. Sogleich sammelte er einige seiner früheren Kameraden um sich, begab sich die Wolga abwärts bis zur Mündung des Irgis, ging dann diesen Fluß hinauf und kam so in die Wüste. Dort machte er halt und sah seine Truppe täglich wachsen. Sobald er glaubte eine Partei zu haben, die mächtig genug für sein Unternehmen war, erklärte er öffentlich, er sei Kaiser Peter III., der durch ein Wunder des Himmels den Händen seiner Mörder entkommen sei.

Unter den Kosaken an den Ufern des Jaik war bereits eine Empörung ausgebrochen. Die Eingeborenen hingen dort mit einer solchen Zähigkeit an ihren religiösen Vorurteilen und Sitten, daß man diese nicht ungestraft antasten durfte. Man hatte ihnen einen großen Teil ihrer Weideplätze geraubt, deren sie für ihr zahlreiches Vieh bedurften, und forderte außerdem Rekruten von ihnen, um ein Husarenregiment daraus zu bilden. Sie lieferten dieselben, als man aber den Rekruten befahl, sich die Bärte abscheren zu lassen, weigerten sie sich, dem Befehl Gehorsam zu leisten. General Traubenberg, ein Livländer, verachtete ihre auf vernünftige Weise gemachten Vorstellungen und ließ sie gewaltsam auf einem öffentlichen Platz rasieren. Die Bewohner der Jaikufer, über diese Gewalttat empört, welche sie für eine Schändung ihrer religiösen Grundsätze ansahen, griffen zu den Waffen und töteten Traubenberg und mehrere seiner Offiziere. Zu Anfang des darauf folgenden Jahres kam der General Freimann in das Land, um am Jaik die Ordnung wiederherzustellen und den Gesetzen Geltung zu verschaffen; er bestrafte die Anstifter der Revolte auf grausame Weise.

Pugatschew, der sich die Verwirrungen, die am Jaik herrschten, zunutze machen wollte, begab sich heimlich dorthin und wußte sich Freunde unter der noch immer aufgeregten Bevölkerung zu verschaffen. Die Mönche hatten schon verkündigt, daß sich ein neuer von Gott geweihter Kaiser offenbaren würde, und das gegen den Gouverneur aufgereizte Volk und die Soldaten lebten der Hoffnung, daß dieser Kaiser sie befreien und gegen den Gouverneur in Schutz nehmen würde.

Als Pugatschew erfuhr, daß die Kosaken aufs neue im Aufstande begriffen seien und sich ein Teil derselben in die Sumpfgegenden zurückgezogen hätte, suchte er jene auf und gab sich ihnen jetzt als Peter III. zu erkennen, indem er ihnen sagte: »daß er sich in dem Augenblicke aus dem Gefängnisse gerettet habe, als man ihn habe erdrosseln wollen, daß ferner die Treulosen, die ihn vom Throne gestürzt hätten und die jetzt noch seine Rückkehr fürchteten, das falsche Gerücht seines Todes absichtlich ausgesprengt hätten, daß er genötigt gewesen sei, sich in die Kleidung eines Kosaken zu stecken und die Waffen für seine Verfolger zu ergreifen, daß er sich endlich bei Getreuen seiner Untertanen hätte verbergen müssen, denen er sich zu erkennen gegeben habe. Als er von diesen die Kenntnis erhalten habe, daß die tapferen Kosaken des Jaik beschlossen hätten, das Joch der Eroberin abzuschütteln, habe er sich sogleich aufgemacht und sei nun da, um sich in ihren Schutz zu begeben und ihnen seine Person zu gemeinschaftlicher Rache anzubieten.«

Die an und für sich schon aufrührerischen Kosaken waren für seine Wünsche leicht gewonnen. Durch die Mönche schon darauf vorbereitet, bald einen Kaiser unter sich erscheinen zu sehen, der ihre Religion verteidigen werde, glaubten sie alles, was Pugatschew ihnen sagte, erkannten ihn als Czar Peter III. an und schwuren, ihm wieder zu seinem Throne zu verhelfen oder ihr Leben bei seiner Verteidigung zu opfern. Pugatschew griff nun, von diesen Kosakenstämmen, seinen ersten Anhängern und vielen anderen begleitet, die ihm seit seinen wachsenden Erfolgen zuströmten, die Kolonien an, welche erst kürzlich auf Befehl der Kaiserin an den Ufern des Irgis angelegt waren. Er bedurfte ihrer Waffen und Pferde. Widerstand fand er nicht viel, er begnügte sich daher mit Wegnahme des ihm Nötigen und fügte weder den Kolonien noch den Kolonisten irgendeinen Schaden weiter zu. Diese Mäßigung war übrigens nur Verstellung, wie die bald darauf folgende barbarische Wildheit bewies. Mit einem Trupp, welcher bereits bis auf 14 000 Mann angewachsen war, zeigte er sich nun vor den Toren von Jaizk. Er übersandte dem Gouverneur Oberstleutnant Simonow. eine von ihm als Peter lll. unterzeichnete Aufforderung, welche diesem befahl, die Stadt zu übergeben. Als sich der Gouverneur weigerte, dieser Aufforderung Folge zu leisten, befahl Pugatschew die Erstürmung der Stadt, wurde aber von der Besatzung mutig zurückgeschlagen. Er beschloß darauf die Stadt zu blockieren und sie durch Hunger zur Übergabe zu zwingen. Aber auch dieses Unternehmen war erfolglos, und der Eifer der tapferen Garnison wurde belohnt: eine bedeutende russische Truppenmacht kam und rettete sie vor dem Blutbade, welches die Rebellen anzustellen beabsichtigt hatten.

Pugatschew machte sich für diesen Mißerfolg schadlos. Er überrumpelte die Kolonien am Ilek und eroberte mit dem Säbel in der Hand die beiden Festungen, welche dieselben verteidigten. Die Festung Tatitschewskaja, die er darauf angriff, ergab sich ohne Widerstand.

Nachdem Pugatschews Armee durch teilweise erzwungene, teilweise ihm aber auch freiwillig zugekommene Rekrutierungen bedeutend verstärkt war, beschlossen die Rebellen zur Eroberung von Orenburg zu schreiten. Der tapfere einsichtsvolle Gouverneur, General Reinsdorf, traf die besten Anstalten zur Verteidigung dieser befestigten Stadt, denn um Pugatschew im offenen Felde bekämpfen zu können, fehlte es ihm an der nötigen Mannschaft. Dagegen warb das Gerücht von den Erfolgen Pugatschews letzterem immer neue Anhänger. Ganze Horden kamen und stellten sich unter seinen Befehl. Die Baschkiren, ein Volk geborener Jäger, welches innerhalb der Grenzen des russischen Reiches lebte, erklärte sich für die Rebellen und versah sie mit zahlreichen Rekruten besten Schlages. Die Kirgisen folgten dem Beispiele der Baschkiren, und die Revolte verbreitete sich in sehr kurzer Zeit über alle Teile der von diesen Völkern bewohnten Landschaft. Die zur Arbeit in den Kupfergruben der uralischen Gebirge verwandten Bauern verließen in Massen ihren beschwerlichen Beruf und griffen gleichfalls gegen ihre Unterdrücker zu den Waffen.

Pugatschew setzte inzwischen die Belagerung Orenburgs mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft fort. Während er von dem einen Teil seiner Truppen Schanzen aufwerfen ließ, mußte sich der andere auf räuberische Weise in den Besitz allen Kupfers setzen, was in den Bergwerken vorrätig war. Daraus ließ er dann Kanonen und Kugeln gießen, um mit ihnen die Stadt zu beschießen. Trotz aller gewonnenen Hilfsmittel mußte er einen Teil des Winters mit dieser Belagerung verbringen, während welcher er sich den wildesten Exzessen und Grausamkeiten überließ. Sein Hauptquartier war eine Höhle des Mordes und der niedrigsten Ausschweifungen. Im Lager wimmelte es von Offiziersfrauen und Töchtern, die den Straßenräubern preisgegeben waren. Jeden Tag fanden Hinrichtungen statt; die Hohlwege um Berda waren mit den Leichnamen erschossener, erdrosselter und gevierteilter Märtyrer angefüllt. Puschkin, S. 61/62.

Die Rebellen hatten nunmehr eine so zahlreiche Armee zusammengebracht, daß die Regimenter, welche ihnen von Kasan aus entgegengeschickt waren, mehr als einmal bei der Verteidigung der Gebirgsdefileen, die auf dem Wege zwischen Orenburg und dieser Stadt durchschritten werden müssen, zurückgeworfen wurden. Stolz auf alle diese Siege sengte und brannte Pugatschew im Gouvernement Orenburg auf die barbarischste Weise. Nur die kleine Stadt Ufa leistete ihm einigen Widerstand. Er überließ später die Fortsetzung der Belagerung Orenburgs einem seiner Unterchefs und marschierte selbst rasch auf Jekatherinenburg, da er wußte, daß dort für mehr als eine Million Rubel in neu geschlagener Kupfermünze aufbewahrt wurden. Nur ein glücklicher Zufall rettete diese Stadt vor dem traurigen Schicksal, in die Hände des wilden Rebellen zu fallen. In dem Augenblick nämlich, als sich Pugatschew derselben näherte, erhielt er die Nachricht, daß eine russische Armee, bei weitem stärker, als die seinige, von einer anderen Seite her im Anmarsch sei. Er glaubte dies, und seinen Anmarsch hemmend, um sich zu konzentrieren, gab er den russischen Regimentern, welche an der sibirischen Grenze zerstreut standen, Zeit und Gelegenheit, zur Verteidigung von Jekatherinenburg herbeizueilen.

Während der ersten Periode der Erhebung zeigte Pugatschew Mäßigkeit und Religiosität. Er trug bischöfliche Tracht, erteilte den Segen, versicherte, daß er durchaus nichts für sich erstrebe, sondern daß es nur seine Absicht sei, den Großfürsten Paul Petrowitsch auf den Thron zu setzen, Bibikow berichtet in seinen Memoiren (Moskau 1865, S. 129), man habe Pugatschew oft das Bildnis Pauls küssen sehen. Nach anderen Quellen hatte er einen jungen Menschen in seiner Umgebung, den er dem Volke als seinen Sohn, den Großfürsten, vorstellte. In seinen Reden nahm er oft auf Paul Bezug. So sagte er einmal unter Tränen: »Wolle mir Gott doch die Gnade verleihen, mich nach Petersburg gelangen und dort meinen Sohn wohlbehalten sehen lassen.« um sodann seine Tage unter den frommen Einsiedlern zu verbringen, die ihn mit so großer Gastfreiheit verborgen gehalten hätten, nachdem er seinen Mördern entkommen. Hierdurch gewann er die Soldaten und versicherte sich des Sieges. In jenen Tagen auch noch Mut mit Tätigkeit verbindend, benutzte er klüglich jede sich ihm darbietende Gelegenheit, um seine Macht zu festigen. Er besaß den Vorteil, das Land zu kennen und die Unvorsichtigkeit der Russen richtig einzuschätzen. Er hatte eben erst eine Ortschaft geplündert, als er auch schon zu einer neuen Belagerung weitereilte, und kaum hatte er eine Stadt eingenommen, als er auch sofort ein Bataillon zu ihrer Besetzung bestimmte. Aber dieser Mann, der so schnell über die Ungunst des Glücks triumphierte, verstand es nicht, die Gunst desselben zu benutzen. Die Erfolge machten ihn übermütig, und er glaubte in sich selbst die Mittel zu haben, jedes ihm entgegenstehende Hindernis zu besiegen. Er legte jetzt alle Verstellung ab und überließ sich ganz seiner blutgierigen Natur, sowie seinen brutalen Leidenschaften; er kühlte aber dadurch den Enthusiasmus seiner eigenen Anhänger ab, gab seinen Feinden Zeit, sich zu wappnen, und führte in dieser Weise selbst einen plötzlichen Stillstand seiner glänzenden Laufbahn herbei.

Der Geist des Aufstandes war bis nach Moskau verbreitet. Feldmarschall Rumiantzow hatte sich an der Donau nicht zu schwächen und Hilfe gegen die Rebellen zu senden gewagt. Moskau wurde nur von einer schwachen Garnison verteidigt, und Pugatschew hätte sich daselbst nur zu zeigen brauchen, um sich der Hauptstadt des alten Rußlands zu bemächtigen, aber er versäumte es, sich schnell dorthin zu begeben, und verlor dadurch eine Armee von hunderttausend Leibeigenen, welche ihn sehnsüchtig erwarteten, und die bei der ersten Nachricht von seiner Annäherung sofort ihre Fesseln gebrochen haben würden.

Pugatschew benutzte nicht einmal die Vorteile, die er in den eroberten Provinzen gewonnen hatte. Er brachte den größten Teil des Winters mit den unnützen Belagerungen von Orenburg und Jaizk zu. Seine Beschäftigung vor Orenburg bestand darin, eigenhändig allen Edelleuten, die man ihm gefangen zuführte, die Köpfe abzuschlagen. Er mordete so ungefähr dreitausend Menschen und schonte in seiner Wut weder Weiber noch Kinder. Ganze Familien wurden ausgerottet. Er wollte, sagte er, das Blut dieses tyrannischen und stolzen russischen Adels bis auf den letzten Tropfen ausgießen. Aber in einem bizarren Widerspruch gab er seinen Anhängern adlige Namen und schmückte dieselben mit den Orden, welche man den ermordeten Offizieren abnahm. Der Kosak Tschika hieß Graf Tschernyschew und erhielt die Würde eines Feldmarschalls; andere Kosaken hießen Graf Orlow, Graf Woronzow, Graf Panin. Ein ehemaliger Räuber, welcher der Nase beraubt und gebrandmarkt war, bekleidete die Würde eines Artilleriechefs. Seiner Entstellung sich schämend, trug er ein Netz über dem Gesicht oder verdeckte dieses mit dem Rockärmel, als wolle er sich gegen die Kälte schützen. Puschkin, S. 66/67.

Dadurch, daß er jetzt den religiösen Vorurteilen, denen er sich im Anfang seiner gefährlichen Laufbahn so eifrig ergeben gezeigt hatte, Trotz bot, entfremdete er sich einen Teil seiner Anhänger. Obschon er bereits seit einigen Jahren mit der Tochter eines Kosaken vermählt war und mit ihr drei Kinder hatte, umgab er sich in Nachahmung der von russischen Herrschern gegebenen Beispiele mit einer Anzahl von »Fräulein« und feierte Bacchanalien, die vollkommen dem Wert seiner Umgebung entsprachen.

Katharina geriet über den Fortschritt dieser Revolution, die den Bestand ihres Thrones zu bedrohen schien, in Schrecken und beschäftigte sich nun eifrig damit, ein Mittel aufzufinden, um ein Weiterumsichgreifen zu verhindern. Sie rief den General Bibikow Alexander Iljitsch Bibikow, 1729–1774. von der türkischen Grenze zurück, gab ihm den Oberbefehl über eine bedeutende Armee und die Instruktion, gegen die Rebellen vorzurücken. Die Ernennung Bibikows zum Diktator im Osten wurde allgemein als eine offizielle Bestätigung der bis dahin vertuschten oder nicht übermäßig schwer genommenen Nachrichten über den Umfang der Empörung angesehen. Nachdem Katharina die volle Tragweite einmal erkannt, handelte sie entschlossen und ohne eine Minute zu verlieren. »Ich habe vor zwei Jahren die Pest im Herzen des Reichs gehabt«, schrieb sie am 10. Dezember 1773 an J. J. Sievers, den ihr nahestehenden Gouverneur von Nowgorod, »jetzt habe ich an den Grenzen des Königreichs eine politische Pest, die uns was zu raten aufgibt. Ihr teurer und würdiger Mitbruder Reinsdorf wird seit zwei Monden von einer Räuberbande belagert, die schreckliche Frevel und Verwüstungen anrichtet. General Bibikow geht dahin mit den Truppen, die durch Ihr Gouvernement gekommen sind, um diesen Greuel des XVIII. Jahrhunderts zu beschwichtigen, der Rußland weder Ehre, noch Ruhm, noch Vorteil bringen wird. Doch zuletzt mit Gottes Hilfe hoffe ich, werden wir die Oberhand behalten; denn es gibt weder Verstand, noch Ordnung, noch Geschick auf Seiten jenes Lumpengesindels dort; sondern das sind zusammengeraffte Schurken, an deren Spitze ein ebenso frecher als unverschämter Betrüger steht. Doch wird dies gleichfalls mit Hängen endigen. Aber welche Aussicht, Herr Gouverneur, für mich, die das Hängen nicht liebt? Europa wird in seiner Meinung uns in die Zeit des Czaren Iwan Wassiljewitsch zurückverweisen; solche Ehre müssen wir für das Reich von diesem verächtlichen Jungenstreich erwarten.« Blum, Ein russischer Staatsmann, Bd. II, S. 33/34.] Zu derselben Zeit ließ sie ebensowohl in Petersburg als in den anderen Städten des Reiches ein beruhigendes Manifest und mehrere Ukase publizieren, welche die Nachricht von Bibikows Abmarsch verkündeten. In dem einen wurde das Volk ermahnt, fortan keinen anderen Befehlen zu gehorchen, als solchen, welche die eigenhändige Unterschrift der Kaiserin trügen. In den anderen wurden die Deserteure und vor allem die Donschen und Jaikschen Kosaken aufgefordert, wieder unter die Fahnen der Kaiserin zurückzukehren, und ihnen eine Amnestie versprochen, falls sie bis zum 1. April des nächstfolgenden Jahres wieder eintreten würden. Pugatschew wurde für vogelfrei erklärt, und hunderttausend Rubel wurden für denjenigen als Belohnung ausgesetzt, der ihn töten würde.

Aber auch Pugatschew sparte der Worte nicht. Er erließ Manifeste über Manifeste und veröffentlichte sie jederzeit unter dem Namen Peters III. Auch ließ er Rubel mit seinem Bilde schlagen, die auf der Vorderseite die Umschrift trugen: »Peter III., Kaiser aller Russen«, während man auf der Rückseite las: »Redivivus et ultor.«

Inzwischen war dem General Bibikow schon in Kasan die Nachricht zugegangen, daß die Rebellen sich Samaras bemächtigt hätten, weshalb er einen Teil seiner Armee dahin sandte, um ihnen diesen Platz wieder abzunehmen. Die Belagerung dauerte nicht lange. Die Rebellen mußten die Stadt nebst acht Kanonen übergeben, und zweihundert Mann wurden dabei zu Gefangenen gemacht.

Der Adel von Kasan wurde darauf augenblicklich zusammenberufen, und General Bibikow ermahnte ihn, sich mit ihm zu vereinigen, um die Erhebung zu dämpfen. Der Adel war um so mehr dazu geneigt, als es diesmal galt, mit der Sache der Kaiserin zugleich sein Leben und Eigentum zu verteidigen. Diesem Beispiel folgte dann der Adel von Simbirsk und einigen anderen Distrikten. Die Regimenter, welche in diesen neugewonnenen Distrikten ausgehoben und organisiert wurden, vermehrten die Stärke der Armee in beträchtlicher Weise.

General Bibikow, der an der Spitze von 35 000 Mann vorgerückt war, beeilte sich zunächst, Orenburg zu Hilfe zu kommen. Um seine Truppen rascher an den Feind zu bringen, ließ Bibikow auf Sievers Rat einen Teil der Mannschaften auf Schlitten transportieren. Blum, Ein russischer Staatsmann, Bd. II, S. 34 Die Rebellen hatten sich gegen Tatitschewskaja zurückgezogen. Bibikow befahl nun dem Generalmajor Fürsten Golitzyn, mit einer bedeutenden Heeresmacht zu folgen. Dieser ließ die Eiswälle der Festung stürmen, nahm 2000 Aufrührer gefangen und jagte die übrigen auseinander. Damit war Orenburg entsetzt, und unter dem Jubel der Einwohnerschaft zogen die sehnsüchtig erwarteten Befreier am 26. März 1774 in die Stadt ein. Fast gleichzeitig mit diesen militärischen Erfolgen kam die Nachricht von dem Tode Bibikows nach Petersburg, der am 9. April einem hitzigen Fieber erlegen war. Das blaue Band, die Senatorwürde und die Ernennung zum Obersten der Garde fanden ihn nicht mehr am Leben. Ebendaselbst, S. 21/23. Puschkin, S. 145.

Ein paar Tage darauf griff Fürst Golitzyn die Rebellen aufs neue an, und zwar in der Nähe von Karganla, in einer Entfernung von zwölf Meilen von Orenburg; er tötete eine große Anzahl der Empörer und zerstreute den Rest. Nachdem Pugatschew, der volle sechs Stunden hintereinander gekämpft hatte, sich vollständig geschlagen sah, flüchtete er und rettete sich in die uralischen Berge, wo seine Anhänger ihn aufsuchten und sich wieder um ihn scharten. Ganz plötzlich erschien er mit einer neuen Armee auf dem Schauplatze, bemächtigte sich mehrerer Plätze östlich des Gebirges und übergab die, welche nur den geringsten Widerstand geleistet hatten, den Flammen. Aber er wurde von einer russischen Truppe geschlagen und aufs neue gezwungen, seine Rettung in der Unzugänglichkeit des Gebirges zu suchen. Nun sah er ein, daß die einzige Möglichkeit, die ihm noch übrigblieb, die war, seinen Ruf durch irgendeine glänzende und wirklich hervorragende Tat aufzufrischen und womöglich zu erhöhen. Er brach deshalb plötzlich wieder aus den Bergen hervor und marschierte rasch gegen Kasan, überall auf seinem Wege blutige Spuren der gräßlichsten Grausamkeit zurücklassend, und setzte, sobald er Kasan erreicht hatte, 12. Juli 1774. die Vorstädte in Brand. Ja, er würde die Stadt eingenommen haben, wenn nicht der Oberst Michelson derselben in großer Eile zu Hilfe gekommen wäre. Pugatschew wagte nicht, Michelsons Ankunft abzuwarten, sondern hob die Belagerung auf. Aber der tapfere Michelson verfolgte ihn, erreichte ihn endlich und schlug ihn nach einem langen blutigen Kampfe aufs Haupt.

Pugatschew verteidigte sich so lange, bis er sich nur noch von etwa dreihundert Kosaken umgeben sah. Mit diesem treuen und tapferen Häuflein begab er sich über die Wolga auf die Flucht und erreichte glücklich die Wüste.

Diese neue Niederlage hätte, sollte man meinen, alle diejenigen zurückschrecken müssen, die die Absicht hatten, sich mit den Rebellen zu vereinigen. Aber Pugatschew sah trotzdem bald wieder ein Heer um sich versammelt, welches freilich aus dem Abschaum der Kosaken-, Kalmücken- und Baschkirenstämme, aus entlaufenen Bauern und Gesindel bestand, das bei dem bloßen Klange des Wortes »Freiheit« zu den Waffen gegriffen hatte, um die ihnen lästige Arbeit verlassen zu können. Stolz darüber, daß er seine Truppe sich täglich wieder mehren sah, beschloß er den Hauptschlag zu tun und Moskau selbst anzugreifen. Seine Anhänger unterhielten dort im geheimen das Feuer der Rebellion und fachten es nun in der Hoffnung seines baldigen Eintreffens noch eifriger an. Dem Volke wurde vorgespiegelt, daß Pugatschew der Befreier seiner Sorgen und Lasten sein werde. Aber diese Bemühungen waren jetzt bereits zu spät. In demselben Augenblick, als Pugatschew sich in Marsch setzen wollte, erfuhr er, daß Feldmarschall Rumiantzow den Befehl erhalten habe, ihm mit einer großen Armee entgegen zu ziehen. Er beschloß nun, sich nach einer anderen Richtung zu wenden, begab sich hinunter an die Wolga und nahm drei kleine Festungen an derselben mit Sturm ein.

Inzwischen hatte die Kaiserin dem General Peter Panin, dem Bruder des Ministers, den Oberbefehl übergeben. Dieser marschierte gegen Pugatschew und sandte ein Detachement zu Oberst Michelson, welcher durch diese Unterstützung stark genug wurde, Pugatschew anzugreifen. Michelson wählte dazu den glücklichen Augenblick, da der Empörer sich mit mehreren Wagen voll Proviant und einer Menge Weiber, die ihm und seinem Heere nachfolgten, in einem engen Gebirgsdefilee befand. Ungeachtet der unvorteilhaften Stellung wollten die Rebellen sich nicht ergeben. Eine große Anzahl wurde daher auf der Stelle niedergesäbelt. Andere kamen in den Abgründen und den Bergklüften um, in denen sie auf ihrer eiligen Flucht Schutz zu finden gehofft hatten.

Pugatschew verließ erst den Kampfplatz, als er nahe daran war, in die Hände der Russen zu fallen. Er flüchtete sich schwimmend über die Wolga und irrte dann in der Wüste umher, die sich jenseits dieses Flusses ausdehnt. Durch ein Spiel des Zufalls, oder vielleicht richtiger gesagt, durch die rächende Hand der Gerechtigkeit geführt, befand er sich nun fast auf derselben Stelle, wo er zuerst die Fahne des Aufruhrs erhoben hatte. Mehrere von seinen Freunden waren ihm auf der Flucht gefolgt. Aber Hunger, Mühen und Mutlosigkeit verringerten die Zahl derselben von Tag zu Tag. Dennoch hätte er noch lange kämpfen und das Land verheeren können, wenn nicht Verräterei der russischen Armee zu Hilfe gekommen wäre.

Seine Genossen, nur auf die eigene Rettung bedacht, beschlossen, sich durch Auslieferung ihres Häuptlings Straflosigkeit zu erkaufen. Sie überwältigten ihn, als er nichts ahnend in seinem Zelte saß, und schleppten ihn gebunden durch die Wüste nach Jaizk. Gleich beim ersten Verhör gestand Pugatschew sein Verbrechen ein, aber er suchte sich zugleich durch die Anklage seiner Mitschuldigen zu rechtfertigen. Als der Gardehauptmann Mawrin, in dessen Hände man ihn überliefert hatte, ihn dem versammelten Volk zeigte, sprach er zu demselben: »Ihr habt mich zugrunde gerichtet; ihr habt mir mehrere Tage lang mit Bitten zugesetzt, den Namen des seligen großen Czars anzunehmen; nachdem ich endlich eingewilligt hatte, geschah alles, was ich auch tat, mit eurem Willen und eurer Übereinstimmung.« Und vor der Untersuchungskommission erklärte er: »Es war Gottes Wille, durch mich Elenden Rußland zu züchtigen.« Hermann, Bd. V, S. 690. Puschkin, S. 218/19. In den Händen der Russen, wurde er zunächst nach Simbirsk gebracht. General Panin ließ ihn in einen eisernen Käfig sperren und so nach Moskau transportieren.

Sobald die Kaiserin davon unterrichtet war, daß Pugatschew sich im Gefängnis zu Moskau befände, ernannte sie im Verein mit dem Senat eine Kommission, welche die Sache des Rebellen untersuchen und ihn dann nach dem Gesetz verurteilen sollte. Sie schrieb derselben, daß Pugatschews Vergehen zu bekannt seien, um nicht jedes, auch das geringste Geständnis für hinreichend anzusehen; man möge also die Tortur nicht gegen ihn anwenden, auch nicht von ihm verlangen, daß er noch mehrere seiner Mitschuldigen angebe.

Pugatschews Urteil lautete: es sollten ihm Hände und Füße abgehauen und sein Körper sodann noch lebend zerstückelt und so dem Volke gezeigt werden. Diese fürchterliche Strafe wurde jedoch in einer gemilderten Form vollstreckt: Die Hinrichtung fand am 10. Januar 1775 zu Moskau statt. Vom frühen Morgen an strömte das Volk auf der Bolota zusammen. Auf diesem Platz war ein hohes Gerüst errichtet worden, auf welchem die Scharfrichter saßen und, Branntwein trinkend, die Opfer erwarteten. Um das Gerüst herum waren drei Galgen errichtet. Einige Regimenter Fußvolk standen in Schlachtordnung umher. Die Offiziere hatten, des heftigen Frostes wegen, Pelze an. Die Dächer der Häuser waren mit Menschen bedeckt, und der untere Teil des Platzes sowie die benachbarten Gassen mit Kutschen und Halbwagen angefüllt. Plötzlich geriet alles in Bewegung, lärmte und schrie: man bringt ihn! man bringt ihn! Hinter einer Abteilung Kürassiere fuhr ein Schlitten mit einer hohen Bank, auf der Pugatschew mit entblößtem Haupte saß; ihm gegenüber saß ein Geistlicher. Der Schlitten hielt an den Stufen des Blutgerüsts. Kaum hatte Pugatschew in Begleitung des Geistlichen und zweier Beamten dasselbe bestiegen, begann einer der letzteren die Verlesung eines Manifests. Nach beendigter Verlesung sprach der Geistliche zu ihm einige Worte, erteilte den Segen und stieg vom Blutgerüst herab. Ihm folgte der Beamte, welcher das Manifest verlesen hatte. Da machte Pugatschew, sich bekreuzigend und nach den Kirchen sich hinwendend, einige Verbeugungen bis zur Erde. Alsdann fing er an, mit dem Ausdruck der Furchtsamkeit im Gesicht, vom Volke Abschied zu nehmen, indem er, nach allen Seiten hin sich verneigend, mit bebender Stimme sprach: »Verzeih', rechtgläubiges Volk! Vergib mir die Unbill, die ich dir zugefügt habe, verzeih', rechtgläubiges Volk!« Bei diesem Worte gab der Nachrichter ein Zeichen; die Henkersknechte stürzten herbei, den Verurteilten zu entkleiden, rissen ihm seinen weißen Schafpelz ab und schlitzten die Ärmel seines karmoisinfarbenen seidenen Halbrockes auf. Da faltete er die Hände, fiel rücklings, und, ehe man sich's versah, hing das blutige Haupt in der Luft. Puschkin, S. 224–27. erst nach der Enthauptung des Delinquenten wurde der Körper zerstückelt, Einige sagten, daß der Scharfrichter geheimen Befehl gehabt, die Ordnung der Exekution zu verkehren. (Dies die amtlich bestätigte Version.) Andere waren der Meinung, daß er von verborgenen und großen Freunden des Betrügers bestochen worden. Endlich behaupteten einige, daß der Scharfrichter selbst ein Freund Pugatschews gewesen sei und ihm versprochen habe, die Todesqual zu verkürzen. Leben und Abenteuer des berüchtigten Rebellen Jemeljan Pugatschew, London 1776, S. 365. Vgl. auch Brückner, Katharina II., S. 206. dessen Reste zu Asche verbrannt und in den Wind gestreut wurden. Das war der Schluß einer Empörung, welche Katharinas Thron und Leben lange bedroht hatte; infolge welcher mehrere Städte und mehr als zweihundert Dörfer des Reichs zerstört wurden; welche die gänzliche Unterbrechung des Baus der Orenburger Grubenarbeiten veranlaßte; welche der Grund zur Einstellung des sibirischen Handels war, und welche endlich mehreren tausend Menschen das Leben kostete. Pugatschew hätte gewiß niemals den russischen Thron erlangen können, aber die Mißvergnügten unterstützten ihn, ohne daß sie es selbst recht gewußt hätten, in welcher Absicht sie es taten.

Während Katharina diesen so äußerst gefährlichen Aufruhr energisch bekämpfte, versäumte sie deshalb ihre Vergnügungen keineswegs. Schon seit langer Zeit hatte sie die männliche Schönheit und den Stolz des Generals Potiomkin Grigorij Alexandrowitsch Potiomkin, geb. 1736 bei Smolensk, war der Sohn eines verabschiedeten Garnisonmajors. Ursprünglich für den geistlichen Stand bestimmt, trat er in eins der Petersburger Garderegimenter ein und wurde am 11. Dezember 1762 zum Kammerjunker ernannt. Er focht mit Auszeichnung im Türkenkriege und stieg nach seiner Rückkehr bis zum Generaladjutanten, in welcher Eigenschaft er Katharinas Günstling wurde. bemerkt. Sie erinnerte sich jenes Revolutionstages im Jahre 1762, wo Potiomkin, damals noch ein Jüngling, ihr in anmutiger Weise sein eigenes Portepee für ihren Degen übergeben hatte, dem ein solches fehlte. Sie wünschte jetzt, ihn näher kennen zu lernen, und die erste Zusammenkunft versicherte den neuen Liebhaber des Vorzugs vor allen seinen Rivalen.

Es dürfte hier am Orte sein, mit wenigen Worten die Verpflichtungen und Rechte anzudeuten, welche den Günstlingen Katharinas zustanden. Sobald sie sich einen neuen Geliebten gewählt hatte, pflegte sie denselben sogleich zu ihrem Adjutanten zu ernennen, damit er sie, ohne daß es weiter sehr auffällig würde, überallhin begleiten könnte. Infolge dieser Ernennung bezog der Günstling eine in dem Palaste unmittelbar über den Räumen der Kaiserin gelegene Wohnung, welche mit den ersteren durch eine geheime Treppe in Verbindung stand. Bei seinem Einzug bekam derselbe einmalhunderttausend Rubel Silber und fand sodann jeden Monat zwölftausend Rubel auf seiner Toilette. Der Hofmarschall mußte täglich für ihn eine Tafel für vierundzwanzig Personen servieren lassen und ihn außerdem noch auf kaiserliche Kosten mit allen seinen übrigen Bedürfnissen versehen. Dafür lag dem Günstling die Verpflichtung ob, die Kaiserin überall zu begleiten. Er durfte den Palast nicht ohne ihre besondere Erlaubnis verlassen und konnte es nur verstohlen wagen, mit anderen weiblichen Wesen zu reden, denn das erste Erfordernis zum Bestand seines Verhältnisses blieb es immer, allem auszuweichen, was der kaiserlichen Geliebten Eifersucht einflößen konnte.

Jedesmal, wenn die Kaiserin ihre Blicke auf einen ihrer Untertanen richtete, um ihn zu ihrem Geliebten zu erhöhen, ließ sie ihn einladen, bei einer ihrer vertrauten Freundinnen zu dinieren, wohin sie sich dann auch, aber unter der Maske eines zufälligen Zusammentreffens, begab. Bei diesem Diner unterhielt sie sich mit dem Kandidaten und suchte zu entdecken, ob er auch des Glückes würdig sei, das sie ihm zu bereiten beabsichtigte. Wenn ihr Urteil zu seinen Gunsten ausfiel, so unterrichtete ein Blick die Vertraute, daß er die Ehre hätte, ihr zu gefallen. Am folgenden Tage empfing er sodann den Besuch des Leibarztes der Kaiserin, und erst nachdem dieser seinen Gesundheitszustand untersucht hatte, wurde der neue Günstling in die Eremitage zur Kaiserin geführt und nahm die Zimmer in Besitz, die dort für ihn bereitet waren. Schon seit der Wahl Potiomkins wurden diese Formalitäten eingeführt und sind später immer genau beobachtet worden.

Wenn ein Günstling der Kaiserin zu gefallen aufhörte, wurde er auf eine eigentümliche Art verabschiedet. Er erhielt den Befehl, eine Reise zu unternehmen, und von dem Augenblick an, wo ihm dieser mitgeteilt wurde, durfte er sich nicht mehr vor der Kaiserin sehen lassen, konnte aber sicher sein, an dem Orte, wohin er sich begeben mußte, Geschenke zu finden, die Katharinas Großherzigkeit und Stolz entsprachen.

Die Gefangennehmung des Rebellen Pugatschew gab Katharina Zeit, sich ganz der heißen Leidenschaft zu überlassen, welche ihr der neue Geliebte einflößte. Er hatte eine fast unumschränkte Gewalt über sie gewonnen und mißbrauchte sie sehr bald. Er erhielt unzählige Gunstbeweise, zeigte aber stets Unwillen und sogar Zorn, wenn er nicht sogleich bekam, was er wünschte und verlangte. Auf solche Art wußte er sich Eintritt in den Konseil der Kaiserin zu verschaffen und wurde Vizekriegspräsident. Potiomkin, der niemand über sich stehen sehen konnte, beschloß den Grafen Zachar Tschernyschew, den ersten Präsidenten, zu entfernen; er schwärzte ihn bei der Kaiserin an und hatte Glück damit: Graf Tschernyschew verlangte, wie ein Ehrenmann es unter solchen Umständen tun muß, seinen Abschied, und ungeachtet dem Günstling die Kenntnisse durchaus fehlten, welche die wichtige Kriegsministerstelle erforderte, zögerte er dennoch nicht, sie anzunehmen.

Durch seinen Übermut zog er sich bald zahlreiche Feinde zu. Man warf ihm vor, stets viele Angelegenheiten gleichzeitig vorzunehmen, ohne jemals eine einzige zu Ende zu bringen. Auch kam es ihm nicht darauf an, Versprechungen zu geben, welche er weder die Absicht noch die Macht hatte, zu verwirklichen. Sein Hauptstreben ging dahin, seine eigene Person zu bedenken und seine schon übermäßig große Macht noch immer zu vergrößern.

Der Geschicklichkeit der Kaiserin war es geglückt, ein annehmbares Verhältnis zwischen Potiomkin und ihrem alten Liebhaber Grigorij Orlow herzustellen, und sie bemühte sich auf jede erdenkliche Art, zwischen beiden Frieden zu halten. Obschon sie für Orlow durchaus keine zärtlichen Gefühle mehr, ja kaum noch Erkenntlichkeit empfand, schonte sie ihn doch noch immer. Er hingegen, der Potiomkin um die erlangte Gunst beneidete, verlangte selbst, sich von ihr entfernen zu dürfen. Aber die Kaiserin willigte in diesen Wunsch nicht ein, sondern wollte lieber die skandalösen Szenen ertragen, die oft zwischen beiden Günstlingen vorfielen, als Orlow und seine Intrigen aus den Augen lassen. Außerdem hatte sie noch ein anderes Motiv für ihre Weigerung, die Hoffnung nämlich, daß Orlows Gegenwart Potiomkins Keckheit etwas niederhalten würde. Nachdem sie lange Zeit Panin als Gegengewicht für Orlow gebraucht hatte, suchte sie sich nun des abgedankten Günstlings in gleicher Weise dem Favoriten Potiomkin gegenüber zu bedienen. Daß es dem Hochmut der Orlows nicht zusagte, eine derartige Rolle zu spielen, ist mehr als natürlich. Aber sie mußten gute Miene zum bösen Spiel machen, um nicht den letzten Rest ihres Einflusses zu verlieren. Frau von Sievers, die über die Installierung des neuen Günstlings allerhand Hübsches zu berichten weiß, schreibt – nicht ohne Genuß – unterm 31. März 1774: »Die Kaiserin ist seit vergangenem Mittwoch in Czarskoje Selo. Der neue Generaladjutant (Potiomkin) versieht immer den Dienst statt aller andern, und man macht jetzt für ihn die Zimmer im Palais zurecht auf die Rückkehr des Hofes, die Ende nächster Woche eintreten wird. Die Brüder (Orlow), sagt man, ziehen gelind Segel auf seit dieser Veränderung.« Blum, Ein russischer Staatsmann, Bd. II, S. 20. Pugatschew war kaum hingerichtet worden, als die Kaiserin ihren Entschluß verkündete, nach Moskau zu reisen. Sie wollte teils den Triumph genießen, den sie über einen so gefährlichen Rebellen davongetragen hatte, teils wollte sie durch ihre Gegenwart den dortigen Mißvergnügten die Hoffnungen, die sie noch hegen könnten, zerstören. Orlow suchte diesem Plane vorzubeugen. Potiomkin bestärkte sie aber im Gegenteil darin und suchte ihn ins Werk zu setzen. Da seine Meinung hierin ganz mit Katharinas Wünschen übereinstimmte, siegte er, und Katharina reiste ab.

Die Kaiserin wußte, daß sie auf der Reise nach Moskau durch mehrere Provinzen kommen mußte, in denen die Popen im größten Ansehen standen und das Volk im allertiefsten Aberglauben erhielten. Sie verachtete niedrige Bigotterie und verabscheute die ränkesüchtigen Priester. Aber sich erinnernd, daß diese ihr, als sie ihren Gemahl vom Throne stieß, sehr gute Dienste geleistet hatten, glaubte sie sie auch jetzt benutzen zu können, um die Unzufriedenen wieder zu sich zurückzuführen und sich den blinden Gehorsam, die Achtung und Ehrfurcht der großen Menge zu erwerben. Sie führte deshalb auf dieser Reise eine große Anzahl kleiner Heiligenbilder mit sich, welche sie an alle Kirchen und Kapellen verteilte, die sich auf ihrem Wege befanden. So hatte sie auch für die Kathedrale von Moskau ein großes Bild der allerheiligsten Jungfrau mit, welches reich bekleidet und mit Diamanten geschmückt war. Sie ließ dasselbe in einem offenen Wagen fahren, der während der ganzen Reise und auch bei ihrem Einzüge in Moskau unmittelbar hinter ihrem Gespanne fuhr.

Sechshundert Mann von jedem Garderegiment waren im voraus in die alte Hauptstadt eingerückt und standen unter den Waffen, um die Kaiserin zu empfangen. Man hatte zwei Triumphbögen errichtet und ein großartiges Fest vorbereitet. Der Einzug war höchst glänzend und mit aller erdenklichen Pracht ausgestattet, die Menge der Zuschauer war unzählbar. Die größte Ordnung und Ruhe herrschten überall. Es waren laute Freudenäußerungen zu vernehmen, der Kern des Volkes aber, der mehr überrascht, als hingerissen und gerührt war, gab nicht das mindeste Zeichen von Befriedigung zu erkennen. Die Kaiserin hatte kurz vorher durch einen Ukas die Auflagen der Stadt vermindert. Aber man schien ebensowenig durch ihre Wohltaten, wie durch ihren glänzenden Einzug für sie eingenommen zu sein.

Der Empfang des Großfürsten stand mit dem der Kaiserin im vollsten Widerspruch. Ihm wurden alle die Huldigungen bereitet, die seiner Mutter verweigert wurden. Man behauptet, daß ein gewiegter Hofmann, diesen Kontrast bemerkend, die Gefühle des Thronfolgers auszuforschen suchte, indem er zu diesem sagte: »Sie sehen, wie geliebt Sie sind! Ach, wenn Sie wollten! – – –«

Der Großfürst antwortete nichts, richtete aber auf den Versucher einen sehr strengen Blick, der bewies, daß, ungeachtet man ihn vom Throne fernhielt, der ihm von Rechts wegen zukam, er sich doch die Gefühle eines ehrfurchtsvollen Sohnes zu bewahren wußte.

Während der ersten Tage von Katharinas Aufenthalt in Moskau war der Feldmarschall Rumiantzow auch dorthin gekommen, und sie empfing ihn mit all dem Wohlwollen, welches dieser Mann als die mächtigste Stütze ihres Thrones verdiente. Anfänglich hatte sie gewünscht, daß er in demselben Augenblick in Moskau einziehen möchte, in dem sie einziehen würde, und zwar durch die Triumphbögen, die man ihr errichtet hatte, reitend, und ohne daß er bei der Begegnung mit ihr vom Pferde absteigen sollte. Aber der tapfere und dennoch bescheiden gebliebene Eroberer der Krim glaubte sich dieser Ehre entziehen zu müssen. Er wußte, daß er schon mehr als hinreichend den Neid der Hofleute und insbesondere Potiomkins erregt hatte, und daß jener sich noch steigern würde, wenn er die der Kaiserin bereitete Huldigung, nach deren ausdrücklichem Willen, mit ihr geteilt hätte. Er erschien also vor ihr nicht als Triumphator, sondern als Soldat, der kommt, um Rapport über seine Taten vor der Kriegsherrin abzustatten.

In Begleitung des Großfürsten, sämtlicher Reichswürdenträger und ihres ganzen Hofstaates begab sich die Kaiserin am folgenden Tage aus dem alten Palast der Czaren, dem Kreml, in die Kathedrale von Moskau, um dort einer feierlichen Messe und dem »Te Deum«, welches man wegen der Besiegung der Rebellen sang, beizuwohnen und für den Frieden zu danken, der jetzt sowohl im Innern des Reiches, als nach außen hin herrschte.

Am Schluß dieser Zeremonie verlas der Reichsschatzmeister ein Verzeichnis aller der Belohnungen, welche die Kaiserin den Generalen bewilligte, die sich gegen die Türken oder im Kampf mit den Rebellen ausgezeichnet hatten.

Der Feldmarschall Rumiantzow empfing ein Landgut mit fünftausend Bauern, ferner einmalhunderttausend Silberrubel, ein Silberservis, einen Hut, der von einem Lorbeerkranz umschlungen war, den die kostbarsten Steine schmückten, den mit Brillanten besetzten Stern des Andreasordens, Epauletten, die mit Diamanten geschmückt waren, und einen kostbaren Feldmarschallsstab.

Alexej Orlow erhielt sechzigtausend Rubel und einen mit großen Diamanten geschmückten Degen.

Die Generale en chef Paul Potiomkin, Ein Neffe des Günstlings G. A. Potiomkin. Panin, Dolgorukij und verschiedene andere erhielten ihren Verdiensten oder dem Grade der Gunst, in dem sie standen, entsprechende Beweise von Katharinas kaiserlicher Freigebigkeit.

Die Generale der Kaiserin waren übrigens nicht die einzigen, welche bei dieser Gelegenheit Beweise ihrer Gunst erhielten. Die Aufhebung von verschiedenen Steuern war eine Wohltat, welche alle Einwohner des Staates teilten. Diejenigen, welche die entferntesten Provinzen des Reiches bewohnten, hatten sich bisher nach Petersburg oder nach Moskau begeben müssen, um dort ihre Rechtsstreite schlichten zu lassen. Katharina, welche wollte, daß sie dieser langen Reisen und großen Kosten künftig überhoben sein sollten, erklärte, daß die Privatstreitigkeiten fortan durch Provinzialgerichtshöfe abgeurteilt werden sollten, mit dem Recht für die Parteien, nach dem Spruch noch an einen der Senate zu appellieren, deren es zwei geben sollte. Der Senat von Moskau war eine Filialabteilung des Senats von Petersburg.

Ein anderer Ukas verbreitete Freude bis unter die Einwohnerschaft Sibiriens. Pugatschews Erhebung hatte seit langem den Handel dieser Provinz unterbrochen, und der Geldmangel verhinderte seine Wiederaufnahme wie jedes besondere Unternehmen. Es wurde nun durch Einrichtung einer Bank in Tobolsk diesem Übel Abhilfe zu verschaffen gesucht. Diese wurde unter Aufsicht eines Beamten gestellt, der schon den Beweis seiner ausgezeichneten Geschicklichkeit für derartige Institute durch seine Verwaltung der Adelsbank von Petersburg abgelegt hatte, und unter dessen Verwaltung dann der sibirische Handel auch bald wieder zu seiner früheren Blüte kam. In Petersburg hatte die Kaiserin schon in früherer Zeit zwei Banken errichtet, die eine für den Adel und die andere für die Kaufleute. Die Edelleute bezahlten sechs Prozent Rente und legten zur Sicherstellung des Anlehens Hypotheken auf ihre liegenden Gründe.

Der allgemeine Handel des Reichs zog Katharinas besondere Aufmerksamkeit auf sich, und sie hob denselben auf jede mögliche Art. Sie sah ihn ganz richtig für die Hauptquelle ihrer als auch des Reiches wachsenden Macht an. So erfuhr sie denn auch mit der außerordentlichsten Befriedigung, daß gerade in jener Zeit zehn mit griechischem Wein beladene Schiffe aus dem Archipelagus in den Häfen des Schwarzen und Asowschen Meeres eingelaufen wären. Der Kommandant der Dardanellen hatte sich anfangs ihrer Durchfahrt widersetzen wollen; aber der in Konstantinopel residierende russische Konsul hatte durch die lebhaftesten Vorstellungen den Diwan endlich dahin zu bringen gewußt, sie ruhig ihren Weg fortsetzen zu lassen.

Durch ein Edikt hatte die Kaiserin, um einen edlen Wetteifer zu erwecken und einen Beweis der Würdigung aller derjenigen ihrer Untertanen zu geben, welche sich dem Handel widmeten, diese von der bisherigen Verbindlichkeit entbunden, an der Rekrutierung der Armee und Marine teilzunehmen. Sie erlaubte auch fernerhin allen freien Bauern, sich in einer der fünf Klassen einschreiben zu lassen, in welche die russischen Kaufleute eingeteilt waren. Die erste Klasse bestand aus denen, welche hunderttausend Rubel Silber besaßen oder zu besitzen glaubten, die zweite aus denen mit fünfzigtausend, die dritte mit zwanzigtausend, die vierte mit fünftausend und die fünfte gar nur mit hundert Rubeln Besitz. Sie wurden zur Beisteuer für die Staatsunkosten je nach der Klasse, in der sie eingeschrieben waren, abgeschätzt. Die Eitelkeit obsiegte hierbei oft über die Wahrheit und den Geiz. Sie bezahlten dem Staate eins vom Hundert von dem Kapital, welches sie zum Handel verwandten. – Katharina begünstigte ebenso die Industrie und den Ackerbau. Neue Fabriken wurden angelegt, und all das Böse, welches die von Pugatschew geleitete Rebellion den Kolonien an den Ufern der Wolga zugefügt hatte, wurde wieder gutgemacht. Unglücklicherweise erfüllten aber die Agenten, welchen die Kaiserin die Ausführung ihres Willens anvertrauen mußte, ihre Pflichten höchst selten in dem Maße, daß Katharinas edle Absichten wirklich erreicht wurden. Von den hunderttausend Kolonisten, welche sie in den Jahren 1764 und 1765 in ihre Staaten berufen hatte, und von denen die meisten deutscher Nation waren, befanden sich jetzt nur noch dreißigtausend daselbst, und zwar in den Gegenden von Saratow, Kiew und Czaritzyn verstreut.

Unaufhörlich mit ihren großen Plänen beschäftigt, schien Katharina an nichts anderes zu denken, als an Zerstreuungen und Belustigungen, doch konnte dies nur diejenigen täuschen, die sie nicht nach ihren Taten beurteilten. Ihre Zeit war so geschickt eingeteilt und wurde von ihr so trefflich ausgenutzt, daß sie neben den Mußestunden noch immer Zeit genug hatte, ernsthaft mit ihren Ministern zu arbeiten, neue Gesetze zu beraten und selbst ihren Ambassadeuren und Generalen eigenhändig Befehle zu schreiben, nebenbei aber auch noch einen lebhaften Briefwechsel mit Gelehrten und Künstlern zu führen, Audienzen zu geben, an allen Freuden des Hofes teilzunehmen und sich Liebesintrigen zu überlassen. Beständig in ihrem Ehrgeiz, war sie oft flüchtig und untreu in der Liebe, und Koketterie war ihr ebenso gewohnt und angenehm, wie den meisten anderen Frauen.

Kaum war die Kaiserin wieder in Petersburg, als auch Potiomkin aufhörte, der Gegenstand ihrer Leidenschaft zu sein. Während sie ihn mit Wohltaten, wertvollen Geschenken und Würden überhäufte und ihn unauslöschlich zu lieben schien, hatte sich ihr Herz schon einem anderen Manne ergeben. Dieser andere war ein junger Mann aus der Ukraine, mit Namen Peter Sawadowskij. Er war der Sohn eines kleinrussischen Beamten und, Potiomkin ausgenommen, der einzige von allen Günstlingen Katharinas, der nach seiner Abdankung noch hohe Staatsämter bekleidete. Paul I. ernannte ihn 1797 zum russischen Grafen. Unter der Regierung Alexanders I. wurde er dazu berufen, das Ministerium des öffentlichen Unterrichts zu organisieren. Masson, Bd. II, Teil 1, S. 93. Sie machte ihn anfänglich zu ihrem Sekretär, bald aber wurde er erklärter Günstling.

Diese veränderte Neigung Katharinas veranlaßte eine am russischen Hof höchst ungewöhnliche Szene. Wenn Katharina einen Befehl erteilte, so mußte diesem blindlings und unbedingt gehorcht werden; es erschien als geradezu unmöglich, daß jemand es wagen könne, einen Befehl der Kaiserin nicht zu befolgen. Nun war bekannt, daß ein Günstling, der ihr nicht länger gefiel, immer den Befehl erhielt zu reisen, und daß er sich dann nicht wieder vor den Augen der Kaiserin sehen lassen durfte, es sei denn, daß sie ihn eigens zurückrief. Selbst der stolze Orlow hatte sich diesem Gesetz unterwerfen müssen. Aber Potiomkin wagte es, demselben zu trotzen. Als er den Befehl der Kaiserin erhielt, der sein Glück vernichtete, gab er sich den Anschein, als wollte er sich zu der Reise vorbereiten; am folgenden Tage aber stand er ganz ruhig vor der Kaiserin in dem Augenblick, als sie gerade eine Partei Whist beginnen wollte. Ohne den geringsten Ärger über Potiomkins Ungehorsam zu zeigen, reichte Katharina ihm eine Karte und sagte: »Sie spielen ein hohes, aber glückliches Spiel!« – und es war nicht weiter die Rede von einer Entfernung. Potiomkin behielt seine Stelle, alle seine Würden und Rechte bei, nur daß er aus einem Geliebten der Kaiserin zu ihrem Freunde geworden war. Sawadowskij verstand es, ihr zu gefallen, aber Potiomkin verstand es, ihr nützlich zu sein, und sein Genie, mit dem Katharinas stärker übereinstimmend, als das irgendeines anderen ihrer früheren Geliebten, hörte nie auf, ihr zu imponieren.

Panin schien mehr als je in apathische Trägheit versunken zu sein, aber die Kaiserin ertrug und duldete ihn in seiner Stellung, weil er zu einer sehr mächtigen Partei gehörte, die lebhaft wünschte, daß der Großfürst jetzt den Thron zurückfordern solle, der ihm eigentlich zukam. Aber Pauls geistige Schlaffheit einerseits und andererseits die tiefe Ehrfurcht, die er vor seiner Mutter hatte, ließen ihn alle ehrgeizigen Pläne zurückweisen. Die Kaiserin, welche die Möglichkeit nie aus den Augen ließ, daß ihr Sohn doch einmal diesen Versuch machen möchte, war seinetwegen keineswegs ganz ohne Unruhe. Sie fürchtete alle, von denen sie glaubte, daß sie dem Großfürsten kühne, gegen sie gerichtete Ratschläge zu erteilen vermöchten, und noch mehr diejenigen, welche sich für ihn bewaffnen könnten.

Der Großfürst hegte wahre Freundschaft für den Grafen Andreas Rasumowskij, Geb. 22. Oktober 1752. welcher mit ihm zusammen erzogen worden war, und der auch die Fregatte befehligte, welche die Großfürstin von Lübeck abgeholt hatte. Rasumowskij nahm an allen seinen Partien teil und genoß sein ganzes Vertrauen. Die Kaiserin, welcher des jungen Grafen kecker und entschlossener Charakter bekannt war, sah diese Freundschaft mit Kummer und beschloß sie zu brechen. Rasumowskij selbst gab ihr die Veranlassung dazu. Katharina, welche ein heimliches Einverständnis zwischen ihm und der Großfürstin bemerkt zu haben glaubte, bildete sich ein, Rasumowskij hätte es gewagt, allzu kühne Blicke auf die Gemahlin ihres Sohnes zu werfen, und beeilte sich, den Großfürsten von ihrem Verdacht in Kenntnis zu setzen. Paul wollte nicht glauben, daß das Mißtrauen seiner Mutter begründet sei; er beschloß indes, ohne in seinem äußeren Benehmen gegen Rasumowskij eine Änderung eintreten zu lassen, diesen genau zu beobachten und seine Gemahlin zu warnen.

Ob nun die Großfürstin wirklich schon einige Neigung für Rasumowskij hegte, oder ob diese erst durch Pauls unvorsichtige Warnung geweckt wurde, muß dahingestellt bleiben, genug, sie unterhielt von der Zeit an einen geheimen Briefwechsel mit ihm. Ja sie tat noch mehr, sie suchte sich an derjenigen zu rächen, die ihre Tugend bei dem Großfürsten zuerst in Verdacht gebracht hatte, und mischte sich in politische Intrigen, die natürlicherweise der Kaiserin nur im höchsten Grade mißfallen konnten. Indessen hatte die Großfürstin kaum Zeit zu intrigieren: sie starb am 15./26. April 1776 im ersten Wochenbett, und ihr Tod wurde vom Volke Katharina zugeschrieben, als ein weiterer Beitrag ihres so schon langen Sündenregisters. In den auswärtigen Zeitungen erklärte man, daß die Großfürstin infolge fehlerhaften Baues nicht entbunden werden konnte, und daß dies ihren Tod herbeigeführt habe. Der Baron von Asseburg, russischer Gesandter beim Reichstage des heiligen römischen Reichs, der drei Jahre zuvor mit der Aufsuchung einer Braut für den Großfürsten beauftragt gewesen war, schrieb in seiner Entrüstung über dieses Gerücht einen Brief, worin er erklärte, daß er bei den Ärzten und der Umgebung der Prinzessin vorher alle möglichen Erkundigungen eingezogen und daß das Ergebnis derselben eine gesunde Organisation und eine vortreffliche Gesundheit der Prinzessin festgestellt habe. Dolgorukow, Wahrheit über Rußland, S. 187.

Was viel dazu beitrug, diese Meinung zu befestigen, war der verdächtige Umstand, daß die Hebamme, welche bei dieser unglücklichen Entbindung der Großfürstin Beistand geleistet hatte, ein schnelles und seltenes Glück machte: sie lebte mit der Kaiserin auf familiärem Fuße und nannte den Fürsten Potiomkin, der oft bei ihr dinierte, auf vertrauliche Weise »du«.

Ein Arzt, mit Namen Ahlmann, dem befohlen war, bei der Entbindung zugegen zu sein, fand sich nicht rechtzeitig ein; er erklärte im Kreise einiger seiner vertrauten Freunde diese merkwürdige Vernachlässigung folgendermaßen. »Bei einem Besuche,« sagte er, »den ich der Großfürstin machte, äußerte die Kaiserin in strengem Tone: ›Doktor, wenn ein Unglück geschieht, mußt du es mit deinem Kopfe büßen.‹ Dies war vollkommen genug für mich,« fuhr der Arzt fort, »ich entfernte mich und erschien nicht wieder am Hofe.«

Als die Großfürstin verschieden war, schien die Kaiserin in tiefe Trauer versenkt; sie begab sich nach Czarskoje Selo, wohin sie auch den Großfürsten mitnahm. Da Paul über den Tod seiner Gemahlin untröstlich war, und Katharina, der es auch um Erben der Krone zu tun war, die Wiedervermählung ihres Sohnes wünschte, war sie grausam genug, demselben, um ihn dem Kummer zu entreißen, ein Paket mit Briefen Rasumowskijs an die Großfürstin, zuzustellen, So Dolgorukow, Wahrheit über Rußland, S. 187/88. Nach anderen war es Paul selber, der die verfänglichen Briefe unter den Papieren der Großfürstin fand. Vgl. Castéra, Bd. II, S. 90. Kobeko (Der Cäsarewitsch Paul Petrowitsch, S. 92) spricht zwar auch von Rasumowskij als einem Günstling der Großfürstin, erwähnt aber den Vorfall mit den Briefen nicht. die ein Verhältnis zwischen der letzteren und dem ersteren bis zur Evidenz erwiesen. Bei der Lektüre dieser Briefe verfiel Paul in einen Anfall von Wut und Raserei, der den Grund zu seiner späteren Geisteszerrüttung legte. Rasumowskij wurde auf einen Gesandtschaftsposten entfernt, und Paul fand bald darauf Gelegenheit, die Schmerzen seiner ersten Ehe in einer zweiten zu vergessen.

Unmittelbar vor dem Tode der Großfürstin war Prinz Heinrich von Preußen abermals nach Petersburg gekommen. Er langte dort ziemlich spät am Osterabende an, und die Kaiserin, die den religiösen Vorurteilen der Menge zu schmeicheln liebte, brachte den größten Teil der Nacht mit ihrem ganzen Hofe in der Kirche zu. Prinz Heinrich konnte sie daher nicht eher, als am nächsten Tage zu sehen bekommen. Er sprach später oft in besonderen Zusammenkünften mit ihr über die polnischen Verwicklungen, und es glückte ihm, alle Verwicklungen zu lösen. Prinz Heinrich sprach auch dem unglücklichen Czarewitsch Trost zu, brachte ihn allmählich wieder zu sich, stimmte mit Katharina darüber überein, daß Paul eine neue Gemahlin haben müsse, und lenkte ihre Wahl geschickt auf seine und König Friedrichs Nichte, Vgl. Carlyle, Geschichte Friedrichs II., Bd. VI, S. 595. die Prinzessin Sophie Dorothea von Württemberg. Geb. 25. Oktober 1759.

Diese Prinzessin von Württemberg war aber schon mit dem Erbprinzen Ludwig von Hessen-Darmstadt Der nachmalige Ludwig X., als Großherzog Ludwig I., 1790 bis 1830, geb. 1753. verlobt. Prinz Heinrich, welcher nicht zweifelte, daß das große russische Reich für sie mehr Wert haben würde, als die kleine Landgrafschaft Hessen, nahm es jedoch auf sich, sie zu vermögen, die bereits eingegangene Verbindung aufzulösen. Er expedierte einen Kurier an seinen Bruder, den König, um ihm die Absichten der Kaiserin mitzuteilen und ihn zu bitten, diesem Plane seine Beistimmung nicht zu versagen. Friedrich II. gab seine Zustimmung gern, weil das Anerbieten zu verlockend war und seinen Wünschen sehr entgegenkam, die stets darauf hinausgingen, das Band zwischen Rußland und Preußen fester zu knüpfen. Er sprach mit dem jungen Prinzen und benutzte den Einfluß, den er auf denselben besaß, in so geschickter Weise, daß der Prinz es für seine Schuldigkeit, sogar für eine Ehre ansah, seine Neigung zum Opfer zu bringen.

Der Einwilligung des jungen Prinzen von Hessen-Darmstadt sicher, benachrichtigte Friedrich den Prinzen Heinrich davon, daß sich auch die Eltern der Prinzessin von Württemberg der Erhöhung ihrer Tochter nicht widersetzen würden, und bat den Großfürsten, nach Berlin zu kommen, damit er, ehe etwas endgültig in dieser Angelegenheit beschlossen würde, erst die Prinzessin sehen möchte, welche man ihm zur Gemahlin zu geben beabsichtige. Er selbst ergriff diese Gelegenheit gern, um die persönliche Bekanntschaft Paul Petrowitschs zu machen.

Die Kaiserin, mit allen diesen Veranstaltungen vollkommen einverstanden, ließ sogleich große Vorbereitungen für die Reise ihres Sohnes treffen, denn sie wünschte, daß er in Gesellschaft des Prinzen Heinrich nach Berlin gehen möge. Für die Reise der Prinzessin von Württemberg setzte sie sechzigtausend Silberrubel aus, berief den Feldmarschall Rumiantzow nach Petersburg und erteilte ihm den Auftrag, den Großfürsten nach Berlin zu begleiten. »Nur der Freundschaft des Prinzen Heinrich von Preußen«, sagte sie »und Ihnen, der festesten und treusten Stütze meines Thrones, kann ich meinen Sohn anvertrauen.«

Begleitet von dem Feldmarschall Rumiantzow reiste der Großfürst mit seinem Gefolge nach Czarskoje Selo ab. Am folgenden Tage nahm auch Prinz Heinrich Abschied von der Kaiserin, die sehr gerührt zu sein schien, als sie die beiden ihrem Herzen nahe Stehenden sich entfernen sah. Sie waren kaum in Riga angelangt, als sie auch schon mehrere eigenhändige Briefe von ihr empfingen; in einem derselben schrieb sie unter anderm an den Prinzen Heinrich: Schreiben vom 15. Juni 1776 bei Krauel, Briefwechsel zwischen Heinrich und Katharina, S. 158.

»Ich sende Euer Königlichen Hoheit die vier Briefe, die ich erwähnte. Der erste ist für den König, Eurer Königlichen Hoheit erhabenen Bruder, bestimmt, und die anderen sind für den Prinzen und die Prinzessinnen von Württemberg. Ich wage Eure Königliche Hoheit zu bitten, wenn sich das Herz meines Sohnes, woran ich nicht zweifle, für die Prinzessin Sophia Dorothea erklärt, die anderen drei Briefe an ihre Adressen abliefern zu wollen, und das, was ich in denselben angeführt habe, durch die herrliche Redegabe zu unterstützen, mit der Gott Eure Königliche Hoheit so reich gesegnet hat.«

Nachdem sie sich vierundzwanzig Stunden in Riga aufgehalten und dort außerhalb der Stadt die Manöver und Exerzitien verschiedener Regimenter mit angesehen hatten, begaben sich die beiden Prinzen nach Mitau, wo sie von dem Herzog von Kurland, Peter Biron, geb. 4. Januar 1724, gest. 13. Januar 1800, als Herzog von Kurland 1769–1795. dem Sohne des berühmten, oder besser berüchtigten, Ernst Johann Biron, welcher vor einiger Zeit seine lange, stürmisch bewegte Laufbahn geschlossen hatte, wohl aufgenommen wurden.

Bei der Ankunft in Berlin wurde der Großfürst mit allen Ehrenbezeugungen empfangen, die ihm als russischem Thronerben zukamen. Prinz Heinrich stellte ihn selbst dem König vor, der ihm bis an die Tür seines Zimmers entgegenging. Der Großfürst sagte, als er sich ihm näherte:

»Sire, die Beweggründe, welche mich in dieses glückliche Land führen, sind das Verlangen, Eurer Majestät die Versicherungen der Freundschaft zu überbringen, welche Rußland und Preußen für ewig vereinigen muß, und mein lebhafter Wunsch, eine Prinzessin zu sehen, welche geneigt ist, neben mir den moskowitischen Thron einzunehmen. Sie aus Eurer Majestät Hand empfangend, wage ich zu versichern, daß diese Prinzessin sowohl mir, als der Nation, über welche sie mit mir herrschen soll, dadurch noch lieber werden wird. Endlich bekomme ich am heutigen Tage, was schon so lange der Wunsch meines Herzens gewesen ist, den größten Helden Europas zu sehen, den Gegenstand der Bewunderung sowohl unserer gegenwärtigen Zeit, als auch der Nachwelt.«

Friedrich beeilte sich ihm zu entgegnen: »Mein Prinz, ich verdiene diesen Ruhm nicht. Sie sehen in mir einen alten Mann mit weißem Haar. Aber seien Sie überzeugt, daß ich mich für sehr glücklich halte, innerhalb der Mauern meiner Hauptstadt den würdigen Erben eines mächtigen Reiches, den einzigen Sohn meiner besten Freundin, der großen Katharina, empfangen zu können.«

Nach einem Zwiegespräch von der Dauer einer halben Stunde beurlaubte sich der Großfürst bei Friedrich, um der Königin seine Aufwartung zu machen, bei der sich der ganze Hof versammelt hatte. Er sah dort die Prinzessin von Württemberg, und nach dieser ersten Begegnung wurde die Ehe sogleich beschlossen.

Die Feste, die dem russischen Gast gegeben wurden, waren mit großer Pracht ausgestattet; die Schauplätze derselben waren Charlottenburg, Potsdam und Sanssouci. Um den Feldmarschall Rumiantzow zu ehren, ließ Friedrich seine Truppen in geschlossenen Bataillonen manövrieren, um ein Bild von der blutigen Schlacht bei Kagul zu geben, in welcher achtzehntausend Russen einmalhunderttausend Türken besiegten, eine in der Tat wahrhaft königliche Schmeichelei.

Prinz Heinrich entführte sodann den Großfürsten nach Rheinsberg, wo er ihm ein Fest gab, welches vier Tage währte, und bei welchem er ebensoviel Geschmack als Luxus entwickelte.

Von Rheinsberg kehrte Paul Petrowitsch wieder nach Petersburg zurück, und die Prinzessin von Württemberg zögerte nicht lange, sich ebenfalls dorthin zu begeben. Sie nahm die griechisch-orthodoxe Religion an und wurde mit dem Großfürsten vermählt. Nach zwanzig Jahren ihres ehelichen Zusammenlebens bestiegen beide den russischen Thron.

Nachdem Katharina ihrem Sohn eine andere Gemahlin gegeben, die Grenzen ihres Reiches erweitert und das Feuer des Aufruhrs in den entlegensten Provinzen gelöscht hatte, schien sie ihre Macht in Ruhe genießen zu wollen. Aber dies war nur Schein, denn es gab keine Ruhe für ihre ehrgeizige Seele; stille Genüsse und Vergnügungen befriedigten ihren unruhigen Geist nicht. Sie wollte auch ferner noch den schon so großen Schatz ihrer Ehren vermehren, oder richtiger gesagt, sich noch weitere äußerliche Berühmtheit erwerben, die sie oft mit der wahren Ehre eines Regenten verwechselte, und es gab für sie nichts in dieser Welt, was sie nicht mit Freuden dieser Leidenschaft geopfert hätte. Als ihre Armeen an den fernsten Grenzen ihres ungeheuren Reiches keine Siege mehr zu erkämpfen hatten, mußte sie sich andere Triumphe zu bereiten suchen. Europa ertönte von dem Ruf ihrer unerhörten Freigebigkeit und von dem strahlenden Glanze ihres Hofes, von der Aufmunterung, die sie den Künsten und Wissenschaften angedeihen lasse, indem sie hohe Preise zur Belohnung von Talenten aussetze, von den Wohltaten, die sie Einheimischen und Fremden in gleichem Maße zuteil werden lasse, und den trefflichen Einrichtungen, die sie veranstaltet habe, um ihr eigenes Volk in der Industrie heranzubilden und ihm den Erwerb von Reichtümern zu sichern. Einige wohlbezahlte Schmeichler berichteten emphatisch alles, was sie unternahm, und die Zeitungen posaunten ihren Ruhm aus. Die Akademie von Petersburg, welche mehrere berühmte Männer unter ihren Mitgliedern zählte, vergötterte sie oft zu früh. Wenn Katharina nicht die Sitzungen der Akademie besuchte, stellte man an dem Platz, welchen sie bei ihrer Anwesenheit einzunehmen pflegte, eine Büste auf, die sie mit den Attributen Minervas, der Göttin der Weisheit, geschmückt, darstellte, obschon gewiß niemand weniger als sie der keuschen Tochter Jupiters glich.

Grigorij Orlow, der wieder einmal an den Hof zurückgekehrt war, ohne dorthin berufen worden zu sein, schien sich jetzt schon mehr daran gewöhnt zu haben, Potiomkin die erste Stelle am Throne Katharinas einnehmen zu sehen. Klüger, als Orlow seinerzeit gewesen war, überließ Potiomkin, angelegentlich bemüht, sich nur die unumschränkte Gewalt zu erhalten, die er über die Kaiserin besaß, letztere ungestört ihrem Geschmack für Sawadowskij. Seit achtzehn Monaten bereits hatte dieser die Stelle als Geliebter inne, als auch er plötzlich vom Ehrgeiz ergriffen wurde. Er hatte Potiomkins Beispiel vor Augen und glaubte, daß auch er aus den Armen der Kaiserin auf den Platz des ersten Ministers würde steigen können. Aber dies wurde erst möglich, wenn Potiomkin von demselben verdrängt war, und Sawadowskij arbeitete eifrig an der Erreichung dieses Ziels nach dem Wahlspruch der Petersburger Hofleute: »ôtez-vous de là, que je m'y mette!« Er suchte den von Potiomkin selbst auf die Person der Kaiserin ausgedehnten Despotismus dieser verhaßt zu machen und wurde darin von vielen mißvergnügten Offizieren, neidischen Hofleuten und intriganten Weibern unterstützt. Potiomkin, hiervon bald in Kenntnis gesetzt und im Besitz größerer Hilfsmittel und größerer Geschicklichkeit als Sawadowskij, beschloß ihn zu stürzen. Der Zufall verschaffte ihm sehr bald die günstige Gelegenheit.

Ein junger Husarenoffizier, namens Soritsch, kam nach Petersburg, um dort Beförderung zu suchen. Er war stark, schön gewachsen und ganz dazu geeignet, die sinnliche Begierde eines wollüstigen Weibes zu reizen. Potiomkin, der Katharinas Unbeständigkeit und leicht erregbare Leidenschaft aus eigener Erfahrung und langer Beobachtung kannte, gab Soritsch ein Kapitänspatent und richtete es so ein, daß er sich der Kaiserin persönlich zeigen mußte. Sein Plan glückte, denn sie wurde sofort von der hervorstechenden Schönheit des jungen Offiziers bezaubert. Schon am folgenden Tage erhielt Sawadowskij den Abschied, und Soritsch nahm seine Stelle ein. Sawadowskij, der von Katharina schon viele reiche Geschenke erhalten hatte, empfing bei seiner Abreise noch neunzigtausend Rubel, eine jährliche Pension von viertausend Rubeln und eine bedeutende Domäne.

Soritsch erhielt sogleich beim Antritt seiner Günstlingsschaft ein Landgut, dessen Wert auf einmalhundertundzwanzigtausend Silberrubel geschätzt war, sowie die gewöhnlichen Präsente, von denen der habgierige Potiomkin seinen Anteil sich zuzueignen nicht versäumte. Der neue Geliebte, ohne Bildung, ohne Erfahrung und hervorragenden Geist, konnte dem stolzen Potiomkin nicht gefährlich werden. Zufrieden mit seinem Platz als Geliebter, benutzte er die Gunst, in der er stand, nur dazu, den Kredit und die Macht dessen zu vermehren, dem er für sein Glück zu danken hatte. Fortan war es nur mehr Potiomkin, mit welchem Katharina die Geschicke Europas abwog.

Grigorij Alexandrowitsch Potiomkin


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