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Mit hervorragender und wahrhaft ausgezeichneter Bildung, wennschon an einem kleinen deutschen Hofe erzogen, schön, entschlossen, leichtfertig und beseelt von den philosophischen Ideen ihrer Zeit, hatte Katharina sich durch ihre eigenen kecken Schritte, wie wir im vorigen Bande gezeigt, den Weg zum Throne gebahnt. Die Mittel, die sie zur Erreichung ihres Zieles angewendet, und die Art und Weise, wie sie ihre Erhebung trotz aller Gefahren und Hindernisse durchgesetzt hatte, ließen eine stürmische Regierung ahnen. Ihre zahlreichen und allgemein bekannten Liebesabenteuer bestärkten jedermann in dem Glauben, daß sie, ähnlich wie vor ihr die Kaiserin Elisabeth, einen möglichst reichen Wechsel in Befriedigung ihrer Leidenschaften und Launen suchen, sich aber nur wenig mit den Regierungsangelegenheiten beschäftigen würde. Hierin betrog sich die allgemeine Erwartung gewaltig: Katharina herrschte selbst und regierte mit einer Staatsklugheit, die Rußland in ganz Europa eine hohe und bisher noch nie besessene Achtung erwarb. Sie sah sehr wohl ein, daß es ihr nur durch den blendenden Glanz großer militärischer und politischer Aktionen gelingen könne, die Welt vergessen zu machen daß sie auf gewaltsame Art den Thron ihres Gemahls bestiegen, und sie beschloß daher, sich durch Genie und Staatsweisheit die allgemeine Anerkennung zu verschaffen.
Unzweifelhaft ist es, daß, wenn sie der noch vollkommen unentwickelten, ja einer höheren Bildung abholden Nation freie Zügel gelassen hätte, der russische Staat sehr bald in die alte Barbarei zurückgesunken sein würde, der unter der Regierung ihrer Vorgängerin Elisabeth die Traditionen der Politik Peters des Großen kaum hinreichenden Widerstand zu leisten vermochten. Die russische Nation bedurfte, so ganz in der eigentlichsten Bedeutung des Wortes, der selbstherrschenden Gewalt eines Monarchen, der auch gegen den Willen der Nation die staatseinheitlichen Reformen und Entwickelungen durchzusetzen wußte, da dem eigentlichen Wesen des Volks jede selbsttätige und auf ursprünglichen Ideen beruhende Lebenstätigkeit fremd geblieben war. Ebenso, wie Peter I. sich hauptsächlich auf auserwählte und dazu geschickte Ausländer stützte, mußte auch Katharina II. zu allen ihren großen Plänen den Beistand ihr dienstbar gewordener Ausländer in Anspruch nehmen. So weit nun solche von den übrigen europäischen Kulturstaaten entlehnte Schöpfungen nur mit Hilfe von Fremden befördert und erhalten werden konnten, mußten sie natürlich für das alte, roh gebliebene, echt nationale Russentum als aufgezwungen, antinational und despotisch erscheinen. Um das Herbe dieses Gefühls für die Altrussen zu mildern und ihnen die eingeführten Neuerungen erträglicher zu machen, hielt Katharina die ebenfalls von Peter dem Großen übernommene Maxime fest, so weit es nur irgend möglich war, Ruhm und Ehren wenigstens scheinbar auf eingeborene Russen fallen zu lassen. Da indessen die Abkömmlinge der alten moskowitischen Familien jeden inneren Triebes zu einer uneigennützigen Tätigkeit für das allgemeine Wohl entbehrten, so mußte durch eine auf künstliche Weise gesteigerte Leidenschaft für Dienstehre und Rangwesen diese Lücke wieder ausgefüllt werden. Belohnungen nach dieser Richtung, oder auch schon Furcht vor Bestrafung, waren damals, sowie auch noch jetzt, die wichtigsten Triebfedern im Mechanismus des russischen Staatsdienstes.
Die Parteiung unter den Staatsmännern sowohl am Hofe, als unter der Regierung beruhte nicht auf Ungleichheit in Grundsätzen, sondern auf eingewurzelten eigennützigen Interessen, für welche Werkzeuge erforderlich waren, die Intrigen einleiten und durchführen, sowie sich gegenseitig bewachen konnten, und die aus diesem Grunde natürlicherweise nicht aus tugendhaften und ehrlichen Leuten bestehen durften. So gestaltete es sich ehedem zur Zeit des ersten Peter, so jetzt in den Tagen der zweiten Katharina, – und das Verhältnis dieser Regenten zu den Regierten führte dann von selbst zu einer unruhigen, vorwärts drängenden und nach außen gerichteten Tätigkeit. Kriegerischer Ruhm mußte den einzelnen für den unausbleiblichen Zwang entschädigen, und die Masse des Volkes erhielt durch die militärischen Erfolge ein Gefühl von Nationalbedeutung, welches späterhin diesen riesigen Körper völlig durchdrang, der sonst so schwer in Bewegung zu setzen war. Wo hätte also Katharina schnellere und größere Resultate erreichen können, als im Kriege, der zu gleicher Zeit die russische Nation aufstachelte und an Tätigkeit gewöhnte und bei dem ihrem scharfen Blicke am allerwenigsten entgangenen Verfall der ihr zunächst liegenden Staaten die glänzendsten Erfolge versprach? – Polen war das erste zur Erprobung ihrer Kraft ersehene Opfer. Dann kam die Reihe an die Türkei, und endlich mußte auch Schweden seinen Tribut beisteuern.
In der Zeit, als Katharina II. die Regierung antrat, war August III. König von Polen und gleichzeitig Kurfürst von Sachsen. Er war von Natur mit einem wenig kräftigen Charakter ausgestattet, der zudem durch Alter und eine Kränklichkeit geschwächt war, welche ihm seine Ausschweifungen zugezogen hatten. Er war ebensowenig in der Lage zu regieren, als den Intrigen und dem Einflusse des Hofes von Petersburg zu widerstehen.
Das ottomanische Reich war damals, sowie auch mehrere Jahrhunderte vorher, fanatisch, barbarisch und unter dem orientalischen Despotismus erdrückt. Dennoch hatten die Ulemas schon etwas mehr Einfluß gewonnen, und die Macht der Janitscharen begann bereits teilweise zu verschwinden. Die Türken, obschon sie überall von den Russen, seitdem Münnich diese anführte, besiegt waren, dagegen über die Österreicher, seit Prinz Eugen tot war, stets Erfolge errangen, bedrohten die Grenzen Ungarns, doch suchte der Sultan, der hinreichend damit beschäftigt war, seine eigenen weit ausgedehnten Staaten im Gehorsam zu erhalten, dem Krieg mit den Russen zu entgehen.
Schweden, das kurz zuvor einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, seinem König die ganze Machtbefugnis zurückzuerstatten, die er jetzt mit dem Reichsrate teilen mußte, führte den Grafen Brahe Graf Erik Brahe geb. 25. Juni 1722, hingerichtet 23. Juli 1756. und mehrere seiner Anhänger auf das Schafott und machte den Reichsrat dadurch nur noch mächtiger, als er es schon zuvor gewesen war. Die meisten Mitglieder desselben standen unter dem Einfluß des französischen Gesandten, und König Adolf Friedrich, der Oheim des Czaren Peter III., besaß weder Mut noch Geschicklichkeit genug, um sich der Vormundschaft des Reichsrats zu entziehen.
Das Verhältnis Rußlands zu diesen seinen drei Nachbarstaaten, sowie auch zu den übrigen europäischen Mächten, war bisher noch ein friedliches, besonders nachdem Katharina die gegen Dänemark von Peter III. eingeleiteten Feindseligkeiten eingestellt hatte. Aber das Innere des Reiches war noch von einem unruhigen und rebellischen Geiste beseelt, der eine Schwüle erzeugte, es aufregte und schließlich auch eine Erhebung hervorrief. Weder das strenge Urteil, das bei diesem Anlaß über die vier Haupträdelsführer der Garden ausgesprochen und vollzogen worden war, noch die Milde der Kaiserin, hatten die Gefühle des Hasses und der Rache zu ersticken vermocht, die als die natürliche Folge einer Ungerechtigkeit erzeugt zu werden pflegen.
Obschon Katharina ihre Usurpation zu bemänteln suchte und sich mit der ihr angenehmen Täuschung schmeichelte, daß ihre Untertanen Peter III. bald vergessen würden, fühlte sie es dennoch nur zu deutlich, daß das Andenken an dessen Tod sich nicht sobald würde auslöschen lassen, und daß man die Gedanken davon nur abziehen könne, wenn man glänzende Taten verrichte und große Pläne glücklich durchführe. Aber sie wußte auch, daß diesen manche Hindernisse entgegenständen, und daß die fehlenden Gelder und zerrütteten Finanzkräfte sowie die Politik bis auf weiteres mit Rußlands Nachbarn Frieden erforderten.
Sie gab deshalb den Krieg fürs erste auf und beschäftigte sich statt dessen mit der Administration ihrer weit ausgedehnten Staaten, richtete ihre Augen auf die Verbesserung und Vermehrung des Handels, den Städtebau, Helbig bemerkt in seiner Biographie Peters III. (Bd. I, S. 2). Katharina II. habe während ihrer Regierung mehr als 250 neue Städte anlegen lassen. Der gute Zweck, den sie dabei im Auge gehabt, sei allerdings verfehlt worden. Die meisten seien alte Dörfer, enthielten außer den Gouvernementsgebäuden, die der Krone gehörten, nur einige elende Hütten und könnten daher selbst mit schlechten und wenig bevölkerten Dörfern in Deutschland nicht verglichen werden. Entweder sei die ursprüngliche Anlage fehlerhaft gewesen oder die Einwohner seien nicht gehörig unterstützt worden, denn, schon nach 20 oder 30 Jahren seien viele dieser Anlagen wieder zugrunde gegangen. In der Tat liegt hier die Wurzel des Übels. Schon Katharina kämpfte vergeblich gegen die heute sprichwörtlich gewordene Korruption des russischen Beamtentums. Am 29. Juli 1762, kaum 3 Wochen nach ihrem Regierungsantritt, erläßt sie bereits scharfe Befehle gegen die Bestechungen und Gelderpressungen, und zwei Jahre später heißt es in dem Bericht eines deutschen Gesandten am Petersburger Hof: »Die Anordnungen, die die Kaiserin seit ihrer Thronbesteigung getroffen, werden mit dem schlechtesten Willen von der Welt vollzogen. Die von der Kaiserin in den Provinzen des Reichs angestellten Justizbeamten sind seit mehr als 10 Monaten nicht bezahlt. Der dazu angewiesene Fond reicht bei weitem nicht aus. Die Raubsucht und die Ungerechtigkeit der habgierigen Richter müssen notwendig das Volk gegen die Souveränin verstimmen, der man die Schuld zuschreibt, daß jene ihr Gehalt nicht bekommen, wodurch sie genötigt werden, auf Kosten der Parteien zu leben. Es ist derselbe Gang, der mit einigen größeren oder geringeren Abweichungen bei fast allen übrigen Einrichtungen befolgt wird.« (Sackens Bericht vom 14. Dez. 1764 bei Herrmann Bd. V S. 337.) Vgl. Katharinas Ukas gegen die Bestechungen und Gelderpressungen (Lichoimstwo, Geschenkfresserei) vom 18./29. Juli 1762 im »Neuveränderten Rußland oder Leben Catharinä der Zweiten«, Riga und Leipzig 1772, Bd. II, S. 153–62. das Wachstum der Marine und vor allem darauf, dem Lande neue Geldquellen zu eröffnen, ohne sich jedoch dabei einer zu strengen und enthaltsamen Haushaltung zu überlassen. Ihr Stolz erlaubte ihr nicht, dem asiatischen Luxus zu entsagen, den der russische Hof schon seit dem Regierungsantritt Elisabeths entwickelt hatte. Außerdem glaubte sie, daß dieser Luxus notwendig sei, um die fremden Nationen in bezug auf Rußlands wirkliche Stellung so lange irre zu führen, bis sie jene durch ihre kecken Eroberungen in Erstaunen zu setzen vermöchte.
Nachdem Katharina mit ihren Ministern gearbeitet hatte, hielt sie gewöhnlich lange Privatgespräche, oft mit Bestushew, oft aber auch mit Münnich. Der erstere klärte sie über die Politik und die Hilfsquellen der europäischen Höfe auf, der letztere teilte ihr seine Reformpläne in staatsrechtlicher und fortifikatorischer Beziehung mit.
Katharina kannte ihre eigenen Talente und ihren Mut genau, und erkannte auch alle Vorteile, die sie aus ihrer Macht ziehen konnte. Als sie eines Tages, erzählt Castéra, Jean Henri Castéra, dessen »Geheime Lebens- und Regierungsgeschichte« Crusenstolpe hier hauptsächlich benutzt, war einer jener diplomatischen Agenten, deren Dienste der französische König neben denen seines Ministeriums des Auswärtigen in Anspruch nahm. Castéra lebte lange in Polen, war in Polnisch Livland gewesen, hatte St. Petersburg, Stockholm, Kopenhagen besucht und hatte nach seiner Rückkehr nach Paris infolge seiner Stellung die Möglichkeit, sich mit den diplomatischen Berichten der französischen Residenten sowohl am russischen wie an anderen Höfen bekannt zu machen. Aus diesen Berichten entstand im Verein mit den von ihm persönlich gesammelten Nachrichten seine »Vie de Catherine II.« Paris 1797 und 1800, die trotz manchen Unrichtigkeiten dazu berufen war, in der westeuropäischen Literatur diejenige Auffassung über Katharina zu begründen, die im wesentlichen noch bis zur neueren Zeit in jener vorherrschend geblieben ist. Vgl. Bilbassow, Catharina II. im Urteile der Weltliteratur, Berlin 1897, Bd. II, S. 78-83. vertraulich mit dem Minister Breteuil konversierte, fragte sie ihn, ob er glaube, daß der zwischen Österreich und Preußen abgeschlossene Frieden zu Hubertusburg lange währen würde.
Der Minister antwortete, daß die Ermattung der Völker und die Weisheit der Regenten eine vieljährige Ruhe zu versprechen schienen, fügte aber hinzu, daß sie durch ihre Kenntnis des politischen Systems der europäischen Höfe dies besser als irgend jemand anders würde beurteilen können, und daß ihre eigene Kraft ihr ebenso gestatten würde, die Angelegenheiten nach eigenem Behagen zu leiten und zu lenken.
Katharina sagte, eine bescheidene Miene annehmend: »Sie glauben also, daß Europa seine Augen auf mich gerichtet hat, und daß ich an den größten Höfen desselben auch etwas gelte?«
Die Antwort konnte natürlich keine andere als eine bejahende sein. Katharina hörte sie fröhlich an, und nachdem sie dann mit einem Mal ihre ganze kaiserliche Würde angenommen hatte, fuhr sie fort: »Ich glaube es auch wirklich selbst, daß Rußland einige Aufmerksamkeit verdient. Ich gebiete über eine große und tapfere Armee. Gelder mangeln mir zwar jetzt, das ist wahr, aber in wenigen Jahren werde ich auch damit zum Überfluß versehen sein. Und wenn ich meiner natürlichen Neigung folgen würde, so möchte ich lieber Krieg als Frieden sehen; aber die Menschlichkeit, die Gerechtigkeit und die Vernunft halten mich davon zurück. Indessen werde ich gewiß niemals der Kaiserin Elisabeth gleichen und werde nie mutwillig oder mit hartnäckigem Trotz einen Krieg beginnen. Ich werde ihn anfangen, wenn ich finde, daß er für mich notwendig oder vorteilhaft ist, aber niemals um anderen zu dienen, oder sie zu unterstützen!« – Sie fügte dann nach einer kürzeren Pause hinzu: »daß man sie erst nach fünf Jahren würde beurteilen können, da sie mindestens dieser Spanne Zeit bedürfe, um Ordnung in ihr Reich zu bringen und die Früchte ihrer Sorgen zu ernten; daß sie sich aber während dieser Zeit gegen die Fürsten Europas als eine geschickte und einschmeichelnde Kokette erweisen wolle.«
Der Minister glaubte, daß ihr das alles nur von ihrer weiblichen Eitelkeit diktiert sei, beeilte sich aber dennoch, es mit schmeichelhaften Artigkeiten zu beantworten.
Der erste Gebrauch, den Katharina von ihrer Herrschermacht und dem darauf beruhenden Einfluß machte, äußerte sich zugunsten Birons, dem vom Senat in Mitau Schwierigkeiten in den Weg gestellt wurden. Als sie die Truppen aus Preußen zurückrief, schickte sie ihnen zugleich den Befehl, sich nach Kurland zu begeben, um dort die Ansprüche ihres Schützlings zu unterstützen.
Während der langen Verbannung Birons hatten die kurländischen Stände an seiner Stelle den Prinzen Karl von Sachsen, einen Sohn König Augusts III., zu ihrem Herzog gewählt. Dieser Prinz, durch das Ansehen seines Vaters und die Wünsche der kurländischen Bevölkerung unterstützt, war einem Kandidaten vorzuziehen, der sich schon durch seine Grausamkeit verhaßt gemacht hatte. Aber die Gegenwart einer russischen Armee verminderte bald das Wohlwollen, das man bisher für den Prinzen Karl gehegt hatte. Der Envoyé Katharinas, Simolin, Karl Matwejewitsch Simolin, 1719–1777. diktierte bald dem Senat von Mitau Gesetze, und ein zugunsten Birons ausgefertigtes Manifest bedrohte den König von Polen mit Waffengewalt, so daß er schließlich nachgeben und den Nebenbuhler seines Sohnes als Herzog von Kurland anerkennen mußte. Nachdem Prinz Karl gezwungen worden war, Mitau zu verlassen (16. April 1763), fand daselbst am 22. Juni die feierliche Huldigung für den zurückgekehrten Herzog Biron statt. »An besagtem Tage versammelte sich ein Teil des Adels beiderlei Geschlechts des Morgens um 8 Uhr in der heiligen Dreifaltigkeitskirche, während sich die übrigen zu Hofe begaben, um Ihre Durchlaucht den Herzog abzuholen. Der Zug wurde durch 30 Kutschen vom Adel eröffnet, welchen die beiden Räte der hohen Regierung, Herr von Ossenberg, oberster Burggraf, und der Marschall des Landes folgten. Auf dieses sah man in einer mit sechs Pferden bespannten Karosse den Hofmarschall und sämtliche Kammerherren. Ihnen folgte in einer prächtigen Karosse der Prinz Karl Biron und endlich der Herzog Ernst Johann selber. Sobald Ihro Durchlaucht der Herzog in der Kirche Platz genommen hatte, wurde eine vortreffliche Musik aufgeführt, nach deren Endigung der Herr Superintendent Huhn über die Worte aus Zachariä Kap. 8 V. 17 eine sehr gelehrte Predigt hielt und darinnen sehr nachdrücklich die Pflichten der Untertanen gegen ihre Landesfürsten zeigte. Nach der Predigt wurde das: »Herr Gott dich loben wir« unter Trompeten- und Paukenschall abgesungen, worauf der Hof sich in der nämlichen Ordnung in den Palast zurückbegab.« Geschichte Ernst Johanns von Biron, in verschiedenen Briefen entworfen, Frankfurt und Leipzig 1764. XIX. Brief, S. 177/78.
Durch diesen Erfolg zufriedengestellt, gebrauchte Katharina den ihr zu Gebote stehenden Einfluß bei der Kaiserin Maria Theresia und Friedrich dem Großen, Letzterer hatte Katharina vorher als Druckmittel dienen müssen. »Lassen Sie Brühl sagen«, schreibt sie an ihren Kanzler Woronzow, »daß, wenn er in der kurländischen Angelegenheit auch nur einen Schritt tut, welcher meinen Wünschen widerspricht, ich alle meine Bemühungen, bei dem Könige von Preußen zugunsten Sachsens zu wirken, sogleich einstellen, daß ich dagegen in Polen alle seine Gegner soutenieren und nicht eher aufhören werde, als bis ich ihn aus Polen fortgejagt habe.« Brückner, Catharina II., S. 247. diese zu bewegen, ihre Truppen aus den Erbstaaten des Königs von Polen zurückzuziehen, konnte aber anfangs ihre Absicht nicht erreichen. Maria Theresia schob die Schuld dem Könige von Preußen zu, und dieser warf sie seinerseits auf jene zurück. Glücklicherweise erlaubte der baldige Friedensschluß ihnen nicht, den Zwiespalt länger aufrechtzuerhalten.
Friedrich II, der schon lange erkannt hatte, von welcher Wichtigkeit die Freundschaft Katharinas für ihn werden konnte, und der dieselbe zu gewinnen wünschte, wurde einer ihrer eifrigsten Verehrer und verwandte feine und wahrhaft ausgesuchte Schmeicheleien auf sie. Er sandte ihr unter anderm seinen hohen Schwarzen-Adler-Orden, den sie auch mit großem Wohlbehagen annahm, und mit dem sie sich schon schmückte, als sie noch in Moskau war. Ohne Zweifel hatte sie es nicht vergessen, daß man es Peter III. als ein Verbrechen angerechnet hatte, daß er einen preußischen Orden trug; aber sie wollte ihren Untertanen beweisen, wieviel sie schon jetzt an fremden Höfen gälte, und was für Peter ein Verbrechen gewesen war, wurde in der Tat für sie nur ein Zug politischer Geschicklichkeit.
Inzwischen entstand eine neue Mißhelligkeit zwischen dem Hof von Petersburg und dem von Kopenhagen aus Anlaß der Administration von Holstein. Durch einen geheimen Traktat, der einige Jahre vorher zwischen Dänemark und Schweden abgeschlossen war, hatte letzteres seine Rechte auf die Mitregentschaft von Holstein während der Dauer der Minderjährigkeit des jungen Großfürsten Karl Friedrich, Herzog von Holstein, hinterließ im Jahre 1739 sterbend seinem Sohn Karl Peter Ulrich, dem späteren Peter dem Dritten von Rußland, das angestammte Herzogtum unter der Vormundschaft seines Bruders Adolf Friedrich, der damals Bischof von Lübeck war und später König von Schweden wurde. (Anmerkung des Verfassers.) an Dänemark abgetreten.
Der dänische Hof hatte mit Mißvergnügen die Wiederkunft des Prinzen Georg Ludwig gesehen, der im Namen Rußlands in Holstein befehlen sollte. Er weigerte sich anfangs geradezu, dessen Berechtigung und Macht anzuerkennen. Aber Katharina drohte, und man fürchtete, russische Truppen wieder nach Holstein zurückkehren zu sehen. Dänische Kommissarien überlieferten Kiel, und ein außerordentlicher Envoyé kam aus Kopenhagen nach Moskau, um zu versuchen, das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Mächten wiederherzustellen.
Die Höfe von St. Petersburg und Stockholm lebten in jener Zeit in bestem Einverständnis. Durch die Bande des Blutes vereint, waren sie beide gleich im Bedürfnis nach Frieden, und Rußland zeigte damals noch nicht das ungeheure Wachstum seiner Macht, wodurch es späterhin ebensowohl Schweden, wie seine anderen Nachbarn gefährlich bedrohte.
Beruhigt hinsichtlich der Absichten der europäischen Mächte, konnte Katharina dies in bezug auf ihre eigenen Untertanen nicht sein. Sie tat indessen alles, was sie für zweckdienlich hielt, um sich diese zu verbinden und ihnen Nutzen zu verschaffen. Sie war edelmütig und freigebig, wenn vielleicht auch mehr aus Berechnung. Der Wunsch, ihre Anhänger zu vermehren, machte sie mitunter zur Verschwenderin. Sie schmückte sich mit einer ihrem Herzen fremden Nachsicht und schien manches zu übersehen, was sie recht gut bemerkte.
Während der ersten Monate nach der blutigen Katastrophe, die Peter III. das Leben kostete, hatte Katharina wenig Zeit gehabt, über den ganzen Umfang des wenn auch von anderen, so doch zu ihren Gunsten begangenen Verbrechens nachzudenken; aber mit der Zeit erkannte sie dessen schreckliche Größe, und auch ihre harte Seele konnte die Gewissensbisse nicht gänzlich ersticken. Außerdem erhielten Konspirationen sie in beständiger Unruhe. Man entdeckte diese zwar in der Regel und kam ihnen zuvor, aber man konnte darum ihre Wurzeln doch nicht vernichten. Katharina war um so mehr durch ihre Lage bedrückt, als sie diese und ihre Gefühle aufs sorgfältigste verbergen mußte.
Auch schmerzte es sie im geheimen, daß sich seit jener Zeit, in welcher Grigorij Orlow ihr öffentlich anerkannter Geliebter geworden war, die durch vornehme Geburt und reiche Gaben hervorragendsten Männer, durch den unermeßlichen Stolz dieses Menschen beleidigt, von ihrem Hof zurückgezogen hatten und sich nun in kühler Entfernung hielten. Katharina mußte es zu ihrem tiefen Kummer oft sehen, daß ihre Gesellschaft nur aus Soldaten bestand, die auf unverschämte Weise das Recht mißbrauchten, welches sie auf ihre Erkenntlichkeit zu besitzen glaubten. Es waren nicht allein die ihr früher geleisteten Dienste, welche sie ihnen lohnen mußte, sondern sie mußte ihnen auch im voraus diejenigen bezahlen, welche sie ihr möglicherweise später noch einmal leisten konnten, und die Freigebigkeit und Gunst, welche sie ihnen im vollsten Maße bewies, sättigten sie weder, noch befriedigten sie sie, sondern vermehrten nur ihre Ansprüche und ihre Gier. Sie errötete im stillen oft selbst über die Vorrechte, die sie ihnen gestattete, und um ihre Fehler und ihre Roheit zu entschuldigen, gab sie vor, daß sie mit ausgezeichneten Eigenschaften begabt seien, die sie jedoch in Wirklichkeit nicht besaßen.
»Ich führe kein angenehmes Leben«, sagte sie eines Tages. »Ich weiß sehr wohl, daß diejenigen, welche meine Umgebung bilden, der Erziehung entbehren; aber ich habe ihnen für alles zu danken, was ich bin. Sie sind mutig und tapfer, und ich bin gewiß, daß sie mich nicht verraten werden«. Bericht vom 23. Februar 1763 bei Raumer, Beiträge zur neueren Geschichte, III, 1, S. 313. – Ein Teil dieser Äußerung war übrigens keineswegs aufrichtig gemeint. Katharinas Mitschuldige entbehrten gewiß nicht des Mutes und der Tapferkeit, aber ihre Treue war jedenfalls sehr zweifelhaft.
Unter ihren stolzen und brutalen Hofleuten war N. J. Panin so ziemlich der einzige, der sich durch ein elegantes, feines Wesen und einen gebildeten Geist auszeichnete. Dessenungeachtet genoß er nur untergeordnetes Ansehen. Er dachte immer noch an seine aristokratische Regierungsform, zu deren Einführung er schon Peter III. hatte bewegen wollen, und so benutzte er denn auch jetzt noch jede Gelegenheit, um die Vorzüge derselben zu preisen. Eines Tages, als er Katharina ganz besonders aufgeregt und ungewöhnlich herabgestimmt fand, glaubte er, daß der Augenblick günstig sein möchte, um seinen Plan vor ihr umfassend zu entwickeln und sie zu vermögen, denselben anzunehmen. Nachdem er die Gefahren, die er für sie fürchtete, sehr übertrieben geschildert und die Schwierigkeiten hervorgehoben hatte, die sich zeigten, um den Verwirrungen zu entgehen, die jederzeit Usurpationen nachfolgen, fügte er hinzu, daß es dennoch ein untrügliches Mittel gäbe, um sich dagegen zu schützen und dann für fernere Zeiten ihren Thron unerschütterlich festzustellen; daß er aber fürchte, eine falsche Empfindlichkeit möchte sie verhindern, sich dieses Mittels zu bedienen.
Katharina bat ihn, sich näher zu erklären. Er enthüllte ihr nun ein Regierungssystem, welches mit Bewunderung zu schätzen ihn eine lange Erfahrung gezwungen habe. »Die moskowitischen Czaren«, fügte er hinzu, »haben bisher eine Macht ohne Grenzen genossen; aber es ist die weite Ausdehnung dieser Macht selbst, welche sie für denjenigen gefährlich macht, der sie gerade inne hat, weil ein kecker Prätendent, der über den Gesetzen steht, in jedem Augenblick diese Macht usurpieren kann. Glauben Sie mir, Majestät! Bringen Sie mit dieser unumschränkten Gewalt ein Opfer. Ernennen Sie einen permanenten Rat, der Ihnen Ihre Krone garantiert. Erklären Sie feierlichst, daß Sie für sich und auch für Ihre Nachfolger der Macht entsagen, die Mitglieder dieses hohen Rates nach Ihrem Gutdünken absetzen zu können. Erklären Sie, daß, wenn diese ein Verbrechen begehen oder sich Vergehungen schwererer Art zuschulden kommen lassen, nur ihre Pairs das Recht besitzen sollen, sie nach gewissenhafter und strenger Untersuchung zu verurteilen. In dem Augenblick, in welchem Sie eine so gewisse Partie ergreifen, wird man es ebenso gewiß vergessen, daß Sie auf eine gewaltsame Art zum Throne gekommen sind, und man wird nur noch daran denken, daß Sie sich durch Gerechtigkeit darauf erhalten wollen.«
Katharina hörte sich Panins Vorschlag an und befahl ihm zunächst, diesen schriftlich auszuarbeiten und ihr sodann zuzustellen. Panin beeilte sich sogleich zu gehorchen, und um sich des Erfolges noch besser zu versichern, setzte er Grigorij Orlow an erste Stelle der neu zu ernennenden Ratsherren. Der Günstling schien sich durch diese Auszeichnung geschmeichelt zu fühlen, aber er bat sich dennoch Zeit zur Überlegung aus, und ehe er Panin seine Antwort erteilte, holte er sich selbst den Rat des alten Bestushew ein, welcher, um noch in seinen letzten Lebenstagen eine Rolle zu spielen, erklärte, daß er mit seiner Erfahrung die Kaiserin über diesen wichtigen Gegenstand belehren wolle. Bestushew kannte den Wert einer Macht, die er so lange Jahre geteilt hatte, zu gut, um sie gern und willig aus Katharinas Händen entschlüpfen zu sehen. Er begab sich sogleich zur Kaiserin, stellte ihr in kräftigen Worten die ganze Gefahr vor, die in dem Schritt verborgen läge, welchen Panin ihr vorzuschlagen gewagt hatte, und beschwor sie, sich nicht einer später gewiß nicht ausbleibenden Reue auszusetzen, indem sie eine Gewalt teile, welche zu erwerben ihr so viel gekostet habe, und die sie nie wiederzuerlangen imstande sein würde, wenn sie diese nur einen einzigen Augenblick aus den Händen gegeben habe.
Die Kaiserin nahm den Rat des alten Kanzlers an und versprach, ihn zu befolgen. Als sich Panin wieder bei ihr einfand, entdeckte er sogleich, daß sie ihren Vorsatz geändert habe. Sie erwies seinem Eifer volle Gerechtigkeit, rühmte seine Erfahrung und sein aufgeklärtes Wesen, gestand ihm aber auch unumwunden ein, daß sie sich hierin unmöglich seines Rats bedienen könne. Der Minister war ungemein überrascht, eine so schnelle Sinnesänderung bei ihr vorzufinden, sah sich aber von der Notwendigkeit überzeugt, seinen Ärger und sein Mißvergnügen vor Katharina zu verbergen. Vor seinen Freunden sprach er es dagegen laut aus und sagte zu einem derselben: »Wenn die Kaiserin selbst und allein den Staatsangelegenheiten vorstehen will, dann wird man bald sehen, wie sie sich und das Reich ruiniert.«
Indessen erfuhr Panin sehr bald, daß Bestushew es war, dem er für das Mißlingen seines Vorschlages und Lieblingsplanes zu danken hatte, und er fand in kurzer Zeit Gelegenheit sich zu rächen, indem er nun seinerseits einen Plan zerstörte, den der ehrgeizige Greis entworfen hatte, um sich selbst dadurch einer größeren Unentbehrlichkeit zu versichern. Zeuge des Liebesbedürfnisses Katharinas, wußte Bestushew, daß sie sich demselben jederzeit mit der ungezügeltsten Hingebung überlassen würde, und um den Gegenstand ihrer Leidenschaft zu begünstigen, war er imstande, die größten Opfer zu bringen. Insbesondere merkte er, daß keiner unter Katharinas früheren Liebhabern über sie eine so große Gewalt besessen hatte, wie Grigorij Orlow sie jetzt ausübte. Dieser Günstling wurde der Kaiserin mit jedem Tage lieber. Seine männliche Schönheit, die ihre Leidenschaft erregt hatte, und die noch mehr durch eine stolze Miene und durch ein unbeschränktes Selbstvertrauen gehoben wurde, hatte ihm die ausschließliche hohe Gunst erworben, in deren Genusse er sich jetzt befand. Die großen Dienste, welche er Katharina erwiesen hatte – die er ihr immer noch erweisen konnte, das intime Verhältnis, welches zwischen beiden bestand, dies alles überzeugte den schlauen Greis von Grigorij Orlows mächtigem Einfluß. Katharina hatte eine Zeitlang ihre Verbindung mit ihm unter dem Schleier anständiger Zurückhaltung zu verbergen gesucht; bald aber legte sie, entweder aus übertriebener Liebe oder aus Politik das Geheimnis ab und suchte eine Ehre darin, ihre Leidenschaft laut einzugestehen.
Bei den Festlichkeiten und Schauspielen, die im Innern ihrer Gemächer veranstaltet wurden, ließ sie nun jeden Zwang fallen. So hatte sie einstmals eine Menge Menschen zur Darstellung einer französischen Tragödie eingeladen, in welcher Orlow die Hauptrolle spielte, und als sie sich in der Nähe des Herrn von Breteuil, des vertrauten Freundes Poniatowskis, befand, suchte sie jenen während der ganzen Dauer des Schauspiels auf die Anmut ihres jetzigen Liebhabers aufmerksam zu machen und pries in begeisterten Worten seinen Edelmut und Geist. Sodann sich plötzlich erinnernd, daß Orlow allgemein für wenig geistreich gälte, und daß sie dies selbst einmal in Gegenwart Breteuils zugegeben habe, wollte sie diese Übereilung schnell wieder gut machen und sagte: »Glauben Sie mir, wenn Orlow manchmal schwer von Begriffen scheint, so ist dies nur Verstellung von ihm, um unter dieser Maske besser den Hofmann spielen zu können.«
Wir müssen jedoch zu Bestushews Plan zurückkommen. Von der heftigen Leidenschaft der Kaiserin überzeugt, unterrichtete der alte Hofmann den Grafen Orlow von seinem Wunsch, ihn zum Kaiser zu befördern, und erweckte dadurch den an und für sich schon großen Ehrgeiz des Günstlings zu völliger Unersättlichkeit.
Nachdem dies geschehen, begab er sich zur Kaiserin und forschte sie auf eine seiner schlauen Vorsicht entsprechende Weise geschickt über die projektierte Ehe aus. Sie antwortete, wie man erzählt, Castéra, Bd. I, S. 190. daß sie sich, so lebhaft sie es auch wünsche, sich mit ihrem Geliebten zu vermählen, dennoch nie dazu entschließen würde, wenn dieser Vereinigung das geringste Hindernis im Wege stände oder sie auf Widerspruch stieße, und sie gestand, daß sie auch bei reiflicher Überlegung nicht einsähe, wie ein solches Bündnis geschlossen werden könnte, ohne daß ihr ganzes Reich dadurch revoltiert würde.
Der Kanzler nahm es auf sich, die Mittel dazu aufzufinden. Er verfaßte im Namen der russischen Nation eine Bittschrift, in welcher er, nach einer pomphaften Aufzählung alles dessen, was die Kaiserin schon für die Ehre und das Glück ihres Volkes getan hatte, an die schwache Gesundheit des jungen Paul Petrowitsch erinnerte und Katharina beschwor, der Nation einen neuen Beweis ihrer Liebe zu geben, indem sie, durch die Wahl eines zweiten Gemahls, ihre eigene persönliche Freiheit aufopfere.
Wie es der alte Kanzler in seiner Staatsklugheit vorausgesehen hatte, traf es auch ein. Als er die Petition der Priesterschaft vorlegte, beeilten sich zwölf Bischöfe, die er auf seine Weise im voraus zu gewinnen gewußt hatte, zu unterzeichnen. Diese hielten darum an, daß die Kaiserin daran denken möchte, unter ihren eigenen Untertanen denjenigen zu wählen, den sie für den Würdigsten hielte, mit ihr den Thron zu teilen.
Eine große Anzahl höherer Offiziere zollte dieser Petition der Bischöfe Beifall, und ohne Panins Geschicklichkeit in der Leitung der Kontreintrige, den Mut des Hetmanns Rasumowskij und die Tätigkeit des Kanzlers Woronzow würde Bestushew seinen Plan vielleicht mit Erfolg gekrönt gesehen haben.
Schon hatte Katharina von der Kaiserin Maria Theresia für Orlow ein Diplom erhalten, wodurch er zum Range eines deutschen Reichsfürsten erhoben wurde. Sie beabsichtigte auch noch, ihn zum Herzog von Ingermannland und Karelien zu erheben.
Panin vermochte Rasumowskij und Woronzow, der Kaiserin Katharina alles das nachdrücklich vorzuhalten, was die Vereinigung mit Orlow Demütigendes und Gefährliches für sie enthielte. Rasumowskij sprach mit dem ganzen Stolz und der Strenge seines Charakters, – und mit der ganzen Vollmacht, die er in dem Besitz seiner ungeheuren Güter und Reichtümer, sowie der von ihm bereits geleisteten Dienste begründet sah. Woronzow bat sie dagegen herzlich, sich nicht dazu verleiten zu lassen, ein Ehebündnis einzugehen, das die größten Unglücksfälle für das Reich herbeiführen müßte. Seine Vorstellungen, wennschon im tiefuntertänigsten Tone vorgebracht, waren dennoch entschieden und kühn und offenbarten, daß noch eine Kraft in ihm wohnte, die ihm dem allgemeinen Glauben nach längst fehlte.
Katharina, die nie in Verlegenheit zu setzen war, zeigte die größte Überraschung, und nachdem sie Rasumowskij für seine treue und erprobte Ergebenheit gedankt und Woronzows edlen Mut gerühmt hatte, sagte sie: »daß der Gedanke an eine Ehe, die sie so fürchteten, nie vor ihrer Seele gestanden habe; ja daß es ihr völlig unbekannt sei, daß man eine so abscheuliche und ihr verhaßte Intrige eingeleitet habe, und daß, wenn es sich sicher herausstellen würde, daß Bestushew der Urheber derselben sei, er ernstlich dafür bestraft werden würde. Während Hermann (Bd. V. S. 322/23) und mit ihm Crusenstolpe das Orlowsche Heiratsprojekt in Anlehnung an Castéra (Bd. I, S. 189ff.) behandeln, erzählt Brückner (Catharina II., S. 133) mit der Daschkow als Gewährmann kurz, daß Bestushew eine Adresse an die Kaiserin vorbereitete, in welcher die Bitte enthalten war, sie möge sich nach eigener Wahl mit einem ihrer Untertanen vermählen. Als Bestushew Unterschriften für diese Adresse sammelte, stieß er bei dem Grafen Panin, welchen er in dieser Angelegenheit aufsuchte, auf den allerentschiedensten Widerstand. Es gab einen stürmischen Auftritt, welcher damit schloß, daß Panin sich auf der Stelle zur Kaiserin begab, um ihr von dem Beginnen Bestushews Mitteilung zu machen. Katharina erklärte, daß der letztere in keiner Weise von ihr beeinflußt worden sei. Vgl. Memoiren der Fürstin Daschkow, Hamburg 1857, Bd. I, S. 146 ff.
Bestushew sah sogleich, daß sein Plan gescheitert sei, jedoch ohne daß sein bisheriges Ansehen durch das Mißlingen desselben gelitten hätte. Im Gegenteil wurde er an jedem Tage mehr von der Kaiserin und ihrem Günstling bevorzugt, während Woronzow von beiden mit auffallender Kälte behandelt wurde. Bald davon überzeugt, daß allzuviel Eifer nicht das rechte Mittel sei, um Katharina zu gefallen, und voraussehend, daß seine Ungnade schon so gut wie beschlossen sei, suchte Woronzow derselben zuvorzukommen, indem er sich freiwillig vom Hofe entfernte. Er meldete, daß seine Gesundheit durch die angestrengten Kabinettsgeschäfte erschöpft sei, und unter dem Vorgeben, diese wieder herstellen zu wollen, erbat er einen zweijährigen Urlaub, um ein milderes Klima aufzusuchen. Die Kaiserin, der seine Nähe beschwerlich gefallen war, bewilligte gern dies Urlaubsgesuch, stellte sich jedoch, als sähe sie ihn mit Betrübnis gehen, und bat ihn seine Rückkehr zu beschleunigen, um wieder ein Ministerium zu übernehmen, das er mit so großem Erfolg für das Wohl des Reiches verwaltet habe.
Inzwischen hatte bereits das im Dunkeln kursierende Gerücht, Katharina wolle sich mit dem kecken Günstling verehelichen, der dazu beigetragen hatte, ihren unglücklichen Gemahl vom Throne zu stürzen, lebhaftes Mißfallen erregt. Man schmiedete mehrere Komplotte gegen sie und ihren Günstling. Eins dieser Komplotte war nahe daran, glücklichen Erfolg zu haben. Ein Gardewachtposten war vor der Tür Orlows, wie vor der der Kaiserin aufgestellt. Man hatte diesen Posten insoweit gewonnen, daß er versprach, Orlow schlafend drei der Verschworenen zu überliefern. Die Stunde war aber nicht fest genug bestimmt, und als sich die drei dazu Bestimmten einfanden, das Verbrechen auszuführen, war der Posten, der ihnen Beistand leisten sollte, schon von einem andern abgelöst worden. Dieser, darüber verwundert, drei ihm unbekannte Personen zu einer so ungewöhnlichen Stunde das Verlangen aussprechen zu hören, zu Orlow geführt zu werden, machte Lärm, und sogleich eilten andere Soldaten der Garde herbei. Die Verschwörer, durch die Uniform begünstigt, die sie trugen, entkamen jedoch.
Dieser Vorfall verbreitete natürlich großen Tumult im Palast. Katharina, die davon geweckt wurde, glaubte, daß ihr eigenes Leben in Gefahr schwebe, und beeilte sich, Moskau zu verlassen, um nach Petersburg zurückzukehren. Der Tag vor ihrer Abreise zeichnete sich dadurch aus, daß die Bevölkerung eine beleidigende Freude zum Ausdruck brachte, in die sich auch Ausbrüche einer rasenden Wut mischten. Ihr Porträt in Transparent, welches auf einem Triumphbogen des großen Marktes in Moskau aufgestellt war, wurde heruntergerissen, von dem Volke zerstückelt und in den Schmutz getreten. Im Gegensatz zu diesem von Castéra (Bd. I, S. 193) kolportierten Gerücht spricht Katharina sich in einem vom 25. September 1762 datierten Schreiben an den russischen Gesandten in Warschau, Grafen Kayserlingk, über das Verhalten der Moskauer Bevölkerung sehr befriedigt aus. Vgl. Ssolowjew, Geschichte Rußlands, Moskau 1875., Bd. XXV, S. 160.
Als Katharina in Petersburg ankam, unterließ sie nichts, um ihren Einzug glänzend und imponierend zu gestalten. Vor ihrem Staatswagen marschierten sämtliche Garderegimenter einher, und die Wagen aller fremden, an ihrem Hofe beglaubigten Gesandten und ihre Hofstaaten folgten demselben. Aber alle diese Pracht tat die Wirkung nicht, die Katharina von ihr erwartet hatte. Sie erweckte mehr stumme Bewunderung als wahre Freude. Im Gegenteil, die Anzahl der Mißvergnügten nahm noch zu, die Verschwörungen vermehrten sich und wurden um so gefährlicher, als jetzt auch mehrere hervorragende Namen anfingen, ihnen Gewicht zu leihen. Mehrere der mächtigsten Familien des Reichs mußte man jetzt zu Katharinas Feinden zählen, und zwar waren auch einige von denen darunter, die ihr früher am eifrigsten gedient hatten. Graf Panin und sein Bruder befanden sich dabei. Auch Namen wie die der Schuwalows, Trubetzkojs und Golitzyns wurden im Zusammenhang mit einer Verschwörung genannt. Es bleibt unbestritten, daß, wenn sich die verschiedenen Verschwörer alle hätten zu einem Zwecke vereinigen können, und wenn es ihnen möglich gewesen wäre, sich an einen Prinzen zu wenden, der würdig geschienen, die Regierung zu übernehmen, Katharina verloren gewesen wäre. So aber zersplitterten sie ihre Tätigkeit, und die Kräfte verzehrten sich unnütz. Die einen wollten den jungen Großfürsten Paul auf den Thron erheben, die anderen dagegen den ebenso unschuldig als grausam verstoßenen Czaren Iwan wieder zurückrufen. Alle aber waren um die Mittel, ihr Ziel zu erreichen, verlegen, zeigten sich unentschlossen und stimmten zwar in dem Zweck, Katharina zu entthronen, überein, konnten sich aber durchaus nicht in dem Entschluß vereinigen, wer zu ihrem Nachfolger ernannt werden solle.
Katharina, die ganz im geheimen zur Kenntnis dieser Anzettlungen gelangt war, war einen Augenblick bereit, die Verschwörer verhaften zu lassen; aber sie besaß noch keine hinreichenden Beweise über ihr verbrecherisches Treiben, sondern bloße Verdachtsumstände, von denen sie sich am Ende hätte betrügen lassen, und sie war zu klug, um nicht einzusehen, daß sie durch eine unvorsichtige Strenge gegen so hoch angesehene Personen gerade Gefahr laufen konnte, eine allgemeine Erhebung zum Ausbruch zu bringen. Sie beschloß daher, List anzuwenden, ein Mittel, dessen sie sich in ihrem Leben am häufigsten und meist auch mit dem glücklichsten Erfolg bediente.
Obschon sie sich nach der Revolution, die sie in den Besitz des Thrones brachte, der Fürstin Daschkow gegenüber nicht sehr dankbar erwiesen und auch, nachdem sie sich genötigt gesehen hatte, diese wieder an ihren Hof zurückzurufen, ihr stets mit sichtlicher Kälte begegnet war, stellte sie sich plötzlich, als ob sie ihr das frühere Vertrauen zurückgäbe. Sie zweifelte nicht daran, daß auch die Fürstin an den neuen Komplotten teilnähme, da diese ja gerade von ihren alten Freunden angesponnen wurden. Sie kannte überdies ihre Hartnäckigkeit in Grundsätzen, wußte aber auch, daß sie heftig, leicht erregbar und vor allen Dingen unvorsichtig war. Sie hoffte ihr also die Äußerungen, die ihre Zweifel stillen könnten, leicht zu entlocken. Sie schrieb ihr einen langen Brief, in welchem sie sie mit allen Liebkosungen, welche die Zärtlichkeit nur irgend erdenken kann, überhäufte, denen sie überdies Versprechungen und Anerkennungen hinzufügte, und beschwor sie im Namen ihrer alten Freundschaft, ihr alles zu entdecken, was sie über die neuen Konspirationen wüßte, indem sie versicherte, daß sie alle begnadigen würde, die so töricht gewesen wären, sich darin einzulassen.
Die Fürstin Daschkow geriet in Aufregung und fühlte sich höchst verletzt darüber, daß Katharina den Versuch gemacht hatte, sie zu einem Instrument ihrer Rache zu machen, wie sie es früher zu ihrer Erhöhung hatte sein müssen; sie antwortete auf den vier Seiten langen Brief, den ihr die Kaiserin eigenhändig geschrieben hatte, nur mit folgenden lakonisch kurzen Zeilen: »Madame! Ich weiß von nichts, und wenn ich auch etwas wüßte oder gehört hätte, würden Sie mich doch nicht bewegen können, etwas oder jemand zu verraten. Was verlangen Sie von mir? – Etwa, daß ich das Schafott besteige? Nun wohl, ich bin bereit, es zu besteigen«. In den Memoiren der Fürstin Daschkow findet sich keine Bestätigung dieser Episode.
Durch so viel Stolz überrascht, in Verwunderung gesetzt und überzeugt, daß sie keine Hoffnung habe, denselben zu besiegen, suchte Katharina nun klüglich durch die Triebfedern der Eitelkeit und des Eigennutzes alle die für sich zu gewinnen, an deren Bestrafung zu denken sie nicht wagen durfte. Einige Subalternen unter den Verschwörern, die sogleich verhaftet worden waren, wurden nach Sibirien geschickt, da man es für angemessener hielt, die Sache in aller Stille abzutun.
Indessen unterließ Katharina nichts von dem, was nach ihrer Überzeugung zum wahren Glück des Reiches beitragen konnte. In der Zeit, als sie am meisten für ihre Sicherheit zu fürchten hatte, beschäftigte sie sich mit den Verwaltungsdetails so bedächtig und so ruhig, als hätte sie die Gewißheit, daß ihre Regierung ewig dauern würde. Sie richtete Hospitäler So unter anderem ein Hospital für »die Opfer des ausgearteten Geschlechtstriebes«, wo alle Kranke, beiderlei Geschlechts, unentgeltlich gepflegt und geheilt wurden. Über die in diesem Spital befindlichen Kranken durfte nicht gesprochen werden. Jeder, der sich einfand, bekam beim Eintritt eine Mütze mit der Aufschrift: »Verschwiegenheit«. Vgl. Gallerie aller merkwürdigen Menschen, Chemnitz 1823, Katharina II., Kaiserin von Rußland, S. 73. ein und ermunterte den Handel und die Industrie. Sie ließ neue Schiffe erbauen, und da sie mit tiefer Betrübnis sah, daß die Bevölkerung ihrer Staaten keineswegs der weiten Ausdehnung des russischen Reiches entsprach, und daß selbst ihre fruchtbarsten Provinzen nur schwache Ernten hervorbrachten, weil sie der arbeitenden Arme entbehrten, ließ sie eine Einladung an alle fremden Nationen ergehen, sich in Rußland ansässig zu machen. Katharina brachte der Ansiedelungsfrage ein besonderes Interesse entgegen. Es war noch kein Jahr seit ihrer Thronbesteigung vergangen, als sich über das »Übersiedeln von Landbewohnern« zwischen ihr, dem Generalprokureur Gljebow und dem Grafen M. L. Woronzow eine lebhafte Korrespondenz entwickelte. (Arch. des Fürsten Woronzow, XXVIII, 26.) Schon am 22. Juli 1763 erschien ein Manifest über die Gründung einer Vormundschaftskanzlei für Ausländer und über die Erlaubnis für Ausländer, sich in Rußland niederzulassen, sowie über ihre Rechte. (Allg. Ges.-Sammlg., Nr. 11 879 ff.) Sie versprach ihnen bedeutende materielle Vorteile und vor allem völlig freie Religionsübung, mit dem Rechte, ihr Land, wenn sie es wollten, wieder verlassen und alles, was sie erworben hätten, mit sich nehmen zu dürfen.
Der Umstand, daß die Einwanderer, welche sich in ihrem Reiche niederlassen wollten, nicht denselben Glauben haben würden, den sie selber angenommen hatte, kümmerte sie vernünftigerweise sehr wenig. Sie verlangte von ihnen nichts anderes, als daß sie geschickte Ackerbauer, fleißige und arbeitsame Fabrikanten und vor allem stille, ruhige Staatsbürger sein sollten.
Hinsichtlich des Vermögens, welches sie ihnen später aus ihrem Lande wegzuführen erlaubte, vertraute sie der Erfahrung aller Zeiten und Länder, daß die meisten Menschen ein Land, in welchem sie sich einmal freiwillig niedergelassen, und in dem sie Vermögen und Besitz erworben haben, sehr selten wieder verlassen.
Eine Anzahl Deutscher folgte wirklich ihrer Einladung und bildete hier und dort Kolonien, besonders im Gouvernement Woronesh. Im Anfang vollzog sich die Übersiedlung ziemlich langsam; als aber im Ausland die Anwerbung organisiert wurde, siedelten sich im Jahre 1766 schon gegen 5000 Kolonisten an den Ufern der Wolga, im jetzigen Gouvernement Saratow an. Bilbassow, Katharina II. im Urteile der Weltliteratur, Bd. 1, S. 90.
Während eines Teils des Jahres 1763 hielt sich Katharina viel in ihrem Palast auf. Sie entfernte sich auch oft stundenweise vom Hofe, indem sie kürzere Fahrten nach einem oder dem anderen ihrer Lustschlösser unternahm.
Poniatowski, der jetzt nicht mehr in Unkenntnis des Umstandes sein konnte, daß Orlow schon seit langer Zeit Katharinas erwählter Geliebter sei, suchte dennoch durch seine feurigen Briefe die leidenschaftliche Liebe, welche er ihr früher eingehaucht hatte, wieder neu zu beleben, und in dem guten Glauben, daß nur seine Gegenwart erforderlich sein würde, um seinen Nebenbuhler aus dem Felde zu schlagen, hielt er bei der Kaiserin darum an, sich unter dem tiefsten Schleier des Geheimnisses noch einmal nach Petersburg begeben zu dürfen. Aber Katharina, die aus eigner Erfahrung nur zu gut wußte, was sie von Orlows Heftigkeit zu fürchten habe, gestand ihm unumwunden ein, daß ihre Liebe zu ihm erloschen sei, versicherte ihm dafür jedoch, daß ihre Freundschaft dauernder sein würde, und versprach ihm bei allen sich darbietenden Gelegenheiten Beweise davon zu liefern. Sie zögerte auch nicht lange, das ihm geleistete Versprechen zu erfüllen.
Die Intrigen, welche der Wahl Poniatowskis und der Teilung Polens vorausgingen, reden wohl dem Verfalle dieses Staates und der darin herrschenden Anarchie ein lautes Zeugnis, noch gewaltiger sprechen sie aber für den, der es hören will, von der List und Gewalt, die von russischer Seite darauf verwandt wurde, den Ruin des unglücklichen Reiches herbeizuführen. Man kennt den ganzen Einfluß des höheren Adels und der Priesterschaft, der sich von jeher in Polen fühlbar gemacht hatte. Der niedere Adel lebte diesem störenden Verhältnisse gegenüber in der beklagenswertesten Unwissenheit und einer daraus natürlicherweise hervorgehenden Unbedeutendheit. Vor allem war es für die staatlichen Verhältnisse verderblich, daß das so notwendige Mittelglied, der eigentliche Bürgerstand, ganz fehlte. Die Regierungsform Polens war eine so unnachahmbare, verworrene Anarchie, daß die Geschichte keiner Zeit etwas Ähnliches aufzuweisen vermag. Eine höchste Autorität, welche völlig unbeschränkt war, sobald es galt, Gnadenbeweise zu erteilen, aber unfreier war, als jeder Privatmann in seinem eigenen Hausstande, sobald es sich darum handelte, Strafen zu verhängen, mangelhafte Einrichtungen zu verbessern, oder in die Verwaltung eingreifende Beschlüsse zu fassen; ein Senat, der nur eine ratgebende Stimme besaß, während es einem jeden besonderen Reichstagsdeputierten frei stand, ohne nur verpflichtet zu sein, irgendeinen Grund für sein Veto anzugeben, mit diesem einzigen Worte die Beschlüsse der ganzen Nation zu vernichten; eine Konföderation einiger Mißvergnügter, an denen es ja nie und nirgends mangelt, die sich oftmals nur mit einer einzigen Stimme Majorität das Recht aneignete, alle Gesetze, Verträge, Wahlen usw. zu verändern, zu verwerfen und aufzuheben, während es andererseits der Einstimmigkeit dreier Korporationen des Reichstages bedurfte, um die unbedeutendste Kleinigkeit in der Gesetzgebung wieder herzustellen oder abzuschaffen; endlich eine Nation, die viel sprach und bei jeder Gelegenheit das Wort »Freiheit« auf der Zunge zu haben pflegte, aber sklavisch vor jedem ihrer eigenen, vom äußeren Glück begünstigten Mitbürger im Staube kroch; die jeden Augenblick laut mit ihrem Patriotismus prahlte, und bei jedem einzelnen Falle gerade als dessen bitterste Feindin handelte, – das ist das Gemälde, so dunkel die Farben auch sind, welches Polen seit Jahrhunderten darstellt.
Diese jämmerlichen inneren Verhältnisse waren also kein Hindernis für Katharina, sich in die Angelegenheiten ihres Nachbarstaates einzumischen. Eine günstige Gelegenheit bot sich ihr bald dar. Nachdem der Tod des Königs August III. im Monat Oktober des Jahres 1763 eingetreten war, konnten die Familien des hohen Adels nicht über die Wahl eines neuen Königs einig werden. Nach allen Richtungen hin wurde intrigiert, und nachdem die hohen Herren einander in ihrem eigenen Vaterlande hinreichend bekriegt hatten, wurde endlich der russische Kandidat Stanislaus Poniatowski, der ehemals begünstigte Liebhaber Katharinas, zum Könige erwählt. Am 7. September 1764.
Polen hätte niemals eine schlechtere Wahl treffen können. Stanislaus Poniatowski war von Natur zu einem Kammerherrn, Hofmarschall, oder zu irgendeinem andern Amte dieser Art bestimmt worden, doch von einem Könige hatte er auch nicht einen einzigen Tropfen Blutes in den Adern. Er wußte über alles zu sprechen, was man auf dem Parkett und in den Salons unter dem weiten Begriff von Poesie und Kunst zu verstehen pflegt, – er sprach mit dem feinsten Akzent in mehreren ihm eigentlich fremden Zungen, aber seine Rede entbehrte aller Kraft und aller Tiefe des Inhalts. Über die neueste Musik und Mode, über Poeten und Künstler, über Dekorationen, Opern- und Schauspielwesen sprach er, meisterhaft rezensierend und kritisierend, aber jeder männlichen Tugend, ja jedes edlen Gedankens war er bar, es waren dies ihm völlig fremde Dinge.
Die Durchsetzung der Wahl Stanislaus Poniatowskis zum König von Polen war der erste entscheidende Erfolg der russischen Politik in diesem unglücklichen Land; »Ich gratuliere zum König, den wir gemacht haben,« schrieb Katharina in jenen Tagen an Panin. Brückner, Katharina II., S. 260. der hohe Adel hatte mit gewöhnlicher polnischer Kurzsichtigkeit in dem neuen Könige nur ein Werkzeug seiner selbst zu sehen geglaubt, während er sich in Wahrheit durch diese Wahl zum Instrument der russischen Eroberungslust und Teilung Polens hingab. Wie diese Katastrophe der tiefsten Erniedrigung vorbereitet und vollzogen wurde, wie das unglückliche, in die russische Politik verstrickte Polen selbst zu dieser ersten Teilung beitrug, kann natürlich hier nur in größter Kürze angedeutet werden, weil es nicht zu einer Schilderung des russischen Hofes zur Zeit Katharinas II. gehört.
Die Majorität der Polen fing zu dieser Zeit an zu begreifen, daß solange nicht an eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse des Landes zu denken wäre, als die ausgeübten Mißbräuche der Verfassung in ihrer ganzen Glorie beständen. Sie wollte deshalb diese Verfassung mit den leitenden Ideen der Zeit in Übereinstimmung gebracht wissen. Aber dies war weder nach dem Geschmack Friedrichs des Großen von Preußen, noch dem Katharinas von Rußland, und sie unterstützten daher beide mit ihrer ganzen Macht jede polnische Adelspartei, die bezüglich der Verfassung keine Veränderung wollte, sondern an Aufrechterhaltung des alten unvergleichlichen Wirrwarrs arbeitete.
Es würde zu ermüdend werden, das traurige Bild mit allen seinen Einzelheiten aufzurollen, welches die polnisch-russischen Verwicklungen schon seit dem Jahre 1764 oder seit den begonnenen Grenzstreitigkeiten und dem Dissidentenstreit bis zur endlichen Teilung des Reiches darbieten. Schwer ist es zu entscheiden, was darin das Widerwärtigste ist, ob die russische Brutalität oder die polnische Anarchie,– des russischen Gesandten Repnin Fürst Nikolaj Wassiljewitsch, 1734–1801. unerhörte Keckheit, oder der polnischen Magnaten feile Bestechlichkeit, – die Frivolität des Königs oder die verstockte Kurzsichtigkeit der Parteihäupter. – Man kann durchaus nicht sagen, daß die russische Politik mit besonders feinen Mitteln zu Werke ging, vielmehr betrieb sie schon seit dem Jahre 1764 alles so offen, daß man, ohne ein Prophet zu sein, den Gang der Begebenheiten hätte voraussagen können. Unbegreiflich ist indessen, daß Österreich, und besonders auch Frankreich, die polnischen Angelegenheiten mit einer eben solchen Gleichgültigkeit ansehen konnten, als handele es sich um China oder Japan. Dadurch setzten sich diese beiden Reiche der Gefahr aus, nicht mehr zur rechten Zeit in den Gang der Begebenheiten eingreifen zu können, die doch durch ihre allgemeine Wichtigkeit den größten Einfluß auf das europäische Staatensystem ausüben mußten.
Die Konföderation zu Bar, – der offene Ausbruch des Streites, die russischen Bestechungen und Gewalttätigkeiten im Bunde mit der polnischen, zum Sprichwort gewordenen, im ganzen Lande herrschenden Anarchie, die blutigen Massakrierungen und der sich mitten durch diese Ereignisse wie eine gefährliche Episode hindurchziehende Aufstand der Bauern gegen ihre Herren waren die Vorboten einer Katastrophe, welche kaum noch eines von außen her wirkenden Nachdrucks bedurfte, um den Untergang des Landes herbeizuführen. Rußland war der Herd, auf dem das Feuer geschürt wurde, welches in der Empörung der Bauern in der Ukraine in so verderblichen Flammen aufloderte. Die Priester der orthodoxen Kirche wiegelten in Polen vor allem den Teil der Bevölkerung auf, der ihrem, dem griechischen, Bekenntnis ergeben war, und man sah, als es zu Taten gekommen war, russische Soldaten unter den aufständischen Bauern.
Wäre es den Polen wirklich Ernst gewesen, ihren Staat zu reformieren, so hätten sie gerade in dem Widerstand, den ihre Nachbarn diesem Plan entgegensetzten, die moralische Kraft dazu finden können. Aber sie gaben Katharina durch ihre Bestechlichkeit und durch die allgemeine Korruption, die im Lande herrschte, die Mittel in die Hände, die Existenz ihres Staates zu untergraben. Mit dem Verfall ihrer politischen Unabhängigkeit verfielen zugleich Redlichkeit und alles Ehrgefühl der Polen. Das Laster war so frech geworden, daß es sich fortan nicht mehr in das Dunkel des Geheimnisses hüllte. Mitten im allgemeinen Elend lebte man in einem unaufhörlichen Rausch. In jeder Woche gab die vornehme Welt in Warschau drei oder vier Bälle, bei denen Pharaotische aufgestellt waren, die fortwährend belagert wurden. Kein Tag ging vorüber, ohne daß zehn bis zwanzigtausend Dukaten gewonnen oder verloren wurden. Man sah Reichstagsdeputierte auf eine einzige Karte dieselben Louisdore oder Imperialen setzen, durch welche sie am Abende zuvor vom russischen Gesandten oder dessen Emissären erkauft worden waren. Die Gesellschaft, aufgelöst und aus den Fugen gerissen, ging ihrem Untergang mit Riesenschritten entgegen, und wenn die Teilung Polens noch bis zu einer etwas späteren Zeit hinausgeschoben wurde, so geschah es nur aus dem Grunde, um die Gärung und den Auflösungsprozeß nicht zu unterbrechen.
Die einzige europäische Macht, welche ernstlich gegen die Intrigen Rußlands und die Ansprüche, die es in Polen erhob, opponierte, war – die Türkei. Obschon die ottomanischen Staatsmänner dieser Zeit eher den Verfall ihres eigenen Vaterlandes beschleunigten, als verminderten, hatten sie doch hinreichend gesunden Menschenverstand, um einzusehen, daß Polen ihre wichtigste Vormauer gegen Rußlands ehrgeizige Zukunftspläne bildete, und erklärten sich deshalb zu Beschützern desselben.
Einige Zeit vor der Wahl Poniatowskis zum König von Polen hatte Katharina die Absicht zu erkennen gegeben, sich dem Schauplatz ihrer Erfolge zu nähern und Livland besuchen zu wollen. Bevor sie diese Reise unternahm, wollte sie nach Kronstadt gehen, und um den fremden Gesandten und Ministern an ihrem Hofe eine vorteilhafte Meinung von der russischen Marine beizubringen, lud sie dieselben ein, ihr nach diesem damals schon stark befestigten Hafen zu folgen. Bei der Ankunft daselbst teilten jene übrigens keineswegs die Meinung, welche die Kaiserin selbst von der russischen Seemacht hegte. Sie fanden gar zu wenig Schiffe, die sie für nutzbar und imstande, See halten zu können, anerkennen mußten, und der englische Gesandte, der Katharina sonst immer zu schmeicheln pflegte, konnte es nicht unterlassen, ihr gegenüber zu äußern, daß ihre Marine ihm wenig fürchtenswert zu sein scheine. Später hat sie gezeigt, daß sie es werden konnte.
Ehe Katharina Kronstadt verließ, hatte sie dem Grafen Panin den Oberbefehl in Petersburg übertragen. Dann schlug sie den Weg nach Livland ein. Auf der Reise dorthin ereilte sie die Nachricht von jenen traurigen Vorgängen in Schlüsselburg, die später eine Flut von Anklagen und Schmähungen gegen die Kaiserin hervorrufen sollten.
In der Tiefe seines Gefängnisses vegetierend, belebte Czar Iwan noch immer die Hoffnungen aller derer, welche Katharinas Usurpation verabscheuten. Manche Verschwörungen hatten sich zu dem Zweck gebildet oder zur Verbergung ihrer persönlichen Motive das Ziel vorgeschützt, dem unglücklichen Fürsten den Thron wiederzugeben. Treu dem Verleumdungssystem, welches man gegen Peter III. mit so gutem Erfolge angewendet hatte, befolgte der russische Hof dasselbe Prinzip auch dem armen Iwan gegenüber. Bald sagte man, daß er blödsinnig sei und so stark stammele, daß er kaum imstande wäre, irgendeine Meinung verständlich auszudrücken; bald, daß er dem Trunke ergeben und im Rausche sich wie ein wildes, rasendes Tier gebärde; bald, daß er an periodisch wiederkehrendem Wahnsinn litte und in dem Glauben stände, ein Prophet zu sein. Offenbar ist aber, daß alle diese Gerüchte nur zum Teil der Wahrheit entsprachen und wohl durch solche Personen verbreitet wurden, die in ihrer Unbefangenheit nicht einzusehen vermochten, was für ein Interesse man daran hatte, sie mit solchen Nachrichten zu betrügen. Gewiß mußte Iwan, den man ja absichtlich ohne jeden Unterricht gelassen, und der immer in einem finsteren Gefängnis gelebt hatte, der völlig allein dastand und nur einzelne russische Soldaten um sich sah, höchst beschränkt sein; aber es herrscht doch noch ein großer Unterschied zwischen Unwissenheit und Blödsinn oder gar Wahnwitz. Was am besten beweist, daß er nicht irrsinnig war, sind die Darlegungen seiner Erkenntlichkeit, die er dem Baron von Korff und Leo Naryschkin in dem Gespräche lieferte, das er mit Peter III. hatte, als ihn dieser zum erstenmal in Schlüsselburg sah. Aber mochte nun der Charakter des unglücklichen Iwan sein wie er wollte, alles das, was man zu seinem Vorteil unternahm, bewirkte, daß er Katharina fürchtenswert erschien, und da Prätendenten die Gefahr einer Revolution zu erhöhen pflegen, waren betreffs Iwans die strengsten Vorsichtsmaßregeln getroffen worden. Das Smolenskijsche Regiment war nach Schlüsselburg verlegt worden, und eine Kompagnie der Garnison bewachte die Festung, in welcher Czar Iwan gefangengehalten wurde.
In diesem Regiment stand ein Offizier mit Namen Wassilij Mirowitsch, Wassilij Jakoblewitsch Mirowitsch, geb. 1739. dessen Großvater väterlicherseits die Partei Mazeppas Iwan Stephanowitsch Mazeppa, Kosakenhetmann, geb. um 1640, gest. 22. September 1709, der Held des bekannten Byronschen Gedichts ergriffen hatte, als dieser für Karl XII. gegen Peter den Großen zu den Waffen griff. Die Güter der Familie Mirowitsch waren konfisziert worden, und der junge ehrgeizige Wassilij, der dieselben vergeblich reklamierte, war hierdurch den Agenten des Hofes bekannt. Der Wunsch, auf irgendeine Weise eine höhere Stellung zu erlangen und reich zu werden, Verzweiflung wegen seiner Mittellosigkeit, Rachsucht einer Regierung gegenüber, welche seine Wünsche nicht berücksichtigen wollte, mochten ihn zu dem Entschluß veranlassen, Iwan zu befreien und auf den Thron zu erheben. Vgl. Brückner, Katharina II., S. 152.
Gerade zu dieser Zeit hatten der Kapitän Wlassjew und der Leutnant Tschekin den Befehl erhalten, im Zimmer des Czaren Iwan zu wohnen, und man stellte denselben eine Order Panins zu, durch welche ihnen befohlen wurde, den unglücklichen Prinzen in demselben Augenblick zu töten, in welchem man den mindesten Versuch machen sollte, ihn zu befreien.
Acht Soldaten bewachten gewöhnlich den Korridor, der zu den Zimmern führte, in denen Iwan sich befand, und alle Gänge, welche dorthin führten, waren abgesperrt. Die anderen Leute, denen die Bewachung oblag, befanden sich auf der Hauptwache am Festungstor oder waren an verschiedenen Orten postiert. Das Detachement wurde von einem Offizier kommandiert, der unter dem direkten Befehl des Gouverneurs stand.
Einige Zeit, bevor Mirowitsch seinen Vorsatz ausführte, teilte er denselben einem Leutnant des Welikolutzschen Infanterieregiments, mit Namen Apollon Uschakow, mit, welcher auf dem Altar geschworen hatte, Mirowitsch bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Nachdem dann, während der Vorbereitungen zu dem Unternehmen, Uschakow auf einer Dienstreise ertrunken war, entdeckte Mirowitsch sein Vorhaben andern Militärs, welche auf seine Pläne ebenfalls eingingen.
Mirowitsch hatte während einer ganzen Woche, in welcher ihm der Wachdienst in der Festung oblag, nichts zu unternehmen gewagt; aber endlich schritt er, aus Furcht vor einer vorzeitigen Entdeckung, zur Tat.
Nachdem er einen gewissen Pisklow zum Teilnehmer seines Vorhabens erwählt hatte, teilte er ihm das Nähere seines Befreiungsplanes mit und suchte am 16. Juli um neun Uhr abends drei Korporale und zwei Soldaten für denselben zu gewinnen, die zwar anfangs einige Schwierigkeiten machten, bald aber, durch glänzende Versprechungen verleitet, ihm beizustehen versprachen. Indessen beschlossen alle zusammen, entweder aus Furcht oder aus Vorsicht, den späteren Teil der Nacht abzuwarten. Zwischen ein und zwei Uhr kamen sie gemäß ihrer Verabredung von neuem zusammen. Mirowitsch und die Korporale, welche ungefähr fünfzig Soldaten in Bereitschaft gehalten hatten, marschierten nun mit diesen zum Gefängnis Iwans; aber auf dem Wege dorthin begegnete ihnen unglücklicherweise der Gouverneur der Festung, Berednikow. Iwan Berednikow, Oberstleutnant. Als dieser an Mirowitsch die Frage stellte, warum er seine Leute in Reih und Glied treten lasse, ergriff letzterer eine Flinte, stürzte auf den Kommandanten los und streckte ihn mit den Worten: »Du hältst hier einen unschuldigen Fürsten gefangen«, durch einen Kolbenstoß zu Boden, worauf er ihn einigen Soldaten zur Bewachung überlieferte. Dann setzte Mirowitsch seinen Marsch fort. An der Tür angelangt, die zum Korridor führte, an welchem Iwans Zimmer gelegen war, wollten die dort stehenden Posten seinen Eintritt verhindern. Sogleich befahl er seiner Mannschaft Feuer zu geben, was augenblicklich vollzogen wurde. Die Posten schossen nun ihrerseits, aber weder auf der einen noch auf der anderen Seite wurde ein Mann verwundet. Die Patronen, die man dem Detachement zuerteilt hatte, waren nicht mit Kugeln versehen. Mirowitschs Soldaten, über den ihnen geleisteten Widerstand in Bestürzung geraten, wollten sich zurückziehen. Der Anführer hielt sie auf, aber sie verlangten nun, daß er ihnen die Order zeigen solle, die ihm, wie er ihnen gesagt hatte, als Richtschnur seines Verfahrens aus Petersburg zugesandt worden sei. Er zog sogleich ein gefälschtes Dekret des Senats aus der Tasche, zufolge dessen Prinz Iwan auf den Thron berufen und Katharina desselben entsetzt wurde. Der Soldatenhaufen, unwissend und leichtgläubig, glaubte diesem Dekret gehorchen zu müssen und bereitete sich zu einem neuen Angriff vor. Während dieser Zeit hatte man Mirowitsch eine Kanone zugeführt, die er nun selbst gegen die Tür des Korridors richtete. In demselben Augenblick, als er sich anschickte, Ernst zu machen, wurde die Türe geöffnet, und er trat ohne jedes Hindernis mit seiner ganzen Mannschaft ein.
Die vorerwähnten beiden Offiziere, Wlassjew und Tschekin, welche die spezielle Bewachung des Prinzen übernommen hatten, hatten sich in dessen Zimmer zurückgezogen und riefen den Posten zu, Feuer zu geben. Als sie aber dann sahen, daß es für sie kein Mittel mehr gäbe, der so zahlreichen Belagerungsmacht zu widerstehen, gehorchten sie dem Wortlaut ihrer geheimen Order und stürzten sich mit gezogenen Degen auf das unglückselige, unschuldige Opfer, welches man ihnen entreißen wollte.
Bei dem Lärmen und Schießen war Iwan erwacht, und als er die drohenden Bewegungen seiner Wächter sah, beschwor er sie mit flehenden Worten, ihn zu schonen und ihm sein elendes Leben zu gönnen. Als ihm aber die beiden Barbaren dennoch näher rückten, fand er in seiner Verzweiflung Stärke und verteidigte sich lange. Nachdem seine rechte Hand von einem Degenstich durchbohrt und sein Körper mit tiefen Wunden bedeckt war, ergriff er einen von den Degen der Missetäter und zerbrach ihn; aber während er noch mit demselben kämpfte, durchbohrte ihn der andere von hinten. Der, dessen Degen er abgebrochen hatte, vollendete dann die Ermordung mit kalter Grausamkeit durch mehrere Bajonettstiche.
Jetzt wurden die Türen geöffnet, und man zeigte Mirowitsch zu gleicher Zeit die blutende Leiche des Prinzen und den Befehl, durch welchen Panin sie im Namen der Kaiserin ermächtigt hatte, Iwan zu ermorden, wenn jemand den Versuch machen sollte, ihn zu entführen. Da sich das Volk den Glauben nicht nehmen ließ, daß die Vorgänge in Schlüsselburg, insbesondere Iwans Ermordung, nur als ein auf Katharinas Befehl abgekartetes Spiel zu betrachten seien, erklärte die Kaiserin, um solchen Vorwürfen zu begegnen, vor versammeltem Senat: Sie habe in bezug auf den von ihren Vorgängern als Staatsgefangenen behandelten Prinzen Iwan nur die Befehle bestätigt, welche den mit der Bewachung desselben beauftragten Offizieren von der letzten Regierung erteilt worden. (Herrmann, Bd. V, S. 653.) In der Tat existieren mehrere Verfügungen aus der Zeit Peters III., welche dartun, daß die Regierung nichts versäumte, um nötigenfalls der von dem Prätendenten drohenden Gefahr nachdrücklich zu begegnen. In einer Instruktion an den wachthabenden Offizier Owyzin in Schlüsselburg heißt es: »Falls wider Erwarten irgend jemand den Versuch machen sollte, den Gefangenen zu befreien, so soll man sich mit allen Mitteln widersetzen und den Gefangenen nicht lebend aus den Händen geben.« Vgl. Brückner, Die Familie Braunschweig in Rußland im 18. Jahrhundert, Russische Revue, Petersburg 1876, S. 379.
Mirowitsch wich anfangs erschreckt einige Schritte zurück, sich dann aber über den entseelten Körper des Prinzen werfend, rief er aus: »O, alles ist verfehlt! Mir bleibt nun nichts mehr übrig, als zu sterben!« Bald erhob er sich jedoch wieder, und weit davon entfernt, sich der Strafe zu entziehen, die er hätte voraussehen können, ließ er sich willig verhaften.
Am folgenden Tage wurde die Leiche des unglücklichen Iwan, in Matrosentracht gekleidet, vor der Kirche in Schlüsselburg zur Schau gestellt. Eine unzählige Volksmenge strömte zusammen, und es ist ganz unmöglich, den Zorn und Kummer beschreiben zu wollen, den der Anblick eines Unglücklichen erregte, welcher, nachdem er von seinem ererbten Throne, als er noch als zarter Säugling in der Wiege lag, grausam herabgestürzt war, seine Tage in immerwährender Gefangenschaft hatte verbringen müssen, und der jetzt im vierundzwanzigsten Lebensjahr in seinem Kerker auf scheußliche und barbarische Art ermordet worden war. Iwan war sechs Fuß hoch, hatte helles, lockiges Haar, einen kurzen russischen Bart, regelmäßige Gesichtszüge und eine außerordentlich zarte, weiße Haut. Seine körperliche Schönheit, wie seine Jugend und das Mitgefühl für sein unglückliches Schicksal verdoppelten die Wut über die Grausamkeit seiner Büttel. Sein Leichnam wurde in einige Schaffelle gehüllt, samt diesen in einen einfachen Sarg gelegt und ohne alle Zeremonie begraben.
Die Offiziere Wlassjew und Tschekin sandten dem Grafen Panin einen kurzen Bericht über den von Mirowitsch gemachten Versuch, Iwan zu befreien, und den dadurch herbeigeführten tragischen Lebensschluß desselben. Panin fertigte sogleich einen Kurier an die Kaiserin nach Livland ab, um ihr das traurige Ereignis mit allen Details mitzuteilen.
Inzwischen war der Generalleutnant Hans von Weymarn nach Schlüsselburg gesendet worden. Nachdem er im geheimen ein Privatverhör mit Mirowitsch und seinen Mitschuldigen abgehalten hatte, führte man dieselben auf seinen Befehl nach Petersburg, wo die Untersuchung ihres Verbrechens von einer Kommission geführt wurde, die aus Prälaten, einer Anzahl Senatoren und mehreren Generälen bestand. Mirowitsch erschien vor seinen Richtern mit der Ruhe, welche nur die Gewißheit, aller Strafe zu entgehen, einem Verbrecher eingeben kann. Mirowitsch' Benehmen nach seiner Verhaftung wurde allgemein als ein Katharina schwer belastendes Moment angesehen. »Bei der gerichtlichen Untersuchung,« sagt Heibig in den ›Russischen Günstlingen‹ (S. 214), »lachte Mirowitsch über die Verfahrungsart, weil er überzeugt war, daß er, weit entfernt, bestraft zu werden, vielmehr große Belohnungen erwarten könnte. Um nicht durch ihn verraten zu werden, hatten seine Henker die teuflische Grausamkeit, ihm seinen Wahn nicht zu benehmen. Mirowitsch lachte immer fort, als er zum Richtplatz geführt wurde und dort sein Urteil erfuhr; und lachte noch, als er statt des gehofften Pardons den Todesstreich empfing.« Er antwortete mit frivoler und oft spöttischer Miene auf alle ihm gestellten Fragen. Nach einem mehrtägigen Prozeß erkannte das Gericht auf Todesstrafe. Er war der Einzige, der zum Tode verurteilt und der vollen Strafe unterworfen wurde. Die Soldaten, welche er zu Iwans Befreiung verleitet hatte, kamen mit mehr oder weniger harten Bestrafungen davon.