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Unter den Heiligen der jüngsten Tage.

Ein › Cow-boy‹ des fernen Westens.

Unsere Führer hatten wir kurz vor dem Überschreiten der Grenze des Territoriums Idaho abgelohnt, da sich für uns eine andere Gelegenheit bot, ziemlich geraden Weges nach Beaver-Cañon, einem Punkte der Utah-Northern Railroad zu gelangen, welche wir von da bis zu der weltberühmten Mormonenstadt Salt Lake City zu benutzen gedachten.

Der nach Idaho hineinführende Weg war von einer weit besseren Beschaffenheit, als derjenige, welcher uns von Bozeman zur Einfahrt in den Yellowstone-Park gedient hatte, dagegen bot er freilich auch nicht die großartigen Scenerien, welche diese Fahrstraße verschönen. Für den ersten Tag unserer Reise führte der Weg zumeist durch ausgedehnte Fichtenwälder, welche hier ungleich besser zu gedeihen schienen, als in dem hochgelegenen Yellowstone-Park, woselbst die einzelnen Bäume einen zurückgebliebenen Eindruck machten und selten mehr als einen Fuß im Durchmesser hatten. Gegen Abend kamen wir auf eine, ringsum von hohen Gebirgen umschlossene Prairie, woselbst wir am Ufer der sogenannten Henry's Gabel des Snake-Flusses unser Lager bezogen. Eine Büffelhaut unter uns, eine zweite als Decke über uns, und ein Gepäckstück unter den Kopf geschoben, verbrachten wir so die Nacht, oftmals emporgeschreckt durch das klagende Geheul der Prairiewölfe, die anscheinend rudelweise unsere Lagerstätte umkreisten. Gegen Morgen weckte uns schneidende Kälte, die doppelt fühlbar wurde, als aller Vorrath an Holz und Brennmaterialien ausgegangen war. Das Wasser in den Tränkeimern und sonstigen Gefäßen war mit einer zwei Finger starken Eiskruste bezogen. Nachdem wir die nothdürftigste Toilette gemacht und unser kaltes Frühstück hinabgewürgt hatten, setzten wir unsere Reise fort und bogen bald wieder in einen schönen Wald ein, kreuzten mehrmals den immer ansehnlicher werdenden, dem Columbiastrome angehörigen Snake River und kamen dann wieder auf eine weite, von zahlreichen kleinen Bächen und Flüßchen durchzogene Prairie, die von wilden Gänsen, Enten, Reihern und Prairiehühnern belebt war. Mehrmals scheuchten wir auch kleinere Heerden schnellfüßiger Antilopen auf, desgleichen eine ganze Colonie glänzend weißgefiederter Pelikane. An den fernen Waldesrändern leuchteten hie und da einzelne Indianerzelte, in denen versprengte Theile der Shoshonen und Bannaks hausen. Auf eine dieser umherstreifenden Truppen stießen wir am folgenden Tage. In dem am Ufer des Beaver Creeks aufgeschlagenen Lager waren aber nur die Weiber und Kinder zurückgeblieben. Erstere waren dabei, verschiedene Häute zuzurichten, letztere hingegen tummelten sich in ursprünglichster Nacktheit in dem crystallenen Wasser des Baches. Die rothhäutigen Herren des Lagers waren sämmtlich zur Jagd hinaus gezogen.

Am dritten Tage, seitdem wir das Wunderland des Yellowstone verlassen hatten, kamen wir wieder in den Bereich der Civilisation. Einige › Cow-boys‹ kamen in Sicht, und eine Meile vor uns strich eine lange horizontale Linie zu Füßen der kahlen Höhenzüge dahin, begleitet von weithin sichtbaren Telegraphenstangen.

Meine Kameraden, die an das Lagerleben auf den Prairien und in den Hochgebirgen wenig gewöhnt waren und die Mühseligkeiten unseres mehrwöchentlichen Aufenthaltes im Yellowstone-Park herzlich satt bekommen hatten, geberdeten sich beim Anblicke der blinkenden Geleise wie närrisch und waren nahe daran, vor lauter Freude die Telegraphenstangen zu umarmen. Ich hingegen konnte mich eines gewissen, wehmüthigen Gefühles nicht erwehren, war es ja doch ein Scheiden von der blumendurchwirkten Prairie, deren Größe, deren Sprache und Stimmung ich verstehen und lieben gelernt hatte. Jede Blume am Wege, jeder moosüberwachsene Felsblock, jeder noch so unscheinbare Busch wurden mir noch einmal so lieb und werth, und ich suchte in der kurzen uns noch verbleibenden Zeit die mannigfachen Eindrücke noch fester und tiefer in mein Gedächtniß aufzunehmen.

Beaver-Cañon war einer jener aus Blockhäusern und Holzbaracken bunt zusammengewürfelten Orte, wie sie dem fernen Westen eigen sind: hier hatte sich ein Händler mit › dry-goods‹ etablirt, daneben stand ein Hotel, dort ein Saloon, drüben noch ein Saloon und einige Schritte weiter ein dritter Saloon. Riesige Haufen von Baumaterial, Planken, Eisenbahnschienen, Kisten und Fässern füllten die Lücken zwischen diesen verstreuten Wohnstätten der Civilisation. In dem Hotel, in welchem wir abstiegen, und welches sich echt weltstädtisch › the Beaver-Cañon-Metropolitan-House‹ nannte, wurden wir wieder von jenen zweideutigen Heben bedient, die den Hotels der kleinen Städte des Westens eigen zu sein scheinen. Da waren wieder dieselben verblaßten, übernächtigen Gesichter mit den wenig geordneten Frisuren und den herausfordernden Augen.

Das aufgetischte Essen war schlecht, so herzlich schlecht, daß uns die primitiven Leistungen unseres Koches im Yellowstone-Park nunmehr in der Erinnerung als wahre Delmonicothaten Delmonico heißt der vom Koch zum Besitzer avancirte Eigenthümer des seiner vorzüglichen Küche halber berühmten Delmonico-Restaurants in New York. erschienen. Hungriger, als wir uns niedergelassen hatten, erhoben wir uns von der Tafel und harrten nun in Sehnsucht des Eisenbahnzuges, der uns zum großen Salzsee bringen sollte. Nach Verlauf mehrerer Stunden kamen endlich die Wagen der schmalspurigen Bahn von Norden her angerasselt, und nun fuhren wir bis zum späten Abend durch eine überaus eintönige Gegend, in der nichts weiter wachsen zu können schien, als der genügsame Sage-Busch, eine salbeiartige Pflanze. Bei der Station Eagle Rock überschritten wir abermals den Snake- oder Schlangenfluß, der hier durch zerrissene Lavabetten bricht und seine grünen Fluthen gen Westen wälzt, um bald darauf die berühmten Shoshone Fälle zu bilden, ein würdiges Seitenstück des Niagara. Blackfeet Station, in deren Nähe die Agentur der Blackfeet- oder Schwarzfuß-Indianer gelegen ist, erreichten wir in der Dunkelheit und konnten demnach von den zahlreich um mächtige Feuer lagernden Indianern nichts erkennen. Im Morgengrauen kamen wir an die nördlichen Ausläufer des Wahsatch Gebirges. Himmelhoch ragten die nackten Klippen dieses mächtigen Zuges empor, zu ihren Füßen lagerten sich allenthalben kleine Colonien, Dörfchen und Städtchen der Mormonen. Noch ganz unter dem Eindrucke stehend, den die öden, eintönigen Sagebusch-Ebenen Idahos auf uns gemacht, wurden wir durch den Anblick der wohlbewässerten, grünen Fluren, der reichbesetzten Obstgärten und der behaglich dreinschauenden, weinlaubumrankten Wohngebäude doppelt angenehm berührt. Die Straßen in den Ortschaften waren breit und gerade, und beiderseits mit Schatten spendenden Bäumen bepflanzt; mittendurch rauschten von den Bergen hergeleitete Bächlein, allüberall Wachsthum und Segen verbreitend. Pausbackige Kinder kamen an die Wagen, um uns die schönsten und saftigsten Erzeugnisse der Obstgärten: Pfirsiche, Pflaumen, Birnen und Äpfel für wenige Cents zu bieten. Und nun traf unser Zug in Ogden ein, jenem Punkte, wo das Schienengeleise der Utah- und Northern-Bahn mit demjenigen der berühmten Pacificbahn zusammentrifft. Höher ragen hier die gigantischen Berge, bewegter schlagen die Wogen des Lebens und bunter ist das Gemenge der Passagiere, ist hier doch der Heerweg, der nach den Weltstädten des Ostens und nach Europa, nach San Francisco und nach Asien führt. Neben dem weißfarbigen Amerikaner und Europäer drängt sich hier der dunkelhäutige Neger; geschäftigen Ganges eilt dort ein gelber, schlitzäugiger Sohn des himmlischen Reiches dahin, an einigen rothhäutigen Söhnen der Wildniß vorüber, die, in bunte Decken gehüllt, alte wettergebräunte, mit Adlerfedern besteckte Filzhüte auf die langhaarigen Köpfe gedrückt, in stummer Verschlossenheit über den Wandel der Zeiten brüten und jener noch nicht allzufernen Zeit gedenken, wo sie die einzigen Herren dieser Gelände waren.

Weiter brauste der Zug gen Süden, durch immer schönere und blühendere Gegenden, in welchen sich eine Ortschaft an die andere reihte. Gen Westen dehnte sich, von fernen Gebirgszügen überragt, der große Salzsee mit seinen umfangreichen Inseln, gen Osten erhoben sich hoch und gewaltig die schneegekrönten, röthlich schimmernden Wahsatch Gebirge. Gegen Mittag erreichten wir Salt Lake City, das Jerusalem des Mormonenstaates. Wir sahen den Tempel, das Tabernakel, die Häuser des Propheten über die Bäume ragen und fuhren bald in den unscheinbaren Bahnhof ein, von wo uns ein Wagen in schnellem Trabe nach dem berühmten Townsend-Hotel brachte.

Eine volle Woche verweilte ich hier, um das Leben und Treiben des Mormonenvölkchens an der Quelle zu studiren und die Merkwürdigkeiten zu besichtigen, welche die Stadt aus den Zeiten ihres Glanzes aufzuweisen hat. In engeren Verkehr mit einigen Mormonenfamilien tretend, suchte ich so ein klares Bild der mormonischen Lehren und des mormonischen Lebens zu gewinnen.

Auf dem weiten Erdenrund dürfte nicht leicht ein zweites Land gefunden werden, welches dem Sektenthum, der Bildung von Auswüchsen auf religiösem Gebiet einen so günstigen Boden bietet, als wie die Vereinigten Staaten.

Nach Hunderten zählen hier, in diesem Lande der unvermittelten Widersprüche, in diesem Lande des Humbugs, wo neben vieler Bildung und Aufklärung der crasseste Aberglaube und die größte Heuchelei herrschen, die religiösen Vereinigungen, und wenn transatlantische Zeitungen und Moralisten über die Existenz und Verbreitung des Mormonenthums, der jede Ehe verwerfenden Shakers, und der Anhänger der freien Liebe erstaunen wollen, so haben sie, wie mich dünkt, wenig oder gar kein Recht dazu. Das Mormonenthum, wie es sich heute bietet, ist keine Anomalie in den Zuständen Amerikas; bei der hier herrschenden Zerfahrenheit und Zersplitterung kirchlichen Wesens, unter den hier obwaltenden socialen und politischen Verhältnissen konnten, mußten derartige Erscheinungen in's Leben treten, die dem Auge des Europäers wie Geburten einer Fabelwelt vorkommen. –

Ja, wie eine Fabel, so liest sich namentlich die Geschichte des Mormonenthums. Dixon, ein neuerer Forscher amerikanischer Geschichte, hat vollkommen Recht, wenn er behauptet, daß manche Kapitel aus der Mormonengeschichte, z. B. die Historie vom Propheten Joe Smith, seine Erzählungen von den Goldtafeln, von Urim und Thumim, von dem Schwerte Labans und den Besuchen der Engel, – wenn von einem Manne mit einer humoristischen Ader erzählt, lautes Gelächter in einer Versammlung von Nichtmormonen hervorrufen würde.

Auf der anderen Seite wiederum begegnen wir in der Geschichte des Mormonenthums Episoden, die eines wahrhaft großen Zuges nicht entbehren und manche dunkle Seite dieser religiösen Gesellschaft reichlich wett machen. Urtheilen wir selbst.

Es war in den Jahren 1809-1812, als ein zu Conneaut in Ohio lebender Kaufmann, Salomon Spaulding, der in Dartmouth studirt hatte, einen historischen Roman verfaßte, dem er den Titel ›Die entdeckte Handschrift‹ verlieh, welcher die Vorzeit Nordamerikas behandelte. Unter Anderem suchte der Verfasser in dem Werke die keineswegs ernsthaft gemeinte Ansicht durchzuführen, daß die Indianer Amerikas Nachkommen der Kinder Israel seien, und enthielt der Roman zu diesem Zwecke weitläufige Berichte von der angeblichen Wanderung der Juden durch Asien nach dem amerikanischen Continente. Um dem Werke ein alterthümliches Gepräge zu verleihen, bediente sich der Verfasser des biblischen Stiles. Diese Handschrift übergab Spaulding dem Drucker Patterson in Pittsburg zum Verlage, doch blieb sie ungedruckt, wurde aber im Geheimen von dem in Patterson's Druckerei beschäftigten Schriftsetzer Sidney Rigdon copirt. Dieser nun, ein echter ›smarter‹ Yankee, glaubte aus dem curiosen Werke Spaulding's einen großen Gewinn erzielen zu können, wenn er es zu einem wirklich religiösen Buche umforme und es als solches in recht mirakulöser Weise an's Tageslicht bringe. – –

Schon früher hatte er die Bekanntschaft einer im Staate New York ansässigen Familie Namens Smith gemacht. Sämmtliche Angehörige derselben standen im Geruche der Trägheit und des leichtfertigen Schuldenmachens, man bezichtete sie der Schatzgräberei, und behauptete, daß sie gar häufig von Wünschelruthen und Sehersteinen Gebrauch mache. Aus dieser Familie wußte Rigdon den Joe Smith für seine Zwecke zu gewinnen, und beide Schwindler trafen nun ihre Vorbereitungen, um das Spaulding'sche Buch vom Glanze des Wunderbaren umgeben, erscheinen zu lassen. Joe, der bislang gerade nicht den solidesten Lebenswandel geführt hatte, schlug in's gerade Gegentheil über, er suchte die Einsamkeit, fastete und betete und wandelte auf den Wegen des Herrn.

Seiner Behauptung nach erschien ihm am 21. September 1823 der Engel Moroni, und dieses strahlenumglänzte Wesen erklärte dem Seher, daß Gott ihn zu seinem Werkzeuge ersehen habe, und er, Moroni, gesandt sei, ihm zu verkünden, wie der Bund, den Jehova mit dem alten Israel gemacht habe, demnächst erfüllt werden solle. Es sei die Zeit gekommen, ein Volk zu bereiten für das tausendjährige Reich des Friedens und des Glückes, und Joe Smith sei dazu berufen, das Vorbereitungswerk für die Wiederkunft des Messias zu beginnen. –

Gelegentlich dieser interessanten Zusammenkunft mit dem Engel erfuhr Joe Smith natürlich, daß die Indianer Amerikas Nachkommen der Juden seien, ferner, daß von den Propheten dieser Indianer eine heilige Geschichte der wichtigsten Begebenheiten, viele Weissagungen und Offenbarungen aufgezeichnet und in der Erde vergraben worden seien.

Mehrere Male erschien der Engel dem Auserwählten, er zeigte ihm die verborgenen Urkunden, ja ertheilte ihm endlich sogar die Erlaubniß, sie an sich zu nehmen und ihren Inhalt durch Druck zu verbreiten.

Nach Joe Smith's Angaben wurden die Urkunden am 22. September 1827 unweit Manchester aufgefunden. Dieselben lagen in einer auf einem Hügel vergrabenen steinernen Kiste verborgen, und bestanden die Dokumente aus einer Anzahl Goldplatten, die wie die Blätter eines Buches gebunden und am Rücken mit drei durch das ganze Buch hindurch gehenden Ringen befestigt waren. Eine jede Seite der Platten war mit zierlichen Hieroglyphen bedeckt.

Eine Probe der Schrift, die später dem Professor Anthon in New York auf einem Blatte Papier vorgelegt wurde, bezeichnte dieser als einen Mischmasch alterthümlicher Alphabete und Phantasiebuchstaben. Es war augenscheinlich von Jemand angefertigt, der (man erinnere sich, daß Rigdon Buchdruckergehülfe gewesen) vor sich ein Buch mit verschiedenen Schriftgattungen hatte. Lateinische, griechische und hebräische Buchstaben, Kreuze und Schwänzchen, auf den Kopf gestellt oder umgelegt, waren in senkrechte Säulen geordnet, und das Ganze endigte mit der Figur eines Kreises, der, in mehrere Felder getheilt, mit zahlreichen seltsamen Zeichen ausgefüllt und zweifelsohne nach dem von Humboldt veröffentlichten mexikanischen Kalender copirt worden war.

Außer diesen Platten befanden sich in der Kiste ein Brustschild, ein Schwert mit goldenem Griff, das, wie sich bei der Entzifferung herausstellte, vor Urzeiten dem Juden Laban gehört habe, und eine Brille, die jedoch keine Gläser, sondern dicke, durchsichtige Steine hatte, eine Wunderbrille, mit deren Hülfe Joe Smith in Stand gesetzt ward, die Vergangenheit und Zukunft zu erkennen und die geheimnißvollen Hieroglyphen der Goldplatten zu enträthseln.

Smith, der Erwählte Gottes, übersetzte nun einen Theil der Dokumente und ließ, trotzdem der oben genannte Gelehrte, Professor Anthon, verkündete, daß es sich hier entweder um einen Spaß oder aber um einen auf Prellerei berechneten Schwindel handle, im Jahre 1830 die Goldene Bibel, das › Buch Mormon‹ zu Palmyra im Staate New York in einer Auflage von 5000 Exemplaren drucken. Das Resultat entsprach vollkommen seinen und Rigdon's Erwartungen, das kuriose Buch fand bald reißenden Absatz, mehrere Neuauflagen kamen zu Stande, und zugleich wurden Übersetzungen in fremde Sprachen vorbereitet. –

Kurz sei bemerkt, daß das auch in einer deutschen Ausgabe erschienene Buch Mormon ein starker Band ist, der ungefähr so viel Lesestoff enthält, wie das alte Testament ohne die Apokryphen. Der Inhalt hat nicht das Mindeste mit der historischen Wahrheit zu thun und verstößt durchgehends gegen die Möglichkeit. Die Form ist eine Nachahmung des biblischen Stiles. –

Noch bevor dieses Buch gedruckt ward, hatten die beiden Abenteurer begonnen, das Publikum für ein derartiges Buch vorzubereiten. Sie hatten kirchliche Gemeinden in's Leben gerufen; so fungirte Rigdon als Prediger in Ohio, Smith hingegen stiftete eine Sekte zu La Fayette im Staate New York, die am Tage der Ausgabe der goldenen Bibel bereits dreißig Mitglieder zählte. Die Zahl derselben wuchs mit dem Erfolge, den das Buch Mormon hatte; Smith, der Erwählte Gottes, ward zum Propheten gestempelt, er vollzog Taufen, Eheschließungen und alle anderen kirchlichen Handlungen.

Rigdon, der das geschickt eingefädelte Unternehmen so gut einschlagen sah, zögerte nicht und ließ sich vom Propheten Smith feierlich taufen, durch welchen Akt er gar bald den größten Theil der in Folge seiner Predigten mit dem überschwänglichsten Schwärmersinn erfüllten Gemeinden nach sich zog. –

So war der Grund zu der Sekte der Mormonen gelegt, und als auch Joe Smith den Schauplatz seiner Thätigkeit nach Ohio verlegte, wucherte hier das Mormonenthum mit einer an's Unglaubliche grenzenden Schnelligkeit heran. Die männlichen Convertiten wurden zu ›Ältesten‹ ernannt, und reisten im Lande umher, mit wilder Begeisterung die Geheimnisse und Wunder des Mormonismus verkündend.

Leute, welche Geschmack am Seltsamen und Ungewöhnlichen hatten, strömten herbei, lauschten den fanatischen Predigten und vertieften sich in den Wunderbombast des Buches Mormon, welches neben manchen hübschen, der Bibel nachgeahmten Stellen auch ein gut Theil solchen Unterhaltungsstoffes für Leute enthält, denen der Sinn nach Schauerlichem und Ungeheuerlichem steht. –

Bald hatte die Secte mehrere Tausend Anhänger, welche Zahl sich wunderbar schnell vermehrte, als die Kunde von dem Erfolge der Mormonen und ihrer Arbeit auch in fremde Länder drang.

Joseph Smith, fortan nur ›der Prophet Joseph‹ genannt, hatte sich mit einem Stabe von 12 Aposteln umgeben, und wurde von seinen Gläubigen als ein neuer Heiland verehrt. Alle seine früheren Verheißungen sah er in Erfüllung gehen, und er zögerte nicht, neue zu geben, die sich im Laufe der Zeit ebenfalls bewahrheiten sollten.

Auf die Begründung von Niederlassungen und die Werbung von Mitgliedern im eigenen Lande beschränkten sich gar bald die Mormonen nicht mehr, ihre Sendboten gingen vielmehr in alle Welt, so namentlich nach England, Skandinavien und Dänemark. Selbst Indien, Palästina, China und Australien wurden besucht. Auch in Deutschland suchten die Mormonen ihre Lehre zu unterbreiten, und schickten im Jahre 1853 sogar eine Gesandtschaft nach Berlin, welche eine Audienz beim Könige Friedrich Wilhelm IV. nachsuchte, um von diesem die Erlaubniß zum Predigen zu erbitten. Als Antwort erhielt aber die Gesandtschaft am 31. Januar eine Vorladung von der Polizei für den folgenden Morgen 11 Uhr, und ward ihnen hier eröffnet, daß sie Berlin und Preußen innerhalb 24 Stunden zu verlassen hätten. –

Weitaus glücklicher waren die mormonischen Missionäre in anderen Ländern: in unbegreiflich kurzer Zeit hatte sich die Zahl der Gläubigen auf 12,000 gesteigert, und Dörfer und Städte wuchsen unter den Händen der rastlosen Sectirer aus dem Boden hervor. –

Nun aber brach für die Mormonen eine Zeit der Prüfungen herein, eine Periode der Verfolgungen und Leiden. –

Die ›Heiligen der jüngsten Tage‹, wie sie sich selbst zu nennen beliebten, hatten sich zu zwei Lehren bekannt, welche ihre Nachbaren ängstigten und aufregten. Die eine der Lehren behauptete: Gott habe den Mormonen den amerikanischen Westen als Erbtheil verliehen, und alle Unbekehrten würden von dort vertrieben werden, sobald die Zeit erfüllt sei.

Die andere Lehre behauptete, daß die Indianer Abkömmlinge der Hebräer seien, und daß dieselben dereinst in den Besitz ihrer alten Gebiete wieder eingesetzt werden sollten, woraus die weißen Grenzbewohner den Schluß ziehen zu dürfen glaubten, die Mormonen hätten ein Bündniß mit den Indianern im Sinne, um mit Hülfe derselben einen Vernichtungskrieg gegen die Nichtmormonen zu beginnen.

Vornehmlich aber war der feindlichen Partei das sichtliche Gedeihen der Mormonen ein Dorn im Auge. Die Mormonen hatten vergleichsweise sehr schöne Häuser und wohlangebaute Farmen, und diese hätten die Rädelsführer der Gegner gern ohne Kaufschilling an sich gebracht. Wohl ganz unbestreitbar ist dieser Umstand der Hauptgrund zu den Verfolgungen, denen die Anhänger der neuen Secte ausgesetzt wurden.

Bei Gelegenheit einer Wahl kam es zu blutigen Schlägereien; ganze Ansiedlungen wurden zerstört, Frauen, Greise und Kinder niedergeschossen, und mitleidslos trieben die Verfolger endlich unter unerhörten Grausamkeiten die Mormonen über die Grenzen des Staates Ohio, kurze Zeit darauf auch über die des Staates Missouri.

Die Verjagten fanden einen Zufluchtsort in Illinois und gründeten am Mississippi die Stadt Nauvoo. Binnen drei Jahren hatten sie auch hier die Umgegend weit und breit in einen blühenden Garten umgewandelt, aber auch hier erging es ihnen endlich, wie in ihren früheren Heimstätten. Sie geriethen in unablässige Reibereien mit den ›Heiden‹, den Nichtmormonen, und namentlich wurden die Angriffe der Letzteren erbittert, als der Prophet Smith die Vielehe unter den Mormonen einführte. Es kam zu ernstlichen Zusammenstößen, schließlich sah sich die Stadt Nauvoo von einem mehrere Tausend Mann starken Pöbelhaufen bedroht, welchem der Prophet aber seine 4000 Mann zählende ›Legion‹ entgegenstellte.

Der Ausbruch einer barbarischen Schlächterei schien unvermeidlich, da erschien der Gouverneur des Staates Illinois, und diesem überlieferten sich auf sein Versprechen, sie vor Gewaltthätigkeiten zu schützen, der Prophet, dessen Bruder und die Apostel Taylor und Richards. – Die Nachgiebigkeit der Mormonen aber blieb ohne die gewünschte Wirkung. Die vier Häupter wurden vielmehr nach Carthago gebracht und dort in's Gefängniß geworfen. Am 27. Juni 1844 drang eine bewaffnete Pöbelbande in das Gebäude, erbrach die Thüren des Kerkers und ermordete den Propheten, der dadurch zum Märtyrer seines Volkes wurde.

Auch der Bruder des Propheten ward erschossen; ganz unverwundet entkam nur Richards; John Taylor hingegen, das spätere Oberhaupt der Mormonen, blieb mit vier Kugeln im Leibe für todt liegen, ward aber von mitleidigen Leuten aufgenommen und erlangte seine Wiederherstellung. –

Der Prophetenmantel fiel nunmehr auf die Schultern Brigham Young's, der bereits seit dem Jahre 1832 der Secte angehörte und von seinen Glaubensgenossen den kirchlichen Ehrennamen ›der Löwe des Herrn‹ empfangen hatte.

Brigham erkannte bald, daß ein dauerndes Bleiben der Mormonen inmitten der Ungläubigen, inmitten der immer stärker hereinbrechenden riesigen Culturentwickelung unmöglich sei. Und als im Jahre 1845 die Verfolgungen auf's Neue begannen, beschloß Brigham Young, in einer fern entlegenen Gegend einen Mormonenstaat zu gründen, wo ein solcher ungehindert durch die neuere Civilisation, sich zu selbständiger Größe entfalten könne.

Mit großer Umsicht und Energie traf Brigham seine auf die Auswanderung der Mormonen bezüglichen Vorbereitungen, und nun begann im Winter 1846 jener berühmte Auszug der Mormonen, welcher in der Weltgeschichte nur ein Gegenstück hat, in dem Auszuge der Israeliten aus Ägypten.

Hab und Gut ließen die Mormonen im Stiche, ihre Kornfelder, ihre Gärten, ihre niedlichen Häuser mit Büchern, Teppichen, Pianos, kurz Allem, was sie enthielten. –

Oberst Kane, der Bruder des berühmten Polarreisenden, welcher Nauvoo unmittelbar nach dem Abzuge der Mormonen betrat, entwarf von dem verlassenen Orte folgende Schilderung:

»Ich landete an dem Hauptwerfte der Stadt. Ich sah mich um und erblickte Niemand. Ich hörte Niemand sich bewegen, obwohl es allenthalben so still war, daß ich hören konnte, wie die Fliegen summten und die kleinen Wellen an den Untiefen des Gestades sich brachen. Ich ging durch die einsamen Straßen. Die Stadt lag wie im Traume da, wie unter einem tödtenden, verödenden Zauber, aus dessen Wirkung sie aufzuwecken ich mich beinahe fürchtete; denn es war klar, sie war noch nicht lange eingeschlafen. – Es wuchs kein Gras auf den gepflasterten Wegen, und noch hatte der Regen nicht ganz die Eindrücke weggespült, welche Fußtritte im Sande zurückgelassen hatten.

Noch immer ging ich unaufgehalten weiter. Ich trat in leere Werkstätten, Seilerbahnen und Schmieden. Des Spinners Rad stand still; der Zimmermann war von seiner Arbeitsbank und seinen Hobelspähnen, seinen unvollendeten Fensterrahmen und Thürfeldern weggegangen. Frische Rinde war in der Lohgrube des Gerbers, und eben erst gespaltetes weiches Holz war an dem Ofen des Bäckers aufgeschichtet. Die Werkstatt des Schmiedes war kalt, aber sein Kohlenhaufen, sein Löschtrog und sein krummes Wasserhorn waren alle da, wie wenn er eben gegangen wäre, um Feierabend zu machen. Nirgends ließen sich Arbeiter blicken, um zu erfahren, ob ich einen Auftrag für sie hätte. Wenn ich in einen Garten gegangen wäre, um Ringelblumen, Stiefmütterchen und Löwenmaul zu pflücken, oder mir mit dem Eimer und seiner knarrenden Kette einen Trunk heraufzuziehen, oder wenn ich mit meinem Stocke von den langen Stengeln die schwerköpfigen Georginen und Sonnenblumen abgeschlagen hätte – so würde Niemand mich aus geöffnetem Fenster angerufen haben, kein Hund herbeigesprungen sein, um mit Gebell Lärm zu schlagen.

Ich könnte vermuthet haben, die Leute wären in ihren Häusern versteckt, aber die Thüren waren unverschlossen, und als ich zuletzt schüchtern in dieselben eintrat, fand ich erloschene weiße Asche auf den Herden, und so schritt ich auf den Zehen weiter, als ob ich durch den Seitengang einer Dorfkirche ginge und vermeiden wollte, den nackten Dielen störende, unehrerbietige Echos zu entlocken.«

Die Erzählung des Auszuges der Mormonen ist eine Geschichte, welche die Herzen aller Edelgesinnten ergreift. Der Weg der Mormonen ging durch Prairien, welche von blutdürstigen Indianerhorden und wilden Bestien wimmelte; er führte über reißende Ströme und durch grauenhafte Gebirgswüsten, über unabsehbare baumlose Ebenen und über himmelhohe Alpenketten, durch eine Wildniß, die bisher nur wenige Weiße betreten hatten.

Hunderte von Meilen weit wanderten diese modernen Kreuzzügler im strengsten Winter über die Prairien und lebten in Zelthütten oder in Erdlöchern, die sie zum Schutze gegen den eisigen Wind gruben. Sie erlitten die unsäglichsten Strapazen und Entbehrungen; Hungertyphus, Skorbut und tödtliche Fieber wütheten entsetzlich unter der wandernden Menge. Vielen erfroren Hände und Füße, und selbst manche der Stärksten und Ausdauerndsten wurden zu hülflosen Krüppeln. Es gab keine Brunnen. Die Fata Morgana spottete ihrer oft mit Aussichten auf Wasser, und wenn sie wirklich an Bäche und Flüsse kamen, fanden sie dieselben öfter bitter von Geschmack und der Gesundheit gefährlich. –

Zahlreiche Gräber bezeichneten den Nachzüglern den Weg. Jeder Tag brachte neue Begräbnisse, jede Nacht neue Trauer im Lager. Aber die Heiligen blieben fest im Glauben, und sie sangen Hymnen auf ihren Wanderungen und an ihren Nachtfeuern. Unter den wenigen Schätzen, welche sie mit aus Nauvoo gebracht hatten, befand sich eine Druckerpresse, und eine Zeitung, während der Wanderung gedruckt und herausgegeben, trug Worte guten Rathes in jeden Theil des Lagers. Brigham Young selbst tröstete die Weinenden und entflammte durch farbenglühende Prophezeihungen die Zaghaften zu neuer Hoffnung. –

So kamen sie an den Fuß der gewaltigen, parallel laufenden Alpenketten welche zusammen unter dem Namen ›Felsengebirge‹ bekannt sind. Über diese hohen Wälle führte kein Pfad, und die Engpässe, welche durch diese Hochgebirge leiteten, waren in Schnee begraben.

Wie die Heiligen diese steilen Berge sich hinauf mühten, Ochsen und Wagen mit sich schleppend, nach Lebensmitteln fouragirten, ihr Brot buken und ihr Fleisch kochten, ohne Hülfe und ohne Führer, die Erzählung dieser Abenteuer bringt Thränen in die Augen.

Die Jungen und Muthigen schritten voraus, trieben die Bären und Wölfe fort, steinigten die Klapperschlangen, erjagten die Hirsche und Bergziegen und ebneten einen Pfad für die Nachfolgenden. Und wenn sie den Gipfel eines Berges erreicht hatten, blickten sie in dürre, baumlose Ebenen hinab, auf trockene Flußbetten, auf Hügel ohne Grün, auf Pfuhle bitteren Wassers, auf enge Steilschluchten und weite, mit Soda bedeckte Wüsten. Tag für Tag, Woche auf Woche quälten sich so die Wanderer über diese rauhen Sierras, durch diese entsetzlichen Thäler. Die Lebensmittel gingen aus, das Wild ward selten, da endlich, in der höchsten Noth, am 24. Juli 1847, als die bejammernswerthe Schaar den Gipfel des Ensign Peak erreicht hatte, strahlte ihr ein Bild entgegen, von welchem mit Recht behauptet werden konnte, daß es zu den wenigen vollkommenen Landschaftsbildern gehöre, welche die Erde aufzuweisen hat.

Da dehnten sich zu Fuße majestätischer, schneebedeckter Alpenketten weite Ebenen; an die Ebenen schloß sich der Silberspiegel eines mächtigen, 75 englische Meilen langen und 35 Meilen breiten Sees, und aus diesem glänzenden See hoben sich gebirgige, purpurfarbene Inseln; dahinter in weiter, weiter Ferne die malerischen Sierras von Utah und Nevada. Und all das erschien durch die Wirkung eines tropischen Sonnenscheines wie mit einem goldenen Nebel von überraschendem Glanze erfüllt. –

Und als nun die ›Heiligen der jüngsten Tage‹ unter Führung ihres Propheten die Hügel hinabstiegen und der Prophet den Platz erkannte, den ihm ein Engel im Traume der Nacht gewiesen und allwo der neue Tempel errichtet werden solle, da beschloß man hier zu bleiben, hier in dieser wenn auch schönen, aber wüst und vegetationslos liegenden Ebene neue Heimstätten zu gründen. Besaßen die Ankömmlinge auch nichts, als einige wenige Ochsen und Wagen, nichts als einen Sack voll Samen und Wurzeln, so begann der Anblick des Thales aber bald unter den Händen dieser ›Gläubigen‹ sich zu ändern. Bäche wurden von den Hügeln in neue Pfade gelenkt; Felder wurden geschaffen und besät, Wohnungen hergerichtet, Straßen angelegt, Fruchtbäume gepflanzt und Obstgärten abgesteckt.

Ein neues Jerusalem entstand, und wie dereinst im Lande Canaan das jüdische Volk zum Bau des Tempels schritt, so begannen die Mormonen den Bau ihres ›Tabernakels‹. Was der Tempel dem alten Zion war, das ist das ›Tabernakel‹ der Mormonenstadt. Von welchem Punkte aus man die Stadt übersehen mag: das gewaltige, dem Rücken einer riesigen Schildkröte ähnliche Dachgewölbe des Tabernakels fällt zuerst in die Augen und fesselt am längsten. Eine Versammlung von 12-14,000 Personen soll der innere Raum dieses Bauwerkes zu fassen vermögen und die Akustik ist in so bewundernswerther Weise gewahrt, daß man das leiseste Flüstern, ja das Fallen einer Stecknadel von einem Ende des 233 Fuß langen und 133 Fuß breiten Raumes bis zum anderen deutlich vernehmen kann.

Noch war der Riesenbau nicht vollendet, als die Mormonen bereits zur Errichtung eines neuen noch prächtigeren Tempels schritten. Schon über dreißig Jahre sind die Arbeiter am Werk, und geht jetzt das aus gewaltigen weißlichen Granitblöcken gebildete Gebäude der Vollendung entgegen, um dann als der größte, religiösen Zwecken dienende Bau zu prangen, den die Neue Welt aufzuweisen hat. In der Nähe dieser beiden Heiligthümer des Mormonenthums ward das › Endowment House‹, ›das Haus der Weihungen‹ errichtet, allwo die Priesterweihe und die ›Ansiegelungen‹, die Verheirathungen stattfinden. In dem von diesem ›Tempelblock‹ nur durch eine Straße geschiedenen ›Prophetenblock‹ wurden ebenfalls mehrere dem Allgemeinwohle dienenden Gebäude geschaffen, eine Schule, das Zehentamt, eine Zeitungsdruckerei und andere mehr. Hier erhebt sich auch das ›Bienenstockhaus‹, so benannt nach den vielen Bienenstockmodellen, die daran angebracht sind. Auf dem flachen Dache des würfelförmigen Gebäudes befindet sich eine Sternwarte, ebenfalls in Form eines Bienenkorbes, der bei den Mormonen als Symbol ihres Staates eine große Rolle spielt. Haben sie doch nach der in ihrem Wörterbuche › deseret‹ genannten Honigbiene ihr Land Deserét ›das Land der Honigbiene‹ getauft. – Im Prophetenblock liegt auch die ehemalige Residenz des Propheten Young und das ›Löwenhaus‹, letzteres ein langgestreckter, zweistöckiger, durch einen schlecht ausgehauenen Steinlöwen an der Façade charakterisirter Holzbau mit vielen spitzen Giebelfenstern, von welchen die Fama behauptet, daß ein jedes die Wohnung einer Frau des Propheten bezeichnet habe. –

Um all diese Stätten gruppiren sich nun, vom hellrothen Blüthenschmuck unzähliger Pfirsichbäume fast verborgen, die Häuser der Gläubigen, ohne aufdringlichen Prunk, ohne Überladenheit, und wohin der Blick sich wendet, überall wird er von freundlichen Bildern empfangen. –

Auf den Wanderungen durch die Stadt fällt nichts so angenehm auf, als die durchgehende Reinlichkeit, Behäbigkeit und Aufmerksamkeit, die friedliche Ruhe und Ordnung, der ersichtliche Wohlstand an allen Häusern und Menschen. Es ist wirklich ein Deserét, ein Bienenschwarm, aber ohne Drohnen und ohne Militär. Jeder arbeitet, die Verrichtung nützlicher Arbeiten gilt als höchste Pflicht und als höchstes Vergnügen. Müßiggänger und Arme gibt es nicht, darf es nicht geben, da die Mittel- oder Arbeitslosen sofort von der Kirche mit dem Nöthigen versehen werden. Die Ordnung ist um so überraschender, wenn man erwägt, aus welch' verschiedenen Elementen das Mormonenthum sich zusammensetzt, sich immer frisch bereichert. Es besteht aus Engländern, Irländern, Schotten, Amerikanern, Canadiern, Norwegern, Schweden, Dänen, Deutschen, Schweizern, Franzosen, Polen, Russen, Negern, Hindus, Indianern und Chinesen, und all die Farben, Sprachen, Sitten und Gebräuche derselben schmelzen hier in eine friedliche Gemeinschaft von großer Kraft und Energie zusammen. Elemente und Widersprüche aller Nationen und Zonen leben hier in praktischer Verbrüderung und Harmonie, sie vermehren sich täglich durch Zuzüge aus allen Himmelsgegenden, es ist hier im Herzen der amerikanischen Wildniß eine kosmopolitische Vereinigung emporgeblüht, die unabhängig, compakt, und durchweg aus eigener Kraft und fanatischer Energie hervorgewachsen ist.

Blick auf Salt Lake City (1882).

Das ist eine Errungenschaft, ein Erfolg, den die erbittertsten Feinde des Mormonenthums nicht bestreiten können und dürfen, und sicherlich würde das Mormonenthum trotz seiner seltsamen Glaubensregeln sich der Sympathien aller Völker zu erfreuen haben, wenn nicht ein dunkler Schatten neben diesem glänzenden Bilde bestände, die Polygamie, deren Ausübung im crassesten Widerspruch zu allen durch Jahrtausende geregelten Satzungen der Civilisation steht. –

Über die Grundansichten der Mormonen in Bezug auf die Vielweiberei herrscht in Europa wie in Amerika noch große Unklarheit. Die Heiligen am Salzsee basiren die Polygamie aus folgenden spiritistischen Glaubenssätzen: »Millionen körperlose Geister, Nachkommen der Götter, umschweben den Erdball und ersehnen den Augenblick ihrer Menschwerdung, der ihnen die zweite, höhere Stufe ihres Daseins, das Leben auf der Erde, erschließen soll. Die heimathlosen Geister werden Mensch während der Zeugung eines solchen, und ist es den Mormonen heiligste Verpflichtung, den Geistern zur Menschwerdung behülflich zu sein und möglichst oft Gelegenheit zu geben«. »Je mehr Kinder, desto mehr Segen,« so lautet also die Losung der Mormonen, und wer die heilige Verpflichtung am treuesten erfüllt, der wird im Jenseits den höchsten Grad aller Menschenexistenz erreichen, ja selbst zum Gotte werden.

Jeder Mormone ist verpflichtet, zum allerwenigsten einmal zu heirathen. Hagestolze und ehelose Mädchen vernachlässigen eine heilige Pflicht, sie werden als nutzlose Werkzeuge in der Ökonomie der Schöpfung angesehen, es trifft sie Verachtung auf Erden, und der Höllenfluch, den kein Dante grausiger ersinnen könnte: einsam und ungeliebt durch die Ewigkeit zu gehen. Hieraus erklärt sich, warum jeder Mormone, jede Mormonin baldigst in den Hafen der Ehe einzulaufen sucht; hier sind sie nämlich vor der sonst unabwendlichen Verdammniß geschützt.

Ist ein unverheirateter Mormone eigentlich gar kein Mormone, so ist, wer sich mit einer Frau begnügt, kein eifriger. Nur der habe Anspruch auf den Ehrentitel eines guten Gemeindemitgliedes, der mehrere Frauen nehme und dadurch einer größeren Zahl von Geistern Gelegenheit gebe, Mensch zu werden.

Die Polygamie rechtfertigen die Mormonen aus den Büchern des alten Testamentes, wo dieselbe nirgends verboten sei. Sie argumentiren, daß Abraham, David und Salomo mehrere Weiber gehabt und doch die Lieblinge Jehovah's gewesen seien, daß die Vielweiberei eine von Gott eingesetzte, zum mindesten gebilligte Einrichtung sei, habe doch Gott selbst dem Abraham geboten, außer Sarah noch die Hagar zu sich zu nehmen. Ferner stützen sich die Mormonen zur Begründung der Vielweiberei auf die Geschichte und die Völkerkunde. Sie betonen, daß die entschiedene Mehrheit des menschlichen Geschlechtes in offener, und die Völker, die sich in ihrer Sittenlehre zur Monogamie verpflichten, in ausgedehnterem Maße als man glaube, in heimlicher Polygamie leben.

Der Begriff von Liebe zu nur einem weiblichen Wesen gilt den Heiligen am Salzsee für widersinnig; man könne und müsse ebensowohl mehrere Frauen gleich lieb haben, als mehrere Kinder.

Ein fernerer höchst wichtiger Glaubenssatz der Mormonen ist, daß die Frau nur durch einen Mann selig werden und in's Himmelreich eingehen könne, und hat auf Grund dieses Glaubenssatzes ein jedes ledige Mädchen das Recht, zu verlangen, daß ihm ein Ehemann beschafft werde, um also der himmlischen Freuden theilhaftig werden zu können.

Es gibt nun unter den Mormonen zwei Arten von Ehen, eine ›für die Zeit‹ und eine ›für die Ewigkeit‹. Die einem Manne ›für die Zeit‹, d. h. für die Dauer des irdischen Lebens angetraute Frau kann demselben Manne auch für die Ewigkeit angetraut, aber, was höchst charakteristisch ist, auch einem anderen, ihr im irdischen Leben völlig fern stehenden angetraut sein. In letzterem Falle würde die Frau, so lange sie auf Erden lebt, dem einen Gemahl gehören, würde aber im Jenseits dem anderen Manne zufallen und als Gefährtin die Seligkeiten desselben theilen. Eine Ehe für die Ewigkeit kann schon bei Lebzeiten des einen Gemahls geschlossen werden, ja, die Frau kann sich als himmlischen Bräutigam auch einen bereits gestorbenen Mann ersehen. Es herrscht sonach im Grunde genommen bei den Mormonen nicht nur die Vielweiberei, sondern auch die Vielmännerei. Brigham Young besaß z. B. mehrere Frauen in seinem Frauenhause, welche bis zu ihrem Tode ihm angehörten, nach ihrem Tode aber dem bereits verstorbenen Propheten Joe Smith zufallen mußten. Dagegen waren Brigham Young eine Anzahl von Frauen anderer Männer für die Ewigkeit angetraut. –

All diese Ehen werden, wie bereits früher erwähnt, in dem › Endowment House‹, in dem ›Hause der Weihung‹ geschlossen und führt die Ceremonie des Heirathens den sonderbaren Namen › to seal on‹, ›ansiegeln‹. Alle Ehen müssen durch die Kirche geschlossen werden und ist in allen Fällen vorher die Genehmigung des mormonischen Präsidenten einzuholen. –

Über die Abschließung der Ehe unter Verwandten herrschen gleichfalls unseren Anschauungen scharf entgegenstehende Gebräuche. Es ist nichts Seltenes, daß ein Mann zwei oder drei Schwestern heirathet, ja es sind verschiedene Fälle bekannt, wo Männer zugleich mit einer Mutter und deren Töchtern verheirathet waren. Die verschiedenen Verwandtschaftsgrade, welche durch solche Ehen entstehen, sind oft recht originell. So kann z. B. ein Mormone leicht sein eigener Großvater oder sein eigener Sohn werden, und die angenommenen Bezeichnungen von Mutter, Schwester und Tochter sind unter den Mormonenfrauen durchaus nicht stichhaltig. Brigham Young hatte durch seine vielen Frauen und seine mit Frauen gesegneten Brüder und Vettern so viele Familienbande in Salt Lake City geknüpft, daß er mit der halben Stadt verwandt war. –

Seinen Haushalt einzurichten und seine Familie unterzubringen, blieb dem Gutdünken und den Verhältnissen jedes einzelnen Mormonen überlassen. Zur Zeit meines Besuches lebte der Mormone nur mit einer Frau zu Hause, während die anderen Frauen für sich in besonderen Wohnungen Haushalt führten und hier zeitweise die Besuche ihres Gemahls empfingen.

Anders war es, als die politischen Verhältnisse des Landes für die Mormonen günstiger lagen. Zu jener Zeit hatte Brigham Young seine 29 oder 30 Frauen im Löwenhause untergebracht, und glich das Leben in demselben ganz dem in einem feinen Hotel. Beim Klange der Glocke versammelten sich jeden Morgen und jeden Abend sämmtliche Bewohner des Hauses im ›Parlor‹, dem Empfangsalon; es wurde gemeinschaftlich eine Hymne gesungen, worauf der Prophet ein inbrünstiges Gebet sprach. Nach verrichteter Andacht begab sich Alles in den Speisesaal, um das Mahl einzunehmen. Jede Mutter hatte mit ihren Kindern einen besonderen Tisch, während die kinderlosen Frauen an der gemeinsamen Tafel speisten. – Während des Tages gingen die Frauen aus, nähten, sangen, spielten Clavier oder führten ihre Kinder spazieren. Die meisten spannen und webten und färbten das von ihnen angefertigte Zeug, und leisteten darin so Vorzügliches, daß sie auf ihre Arbeiten alle Ursache hatten stolz zu sein. Eine jede Frau hatte ihr eigenes Zimmer. Brigham Young hielt auf gute Zucht, führte über seine Frauen strenge Aufsicht und ließ sie tüchtig arbeiten, aber er entzog ihnen auch keine Vergnügungen; er versorgte sie in liberaler Weise mit Geld, ließ sie bei schönem Wetter ausfahren und kleidete sie sämmtlich höchst elegant. –

Drückt nach unseren Anschauungen die Polygamie dem ganzen Mormonenthum den Stempel des Ungehörigen auf, so hatte sie aber, wie wir constatiren müssen, auf der anderen Seite eine auffallende Sittenstrenge im Gefolge, durch welche man den naheliegenden Verdacht der Unsittlichkeit und Ausschweifung von sich abzuwehren suchte. Alle Reisenden, welche Salt Lake City vor dem Eindringen der Nichtmormonen besucht haben, stimmen darin überein, daß hier keine Spiel- und Trinkhäuser, keine Schnapshöhlen, noch viel weniger Freudenhäuser zu finden waren. Niemals erblickte man Rohheiten auf der Straße; Verbrechen waren so selten, daß die Gerichtshöfe kaum etwas zu thun hatten. Mit Einbruch der Dunkelheit sah man kein weibliches Wesen mehr auf der Straße. Auf Ehebruch stand Todesstrafe, doch ist nicht bekannt, daß dieselbe jemals irgend wem hätte zuerkannt werden müssen. –

Fragen wir nun, wie die Ansicht der mormonischen Frauen über die Polygamie ist, so ist zu constatiren, daß dieselben zur Zeit der Einrichtung dieses Dogmas, im Jahre 1834, fast durchgehends sehr erregt und unglücklich waren, jetzt aber mit demselben weit mehr einverstanden sind, als man erwarten sollte. Bodenstedt, welcher Salt Lake City im Jahre 1880 besuchte, schreibt sogar, daß er in dem ausschließlich von Frauen redigirten und herausgegebenen ›Woman's Exponent‹ Aufsätze gelesen habe, wonach die Polygamie unter den Frauen noch entschiedenere Vertheidigerinnen und weniger Abtrünnige habe als unter den Männern. Jedermann in Salt Lake City bestätigt diese Thatsache. –

Zweifelsohne würden die Mormonen noch heute in Utah ein ungestörtes Dasein führen, wenn nicht die politischen Verhältnisse andere geworden wären. Zur Zeit, als Brigham Young mit seinen Schaaren in die Ebenen am Salzsee herniederstieg, gehörte Utah zu dem Staate Mexiko und Brigham Young ergriff Besitz von dem Lande, wie der Jäger Besitz ergreift von dem Wilde, das er erlegt. Kaum ein Jahr nach dieser Besitzergreifung aber wurden Utah, Californien, Nevada und Arizona von Mexiko an die Vereinigten Staaten abgetreten, und nun kam die Zeit der Conflicte zwischen den Mormonen und der Unionsregierung. Nach der Gesetzgebung der Vereinigten Staaten gilt Bigamie, die Zwei- oder Mehrweiberei als ein strafbares Verbrechen, und waren sonach die Mormonen mit dem Tage, wo sie wieder Angehörige des Staatenbundes wurden, sammt und sonders Bigamisten, straffällige Verbrecher, da die Regierung doch nicht ein und dieselbe Handlung in einem Theile der Union erlaubt sein lassen konnte, die in allen anderen Theilen derselben für ein schweres Verbrechen galt. Die Regierung mußte einen Angriff auf die Mormonen unternehmen, die bei Aufstellung des Dogmas der Polygamie als religiöse Schwärmer eben vergessen hatten, daß für Vielweiberei als einer staatlichen und religiösen Einrichtung in der Gesellschaft der civilisirten Völker kein Raum ist.

Die Regierung suchte nun die Polygamie zu verbieten, die Mormonen hingegen stritten dem Congresse das Recht hierzu rundweg ab und behaupteten, das Gesetz, welches der Congreß erlassen habe, sei an und für sich ungültig, weil es gegen die Bundesverfassung verstoße, welche die religiöse Freiheit für Jedermann unbedingt gewährleiste. So wenig man das Recht habe, z. B. gegen die Shakers einzuschreiten, welche jede Ehe verwerfen, ebensowenig sei man zuständig, gegen die durch Gottes Wort in der Bibel sanctionirte Vielweiberei einzuschreiten.

Man entgegnete ihnen: »Ihr seid, gleich uns, Bürger der Vereinigten Staaten und sollt nach denselben Gesetzen behandelt werden wie wir. Polygamie ist gesetzwidrig. Religiöse Freiheit habt und behaltet ihr in Hülle und Fülle. Niemand hindert euch, Tempel, Tabernakel und Kirchen zu bauen, so viel ihr wollt; ihr könnt Propheten und Apostel ordiniren, es steht euch frei, in euern Reden und Predigten die Polygamie als göttliche Einrichtung hinzustellen und zu preisen. Sobald ihr jedoch dieselbe in's praktische Leben einführt, trifft euch die Strafe des Gesetzes.« –

Diese letztere Drohung war nun aber leichter hingeworfen, als ausgeführt, denn als die Regierung den Versuch machte, ihren Gesetzen und Forderungen Geltung zu verschaffen, da offenbarte sich aufs Neue die Macht der wunderbaren Organisation des Mormonenthums. Wie oft man demselben beizukommen suchte, so oft erwiesen sich alle Angriffe als vergebens. Der Waffengewalt setzten die Mormonen Waffengewalt entgegen, diplomatische Künste scheiterten an dem Scharfsinn des Propheten Brigham Young und seiner Apostel, die alle Regierungsverordnungen und Maßregeln stets wirkungslos zu machen oder zu umgehen wußten.

Nahezu an 40 Jahre währt nun dieser unblutige Kampf, in welchem die Mormonen bis jetzt nur sehr wenig nachgegeben, die Leiter der Vereinigten Staaten nur sehr dürftige Erfolge errungen haben.

Noch heute finden, wenn auch im Geheimen, im › Endowment House‹ die ›Ansiegelungen‹ der irdischen und der Seelenbräute statt, noch heute bestehen, namentlich in den südlicheren Theilen des Landes die doppelgliedrigen Häuschen mit den verschiedenen Hausthüren und den oft verstohlenen Hinterpförtchen, noch heute hat namentlich der Mormonenbauer seine drei, vier oder noch mehr Weiber und eine zahlreiche Kinderheerde, noch heute sind die Druckerpressen des neuen Zion in voller Thätigkeit, um in Tausenden und Abertausenden von Exemplaren die Glaubenssätze der Mormonen zu liefern, noch heute ziehen an die vierhundert Älteste, Bischöfe und Missionare in alle Theile der Welt, um neuen Zuzug zu werben. Kein Jahr vergeht, wo nicht mehrere Tausend neue Glieder zu der gegen 160-200,000 Seelen starken Gemeinde stoßen, kein Jahr vergeht, wo nicht neue Erfolge errungen würden. Nicht allein in England, Dänemark und Skandinavien bestehen selbständige mormonische Gemeinden, sondern auch in der Schweiz und sogar in Berlin, welch' letztere bereits im Jahre 1887 gegen 100 Mitglieder zählte. –

Wie bedeutend der jährliche Zuwachs der Mormonen ist, geht aus dem Census des Jahres 1882 hervor, innerhalb welches Jahres aus Deutschland und der Schweiz nahezu 2000 Personen nach Salt Lake City kamen, während aus Dänemark, Schweden und Norwegen gegen 13,000 und aus Großbritannien zwischen 26 und 27,000 Emigranten nach Utah pilgerten, um das Mormonenthum zu verstärken.

Vornehmlich suchen die Missionare unter den ärmeren, unwissenderen Klassen Proselyten zu machen, und die verlockende Aussicht, freie Fahrt nach Amerika, dem Lande wo Milch und Honig fließt, zu erhalten, mag sehr oft stärkere Zugkraft üben, als die religiösen Glaubenssätze des Mormonenthums.

Bei Ankunft in Salt Lake City werden die Einwanderer über das Territorium vertheilt, und für Jeden wird gesorgt, bis er sich selbst erhalten kann. Aber jeder ausgegebene Dollar wird der Familie, die ihn empfängt, angerechnet, und das erste Geld, das sie einnimmt, wird zurückverlangt, um dann der Schatzkammer der Kirche wieder erstattet zu werden.

Auf diese Weise bleiben die sehr ansehnlichen Auswandererfonds stets auf einer gewissen Höhe und erhalten sich selbst, und nicht ein Cent wird ausgegeben, der nicht mit Zins und Zinseszinsen an die Kirche zurückfällt. Die Leiter der Kirche sind durchaus gewiegte Geschäftsleute, und stehen ihnen durch die Zehentabgaben und freiwilligen Spenden mehr als genügende Mittel zu Gebote, die weltlichen Angelegenheiten der Kirche auf's Glänzendste zu gestalten. –

Die socialen Verhältnisse der einzelnen Mormonen sind fast durchweg gute und geordnete. Während ihre andersgläubigen Mitbürger über schlechte Geschäfte klagen, fehlt es den mormonischen Geschäftsleuten an Nichts, da die Anhänger der Gemeinde nur bei ihnen kaufen. Zugleich wird die Ausbeutung der reichen Mineralschätze des Landes auf's Energischste betrieben, die Minen scheinen unerschöpflich und haben glänzende Ergebnisse. Ferner besitzen die Mormonen außer ihren Farmen und Obsthainen großartige Marmorbrüche, welche dem von einer Gesellschaft kürzlich erlassenen Circulare zu Folge »genug des schönsten Marmors enthalten, um jede Person in den Vereinigten Staaten mit einem Grabsteine erster Klasse zu versorgen.« –

Wie es zu Lebzeiten Brigham Young's das selbstverständliche Verlangen jedes Besuchers des mormonischen Roms war, den Papst dieses Roms von Angesicht zu Angesicht zu sehen, so wird es jetzt kaum ein Fremder unterlassen, die Grabstätte dieses ungewöhnlichen Mannes, der drei Jahrzehnte hindurch das Mormonenthum in Sturm und Drang leitete, zu besuchen. Die Grabstätte ist unweit des Tabernakels auf einem Hügel zu finden, wer aber daselbst ein Mausoleum oder sonst einen prächtigen Bau zu finden erwartet, dürfte schwer enttäuscht werden. Zuerst gelangt man an ein ackergroßes, mauerumschlossenes Stück Landes, das zur Zeit meines Besuches so überwuchert mit Unkraut und mannshohen Sonnenblumen war, als sei diese Stätte ein Ablagerungsplatz für Bauschutt und dergleichen gewesen. Ein Schauer überrieselt den Besucher, wenn er erfährt, daß unter diesen eingesunkenen Schutthaufen, auf denen kein Kreuz, kein Täfelchen mit einer Inschrift zu sehen ist, – die Frauen des Mormonenpapstes ruhen. Zahl an Zahl reihen sich hier die namenlosen Gräber, den Stätten gleich, wo Verruchte und Ausgestoßene ihre ewige Ruhe halten. –

Das Haupt dieser todten Hausgemeinde, Brigham Young, ist um ein Beträchtliches decenter behandelt worden. Durch eine Öffnung in der Mauer treten wir in einen zweiten Raum und hier ist unter einer wohlgepflegten, durch stete Bewässerung schön grün gehaltenen Rasenfläche der ›Löwe des Herrn‹ begraben. Einige Bäume neigen sich über das in der Ecke dieser Anlagen befindliche Grab, welches von einer kolossalen Granitplatte überdeckt ist, die so dick und schwer ist, daß sie ihrer Zeit von dreißig Maulthieren hierher geschleift werden mußte. Ein hoher, gußeiserner Zaun umschließt die Ruhestätte. Auch hier verräth keine Inschrift den Namen des hier Ruhenden, keine Tafel auch den Namen Derjenigen, die unter einem langen, schmucklosen Hügel zur Seite des Propheten ruht, der nach dem Gesetz einzig legitimen Gattin des Propheten, Mary Angel Young. Das ist die Geleitschaft, in welcher der Mann von dreißig oder noch mehr Frauen hier im Tode sich befindet.

Das einzig Erquickliche dieser ganzen Ruhestätte ist unstreitig der Blick auf die herrlichen, schneeüberlagerten Wahsatch Gebirge, deren geschlossene Massen stolz über die Stadt, über den Salzsee Dieser Salzsee ist eine der größten Merkwürdigkeiten des Westens, das ›Todte Meer‹ Amerikas. Derselbe hat mehrere große Zuflüsse, aber keinen Abfluß. Der Salzgehalt des äußerst durchsichtigen Wassers ist so bedeutend, daß das Schwimmen mit großer Schwierigkeit verbunden ist, da die unteren Extremitäten von dem schwereren Wasser stets nach oben gedrängt werden. Ohne die leiseste Bewegung zu machen, kann man in voller Länge auf dem Rücken liegen, ohne fürchten zu müssen, unterzusinken. Das Wasser hat einen stark bituminösen Geruch, und besitzt die eine schlechte Eigenschaft, daß, wenn ein Theil desselben unvorsichtiger Weise verschluckt wird oder auf die Schleimhäute der Augen geräth, äußerst schmerzhafte, mitunter bösartige Entzündungen der Athmungsorgane oder der Augen hervorgerufen werden. Fische leben nicht in dem See, wohl aber ein kleines Insekt ( Atemia fertiliso), das im Sommer mitunter in ungeheuern Massen auf der Oberfläche des Sees erscheint, und dessen Larven wie Torfstreu am Ufer angeschwemmt liegen. In neuerer Zeit sind Hotels und ansehnliche Badevorrichtungen am See errichtet worden, desgleichen bestehen Anlagen, wo durch Verdunstenlassen des Wassers große Quantitäten Salzes gewonnen werden., über das weite Mormonenland hinwegblicken. – Die Sonne sank, und während das schneegekrönte Hochgebirge in der Gluth des scheidenden Tagesgestirns seltsam phantastisch entflammte, legte sich über das Städtebild zu meinen Füßen abendliches Dunkel. Aus diesem Dunkel ragten gespenstig die Baulichkeiten hervor, die mit dem Namen Brigham Young's enger verknüpft sind: das mittelalterlich berührende, mauerumschlossene Frauenhaus mit seinen zahlreichen, spitzen Erkerfenstern, der Tempel und das Tabernakel. –

Mir war, als umgebe mich ein finsterer Traum, als ob ich mich in der alten Wiedertäuferstadt Münster befinde und allenthalben den Erinnerungen und Überbleibseln einer anderen, kaum noch verstandenen, kaum noch begriffenen Zeit begegne.

Und doch ist hier Alles Wirklichkeit, lebendiges, greifbares Sein: das ganze Mormonenthum ist noch eine Thatsache, die der amerikanischen Regierung schwer zu schaffen macht.

Auf welche Weise sich das Mormonenproblem lösen wird, ob durch inneren Zersetzungsproceß in der Kirche der Heiligen, ob durch Waffengewalt von außen, ist schwer vorauszusagen, bis jetzt wenigstens ist noch nicht eine der darauf hinzielenden Prophezeiungen mancher Reisenden und Journalisten zur Wahrheit geworden. Ungeachtet all der ungünstigen Ereignisse der letzten Jahre steht das Mormonenthum heute noch fester, als man glauben möchte. Neben derselben Energie, kraft welcher die Mormonen aus traurigen Wüsten blühende Oasen schufen, finden wir noch denselben großen, fanatischen Opfersinn, der nichts nach irdischem Hab und Gut fragt. Sollen doch den allerneuesten Nachrichten zu Folge die ›Heiligen der jüngsten Tage‹ mehrfach erwogen haben, ob es nicht gerathen sei, ihr blühendes Zion auf's Neue aufzugeben, und anderswo ein Asyl zu suchen. Es heißt, daß die Mormonenältesten bereits Verhandlungen mit der mexikanischen Regierung um Überlassung großer Länderstrecken in der Provinz Sonora, mit der canadischen um Abtretung von Ländereien in Manitoba angeknüpft hätten, und so ist die Möglichkeit keineswegs ausgeschlossen, daß wir das seltsame, an Verfolgung und Vertreibung gewöhnte Volk der Mormonen über kurz oder lang abermals auf der Wanderung sehen. –

Da in die Zeit meines Aufenthaltes in Salt Lake City auch ein Sonntag fiel, so benutzte ich denselben zu einem Besuche des mormonischen Gottesdienstes, welcher allsonntäglich Punkt 2 Uhr im Tabernakel abgehalten wird. Von nah und fern kamen die Anhänger des mormonischen Glaubens herbeigeströmt, das Schiff der Kirche füllte sich schnell mit Frauen und Kindern, während die Männer vorzugsweise auf den geräumigen Gallerien Platz nahmen. Ununterbrochen strömte die Menge durch die zahlreichen Seitenthüren des Tabernakels, welches wie ein riesiger Schwamm die Bevölkerung der ganzen Gegend in sich aufzusaugen schien.

Von Interesse für mich war insbesondere das Erscheinen einer ganzen Anzahl von Navajoe-Indianern, die aus den südlicheren Theilen des Territoriums oder wohl gar aus Neu Mexiko herübergekommen waren und in ihren malerischen Kostümen, bestehend aus bunten Jacken, Ledergamaschen und den prächtigen, nicht nur wegen ihrer Farben und Ornamentik, sondern auch der Art ihrer Herstellung halber von Kennern sehr geschätzten Decken allenthalben Aufsehen erregten. Fast noch pittoresker wirkte eine Gruppe ebenfalls dem Süden angehöriger Indianer mit wenig schönen Gesichtszügen, aber stattlichem Körperbau. Dieselben trugen hellburgunderrothe Hemden, bunte, turbanartig um die Köpfe gewundene Tücher und farbige Ledergamaschen und bildeten so einen crassen Gegensatz zu den mannigfachen Gruppen von europäischen und amerikanischen Touristen, die nicht an dem mormonischen Rom vorübereilen wollten, ohne auch den derzeitigen Papst desselben gesehen zu haben.

Nach und nach nahmen die Würdenträger der Kirche ihre reservirten Sitze ein: mehrere Apostel und Bischöfe, endlich auch erschien der Präsident der Gemeinde, John Taylor, eine sehr stattliche Erscheinung, über sechs Fuß hoch, mit regelmäßigen, intelligenten Gesichtszügen. Seine Bewegungen zeugten von guten Umgangsformen, und seine während der von ihm gehaltenen Predigt hervortretende zündende Beredsamkeit verfehlte nicht, auf die zahlreiche Menge einen tiefen Eindruck zu machen. Präsident Taylor war thatsächlich der beste Kanzelredner der Mormonen und nimmt in der Geschichte der Gemeinde einen Rang ein, der gleich hinter demjenigen Joseph Smith's und Brigham Young's kommt, obwohl er an Enthusiasmus und Energie hinter Beiden zurückstand. Vornehmlich fehlte ihm die starre, eiserne Charakterfestigkeit, welche Brigham Young zu dem hauptsächlichsten Führer, zu dem Organisator dieses sonderbaren Volkes machte. Seine Verwaltung kennzeichnete insbesondere der Wunsch, Conflicte zu vermeiden, und dennoch die Ansprüche der Mormonenkirche, vor allem das Dogma der Vielehe, aufrecht zu erhalten.

Da er selbst vier Frauen besaß, so wurde auch gegen ihn das Edmunds'sche Gesetz, welches schwere Strafen über diejenigen verhängt, welche eine Mehrehe eingehen, in Anwendung gebracht, in Folge dessen der Präsident die beiden letzten Jahre seines Lebens in strengster Verborgenheit zubrachte, ein Flüchtling vor dem Gesetz. Alle Nachforschungen der ihn verfolgenden Geheimpolizisten des Bundesgerichtes blieben erfolglos. Taylor war wie vom Erdboden verschwunden, und doch las man monatlich oder wöchentlich seine Erlasse an die Gläubigen, oder es wurden im Apostelcolleg seine schriftlichen Botschaften und Befehle verkündet und vollzogen. Zuerst glaubte man, er sei nach Mexiko geflüchtet, doch bald wurde man gewiß, daß er das Weichbild der Stadt nicht verlassen habe, obwohl ihn kein Ungläubiger je zu Gesichte bekam und keine Spur von ihm zu entdecken war. Muthmaßlich hielt er sich zumeist in unterirdischen Gemächern des mormonischen Vaticans, des ›Löwenhauses‹ auf, welche Brigham Young seiner Zeit dort angelegt haben soll. Taylor ward ein Opfer seiner freiwilligen Gefangenschaft. Bisher trotz seines hohen Alters noch rüstig und gesund gewesen, begannen, weil es ihm an Bewegung fehlte, seine Glieder zu schwellen und er that seinen letzten Athemzug in derselben Verborgenheit, von wo aus er das Steuer der Mormonenkirche lenkte. Taylor's Tod wurde noch Stunden lang geheim gehalten, erst in den Morgenstunden des 29. Juli 1887 wurde seine Leiche im Tabernakel, dem Petersdom der Salzseestadt, aufgebahrt, damit alle von Nah und Fern herbeiströmenden Glaubensgenossen den sterblichen Überresten den Tribut der Verehrung darbieten könnten.

So hat sich in dem trotz seiner verhältnißmäßigen Kleinheit doch mit den größten Weltstädten um die Wette genannten Stadtwesen am Großen Salzsee in den letzten dreißig Jahren ein so eigenthümliches Stück Kulturgeschichte abgespielt, daß man wohl sagen kann, dasselbe stehe in seiner Art ohne Gleichen da. Ist die ganze Religion der Mormonen eine von abgefeimten, habsüchtigen Yankees erdachte Satire alles dessen, was je für Glauben gegolten hat, so fällt dagegen die äußere Prosperität, zu welcher die Schöpfer und Leiter der Mormonensecte die Angehörigen derselben zu führen verstanden, bedeutend in's Gewicht und in ihr ist der große versöhnende Zug, das dauernde Verdienst des Mormonenthums zu erblicken. »Diese Prosperität zeigt,« wie ein anderer Schilderer der Salzseestadt treffend bemerkt, »keine Spuren des Verfalls, wie sie auch von keinem Wechsel, der von außen her kommen mag, bedroht ist. Und wie sie die eigentlichste Schöpfung Brigham Young's ist, so sichert sie in ihrer Dauer auch ihrem Schöpfer weit über den hierarchischen Humbug und den polygamischen Unfug hinaus, die vor der Hand noch das Bild dieser machtvollen Persönlichkeit entstellen, einen dauernden Platz in der Geschichte.«


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