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28.

Gleich dem wilden Mann aus den finsteren Wäldern stand Herakles riesengroß und rasend mit verwirrten Sinnen vor dem, was von des Diomedes Palast noch übriggeblieben war, und mit der donnernden Keule zerschmetterte er die letzten Mauerreste des zusammengestürzten Gebäudes. Tag für Tag schon hatte er im Wahnsinn sich auf die berstenden Blöcke gestürzt, bis die Türme und Zinnen zu einem hohen Trümmerhaufen zusammensanken, der sich jetzt dort erhob, wo einst das finstere Kastell mit seinen Zinnen wie mit Zähnen zum finsteren Himmel geragt hatte. Verwildert flatterten Haare und Bart um Herakles' Antlitz, und aus seinen Augen zuckte der Wahnsinn, und das rote Fell, das schlotternd mit den vier Pfoten um des Herakles Schultern flog, ließ den unseligen Helden völlig als Schreckgestalt erscheinen, die in dem unentwirrbaren Walde das Entsetzen von Mensch und Tier, von Satyrn und Nymphen und Faunen bildete.

Als Ares seinen Halbbruder Herakles also erschaute, ward sein Gemüt von Mitleiden erfüllt. Aphrodite aber wies den Gott nun dorthin, wo der felsige Weg sich von Süden heran am Meere entlang schlängelte, dessen Wogen vom Sturm gepeitscht waren, und über die der schrille Schrei der Eisvögel ertönte. Und Ares erblickte dort, wohin Aphrodite ihn wies, zwei ermüdete weiße Rosse, die matt und erschöpft unter den Peitschenhieben des Lenkers ihre letzten Kräfte hergaben, um den vierräderigen Reisewagen fortzuschleppen. Und in dem Wagen saß, in amethystfarbenen Mantel gehüllt, eine trauernde Frau, und rings um den Wagen drängten sich die Thrazier und zeigten der Reisenden jetzt das dem Erdboden gleichgemachte Schloß und den wilden Mann, der mit kranken Sinnen noch immer weiter Keulenschlag auf Keulenschlag gegen den Trümmerhaufen führte. Und die Götter sahen durch den Nebel, wie die Frau dem Herakles die Arme verzweiflungsvoll entgegenstreckte, aus weiter Ferne schon, wie sie den Wagen verließ und den felsigen Pfad emporschritt, der dorthin führte, wo dereinst des grausamen Diomedes grausiger Palast gestanden hatte.

*

Deianeira hatte sich dem Helden genähert und rief, dieweil sie die Arme ausstreckte: »Mein Gemahl! O mein Gemahl! Mein Herakles!«

Wild wandte sich der wilde Mann um, und wie rasend schwang er die Keule, gleich als wollte er zerschmettern, was ihn störte. Sie aber richtete sich hoch auf und rief laut: »Herakles, erkennst du mich nicht? Deianeira bin ich, des Meleagros Schwester und die Gattin, die du liebst.«

Der Held besann sich. Er ließ seine Keule sinken, und mit leiser Stimme stammelte er, während er wie geblendet auf die hochgerichtete Gestalt starrte: »Wer rief mich Herakles? Wer rief mich mit einer Stimme, die ich wohl kenne? O Admete, bist du es, du Lilie, die du aus des Alkeios ödem Hof voll endloser Schmerzen erblüht bist?«

Furchtlos näherte sich Deianeira und sprach, jetzt nicht laut mehr, sondern voll rührender Traurigkeit: »Nein, Herakles, es ist nicht die Jungfrau Admete, die den Palast des Perseiden verließ, um den umherirrenden Alkeios zu suchen. Deianeira ist es, die Schwester von Herakles' Freund Meleagros, die Trachin verließ, um in so weiter Ferne ihren Gemahl wiederzufinden, den sie liebt, und dem sie die Hand entgegenstreckt, daß er mit ihr heimwärts kehre.«

»... Bist du es, Admete, und kommst du, mir vorzuwerfen ... was?« stammelte Herakles. »Was hießest du mich holen, auf daß du glücklich sein könntest? Hat Alkeios deines Auftrages vergessen, so sollst du, o Admete, ihn gnädig wiederholen, und er wird eilen, auszuführen, was du ihm befahlst.«

Allein Deianeira hatte jetzt des Herakles Hand ergriffen und führte ihn bergab wie ein Kind. Sanft blickte er zu ihr hernieder, allein sein liebevoller Blick galt nicht Deianeira. Die Frau, deren Herz vor Sorge und Leid um den Helden zitterte, hörte nicht auf die Stimme der in ihr sich regenden Eifersucht; sie war einzig und allein von dem Gedanken erfüllt, ihn hinwegzuführen, ihn von Thrazien nach Trachin zu geleiten. Sie war jetzt mit ihm dort hinabgestiegen, wo der Wagen mit dem getreuen Iolaos bei den erschöpften Rossen wartete, und wo, noch in weiter Entfernung und um Herakles trauernd, die ihm dankbaren Thrazier standen. Und Deianeira sprach leise, wahrend ihre Stimme vor Schmerz leicht zitterte: »Wenngleich du, o mein Herakles, Deianeira, die Gattin, die du liebtest, nicht mehr erkennst, so erkennst du vielleicht den guten Iolaos, der deine armen Rosse bis hierher trieb, Iolaos, den treuen Lenker, deinen Freund und Gefährten in allen Gefahren.«

Aber Herakles stammelte: »Wenn Abderos nun neu belebt vor mir erscheint, und wenn ihn die menschenfressenden Rosse nicht verschlangen, warum singt er mir denn nicht mit süßer Stimme zu den Klängen der gezupften Leier ein Willkommenslied zu?«

Da weinte Iolaos schmerzlich, weil Herakles auch ihn nicht erkannte, und die Thrazier weinten: doch nicht weinte die Frau, nicht weinte Deianeira, ob ihr das Herz gleich schwer war von Schmerzen, und von neuem hub sie an:

»Wenn du, o mein Herakles, in deinen kranken Sinnen, in deinem umdüsterten Hirn weder Deianeira noch Iolaos erkennst, so doch vielleicht, o mein innig Geliebter, dieses erschöpfte, magere Gespann, die zwei weißen abgematteten Rosse, die ihre letzten Kräfte hergaben, um den Wagen bis hierher nach Thrazien zu schleppen.«

Sie fühlte den Sinnberaubten vor den Wagen und vor die Pferde, und des Herakles Augen wurden heller, indes er ausrief: »O meine beiden wilden weißen Rosse! O ihr herrlichen Tiere, sehe ich euch wieder, sehe ich euch endlich wieder! O meine prächtigen, schönen, weißen Pferde, was seid ihr doch so erschöpft, als hätte Iolaos euch grausam gehetzt, als wäre er grausamer noch als selbst Diomedes gewesen, dessen rabenschwarze Rosse bei der üppigen Menschenfleischnahrung in glatter Fülle glänzten.«

Der Held, dessen krankes Gemüt beim Anblick der armseligen Pferde erhellt ward, schlang ihnen zärtlich die Arme um die Nacken, küßte die müden Tiere zärtlich auf die schnaubenden Nüstern, und sie wieherten leise, als freuten sie sich, ihren Herrn wiederzusehen und seine Liebkosung zu fühlen, bis Deianeira ihren armen Helden mit sanftem Drang dazu brachte, den Wagen zu besteigen, und Iolaos die müden Rosse anspornte, um im Schritt zurückzufahren.

Und der Frau riefen die Thrazier zu: »Deianeira. nimmer werden wir, noch unsere Kinder, noch unsere Nachkommen vergessen, welche Wohltat Herakles uns getan; nimmer werden wir es in künftigen Zeiten vergessen. Und dort, wo des Diomedes Feste sich einst erhoben, wird zum Gedenken an vergangene Tage, die für den Helden so leidvoll und für Thrazien so heilvoll waren, die neue Stadt erstehen, die wir gründen wollen, und zum Gedächtnis an Abderos soll sie Abdera heißen.«

*

Durch den Nebel hatten die Götter, Ares und Aphrodite, herabgeschaut. Und Ares sprach: »Mitleid mit meinem armen Halbbruder Herakles erfüllt mein Gemüt. Aber sage mir doch, Aphrodite, welchen Auftrag hat die Jungfrau Admete dem Helden gegeben, den er vergaß, und was hieß sie ihn holen?«

Allein die Göttin Aphrodite zauderte, ihres Geliebten Wut damit zu wecken, daß sie ihm meldete, wie sie selber im Traum Admete bewegen habe, der Hippolyta Gürtel zu fordern, das Geschenk, das Ares der Amazonenfürstin gemacht und das der Göttin Eifersucht geweckt hatte, und sie antwortete nur lächelnd: »O mein geliebter Ares, Liebe meines Lebens, Leben meiner Liebe, laß uns jetzt, da du vergaßest und nicht mehr Rache sinnst und nicht mehr dem elenden Halbbruder zürnest, in der kurzen Stunde unseres Glückes nicht länger mehr daran gedenken.« Und sie schlang ihre göttlichen Arme um den Gott. Liebevoll barg sie ihn an ihrem göttlichen Busen, und rings um sie waren, o Wunder, da sie sich umarmten, in einem einzigen Augenblick inmitten der Felsen wieder Tausende von Rosen erblüht.


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