Charles de Coster
Ulenspiegel
Charles de Coster

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Fünftes Buch

I

Da der Mönch, den Lamme gefangengenommen hatte, sah, daß man ihm das Leben ließ und nur Lösegeld für ihn haben wollte, trug er die Nase hoch auf dem Schiff.

»Seht«, sagte er, »in welchen Abgrund dreckiger, finsterer Greuel ich gestürzt bin, als ich den Fuß in diesen Holzbottich setzte. Wenn ich nicht hier wäre, ich, den der Herr gesalbt hat . . .«

»Mit Hundefett?« fragten die Geusen.

»Hunde seid ihr«, antwortete der Mönch, seine Rede fortsetzend, »ja, räudige, verlaufene Hunde, denen die Knochen das Fell durchstoßen, ihr Lästerer, die ihr die fetten Weiden unserer heiligen Mutter, der römischen Kirche, verlassen habt, um in die Sandwüste eurer beredsamen Reformiertenkirche einzutreten. Ja, wenn ich nicht hier wäre in eurem schwimmenden Pantoffel, in eurem Bottich, so hätte euch der Herr schon längst in die tiefsten Abgründe des Meeres versenkt und eure verfluchten Waffen, eure Teufelskanonen, euren singenden Kapitän und eure lästerlichen Halbmonde dazu. Ja, versenkt bis in die unermeßliche Tiefe des satanischen Reiches, wo ihr aber nicht brennen werdet, o nein, sondern frieren, schlottern und vor Kälte sterben die ganze lange Ewigkeit lang! Ja, so wird Gott im Himmel auslöschen das Feuer eures unfrommen Hasses gegen unsere sanfte Mutter, die heilige römische Kirche, gegen die Heiligen, gegen die Herren Bischöfe und gegen die gesegneten Erlasse der Inquisition, die so zartfühlend abgefaßt und so reiflich erwogen waren. Ja, und ich werde euch sehen von der Höhe des Paradieses, die ihr vor Kälte violett wie Runkelrüben oder weiß wie Kohlrüben sein werdet! So sei es, so sei es, so sei es!«

Die Matrosen, Soldaten und Schiffsjungen machten sich über ihn lustig und beschossen ihn aus ihren Blasrohren mit trockenen Erbsen. Und der Mönch bedeckte sein Gesicht mit den Händen, um sich gegen diese Artillerie zu schützen.

II

Der Blutherzog hatte das Land verlassen, und die Herren de Medina-Coeli und de Requesens regierten es mit weniger Grausamkeit. Später übernahmen die Generalstaaten die Regierung im Namen des Königs.

Inzwischen bauten die Zeeländer und Holländer, für die das Meer und die Dämme eine natürliche Festung mit Wällen bildeten, dem Gott der Freien freie Tempel, und die päpstlichen Henker durften neben ihnen die Hymnen singen. Der Prinz von Oranien versäumte es damals, eine statthalterliche und königliche Dynastie zu gründen.

Belgien wurde von den Wallonen verwüstet, die mit der Pazifikation von Gent unzufrieden waren, trotzdem man erwartet hatte, daß sie allem Haß ein Ende setzen würde. Diese wallonischen Paternosterknechte, die dicke Rosenkränze um den Hals trugen, von denen man zweitausend in Spienne im Hennegau fand, stahlen hundert Rinder und Pferde, ja bis zweitausend Tiere, behielten die besten für sich, entführten Frauen und Mädchen, aßen, ohne zu bezahlen, und verbrannten in den Scheunen die Bauern, die sich bewaffnet hatten, weil sie sich die Frucht ihrer harten Arbeit nicht rauben lassen wollten.

Dennoch fanden sich im Volk Leute, die den Mut nicht sinken ließen. Sie sagten: »Die Herren der Staaten haben zwanzigtausend wohlbewaffnete Männer mit starker Artillerie und guter Kavallerie. Sie werden allen fremden Soldaten widerstehen.«

Aber die besser unterrichtet waren, sagten: »Die Herren der Staaten haben zwanzigtausend Mann auf dem Papier, aber nicht im Feld. Kavallerie haben sie auch nicht genug, und überdies lassen sie sich, eine Meile vom Lager entfernt, die Pferde von den Paternosterknechten stehlen. Auch Artillerie haben sie nicht, denn obwohl sie sie daheim nötig hätten, haben sie Don Sebastian von Portugal hundert Kanonen samt Kugeln und Pulver geschickt. Wo die zwei Millionen Taler geblieben sind, die wir in vier Abgaben bezahlt haben, weiß man nicht. Die Bürger von Gent und Brüssel bewaffnen sich zum Kampf für die Reformation. In Brüssel spielen die Frauen Tamburin, während die Männer auf den Wällen arbeiten. Und das kühne Gent schickt dem fröhlichen Brüssel Kanonen und Pulver, damit es sich gegen die Unzufriedenen und Spanier verteidigen könne.

Und jedermann, in den Städten und auf dem flachen Lande, sieht, daß man auch den großen Herren wie so vielen andern nicht trauen darf. Und wir Bürger und die Leute aus dem einfachen Volk, wir sind betrübt zu sehen, daß unsere Geldopfer und unsere Bereitschaft, auch unser Blut hinzugeben, dem Wohl des Landes der Väter noch nicht förderlich waren. Belgien ist furchtsam und erbittert, denn es fehlt ihm an treuen Führern, unter denen es den Sieg erkämpfen könnte mit seinen Waffen, die allezeit bereit sind, wider die Feinde der Freiheit geführt zu werden.«

Die gut unterrichtet waren, sagten:

»Die Herren von Holland und Belgien schworen, daß durch die Pazifikation von Gent aller Haß erloschen, daß die gegenseitige Unterstützung der belgischen und niederländischen Staaten gesichert sei, daß die Erlässe des Herzogs als nicht ausgegeben gälten, daß die Konfiskationen aufgehoben wären, daß der Friede zwischen den beiden Glaubensbekenntnissen hergestellt sei, und schließlich versprachen sie, daß alle Säulen, Trophäen, Inschriften und Bilder, die auf Veranlassung des Herzogs von Alba zu unserer Verhöhnung verfertigt wurden, vom Erdboden verschwinden würden. Aber der Haß glüht noch in den Herzen der Führer, die Edelleute und die Geistlichen betreiben die Spaltung der Staaten der Union, sie bekommen Geld, die Soldaten zu bezahlen, und behalten es für sich, um sich zu mästen, fünfzehntausend Prozesse um die Reklamation konfiszierter Güter sind aufgeschoben, Lutheraner und Römische vereinigen sich gegen die Calvinisten, den rechtmäßigen Erben gelingt es nicht, die Räuber von ihren Gütern zu verjagen, die Statue des Herzogs liegt am Boden, doch das Bild der Inquisition ist in ihren Herzen.«

Und das arme Volk und die leidenden Bürger harrten täglich des tapferen, treuen Führers, der sie in den Kampf um die Freiheit führen wolle.

Und die Leute raunten einander zu: »Wo sind die erlauchten Unterzeichner des Kompromisses, die, wie sie sagten, einig waren im Willen, dem Wohl des Vaterlandes zu dienen? Warum schließen diese doppelzüngigen Männer eine »Heilige Allianz«, wenn sie sie so bald brechen müssen? Warum versammeln sie sich mit so großem Geschrei und fordern den Zorn des Königs heraus, um sich hernach als Feiglinge und Verräter in alle Winde zu zerstreuen? Die fünfhundert Männer, die sie waren, große und kleine Herren in brüderlicher Einigkeit, sie hätten uns vor dem Spanier retten können, doch sie opferten das Wohl Belgiens ihren persönlichen Interessen, wie Egmont und Hoorne es auch gemacht haben.

Ach, seht ihr nun Don Juan kommen, den schönen Ehrgeizling, der Philipps Feind, aber noch mehr der unsere ist? Adel und Klerus verraten uns.«

Und sie begannen einen Krieg auf ihre Weise. An den Mauern der großen und kleinen Straßen von Gent und Brüssel, ja sogar auf den Masten der Geusenschiffe wurden die Namen der verräterischen Armeeführer und Festungskommandanten angeschlagen. Die Namen des Grafen Liedekirke, der sein Schloß gegen Don Juan nicht verteidigt hatte, des Propstes von Lüttich, der die Stadt an Don Juan hatte verkaufen wollen, der Herren von Aerschot, Mansfeldt, Berlaymont, Rassenghien, die der Herren vom Staatsrat, des Herrn Georges de Lalaing, Gouverneurs von Friesland, und des Armeekommandanten de Rossignol, eines Dieners von Don Juan, der zwischen Philipp und Jauregny über den mißglückten Mordanschlag auf den Prinzen von Oranien vermittelt hatte, den Namen des Erzbischofs von Cambrai, der die Spanier hatte in die Stadt einlassen wollen, die Namen der Jesuiten von Antwerpen, die den Staaten drei Tonnen Goldes anboten, das sind zwei Millionen Gulden, damit sie das Schloß nicht demolierten, sondern für Don Juan erhielten, den Namen des Bischofs von Lüttich und aller römischen Prädikaster, die die Patrioten in Verruf brachten, des Bischofs von Utrecht, dem die Bürger den Laufpaß gaben, damit er sein Verräterhandwerk anderswo betreibe, und die Namen der Bettelorden, die in Gent zugunsten Don Juans Intrigen spannen. Die Bürger von s'-Hertogenbosch nagelten den Namen des Karmeliters Pieter an den Schandpfahl, der, von dem Bischof und der Geistlichkeit unterstützt, die Stadt an Don Juan hatte ausliefern wollen.

In Douai henkten sie den Rektor der Universität, der gleichfalls mit den Spaniern paktiert hatte. Auf den Schiffen der Geusen sah man gehenkte Puppen, die auf der Brust die Namen von Mönchen, Äbten, Prälaten und achtzehnhundert reichen Frauen und Mädchen aus dem Beghinenkloster von Mecheln trugen, die mit ihrem Geld die Henker des Vaterlandes unterstützten und beschenkten. Ferner las man auf den Puppen die Namen des Marquis von Harrault, des Kommandanten der Festung Philippeville, der Munition und Nahrungsmittel verschwendete, um unter dem Vorwand der Hungersnot dem Feind die Tore zu öffnen, von Belver, der Limburg zu einem Zeitpunkt auslieferte, da sich die Stadt noch acht Monate hätte halten können, des Ratspräsidenten von Flandern, der Magistrate von Brügge und Mecheln, die ihre Städte Don Juan übergeben wollten, der Herren von der Rechnungskammer der Stadt Geldern, die aus Verräterei geschlossen worden war, die Namen der Ratsherren von Brabant, derer aus der Kanzlei der herzoglichen Regierung, des Geheimen Rats und des Finanzrats, die Namen des Großvogts und des Bürgermeisters von Meenen und die der boshaften Nachbarn von Artois, die zweitausend Franzosen hatten ungehindert durchmarschieren lassen bis auf den Schauplatz ihrer Plünderung.

»Ach«, sagten die Bürger zueinander, »nun ist der Herzog von Anjou in unserem Land und will bei uns König werden. Habt ihr ihn in Bergen einreiten sehen, klein, mit breiten Hüften, dicker Nase, gelber Fratze und spöttisch verzogenem Mund? Er ist ein großer Fürst und ist für anormale Liebe eingenommen. Damit sein Name weiblichen Liebreiz und männliche Kraft vereine, nennt man ihn edler Herr, Eure Große Hoheit von Anjou.«

Ulenspiegel war zu dieser Zeit sehr nachdenklich. Er sang:

»Der Himmel ist blau, die Sonne scheint hell.
Knüpft Trauerflor auf die Fahnen,
Auf Dolche und Lanzen und Degen.
Verbergt das Geschmeide,
Wendet die Spiegel,
Ich singe das Lied vom Tod,
Das Lied von Verrätern.«

III

Da der Mönch sah, daß man ihn reden ließ, ward er übermütig. Und die Soldaten und Matrosen, die ihn gern zu einer Predigt bewogen hätten, schimpften über die Heilige Jungfrau, über die Heiligen und über die frommen Verrichtungen in der heiligen römischen Kirche.

Da geriet der Mönch in großen Zorn und spie tausend Schmähungen gegen sie aus. »Ja«, schrie er, »ja, da bin ich nun in der Höhle der Geusen. Ja, das sind die verfluchten Verzehrer des Landes. Und da sagt man, daß der Inquisitor, der heilige Mann, zu viele von ihnen verbrannt hat. Nein, denn es ist noch etwas übriggeblieben von diesen dreckigen Würmern. Ja, auf diesen Schiffen unseres Herrn Königs, die vordem so nett und gut gewaschen waren, sieht man jetzt das Gewürm der Geusen, das stinkende Ungeziefer. Ja, das sind Würmer, dreckige, stinkende, unverschämte Würmer, dieser singende Kapitän, der Koch mit dem Wanst voll Unfrommheit und alle, die den lästerlichen Halbmond tragen. Wenn der König seine Schiffe mit Kanonenkugeln waschen lassen wird, wird er für mehr als hunderttausend Gulden Pulver und Kugeln brauchen, um dieses scheußliche Ungeziefer verschwinden zu machen. Ja, ihr seid alle im Alkoven der Madame Luzifer geboren, die verurteilt ist, mit Satanas zwischen Wänden von Würmern unter Decken von Würmern zu liegen. Ja, das ist der Ort, an dem sie in dreckiger Liebkosung die Geusen zur Welt gebracht haben. Ja, ich spucke euch an!«

Auf diese Rede sagten die Geusen: »Warum pflegen wir diesen Nichtstuer da, der nur Schmähungen auszuspeien weiß? Henken wir ihn doch lieber!« Und sie schickten sich an, das zu tun.

Als der Mönch sah, wie sie den Strick vorbereiteten, die Leiter gegen den Mast lehnten und auf ihn zukamen, um ihm die Hände zu fesseln, sagte er kläglich: »Habt Mitleid mit mir, ihr Herren Geusen, es ist der Dämon des Zornes, der aus meinem Herzen spricht, und nicht der Mönch, euer unterwürfiger Gefangener, der nur einen Hals auf dieser Welt hat. Schließt mir den Mund mit einem Knebel, wenn ihr wollt, aber henkt mich nicht.«

Doch sie schleiften ihn, ohne auf ihn zu hören und trotz seines gewaltigen Widerstandes zur Leiter. Da schrie er so, daß Lamme, der wegen seiner Wunde im Bett lag, zu Ulenspiegel, der neben ihm die Küche besorgte, sagte: »Mein Sohn! Mein Sohn! Sie haben ein Schwein aus dem Stall gestohlen und stechen es ab. O diese Diebe – wenn ich nur aufstehen könnte!«

Ulenspiegel stieg auf das Deck und sah dort nur den Mönch. Als der ihn bemerkte, fiel er auf die Knie und sagte mit gegen ihn ausgestreckten Händen: »Herr Kapitän der tapferen Geusen, erschrecklich zu Lande und zu Wasser, Eure Soldaten wollen mich henken, weil ich mit der Zunge gesündigt habe, doch das ist eine ungerechte Bestrafung, Herr Kapitän, denn dann müßte man allen Advokaten, Predigern und Weibern den hänfenen Kragen umbinden, und die Welt würde entvölkert. Rettet mich vom Strick, Herr Kapitän, ich werde für Euch beten, und Ihr werdet nicht verdammt sein! Gewähret Gnade! Der Redeteufel hat mich geritten und ließ mich ohne Unterlaß schwatzen, das ist doch wahrlich ein Unglück! Da geht mir dann meine Galle über und legt mir tausend Dinge auf die Zunge, die ich sonst nicht einmal denke. Gnade, Herr Kapitän! Und ihr, Herren, betet für mich!«

Plötzlich erschien Lamme im Hemd und sagte: »Kapitän und Freund, es war also nicht das Schwein, das schrie, sondern der Mönch, das freut mich. Ulenspiegel, mein Sohn, ich habe Großes vor mit Seiner Väterlichen Ehrwürdigkeit. Schenk' ihm das Leben, aber schenk' ihm nicht die Freiheit, sonst könnte er auf dem Schiff irgendeinen bösen Streich spielen, aber lasse ihm alsogleich auf dem Deck einen engen und sehr luftigen Käfig bauen, in dem er gerade sitzen und schlafen kann, einen solchen, wie man ihn für Kapaune hat. Lasse mich ihn ernähren, und er werde gehenkt, wenn er nicht soviel ißt, wie ich bestimme.« »Er werde gehenkt, wenn er nicht soviel ißt«, sagten Ulenspiegel und die Geusen.

»Was hast du mit mir vor, dicker Mann?« fragte der Mönch. »Du wirst es sehen«, antwortete Ulenspiegel.

Es geschah, wie Lamme wollte, und der Mönch wurde in einen Käfig gesteckt, in dem ihn jedermann nach Belieben betrachten konnte.

Als Lamme wieder in die Küche hinabgestiegen war, folgte Ulenspiegel ihm und hörte, wie er mit Nele stritt:

»Ich lege mich nicht mehr nieder«, sagte er, »nein, ich lege mich nicht mehr nieder, damit andere in meinen Soßen herumpantschen können. Nein, ich bleibe nicht mehr im Bett wie ein Kalb!«

»Erbos' dich nicht so«, sagte Nele, »sonst wird sich deine Wunde wieder öffnen, und du wirst sterben.«

»Gut«, sagte er, »dann sterbe ich eben. Ich bin es müde, ohne meine Frau zu leben. Ist es nicht genug des Jammers für mich, daß ich sie verloren habe, und da willst du mich, den Koch dieses Schiffes, auch noch hindern, über meine Suppen zu wachen? Weißt du nicht, daß auch der Dampf der Soßen und Frikassees Gesundheit verleiht? Er nährt meinen Geist und macht mich widerstandsfähig gegen alles Ungemach.«

»Lamme«, sagte Nele, »du mußt auf unsern Rat hören und dich von uns heilen lassen.«

»Ich will mich ja heilen lassen«, sagte Lamme, »aber daß ein anderer, irgendein nichtswissender, übelriechender, schmutziger, triefäugiger, rotziger Taugenichts daherkommen, an meiner Stelle in der Küche thronen und mit seinen schmutzigen Fingern in meinen Soßen herumfahren soll! . . . Nein! Eher würde ich ihn mit meinem Holzlöffel totschlagen, der dann aber wie von Eisen wäre!«

»Wie dem auch sei«, sagte Ulenspiegel, »du brauchst einen Gehilfen, du bist krank . . .«

»Ich einen Gehilfen?« sagte Lamme, »ich einen Gehilfen! Ja, bist du denn mit Undankbarkeit vollgestopft wie eine Wurst mit gehacktem Fleisch? Einen Gehilfen . . . und du bist es, mein Sohn, der mir das sagt, mir, deinem Freund, der dich solange und so reichlich ernährt hat! Nun wird sich meine Wunde öffnen! Schlechter Freund, wer hat dir jemals solches Essen zubereitet wie ich? Was werdet ihr tun, ihr beide, du, Kapitän, und du, Nele, wenn ich nicht mehr da bin, um euch ein leckeres Ragout zu machen?«

»Wir würden uns selbst um die Küche bekümmern«, sagte Ulenspiegel.

»Selbst um die Küche bekümmern«, entgegnete Lamme, »du bist gut, um daraus zu essen und daran zu riechen, aber sie selbst zu besorgen, nein! Armer Freund und Kapitän, bei allem schuldigen Respekt: Wenn ich dir einen in Streifen geschnittenen Schnappsack vorsetzte, du würdest ihn für harte Kaldaunen halten. Laß mich hier Koch bleiben, mein Sohn, und wenn nicht, werde ich vertrocknen wie ein Rebenpfahl.«

»Bleibe also Koch, in Gottes Namen«, sagte Ulenspiegel, »aber wenn du nicht gesund wirst, sperre ich die Küche ab, und wir werden nichts anderes mehr essen als Zwieback.«

»Ach, mein Sohn!« sagte Lamme, der vor Freude weinte, »du bist so gut wie ›Unsere Liebe Frau‹.«

IV

Dennoch schien er zu genesen.

Von nun an sahen die Geusen, wie Lamme jeden Samstag den Leibesumfang des Mönches mit einem Lederriemen maß. Am ersten Samstag sagte er: »Vier Fuß.« Dann maß er sich selber und sagte: »Viereinhalb Fuß«, und schien betrübt zu sein. Aber am achten Samstag war er fröhlich und sagte mit Bezug auf den Mönch: »Vier Fuß und drei Viertel.« Der Mönch ward zornig, als er ihm das Maß nahm, und sagte: »Was willst du von mir, dicker Mann?« Aber Lamme streckte ihm die Zunge heraus und sagte kein Wort. Und siebenmal am Tage sahen ihn die Matrosen und Soldaten mit einem neuen Gericht kommen und zum Mönch sagen: »Da sind fette Bohnen in flandrischer Butter, aßest du desgleichen in deinem Kloster? Du siehst gut aus – auf diesem Schiff magert man nicht ab. Fühlst du noch nicht Fettpolster auf deinem Rücken wachsen? Bald wirst du keiner Matratze mehr bedürfen, um dich niederzulegen.«

Bei der zweiten Mahlzeit sagte er zum Mönch: »Nimm, da sind koekebakken, auf Brüsseler Art, die in Frankreich Crêpes heißen, denn man trägt sie als Zeichen der Trauer an der Mütze. Aber diese hier sind nicht schwarz, sondern blond und im Backofen gebräunt, siehst du, wie die Butter an ihnen herabläuft? So wird bald auch das Fett von deinem Wanst rinnen.« »Ich habe keinen Hunger«, sagte der Mönch. »Du mußt essen«, entgegnete ihm Lamme. »Glaubst du etwa, diese Krapfen sind aus Buchweizen? Sie sind aus reinem Weizen, Pater Schmerbauch, aus feinstem Weizen, Pater mit dem vierfachen Kinn. Mein Herz frohlockt, denn ich sehe schon das fünfte kommen. Iß!«

»Laß mich in Ruhe, dicker Mann!« sagte der Mönch.

Da geriet Lamme in Zorn und sagte: »Ich bin der Herr deines Lebens. Ziehst du den Strick einem großen Teller voll Erbsenpüree mit Brotbrocken vor, welches Gericht ich dir bald bringen werde?« Und als er mit dem Teller kam, sagte er: »Das Erbsenpüree läßt sich nicht gern allein essen; ich habe dir darum auch deutsche Knödel dazu gebracht. Prächtige Klöße aus Korinthermehl, die frisch gewälzt ins kochende Wasser geworfen wurden, sie sind schwer, denn sie sind mit Speck gefüllt. Iß, soviel du kannst, je mehr du ißt, je größer wird meine Freude sein. Tu nicht so, als ob es dich anekelte, und schnaufe nicht, als hättest du zuviel, sondern iß! Iß! Ist es nicht besser, zu essen als gehenkt zu werden?

Laß deinen Schenkel sehen – auch er wird immer fetter: zwei Fuß sieben Zoll dick. Wo gibt es noch solche Schinken?«

Eine Stunde später kam er wieder und sagte: »Hier, nimm diese neun Tauben, man hat sie für dich geschossen, diese unschuldigen Tiere, die furchtlos über dem Schiff flogen. Verachte sie nicht, ich habe jeder von ihnen den Bauch mit einer Butterkugel, mit Brotkrumen, geriebener Muskatnuß und Gewürznelken gefüllt, die ich in einem Kupfermörser zerstampft habe, der so leuchtet wie dein Gesicht. Frau Sonne ist froh, sich in einem Gesicht spiegeln zu können, das von dem Fett, das ich dir gebe, so strahlend ist.«

Zur fünften Mahlzeit brachte er ihm ein Waterzoey. »Was hältst du von diesem Fischragout? Das Meer trägt und ernährt dich, für Seine Königliche Majestät könnte es nicht mehr tun. Oh, ich sehe deutlich das fünfte Kinn sprossen, doch es ist auf der linken Seite etwas stärker als auf der rechten, also muß man dieser vernachlässigten Seite aufhelfen, denn Gott sagt uns: ›Seid gerecht zu jedermann!‹ Wo aber bliebe die Gerechtigkeit, wenn wir das Fett nicht gleichmäßig verteilen? Zu deiner sechsten Mahlzeit werde ich dir Muscheln bringen, die Austern der Armen, doch auf eine Art zubereitet, wie man sie in deinem Kloster wohl nie auf dem Tisch gesehen hat, die unverständigen Leute kochen sie und essen sie einfach so, wie sie sind. Diese Muscheln sollen ja nur der Prolog zum Frikassee sein. Man löst ihre zarten Leiber aus den Schalen, tut sie in eine Pfanne, schmort sie mit Sellerie, Muskat und Nelken, tut zur Soße Bier und Mehl hinzu und richtet sie mit in Butter gerösteten Brotschnitten an. So habe ich sie für dich zubereitet. Warum schulden die Kinder ihren Vätern und Müttern so große Dankbarkeit? Weil sie sie lieben, ihnen Obdach geben und vor allem weil sie sie ernähren, also mußt du mich lieben wie deinen Vater und deine Mutter, und wie diesen schuldest du mir die Dankbarkeit deines Schlundes. Roll doch nicht so wild die Augen! Nach kurzer Zeit werde ich dir noch eine Biersuppe mit Mehl bringen, gut gezuckert und mit Zimt gewürzt. Weißt du warum? Damit dein Fett durchscheinend werde und unter der Haut zittere, dann sieht man, wie es an dir wabbelt. Jetzt läutet's Feierabend. Schlafe in Frieden ohne Sorge um morgen, du kannst sicher sein, deine fetten Mahlzeiten wiederzufinden und deinen Freund Lamme, der sie dir unfehlbar bringt.«

»Geh und lasse mich zu Gott beten«, sagte der Mönch. »Bete«, antwortete Lamme, »bete zu der fröhlichen Musik deines Schnaufens. Das Bier und der Schlaf setzen dir neues Fett an, gutes Fett. Und ich bin wohl zufrieden.«

Und Lamme ging zu Bett. Die Matrosen und Soldaten fragten ihn: »Warum fütterst du denn diesen Mönch so fett, der dir so übelgesinnt ist?« »Laßt mich nur machen«, sagte Lamme, »ich vollende ein großes Werk.«

V

Der Dezember war gekommen, der Monat der langen Nächte, und Ulenspiegel sang:

»Der gnädige Herr, Seine Große Hoheit,
Lüftet die Maske,
Regieren will er das belgische Land.
Die spanienfreundlichen Staaten,
Doch nicht die Anjou ergeb'nen
Legen Steuern auf.
Schlaget die Trommel
Zur Vernichtung Anjous.

Sie schalten nach freiem Ermessen
Über Domänen, Steuern, und Zinse,
Betrauung mit staatlichen Würden
Und Ämtern, wie's ihnen gefällt.
Die Reformierten läßt büßen,
Seine Gnaden; die Große Hoheit,
Die in Frankreich ›Der Gottlose‹ heißt.
    Oh! Vernichtet Anjou!

Er ist's, der König will werden
Durch Schwert und Gewalt,
Unumschränkter Herr über alles,
Er, die Große Hoheit.
Durch Verrat will er an sich bringen
Manch schöne Stadt und Antwerpen sogar,
Mit den fleißgen Signorkes und Pagaders.
    Oh! Vernichtet Anjou!

Auf dich nicht, o Frankreich,
Stürzt sich das wutentbrannte Volk,
Die Schläge der mördrischen Waffen,
Sie gelten nicht deinem edlen Leib.
Nicht deine Kinder sind's, deren Leichen,
Zu schaurigen Bergen gehäuft,
Am Stadttor Kip-Dorp liegen.
    Oh! Vernichtet Anjou!

Nein, nicht deine Kinder sind es,
Die das Volk von den Wällen herabwirft.
Anjou ist's, die Große Hoheit,
Anjou, der weibische Lüstling,
Der, Frankreich, von deinem Blut lebt,
Und den nach dem unsern es dürstet.
Doch zwischen der Lipp' und dem Kelchesrand . . .
    Oh! Vernichtet Anjou!

Seine Gnaden, die Große Hoheit,
Sie befiehlt in einer wehrlosen Stadt:
›Tötet, tötet! Es lebe die Messe!‹
Begleitet von seinen Wollustknaben,
In deren glänzenden Augen leuchtet
Das schamlose, freche, rastlose Feuer
Der Wollust, die Liebe nicht kennt.
    Oh! Vernichtet Anjou!

Für sie wird gekämpft, nicht für dich, armes Volk,
Das sie mit Abgaben drücken,
Mit Salzsteuer, Zehent, Vergewaltigung,
Sie verachten dich und zwingen dir ab
Dein Korn, deine Pferde und Wagen,
Dir, der du ihnen ein Vater bist.
    Oh! Vernichtet Anjou!

Du, die du ihnen eine Mutter bist,
Nährend den stolzen Übermut
Dieser Vatermörder, die schänden,
In der Fremde, o Frankreich, deinen Namen,
Den sie ernten.
Du freust dich des falschen Ruhmes
Durch grausame Taten . . .
    Oh! Vernichtet Anjou!

Auf deinen Kriegerhelm einen Kranz,
Deinem Reich eine neue Provinz.
Dem blöden Hahn laß ›Wollust und Kampf‹,
Den Fuß setz ihm auf die Gurgel,
Volk Frankreichs, du Volk der Männer!
Zermalm sie mit einem Fußtritt,
Und die Völker werden dich lieben,
    Weil du Anjou vernichtet!«

VI

Im Mai, wenn die flandrischen Bäuerinnen nachts drei schwarze Bohnen langsam über ihren Kopf nach rückwärts werfen, um sich gegen Krankheit und Tod zu schützen, sprang Lammes Wunde auf, er hatte hohes Fieber und bat, auf dem Deck gegenüber dem Käfig des Mönches liegen zu dürfen. Ulenspiegel gestattete es ihm, band ihn aber an seinem Bett fest, da er fürchtete, Lamme könnte in einem Fieberanfall ins Meer stürzen. In seinen lichten Augenblicken trug er immer wieder auf, daß man den Mönch nicht vergessen solle, und streckte ihm die Zunge heraus. »Du beleidigst mich, Dicker!« sagte der Mönch. »Nein, ich mäste dich«, antwortete Lamme.

Ein sanfter Wind wehte, die Sonne schien warm vom blauen Himmel herab. Lamme fieberte noch immer und lag fest angebunden auf seinem Bett, damit er nicht etwa in einer Sinnestrübung über Bord spränge. Er glaubte, wieder in der Küche zu sein, und sagte:

»Der Herd ist hell heute, bald wird es Ammern regnen. Frau, tu die Schlingen in unsern Obstgarten. Du bist schön so mit bis zu den Ellbogen aufgerollten Ärmeln. Dein Arm ist weiß, ich möchte hineinbeißen, mit den Lippen möchte ich hineinbeißen, die Zähne von Samt sind. Für wen ist dieses schöne Fleisch bestimmt, für wen diese herrlichen Brüste, die durch dein Leibchen von feiner, weißer Leinwand schimmern? Für mich, du mein süßer Schatz. Wer wird das Frikassee von Hahnenkämmen und Hühnerbürzeln machen? Nicht zuviel Muskat, davon bekommt man Fieber! Weiße Soßen, Thymian und Lorbeer. Wo sind die Eidotter?«

Dann winkte er Ulenspiegel, er solle das Ohr seinem Mund nähern, und sagte: »Wenn es Wildbret regnet, werde ich dir vier Fettammern mehr aufheben als den andern, du bist Kapitän. Aber verrate mich nicht!«

Dann horchte er auf die Wellen, die sanft gegen die Schiffswand schlugen, und sagte:

»Die Suppe kocht, mein Sohn, die Suppe kocht, aber das Feuer ist zu klein.«

Sobald er seiner Sinne wieder mächtig war, kümmerte er sich um den Mönch.

»Wo ist er?« fragte er, »wächst sein Speck?«

Und wenn er ihn dann erblickte, streckte er ihm die Zunge heraus und sagte:

»Das große Werk geht seiner Vollendung entgegen, ich bin entzückt!«

Eines Tages verlangte er, daß man die große Waage aufs Deck bringe, ihn auf die eine Schale setze und den Mönch auf die andere. Kaum hatte man das getan, als Lamme wie ein Pfeil in die Höhe flog und mit einem Blick auf den Mönch fröhlichen Mutes sagte:

»Er wiegt mehr, er wiegt mehr! Ich bin ein schwereloser Geist neben ihm, ich fliege in der Luft wie ein Vogel. Nun nehmt ihn fort, damit ich wieder hinabkann. So, jetzt legt die Gewichte auf, und nun setzt ihn wieder in die Schale. Wieviel wiegt er?« »Dreihundertvierzehn Pfund. Und ich? Zweihundertzwanzig.«

Dann packte ihn wieder das Fieber, und er phantasierte von den Köstlichkeiten seiner Küche und von seiner Frau. Sobald er seiner Sinne wieder mächtig war, kümmerte er sich um den Mönch. »Wo ist er?« fragte er, »wächst sein Speck?« Und wenn er ihn erblickte, streckte er ihm die Zunge heraus und sagte: »Das große Werk geht seiner Vollendung entgegen.«


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