Charles de Coster
Ulenspiegel
Charles de Coster

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XXXII

Eines Tages kam das Mädchen tränenüberströmt zu Lamme und Ulenspiegel und sagte: »Spelle läßt in Meulestee die Mörder und die Diebe für Geld entwischen und richtet die Unschuldigen hin. Mein Bruder Michielkin ist unter ihnen. Ach! Erhöret mich: Ihr seid Männer, rächt ihn!

Ein zotiger und niederträchtiger Wüstling, Pieter de Roose, ein gewohnheitsmäßiger Verführer von Kindern und Mädchen ist es, der all das Unheil anrichtet. Ach!

Eines Abends trafen mein armer Bruder Michielkin und Pieter de Roose in der Schenke ›Zum Falken‹, aber nicht am selben Tisch, zusammen, Pieter de Roose wurde von jedermann wie die Pest gemieden. Mein Bruder, der sich nicht mit ihm in einem Zimmer sehen wollte, nannte ihn einen schuftigen Lumpenkerl und hieß ihn, den Saal zu räumen. Pieter de Roose antwortete: ›Der Bruder einer öffentlichen Hure darf die Nase nicht so hoch tragen!‹

Er log, denn ich bin keine Öffentliche und gebe mich nur dem, der mir gefällt.

Nun warf ihm Michielkin seinen Bierkrug an die Nase und erklärte, daß er gelogen habe wie ein dreckiger Gierhals, der er auch sei, dann drohte er ihm, daß er ihn seine Faust bis zum Ellbogen verschlucken lassen werde, wenn er sich nicht aus dem Staub mache. Der andere wollte noch sprechen, aber Michielkin tat, was er gesagt hatte: er versetzte ihm zwei gewaltige Schläge auf den Kiefer und schleppte ihn an den Zähnen, die ihn zu beißen versuchten, bis auf die Straße, wo er ihn in jämmerlichem Zustand ohne Erbarmen liegenließ.

Pieter de Roose ging, als er geheilt war, ins Vagevuur, eine trübselige Schenke, ein wahrhaftiges Fegefeuer, wo nur arme Leute verkehren, denn er wollte nicht einsam leben. Aber auch hier, selbst unter diesen Lumpen, blieb er allein. Und niemand sprach mit ihm, ausgenommen einige Bauern, denen er unbekannt war, und einige zerlumpte Landstreicher und Deserteure. Mehrmals wurde er sogar geprügelt, denn er war ein Händelsucher.

Als der Profos Spelle mit zwei Häschern nach Meulestee kam, folgte ihnen Pieter de Roose überall wie ein Hund und machte sie sich verpflichtet, indem er ihnen Wein, Braten und manchen anderen Genuß bezahlte, der um Geld zu kaufen ist. So wurde er ihr Gefährte und Kamerad und machte sich nun in seiner Bosheit daran, alle, die er haßte, zu peinigen, das waren sämtliche Einwohner von Meulestee, aber insbesondere mein armer Bruder. Michielkins bemächtigten sie sich zuallererst. Durch falsche Zeugen, Galgenstricke, die es nach Gulden gelüstete, wurde erklärt, daß Michielkin Ketzer sei, zotige Reden über Unsere Liebe Frau geführt und den Namen Gottes und der Heiligen zu often Malen in der Schenke ›Zum Falken‹ gelästert habe, und überdies habe er gut an die dreihundert Gulden in einer Truhe liegen.

Ungeachtet, daß die Zeugen übel beleumdet waren, wurden die Beweise von Spelle und seinen Häschern als zureichend erklärt, um Michielkin zur Folter zu verurteilen, er wurde, an jedem Fuß ein Gewicht von fünfzig Pfund, mit den Armen an einer Laufrolle an der Decke aufgehängt. Er leugnete das Verbrechen und sagte, daß, wenn es in Meulestee einen Lumpenkerl, Schuft, Lästerer und Lumpen gäbe, so wäre der gewiß Pieter de Roose, aber nicht er. Aber Spelle wollte ihn nicht hören und hieß die Häscher, ihn bis an die Decke aufzuziehen und wuchtig auf seine mit den Gewichten beschwerten Beine zurückfallen zu lassen. Sie taten es, und zwar so grausam, daß die Haut und die Muskeln der Gelenke zerrissen und die Füße kaum noch an den Beinen hängenblieben.

Michielkin beharrte auf der Erklärung, daß er unschuldig sei, Spelle ließ die Folter erneuern und sagte ihm dann, daß er ihn freilassen würde, wenn er ihm hundert Gulden geben wolle. Michielkin sagte, daß er lieber stürbe.

Als die Bürger von Meulestee erfuhren, daß Michielkin gefangengenommen und gefoltert worden sei, wollten sie das Gemeinschaftszeugnis ablegen, das ist die Zeugenschaft aller rechtschaffenen Einwohner einer Gemeinde. Sie sagten einstimmig aus, daß Michielkin in keiner Weise als Ketzer gehandelt habe, er gehe vielmehr jeden Sonntag zur Messe und an den großen Feiertagen zum Altar des Herrn, er habe niemals über die Heilige Jungfrau gesprochen, es wäre denn, um sie in schwierigen Lebenslagen um ihre Hilfe anzuflehen, er habe nicht einmal von den sterblichen Frauen jemals Übles gesagt, geschweige denn, schon aus reiner Vernunft, von der himmlischen Mutter Gottes. Was die Lästerungen betreffe, die die falschen Zeugen ihn im ›Falken‹ ausstoßen gehört zu haben erklärten, so sei das alles gefälscht und erlogen.

Michielkin wurde freigelassen, die falschen Zeugen wurden bestraft, und Spelle zitierte Pieter de Roose vor sein Tribunal, aber er ließ ihn ohne Befragung und Folter nach einmaliger Zahlung von hundert Gulden wieder frei. Pieter de Roose, der fürchtete, daß das Geld, das ihm verblieben war, Spelles Aufmerksamkeit von neuem auf ihn lenken könnte, floh aus Meulestee, während Michielkin, mein armer Bruder, an dem Brand verstarb, der über seine Füße gekommen war. Er, der mich nicht mehr vor den Augen haben wollte, hat mich dennoch rufen lassen, um mir zu sagen, daß ich das Feuer meines Leibes bändigen solle, da es mich sonst in das der Hölle bringen würde. Statt zu antworten, vermochte ich nur zu weinen, denn das Feuer ist in mir. Und er hauchte seine Seele in meinen Armen aus.«

»Ha!« sagte sie, »wer den Tod meines guten geliebten Michielkin an Spelle rächt, der wird für alle Zeit mein Herr sein, und ich werde ihm wie eine Hündin folgen!«

Während sie sprach, schlug die Asche Claesens an Ulenspiegels Brust. Und er beschloß, Spelle zu henken.

Boelkin – so hieß das Mädchen – kehrte in ihre Wohnung nach Meulestee zurück und war dort gegen die Rache Pieter de Rooses geschützt, denn ein Hirte, der durch Destelberg kam, berichtete ihr, daß der Pfarrer und die Bürger erklärt hätten, sie brächten Spelle vor den Herzog, wenn er der Schwester Michielkins etwas zuleide täte.

Ulenspiegel, der Boelkin nach Meulestee gefolgt war, betrat einen niedrigen Raum in Michielkins Haus und sah dort das Bildnis eines Bäckermeisters, von dem er annahm, daß es das des armen Toten sei . . . Boelkin sagte: »Das ist das Bild meines Bruders.« Ulenspiegel nahm das Bild an sich und sagte, während er sich zum Gehen anschickte: »Spelle wird gehenkt werden!« »Was wirst du tun?« fragte sie. »Wenn du es wüßtest, du hättest keine Freude, es mitanzusehen.« Boelkin schüttelte den Kopf und sagte mit schmerzlich bewegter Stimme: »Du setzt kein Vertrauen in mich!« »Heißt es nicht, dir schon außergewöhnliches Vertrauen beweisen«, sagte er, »wenn ich dir nur sage: Spelle wird gehenkt werden? Denn dieses einzige Wort genügte dir, um mich vor ihm henken zu lassen.« »In der Tat«, sagte sie. »Nun bringe mir guten Ton«, sagte Ulenspiegel, »eine Doppelkanne Braunbier, klares Wasser und einige Schnitten Rindfleisch. Aber jedes für sich. Der Ochse ist für mich, das Braunbier für den Ochsen, das Wasser für den Ton und der Ton für das Porträt.«

Ulenspiegel aß und trank und knetete zugleich den Ton, so daß er hin und wieder ein Stück davon mitverschlang, aber das kümmerte ihn wenig, und er betrachtete mit großer Aufmerksamkeit das Bild Michielkins. Als der Ton geknetet war, machte er eine Maske mit Nase, Mund, Augen und Ohren, die dem Bildnis des Toten so ähnlich war, daß Boelkin ganz verblüfft schien. Er stellte die Maske an den Ofen, und als sie trocken war, bemalte er sie mit der Farbe, wie Leichen sie haben, zeichnete ihr böse Augen, finstere Gesichtszüge und die Muskelverzerrungen eines Sterbenden.

Nun wurde das Staunen des Mädchens von anderen Gefühlen abgelöst, sie sah die Maske wie gebannt an, erbleichte, bedeckte das Gesicht mit den Händen und sagte schaudernd: »Das ist er, mein armer Michielkin!«

Ulenspiegel formte auch noch zwei blutige Füße. Dann sagte sie, nachdem sie ihren ersten Schrecken überwunden hatte: »Gesegnet sei der, der den Mörder morden wird.« Ulenspiegel nahm die Maske und die Füße und sagte: »Ich brauche einen Gehilfen.« »Geh in die ›Blaue Gans‹ zu Joos Lansaem aus Ypern, dem Wirt dieser Schenke«, sagte Boelkin, »er war der beste Freund und Kamerad meines Bruders. Sag ihm, daß Boelkin dich zu ihm schickt.« Ulenspiegel tat, was sie ihn geheißen.

Nachdem Spelle sein Werk für den Tod getan hatte, ging er in den »Falken«, um eine Mischung aus Dobbelclauwaert, Zimmet und Madeirazucker zu trinken. In dieser Schenke wagte man, aus Angst vor dem Strick, nicht, ihm etwas zu verweigern. Pieter de Roose hatte Mut gefaßt und war nach Meulestee zurückgekehrt. Er folgte Spelle und seinen Häschern auf Schritt und Tritt, weil er durch sie geschützt war. Spelle bezahlte manchen Trunk, und so versoffen sie zusammen fröhlich das Geld der Opfer.

Die Herberge »Zum Falken« sah nicht mehr so viele Gäste wie in den guten Tagen, da das Dorf noch in Freude lebte, den Herrgott auf katholisch verehrte und nicht der Religion wegen zu leiden hatte. Jetzt war es mit seinen zahlreichen leeren oder geschlossenen Häusern, mit seinen verödeten Straßen, in denen einige magere Hunde auf dem Müllhaufen ihre verfaulte Nahrung suchten, gleichsam in Trauer. Niemand als die beiden Bösewichter wagte mehr, nach Meulestee zu kommen. Die furchterfüllten Einwohner des Dorfes sahen die niederträchtigen Kerle, wie sie tagsüber die Häuser der künftigen Opfer bezeichneten und die Totenlisten aufstellten, abends sah man sie dann wieder, zotige Lieder singend, in den »Falken« einkehren, die beiden Häscher folgten ihnen, bis an die Zähne bewaffnet, um ihnen das Schutzgeleite zu geben.

Ulenspiegel ging in die »Blaue Gans« zu Joos Lansaem, der eben in seiner Rechenstube saß. Ulenspiegel zog eine kleine Flasche voll Branntwein aus seiner Tasche und sagte: »Boelkin hat davon zwei Fässer zu verkaufen.« »Komm in meine Küche«, sagte der Wirt. Dort schloß er die Tür hinter sich und sah Ulenspiegel prüfend an: »Du bist kein Branntweinhändler, was bedeutet dieses Augenzwinkern? Wer bist du?« Ulenspiegel antwortete: »Ich bin der Sohn von Claes, der in Damme verbrannt wurde. Die Asche des Toten schlägt über meiner Brust – ich will Spelle, den Mörder, töten.« »Ist es Boelkin, die dich herschickt?« fragte der Wirt. »Boelkin schickt mich«, sagte Ulenspiegel, »ich will Spelle töten, und du sollst mir dabei helfen.« »Das will ich«, sagte der Wirt, »was ist zu tun?«

Ulenspiegel antwortete: »Geh zum Pfarrer, dem guten Hirten, der ein Feind Spelles ist. Versammle deine Freunde und finde dich morgen nach Feierabend jenseits von Spelles Haus auf der Straße von Everghem zwischen dem ›Falken‹ und besagtem Hause ein. Bleibt im Schatten und zieht keine weißen Kleider an. Mit dem Schlag zehn wirst du Spelle die Schenke verlassen und von der anderen Seite einen Karren herankommen sehen. Teile deinen Freunden heute noch nichts mit, sie schlafen zu nahe an den Ohren ihrer Frauen! Suche sie erst morgen auf. Kommt, belauscht alles und merkt es euch gut.«

»Wir werden uns alles merken«, sagte Joos, dann erhob er seinen Becher und sagte: »Ich trinke auf Spelles Strick.« »Auf den Strick!« sagte Ulenspiegel.

Dann kehrten sie wieder in die Schenkstube zurück, in der einige Genter Trödler beim Trunk saßen, die vom Brügger Samstagsmarkt kamen, wo sie Wämser und Mäntel mit Gold- und Silberspitzen teuer verkauft hatten, die sie den adeligen Bankerotteuren, die es durch ihren Luxus den Spaniern hatten gleichtun wollen, um ein paar Sous abgekauft hatten. Nach diesem großen Verdienst schmausten und tranken sie nun nach Herzenslust. Ulenspiegel und Joos saßen in einer Ecke und verabredeten unterm Trinken, ohne gehört zu werden, daß Joos zum Pfarrer der Kirche, dem guten Hirten, gehen sollte, der über Spelle, den Mörder der Unschuldigen, erbost war. Hernach sollte er zu seinen Freunden gehen.

Am nächsten Tag verließen Joos Lansaem und die Freunde Michielkins, die unterrichtet waren, die »Blaue Gans«, wo sie, wie gewöhnlich, ihren Abendschoppen getrunken hatten, um sich nichts anmerken zu lassen, verließen sie die Schenke zur Feierstunde auf verschiedenen Wegen und kamen auf der Straße von Everghem zusammen. Es waren siebzehn Männer.

Um zehn Uhr verließ Spelle, von seinen beiden Häschern und Pieter de Roose gefolgt, den »Falken«. Lansaem und die Seinen hatten sich in der Scheune Samson Boenes, eines Freundes von Michielkin, verborgen. Die Tür der Scheune war geöffnet, aber Spelle sah die Männer nicht. Sie hörten ihn ebenso wie Pieter de Roose und die zwei Häscher, torkelnd vom Trunk, vorbeigehen und mit schwerer Zunge, oftmals schluckend, sagen: »Profosen, Profosen! Ihr habt ein gutes Leben auf dieser Welt! Haltet mich, Spitzbuben, die ihr von dem lebt, was bei mir übrigbleibt!«

Plötzlich wurde auf der Straße, aus der Richtung des Feldes, das Schreien eines Esels und das Knallen einer Peitsche hörbar.

»Das ist wohl ein widerspenstiger Esel, der trotz dieser Belehrung nicht weitergehen will«, sagte Spelle. Da hörte man das Kreischen der Räder und das Holpern des Karrens, der vom oberen Ende der Straße herankam. »Haltet ihn auf«, sagte Spelle. Als der Karren an ihnen vorbeikam, warfen sich Spelle und die beiden Häscher dem Esel in die Zügel. »Dieser Karren ist leer«, sagte einer der Häscher. »Tölpel«, sagte Spelle, »laufen leere Karren des Nachts allein umher? In diesem Karren verbirgt sich jemand! Zündet die Laternen an und hebt sie hoch, ich will mir das ansehen.«

Die Laternen wurden angezündet, und Spelle kletterte, die seine in der Hand, auf den Karren. Aber kaum hatte er in den Karren gesehen, so stieß er einen gewaltigen Schrei aus, fiel rücklings nieder und rief: »Michielkin! Michielkin! Jesus, hab Erbarmen mit mir!« Dann erhob sich ein Mann in weißer Bäckerkleidung und blutige Füße in den Händen haltend vom Boden des Karrens.

Als Pieter de Roose im Schein der Laternen den Mann sich erheben sah, rief er gleichzeitig mit den zwei Häschern: »Michielkin! der tote Michielkin! Herrgott, hab Erbarmen mit uns!«

Die Siebzehn kamen auf den Lärm herbei, um das Schauspiel aus der Nähe zu betrachten, und erschraken, als sie im Mondlicht sahen, wie groß die Ähnlichkeit der Maske mit dem verstorbenen Michielkin war. Das Gespenst fuchtelte mit seinen blutigen Füßen herum. Das war dasselbe volle, runde Gesicht, nur gebleicht durch den Tod, bläulich und unterhalb des Kinns von Würmern zernagt. Das Gespenst sagte, immer die blutigen Füße bewegend, zu Spelle, der stöhnend auf dem Rücken lag: »Spelle, Profos Spelle, erhebe dich!« Aber Spelle rührte sich nicht. »Spelle«, sagte es von neuem, »Profos Spelle, erhebe dich, oder ich nehme dich mit mir hinab in den gähnenden Rachen der Hölle!« Spelle, dem die Haare vor Angst zu Berge standen, erhob sich und rief gequält: »Michielkin, Michielkin, habe Erbarmen mit mir!« Indessen waren die Bürger von Meulestee herbeigeeilt, aber Spelle sah nichts als die Laternen, die er für die Augen des Teufels hielt, wie er später bekannte.

»Spelle«, sagte der Geist Michielkins, »bist du bereit zu sterben?« »Nein«, antwortete der Profos, »nein, mein Herr Michielkin, ich bin nicht dazu vorbereitet und will nicht mit einer Seele, die schwarz von Sünden ist, vor Gott erscheinen.« »Du erkennst mich?« fragte der Geist. »So wahr mir Gott helfe«, sagte Spelle, »ja, ich erkenne Euch, Ihr seid der Geist Michielkins, des Bäckers, der schuldlos an den Folgen der Tortur im Bett gestorben ist, und diese blutigen Füße sind die, an deren jeden ich ein Gewicht von fünfzig Pfund hängen ließ. Ach! Michielkin, vergib mir! Dieser Pieter de Roose da war es, der mich so versucht hat. Er bot mir fünfzig Gulden, die ich auch erhielt, wenn ich deinen Namen in das Register eintrüge.«

»Willst du beichten?« fragte der Geist. »Ja, mein Herr, ich will beichten, will alles sagen und Buße tun. Aber geruhet, diese Dämonen fortzuweisen, die da stehen, bereit, mich zu verschlingen! Ich werde alles sagen. Verjagt diese Feueraugen! Ich habe fünf Bürgern in Tournay dasselbe angetan und vieren in Brügge desgleichen, ihre Namen weiß ich nicht mehr, aber ich werde sie Euch sagen, wenn Ihr es fordert. Auch an anderen Orten habe ich gesündigt und habe neunundsechzig Unschuldige ins Grab gebracht. Michielkin, der König brauchte Geld. Das ließ man mich wissen, aber ich brauchte gleichfalls welches. Es ist in Gent bei der alten Grovels, meiner richtigen Mutter, im unterirdischen Keller. Ich habe alles gesagt, alles. Gnade und Barmherzigkeit! Verjagt die Teufel! Herrgott, Jungfrau Maria und Jesus, seid mir gnädig! Vertreibet die Feuer der Hölle, ich werde alles, alles verkaufen, den Armen geben und Buße tun!«

Ulenspiegel, der sah, daß die Menge der Bürger bereit war, ihn zu unterstützen, sprang aus dem Karren, fuhr Spelle an die Gurgel und wollte ihn erwürgen. Aber der Pfarrer kam und sagte: »Laßt ihn leben! Besser, er stirbt durch den Strick des Henkers als unter den Fingern eines Geistes.« »Was wollt ihr mit ihm anfangen?« fragte Ulenspiegel. »Ihn beim Herzog anklagen und henken lassen«, antwortete der Pfarrer, »aber wer bist du?«

»Ich bin die Maske Michielkins«, sagte Ulenspiegel, »und in Person ein armer flämischer Fuchs, der sich aus Furcht vor den spanischen Jägern in seinen Bau verkriecht.«

In der Zwischenzeit hatte Pieter de Roose seine Beine in die Hand genommen und war entflohen. Spelle wurde gehenkt, und sein Vermögen wurde konfisziert. Und der König erbte.

XXXIII

Am nächsten Tag wanderte Ulenspiegel, dem klaren Wasser der Lys folgend, gegen Courtrai. Lamme stapfte mit kläglicher Miene neben ihm her.

Ulenspiegel sagte zu ihm: »Du stöhnst, einfältiges Herz, und trauerst der Frau nach, die dir die Hörnerkrone der Hahnreischaft auf den Kopf gesetzt hat.« »Mein Sohn«, entgegnete Lamme, »sie war mir immer treu und liebte mich ebenso innig, wie ich sie liebte! Mein süßer Jesus, du weißt es! Eines Tages, als sie in Brügge gewesen war, kam sie ganz verändert zurück. Seit damals sagte sie immer, wenn ich sie um Liebe bat: ›Ich darf nur als Freundin neben dir leben und nicht anders.‹

Da sagte ich mit betrübtem Herzen: Geliebter Schatz, wir sind vor Gott einander angetraut worden. Tu ich nicht alles für dich, was du willst? Habe ich mich nicht manches Mal nur mit einem Wams von schwarzem Leinen und einem Barchentmantel bekleidet, um dich, den königlichen Anordnungen entgegen, in Seide und Brokat gekleidet zu sehen? Schätzchen, wirst du mich nicht mehr lieben? ›Ich liebe dich nach dem Gebot Gottes und nach den heiligen Regeln der Buße. Ich werde dir für alle Fälle eine tugendhafte Gefährtin sein‹, sagte sie. Ich kümmere mich nicht um deine Tugend – sagte ich –, ich will nur dich, dich, meine Frau. Sie schüttelte den Kopf und sagte: ›Ich kenne dich gut, du warst bis heute der Koch im Hause, um mir die Küchenarbeit zu ersparen, du hast unsere Kleider, Halskrausen und Hemden gebügelt, weil das Eisen für mich zu schwer war. Du wuschest unsere Wäsche und fegtest das Haus und die Straße vor dem Tore, um mir alle Anstrengung zu ersparen. Jetzt will ich an deiner Stelle arbeiten, mein Mann, aber nicht mehr.‹

Das ist mir ganz gleich – antwortete ich –, ich werde wie früher deine Zofe, deine Plätterin, deine Köchin, deine Wäscherin und deine Sklavin sein, die dir ganz und gar ergeben ist, aber, Frau, trenne diese zwei Herzen und diese zwei Leiber nicht, die eins waren. Brich diese zarten Liebesbande nicht, die uns so zärtlich fesselten! – ›Es muß sein!‹ antwortete sie. – Ach! sagte ich, hast du diesen eisernen Beschluß in Brügge gefaßt? ›Ich habe ihn vor Gott und den Heiligen beschworen‹, erwiderte sie. Wer zwang dich denn – rief ich aus –, ein Gelübde zu leisten, deine Pflichten als Gattin nicht zu erfüllen! ›Derjenige, der vom Geist Gottes erfüllt ist und mich unter seine Büßerinnen aufgenommen hat‹, sagte sie.

Von diesem Moment an war sie nicht mehr die Meine, als ob sie die treue Frau eines andern gewesen wäre. Ich flehte sie an, quälte sie, drohte ihr, weinte und bat. Aber vergebens. Eines Abends, als ich von Blankenberge zurückkam, wo ich den Pachtzins eines meiner Bauernhöfe eingeholt hatte, fand ich das Haus leer. Ohne Zweifel meiner Bitten müde und erzürnt und traurig ob meines Kummers, war meine Frau entflohen. Wo sie wohl jetzt ist?«

Und Lamme setzte sich ans Ufer der Lys, ließ den Kopf hängen und starrte ins Wasser.

»Ach, meine Freundin!« sagte er, »wie warst du rundlich und zart und anmutig! Werde ich jemals ein Hühnchen finden wie dich? O Topf am Feuer der Liebe! Soll ich nie wieder aus dir essen? Wo sind die Küsse, balsamisch duftend wie Thymian? Wo ist dein lieblicher Mund, von dem ich die Freude schlürfte wie die Bienen den Honig aus der Rose? Wo sind deine weißen Arme, die mich zärtlich umschlangen? Wo ist dein klopfendes Herz, deine runde Brust, wo das köstliche Erbeben deines liebeatmenden Feenleibes?

Aber wo sind deine alten Wasser, du munterer Strom, der du deine neuen so fröhlich der Sonne entgegenrollst?«

XXXIV

Als sie am Wald von Peteghem vorbeikamen, sagte Lamme zu Ulenspiegel:

»Ich brate, laß uns den Schatten aufsuchen.«

Ulenspiegel war einverstanden, und sie setzten sich im Wald auf Gras. Da sahen sie ein Rudel Hirsche vorbeiziehen, und Ulenspiegel sagte, während er seine deutsche Arkebuse lud:

»Sieh nur, Lamme, wie stolz die großen, alten Hirsche ihr neunendiges Geweih tragen, die zierlichen Spießer trotten als ihre Knappen neben ihnen her, um ihnen mit den Spitzen ihrer jungen Geweihe dienstbar zu sein. Sie ziehen zu ihrem Ruheplatz. Tu wie ich, und dreh das Rad deiner Arkebuse. Jetzt schieße! – Der alte Hirsch ist verwundet. Ein Spießer ist am Schenkel getroffen und flieht. Verfolgen wir ihn so lange, bis er fällt. Komm, laufe, spring und fliege wie ich.«

»Mein Freund ist verrückt!« sagte Lamme. »Hirsche im Lauf verfolgen! Ohne Flügel fliegen wollen, das ist verlorene Mühe, du wirst sie ja doch nicht einholen. Ach! was ist das für ein grausamer Kumpan! Glaubst du denn, ich bin so gelenkig wie du? Ich schwitze, mein Sohn, ich schwitze und werde fallen. Wenn dich der Förster zu fassen kriegt, wirst du gehenkt. Hirsche sind Königswild, lasse sie laufen, mein Sohn, du bekommst sie ja doch nicht!«

»Komm«, sagte Ulenspiegel, »hörst du, wie ihre Geweihe das Laub streifen? Sie sausen dahin wie ein Wirbelwind. Siehst du die geknickten jungen Äste und die Blätter am Boden? Jetzt hat er eine zweite Kugel im Schenkel – den werden wir essen!«

»Noch ist er nicht gebraten«, sagte Lamme. »Laß diese armen Tiere laufen. Ach! wie heiß ist es! Ich werde sicherlich noch stürzen und mich nicht mehr erheben können!«

Plötzlich tauchten auf allen Seiten bewaffnete, in Lumpen gehüllte Männer auf, und bellende Hunde machten sich an die Verfolgung der Hirsche. Vier wild aussehende Männer umringten Lamme und Ulenspiegel und führten sie auf eine von Dickicht umgebene Lichtung, wo sie zwischen Frauen und Kindern, die da ihr Lager aufgeschlagen hatten, zahlreiche Männer sahen, die Waffen verschiedenster Art, Degen, Armbrüste, Arkebusen, Lanzen, Spieße und Reiterpistolen trugen.

»Seid ihr Strauchdiebe oder Waldbrüder?« fragte Ulenspiegel, »da ihr doch hier in Gemeinschaft zu leben scheint, um der Verfolgung zu entgehen!«

»Wir sind Waldbrüder«, antwortete ein Alter, der neben dem Feuer saß und das Fleisch einiger Vögel in einer Pfanne zerschnitt. »Aber wer bist du?«

»Ich stamme aus dem schönen Lande Flandern«, antwortete Ulenspiegel, »und bin Maler, Handwerker, Edelmann und Bildhauer, alles in einem. So durchwandere ich die Welt, lobe das Schöne und Gute und verlache die Dummheit aus voller Kehle.«

»Wenn du so viele Länder gesehen hast«, sagte der Mann, »kannst du gewiß Schildt ende Vriendt, Schild und Freund, so aussprechen wie die Genter, wenn nicht, bist du ein falscher Flame und mußt sterben.«

»Schildt ende Vriendt«, sagte Ulenspiegel.

»Und du, Dickwanst?« wandte sich der Alte an Lamme, »was ist dein Beruf?«

Lamme antwortete:

»Meine Ländereien, Gutshöfe und Pachtschillinge aufzuessen und zu vertrinken, meine Frau zu suchen und meinem Freund Ulenspiegel allerorten zu folgen.«

»Wenn du so viel reisest, so wirst du wohl wissen, wie man die Leute von Weert in Limburg nennt?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Lamme, »aber könnt Ihr mir nicht den Namen dieses schändlichen Taugenichts sagen, der meine Frau aus dem Haus gejagt hat? Bringt ihn mir, ich töte ihn!«

Der Alte erwiderte:

»Es gibt zwei Dinge auf der Welt, die niemals wiederkehren, wenn sie einmal fort sind: das ausgegebene Geld und die überdrüssige Frau, die sich auf und davon gemacht hat.«

Dann wandte er sich wieder an Ulenspiegel:

»Weißt du, wie man die von Weert in Limburg nennt?«

»Rackstekers, Rochenbeschwörer«, antwortete Ulenspiegel. »Denn als eines Tages ein Rochen von dem Wagen des Fischhändlers herabfiel, glaubten die Weiber, die ihn zappeln sahen, es sei der Teufel, und riefen: ›Laßt uns den Pfarrer holen, damit er ihn beschwöre!‹ Der Pfarrer beschwor ihn, nahm ihn dann mit und machte zu Ehren derer von Weert ein schönes Frikassee daraus. Möge Gott es mit dem Blutkönig ebenso machen!«

Zuweilen scholl aus dem Walde das Bellen der Hunde und das Geschrei der Jäger, die das Wild hetzten.

»Das ist der Hirsch und der Spießer, die ich aufgejagt habe«, sagte Ulenspiegel.

»Wir werden ihn verzehren«, sagte der alte Mann. »Wie aber nennt man in Limburg die von Eindhoven?«

»Pinnemakers, Riegelmacher«, antwortete Ulenspiegel. »Als eines Tages der Feind vor der Stadt war, verriegelten sie das Tor mit einer Rübe. Da kamen Gänse des Weges und fraßen die Rübe mit gierigen Schnäbeln auf, der Feind aber drang in die Stadt ein. Die Schnäbel jedoch, mit denen man die Riegel der Gefängnisse öffnen wird, in die man das freie Gewissen einsperrt, die werden aus Eisen sein.«

»Wenn Gott mit uns ist, wer wird gegen uns sein?« erwiderte der Alte.

»Das Hundegebell, das Geschrei der Menschen, das Krachen der Äste! Es ist ein wahrer Sturm im Wald!«

»Ist es ein gutes Fleisch, dieses Hirschfleisch?« fragte Lamme, während er die Frikassees betrachtete.

»Das Geschrei der Treiber kommt immer näher«, sagte Ulenspiegel zu Lamme. »Die Hunde sind ganz nahe – welch ein Getöse! Der Hirsch, der Hirsch! Gib acht, mein Sohn! Pfui! das garstige Tier! Wirft meinen dicken Freund mitten zwischen Pfannen, Schüsseln, Tellern und Frikassees zu Boden. Und die Frauen und Mädchen fliehen, toll vor Angst! Blutest du, mein Sohn?«

»Du lachst, Tunichtgut!« sagte Lamme. »Ja, ich blute. Er hat mich mit seinem Geweih ins Gesäß gestoßen. Da, sieh nur, meine Hosen sind zerrissen und mein Fleisch gleichfalls, und die schönen Frikassees liegen am Boden. Da, mein ganzes Blut läuft in die Strümpfe.«

»Dieser Hirsch ist ein weitschauender Chirurg«, sagte Ulenspiegel, »er errettete dich vom Schlagfluß.«

»Pfui, herzloser Taugenichts!« sagte Lamme. »Aber ich werde dich nicht mehr begleiten, ich bleibe hier unter diesen biederen Männern und guten Frauen. Wie kannst du, ohne dich zu schämen, so roh sein, wenn ich leide, ich, der dir wie ein Hund auf den Fersen folgt, durch Schnee, Frost, Regen, Hagel, Wind, ich, der sich die Seele aus der Haut schwitzt, wenn es heiß ist!«

»Deine Wunde ist nicht schlimm. Leg ein oeli-koekje drauf, das wird dir ein gebackenes Pflaster sein«, antwortete Ulenspiegel. »Aber weißt du, wie man die Leute von Löwen nennt? Du weißt es nicht, armer Freund. Nun wohlan, ich will es dir sagen, damit du nicht so jammerst. Man nennt sie koeye-schieters, Kuhjäger, weil sie eines Tages albern genug waren, auf Kühe zu schießen, die sie für feindliche Soldaten hielten. Was uns betrifft, wir werden auf die spanischen Böcke schießen, ihr Fleisch stinkt, aber ihre Haut ist gut, um Trommeln daraus zu machen. – Und die von Tirlemont? Weißt du es? Natürlich nicht. Sie haben den ruhmreichen Beinamen kirekers. Denn am Pfingstsonntag flog ein Kanarienvogel, der aus seinem Bauer entwischt war, auf den Altar ihrer großen Kirche, und das ist das Sinnbild ihres Heiligen Geistes. Leg ein koeke-bakke auf deine Wunde und hebe die Schüsseln und Frikassees auf, die der Hirsch umgeworfen hat. Das ist Küchenmut. Zünde das Feuer wieder an, häng den Suppenkessel wieder an seine drei Pflöcke und widme dich aufmerksam der Zubereitung des Mahles. Weißt du, was die vier Wunder von Löwen sind? Nun, ich werde es dir sagen: Erstens gehen dort die Lebenden unter den Toten, denn die Kirche St. Michael steht neben dem Stadttor, ihr Friedhof ist also darüber. Zweitens sind die Glocken außerhalb der Türme, wie man es an der Kirche Saint Jacques sieht, wo es eine große und eine kleine Glocke gibt, da man die kleine nicht im Glockenturm unterbringen konnte, wurde sie außerhalb befestigt. Drittens steht der Altar außerhalb der Kirche, denn die Fassade von Saint Jacques gleicht einem Altar. Viertens der ›Turm ohne Nägel‹. Denn die Spitze des Turmes der Kirche St. Gertrude ist aus Stein gebaut statt aus Holz, und in Stein schlägt man keine Nägel, außer in das Herz des Blutkönigs, das ich über dem großen Tor von Brüssel festnageln möchte. Weißt du, warum die von Termonde sich Vierspannen nennen? In einem Winter kam ein junger Fürst in die Herberge ›Zum Wappen von Flandern‹, und der Wirt wußte nicht, wie er ihm das Bett wärmen sollte, weil er keine Wärmeflasche hatte. Da kam er auf die Idee, es durch sein Töchterlein anwärmen zu lassen. Als die den Fürsten kommen hörte, verließ sie rasch das Zimmer. Da fragte der Fürst, warum man ihm die Wärmflasche nicht gelassen hätte. Gebe Gott, daß Philipp, in eine rotglühende Eisenschachtel eingeschlossen, im Bett Astartes als Anwärmer diene!«

»Laß mich in Ruhe«, sagte Lamme, »ich lache über dich, über deine Vierspannen, über den Turm ohne Nägel und die andern Albernheiten. Laß mich bei meinen Soßen!«

»Nimm dich in acht«, fuhr Ulenspiegel fort. »Das Gebell wird wieder lauter, die Hörner schmettern. Hüte dich vor dem Hirsch! Ja, flieh nur, die Hörner klingen.«

»Das ist das Zeichen zur Mahlzeit«, sagte der Alte, »komm zurück zu deinem Frikassee, Lamme, der Hirsch ist tot.«

»Er wird einen trefflichen Braten abgeben«, meinte Lamme, »wegen der Schmerzen, die ich für euch gelitten habe, werdet ihr mich dazu einladen. Auch die Soße des Vogelbratens wird nicht übel sein, wenn sie auch ein wenig zwischen den Zähnen knirschen wird. Das kommt davon, daß dieser Teufel von Hirsch, der mir das Wams zerrissen hat, das Fleisch und alles zusammen in den Sand geworfen hat. Aber fürchtet ihr nicht die Forstwächter?«

»Wir sind sehr zahlreich«, sagte der Alte, »sie sind es, die Furcht haben, nicht wir. Es ist geradeso wie mit den Häschern und den Richtern. Die Bewohner der Städte sind uns zugetan, denn wir fügen ihnen nichts Böses zu. Wir werden noch eine ganze Weile in Frieden leben, mindestens so lange, bis uns die spanische Armee umkreist. Dann aber werden wir, alte und junge Männer, Frauen, Mädchen und Kinder unser Leben teuer verkaufen und eher uns gegenseitig töten, als die Martern des Blutherzogs erdulden.«

Ulenspiegel sagte:

»Jetzt gilt es nicht mehr, an Land gegen den Henker zu kämpfen. Auf dem Meer muß seine Kraft gebrochen werden. Geht über Brügge, Heyst und Knokke bis zu den Inseln von Zeeland.«

»Wir haben kein Geld«, sagten sie.

»Hier sind tausend Karlsgulden vom Prinzen«, fuhr Ulenspiegel fort. »Folget den Wasserläufen, den Kanälen, den Flüssen oder der Küste, wenn ihr Schiffe seht, die das Zeichen J.H.S. tragen, soll einer von euch den Lerchengesang ertönen lassen. Wenn ihm der Hahnenschrei antwortet, so wißt ihr, daß ihr bei Freunden seid.«

»Wir werden tun, wie du sagst«, antworteten sie.

Nun kamen die Jäger, von den Hunden gefolgt, zurück und schleiften den toten Hirsch an Stricken hinter sich her. Alle Männer, Frauen und Kinder, ungefähr sechzig Personen, setzten sich rund um das Feuer auf den Boden. Man zog die Brote aus den Jagdtaschen und die Messer aus den Scheiden. Der abgebalgte, ausgeweidete und zerlegte Hirsch wurde mit dem kleinen Wild auf den Spieß gesteckt.

Nachdem die Mahlzeit beendet war, sah man Lamme mit aufgeblähtem Bauch, den Kopf tief auf die Brust gesenkt, den Rücken gegen einen Baum gelehnt, schlafen.

Als der Abend hereinbrach, kehrten die Waldbrüder in ihre unterirdischen Hütten zurück, um zu schlafen, und Lamme und Ulenspiegel taten ein gleiches.

Bewaffnete Männer hielten Lagerwache, und Ulenspiegel hörte das trockene Laub unter ihren Füßen rascheln.

Am nächsten Morgen setzte er mit Lamme seinen Weg fort, und die Bewohner des Lagers riefen ihm nach:

»Gesegnet seist du! Wir machen uns auf nach dem Meere!«

XXXV

In Harlebeke erneuerte Lamme seinen Vorrat an oeli-koekjes, aß siebenundzwanzig davon und tat dreißig in seinen Korb. Ulenspiegel trug seine Käfige in der Hand.

Gegen Abend langten sie in Courtrai an und stiegen in der Herberge »Zur Biene«, bei Gillis Van den Ende, ab, der sogleich vor die Tür trat, als er den Lerchengesang vernahm. Dort fanden sie, was ihr Herz wünschen mochte. Nachdem der Wirt die Briefe des Prinzen gelesen hatte, übergab er Ulenspiegel fünfzig Karlsgulden für den Prinzen und wollte sich weder den Truthahn noch den Dobbelclauwaert, mit dem er ihn begießen ließ, bezahlen lassen. Auch warnte er die beiden vor den Spionen des Blutgerichts, die sich in Courtrai aufhielten, weshalb sie ihre Zungen im Zaum halten sollten.

»Wir werden sie schon erkennen«, sagten Ulenspiegel und Lamme und verließen die Herberge.

Die Sonne sank und vergoldete die Giebel der Häuser, die Vögel zwitscherten in den Zweigen der Linden, die Frauen standen schwätzend auf den Schwellen ihrer Türen, die Kinder kugelten sich im Staub, und Ulenspiegel und Lamme durchzogen auf gut Glück die Straßen. Plötzlich sagte Lamme: »Als ich Martin Van den Ende ein kleines Bild meiner Frau zeigte und ihn fragte, ob er nicht eine Frau gesehen habe, die dieser gleiche, sagte er, daß bei der Stevenyne an der Landstraße nach Brügge im ›Regenbogen‹ vor den Toren der Stadt allabendlich eine große Menge von Frauen zusammenkäme. Ich will unverzüglich dort hingehen.« »Ich werde dich rechtzeitig dort wiedertreffen«, sagte Ulenspiegel, »und will inzwischen in die Stadt gehen, wenn ich deiner Frau begegne, werde ich sie sofort zu dir schicken. Du weißt, daß dir der Wirt empfohlen hat, schweigsam zu sein, wenn du deine Haut behalten willst.« »Ich werde schweigen«, sagte Lamme.

Ulenspiegel schlenderte behaglich durch die Straßen. Die Sonne sank, und der Tag ging rasch seinem Ende zu. Als er in die Pierpot-Straetje (die Steintopfstraße) kam, hörte er ein melodiöses Geigenspiel und sah, als er sich näherte, in einiger Entfernung eine weiße Gestalt, die ihn anrief, zurückwich und weiterspielte. Sie sang wie ein Seraph ein süßes getragenes Lied, hielt immer wieder an, wandte sich um, rief ihn an und wich zurück. Aber Ulenspiegel lief rasch, als er sie erreicht hatte und zu ihr sprechen wollte, legte sie ihm ihre nach Benzoe duftende Hand auf den Mund und fragte: »Bist du Bauer oder Edelmann?« »Ich bin Ulenspiegel.« »Bist du reich?« »Genug, um einen großen Genuß zu bezahlen, nicht genug, um meine Seele loszukaufen.« »Hast du keine Pferde, daß du zu Fuß kamst?« »Ich habe einen Esel, aber ich habe ihn im Stall gelassen.« »Warum bist du in einer fremden Stadt allein, ohne Freund?« »Weil mein Freund seiner Wege geht wie ich der meinen, neugieriges Schätzchen.« »Ich bin nicht neugierig«, sagte sie, »ist er reich, dein Freund?« »An Fett gewiß«, sagte Ulenspiegel, »wirst du bald aufhören, mich auszufragen?« »Ich bin schon fertig«, sagte sie, »laß mich jetzt allein.« »Dich lassen? Ebensogut könnte man Lamme, wenn er Hunger hat, sagen, er solle eine Schüssel voll Fettammern stehenlassen. Ich will dich verschlingen.«

»Du hast mich noch nicht gesehen«, sagte sie und öffnete eine Laterne, deren plötzlich aufleuchtendes Licht ihr Gesicht beleuchtete. »Du bist schön«, sagte Ulenspiegel, »oh, die strahlende Haut, die süßen Augen, der rote Mund, der liebliche Körper! Das ist alles für mich.« »Alles«, sagte sie.

Sie führte ihn zur Stevenyne, an der Brügger Landstraße, in den »Regenbogen«. Ulenspiegel sah da eine große Anzahl von Mädchen, die alle das Rädchen am Arme trugen, dessen Farbe von der ihrer Barchentkleider verschieden war. Seine Begleiterin trug ein Kleid von goldgewebtem Leinen mit einem silbernen Rädchen. Alle Mädchen warfen ihr eifersüchtige Blicke zu. Beim Eintreten gab sie der Wirtin einen Wink, der von Ulenspiegel unbemerkt blieb.

Sie setzten sich zu zweit an einen Tisch und tranken. »Weißt du, daß, wer immer mich geliebt hat, für alle Zeit mein ist?« sagte sie. »Schönes, duftendes Schätzchen«, sagte Ulenspiegel, »das gälte mir ein köstliches Gelage, immer von deinem Fleisch essen zu können.«

Plötzlich bemerkte er Lamme in einer Ecke, der einen kleinen Tisch mit einer Kerze, einen Schinken und einen Humpen Bier vor sich hatte und nicht wußte, wie er seinen Schinken und sein Bier zwei Mädchen streitig machen sollte, die mit aller Gewalt mit ihm essen und trinken wollten. Als Lamme Ulenspiegel gewahrte, stand er auf, machte drei Luftsprünge und rief aus: »Gelobt sei Gott, der mir meinen Freund Ulenspiegel wieder zuführt! Zu trinken, Baesine!«

Ulenspiegel zog seine Börse, ließ die Karlsgulden klappern und sagte: »Zu trinken, bis der leer ist!« »Gott soll leben!« sagte Lamme, indem er sich sachte der Börse bemächtigte, »ich bin's, der bezahlt, nicht du, diese Börse ist mein!« Ulenspiegel wollte seine Börse mit Gewalt wiedernehmen, aber Lamme hielt sie fest. Als sie nun aufeinander losschlugen, der eine, um den Beutel zu behalten, der andere, um ihn wiederzubekommen, sagte Lamme ganz leise und in abgerissenen Sätzen zu Ulenspiegel: »Höre, Häscher sind hier . . . vier . . . kleines Zimmer mit drei Mädchen . . . draußen zwei für dich, für mich . . . wollte entwischen . . . das Schätzchen im Brokat Spionin . . . Stevenyne Spionin . . .!«

Während sie sich balgten, rief Ulenspiegel, der wohl verstanden hatte: »Gib mir meine Börse, Taugenichts!« »Du bekommst sie nicht«, sagte Lamme. Sie faßten sich an die Hälse und Schultern und kugelten sich auf der Erde, während Lamme Ulenspiegel seine Warnung erteilte. Plötzlich trat der Wirt der »Biene«, von sieben Männern gefolgt, ein, die ihm anscheinend unbekannt waren. Er stieß den Hahnenschrei aus, und Ulenspiegel antwortete mit dem Lerchenpfiff. Als er Ulenspiegel und Lamme aufeinander losschlagen sah, fragte er die Stevenyne: »Wer sind die beiden?« Die Stevenyne antwortete: »Taugenichtse, die man besser trennen als solch großen Krakeel vollführen lassen sollte, ehe sie an den Galgen kommen.« »Wer es wagt, uns zu trennen«, sagte Ulenspiegel, »den lassen wir die Pflastersteine fressen.« »Ja, den lassen wir die Pflastersteine fressen«, sagte Lamme.

»Der Baes ist unser Retter«, sagte Ulenspiegel Lamme ins Ohr. Daraufhin stürzte sich der Baes, der Lunte roch, mit vorgebeugtem Kopf auf die beiden und zog Lamme am Ohr, der ihm dabei zuflüsterte: »Du willst uns retten? Wie?« Der Wirt tat so, als ob er auch Ulenspiegel an den Ohren beutelte, und sagte ihm ganz leise: »Sieben für dich . . . starke Kerle, Schlächter . . . ich muß davon . . . zu bekannt in der Stadt . . . geh ich, 't is van te beven de klinkaert . . . alles zerbrechen . . .!« »Ja«, sagte Ulenspiegel, richtete sich auf und versetzte ihm einen Fußtritt. Der Wirt schlug nun seinerseits, und Ulenspiegel sagte zu ihm: »Du klopfst hart, Dicker.« »Wie Hagel«, sagte der Wirt, während er mit einer raschen Bewegung Lamme die Börse aus der Hand riß und Ulenspiegel gab. »Jetzt zahl mir zu trinken, Spitzbube«, sagte er, »jetzt bist du wieder im Besitz deines Vermögens.« »Du wirst trinken, schändlicher Tunichtgut!« sagte Ulenspiegel.

»Seht, wie unverschämt er ist«, sagte die Stevenyne. »Ebenso wie du schön bist, Liebling«, antwortete Ulenspiegel. Die Stevenyne aber war gut sechzig Jahre alt und hatte ein Gesicht wie eine Mispel, aber ganz gelb vor galligem Zorn; ihre Nase glich einem Eulenschnabel, und aus ihren lieblosen Augen blitzte nur Habsucht. Zwei lange, spitzige Zähne ragten über ihre schmalen Lippen hinaus, und auf der linken Wange hatte sie einen großen Brandfleck.

Die Mädchen lachten, verspotteten sie und riefen: »Herzallerliebste, gib ihm zu trinken!« – »Er wird dich umarmen!« – »Ist es schon lange her, daß du deine ersten Lüste genossest?« – »Nimm dich in acht, Ulenspiegel sie will dich fressen!« – »Sieh ihre Augen, sie glänzen nicht vor Haß, sondern vor Liebe!« – »Man sagt, daß sie dich zu Tode beißen will.« – »Du mußt aber keine Angst haben.« – »So ist es bei allen verliebten Frauen Brauch.« – »Sie will nur dein Bestes.« – »Sieh, in welch lustiger Laune sie ist.«

Und in der Tat, die Stevenyne lachte und blinzelte Gilline, dem Mädchen im Brokatkleid, lebhaft zu. Der Baes trank, zahlte und ging. Die sieben Schlächter verständigten sich mit den Häschern und der Stevenyne durch vielsagende Grimassen. Einer von ihnen gab durch eine Geste zu verstehen, daß er Ulenspiegel für einen Dummkopf halte und ihn schon drankriegen werde. Der Stevenyne zugewandt, streckte er ihm die Zunge heraus und sagte zu ihr, die lachend ihre Hauer zeigte: »'t is van te beven de klinkaert.« (Es ist Zeit, die Gläser klirren zu lassen.) Dann wandte er sich den Häschern zu und sagte ganz laut: »Ihr freundlichen Reformierten, wir sind alle auf eurer Seite, zahlet uns zu trinken und zu essen.« Die Stevenyne lachte schadenfroh und streckte Ulenspiegel die Zunge heraus, sobald er ihr den Rücken zuwandte. Und Gilline, das Mädchen im Brokatkleid, tat ebenso.

Die anderen Mädchen sagten ganz leise zueinander: »Seht die Spionin, die durch ihre Schönheit schon mehr als siebenundzwanzig Reformierte der grausamen Folter und dem fürchterlichen Tod zugeführt hat, sie ist närrisch vor Freude, diese Gilline, wenn sie an die Belohnung ihres Verrats, die ersten hundert Karlsgulden aus dem Nachlaß der Opfer, denkt. Aber es ist ihr nicht zum Lachen, wenn sie sich erinnert, daß sie mit der Stevenyne teilen muß.«

Und alle, Häscher, Schlächter und Mädchen, streckten die Zunge heraus, um Ulenspiegel zu höhnen. Lamme schwitzte dicke Tropfen und wurde rot wie ein Hahnenkamm, aber er wollte nicht reden. »Zahl uns zu trinken und zu essen!« sagten die Häscher und Schlächter.

»Holla, liebliche Stevenyne!« sagte Ulenspiegel, »gib uns zu trinken und zu essen, zu trinken in diesen klingenden Gläsern.« Daraufhin begannen die Mädchen von neuem zu lachen, und die Stevenyne zeigte ihre Fangzähne. Doch ging sie in die Küche und in den Keller und brachte Schinken, Würste, Eierkuchen mit Schwarzwürsten und »klingende Gläser« herbei, die so genannt wurden, weil ihre Fußteile wie Glockenspiele erklangen, wenn man mit ihnen anstieß.

Nun sagte Ulenspiegel: »Wer Hunger hat, esse, wer Durst hat, trinke.« Die Häscher, die Mädchen, die Schlächter, Gilline und die Stevenyne klatschten und trampelten dieser Rede Beifall. Dann nahm jeder Platz, wo es ihm am besten behagte. Ulenspiegel, Lamme und die sieben Schlächter an der großen Ehrentafel, die Häscher und die Mädchen an kleinen Tischen. Man aß und trank mit Aufwand aller Kieferkräfte, und selbst die beiden Häscher, die vor dem Hause gestanden hatten, hielten mit, nachdem ihre Kameraden sie hereingerufen hatten, daß sie an dem Gelage teilnehmen könnten. Aus ihren Schnappsäcken sah man Stricke und schmale Ketten hervorragen.

Nun streckte die Stevenyne die Zunge heraus und sagte hohnlächelnd: »Es geht keiner weg, der mich nicht bezahlt hat.« Damit schloß sie alle Türen ab und steckte die Schlüssel in ihre Taschen. Gilline hob das Glas und sagte: »Der Vogel ist im Käfig, laßt uns trinken.« Daraufhin sagten zwei Mädchen, Gena und Margot mit Namen, zu ihr: »Ist das wieder einer, den du in den Tod befördern willst, du böses Weib?« »Das weiß ich nicht«, sagte Gilline, »trinken wir.« Aber die beiden Mädchen wollten nicht mit ihr trinken.

Gilline nahm ihre Violine zur Hand, spielte und sang in französischer Sprache:

»Beim Klang der Violine
Sing ich tagaus, tagein.
Ich bin die feile Gilline,
Tausch Gold für Liebe ein.

Astarte hat entzündet
In meinen Hüften die Glut.
Meine Schultern sind schneeweiß gerundet
Und mein Leib ist wie Gott so gut.

Hei! Leeret nur, leert eure Taschen,
Von blinkenden Gulden gefüllt,
Daß das Gold mir in hüpfenden, raschen
Wogen die Füße umspült.

Der Höllenfürst, der das Gute besiegt',
Zeugt' mit Eva mich, flammend in Lust,
So schön wie der Traum, der, Geliebter,
dich wiegt, Kosend an meiner Brust.

Kalt bin ich oder glühend,
Voll Zartheit, sanft verzagt,
Warm, toll verliebt und sprühend,
Mein Lieb, wie's dir behagt.

Alles verkauf ich: mein heißes Herz,
Meinen Leib und die Lippen so rot,
Frohsinn und Lachen, Tränen und Schmerz,
Und, wenn du willst, auch den Tod.

Beim Klang der Violine
Sing ich tagaus, tagein.
Ich bin die feile Gilline,
Tausch Gold für Liebe ein.«

Während Gilline diese Strophen sang, war sie so schön, so anmutig und lieblich, daß alle Männer, die Häscher, Schlächter, Lamme und Ulenspiegel, stumm, gerührt und von ihrem Zauber gefesselt waren.

Urplötzlich brach Gilline in schallendes Gelächter aus, sah Ulenspiegel an und sagte: »So sperrt man die Vögel in den Käfig.« Und ihr Zauber war gebrochen.

Ulenspiegel, Lamme und die Schlächter sahen einander an, als die Stevenyne sagte: »Nun also, werdet Ihr mich bezahlen, Herr Ulenspiegel, der ihr aus dem Fleisch der Prädikanten so köstliches Fett gewonnen habt?« Lamme wollte sprechen, aber Ulenspiegel sagte: »Wir bezahlen nicht im voraus.« »Dann werde ich mich aus deiner Hinterlassenschaft bezahlt machen«, sagte die Stevenyne. »Die Hyänen leben von Leichen«, erwiderte Ulenspiegel. »Ja«, sagte einer der Häscher, »diese beiden da haben den Prädikanten das Geld weggenommen – mehr als dreihundert Karlsgulden. Das ist ein schöner Sold für Gilline.«

Gilline lachte laut auf und sagte: »Trinken wir!« »Trinken wir!« sagten die Häscher. »Trinken wir auf den Herrgott!« sagte Stevenyne, »die Türen sind versperrt, und die Fenster haben starke Balken: die Vögel sind im Käfig. Trinken wir!«

»Trinken wir!« sagte Ulenspiegel. »Trinken wir!« sagte Lamme. »Trinken wir!« sagten die Sieben. »Trinken wir!« sagten die Häscher. »Trinken wir!« sagte Gilline und ließ ihre Geige erklingen, »ich bin schön, trinken wir! Ich finge auch den Erzengel Gabriel in den Netzen meines Liedes.«

»Zu trinken also«, sagte Ulenspiegel, »Wein, um das Fest zu krönen, und vom besten! Ich will, daß auf jedes Haar unserer vergänglichen Leiber ein Tropfen flüssigen Feuers komme!« »Trinken wir!« sagte Gilline, »noch zwanzig solcher Gründlinge wie du, und die Hechte hören auf zu singen.«

Die Stevenyne brachte Wein herbei. Da saßen sie nun alle, trinkend und schwer atmend, die Häscher und die Mädchen, alle im Verein. Die Sieben, die an Ulenspiegels und Lammes Tisch saßen, warfen den Mädchen Schinken, Würste, Eierkuchen und Flaschen zu, die sie im Flug auffingen, wie Karpfen die Fliegen überm Teich schnappen. Die Stevenyne lachte, zeigte ihre Zähne und wies mit dem Finger auf Kerzenbündel, von denen fünf aufs Pfund kamen, und die über dem Schanktisch hingen. Es waren die Kerzen der Mädchen.

Sie sagte zu Ulenspiegel: »Wenn einer zum Scheiterhaufen geht, trägt er eine Talgkerze in der Hand, willst du eine zum Geschenk?« »Trinken wir!« sagte Ulenspiegel. »Trinken wir«, sagten die Sieben. Gilline sagte: »Ulenspiegel hat leuchtende Augen wie ein Schwan, der sterben will.« »Wie, wenn man sie den Schweinen zu fressen gäbe?« sagte die Stevenyne. »Das wäre ihnen eine Laternenmahlzeit«, sagte Ulenspiegel, »trinken wir!« »Möchtest du gerne«, sagte die Stevenyne, »daß man dir auf dem Schafott die Zunge mit einem rotglühenden Eisen durchbohre?« »Dann könnte ich besser atmen, trinken wir!« sagte Ulenspiegel. »Du wirst weniger sprechen, wenn du gehängt sein wirst und dein Schätzchen kommen wird, dich zu betrachten.« »Ja«, sagte Ulenspiegel, »aber ich wäre zu schwer und fiele dir auf dein reizendes Maulwerk, trinken wir!« »Was würdest du sagen, wenn du, auf Stirn und Schulter gebrandmarkt, ausgepeitscht würdest?« »Ich würde sagen, daß man die Leute mit dem Fleisch betrogen hat und, statt die Sau Stevenyne zu braten, das Schwein Ulenspiegel sötte«, sagte Ulenspiegel, »trinken wir!« »Da du nichts von alldem möchtest«, sagte die Stevenyne, »wirst du auf die Schiffe des Königs geführt und verurteilt werden, von Galeeren gevierteilt zu werden.« »Dann werden die Haifische meine vier Gliedmaßen verschlingen, und du wirst fressen, was sie verschmähen, trinken wir!« »Warum ißt du nicht eine von diesen Kerzen?« sagte sie, »sie könnten dir in der Hölle dazu dienen, dir in der ewigen Verdammnis zu leuchten.« »Ich sehe gut genug, um deinen glänzenden Schweinsrüssel auszunehmen, du schlecht gebratene Sau, trinken wir!«, sagte Ulenspiegel.

Plötzlich schlug er mit dem Fuß seines Glases auf den Tisch und ahmte mit den Händen das Geräusch nach, das ein Teppichweber verursacht, wenn er die Wolle einer Matratze auf dem Steckenbrett klopft, doch tat er das ganz leise und sagte: »'t is tyd van te beven de klinkaert – es ist Zeit, die klingenden Gläser in Bewegung zu setzen.«

Das ist in den flandrischen Häusern der roten Laterne das Zeichen des Zornes der Trinker und das Signal, alles kurz und klein zu schlagen. Ulenspiegel trank, versetzte das Glas auf dem Tisch in Schwingungen und sagte: »'t is van te beven de klinkaert«, und die Sieben taten wie er.

Alle verhielten sich still, Gilline erbleichte, die Stevenyne schien verblüfft, und die Häscher sagten: »Die Sieben halten zu euch?« Aber die Schlächter zwinkerten mit den Augen, um sie zu beruhigen, und sagten immer lauter und lauter mit Ulenspiegel im Chor: »'t is van te beven de klinkaert, 't is van te beven de klinkaert.« Die Stevenyne trank, um sich Mut zu machen.

Nun schlug Ulenspiegel im Takt des Tapezierers, der eine Matratze bearbeitet, mit der Faust auf den Tisch, die Sieben ahmten ihm nach. Gläser, Krüge, Teller, Kannen und Becher begannen einen langsamen Tanz, sie erhoben sich auf einer Seite, um sich nach der anderen zu senken, sie fielen um und zerbrachen. Und immer widerhallte es drohender, ernster, kriegerischer und eintöniger: »'t is van te beven de klinkaert.« »Ach!« sagte die Stevenyne, »sie wollen mir hier alles zerbrechen!« Und ihre Angst war so groß, daß ihr die beiden Hauer noch länger aus dem Mund ragten.

Das Blut der Sieben wie auch das Lammes und Ulenspiegels geriet in stürmische Zorneswallung. Nun nahmen alle, die an Ulenspiegels Tisch saßen, ihre Gläser und zerbrachen sie, ohne ihren eintönigen und drohenden Gesang zu unterbrechen, im Takt auf dem Tisch, dann setzten sie sich rittlings auf ihre Stühle und zogen ihre Messer.

Mit ihrem Gesang verursachten sie solch großen Lärm, daß alle Scheiben des Hauses klirrten.

Dann machten sie wie ein Kreis tollgewordener Teufel die Runde um den Saal und um alle Tische und sagten ununterbrochen: »'t is van te beven de klinkaert.« Da standen die Häscher, zitternd vor Furcht, auf und faßten nach ihren Ketten und Stricken. Aber die Schlächter, Ulenspiegel und Lamme steckten die Messer in die Scheiden, erhoben sich, packten die Stühle und schwangen sie wie Stecken, dann sausten sie durchs Zimmer, schlugen nach rechts und links, schonten niemand und nichts, außer den Mädchen, und zertrümmerten alle Möbel, Scheiben, Kasten, Geschirr, Kannen, Teller, Gläser und Flaschen, hieben erbarmungslos auf die Häscher ein und sangen, immer im Takt des Tapezierers, der die Matratzen klopft: »'t is van te beven de klinkaert«, während Ulenspiegel der Stevenyne einen Faustschlag aufs Maul versetzte und sie, nachdem er die Schlüssel aus ihrer Tasche genommen hatte, mit Gewalt zwang, ihre Kerzen zu fressen.

Die schöne Gilline kratzte wie eine furchtsame Katze, die überall nach einem Ausgang sucht, mit ihren Nägeln an Türen, Querbalken, Scheiben und Fensterflügeln. Dann kauerte sie sich bleich und mit scheuem Blick in eine Ecke, zeigte die Zähne und hielt ihre Geige vor sich hin, als hätte sie ihr Schutz gewähren können.

Die Sieben und Lamme sagten zu den Mädchen: »Euch werden wir nichts Übles tun«, und fesselten mit ihrer Hilfe die Häscher mittels der Ketten und Stricke; diese wagten nicht, Widerstand zu leisten, denn sie wußten wohl, daß der Wirt der »Biene« die Schlächter unter den Stärksten ausgesucht hatte und daß sie von ihnen mit ihren Messern in Stücke geschnitten werden würden. Bei jeder Kerze, die Ulenspiegel die Stevenyne fressen ließ, sagte er: »Die ist fürs Henken, die fürs Auspeitschen, diese hinwiederum fürs Brandmarken, und jene vierte ist für meine zerlöcherte Zunge, diese beiden besonders köstlichen und fetten sind für die Schiffe des Königs und für Vierteilung durch die Galeeren, diese ist für deine Spionenspelunke und jene für deine Dirne in der Brokatrobe, alle anderen aber sind zu meiner Unterhaltung.«

Die Mädchen lachten, als sie sahen, wie die Stevenyne, die vor Wut nieste, ihre Kerzen ausspeien wollte. Aber es war umsonst, sie hatte den Mund zu voll.

Ulenspiegel, Lamme und die Sieben hörten nicht auf, im Takt zu singen: »'t is van te beven de klinkaert.« Dann hörte Ulenspiegel auf und gab ihnen durch ein Zeichen zu verstehen, daß sie den Refrain nunmehr leise murmeln sollten. Das taten sie, und indessen sprach er zu den Häschern und Mädchen: »Wenn einer von euch um Hilfe schreit, wird er unverzüglich getötet!« »Getötet!« sagten die Schlächter.

»Wir werden schweigen«, sagten die Mädchen, »tu uns kein Leid, Ulenspiegel!« Aber Gilline, die mit vorquellenden Augen und gefletschten Zähnen in ihrer Ecke hockte, konnte kein Wort sprechen und preßte ihre Geige an sich. Die Sieben murmelten immer im Takt: »'t is van te beven de klinkaert.« Die Stevenyne, die zeigte, daß sie den Mund voll Kerzen hatte, bedeutete durch ein Zeichen, daß sie gleichfalls schweigen werde. Die Häscher versprachen es desgleichen.

Ulenspiegel setzte seine Rede fort und sagte: »Ihr seid hier in unserer Gewalt, die Nacht ist schwarz, und wir sind nahe an der Lys, in der ihr leicht ersaufen könnt, wenn wir euch hineinstoßen. Die Tore von Courtrai sind geschlossen. Wenn die Nachtwächter den Lärm hören, werden sie sich nicht vom Fleck rühren, weil sie zu faul sind und glauben werden, daß das gute Flamen sind, die beim Klang der Kannen und Flaschen fröhlich trinken und singen. Verhaltet euch also still und ruhig vor euren Herren.« Dann sagte er zu den Sieben: »Ihr begebt euch nach Peteghem, um die Geusen aufzusuchen.« »Auf die Nachricht von deinem Kommen haben wir uns darauf vorbereitet.« »Von dort aus geht ihr ans Meer.« »Ja.« »Kennt ihr unter diesen Häschern einen oder zwei, die man freilassen könnte, um sie uns dienstbar zu machen?« »Zwei«, sagten sie, »Niklaes und Joos, die niemals die armen Reformierten verfolgt haben.«

»Wir sind treu«, sagten Niklaes und Joos.

»Hier sind zwanzig Gulden für euch«, fuhr Ulenspiegel fort: »das ist doppelt soviel, als ihr an Belohnung für die niederträchtige Angeberei bekommen hättet.«

Plötzlich riefen die fünf anderen: »Zwanzig Gulden! Wir dienen auch dem Prinzen für zwanzig Gulden. Der König zahlt schlecht. Gib jedem von uns die Hälfte, und wir sagen dem Richter alles, was du willst.« Die Schlächter und Lamme murmelten dumpf: »'t is van te beven de klinkaert, 't is van de beven de klinkaert.«

»Damit ihr nicht zuviel sprecht, werden euch die Sieben gefesselt bis nach Peteghem zu den Geusen bringen«, sagte Ulenspiegel, »wenn ihr auf dem Meer sein werdet, werdet ihr zehn Gulden bekommen, dort werden wir vor euch sicher sein, bis die Kriegsküche mit Brot und Suppe für eure Treue sorgt. Wenn ihr tapfer seid, werdet ihr euren Anteil an der Beute bekommen. Wenn ihr Anstalten macht, Reißaus zu nehmen, werdet ihr gehenkt. Wenn ihr dem Strick dennoch durch Flucht ausweicht, so wird euch das Messer nicht verfehlen.« »Wir werden dem dienen, der uns bezahlt«, sagten sie. »'t is van te beven de klinkaert! 't is van te beven de klinkaert«, sagten Lamme und die Sieben, während sie mit den Scherben der zerbrochenen Töpfe und Gläser auf den Tisch klopften. »Die Gilline, die Stevenyne und die drei Schätzchen werdet ihr gleichfalls zu uns führen«, sagte Ulenspiegel, »wenn eine von ihnen entwischen will, wird sie in einen Sack gesteckt und in den Fluß geworfen.«

»Er hat mich nicht getötet!« rief Gilline, sprang aus ihrer Ecke, schwang ihre Geige in der Luft und sang:

»Ein blutiger Traum meine Seele bedrückt
So schwer, ach, in der Brust.
Der Höllenfürst, der das Gute besiegt',
Zeugt' mit Eva mich, flammend in Lust.«

Der Stevenyne und den andern war das Weinen nahe. »Fürchtet nichts, Liebchen«, sagte Ulenspiegel, »ihr seid so anmutig und süß, daß man euch überall lieben, feiern und herzen wird. Bei jedem Kriegszug werdet ihr euern Anteil an der Beute haben.« »Für mich wird nichts dasein, denn ich bin alt«, greinte die Stevenyne. »Ein Sou für den Tag, Krokodil«, sagte Ulenspiegel, »denn du wirst diese vier schönen Mädchen bedienen, wirst ihre Röcke, Kleider und Hemden waschen.« »Ich? O Herrgott!« rief sie. »Du hast sie lange Zeit geknechtet, hast aus ihren Leibern deinen Vorteil gezogen und ließest sie arm und hungrig. Du kannst greinen und schreien soviel du willst, es wird geschehen, wie ich sagte.«

Die Mädchen begannen zu lachen, verhöhnten die Stevenyne, streckten ihr die Zunge heraus und sagten: »Auf dieser Welt ist jeder einmal an der Reihe. Wer hätte das von der habgierigen Stevenyne gedacht? Sie wird wie eine Sklavin für uns arbeiten. Gesegnet sei er, der Herr Ulenspiegel!«

Nun sagte Ulenspiegel zu den Schlächtern und zu Lamme: »Holt den Wein aus den Kellern und nehmt das Geld an euch, es soll zum Unterhalt der Stevenyne und der vier Mädchen dienen.« »Wie sie mit den Zähnen knirscht, die geizige Stevenyne,« sagten die Mädchen, »du warst hart zu uns, und man ist es jetzt mit dir. Gesegnet sei der Herr Ulenspiegel!« Dann wandten sich die drei Gilline zu und sagten: »Du warst ihre Tochter, ihr Broterwerb, und du teiltest die Früchte der niederträchtigen Spionage mit ihr. Wirst du noch wagen, uns zu schlagen und zu beleidigen, du in deinem Brokatkleid? Du hast uns verachtet, weil wir nur Barchent trugen. Von nichts anderem bist du so reich gekleidet als von dem Blut der Opfer. Nehmen wir ihr das Kleid weg, damit sie uns gleich sei!«

»Das will ich nicht«, sagte Ulenspiegel.

Gilline sprang ihm an den Hals und sagte: »Gesegnet seist du, der du mich nicht getötet hast und mich nicht häßlich sehen willst!« Die Mädchen sahen Ulenspiegel eifersüchtig an und sagten: »Er ist in sie vernarrt wie alle.« Gilline sang:

»So köstlich bin nur ich allein!
Dir steht alles zu Gebot:
Köstliche Freuden und Küsse und Pein,
Und, wenn du willst, auch der Tod.«

Die Sieben brachen gegen Peteghem auf und führten die Häscher und die Mädchen an der Lys entlang. Auch unterwegs murmelten sie: »'t is van te beven de klinkaert! 't is van te beven de klinkaert!« Bei Tagesanbruch kamen sie ins Lager und ließen den Lerchengesang ertönen, worauf ihnen der Schrei des Hahnes antwortete. Die Mädchen und die Häscher wurden bewacht und beobachtet. Dennoch fand man Gilline am dritten Tage tot, ihr Herz war mit einer langen Nadel durchbohrt.

Die Stevenyne wurde von den drei Mädchen angeklagt und kam vor das Tribunal, das sich aus dem Kapitän der Truppe, seinen Zehnschaftsführern und Korporalen zusammensetzte. Da gestand sie, ohne daß man die Folter hätte anwenden müssen, daß sie Gilline aus Eifersucht auf ihre Schönheit und aus Wut darüber, daß sie von dieser Dirne erbarmungslos wie eine Sklavin behandelt worden sei, umgebracht habe. Die Stevenyne wurde gehenkt und im Wald begraben.

Auch Gilline wurde begraben, und man sprach die Totengebete über ihrem anmutigen Körper.

Inzwischen waren die beiden Häscher, die sich von Ulenspiegel hatten überreden lassen, vor den Vogt von Courtrai getreten, denn der Krakeel, die Ruhestörung und die Verwüstung im Haus der Stevenyne sollte durch besagten Vogt bestraft werden, da sich das Haus der Stevenyne außerhalb des Gerichtssprengels von Courtrai in dieser Vogtei befand.

Nachdem sie dem Herrn Vogt berichtet hatten, was vorgefallen war, sagten sie mit dem Brustton der Überzeugung und mit unterwürfiger Offenheit: »Die Mörder der Prädikanten sind ganz gewiß nicht Ulenspiegel und sein vertrauter Freund Lamme Goedzak, die nur, um sich zu vergnügen, in den ›Regenbogen‹ gekommen waren. Sie hatten sogar Pässe des Herzogs, die wir selbst gesehen haben. Die wahren Schuldigen sind zwei Kaufleute aus Gent, ein magerer und ein fetter, die nach Frankreich geflohen sind, nachdem sie bei der Stevenyne alles kurz und klein geschlagen und sie samt vier Mädchen zu ihrem Vergnügen mitgeführt haben. Wir hätten sie schon gefaßt, aber da waren sieben Schlächter, die Stärksten der Stadt, die ihre Partei ergriffen hatten. Sie haben uns am ganzen Körper gefesselt und uns erst befreien lassen, nachdem sie schon weit in Frankreich waren. Hier sind noch die Spuren der Stricke.

Die vier Häscher sind hinter ihnen her und warten auf Verstärkung, um sie überwältigen zu können.«

Der Vogt gab jedem von ihnen zwei Karlsgulden und ein neues Kleid als Belohnung für ihre braven Dienste. Sodann schrieb er an den Staatsrat, an das Schöffengericht von Courtrai und an andere Gerichtshöfe, um ihnen anzuzeigen, daß die wahren Mörder entdeckt worden seien. Und er schilderte das Abenteuer lang und breit, daß es die Herren vom flandrischen Rat und von den anderen Gerichtshöfen schauderte. Und der Vogt heimste für seinen Scharfblick großes Lob ein. Ulenspiegel und Lamme wanderten friedlich der Lys entlang auf der Straße von Peteghem nach Gent und wünschten sehnlichst, nach Brügge zu kommen, wo Lamme seine Frau zu finden hoffte, und nach Damme, wo Ulenspiegel, der tief in Nachdenken versunken war, schon gar zu gerne Nele sehen wollte, das bekümmerte Mädchen, das neben Katheline, der Irren, lebte.

XXXVI

Seit geraumer Zeit waren in Damme und Umgebung zahlreiche abscheuliche Verbrechen begangen worden. Mädchen, junge Burschen und alte Männer, von denen man wußte, daß sie, mit Geld versehen, auf dem Weg nach Brügge, Gent oder einer andern Stadt oder einem Dorf Flanderns unterwegs waren, wurden tot und nackt wie Würmer aufgefunden, ihre Nacken waren von langen und scharfen Zähnen so zerbissen, daß ihnen sämtliche Halsknochen zerbrochen waren.

Die Chirurgen und Bader erklärten, daß die Bisse von den Zähnen eines großen Wolfes herrührten. »Nach den Wölfen sind ohne Zweifel Diebe gekommen, die die Opfer beraubten«, sagten sie. Trotz aller Nachforschungen konnte man die Diebe nicht entdecken, und bald war der Wolf vergessen.

Mehrere angesehene Bürger, die, auf sich selbst vertrauend, ohne Begleitung fortgegangen waren, verschwanden, ohne daß man erfuhr, was aus ihnen geworden sei, von einigen Fällen abgesehen, in denen etliche Bauern, als sie morgens zur Arbeit aufs Feld gingen, die Spuren des Wolfes im Ackerboden fanden, während ihre Hunde in den Furchen gruben und einen armseligen Leichnam ans Tageslicht zogen, der im Nacken oder hinter den Ohren, einige Male auch an den Beinen, aber immer auf der Rückseite des Körpers, die Spuren der Wolfszähne zeigte. Und immer waren die Knochen des Halses und der Beine gebrochen.

Der erschrockene Bauer ging dann augenblicklich zum Vogt, um ihm Mitteilung zu machen, der kam dann mit dem Gerichtsschreiber, zwei Schöffen und zwei Chirurgen an den Ort, wo der Getötete lag. Wenn sie ihn dann genau und sorgfältig untersucht hatten, stellten sie fest, sofern sein Gesicht von den Würmern noch nicht zerfressen war, welchen Standes, welchen Geschlechtes er gewesen war, ja sogar, wie er geheißen hatte, und immer staunten sie darüber, daß der Wolf, der doch aus Hunger tötet, die Leiche nicht in Stücke gerissen hatte. Die Leute von Damme waren ganz verängstigt, und niemand wagte mehr, nachts ohne Begleitung auszugehen.

Eines Tages kamen mehrere tapfere Soldaten nach Damme, die den Befehl hatten, Tag und Nacht in den Dünen an der Seeküste nach dem Wolf zu suchen.

Eben hielten sie sich in der Nähe von Heyst in den großen Dünen auf. Die Nacht war hereingebrochen, und einer von ihnen wollte, mit einer Arkebuse bewaffnet, im Vertrauen auf seine Stärke allein auf die Suche gehen. Die anderen ließen ihn gewähren und waren sicher, daß er, tapfer und gut bewaffnet, wie er war, den Wolf töten würde, wenn er es wagen sollte, sich zu zeigen. Nachdem ihr Kamerad gegangen war, zündeten sie ein Feuer an, spielten Würfel und ließen eine Flasche Branntwein im Kreis gehen. Von Zeit zu Zeit riefen sie: »Holla, Kamerad, komm zurück! Der Wolf hat Angst, komm trinken!« Aber er antwortete nicht.

Plötzlich hörten sie einen lauten Schrei wie von einem Sterbenden. Sie liefen in der Richtung, aus der der Schrei gekommen war, und riefen: »Halte dich, wir kommen dir zu Hilfe!« Aber es verging lange Zeit, ehe sie ihren Kameraden fanden, denn die einen sagten, der Schrei sei von einer Dünenhöhung gekommen, die andern meinten, ihn aus einer Senkung gehört zu haben. Nachdem sie lange und eifrig gesucht hatten, fanden sie endlich ihren Kameraden, er war von hinten ins Bein und in den Arm gebissen worden, und sein Hals war gebrochen wie der der anderen Opfer. Er lag auf dem Rücken und hielt den Degen in der verkrampften Hand, seine Arkebuse lag im Sand. Neben ihm lagen drei abgeschnittene Finger, die aber nicht von ihm waren, die nahmen sie mit sich. Seine Geldkatze war ihm geraubt worden.

Sie luden sich den Leichnam ihres Kameraden auf die Schultern, nahmen seinen guten Degen und seine Arkebuse und trugen ihn, voll Trauer und Wut, in die Vogtei, wo ihn der Vogt, der in Gesellschaft des Gerichtsschreibers, der beiden Schöffen und der Chirurgen war, in Empfang nahm. Die abgeschnittenen Finger wurden untersucht und als die eines Greises erkannt, der kein Arbeiter oder Handwerker sein konnte, denn die Finger waren zart und die Nägel lang wie die eines Mannes vom Gericht oder von der Kirche. Am nächsten Tag ging der Vogt mit den Schöffen, dem Schreiber, den Chirurgen und den Soldaten zu der Stelle, an der der arme Tote überfallen worden war, da sahen sie Blutstropfen an den Gräsern und Fußspuren, die bis zum Meere gingen, wo sie endeten.

XXXVII

Es war am vierten Tag des Weinmonats, zur Zeit der Traubenreife, als man in Brüssel nach der großen Messe Säcke mit Nüssen für das Volk von der Höhe des Turmes von St. Nicolas herabwarf.

Nele wurde nachts von Schreien aufgeweckt, die von der Straße herkamen. Sie suchte Katheline in ihrem Zimmer, fand sie aber nicht. Sie lief die Treppen hinab und öffnete die Tür. Da trat Katheline ein und rief: »Rette mich, rette mich! Der Wolf! Der Wolf!« Und Nele hörte aus der Ebene entferntes Geheul.

Mit zitternden Händen zündete sie alle Lampen, Leuchter und Kerzen an. »Was ist geschehen, Katheline?« sagte sie und schloß sie in die Arme. Katheline setzte sich nieder, sah mit flackernden Blicken auf die Kerzen und sagte: »Es ist die Sonne, welche die bösen Geister verjagt. Der Wolf! Der Wolf heult in der Ebene.« »Warum hast du aber dein Bett verlassen, in dem du warm lagst, und hast dich der feuchten Septembernacht ausgesetzt, in der du dir das Fieber holen kannst?« fragte Nele.

Katheline erwiderte: »Hanske hat diese Nacht wie der Seeadler geschrien, und ich habe die Tür geöffnet. Und er sagte zu mir: ›Nimm den Trank der Vision zu dir.‹ Und ich trank. Hanske ist schön. Nehmt das Feuer weg! Nun führte er mich an den Kanal und sagte: ›Katheline, ich werde dir die siebenhundert Karlsgulden wiedergeben, und du wirst sie Ulenspiegel, dem Sohn des Claes, übergeben. Da hast du zwei davon, um dir ein Kleid zu kaufen, bald wirst du tausend bekommen.‹ Tausend! – sagte ich – Geliebter, ich werde also reich sein! ›Du wirst sie bekommen‹, sagte er, ‹aber gibt es denn in Damme nicht Frauen und Mädchen, die jetzt schon so reich sind, wie du sein wirst?‹

Ich weiß es nicht, antwortete ich ihm, denn ich wollte ihm ihre Namen nicht sagen, aus Angst, daß er sie lieben würde. Dann sagte er: ›Unterrichte dich darüber und sage mir ihre Namen, wenn ich wiederkommen werde.‹

Die Luft war kalt, der Nebel wogte über den Wiesen, und die trockenen Zweiglein fielen von den Bäumen auf die Erde. Der Mond schien, und auf dem Wasser des Kanals tanzten Feuer. Hanske sagte zu mir: ›Das ist die Nacht der Werwölfe, alle schuldigen Seelen verlassen die Hölle. Du mußt dreimal das Zeichen des Kreuzes mit der linken Hand machen und rufen: Salz! Salz! Salz! Das ist das Schutzwort der Unsterblichkeit, und sie werden dir kein Leid tun.‹ Ich sagte: Ich werde so tun, wie du willst, Hanske, mein Liebling. Er umarmte mich und sagte: ›Du bist meine Frau.‹ Ja – sagte ich. Und seine süßen Worte erfüllten mich mit himmlischer Wonne und glitten wie Balsam über meinen Leib. Er setzte mir einen Rosenkranz auf und sagte: ›Du bist schön‹, und ich erwiderte: Auch du bist schön, Hanske, mein Schatz, in deinem feinen Kleid von grünem Sammet mit goldenen Borten, mit deiner langen Straußfeder, die an deiner Mütze flattert über deinem bleichen Gesicht, das leuchtet wie Feuer auf den Wogen des Meeres. Und wenn dich die Mädchen von Damme sähen, sie liefen dir alle nach und bäten dich um dein Herz, aber du darfst es niemand geben als mir. – Er sagte: ›Versuche zu erfahren, welche die reichsten sind, ihr Vermögen soll das deine werden.‹ Dann ging er und ließ mich allein, nachdem er mir verboten hatte, ihm zu folgen.

Ich blieb dort und ließ die zwei Gulden in meiner Hand klingen, ich bebte und fror wegen des Nebels. Plötzlich sah ich einen Wolf die Kanalböschung hinansteigen, er hatte ein grünes Gesicht, und in seinem weißen Fell hingen lange Schilfrohre. Ich schrie: Salz! Salz! Salz! und machte das Zeichen des Kreuzes, aber er schien keine Angst davor zu haben. Ich lief, was mich meine Beine tragen wollten, ich schrie und heulte und hörte knapp hinter mir das Scheuern seiner Zähne, und einmal war er mir so nahe an der Schulter, daß ich meinte, er fasse mich schon. Aber ich lief schneller als er. Zum größten Glück begegnete ich an der Ecke der Rue d'Héron dem Nachtwächter mit seiner Laterne. – Der Wolf! Der Wolf! – schrie ich. ›Du mußt keine Angst haben‹, sagte der Nachtwächter zu mir, ›ich will dich in deine Hütte zurückführen, närrische Katheline!‹ Doch ich fühlte, daß die Hand, mit der er mich führte, zitterte, er hatte gleichfalls Angst.«

»Aber er hat wieder Mut gefaßt«, sagte Nele, »hörst du ihn mit seinen langgezogenen Tönen singen: De clock is tien, tien aen de clock! – Die Uhr ist zehn, zehn ist die Uhr! – Und jetzt läßt er seine Klapper schnarren.«

»Nehmt das Feuer weg«, sagte Katheline, »der Kopf brennt. Komm zurück, Hanske, mein Liebling!«

Nele sah Katheline an und betete zur Heiligen Jungfrau, daß sie ihr das Feuer des Irrsinns vom Haupte nehmen möge, und dann weinte sie über Katheline.

XXXVIII

In Bellem begegneten Ulenspiegel und Lamme am Kanal von Brügge einem Reiter, der auf seinem Filzhut drei Hahnenfedern trug und mit verhängtem Zügel gegen Gent trabte. Ulenspiegel ließ den Lerchentriller ertönen, der Reiter hielt an und antwortete mit dem Hahnenschrei.

»Bringst du Nachrichten, stürmischer Reiter?« fragte Ulenspiegel.

»Wichtige Nachrichten«, sagte der Reiter. »Auf Anraten des Herrn von Châtillon, der in Frankreich Admiral ist, hat der Prinz der Freiheit den Auftrag gegeben, neue Kriegsschiffe auszurüsten, außer jenen, die schon in Emden und Ostfriesland bewaffnet und bemannt worden sind. Die Tapferen, die diese Aufträge erhalten haben, sind Adrian de Berghes, der Herr von Dolheim, sein Bruder Ludwig vom Hennegau, der Baron von Montfaucon, Ludwig von Brederode, Albert Egmont, ein Sohn des Enthaupteten, aber nicht Verräter wie sein Bruder, der Friese Berthel Entheus von Mentheda und Jan Brock. Der Prinz hat alles gegeben, was er besaß, mehr als fünfzigtausend Gulden.«

»Ich habe fünfhundert für ihn«, sagte Ulenspiegel.

»Bring sie ans Meer«, sagte der Reiter und spornte sein Pferd.

»Er gibt sein ganzes Vermögen hin«, sagte Ulenspiegel, »wir geben nur unsere Haut.«

»Ist denn das nichts?« sagte Lamme, »und hören wir je von etwas anderem sprechen als von Plünderung und Metzelei? Oranien liegt am Boden.«

»Ja, am Boden wie die Eiche«, sagte Ulenspiegel, »aber aus der Eiche baut man die Schiffe der Freiheit!«

»Zu seinem Vorteil«, sagte Lamme. »Aber, da jede Gefahr vorbei ist, kaufen wir uns doch wieder Esel! Ich liebe es, sitzend zu marschieren und kein Glockenspiel an den Sohlen zu haben.«

»Kaufen wir Esel«, sagte Ulenspiegel. »Diese Tiere sind leicht wieder zu verkaufen.«

Sie gingen auf den Markt und kauften dort zwei schöne Esel samt Zaumzeug.

XXXIX

Als sie so dahinritten, kamen sie nach Oostkamp, wo sich ein großer Wald befindet, der bis an den Kanal reicht. Um den Schatten aufzusuchen, traten sie in den Wald ein, sahen aber nichts als die langen Alleen, die nach Brügge, Gent, Süd- und Nordflandern führen.

Plötzlich sprang Ulenspiegel von seinem Esel. »Siehst du nichts dort unten?« Lamme sagte: »Ja, ich sehe«, und zitternd fuhr er fort: »Meine Frau, meine gute Frau, das ist sie, mein Sohn! Ach! Ich werde nicht zu ihr gehen können. Daß ich sie so wiederfinde!« »Worüber klagst du?« sagte Ulenspiegel, »sie ist schön, so halbnackt in diesem Mieder von ausgeschnittenem Musselin, das ist nicht deine Frau.« »Mein Sohn«, sagte Lamme, »sie ist es, ich erkenne sie. Trage mich, ich kann nicht mehr gehen. Wer hätte das von ihr gedacht! So ohne Scham, als Zigeunerin gekleidet, zu tanzen! Ja, sie ist es, sieh ihre schlanken Beine, ihre bis zur Schulter nackten Arme und ihre goldenen runden Brüste, die halb aus dem Musselinmieder hervorquellen. Sieh, wie sie diesen großen Hund, der hinter ihr herspringt, mit einem roten Tuch reizt.« »Das ist ein Zigeunerhund«, sagte Ulenspiegel, »in den Niederlanden gibt es diese Rasse nicht.« »Zigeuner . . . ich weiß nicht . . . aber sie ist es. Ach, mein Sohn, siehst du sie? Sie streift ihre Hosen höher, um mehr von ihren runden Beinen sehen zu lassen. Sie lacht, um ihre weißen Zähne zu zeigen und den Klang ihrer süßen Stimme hören zu lassen. Sie öffnet ihr Mieder und lehnt sich zurück. – Ach, dieser liebliche Schwanenhals, diese nackten Schultern, diese leuchtenden Augen! Ich laufe zu ihr!«

Und er sprang von seinem Esel. Aber Ulenspiegel hielt ihn zurück und sagte: »Dieses Mädchen ist nicht deine Frau. Wir sind in der Nähe eines Zigeunerlagers. Gib acht, siehst du den Rauch hinter den Bäumen, hörst du das Gebell der Hunde? Da sind einige, die uns bemerkt haben und uns vielleicht beißen wollen. Es ist besser, wir verbergen uns im Gestrüpp.« »Ich verberge mich nicht«, sagte Lamme, »diese Frau ist meine Frau, eine Flamin wie wir.« »Blinder Narr«, sagte Ulenspiegel. »Blind, nein. Ich sehe sehr wohl, wie sie halbnackt tanzt, lacht und diesen großen Hund reizt. Sie tut, als sähe sie uns nicht. Aber ich versichere dir, daß sie uns sieht. Thyl! Thyl! Jetzt stürzt sich der Hund auf sie und wirft sie um, um das rote Tuch zu bekommen. Jetzt fällt sie und stößt einen kläglichen Schrei aus.«

Plötzlich eilte Lamme in großen Sätzen auf sie zu und rief: »Meine Frau, meine Frau! Wo hast du dir weh getan, mein Schätzchen? Warum lachst du so hellauf? Deine Augen sind tückisch.« Er umarmte sie, liebkoste sie und sagte: »Dieses Schönheitsmal, das du unter der linken Brust hattest, ich sehe es nicht. Wo ist es? Du bist nicht meine Frau. Großer Gott im Himmel!« Sie aber hörte nicht auf zu lachen.

Plötzlich rief Ulenspiegel: »Nimm dich in acht, Lamme.« Lamme drehte sich um und sah einen großen Zigeuner mit magerem Kopf und braun wie ein französischer Pfefferkuchen vor sich. Lamme nahm seinen Spieß auf, bereitete sich zur Verteidigung und rief: »Zu Hilfe, Ulenspiegel!« Ulenspiegel war mit seinem guten Degen zur Stelle.

Der Zigeuner sagte auf deutsch zu ihm: »Gib mir Geld, einen Reichstaler oder zehn.« »Sieh, das Mädchen geht, hellauf lachend, weiter«, sagte Ulenspiegel, »und dreht sich ohne Unterlaß um, damit man ihr folge.« »Gib mir Geld«, sagte der Mann, »bezahle deine Liebesabenteuer. Wir sind arm und wollen nichts Schlimmes.« Lamme gab ihm einen Karlsgulden.

»Welchen Beruf hast du?« fragte Ulenspiegel. »Jeden«, sagte der Zigeuner, »wir sind Meister in allen Künsten der Fingerfertigkeit und machen wunderbare und zauberische Kunststücke, wir spielen Tamburin und tanzen die ungarischen Tänze. Es ist mehr als einer unter uns, der Käfige macht und Bratenroste, um die schönsten Gerichte zu braten. Aber alle, Flamen und Wallonen, haben Angst vor uns und verjagen uns. Wir können von unserem Verdienst nicht leben, wir fristen unser Dasein von Gemüse, Fleisch und Geflügel, das wir den Bauern wegnehmen müssen, weil sie es uns weder verkaufen noch schenken wollen.« Lamme sagte zu ihm. »Woher kommt dieses Mädchen, das so sehr meiner Frau gleicht?« »Es ist die Tochter unseres Anführers«, sagte der dunkelhäutige Mann. Dann fuhr er ganz leise, wie einer, der sich fürchtet, fort: »Sie ist von Gott mit Liebestollheit geschlagen und kennt keine weibliche Scham. Sobald sie einen Mann sieht, kommt Lustigkeit und Tollheit über sie, und sie lacht, ohne aufzuhören. Sie spricht wenig, so daß man sie lange Zeit für stumm hielt. In der Nacht bleibt sie bekümmert vor dem Feuer sitzen, weint oder lacht ohne Grund und zeigt ihren Bauch, der sie, wie sie sagt, schmerzt. Im Sommer, zur Mittagsstunde nach dem Essen, ist sie am tollsten. Dann tanzt sie fast nackt vor dem Lager. Sie will nur Kleider aus Tüll oder Musselin tragen, und im Winter können wir sie nur schwer bewegen, sich mit einem Mantel aus Ziegenleder zu bekleiden.« »Hat sie denn aber nicht irgendeinen Freund, der sie verhindert, sich so jedem hinzugeben, der des Weges kommt?« »Sie hat keinen«, sagte der Mann, »denn die Reisenden haben, wenn sie sich ihr nähern und ihre toll funkelnden Augen sehen, mehr Angst vor ihr als Liebe für sie. Dieser dicke Mann war kühn«, sagte er, indem er auf Lamme zeigte.

»Laß ihn reden«, erwiderte Ulenspiegel, »er ist der Stockfisch, der schlecht vom Walfisch redet. Wer von euch beiden gäbe mehr Tran?« »Du hast heute morgen eine boshafte Zunge«, sagte Lamme. Aber Ulenspiegel hörte ihn nicht an und sagte zu dem Zigeuner. »Was tut sie, wenn andere ebenso kühn sind wie mein Freund Lamme?« Der Zigeuner antwortete traurig: »Dann hat sie Vergnügen und Verdienst. Die sie besitzen, bezahlen ihre Freuden, und das Geld dient ihr dazu, sich zu kleiden und auch den Bedürfnissen der Greise und Frauen nachzukommen.« »Gehorcht sie niemand?« fragte Lamme. Der Zigeuner antwortete: »Die Gott geschlagen hat, lassen wir tun, was sie wollen. Er bekundet so seinen Willen, und der ist uns Gesetz.«

Ulenspiegel und Lamme gingen fort, und der Zigeuner kehrte ernst und würdevoll in sein Lager zurück. Doch das Mädchen tanzte mit schallendem Gelächter auf der Lichtung.

XL

Auf dem Weg nach Brügge sagte Ulenspiegel zu Lamme: »Wir haben eine große Summe Geldes für die Anwerbung von Söldnern, für die Löhnung der Häscher, für das Geschenk an den Zigeuner und für unzählige oelie-koekjes ausgegeben, die du aufzuessen beliebtest, ohne einen einzigen zu verkaufen. Nun denn, ungeachtet der Bedürfnisse deines Bauches ist es an der Zeit, ein nüchternes Leben zu führen. Gib mir dein Geld, ich werde die gemeinsame Börse bewahren.« »Ich bin es zufrieden«, sagte Lamme und gab ihm seine Börse. »Lasse mich aber nicht Hungers sterben«, sagte er, »bedenke nämlich, daß ich, dick und stark wie ich bin, einer gehaltvollen und reichlichen Nahrung bedarf. Für dich, der du mager und schmächtig bist, ist es gut, zu leben, wie der Tag es bringt, und zu essen oder nicht zu essen wie die Kaibohlen, die von Luft und Regen leben. Ich aber, den die Luft aushöhlt, und den der Regen hungrig macht, ich brauche andere Mahlzeiten.« »Du wirst sie haben«, sagte Ulenspiegel, »tugendhafte Fasttagsnahrung. Die bestgefüllten Wänste sind am wenigsten widerstandsfähig, der schwerste Mensch wird leicht, wenn er so nach und nach abnimmt. Und bald wird man dich, deines Fettes entledigt, laufen sehen wie einen Hirsch, Lamme, mein Liebling.« »Ach«, sagte Lamme, »welch übles Los steht mir bevor! Ich habe Hunger, mein Sohn, und wünsche mir ein Abendessen.« Der Abend brach herein, als sie Brügge durch das Genter Tor betraten. Sie zeigten ihre Pässe, und nachdem sie einen halben Sol für sich und zwei für die Esel bezahlt hatten, betraten sie die Stadt. Lamme dachte tief bekümmert an Ulenspiegels Worte und sagte:

»Werden wir bald essen?«

»Ja«, antwortete Ulenspiegel.

Sie stiegen im Gasthof »In de Meermin« – Zur Sirene –, auf deren Giebel eine goldene Wetterfahne angebracht war, ab. Ulenspiegel bestellte für sein und Lammes Nachtmahl Brot, Bier und Käse. Der Wirt lächelte, als er diese magere Mahlzeit auftrug. Lamme aß mit betrübter Miene und sah Ulenspiegel verzweiflungsvoll an, dessen Kiefer sich mit dem zu alten Brot und dem zu jungen Käse beschäftigten, als ob es Fettammern gewesen wären. Lamme trank sein kleines Glas Bier ohne Freude, und Ulenspiegel lachte, als er ihn so betrübt sah. Aber es war noch eine andere Person da, die lachte, und zwar im Hof der Herberge, und die ihr Frätzchen mehrere Male an den Fensterscheiben zeigte. Ulenspiegel sah, daß es eine Frau war, die ihr Gesicht verbarg, und er nahm an, daß es irgendeine schelmische Magd sei. Er dachte nicht mehr an sie und sah Lamme an, dessen Liebe zum guten Essen so arg gestört war, daß er blaß, traurig und zitternd dasaß. Er empfand Mitleid mit ihm und wollte eben für seinen Kameraden einen Eierkuchen mit Würstchen, eine Schüssel Rindfleisch mit Bohnen oder irgendwelche anderen Gerichte bestellen, als der Wirt eintrat, seine Mütze lüftete und sagte: »Wenn die Herren Reisenden ein besseres Souper wünschen, so mögen sie nur sagen, was sie begehren.« Lamme riß die Augen weit auf, den Mund noch weiter und sah Ulenspiegel mit angstvoller Unruhe an. Dieser antwortete: »Wandernde Handwerker sind nicht reich.« »Dennoch kann es geschehen, daß sie nicht wissen, was sie besitzen«, sagte der Wirt. »Dieses gute Vollmondsgesicht« – er zeigte auf Lamme – »ist soviel wert wie zwei andre. Was beliebt den Herren zu essen und zu trinken? Einen Eierkuchen, fetten Schinken, choesels, frisch gemacht, Kastanien, einen Kapaun, der unter den Zähnen schmilzt, einen schönen, gerösteten Kornbraten in einer Soße mit vier Gewürzen, Antwerpener Dobbelkuyt, Brügger Dobbelkuyt und Wein von Löwen, auf Burgunder Art bereitet? Und alles, ohne zu zahlen.« »Bringet alles herbei«, sagte Lamme.

Die Tafel war bald gedeckt, und Ulenspiegel hatte seine Freude daran, zu sehen, wie sich der arme Lamme, hungriger als jemals, über die Omelette, die choesels, den Kapaun, den Schinken und die Karbonaden hermachte und den Dobbelkuyt und den nach Burgunder Art bereiteten Wein literweise in die Kehle goß.

Als er nicht mehr essen konnte, schnaufte er vor Behagen wie ein Wal und blickte rund um den Tisch, ob sich nicht etwas fände, was er zwischen die Zähne stecken könnte. Ulenspiegel hatte das hübsche Frätzchen nicht gesehen, das sich im Hof zeigte und verschwand. Zur Feierabendstunde fragte der Wirt, ob jeder der Herren sich in sein schönes großes Zimmer hinauf begeben wolle. Ulenspiegel antwortete, daß ein kleines ihnen beiden genüge, doch der Wirt entgegnete: »Ich habe keines, ihr werdet jeder ein Herrenzimmer haben, das ihr nicht zu bezahlen braucht.« Und in der Tat führte er sie in mit reichen Möbeln und Tapeten geschmückte Zimmer. In dem Lammes stand ein großes Bett. Ulenspiegel, der wacker getrunken hatte und vor Schläfrigkeit umfiel, legte sich nieder, und Lamme tat ebenso.

Am nächsten Tag trat er in Lammes Zimmer und fand ihn schlafend und schnarchend. An seiner Seite lag ein lieblicher Beutel voll Geld, er öffnete ihn und sah, daß goldene Karlsgulden und silberne Patards darin waren. Er schüttelte Lamme, um ihn aufzuwecken, der erwachte auch, rieb sich die Augen, sah um sich und sagte beunruhigt: »Meine Frau! Wo ist meine Frau?« Und auf den leeren Platz an seiner Seite zeigend, fuhr er fort: »Bis vor kurzem war sie noch da.« Dann sprang er aus dem Bett, suchte neuerlich im ganzen Zimmer, durchstöberte alle Ecken und Winkel, den Alkoven und die Schränke und sagte, mit den Füßen stampfend: »Meine Frau! Wo ist meine Frau?«

Auf den Lärm hin kam der Wirt herauf, Lamme packte ihn an der Gurgel und sagte zu ihm: »Taugenichts, wo ist meine Frau? Was hast du mit meiner Frau gemacht?« Der Wirt sagte: »Ungestümer Wanderer – deine Frau? Welche Frau? Du bist allein gekommen, ich weiß von nichts.« »Ha! Er weiß nichts«, sagte Lamme, »ach! sie war diese Nacht hier, in meinem Bett, wie zu Zeiten unserer schönen Liebe. Ja. – Wo bist du, Schätzchen?« Und indem er die Börse an die Erde warf, sagte er: »Nicht dein Geld brauche ich, sondern deinen süßen Leib und dein gutes Herz, o Geliebte! – O himmlische Freuden, ihr seid mir verloren! Ich hatte mich daran gewöhnt, dich nicht mehr zu sehen, ohne Liebe zu leben, mein süßer Schatz! Und nun, nachdem du zurückgekehrt bist, verläßt du mich wieder! Ach, ich will sterben! Wo ist meine Frau?« Er warf sich zu Boden, und seine heißen Tränen netzten die Diele. Dann sprang er auf, öffnete die Tür, lief im Hemd durch die ganze Herberge und über die Straße und rief: »Meine Frau! Wo ist meine Frau?« Aber er kam bald zurück, denn die Gassenjungen höhnten ihn und bewarfen ihn mit Steinen.

Ulenspiegel zwang ihn, sich anzukleiden, und sagte: »Sei nicht verzweifelt, du wirst sie wiedersehen, da du sie schon gesehen hast. Sie liebt dich noch, denn sie ist zu dir zurückgekommen, und ohne Zweifel ist sie es, die uns das Abendessen und die Herrenzimmer bezahlt hat, und die dir die volle Geldkatze ins Bett gelegt hat! Die Asche sagt mir, daß das nicht das Tun einer ungetreuen Frau ist. Weine nicht mehr und laß uns weitermarschieren zur Verteidigung des Landes unserer Väter.«

»Bleiben wir noch in Brügge«, sagte Lamme, »ich will durch die ganze Stadt laufen, um sie wiederzufinden.«

»Du wirst sie nicht wiederfinden, denn sie verbirgt sich vor dir«, sagte Ulenspiegel.

Lamme verlangte vom Baes Erklärungen, doch der wollte nichts sagen. Da holten sie ihre Esel aus dem Stall und ritten in der Richtung nach Damme davon.

Unterwegs sagte Ulenspiegel zu Lamme:

»Warum sagst du mir nicht, wie du sie nachts neben dir gefunden hast, und wie sie dich verlassen hat?«

»Mein Sohn«, antwortete Lamme, »du weißt, daß wir uns an Fleisch, Bier und Wein gütlich getan hatten, und daß mir das Atmen schwerfiel, als wir aufstanden, um schlafen zu gehen. Um mir das Zimmer zu erleuchten, wie ein großer Herr, nahm ich eine Wachskerze und stellte den Leuchter auf die Truhe. Die Tür, neben der die Truhe stand, war halb offen geblieben. Während ich mich entkleidete, sah ich mein Bett liebevoll und mit Sehnsucht an. Plötzlich erlosch die Kerze. Ich hörte etwas wie Atemzüge und das Geräusch leichter Schritte in meinem Zimmer; da ich aber mehr schläfrig als furchtsam war, legte ich mich geruhig nieder. Eben da ich schlafen will, sagte eine Stimme, ihre Stimme – oh, meine Frau, meine arme Frau! – da sagte sie: ›Hast du gut gegessen, Lamme?‹ Und ihre Stimme war neben mir, und ihr Gesicht auch und ihr süßer Leib.«

XLI

An diesem Tage hatte König Philipp zuviel Backwerk gegessen und war noch trübseliger als gewöhnlich. Er hatte auf seinem lebenden Klavier gespielt, das aus einem Kasten bestand, in den lebendige Katzen eingeschlossen waren, deren Köpfe durch runde Löcher über den Tasten herausragten. Jedesmal, wenn nun der König eine Taste anschlug, bohrte diese einen Stachel in den Körper der Katze, die vor Schmerz schrie und miaute. Aber Philipp lachte nicht. Ohne Unterlaß sann er darüber nach, wie er Elisabeth, die große Königin, überwinden und Maria Stuart auf den Thron Englands bringen könnte. Er hatte diesbezüglich an den darbenden und von Schulden bedrückten Papst geschrieben, der geantwortet hatte, daß er willens sei, für dieses Unternehmen die heiligen Gefäße der Kirche und sonstigen Schätze des Vatikans zu verkaufen. Aber Philipp lachte nicht.

Ridolfi, der Günstling der Königin Maria, der hoffte, sie zu heiraten und König von England zu werden, wenn sie frei würde, kam König Philipp zu besuchen und verabredete mit ihm die Ermordung der Elisabeth. Aber er war ein solches »Schwatzmaul« – wie der König schrieb –, daß man an der Börse in Antwerpen ganz laut von seinem Vorhaben sprach, und der Mord wurde nicht begangen. König Philipp lachte nicht.

So durchkreuzte Gott die aberwitzigen Pläne dieses Vampyrs, der Maria Stuart den Sohn rauben wollte, um an seiner Stelle mit dem Papst über England zu regieren. Es war dem Mörder eine Pein, dieses edle Land so groß und mächtig zu sehen. Er wendete seine fahlen Augen nicht ab von ihm und sann darüber nach, wie er es vernichten könnte, um dann die ganze Welt zu beherrschen, die Reformierten auszutilgen, die Reichen unter ihnen insbesondere, und die Güter der Opfer zu erben.

Aber er lachte nicht.

Später schickte der Blutherzog auf Befehl des Königs zwei Paare Meuchelmörder nach England. Sie erreichten nur, daß man sie henkte. Und Philipp lachte nicht.

Man brachte ihm Mäuse und Maulwürfe in einer eisernen Schachtel mit hohen Wänden, die auf einer Seite offen war, er stellte die Schachtel über ein loderndes Feuer und hatte seine Freude daran, zu sehen, wie die armen Tierchen sprangen, schrien und starben. Aber er lachte nicht.

Dann eilte er, bleich und mit zitternden Händen, in die Arme der Madame Eboli und löschte das Feuer seiner Lust, das er mit der Fackel der Grausamkeit entzündet hatte. Aber er lachte nicht.

Und Madame Eboli gewährte sich ihm aus Angst, nicht aus Liebe.

XLII

Die Luft war heiß: kein Windhauch kam vom ruhenden Meer. Die Zweige der Bäume am Kanal von Damme rührten sich kaum, und die Grillen auf den Wiesen zirpten nicht, während die Männer der Kirche und der Abteien kamen, um das Dreizehntel der Ernte für die Pfarrer und Äbte zu holen. Von dem blauen, tiefen Himmel sandte die Sonne ihre Strahlen auf die schlafende Natur herab, wie auf ein schönes, nacktes Mädchen, das, ermattet von den Zärtlichkeiten des Geliebten, ausruht. Die Karpfen schnellten sich aus dem Wasser des Kanals, um nach den Fliegen zu haschen, die in der Luft summten, während die schlanken Schwalben mit den langen Flügeln ihnen die Beute streitig machten. Ein warmer, im Sonnenlicht flimmernder Dunstschleier stieg vom Boden auf.

Der Küster von Damme kündigte von der Höhe seines Turmes durch zwölf Schläge der geborstenen Glocke, die wie ein Kochtopf klang, den Mittag an, das Zeichen für die Erntearbeiter, daß es Zeit zum Essen sei. Die Frauen hielten ihre Hände als Trichter vor den Mund und riefen die Namen ihrer Männer, Brüder oder Knechte: Hans, Pieter, Joos. Und ihre roten Kopftücher leuchteten über den Zäunen.

In der Ferne erhob sich vor Lammes und Ulenspiegels Augen hoch, viereckig und schwer der Turm der Kirche Unserer Lieben Frau in Damme. Lamme sagte: »Da sind sie, mein Sohn, deine Schmerzen und dein Liebesglück!« Aber Ulenspiegel antwortete nicht. »Bald werde ich mein altes Heim, vielleicht auch meine Frau sehen«, sagte Lamme. Aber Ulenspiegel antwortete nicht. »Du hölzerner Mensch«, sagte Lamme, »du Steinherz, kann dich denn gar nichts rühren? Weder die Nähe der Orte, an denen du deine Kindheit verbracht hast, noch die Schatten des armen Claes und der armen Soetkin, der beiden Märtyrer? – Du bist weder traurig noch fröhlich, was hat dein Herz so unfruchtbar gemacht? Sieh mich, ängstlich und mit vor Ruhelosigkeit wackelndem Wanste, sieh mich . . .«

Lamme sah Ulenspiegel an und merkte, daß er bleich, mit gesenktem Kopf und zitternden Lippen, weinend dahinging, ohne ein Wort zu sagen. Und er schwieg. So gingen sie wortlos bis Damme, das sie durch die Rue d'Héron betraten, in der wegen der Hitze niemand zu sehen war. Lamme und Ulenspiegel kamen am Gemeindehaus vorbei, vor dem Claes verbrannt worden war. Ulenspiegels Lippen bebten noch mehr, und seine Tränen versiegten.

Sie kamen vor Claesens Haus, das von einem Kohlenhändler bewohnt war, zu dem Ulenspiegel, als er eintrat, sagte: »Erkennst du mich? Ich möchte hier Rast machen.« Der Kohlenhändler antwortete: »Ich erkenne dich, du bist der Sohn des Hingeopferten. Geh in diesem Hause, wohin du willst.« Ulenspiegel ging in die Küche und dann in das Zimmer von Claes und Soetkin, dort weinte er.

Als er wieder hinabkam, sagte der Kohlenhändler zu ihm: »Hier ist Brot, Käse und Bier, wenn du Hunger hast, iß, wenn du Durst hast, trink.« Ulenspiegel bedeutete durch einen Wink, daß er weder Hunger noch Durst habe.

Dann machte er sich wieder mit Lamme auf den Weg, der auf seinem Esel ritt, während Ulenspiegel den seinen am Halfter führte.

Es war eben Essensstunde, auf dem Tisch standen Prinzeßschoten mit großen, weißen Bohnen gemischt. Katheline aß, Nele stand neben ihr und leerte eben eine Soße von Weinessig, die sie vom Feuer geholt hatte, in Kathelines Teller. Als Ulenspiegel eintrat, geriet sie dermaßen außer sich, daß sie den Topf und die ganze Soße in Kathelines Teller fallen ließ, die den Kopf schüttelte und die Bohnen, die rund um den Topf verschüttet waren, mit dem Löffel auflas, sie schlug sich auf die Stirn und sagte in ihrer Narrheit: »Nehmt das Feuer weg, der Kopf brennt!« Der Geruch des Weinessigs machte Lamme Hunger.

Ulenspiegel blieb stehen und sah Nele an, und in seiner großen Traurigkeit machte ihn die Liebe lächeln. Nele warf sich ihm, ohne ein Wort zu sprechen, an den Hals. Auch sie schien ganz närrisch zu sein, sie weinte, lachte und errötete ob der großen Freude und sagte nur: »Thyl! Thyl!« Ulenspiegel war glückselig und sah sie nur immer an. Nun ließ sie von ihm ab, entfernte sich ein wenig von ihm, betrachtete ihn fröhlich, sprang von neuem auf ihn zu und warf sich ihm an den Hals, und so ging's mehrere Male. Überglücklich, hielt er sie fest und konnte sich nicht von ihr trennen, bis sie müde und wie von Sinnen auf einen Stuhl fiel, ohne Scham sagte sie: »Thyl! Thyl! Mein Geliebter, nun bist du also zurückgekehrt!«

Lamme stand an der Tür, als Nele ihre Fassung wiedergewonnen hatte, sagte sie, während sie auf ihn zeigte: »Wo habe ich doch diesen dicken Mann gesehen?« »Das ist mein Freund«, sagte Ulenspiegel, »er sucht in meiner Gesellschaft seine Frau!« »Ich kenne dich«, sagte Nele zu Lamme, »du wohntest in der Rue d'Héron, Du suchst deine Frau? – Ich habe sie in Brügge gesehen, wo sie in aller Frömmigkeit und Gottergebenheit lebt. Als ich sie fragte, warum sie ihren Mann so grausam verlassen habe, antwortete sie: ›Das war der heilige Wille Gottes im Befehl zur heiligen Buße, ich darf hinfort nicht mehr mit ihm leben.‹« Lamme ward ob dieser Mitteilung traurig und versenkte sich in den Anblick der Bohnen mit Weinessig.

Die Lerchen stiegen singend in den Himmel, und die mittagsmüde Natur ließ sich von der Sonne liebkosen. Und Katheline las mit ihrem Löffel die weißen Bohnen, die grünen Schoten und die Soße auf, die um den Topf verschüttet waren.

XLIII

Zu dieser Zeit ging ein Mädchen von fünfzehn Jahren allein am hellichten Tage von Heyst durch die Dünen nach Knokke. Niemand fürchtete für sie, denn man wußte, daß die Werwölfe und die bösen Seelen der Verdammten nur des Nachts beißen. Sie trug in einem Beutelchen achtundvierzig Silbersols – das sind vier Gulden –, die ihre Mutter, Toria Pieterson, die in Heyst wohnte, ihrem Onkel Jan Rapen in Knokke für einen abgeschlossenen Handel schuldete. Das Mädchen, Betkin mit Namen, hatte seinen schönsten Putz angelegt und war fröhlich fortgegangen.

Als es am Abend noch nicht zurückgekehrt war, wurde die Mutter unruhig. Doch nahm sie an, daß Betkin bei ihrem Onkel schlafen würde und beruhigte sich wieder. Am nächsten Tage kamen Fischer mit ihrem Schiff voll Beute heim, zogen ihr Schiff an den Strand, luden ihre Fische aus und taten sie in den Karren, in denen sie sie auf dem Markt von Heyst verkaufen wollten. Sie stiegen den mit Muschelschalen übersäten Weg hinan und fanden in der Düne ein nacktes Mädchen liegen, das über und über mit Blut bedeckt war. Sie beugten sich zu dem Körper herab und sahen, daß sein armer Hals gebrochen war und die Spuren von langen und spitzigen Zähnen zeigte. Sie lag auf dem Rücken, und ihre geöffneten Augen schienen in den Himmel zu sehen, der Mund stand offen vom Todesschrei.

Sie bedeckten die Leiche mit einem Mantel und trugen sie nach Heyst ins Gemeindehaus. Alsobald versammelten sich die Schöffen, und der Bader erklärte, daß die Zähne, die diesen Biß getan hatten, nicht einem Wolf, wie die Natur ihn zeugt, angehörten, sondern einem wilden, höllischen Werwolf und daß man Gott bitten müsse, Flandern von ihm zu befreien. Und in der ganzen Grafschaft, besonders aber in Damme, Heyst und Knokke, wurden Gebete vorgeschrieben, und das Volk kam seufzend in die Kirchen. In der von Heyst, wo die Leiche des Mädchens aufgebahrt war, weinten Männer und Frauen, als sie den blutigen, zerrissenen Hals sahen. Auch die Mutter war in der Kirche und sagte: »Ich will den Werwolf aufsuchen und ihn mit meinen Zähnen totbeißen.« Die Frauen ermunterten sie weinend, das zu tun, doch einige sagten: »Du wirst nicht wiederkommen!«

Und sie ging, von ihrem Mann und ihren zwei wohlbewaffneten Brüdern begleitet, in die Dünen, um den Wolf zu suchen, aber sie fand ihn nicht. Ihr Mann führte sie ins Haus zurück, denn sie hatte durch die Nachtkühle Fieber bekommen. Und die Brüder wachten bei ihr und flickten die Netze für den bevorstehenden Fang.

Der Vogt von Damme sagte sich, daß der Werwolf ein Tier ist, das von Blut lebt, aber nicht die Leichen plündert; es müßten also vagierende Lumpen, die in den Dünen ihr Unwesen trieben, seiner Spur gefolgt sein. Er ließ nun durch den Stadtherold verkünden, daß alle Einwohner, gut bewaffnet und mit Knütteln versehen, jeden Bettler und Vagabunden anhalten und untersuchen sollten, ob er in seinem Schnappsack nicht goldene Karlsgulden oder Kleidungsstücke der Opfer habe. Die kräftigen Landstreicher sollten auf die Galeeren des Königs geschickt werden, die alten und schwachen aber sollte man laufen lassen.

Ulenspiegel ging zum Vogt und sagte zu ihm: »Ich will den Werwolf töten.« »Traust du dir das zu?« fragte der Vogt. »Die Asche schlägt über meiner Brust«, antwortete Ulenspiegel, »gib mir die Erlaubnis, in der Gemeindeschmiede zu arbeiten.« »Die kannst du haben«, sagte der Vogt.

Ulenspiegel ließ keinem Mann und keiner Frau in Damme ein Wort über sein Vorhaben laut werden, ging in die Schmiede und baute da eine treffliche, große Falle für wilde Tiere.

Der nächste Tag war ein Samstag – der vom Werwolf bevorzugte Tag –, und Ulenspiegel machte sich auf den Weg nach Heyst, er trug einen Brief des Vogts an den Pfarrer von Heyst bei sich, hatte die Falle unter dem Mantel verborgen und war mit einer guten Armbrust und einem scharfen Messer bewaffnet. In Damme sagte er, daß er Möwen schießen gehen wollte, um aus ihren Daunen ein Kissen für die Frau Vögtin zu machen.

Nach Heyst unterwegs, ging er an der Küste entlang und hörte die großen, auf und nieder brausenden Wogen heulen und donnergleich rollen, der Wind kam von England her und pfiff im Tauwerk der gestrandeten Schiffe. Ein Fischer redete ihn also an: »Dieser böse Wind ist unser Verderbnis, nachts war das Meer ruhig, und nach Sonnenaufgang zeigte es sich plötzlich wild. Wir können nicht zum Fischen ausfahren.« Ulenspiegel war froh, solcherart Helfer bei der Hand zu haben, wenn er sie nachts brauchen sollte.

In Heyst angelangt, ging er zum Pfarrer und gab ihm den Brief des Vogts. Der Pfarrer sagte: »Du bist tapfer, aber wisse dennoch, daß niemand Samstags abends allein in die Dünen geht, der nicht totgebissen im Sand liegenbleiben will. Die Dammarbeiter und andere gehen nur in Trupps dahin. Der Abend naht, hörst du den Werwolf in seiner Dünenniederung heulen? Wird er wieder, wie in der letzten Nacht, auf den Friedhof kommen und bis zum Morgengrauen heulen? Gott sei mit dir, mein Sohn, aber ich rate dir, geh nicht hin!« Und der Pfarrer bekreuzigte sich.

»Die Asche schlägt an meinem Herzen«, sagte Ulenspiegel. Der Pfarrer sagte: »Wenn du so tapfren Willens bist, so werde ich dir helfen. Wenn du noch nicht weißt, auf welchem Wege du dich postieren sollst, so halte dich auf dem, der nach dem Friedhof führt, er zieht sich zwischen zwei Ginsterhecken hin. Zwei Männer können dort nicht nebeneinander gehen.« »Ich werde mich dort hinstellen«, antwortete Ulenspiegel, »und Ihr, tapferer Herr Pfarrer, Schirmherr der Befreiung, ordnet an, daß die Mutter des Mädchens, ihr Gatte und seine Brüder, alle gut bewaffnet, sich vor dem Vesperläuten in der Kirche einfinden. Wenn Ihr mich wie die Möwen pfeifen hört, so heißt das, daß ich den Wolf gesichtet habe. Dann müßt Ihr die Glocke Sturm läuten lassen und mir zu Hilfe kommen. Und wenn noch etliche tapfere Männer da wären . . .?« »Es sind keine da, mein Sohn«, antwortete der Pfarrer, »die Fischer fürchten den Werwolf mehr als Pest und Tod. Geh nicht hin!« Ulenspiegel sagte: »Die Asche schlägt an meinem Herzen.«

Nun sagte der Pfarrer: »Es wird alles geschehen, wie du willst, sei gesegnet. Hast du Hunger oder Durst?« »Beides«, antwortete Ulenspiegel. Der Pfarrer gab ihm Bier, Brot und Käse. Ulenspiegel aß und trank, dann machte er sich auf den Weg.

Während er dahinwanderte, hob er die Augen und sah neben Gottes Thron seinen Vater in der Glorie im Himmel, an dem der Mond erglänzte; und er erblickte seine Mutter in den Wolken und hörte den brausenden Wind von England her pfeifen. »Ach!« sagte er, »ihr schwarzen Wolken, die ihr so eilig dahinziehet, folget wie Rachegötter den Spuren des Mordes! Tosendes Meer, Himmel, so schwarz wie der Höllenschlund, Wogen mit feurigem Schaum auf dem dunklen Wasser, die ihr auf euren Kämmen das Heer der Feuertiere tanzen laßt, die Stiere, Widder, Pferde und Schlangen, die sich über euch hinwenden oder in die Lüfte aufsteigen, schwarzes, Funkenregen speiendes Meer, Himmel, schwarz vor Trauer, helft mir alle, den Werwolf zu besiegen, den grausen Mädchenmörder! Und du, Wind, der du so kläglich im Gestrüpp der Dünen und im Tauwerk der Schiffe heulst, du bist die Stimme der Opfer, die zu Gott flehen, daß er mir bei diesem Unternehmen seine Hilfe leihe.«

Er stieg in die Niederung hinab und wankte, als hätte er ein Trinkgelage hinter sich, oder als quälte ihn ein Magenübel von genossenem Kohl. Er sang mit Schlucken und abgerissenen Tönen, spie aus, hielt an, ließ aber die Augen in der Runde schweifen, als er plötzlich ein schneidendes Geheul hörte, er blieb stehen, erbrach wie ein Hund und sah im schimmernden Mondlicht die Gestalt eines Wolfes dem Friedhof zueilen. Das Zittern befiel ihn von neuem, und er betrat den Weg, der sich zwischen den Ginsterhecken hinzieht. Dort bückte er sich, als ob er stürze, und stellte die Falle auf der Seite auf, von der der Wolf kommen mußte, er lud seine Armbrust, stellte sich in einer Entfernung von zehn Schritten von der Falle auf, nahm die Haltung eines Betrunkenen an und ahmte immerwährend das Schlottern, Spucken und Speien eines solchen nach, während er seinen Geist wie einen Bogen spannte und Augen und Ohren weit öffnete.

Er sah nichts als schwarze Wolken, die am Himmel dahinrasten, und eine schwarze Gestalt von breiter, dicker und gedrungener Form, die auf ihn zukam, er hörte nichts außer dem kläglich heulenden Wind, dem donnergleich brausenden Meer und dem Geräusch der Muschelschalen, die unter einem schweren und wuchtigen Schritt zersplitterten. Er tat, als wollte er sich setzen, ließ sich schwerfällig wie ein Betrunkener auf den Weg fallen und erbrach. Dann hörte er zwei Schritte entfernt ein Eisen klirren, darauf folgte das Geräusch der zuklappenden Falle und der Schrei eines Menschen.

»Der Werwolf hat die Vorderpfoten in der Falle«, rief er, »er windet sich heulend und schüttelt die Falle, er will davonlaufen, aber er entwischt nicht!« Er schoß ihn mit der Armbrust in die Beine und sagte: »Da ist er verwundet, damit er stürze.« Und nun pfiff er wie eine Möwe.

Plötzlich begann die Kirchturmglocke Sturm zu läuten, und die schrille Stimme eines jungen Burschen rief durch das Dorf: »Erwachet, ihr Schläfer, der Werwolf ist gefangen!« »Gott sei gelobt!« sagte Ulenspiegel.

Toria, die Mutter Betkins, ihr Mann Lansaem und ihre Brüder Josse und Michiel kamen als erste mit ihren Laternen und fragten: »Ist er gefangen?« »Ihr findet ihn auf dem Weg«, antwortete Ulenspiegel. »Gott sei gelobt!« sagten sie und bekreuzigten sich. »Wer ruft da?« fragte Ulenspiegel. »Es ist mein Älterer«, sagte Lansaem, »der Jüngere läuft durch das Dorf, klopft an die Türen und ruft es aus, daß der Wolf gefangen ist. Gelobt seist du!« »Die Asche schlägt an meinem Herzen«, sagte Ulenspiegel.

Plötzlich vernahm man die Stimme des Werwolfs, der sagte: »Habe Erbarmen mit mir, Ulenspiegel, Erbarmen!« »Der Wolf spricht«, sagten alle und bekreuzigten sich, »er ist ein Teufel, denn er weiß schon Ulenspiegels Namen.« »Habe Erbarmen, Erbarmen«, sagte die Stimme, »bringe die Glocken zum Schweigen! Sie läutet für die Toten – Erbarmen, ich bin kein Wolf. Meine Handgelenke sind von der Falle durchbohrt, ich blute – habt Erbarmen, ich bin alt! Welch schrille Kinderstimme ist das, die das Dorf aufweckt? Erbarmen!« »Ich hörte dich schon sprechen«, sagte Ulenspiegel in heftiger Erregung, »du bist der Fischhändler, der Mörder Claesens und der Vampyr der armen Mädchen. Männer und Frauen, habt keine Furcht. Es ist der Gildenmeister, der Soetkins Schmerzenstod verschuldet hat.«

Bei diesen Worten legte er ihm die Hand an die Gurgel und zog mit der anderen das Messer. Aber Toria hielt ihn in dieser Bewegung auf und schrie: »Fange ihn lebend«, und sie zerriß ihm das Gesicht mit den Fingernägeln und raufte ihm die weißen Haare büschelweise aus. Dabei heulte sie in düsterer Wildheit auf.

Die Hände ins Eisen geklemmt und sich wegen des brennenden Schmerzes am Boden wälzend, rief der Werwolf: »Erbarmen! Erbarmen! Jagt dieses Weib fort! Ich werde euch zwei Gulden geben – zerschmettert diese Glocken. Wo sind die schreienden Kinder?« »Erhalte ihn lebend«, schrie Toria, »erhalte ihn lebend, damit er alles bezahle! Die Totenglocken läuten dir, Mörder. An kleinem Feuer mit glühenden Zangen! Erhalte ihn lebend, daß er bezahle!«

In der Zwischenzeit hatte Toria ein langarmiges Backeisen vom Wege aufgelesen. Sie betrachtete es beim Schein der Fackeln und sah, daß es zwischen den beiden Eisenplatten tief eingekerbte Rhomben nach brabantischer Art hatte und daß es überdies wie ein eiserner Rachen mit langen, spitzen Zähnen versehen war. Und als sie das Eisen öffnete, glich es dem Rachen eines Windhundes.

Toria faßte nun das Backeisen mit beiden Händen, öffnete und schloß es und ließ das Eisen erklingen, so glich sie in ihrem finsteren Zorn einer Tollen, sie knirschte mit den Zähnen, röchelte wie eine Sterbende und stöhnte in bitterem Rachedurst, sie biß den Gefangenen mit dem Zahneisen an Armen, Beinen und am ganzen Körper, vor allem hatte sie es auf den Hals abgesehen, und jedesmal, wenn sie ihn mit dem Eisen zwickte, rief sie: »So tat er Betkin mit den eisernen Zähnen. Jetzt bezahlt er. Blutest du, Mörder? Gott ist gerecht! Die Totenglocken! Betkin mahnt mich zur Rache, fühlst du die Zähne? Das ist der Rachen der göttlichen Vergeltung!« Und sie zwickte und schlug ihn ohne Unterlaß mit dem Backeisen, aber sie tötete ihn nicht, weil sie sich vollends rächen wollte.

»Übet Barmherzigkeit!« schrie der Fischhändler. »Ulenspiegel, stich zu mit deinem Messer, daß ich eher sterbe! Jagt dieses Weib fort, zerschmettert die Totenglocken, tötet die schreienden Kinder!« Doch Toria zwickte ihn immer weiter, bis ein alter Mann Mitleid für ihn empfand und ihr das Backeisen aus der Hand nahm. Aber Toria zerriß dem Werwolf das Gesicht und raufte ihm die Haare aus. »Du wirst am kleinen Feuer und unter den glühenden Zangen büßen«, schrie sie, »deine Augen sind für meine Nägel!«

Das Gerücht, daß der Werwolf ein Mensch und kein Teufel sei, hatte alle Fischer, Bauern und Weiber von Heyst herbeigelockt. Einige trugen Laternen und brennende Fackeln, und alle riefen: »Raubmörder! Wo verbirgst du das Gold, das du den armen Opfern gestohlen hast? Er muß alles zurückgeben.« »Ich habe nichts, seid barmherzig!« sagte der Fischhändler. Die Frauen bewarfen ihn mit Steinen und Sand. »Er büßt, er büßt!« schrie Toria. »Gnade!« stöhnte er, »ich bin schon ganz überströmt von meinem Blute, Gnade!« »Dein Blut«, sagte Toria, »es wird dir bleiben, daß du damit bezahlen kannst. Legt Balsam auf seine Wunden. Er wird an kleinem Feuer büßen, man wird ihm die Hände mit glühenden Zangen abzwicken. Er wird büßen, er wird büßen!« Und sie wollte ihn schlagen, doch die Sinne schwanden ihr, und sie fiel wie tot auf den Sand, dort ließ man sie liegen, bis sie wieder zu sich kam.

Inzwischen befreite Ulenspiegel den Gefangenen aus der Falle und sah, daß ihm an der rechten Hand drei Finger fehlten. Er ließ ihm enge Fesseln anlegen und ihn in einen Fischkorb stecken. Männer, Frauen und Kinder trugen abwechselnd den Korb und zogen gegen Damme, um Gerechtigkeit zu verlangen. Mit Fackeln und Laternen beleuchteten sie ihren Weg. Und der Fischhändler rief immerwährend: »Zertrümmert die Glocken, tötet die schreienden Kinder!« Toria sagte: »Er wird büßen am kleinen Feuer und unter den glühenden Zangen!«

Dann schwiegen beide, und Ulenspiegel hörte nichts mehr als das dumpfe Schnauben Torias, die schweren Schritte der Männer im Sand und das donnergleiche Brausen des Meeres. Trauer im Herzen, sah er zu den Wolken auf, die über den Himmel rasten, und auf das Meer, über dessen Wogen die feurigen Widder sprangen. Beim Schein der Fackeln und Laternen sah er die grausamen Augen des Fischhändlers auf sich gerichtet. Nach vierstündigem Marsch kamen sie in Damme an, wo sich das Volk, das die Neuigkeit schon erfahren, haufenweise gesammelt hatte. Alle wollten den Fischhändler sehen und folgten dem Trupp der Fischer mit Schreien, Singen und Tanzen. »Der Werwolf ist gefangen, er ist gefangen, der Mörder«, riefen sie, »gesegnet sei Ulenspiegel! Lang lebe unser Bruder Ulenspiegel!« Und all das glich einer Volkserhebung.

Als sie vor dem Haus des Vogtes vorbeikamen, eilte dieser auf den Lärm hin herbei und sagte zu Ulenspiegel: »Du bist Sieger, heil dir!« »Die Asche Claesens schlägt an meinem Herzen«, sagte Ulenspiegel. Und der Vogt fuhr fort: »Der halbe Nachlaß des Mörders wird dein sein.« »Gebt ihn den Opfern«, erwiderte Ulenspiegel.

Lamme und Nele kamen herbei, Nele lachte und weinte vor Freude und küßte ihren Freund Ulenspiegel. Lamme vollführte schwerfällige Luftsprünge, schlug sich auf den Wanst und sagte: »Das ist ein Tapferer, Biederer und Treuer! Das ist mein geliebter Kamerad! Ihr habt nicht seinesgleichen unter euch in den Niederlanden, ihr Leute!«

Aber die Fischer lachten und spotteten über ihn.

Am nächsten Tage rief das Läuten der Glocke »Burgsturm« den Vogt, die Schöffen und die Gerichtsschreiber auf die vier Rasenbänke der Vierschar unter dem Gerichtsbaum, der eine schöne Linde war. Rundherum hatte das gemeine Volk Aufstellung genommen. Beim Verhör wollte der Fischhändler nichts gestehen, selbst dann nicht, als man ihm die drei abgeschnittenen Finger zeigte, die an seiner Rechten fehlten. Er wiederholte immer: »Ich bin arm und alt, übet Barmherzigkeit!«

Aber das Volk heulte: »Du bist ein alter Wolf, ein Kindertöter, habt kein Erbarmen, ihr Herren Richter!« »Sieh uns nicht an mit deinen eisigen Augen«, sagten die Frauen, »du bist ein Mensch und kein Teufel, wir fürchten uns nicht! Grausame Bestie, du bist feiger als eine Katze, die die Vöglein im Nest zerreißt, du tötest die armen Mädchen, die ihr zartes Leben in Tugend verbringen sollten.« »Er büße an kleinem Feuer und unter glühenden Zangen«, rief Toria.

Ungeachtet der Gemeindewächter feuerten die Mütter ihre Knaben dazu an, mit Steinen nach dem Fischhändler zu werfen. Die Knaben kamen dieser Aufforderung mit freudigem Eifer nach, und jedesmal, wenn er sie ansah, riefen sie: »Blutsauger! Schlagt ihn tot!«

Und Toria wiederholte ohne Unterlaß:

»Er büße an kleinem Feuer und unter glühenden Zangen, er büße!«

Und das Volk murrte bedrohlich.

»Seht«, sagten die Frauen zueinander, »wie kalt ihm ist, trotzdem die Sonne scheint und seine weißen Haare und sein von Torias Nägeln zerfetztes Gesicht erwärmt!«

»Er bebt vor Schmerz.«

»Das ist die Gerechtigkeit Gottes.«

»Wie kläglich er dasteht!«

»Seht seine gefesselten Mörderhände, die noch von den Wunden bluten, die ihm die Zähne der Falle beigebracht haben.«

»Er soll büßen, büßen!« schrie Toria.

Der Fischhändler sagte: »Ich bin arm, lasset mich!« Und alle, selbst die Richter, spotteten seiner, als sie das hörten. Er weinte falsche Tränen, um sie zu rühren, aber die Frauen lachten.

Da die Beweise die Folter rechtfertigten, wurde er verurteilt, auf die Bank gebunden zu werden, bis er gestanden haben würde, wie er getötet habe, woher er gekommen sei, und wo er die Kleider und das Geld der Opfer verborgen habe. Als ihm in der Gehennakammer Schuhe aus neuem und allzu engem Leder angezogen wurden, fragte ihn der Vogt, wie ihm Satan diese schwarzen Pläne und abscheulichen Verbrechen eingeflüstert habe.

Er antwortete: »Satan bin ich selbst, und dies Wesen ist mir angeboren. Schon als Kind – ich war häßlich und zu jeder körperlichen Übung untauglich – wurde ich für einen Dummkopf gehalten und oft geschlagen. In meinen Jünglingsjahren wollte kein Mädchen etwas von mir wissen, nicht einmal, wenn ich es bezahlte. So faßte ich einen kalten Haß gegen alles, was vom Weib geboren war. Darum auch habe ich Claes angegeben, den von jedermann geliebten. Einzig das Geld war es, was ich liebte und was mir, weiß oder golden, teuer war, ich brachte Claes in den Tod, um Gewinn und Freude zu finden.

Nachher mußte ich noch mehr als vorher das Leben eines Wolfes führen. Als ich durch Brabant reiste, sah ich dort die gebräuchlichen Waffeleisen und dachte, daß mir eins von diesen Dingern vortrefflich als eiserner Rachen dienen könnte. Oh, daß ich es euch doch an den Hals setzen könnte, ihr wilden Tiger, die ihr euch an den Leiden eines Greises ergötzt! Euch zu beißen würde mich mehr freuen, als der Soldat und das Mädchen mich gefreut haben. Als ich die Kleine da so lieblich auf dem Sand liegen und schlafen sah, das Geldbeutelchen in den Händen haltend, da empfand ich Liebe und Mitleid für sie, da ich mich aber zu alt fühlte, sie zu nehmen, biß ich sie . . .«

Der Vogt fragte ihn, wo er wohne, und er antwortete: »In Ramskapelle, von wo ich nach Blankenberge, Heyst, sogar bis nach Knokke ging. An Sonn- und Kirmestagen machte ich in den Dörfern mit diesem Eisen Waffeln nach Brabanter Art – es ist immer sauber und gut eingefettet, das Eisen. Dieses fremdartige Gebäck fand überall Beifall. Wenn ihr auch noch wissen wollt, wie ich es anstellte, daß mich niemand erkennen konnte, so will ich euch sagen, daß ich mir am Tage das Gesicht schminkte und die Haare rot färbte. Was das Wolfsfell betrifft, auf das ihr mit eurem Finger zeigt, die ihr mich so grausam verhört, so will ich euch sagen, daß es von zwei Wölfen stammt, die ich in den Wäldern von Raveschoot und Maldeghem getötet habe, und deren Felle ich zusammennähte, um mich mit ihnen bedecken zu können. Ich verbarg sie in einer Kassette in den Dünen von Heyst, dort sind auch die von mir gestohlenen Kleider, die ich später, bei günstiger Gelegenheit, verkaufen wollte.« »Nehmt vorn das Feuer weg«, sagte der Vogt, der Henker gehorchte. »Wo ist dein Gold?« fragte der Vogt weiter. »Der König wird es nicht bekommen«, antwortete der Fischhändler. »Brennt ihn aus größerer Nähe mit den Kerzen und schiebt ihn ans Feuer«, sagte der Vogt.

Der Henker folgte, und der Fischhändler schrie: »Ich will nichts sagen. Ich habe schon zuviel gesagt, ihr verbrennt mich ja. Ich bin kein Zauberer, warum setzt ihr mich ans Feuer? Meine Füße bluten vor großer Hitze. Ich werde nichts sagen. Warum jetzt noch näher ans Feuer? Sie bluten, ich sage euch, sie bluten, diese Schuhe sind aus glühendem Eisen. Mein Gold? Oh, mein einziger Freund auf dieser Welt, es ist . . . nehmt mich vom Feuer weg! Es ist in meinem Keller in Ramskapelle in einer Schachtel . . . laßt mich! Gnade und Barmherzigkeit, ihr Herren Richter! Verfluchter Henker, nimm die Kerzen weg . . . Er brennt mich noch mehr! Es ist in einer Schachtel mit doppeltem Boden, in Wolle eingewickelt, damit es nicht klappert, wenn man die Schachtel schüttelt. Jetzt habe ich alles gesagt . . . nehmt mich vom Feuer weg!«

Als er vom Feuer weggenommen wurde, lachte er boshaft. Der Vogt fragte ihn nach dem Grund, und er antwortete: »Aus Freude, erlöst zu sein.« – Der Vogt sagte:

»Hat dich keiner gebeten, dein gezähntes Waffeleisen sehen zu lassen?«

Und der Fischhändler antwortete:

»Es sah aus wie alle andern, von den Löchern abgesehen, in die ich die Eisenzähne einschraubte. Morgens nahm ich sie immer heraus. Die Bauern zogen meine Waffeln denen der andern Kaufleute vor und nannten sie ›Waefels met brabandsche knoopen‹, Waffeln mit brabantschen Knöpfen, weil die Stellen, wo die Nägel eingepaßt waren, auf den Waffeln knopfähnliche Halbkugeln bildeten.«

»Wann pflegtest du die armen Opfer zu beißen?« fragte der Vogt.

»Manchmal am Tage, manchmal in der Nacht. Tagsüber strich ich durch die Dünen und über die großen Landstraßen, ich hatte immer das Waffeleisen bei mir und lag auf der Lauer, insbesondere am Samstag, dem Tag des großen Brügger Marktes. Wenn ich einen Handwerker trübselig dahinschlendern sah, ließ ich ihn laufen, denn ich dachte mir schon, daß in seinem Beutel Ebbe war. Wenn aber einer lustig und guter Dinge daherkam, ging ich neben ihm her und biß ihm in den Hals, wann er sich's am wenigsten versah, dann nahm ich ihm seinen Beutel ab. Aber nicht nur in den Dünen, sondern auf allen Pfaden und Wegen lauerte ich den Wanderern auf.«

»Bereue und bete zu Gott«, sagte der Vogt.

Aber der Fischhändler lästerte: »Es war Gottes Wille, daß ich so wurde, wie ich bin, ich habe alles gegen meinen Willen getan, meine Veranlagung hat mich dazu getrieben, wisset das, ihr bösen Tiger, die ihr mich ungerecht bestraft! Aber verbrennt mich nicht . . .! Ich habe alles gegen meinen Willen getan. Habt Erbarmen, ich bin arm und alt, ich werde an meinen Wunden sterben, verbrennt mich nicht!«

Nun wurde er in die Vierschar unter der Linde geführt, um dort vor dem ganzen versammelten Volk sein Urteil zu hören. Als grausamer Mörder, Dieb und Lästerer wurde er verurteilt, vor dem Wall des Gemeindehauses an kleinem Feuer bis zum Eintritt des Todes verbrannt zu werden, nachdem man ihm vorher die Zunge mit einem glühenden Eisen durchbohrt und die rechte Hand abgehauen haben würde.

Toria schrie: »Das ist Gerechtigkeit! Er büßt!« Und das Volk rief: »Lang leven de Heeren van de wet! – Langes Leben den Herren des Gesetzes!«

Er wurde ins Gefängnis zurückgebracht, wo man ihm Fleisch und Wein gab. Er war fröhlich und sagte, daß er derlei bis zu diesem Augenblick noch nie gegessen habe, daß ihm aber der König, der sein Vermögen erbe, dieses letzte Mahl bezahlen könne, und er lachte boshaft. Als man ihn beim ersten Morgenschimmer zur Hinrichtung führte, sah er Ulenspiegel neben dem Scheiterhaufen stehen und schrie, während er mit dem Finger auf ihn zeigte: »Der da ist ein Greisenmörder, er muß gleichfalls sterben, er warf mich – es sind zehn Jahre her – in den Kanal von Damme, weil ich seinen Vater denunziert hatte, indem ich Seiner katholischen Majestät als treuer Untertan diente!«

Die Glocken von Notre-Dame läuteten für die Toten.

»Auch für dich läuten diese Glocken«, sagte er zu Ulenspiegel, »du wirst gehenkt werden, denn du hast getötet!« »Der Fischer lügt«, riefen die Leute aus dem Volk, »er lügt, der mörderische Henker!« Toria, die sich wie toll gebärdete, warf ihm einen Stein an die Stirn, der ihn verletzte, und sie schrie: »Wenn er dich ersäuft hätte, so hättest du nicht leben können, um mein armes Töchterchen wie ein blutsaugender Vampyr totzubeißen.«

Ulenspiegel ließ kein Wort laut werden, und Lamme schrie: »Hat jemand gesehen, daß er den Fischhändler ins Wasser warf?« »Nein, nein!« schrie das Volk, »er hat gelogen, der Henker!« »Nein, ich habe nicht gelogen«, rief der Fischhändler, »er hat mich hineingeworfen, trotzdem ich ihn um Vergebung bat, ich rettete mich, indem ich mich an eine Schaluppe klammerte und die Böschung hinaufkletterte. Durchnäßt und zitternd bekam ich das Fieber, niemand pflegte mich, und ich fürchtete, sterben zu müssen.« »Du lügst«, sagte Lamme, »niemand hat das gesehen.« »Nein, niemand hat es gesehen«, rief Toria, »ins Feuer mit dem Henker! Wenn du es getan hast, gestehe nicht, Ulenspiegel!«

»Hast du den Mord begangen, Ulenspiegel?« fragte der Henker.

»Ich habe den mörderischen Angeber Claesens ins Wasser geworfen. Die Asche des Vaters schlug an meinem Herzen!« antwortete Ulenspiegel.

»Er gesteht«, frohlockte der Fischhändler, »auch er wird sterben. Wo ist der Galgen, daß ich ihn sehe? Wo ist der Henker mit dem Richtschwert? Die Glocken läuten für dich, Taugenichts, Mörder eines Greises!« Ulenspiegel sagte: »Ich habe dich ins Wasser geworfen, um dich zu töten, die Asche schlug an meinem Herzen.« Die Frauen sagten: »Warum gestehen, Ulenspiegel? Niemand hat es gesehen. Jetzt wirst du sterben.«

Der Gefangene lachte, hüpfte vor boshafter Freude und streckte die gefesselten Arme, die mit blutiger Leinwand umwunden waren. »Er wird sterben«, sagte er, »er wird, den Strick um den Hals, wie ein Lump, Dieb und Taugenichts von der Erde in die Hölle eingehen. Er wird sterben – Gott ist gerecht!«

»Er wird nicht sterben«, sagte der Vogt, »nach zehn Jahren kann in Flandern ein Mord nicht mehr bestraft werden. Ulenspiegel hat sich eine böse Tat zuschulden kommen lassen, aber aus Sohnesliebe, Ulenspiegel wird wegen dieser Tat nicht zur Rechenschaft gezogen werden.« »Es lebe das Gesetz!« rief das Volk. Die Glocken von Notre-Dame läuteten für die Toten. Der Gefangene knirschte mit den Zähnen, senkte den Kopf und weinte seine ersten Tränen.

Und es wurde ihm die Hand abgeschlagen, und die Zunge wurde ihm mit einem glühenden Eisen durchbohrt, und er wurde vor dem Wall des Gemeindehauses an kleinem Feuer lebendig verbrannt. Dem Tod nahe, rief er: »Der König wird mein Gold nicht bekommen – ich habe gelogen . . . Böse Tiger, ich werde wiederkommen, euch zu beißen!« Und Toria schrie: »Er büßt! Er büßt! Seine Arme winden sich und seine Beine auch, mit denen er zum Mord lief! Er raucht, der Körper des Henkers. Sein weißes Haar, das Hyänenhaar, brennt über seiner bleichen Fratze! Er büßt!«

Und heulend wie ein Wolf starb der Fischhändler.

Die Glocken von Notre-Dame läuteten für die Toten. Und Lamme und Ulenspiegel bestiegen ihre Esel. Nele, die bekümmerte, blieb bei Katheline, die immer wieder sagte: »Nehmt das Feuer weg! Der Kopf brennt, komm wieder, Hanske, mein Liebling!«

 


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