Charles de Coster
Toulets Heirat
Charles de Coster

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14

Derweil lag der Häuptling der Geißler noch immer auf dem Bauche und stellte sich tot. Als er aber den letzten Hufschlag des letzten Söldners vernommen, öffnete er ein Auge und sah sich allein auf dem Platze. Da drehte er sich auf den Rücken, ergriff sein Pergament und schrie: »Ich sterbe!«

Dieser Häuptling, der eigentlich Lamprecht hieß, war der Sohn eines getauften Juden aus der Grafschaft Flandern. Nachdem er das Bürgerrecht erkauft hatte, ließ er sich in die große Zunft der Weber aufnehmen, verführte die Tochter eines Zunftmeisters, bewog sie, das Geld ihres Vaters zu stehlen, und ließ sie in gesegneten Umständen sitzen.

Der Vater zog ihn vor das Gericht der Vierschare und klagte auf Heirat und Zurückerstattung. Besagter Lamprecht ward in der BijlokeAlte, noch bestehende Abtei in Gent. eingekerkert, aber schlecht bewacht und entkam. Er begab sich nach Frankreich und spielte dort den Landstreicher, Krückenläufer und Bettler. Nachdem er mit diesem Gewerbe viel Geld verdient, ging er nach Italien, weil man ihm sagte, daß die Bettler dort noch weit mehr verdienten.

Da er sah, daß in diesem Lande alles für die Mönche und die Geißler war, wollte er das Haupt einer Geißlerschar werden. Er erstand ein altes Pergament, malte goldene Sterne und das Zeichen der Erlösung in einer strahlenden Sonne darauf und schrieb ein paar Worte hinein, kraft deren Jesus ihn zum Haupt aller Geißler erkor, die er unterwegs traf, und ihm die hohe und niedere Gerichtsbarkeit über alle verlieh, desgleichen das Recht, die Almosen, die die Geißler erhielten, zu verwahren und auszuteilen.

Des Nachts erschien er in dem Stalle, worin sechzig dieser armen Teufel schliefen. Und sie sahen einen hellen, übelriechenden Schein um seine Gewänder. Da glaubten sie, es sei der Teufel, und bekreuzigten sich, aber mit einmal hörten sie eine starke Stimme, die zu ihnen sprach: »Friede sei mit euch allen. Ich komme in Jesu Namen und bringe euch frohe Botschaft. Zündet eine Fackel an, auf daß ihr den sehet, der euer Führer sein soll.«

Als die Fackel angesteckt war, sahen sie einen jungen Mann von hohem Wuchs mit kastanienbraunem Haar, großen hellen Augen und so schön von Gestalt, daß sie ihn anbeten wollten. Er wies ihnen sein Pergament vor und erzählte ihnen seine Lügen. Als sie diese vernommen, fielen sie alle aufs Knie und küßten ihm die Hand zum Zeichen der Huldigung und des Gehorsams.

Am folgenden Tag brachen sie auf, und die Almosen fielen reichlich in ihre Bettelsäcke, als es ruchbar ward, daß ein Abgesandter Gottes sie führte. Da er sein Geschäft blühen sah, wollte er alles in seinen Säckel tun und die Wegzehrung der Geißler selbst bezahlen. Alle willigten ein, bis auf zwei, die wie er dem Galgen entronnen waren. Sie erklärten den Brief des Heilands für falsch und den Führer für einen Betrüger. Sie behielten ihr Geld.

Aber Lamprecht ließ sie ergreifen, hielt Gericht über sie und verurteilte sie, auf der Stelle gehenkt zu werden. Solches geschah. Nachdem er sich durch diesen Gewaltstreich Ansehen verschafft hatte, tat er, was er wollte, predigte, führte das große Wort, machte den Frauen und Mädchen schöne Augen und nahm ihnen ihr Geld und ihre Ehre; dann gebot er ihnen, heimzukehren und ihre Väter oder Gatten um Verzeihung zu bitten.

Das war der Mann, der auf dem Platz schrie: »Ich sterbe!«

Die Gevatterinnen kamen zu Hauf herbei und bemühten sich um den Verletzten. Besonders Begge klagte, betete und weinte bei ihm; dann lächelte sie bitter und lief zu Toulet.

15

Toulet sprach gerade mit Johanna von ihr:

»Hüte dich, Liebchen. Ihr Benehmen ist sanft, aber ihre Blicke sind hart. Sie brütet Rache! Aber bei Gott, wenn sie dich anrührt, hacke ich sie in Stücke.«

»Ja,« sprach Johanna, »ihre Augen blitzen und ihre Stimme zischt, wenn sie mit mir spricht . . .«

Plötzlich erschien Begge verstörten Blicks. »Kommt, kommt!« rief sie, »kommt auf den Platz. Da liegt ein armer Verwundeter und schreit: Ich sterbe.«

»Nun, und was weiter?« fragte Toulet.

»Was weiter, herzloser Mann? Was weiter? Ihr werdet ihn beherbergen und ihn bei Euch pflegen.«

»Pflegt ihn doch selbst,« sprach Toulet, »Ihr habt ja nichts weiter zu tun.«

»Das geht nicht an. Er ist jung und schön; ich bin allein und ein Weib.«

»Und Johanna hier, ist sie nicht auch ein Weib, mindestens so gut wie Ihr?«

»Das ist nicht das gleiche. Sie hat das Glück, einen Gatten zu haben, ich aber . . . Nur zu, Toulet, laßt Euch erweichen.«

»Schön,« sagte er, »wo ist der Verletzte?«

»Auf dem Platz,« entgegnete Begge.

Von Begge geführt, gingen Johanna und Toulet hin, bahnten sich einen Weg durch den Schwarm der Gevatterinnen und kamen zu dem Verwundeten.

Als der Johanna erblickte, tat er seine schwermütigen Augen weit auf und sagte: »Au, au, die heilige Jungfrau steigt zur Erde herab. Heilige Frau, Mutter Gottes, tu Balsam auf meine Wunden. Au!«

»Ich bin nicht die heilige Jungfrau,« sagte Johanna, »aber mein Gatte und ich wollen dich bei uns aufnehmen und pflegen.«

»Und wenn du weiter so viel Wirtschaft machst,« setzte Toulet mit dröhnender Stimme hinzu, »so bleibst du hier liegen, verstehst du?«

Der Verwundete schwieg augenblicks und ächzte nur, wenn der Schmerz zu heftig bohrte. Er wurde auf eine Matratze gelegt und von vier Männern in Toulets Haus gebracht.

»Schau,« dachte Begge, dem Zuge folgend, »schau, er liebt Johanna bereits . . . Um so besser, er wird mich an ihr und an Toulet rächen. Der soll schon sehen, daß er nur eine Dirne gefreit hat.«

Und sie ging fort.

16

Lamprecht bekam ein gutes Zimmer und ein gutes Bett. Der Bader untersuchte seine Wunde und erklärte, es sei nur ein starker Schnitt, und er werde in acht Tagen gesund sein. Lamprecht ließ es sich in seinem Bett wohl sein, aß gut und warf seine Blicke in Ermanglung eines Besseren auf die dicke Juliane, die sich in den schönen Jüngling vergafft hatte. Sie kochte für ihn allein Fleischbrühe von vier Pfund Fleisch für eine Tasse. So ging es fünf Tage lang.

Eines Morgens, als sie ihm Milchreis brachte, fragte der Verwundete, warum ihre Herrin ihn niemals besuchte.

»Was geht es Euch an?« fragte Juliane. »Pflege ich Euch etwa nicht gut? Was? Ich habe Euch vom Kopf bis zu den Füßen gewaschen, wie ein kleines Kind, und Ihr hattet es sehr nötig; ich habe Euch die Wäsche und das Bettzeug gewechselt, habe Euch auf einen Stuhl gesetzt und dann wieder ins Bett getragen, und jetzt, wo Ihr wieder gesund seid, Scheinheiliger, denn Ihr seid ja gesund, fragt Ihr nach der Frau, jetzt braucht Ihr die Frau, wozu denn? Ich weiß wohl, denn ich bin nur gut, Eure Magd zu sein. Aber daraus wird nichts, ich gehe und sage es Herrn Toulet, und die Frau, unsere Frau, die kommt nicht her. Und ich lasse Euch ganz allein hier, und dann kann die Frau Euch ja pflegen, wenn sie will.«

Lamprecht rief sie sanft zurück, sprach ihr ganz leise ins Ohr und betörte sie so, daß sie nach einer guten Viertelstunde sein Zimmer mit einem feuerroten Kopfe verließ, gerade als Johanna, die erstaunt war, sie nicht in der Küche zu sehen, nach dem Zimmer des Kranken heraufkam, um zu fragen, ob ihm irgend etwas zugestoßen sei.

Beide Frauen gingen dicht aneinander vorbei; Juliane hatte nichts Eiligeres zu tun, als den Blicken ihrer Herrin zu entgehen. Aber die Frauen erraten einander, und Johanna hegte keinen Zweifel mehr, was geschehen war.

17

Juliane war in dem Zustand, in dem Johanna sie traf, in die Küche gegangen.

»Na, wer kommt denn da?« hieß es von allen Seiten. »Warum ist Juliane denn so rot? Sie ist wie eine Mohnblume,« sagte die eine. »Wie ein Kohlkopf,« sagte die andere. »Wie ein Kind, das Prügel gekriegt hat,« meinte die dritte.

»Laßt mich doch rot sein,« sagte Juliane. »Es gibt hier noch andere, die werden es noch mehr sein, als ich.«

»Wer denn, wer?« fragten alle Mädchen.

»He, unsere Frau; weiß Gott, sie ist bei dem Verwundeten, bleibt im Zimmer und schwätzt mit ihm. Aber ich sag' es – nicht dem Herrn, der ist zu gut, doch der Tante Begge. Sie wird diesen Geschichten schon ein Ende machen.«

In einer Ecke beim Ausguß scheuerte ein altes Weiblein einen gelben irdenen Topf mit einem Lappen. »He, he!« lachte sie und ließ den Lappen auf dem Topf ruhen. »Ich weiß, was das heißen soll! Juliane ist eifersüchtig auf unsere Frau, weil der schöne Verwundete sie der Frau wegen hat sitzen lassen. Tröste dich, Mädchen, Fürstenspeise ist nicht für uns Grobschnäbel gemacht. Und noch eins: ich mag nicht, daß Juliane oder die anderen auf unsere Frau eifersüchtig sind, denn ich weiß wohl, im Herzensgrund möchtet ihr alle, daß der Mann da ewig bei uns wohnte, damit jede von euch an die Reihe käme.«

»Wagst du so schlecht von uns zu denken?« entgegnete Juliane.

»Jawohl, ich wage es,« antwortete die Alte, »denn ich weiß, wie die Dinge gehen, anfangs ganz sanft, zuletzt ganz in Feuer und Tränen.«

»Du weißt es nur so gut,« gab Juliane heraus, »weil du es in deinen jungen Jahren mit verschiedenen ausprobiert hast.«

»Ihr werdet ja sehen, ihr werdet ja sehen,« sagte die Alte, mit dem Kopf nickend. »Ihr werdet ja sehen, ihr armen Dummköpfe. Bleibt der Verwundete noch länger hier und gewinnt das Herz der Frau, so kommt das Unglück ins Haus.«

18

Vor der Tür sagte Johanna zu sich: »Unser Gast ist ein Mädchenverführer, ein Schwein, das alles frißt. Was wird er zu mir sagen, wenn ich mich hineinwage? Ich wage es, ich fürchte mich nicht.«

Dann kam sie auf den Einfall, ihn reden zu lassen, denn sie wollte ihn nicht auf das bloße Anzeichen hin beschuldigen, daß die Magd einen roten Kopf gehabt hatte. Sie wollte auf seine Reden eingehen, damit er sich selbst verriete; dann wollte sie mit Toulet zusammen ihr Urteil fällen, wie er bestraft werden solle.

Sie klopfte an und trat entschlossen ein.

»Schöner Verwundeter,« sagte sie, »alle Mägde im Hause scheinen in Euch verliebt.«

Er zuckte leicht die Achseln und richtete sich im Bette auf.

»Frau,« sprach er mit Grabesstimme, »die feurige Zunge hat sich auf meine Stirn gesenkt und gebietet mir, in deiner Sprache mit dir zu reden.«

»Ich höre,« versetzte Johanna.

»Du mußt es,« sprach er. »Ja, meine Wunde ist geheilt, wie es eben das unreine Weib sagte, aber ich hörte die Stimme des Geistes, der zu mir sprach: du hast auf dieser Welt eine Seele zu retten, eine Seele, die in Sünde lebt, und diese Seele ist Toulets Weib, Johanna genannt, die hier vor dir steht.«

»Ach,« sprach Johanna und blickte ihn mit ihren großen Augen leicht spöttisch an, »verzeiht mir, heiliger Fremdling, meine hoffärtigen Worte, aber wie konnte ich in Sünde leben, da ich doch nie einen Liebhaber hatte und jetzt Toulets Weib bin, vor Gott von dem Pfarrer in der Kirche ehelich getraut?«

»Weib,« sprach Lamprecht, »du kennst Gottes Willen nicht wie ich. Gewiß läßt er manche Frauen in den unreinen Banden der Ehe leben, aber seine Erwählten, und du bist deren eine, o Johanna, die müssen nach seinem Gebot alles verlassen und ihm folgen.«

»Ach!« sprach sie, »will er es wirklich?«

»Ja,« antwortete er, »und darum habe ich alle Macht über dich. Kraft des dreimal heiligen Briefes des heiligen Michael, den ich hier habe, hat er uns nach Andenne geführt, mich vor dem Schwert eines rohen Soldaten gerettet, mich zu dir gesandt als Boten von hoher und reiner Tugend. Er gibt dich mir im Geiste zum Weibe, damit ich dich zu ihm führe auf dem Wege der Kasteiung und Buße.«

»Was muß ich tun?« fragte Johanna scheinbar unterwürfig.

»Zunächst, da du gehorsam bist, mir den Friedenskuß geben.«

»Später,« sprach sie.

Der Verwundete bestand nicht darauf. Johanna verließ ihn mit ehrerbietigem Gruß und er segnete sie.

19

Am nächsten Tage, als Lamprecht sah, daß sie nicht wiederkam, stand er auf, öffnete die Tür und rief mit seufzender Stimme:

»Johanna!«

Johanna kam herauf. Sie fand ihn in seinem Bett kniend im Hemde. Er bekreuzte sich oftmals, als spräche er mit einem Unsichtbaren und sagte: »Herr, nimm diese Prüfung von mir, zwinge mich nicht, eine Neuvermählte ihren irdischen Pflichten abspenstig zu machen. Nein, Herr, denn die Welt würde mich mit Schimpf und Verleumdung überschütten.« Dann schien er verzückt und tat, als antwortete er auf eine Stimme, die sie nicht hörte. »Herr,« sprach er, »es muß also sein? Ich füge mich deinem heiligen Willen. Ich werde der Sünderin deine Gebote mitteilen. Sie wird dir lieber gehorchen wollen, als die ewige Pein erleiden. Herr, verlaß mich nicht so bald; ich sehe dich nicht mehr. Ach! Die Wolke trägt dich hinweg, und die Sohlen deiner heiligen Füße verschwinden.«

Dann blieb er stumm, seufzte und weinte, die Arme nach einer Ecke des Zimmers erhoben. Johanna tat, als erschräke sie. Plötzlich erwachte er wie aus einem Traume, blickte sie an, verbarg sich hastig im Bett und sprach:

»Weib, was hast du hier zu schaffen? Wer rief dich?«

»Ihr, heiliger Fremdling,« antwortete Johanna.

»Ich?« versetzte er, »du irrst dich!«

»Trotzdem hörte ich deutlich, wie die Tür aufging und eine Stimme, die Eure, mich rief. Dann wurde sie wieder geschlossen. Da ich Euch gehorchen wollte, kam ich herauf. Tat ich Übles, verzeiht mir.«

»Es ist der Engel, der Engel Gottes, den du gehört hast. Höre denn! Wappne dich mit Kraft und mit Mut. Dies hat mir der Herr aufgetragen. Ich werde diese Herberge alsbald bei Nacht verlassen. Du wirst mir eine Stunde danach auf der Straße nach Sankt Hubertus folgen; dort werde ich dich erwarten. Vorher wirst du sogleich einen Sack mit Engelstalern mitnehmen, den ich in meinen Gürtel stecken werde, um unsere Wegzehrung nach Jerusalem zu bestreiten.

Dort wirst du Erlaß deiner Sünden empfangen, dort meine leibliche Gattin werden, wofern es der Herr mir nicht schon früher unterwegs gebietet. Du wirst dünne Schuhe anziehen, alles Gold mitnehmen, das du forttragen kannst, und heute nacht, wenn es vom Turm von Sankt Begge ein Uhr schlägt, wirst du fortgehen, um mich mit dem Sack zu treffen. Denn solches ist der Wille des Herrn, und du wirst nicht so schamlos sein, ihm nicht zu gehorchen.«

»Nein,« sprach Johanna. Dann ging sie zu Toulet, der sich zu einer Reise nach Namur rüstete, um Wein einzukaufen.

Der Geißler spitzte das Ohr, er hörte nur das leise Gespräch zweier Menschen, dann langes Gelächter, das eine sehr grob, das andere sehr hell: er erkannte Toulets und Johannas Stimme. Dann hörte er Hufgetrappel im Hofe, eine Peitsche knallte und Toulet schrie: »Hü!«

Als alles im Wirtshaus zur Ruhe war und das laute Schnarchen der Mägde dem Geißler sagte, daß alle, Männer wie Frauen, fest schliefen, sprach er zu Johanna, die allein auf war:

»Ich nehme dich jetzt nicht mit mir, denn gingen wir beide fort und begegneten einem Bürger von Andenne, so erriete er unsere Absicht. Gehen wir aber jeder allein und treffen uns auswärts, so können sie nichts ahnen.«

»Tut, wie es Euer Wille ist,« sagte Johanna.

Um Mitternacht verließ er das Gasthaus.

Als es ein Uhr schlug, ging Johanna gleichfalls, mit einem schweren Säckel beladen. Unterwegs erhob sie die Stirn zu dem bleichen Licht der Sterne, die sie mit ihren hellen Augen starr anblickten. Johanna wagte ihnen ins Gesicht zu sehen. Aber die Furcht befiel sie, als sie nahe am Waldessaum Schritte vernahm, ganz leise Schritte, die wie auf Filzsohlen schlichen. Sie beschloß, geradenwegs weiter zu gehen, ohne sich umzublicken.

Trotzdem siegte die Neugier und sie drehte sich um. Sie hörte nichts mehr und sah nichts als die Bäume am Wegrain, die nach rechts einen dichten Schatten warfen. Da bekam sie noch mehr Angst und begann zu laufen. Ihr war, als liefe jemand neben ihr her unter den Bäumen.

Am andern Ende des Weges erkannte sie die hohe Schattengestalt des Geißlers, der auf sie wartete. Als er sie sah, lief er auf sie zu. Sie blieb stehen, entschlossen, keinen Schritt weiter zu tun.

»Warum folgst du mir nicht?« fragte er.

»Ich kann nicht,« sagte sie lächelnd, ohne daß er ihr Lächeln sah.

Plötzlich hörte sie ein sehr scharfes Lachen aus einem Gebüsch gellen und erkannte Begges Stimme. Vor Angst blieb Johanna wie angewurzelt stehen. Ihre Angst wuchs noch, die Angst vor Verleumdung. Sie war unschuldig, aber was würde man in Andenne sagen? Sie würde für eine Dirne gelten, wie's Begge gesagt hatte.

Plötzlich stieß sie einen Freudenschrei aus. Sie sah Toulet mit Wolfsschritten hinter dem Geißler anschleichen.

»Komm, ich will es,« sprach dieser.

»Nein!« sagte Johanna entschlossen.

»Du spottest meiner.«

»Ja,« sagte sie.

»Unverschämte!« schrie er, »ich bringe dich um!« Als er den Arm erhob, um Gewalt anzuwenden, schrie er laut auf, denn eine mächtige Ohrfeige klatschte auf seine Backe. »Au, was ist das?«

»Das ist die Hand des Gatten,« sprach Toulet.

Begge tauchte neben ihnen auf.

»Es war Zeit,« sagte sie.

»Nicht so sehr, wie du meinst,« versetzte Toulet. »Johanna hat mir alles gesagt, und der Beweis ist der Säckel, der, wie er hoffte, voll Gold sein sollte. Es war ein Komplott zwischen uns, um diesen Halunken zu strafen.«

Begge öffnete den Sack, er enthielt bleierne Spielmarken.

Als sie verblüfft fortgehen wollte, sagte er:

»Bleibe doch, Begge, bitterböse Begge, herzlose Begge, harte, schnippische, hochnäsige Begge, bleibe doch und genieße das Schauspiel . . .« Dann wandte er sich zu dem Fremdling, der mehr tot als lebendig war:

»Bisher hast du dich nur zum Spaß gegeißelt, ich will dich im Ernst durchprügeln.«

Der Fremdling schwankte halbtot auf seinen langen Beinen. Toulet packte ihn am Arme und ließ ihn wie einen Kreisel sich drehen, während er ihn aus Herzenslust peitschte. Sein Geschrei hörte er so wenig, als ob er aus Stein wäre.

Plötzlich hielt Toulet mit Schlagen inne, blickte Begge stumm an und brach in tolles Gelächter aus. Alle Echos lachten mit; es waren mehr als fünf an dieser Stelle des Weges. Auch Johanna, von diesem Gelächter angesteckt, lachte mit.

Nur Begge und der Geißler lachten nicht. Sie wähnten, ganz Andenne stände hinter ihnen und machte sich über sie lustig.

»Begge,« sprach Toulet, noch immer lachend, »du hast diesen Buhler in mein Haus gebracht, um dich an Johanna zu rächen. Wäre sie nicht ein ehrbares Weiblein gewesen, ich wäre durch dich betrogen und zu Grunde gerichtet. Zum Dank will ich etwas für dich tun. Du pflegst ja gern Verwundete, pflege den da! Du willst ja gern heiraten, nimm den da, Johanna mochte ihn nicht. Besten Gruß, meine Herrschaften!«

Und er ging mit Johanna, die leise in ihr Taschentuch hineinlachte. Als sie etwas weiter fort waren, küßte er sie und sprach: »Treues Liebchen, Gott vergelte dir, was du an mir getan hast!«

Nach einigen Schritten drehten sie sich um und sahen Begge mit dem Fremdling plaudern.

Zwei Tage danach erfuhren sie durch den Stadtklatsch, daß Begge einen Mann beherbergte.

Einen Monat später erzählte ihnen ein Fiedler, der aus Lüttich kam, ein Italiener wäre in Sankt Jakob mit einer Frau aus Andenne getraut worden.

»Um so besser,« sprach Toulet, »dann sind wir sie beide los.«

Aber in der Küche verstand man es nicht.

 

Drei Monate später erzählte ein herumziehender Händler in Andenne, ein Geißler wäre von den Leuten des Bischofs an die des Grafen von Flandern ausgeliefert und auf dem Bijlokeplatz in Gent wegen seiner früheren Missetaten gehenkt worden.

Und Begge ward zum anderen Mal Witwe.

 


 


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