Charles de Coster
Vlämische Legenden
Charles de Coster

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Ser Huygs

Eines Tages weigerte man einem Pilger das Gastrecht bei einem maurischen Stamme, und etliche Krieger, welche die Alten umstanden, fragten sie, mit welchem Recht sie also die Gesetze des Propheten mißachteten.

Da erhob sich ein alter Derwisch, führte sie in sein Zelt und erzählte ihnen diese Geschichte:

»Die Sterne, die Allah mit güldnen Ketten an der Wölbung des ersten Himmels aufhängte, leuchteten über der Erde, als ein Krieger und eine Jungfrau sich fern von unseren Zelten trafen. Der Krieger sprach also:

›Zuleika, Geliebte der Nachtigall, die Blumen auf den Feldern und die Houris im Paradiese sind nicht so schön wie du. Ich habe Truhen, so voller Goldstaub und Diamanten, daß das Haupt der Gläubigen sie mir neiden könnte; ich habe Seide, Perlen und Kaschmir; Zuleika, ich bin der Häuptling meines Stammes; tausend Sklaven werden vor dir niederfallen; komm in mein Zelt.‹

»Also sprach der junge Mohammed zu der, die sein Herz begehrte. Zuleika lispelte traurig: ›Du bist reich, ich bin arm, nimm mich.‹

»Mohammed band sein Roß los, sprach schmeichelnde Worte zu ihm, und alsbald trug es, rasch wie der Samûm, die Jungfrau zu seinem Stamme.

»An jenem Morgen hatte ein Christ das Gewand eines Alten berührt und ihn um Brot und Salz gebeten. Nun saß er und rauchte seinen Nargileh vor dem Zelte seines Gastfreundes, des alten Achmed; er war schön.

»Die Frauen des Stammes gingen unverschleiert; der Christ schaute Zuleika mit seinen Augen an, die wie die eines Leuen funkelten.

»Voller Eifersucht trat Mohammed wütend auf ihn zu und bedrohte ihn mit der Faust; doch ein verächtliches Lächeln trat auf die Lippen des Christen.

»Lange saß er und rauchte seinen Nargileh vor dem Zelte seines Gastfreundes. Ein Kind hörte, wie er des Abends in seiner Sprache ein Lied sang, darin der Name Zuleika mehrfach vorkam. Im Stamme sagte man, Gott habe dem Gast Achmeds den Verstand genommen.

»Allah allein ist groß! Der Christ war nicht von Sinnen; ihn gelüstete nach Mohammeds Weibe. Astarte hatte das Feuer der Begierde in seinem Herzen entfacht; und der Geist des Raubes war über ihm dahingeschwebt.

»Zuleika war schön. Ihre runden Schultern waren wie von Gold, ihr Busen wie von Marmelstein und ihre Füße behend wie die einer Tänzerin. Sie hatte große und schöne Augen, vom schwarzen Schleier ihrer Wimpern verschattet; ihr Mund war wie eine Rose aus dem Garten des Propheten, und ihr Haar hätte gelöst ihre ganze Gestalt mir einem schwarzen Schleier bedeckt.

»Zuleika war schön, und der Christ begehrte sie heiß. Eines Tages verreiste Mohammed, um Goldstaub einzuhandeln, und ließ seine Geliebte in seines Bruders Obhut.

»Oh, warum verreisen, Mohammed, du, der wackerste der Krieger? Heulte dein treuer Hund nicht dreimal, da du dein nachtschwarzes Roß bestiegest? Warum verreisen, Mohammed? Sagten wir nicht alle zu dir: ›Bleibe unter uns?‹ Nur Zuleika sagte nichts. Warum verreisen, Mohammed?

»Der Christ saß noch immer vor dem Zelte seines Gastfreundes. Er trug einen weißseidenen Kaftan mit Goldstickerei und einen Turban von feinstem Kaschmir. Er blickte Zuleika lächelnd an und sie errötete. Der Fremde war schön – warum verreisen?

»Doch ach! er verreiste. Sein Bruder war jung und wachte nicht über das Zelt seines Bruders. Am Tage darnach ward sein Hund tot vor der Zelttür gefunden; und zu der Stunde, da der Muezzin uns zuruft: ›Es ist nur ein Gott, und Mohammed ist sein Prophet!‹ setzte sich der Christ vor das Zelt seines Gastwirts. Er sah glücklich aus.

»Mohammed kehrte zurück; Zuleika empfing ihn, ohne zu lächeln.

»Eines Abends, da alles schlief und die Dschinnen durch die Luft fuhren, begehrte Zuleika, den Meerwind im Freien zu atmen. Mohammed willigte ein und ging hinaus mit seinem Weib und seinem jungen Bruder.

»Eine Eule mit Perlmutteraugen streifte seinen Turban. Eine schlimme Vorbedeutung! Doch der Krieger zitterte nicht. Bisweilen hörten sie einen leichten, verstohlenen Schritt hinter sich; Mohammed und sein Bruder gingen stets weiter, ohne zu merken, daß Zuleika zurückblieb. Da drehte sich Mohammed um: sie lag in den Armen von Achmeds Gast. Der Fremde trug ein Schwert; Mohammed und sein Bruder stürzten sich auf ihn. Der Christ erschlug ihn und verwundete den Bruder. Von Zuleika hat der Stamm nichts mehr gehört. Sie ist mit dem Christen entflohen.

»Fragt ihr noch,« so schloß der Derwisch, »warum wir keine Schlangen an unserm Busen nähren, noch die Geier verköstigen wollen, die unsere Kinder verschlingen?«

Die Krieger erbleichten und fuhren mit der Hand über ihre krummen Messer, die sie Yatagans nennen.

Da stand ein Mann auf; er war jung und schön, »Eines Tages«, so sprach er, »Blut um Blut, Weib um Weib, Wunde um Wunde.«

Das war Mohammed, der mit nichten gestorben war; denn er besaß unter seinen Schätzen einen, der kostbarer war als alle zusammen. Das war der Balsam von Jesse, der die Wunden seiner Brust schloß.

 

Derweilen trug ein Schiff aus Damm in Flandern, das mit Weihrauch, Benzoe und andern Wohlgerüchen befrachtet war, den Räuber und Zuleika, die Geliebte der Nachtigall, heimwärts. Und dieser Räuber war Ser Simon Huygs, ein Patrizier aus der stolzen Stadt Brüssel, der Hauptstadt des lachenden Landes Brabant.

Er war tapfer und standfest, hatte gute Augen und war achtundzwanzig Jahre alt. Die Frauen und Jungfrauen hatten stets ein Auge auf ihn und fanden Wohlgefallen an seinem blonden Haupt- und Barthaar, seinen hellbraunen, lebhaften Augen und seiner Haut, die sein edles Blut rötete und die von der Sonne gebräunt war. Doch Ser Huygs nahm keine von denen zum Weibe, die es insgeheim wünschten. Und also mußte er in die Weite schweifen und dem armen Mohammed sein Weib rauben.

Sie hatten eine gute Überfahrt und langten am ersten Sonnabend im Mai in Brüssel an. Sie zogen in den Steen des Ser Huygs, sein schönes, wohlbefestigtes Schloß, ein. Die Lanzknechte, so als Wetterfahnen dienten, kreisten im starken Wind um sich selbst, um ihren Willkommen zu entbieten. Bei seinem Einzug fand Ser Huygs seine Jungfer Schwester in Trauer und seine Mutter hatte das Zeitliche gesegnet. Sie hatte ihren Sohn treulich geliebt; also daß Ser Huygs, da er sein Nest leer fand von ihr, die darinnen so oft über seiner Wiege gesungen, eine solche Kälte am Herzen verspürte, daß er schier darob starb und vor Verzweiflung wie von Sinnen war und tagelang durch das Schloß irrte, weinte und seufzte und den Hausrat küßte, den seine Mutter benutzt hatte, und auf den Fliesen die Spur ihrer Schritte suchte. Er wollte das Haus nimmer verlassen und kleidete sich in die schwärzeste Trauer, die man je gesehen hat. Doch die wahre Trauer trug er in seinem Herzen. Und er wäre gewißlich gestorben, hätte er nicht Zuleika, sein junges Weib, das bei der Taufe den Namen Johanna empfing, und Roosje (Röschen), seine junge Schwester, gehabt, die er liebte und schützen mußte.

Zuleika lernte, da sie Christin ward, daß die Frau tugendsam sein und die Ehre und das Glück ihres Gatten bewachen solle. Doch sie war nicht glücklich; konnte sie doch den armen Mohammed nicht vergessen, den sie um ihretwillen getötet wähnte; Tag und Nacht dachte sie mit Schmerz und Reue an ihn.

Auch Ser Huygs war nicht ruhig, denn vergossenes Blut schreit zum Himmel und ruft Gottes Rache herbei.

Nur Roosje, die Taube des Hauses, schlief gut, lächelte oft und träumte süß. Dann kam ihre Mutter zu ihr, segnete sie, sckmückte sie mit Blumen und nahm sie oft mit zu gemeinsamen Spaziergängen in endlosen Gärten, darin alle Dinge wohl Form und Farbe, doch keinen Körper hatten, also daß Roosje vermeinte, auf Wolken zu schreiten und Dünste zu greifen. Auf solchen Wegen sagte ihre Mutter ihr, was sie tun müsse, um Ser Huygs und Johanna glücklich zu machen.

Fünfzehn Monde waren vergangen, seit Ser Huygs den Fuß auf Brabanter Erde gesetzt hatte. Roosje ward alle Tage schöner; doch sie war oft verträumt und nachdenklich, wie jegliches Jungfräulein, welchem Liebe, Verlangen, Jugendfeuer und Muttersehnsucht im Blute sitzen. Etliche reiche Patrizier verliebten sich in sie, und die einen wollten sie verführen und die andern sie freien.

Die Buhler ließ sie mit ihrer Brunst so gewaltig abblitzen, daß sie fortan nicht mehr wagten, sich vor ihr zu zeigen noch an ihrem Hause vorüber zu gehen. Die Freier aber wies sie männiglich ab, wiewohl Schöffen, ja der Amtmann und etliche Prokuratoren darunter waren, lauter Männer von Stand und von guten Sitten.

 

Eines Morgens ging Roosje zur Messe, gefolgt von dem alten Knecht Klaas dem Huster, der ihr scheinbar das Geleit gab, um sie zu beschützen; doch in Wahrheit hätte sie ihn schützen müssen, also plagten ihn Husten und Gicht und also gebückt und geknickt war er vom Alter.

Bei der Rückkehr von der Messe war Roosje ganz bestürzt und erstarrt, und Ser Huygs fragte sie, ob sie friere. Sie aber antwortete, sie hätte heiß wie zur Hundstagszeit. Johanna blickte sie prüfend an und erkannte wohl, daß es nicht Frost war, was sie so träumerisch und versonnen, so unruhig und schreckhaft machte, daß sie sich etliche Male entsetzt umdrehte, als stünde jemand hinter ihr.

Da Ser Huygs hinaus gegangen war, fragte Johanna, was der Grund ihres veränderten Wesens sei.

»Du mußt mich nicht auslachen, Schwester,« erwiderte Roosje, »wenn ich dir das sehr einfache und höchst seltsame Abenteuer anvertraue, das mir just zustieß. Als ich mit dem Huster zur Kirche ging, kam mir unterwegs ein Jüngling entgegen, so schön, wie ich nie einen sah. Wiewohl er nach Art unsrer Bürger ein langes Gewand und darüber eine gleißende güldene Kette trug, so hab ich ihn doch nie im Herzogtum Brabant, noch in der Grafschaft Flandern, noch in der Markgrafschaft Antwerpen gesehen, wohin Simon oft mit mir gereist ist. Johanna, meine Schwester« – und da schlang sie ihre Arme um sie –, »er hatte schwarze Augen und so durchdringende Blicke, daß es mich dünkte, als durchbohrten sie meine Brust, träfen mein Herz und ließen es heftig schlagen. Der Huster sprach zu mir: ›Nur zu, Fräulein, in die Kirche, die Glocke hat ausgeläutet.‹ Ich blieb vor dem schönen Manne stehen und fühlte, alles, was er wollte, das müßte ich auch wollen; und wenn er mir beföhle, weit, weit mit ihm fortzugehen, so würde ich ihm gehorchen wie dem Herrn Herzog. Er sprach mit den Augen und schien etwas zu antworten, ich weiß nicht was, das mich gänzlich verwirrte und das ich ihm selbst sagen wollte.« –

»Schwesterchen,« sprach Johanna, »Du bist verliebt in diesen Mann.«

Roosje erhob den Kopf, um kräftig zu nicken. »Er ließ mich vorüber,« fuhr sie fort, »ich ging in die Kirche, und er folgte mir nach. Im Gedränge kam er dicht hinter mich; mir ward kalt und heiß zugleich, und ich hatte große Lust zu fliehen oder ihm um den Hals zu fallen. Seine Kleider dufteten nach Ambra und Benzoe, und ich vermeinte, sein Atem müsse wohlriechend sein wie seine Kleider. Er ging auf die Seite der Männer und ich zu den Frauen, wie ich mußte. Doch ich konnte nicht anders, ich mußte mich zu ihm umdrehen; da aber erschrak ich, denn er schien ergrimmt wie Satan im Gotteshaus und schoß wütende Blicke auf den Priester am Altar und die Bilder der Jungfrau und der hohen Heiligen. Doch wenn diese Blicke sich auf mich niedersenkten, so wurden sie sanft, wie deine zarte Hand, wenn sie mich streichelt. Er war so stolz und so schön, daß ich einen schlechten Gedanken hätte und einen Augenblick wähnte, er sei der Teufel. Und doch hatte ich nicht solche Angst vor ihm, wie wir Christen vor dem Bösen haben sollen. Denn ich sagte mir, und das war wohl Sünde, daß ich ihn nicht in den Flammen und den grausamen Qualen der Hölle sehen könnte, ich ginge denn zu ihm und bäte unsern Herrn Jesus mit so vielen Tränen für ihn, daß er ihn schließlich freigäbe, und wäre er Luzifer selbst.«

Nachdem Roosje also gesprochen, bekreuzigte sie sich, senkte das Haupt und lächelte; und mit offnem Munde schien sie eine Vision aus dem Paradies zu betrachten.

»Schwesterlein,« sprach Johanna, »die Katze wird dich eines schönen Tages fressen. Bete zu Gott, mein Täubchen.«

»Die Katze wird mich nicht fressen«, erwiderte Roosje.

»So weißt du schon seinen Willen, du Schelm«, sagte Johanna.

»Nein, doch ich bin gewiß, er wünscht mein Herr und Besitzer meiner glücklichen Tage zu sein.«

Bei diesen Worten umarmte Roosje ihre Schwägerin herzhaft und dachte dabei an ihn, den sie am Morgen getroffen. Sie küßte ihr Antlitz und Hände mit großer Zärtlichkeit; das war ein Zeichen, daß ein großer Liebeszauber auf sie geworfen war. Dann lief sie davon und suchte die Einsamkeit auf, wie alle von Liebe Verwundeten.

Derweil war Ser Huygs heimgekehrt und fand sein Weib am Fenster sitzend. Sie blickte auf die drei steinernen Figuren, so auf dem Hause der Küfer stunden, und sah sie doch nicht. Diese drei Kumpane schnitten seit drei Jahren mit ihren Bandmessern Faßreifen. Sie sah nicht sie, vielmehr die verliebte Roosje. Und sie bat ihre Schutzpatronin Johanna, der, welcher Roosjes Herz geraubt hatte, möchte so gut wie schön und so reich wie gut sein.

Ser Huygs öffnete die Tür, doch sie hörte ihn nicht. Er trat auf sie zu, doch sie rührte sich nicht, denn sie blickte unverwandt die drei Männer, die Landmesser und Faßreifen an. Ja, da Ser Huygs ihr die Hand auf die Schulter legte und sie fragte: »Frau, fehlt dir etwas?« fuhr sie schreckhaft hoch. Dann blickte sie ihn so verstört an, daß Ser Huygs sagte: »Finde ich nur noch den Schatten meiner Liebsten?«

»Ha!« lachte sie, denn sie war erfreut, ihn zu sehen und drückte seine Hand, »das sind keine Schattenhände, und diese treuen Frauenlippen, die dein bärtiges Antlitz berühren, sind keine Schattenlippen; und die zwei Petersgülden, die ich jetzt aus deiner Geldkatze nehme, um das Kräuterbier zu bezahlen, sind nicht von Schattenhänden genommen, und es ist kein Schatten, der es morgen mit dir trinken wird, Mann.«

»Ich weiß es,« sprach er, »doch das soll dich nicht hindern, mir zu sagen, worüber du nachsannest.«

»Über nichts.«

»Ha,« entgegnete er, »Johanna, du begehest die Sünde der Lüge.«

Johanna lächelte, denn sie wußte wohl, wenn man jeder Frau für jede Lüge, die sie seit ihrer Geburt getan, ein Haar auszöge, so würde es nur noch kahlköpfige Frauen auf Erden geben, welches sehr schade wäre.

»Weshalb lachst du?« fragte Ser Huygs.

»Weil ich mich freue, dich zu sehen. Warum, boshafter Gatte, sehe ich dich so oft deine blonden Augenbrauen runzeln? Gab ich dir je Anlaß zu schlechter Laune? Welches Vergnügen macht es dir, dich also grundlos zu quälen? Ha, wie wollte ich dir diesen Fehler abgewöhnen, nicht durch Tränen und mürrische Mienen, wohl aber durch Lachen, damit du auch lachst, wie ich jetzt lache, Mann.«

»Mein Täubchen,« sprach Ser Huygs, »oft denke ich, du sehnst dich nach deinem Feuerland zurück, nach dem glühenden Sand und den gelben Fratzen der Ungläubigen.«

»Du mußt sie nicht lästern,« entgegnete Johanna, »doch auch nicht glauben, daß mein Herz an etwas hinge, was ich dort zurückließ. Wo du bist, bin ich glücklich, wo du hingehst, dahin gehe ich mit Freuden; und so du mit mir redest und mich anschaust mit deinen lebhaften Augen und mir ist nicht wohl, so fühle ich einen Lenzhauch, der die Blumen unter dem Schnee erweckt.«

Ser Huygs hörte entzückt zu.

»Nein, ich möchte ihn nicht wiedersehen, diesen afrikanischen Sand«, fuhr Johanna fort; »denn ich liebe das schöne Herzogtum Brabant, seinen fetten Boden und seine schattigen Bäume und seine biedern Menschen, die tagsüber wie Sklaven frohnden und des Abends und bisweilen auch die Nacht fröhliche Schmäuse und Zechgelage halten.«

»Doch,« sprach Ser Huygs, »das alles erklärt nicht, warum ich dich just so nachdenklich fand . . .«

»Sagt' ich's dir nicht?« erwiderte Johanna mit gespielter Überraschung und fest entschlossen, Ser Huygs nichts von dem zu sagen, was seine Schwester ihr anvertraut hatte. Denn die Frauen scheinen von selbst eine Art von Pakt geschlossen zu haben, einander gegen alle Männer beizustehen, insonderheit ihnen alles zu verhehlen, notwendiges wie unnötiges, und dieses aus angeborener Liebe zu Listen, Ausflüchten, kleinen Winkelzügen und auch aus Furcht, daß dort, wo nur weibliches Zartgefühl, feines Empfinden, zärtliche Sorgfalt und ein Gran Bosheit am Platze sind, plötzlich ein Mann grob und plump hineintapst und quer hindurchläuft wie eine Schar Landsknechte durch ein Kleefeld.

»Ich bin nachdenklich,« sprach sie endlich, »weil ich nachdenklich bin, weil der Sonntag der Tag des Müßiggangs ist, weil ich nichts zu tun habe und die Finger mir jucken; weil mein Geist lustwandelt und ich wissen möchte, wann die drei steinernen Gesellen dort mit ihren großen Bandmessern die armen Faßreifen fertig geschnitten haben, die der Regen zerfressen wird, ehe sie um das Faß gelegt werden.«

Also sprach sie und blickte Ser Huygs lachenden Blickes an, auf daß er auch lachte, was er ungesäumt tat.

Er hieß sie aufstehen, setzte sich auf den Stuhl, nahm Johanna auf seine Knie und blickte mit ihr auf die Straße und auf die drei steinernen Gesellen.

So saßen sie beide glücklich und zufrieden am offenen Fenster und ließen die frische Luft und die liebe Sonne in das Zimmer dringen. Da hörten sie den Klang des Meßglöckleins und sahen den Meßner vor einem Priester herschreiten, der den Leib Gottes zu einem Sterbenden trug. Sie knieten nieder und beteten für sein Seelenheil. Dann verklang das Meßglöckchen; sie standen auf und setzten sich wieder ans Fenster; doch ihr Frohsinn war dahin.

Zwei alte Weiber schwatzten laut auf der Straße; sie krächzten, spieen und klapperten laut mit ihren Krücken.

»Ach, Gevatterin!« sprach die eine, »ist es nicht ein Jammer, einen so munteren, artigen und jungen Menschen sterben zu sehen!« –

»Ach,« sprach die andre, »armer Jan Sammans, vom Liebhaber seiner Frau erstochen!« –

»Zwei Messerstiche, einen in die Brust, den andern in den Bauch. Er schwimmt, Gevatterin, er schwimmt in seinem Blute, der Ärmste. Und der Mörder ist entflohen, und in der Fremde wird man ihn nicht verfolgen, denn er soll ein Freund des römischen Kaisers sein.« –

»Ha, wenn die Ratsdiener ihn doch erwischten!« –

»Heilige Jungfrau, Gottes Gerechtigkeit falle auf den Mörder herab. Und wenn er dem Stricke und dem Henker entläuft, so finde er auf seinem Wege Dornen, die ihm die Beine zerreißen, Vipern, die ihn stechen, und den Blitz, der ihn erschlagen möge . . . Denn so Gottes heilige Majestät nicht die tötet, welche töten, so wird es ihnen zur Gewohnheit werden; und wenn es nicht um Frauen und Jungfrauen geht, so werden sie uns töten und uns unsre Scherflein rauben, die wir mit großer Mühe erspart haben.«

Und die beiden Alten entfernten sich krächzend, spuckend und mit lautem Geklapper ihrer Krücken.

Johanna und Ser Huygs blickten sich beide betrübt an und hielten Hand in Hand.

»Zwei Messerstiche«, sprach Johanna.

»In ehrlichem Kampfe.«

»Ein roter Fleck auf dem Sand, wo er fiel.«

»Ehrlicher Kampf«, wiederholte Ser Huygs.

»Ich bin stets in Angst, wenn du nicht da bist,« sprach Johanna, »ich fürchte mich, wenn ich allein bin. Ach, könnt' ich ihn doch lebend wiedersehen! Simon! Simon! Es klopft an das Tor! Hörst du, der Huster geht öffnen . . . Eine Stimme . . . Eine Männerstimme. Ich kenne sie . . . Sie kommen beide herauf, Klaas und er . . . Du mußt mich beschützen . . . Ich habe Angst.«

Der Huster öffnete die Tür; ein schöner und wohlgekleideter Mann trat ein.

»Mohammed! Mohammed!« schrie Johanna. »Rette mich, Simon!«

Und sie verbarg sich hinter ihrem Gatten.

 

Mohammed, denn er war es, trat ein. Der Huster blieb vor der Tür stehen, auf seine Krücke gestützt, denn der Name des Ungläubigen, den Johanna ausrief, hatte ihn verblüfft und ihr lautes Geschrei hatte ihn erschreckt. So blieb er vor der Tür wie ein treuer Hund, der Gefahr wittert und seinen Herrn treu bewacht. Doch angesichts seiner alten Arme, seiner zitternden Hände und seines schwankenden Körpers fragte er sich, ob diese alten Knochen wohl Ser Huygs und Johanna noch verteidigen könnten.

Inzwischen stand Mohammed noch immer am Eingang des Zimmers. Johanna und Ser Huygs hatten Muße, ihn zu betrachten. Er war braun wie eine Nußschale und ebenso groß wie Ser Huygs, doch hagrer. Seine großen schwarzen Augen schossen harte Blicke; sein Mund zeigte weder Lächeln noch Zorn. Nachdem drei Jahre verflossen, schien er gekommen, um ein Gelübde zu vollstrecken und an Ser Huygs und Johanna kalte, wilde Rache zu nehmen.

Johanna erstickte das Angstgeschrei und das Schluchzen, das ihr wider Willen aus dem Busen aufstieg, in ihrer Schürze. Ser Huygs, dem die Reue gar oft am Herzen genagt hatte, wenn er an den tödlich verwundeten Mohammed dachte, war plötzlich sehr froh, daß er ihn am Leben sah, und klatschte laut in die Hände.

»Da bist du ja auferstanden, Mohr!« rief er. »Gelobt sei Gott! Was willst du von uns?«

Mohammed trat auf ihn zu und schlug sich auf die Brust.

»Zwei Stiche. Wunde um Wunde.«

Derweil war der Huster in Roosjes Zimmer hinaufgestiegen und hatte zu ihr gesagt: »Schönes Fräulein, geruhet herabzukommen und zu sehen, was drunten geschieht. Ein Mann mit wilder Miene ist zum Herrn gekommen und die Herrin weint und schreit.«

Inzwischen hatte Ser Huygs dem Mohammed entgegnet:

»Wunde für Wunde, ich verstehe dich nicht. Was hast du auf deine Brust zu weisen? Ich schlug dich in ehrlichem Kampfe, du bist geheilt; was willst du noch mehr?«

»Ach,« schluchzte Johanna hinter ihm, »begreifst du denn nicht, daß er dir ans Leben will, Simon?«

»Wunde um Wunde«, wiederholte Mohammed.

Diese Worte vernahm Klaas in dem Augenblicke, da Roosje, vor ihm herschreitend, die Tür öffnete. Bei Mohammeds Anblick stieß sie einen lauten Schrei aus; dann ward sie wachsbleich, erbebte und warf sich halb ohnmächtig in Johannas Arme.

»Er ist's, Schwester, er ist's«, rief sie, sich an sie schmiegend, wie ein Küken unter den Flügel der Henne.

Doch Johanna besaß nicht mehr die Kraft zum Erstaunen noch zum Antworten; sie dachte nur noch an das bedrohte Leben ihres Simon. Sie begriff nur, daß es derselbe Mann war, den Roosje am Morgen getroffen hatte; doch alles, was sie vermochte, war, sie zu umarmen und mit ihr zu weinen und zu seufzen.

Auch Mohammed hatte, als er Roosje eintreten sah, eine Wallung, ja sogar Freude verspürt; doch das war nicht die sanfte Wallung noch die gute Freude guter Herzen.

Ser Huygs stand vor ihm und suchte im Stillen nach seinem Messer am Gürtel; doch da er es nicht fand, wartete er geruhig, daß Mohammed wieder anfinge, was er auch tat.

»Kampf auf dem Sande«, sprach er. »Zwei Stiche in die Brust. Blutflecke am Boden. Gefallen. Weib geraubt, das ich liebte. Blut um Blut, Wunde um Wunde, Weib um Weib.«

Und damit wies er auf Roosje.

»Du bist ein hübscher Kerl,« sprach Ser Huygs höhnisch, »und du spielst prächtig den Kampfhahn, lieber Mohr. Ha, du willst nichts weniger als Roosje; du sollst sie auf der Stelle haben! Wir Brabanter zwar, wir müssen uns quälen, bis wir das Geringste erhalten; doch die Ungläubigen, mit Kamelsharn getauft, die brauchen nur den Mund aufzutun und ein Wörtlein zu sagen – das wirkt wie ein Zauberspruch. Nimm und töte, töte und nimm, du Fratze; Roosje und ich werden alles geschehen lassen.«

Also sprechend, hatte Ser Huygs so blitzende Augen, redete so lustig und trug den Kopf so hoch, daß Johanna wieder Mut schöpfte und sprach: »So lieb ich dich, Mann.«

Roosje wollte auch sprechen, vermeinend, daß die Güte, die aus ihrem Herzen strömte, den Mohren erweichen würde, der in ihr friedliches Haus gekommen war, um Blut zu vergießen und sie selbst zu rauben.

»Ach, Herr Fremdling,« sprach sie, »sehet Ihr denn nicht, daß wir alle beide starr vor Schreck sind, meine Schwester und ich, da wir Euer böses Gesicht sehen, das eben in der Kirche noch so gut war?«

Damit lächelte sie ihm zu und flehte ihn mit ihren schönen Augen an, das Lächeln zu erwidern: doch der Ungläubige lächelte so wenig wie ein Klotz und antwortete:

»Schlacht verloren, Schlacht wiederholen. Wunde um Wunde, Blut um Blut, Weib um Weib.«

Da riß Ser Huygs die Geduld.

»Weißt du,« sprach er, »daß dein verbranntes Maul mich belästigt, wie eine Kinderklapper? Weißt du, daß der Senf mir in die Nase steigt und daß wir mohammedanischen Salat machen werden, gepfeffert mit dem Sohne des Propheten?«

»Halt ein, Bruder,« rief Roosje, »vergieße das Blut des Nächsten nicht.«

»Das Blut des Nächsten!« lachte Ser Huygs zornig, indem er auf Mohammed wies. »Jawohl, nächster Tiger, nächster Schakal, nächste Hyäne, weißt du, was er hier vorhat? Mich nach einem ehrlichen Zweikampf anzufallen und dich nach dem Mohrenland zu entführen, allwo du froh sein mußt, ihm die Füße zu waschen und sein Lager mit einem Rudel Weiber zu teilen, die nichts anderes verdienten, als am Stadthaus ausgepeitscht zu werden.«

»Ach, rette ihn, Herr Jesus!« rief Roosje, »daß er an dich glaube und Buße tue!«

Und sich aus dem Arm ihrer Schwägerin lösend, warf sie sich vor Mohammed nieder, welcher ob ihrer Demütigung triumphierend lächelte.

»Herr Mohr,« sprach sie, »wenn es wahr ist, daß Ihr zu den Unseligen gehört, denen ewige Pein vorbestimmt ist, so will ich armes Brabanter Mägdlein Euch retten . . . Wollet Ihr in unserem Lande bleiben, so will ich Euch im christlichen Glauben unterweisen, und so Ihr die maurische Ketzerei abschwöret, will ich Euch das geben, was Ihr heute früh auf dem Kirchweg zu fordern schienet.«

»Roosje,« fragte Ser Huygs, »was soll das bedeuten?«

»Daß ich halbtot bin vor Schreck,« antwortete sie schüchtern, »weil du mit dem Mohren kämpfen willst. Als ehrsame Jungfrau, die nichts zu verbergen hat, will ich auch dieses sagen. Ich begegnete heute früh diesem Manne; mein Herz zog mich zu ihm hin und auch seine Augen sagten mir, daß er mir wohlgesinnet sei. Und darum, Herr Bruder, bitte ich euch beide um meinetwillen und wegen der Zuneigung, die ich einen Augenblick für ihn empfand: vergießt hier kein Blut.«

Ser Huygs liebte seine Schwester zärtlich. Er war so bestürzt, daß er nicht wußte, was er glauben noch tun sollte, indes Johanna leise schluchzte: »Errette uns von diesem Übel. Mein Gott, nimm dieses Kreuz von uns!«

Derweilen hatte Klaas der Huster aus seiner Schlafkammer eine gute Armbrust geholt, die er spiegelblank hielt, zur Erinnerung an die Tage, da er Rottenmeister in der Gilde gewesen. Und nun stand er, hustend vor Ungeduld, seinem Herrn zu dienen, mit gespannter Armbrust und aufgelegtem Bolzen vor der Tür.

Mohammed lächelte über Ser Huygs Unentschlossenheit und über Roosjes Zureden.

»Allah allein ist groß,« sprach er, »Christus Schächer, am Kreuz gestorben. Blut um Blut, Wunde um Wunde, Weib um Weib.«

Dann zog er aus einer mit Juwelen besetzten Scheide eines jener schlimmen, krummen Messer, welche die Mauren Yatagan heißen.

»Wunde um Wunde«, sprach Ser Huygs, seine schwerfällige Art, eine fremde Sprache zu reden, nachahmend. »Mohr um Mohr: wenn du kein anderes Lied weißt, so sing es zum mindesten mir etwas Abwechslung! Und noch eins: wenn ich dir dein Weib nahm, so geschah es, weil die Ärmste lieber allein in einer ehrbaren Häuslichkeit herrschen wollte, denn dir als Sklavin deiner Lüste zu dienen mit so und so viel jungen Vetteln, die du für deine Begierden gemästet hast. Und zweitens, bei uns Brabantern gilt es als Gemeinheit, für einen mit den Waffen ausgetragenen Streit Vergeltung zu fordern. Trotzdem bin ich erbötig, ein zweites Mal mit dir zu kämpfen; und ich werde dir so tüchtig den Pelz waschen, daß du nach keiner zweiten Einseifung verlangen sollst!«

Derweil suchte Ser Huygs umsonst nach einer Waffe in seinem Gürtel; dann schaute er nach dem Kamin, ob der große Schürhaken nicht dort sei; doch der heißen Zeit halber hatte man ihn entfernt. Seine Blicke liefen die Wand entlang, die mit losen Tapeten bedeckt war; nirgends ein Stückchen Eisen. Er sagte sich: »Es ist um mich geschehen.« Da erblickte er in einer Ecke einen Hellebardenschaft aus festem Haselnußholz, der auf sein Eisen harrte. »Gottlob,« sprach er, »das ist's, was ich brauche.«

Der Mohr schwenkte sein krummes Messer auf der einen Seite vom Tische; Ser Huygs stand auf der andern; und hinter ihm kauerten sich bang die beiden Frauen mit Schluchzen und Seufzen.

»Nun gilt's, Mohr«, sprach er. »Und ihr Täubchen, entwischt fein säuberlich, damit ihr keine Spritzflecke kriegt, wenn ich diesem ungewaschenen Kerl den Buckel scheure.«

Damit schob er den Tisch beiseite und begann auf Mohammed loszuschlagen. Bald hieb er auf seinen Kopf ein, bald auf den Hals, oft auf die Arme, bisweilen auf die Beine. Doch der Mohr war so behend und geschmeidig, daß er alle Hiebe parierte. Hüpfend wie ein wütender Kater und gelenkig wie ein Affe, fuchtelte er mit der Spitze oder Schneide seines Messers immerfort vor der Brust oder dem Antlitz seines Feindes herum. Auch war sein Messer so lang wie ein Degen und vom härtesten Stahl, also daß Ser Huygs bei diesem ungleichen Kampfe leicht sein Leben hätte lassen können.

Plötzlich erschien der alte Klaas mit seiner Armbrust, krächzte und sprach: »Herr, soll ich auf den Ungläubigen schießen?«

»Nein, Bursch,« antwortete Ser Huygs; »ich will nicht, daß er da unten, wenn er davonkommt, sage, daß ein Mohr nur von zwei Christen bewältigt wird.«

»So will ich dir wenigstens einen Degen holen.« –

»Laß mir meinen Knüppel; er ist gut genug für diesen Bauernrücken. Schau, wie ich ihn einseife, scheure, lauge und spüle; er wird bald so weiß sein wie Schnee.«

»Herr, es ist nicht wohlgetan, Euer teures Leben dem krummen Messer solch eines Teufels auszusetzen.«

»Geh und störe mich nicht mit deinen Ratschlägen«, rief Ser Huygs.

Die beiden Frauen waren entwichen, um Hilfe zu holen, als Klaas die Tür geöffnet hatte. Er stellte sich mit seiner gespannten Armbrust wieder vor die Tür und der Kampf tobte weiter. Der Mohr stieß einen Schrei aus, denn er hatte einen Schlag auf die Wange erhalten.

»Spei Deine Zähne nur aus!« rief Ser Huygs; »keine falsche Scham, gelber Freund. Immer heraus mit dem, was man zu viel hat.«

Wie er also sprach, bekam er einen Schnitt in die Hand. Dennoch schlug er tapfer zu und sprach:

»Hat man die Zwiebeln auf dem Herd, so kerbt man sie ein, damit sie schmackhafter werden. Also auch ein Brabanter Christ. Je mehr er blutet, desto besser schlägt er. Fühlst du's nicht an deinem mageren Gerippe? Man sagt, Haselholz sei Balsam für Wütende. Hat das Sprichwort gelogen?«

Indessen schnitt ihm der Mohr sein halbes Ohr ab. Er schrie nicht, aus Stolz, und sprach geruhig, seinen Schaft noch kräftiger und behender schwingend:

»Safranfarbener Freund, du lerntest gut tanzen! Kein besserer Lehrer als Haselholz. Ha, wären wir draußen im Freien, ich jagte dich über die Senne, wie eine Schwalbe. Tanze, mein Freund, hüpfe, orangefarbener Kumpan! Gelt, du liebst den Haselstock; ich sehe, wie freudig du seine Liebkosungen annimmst. Denn Tanzen ist das größte Zeichen von Freude, und du tanzest wie ein Bettler, der ein Fürstenschloß geerbt hat.«

»Allah!« fauchte der Mohr voller Wut, »Herz um Herz, Wunde um Wunde. Tod des Christen gefällt dem Propheten. Weib und Schwester des Christen Mägde im Harem.«

Mit diesen Worten stieß er den Yatagan gegen Ser Huygs' Brust; doch er schnitt ihm nur das Kleid auf und ein Stückchen Fleisch heraus.

Der Huster fluchte hinter der Tür und sprach also zu sich: »Wenn dieser verfluchte Mohr doch einen Moment stille hielte, so schöss' ich ihm ungesäumt einen guten Bolzen zwischen die Augen oder ins Ohr oder in einen anderen Fleck seines Schädels. Doch wenn ich jetzt schieße, so treff ich womöglich meinen Herrn. Ach, alter Huster, du bist auf Erden zu nichts mehr nutz, nicht mal, einen tollen Hund zu töten. Du kannst ins Wasser gehn, Faulpelz!«

In diesem Augenblick vernahm er ein lautes Gekrach.

Der Hellebardenschaft war an Mohammeds Schulter zerbrochen und der Mohr fiel zu Boden wie ein Mehlsack.

»Herr,« rief der Huster eintretend, »ist er tot?«

»Das wolle Gott nicht«, erwiderte Ser Huygs. »Ich tat ihm einst unrecht. Er verdient keine Strafe.«

»Gott hat es also gewollt«, erwiderte der Huster. »Gelobt sei Gott!«

Plötzlich drangen durch das Eingangstor etliche bewaffnete Stadtknechte samt einer Schar neugieriger Weiber. Johanna und Roosje riefen von unten: »Halt aus, Mann!« »Mut, Bruder, wir bringen Hilfe!« Doch als sie, von den Kriegsknechten und Weibern gefolgt, die Stufen heraufkamen, fanden sie den Mohren am Boden liegend und Ser Huygs blutend und betrübt trotz seines Sieges. Sie umarmten ihn beide mir großer Zärtlichkeit und sprachen:

»Wo tut es dir weh, Bruder? Ist's diese böse Wunde, aus der du so stark blutest? Rasch, Balsam, warmes Wasser! Sprich, hast du keine andre Verletzung, die du verheimlichst? Du mußt es uns sagen und dich geschwind zu Bette legen. Komm, laß dich führen.«

»Ich danke euch, ihr Täubchen,« erwiderte Ser Huygs, »doch der Mohr hat mir nur ein Stückchen Fleisch abgeschnitten, deswegen ich mich nicht zu Bett legen werde. Und überdies müßt ihr nicht an mich denken, sondern an den Leichnam da«, setzte er mit großer Betrübnis hinzu. »Ich konnte euch beide nur nicht seinen Schmähungen aussetzen, noch mein Leben, das mir allein gehört, unverteidigt lassen.«

Die Frauen beugten sich über Mohammed, um zu hören, ob er noch atmete. Doch sie hörten nichts. Sie wollten ihn aufheben, doch er fiel wie ein Stein zurück.

»Seht ihr,« sprach der Huster triumphierend zum Volke, »er kam geraden Wegs aus dem Mohrenland, um unsern Herrn mit seinem großen Messer zu töten. Ser Huygs hatte nichts als den zerbrochenen Schaft da zu seiner Wehr. Und doch hat er ihn so gut verbläut, daß er das Zeitliche gesegnet hat.«

Und das Volk rief: »Heil Ser Huygs!«

Plötzlich rief Roosje: »Er lebt! Er hat die Augen aufgetan!«

In der Tat schlug Mohammed die Augen auf und blickte sich erstaunt und wütend um. Er wollte aufstehen und konnte nicht; dann erhob er mit großer Mühe die Hand zu seinem schaumbedeckten Munde.

»Er hat Durst«, sprach Roosje. Und sie lief selbst, um Wasser zu holen, gab ihm kleine Schlucke zu trinken; und da sie ihn stöhnen hörte, vergoß sie Tränen.

Ser Huygs schickte einen Stadtknecht zum Arzt, dieweil der Huster in einem Saale im Erdgeschoß Kräuterbier an das herbeigelaufene Volk ausschenkte, um den Sieg seines Herrn zu feiern. Mohammed ward auf Anordnung des Arztes zu Bette gelegt, und Johanna und Roosje wachten bei ihm sieben Tage und sieben Nächte. Ser Huygs hatte zwei Gewaffnete als Wache ins Zimmer gelegt, für den Fall, daß der Mohr seine Niederlage an seinem Weib oder an seiner Schwester rächen wollte.

Doch der dachte nicht daran. Denn da er die schöne und anmutige Roosje allzeit um sich sah und sie gute und tröstliche Worte sprechen oder über ihn weinen hörte, wenn er stöhnte, so ward er von ihrem sanften Anblick besänftigt. Dock er blieb still wie ein Stummer und begnügte sich, sie anzuschauen, wenn sie ihn nicht anschaute. Ser Huygs ließ sich nicht bei ihm sehen, um durch seine Gegenwart Mohammeds Zorn nicht von neuem zu entfachen und seine Genesung nicht zu vereiteln.

Roosje sagte oft zu Mohammed:

»Ach, Herr, warum wollt Ihr meinem Bruder nicht das Böse vergeben, das er Euch antat, da er Euch ja das vergibt, das Ihr ihm antun wolltet; dann würdet Ihr rascher genesen.«

Jedoch der Mohr sprach kopfschüttelnd:

»Weib um Weib«, worauf er in sein Schweigen zurücksank.

Roosje erwiderte flugs:

»So Ihr durchaus ein Weib wollt, so gibt es hierzulande vielleicht welche, die Euch möchten, Herr. Doch dann dürft Ihr nicht mehr nach dem glühenden Lande zurück, von wannen Ihr kommt. Und dort,« setzte sie hinzu, auf das Kruzifix weisend, »dort ist ein armer Gott, der für Euch starb, wie für mich, Herr, und der Euch selig machen könnte, wenn Ihr wolltet.«

»Allah ist groß«, erwiderte Mohammed.

»Allah liebt Euch gar nicht,« entgegnete Roosje boshaft, »denn er litt, daß Euer Weib Euch geraubt ward und daß man Euch zwiefach verwundete. Ach! unser Gott wäre nicht so gegen einen Christen.«

Doch Mohammed wollte nicht das kleinste Wörtlein gegen seinen Propheten hören. Indes sprach Roosje oft davon, und er hörte und blickte sie gern an, während sie sprach.

Und eines Tages, es war der dreizehnte, sagte er endlich: »Allah ist undankbar.«

Und er bat Roosje, Ser Huygs zu rufen.

Er kam und Mohammed sprach zu ihm:

»Du warest mein Feind, du hast mich verwundet, doch ich schlief in deinem Bette und aß dein Brot, ich vergebe dir. Sage mir, wie man sich unter Christen vergibt.«

»Ich will es dir zeigen,« sprach Ser Huygs, »und vergebe dir gleichfalls, denn du tust etwas Gutes.«

Damit gab er ihm den Friedenskuß, und der Mohr erwiderte ihn.

Ser Huygs erfuhr bald von ihm, daß er seine Schwester Roosje zur Ehe begehrte, und er gab sie ihm gern, da er ihn so gebessert sah und aus eigner Anschauung wußte, daß Mohammed von edler Geburt und einer der Reichsten seines Landes war. Und da Mohammed oft erklärt hatte, daß Allah undankbar sei und er dergleichen Götter nicht anbeten wolle, so ward er im Dome getauft. Er erhielt den Namen Walter; und Ser Roelofs, Ser Huygs' Schwager, erlangte vom Herzog die Gunst, daß der neue Christ seinen edlen Namen trüge. Roosje aber lenkte Walter Roelofs zu seinem eignen Besten, und er hätte alles getan, was sie wollte. Denn es gibt, so sagt man, in gewissen Ländern Frauen, welche den Löwen die Zähne abschleifen und ihnen die Nägel stutzen.

 


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