Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Untergang der »Unbeugsamen«.

Die »Unbeugsame« war eine Fregatte von sechzig Kanonen, die 1830 an der Beschießung von Algier teilnahm. Heute ist wahrscheinlich nicht viel mehr von ihr übrig. Höchstens noch modert ihr mastloser Rumpf mit den leeren Stuckpforten in dem Arsenal von Brest, wo er als schwimmendes Magazin dient. Und doch kenne ich die »Unbeugsame«, als hätte ich selbst die Welt mit ihr umsegelt.

Ich kenne sie von dem Modelle her, einem wahren Meisterwerk, das der alte Clodion von ihr angefertigt hatte und das, vom Raum bis zur Spitze des großen Mastes fünfzig Centimeter hoch, die Fregatte mit ihren Tauen und aufgehißten Segeln bis ins kleinste Detail wiedergab. Wie oft in meinen Jugendtagen habe ich im Atelier des Landschaftsmalers Jules Clodion, genannt Clodion von der Birke, das getreue Abbild der »Unbeugsamen« bewundert.

Die Bekanntschaft Jules Clodions machte ich bei Bauer. Was weckt allein schon der Name Bauer für Erinnerungen in mir! Jene längst entschwundenen Jahre der Entbehrung und der versäumten Zeit tauchen wieder vor mir auf!

Die Bauersche Brauerei war der Versammlungsort einer Schar Freunde, der anzugehören, ich mich glücklich schätzte. Ein großes Schild: »Garten und Bosketts« stand über dem Eingang der Brauerei. Mit wildem Wein bewachsene Lauben, verblühtes, eingestaubtes Fliedergebüsch, ein Rasen, auf dem Cigarrenstummel die Blumen ersetzten, ein paar Akazien und in einer Ecke die unvermeidliche Sonnenblume bildeten diesen Garten. Hier trafen wir uns gewöhnlich gegen fünf Uhr, vorher wäre man vor Hitze umgekommen, und dann entspann sich stets beim vollen Glase irgend eine geistreiche Unterhaltung. Clodion von der Birke, in roter Bluse und in Pantoffeln, beschäftigte sich meist mit einem Wurfspiel, wo er mit sicherer Hand unfehlbar alle Ringe in den Löwenrachen brachte.

Von dieser ganzen Gesellschaft, deren Haupt Clodion war, sind jetzt schon alle nahe an die Vierzig; die einen haben im Leben etwas erreicht, die andern nicht. Harivel, der Chemiker, hat einen Sitz in der Akademie erhalten, und Lemétreur, der kahle Philosoph, den wir wegen seiner salbungsvollen Art »den Papst im Exil« nannten, war nacheinander Sitzredakteur an einer Zeitung, ich weiß nicht mehr war's unter der Kommune, Zettelträger in London, Zahlmeister auf einem Postdampfer zwischen Havre und Hamburg und hat sich jetzt eine sichere Lebensstellung als Beamter in der Beerdigungsverwaltung errungen.

Welche Gegensätze in dem Schicksal junger Leute, die sich auf dem Pflaster von Paris zusammenfinden! Neulich begegnete ich einmal Pierre Avril, der eine wie eine Chansonnettensängerin gekleidete Frau am Arme führte. Der arme Pierre Avril, der in seinen Dichtungen Wald und Flur so duftig zu schildern weiß! Er hatte einen gelblichen Schlapphut auf, einen alten schwarzen Rock unter seinem vertragenen Ueberzieher an und rauchte seine Thonpfeife auf offener Straße. Dabei hat er sich noch immer die Haltung eines spanischen Granden bewahrt und sucht vergebens nach einem Verleger für sein letztes Werk, während der Esel von Vassal, der Genremaler, der sich als Modell für seine Bilder kostbare Kostüme von Schneiderinnen ersten Ranges leiht, eine heruntergekommene Baronin aushält und allabendlich im Bois auf einer rotbraunen Stute zu dreitausend Thalern spazieren reitet.

Was ist aus all den alten Kameraden der Bauerschen Brauerei geworden? Lépicier, der Bildhauer, ist bei Champigny gefallen. Garnisel ist tot. Favrot tot. Pagès, der Armenschüler, ist noch schlechter gefahren: er hat geheiratet, hat ein Häuflein Kinder, und um ihnen Brot zu verschaffen, ist er Arzt bei einer Somnambule geworden. Und wohin ist Plock, der Karikaturmaler geraten? Auf einer Seite vom Schlag gelähmt, hat er eine Photographiebude errichtet, deren Kundschaft aus Sonntagspublikum besteht, denen er Bilder, zu fünfzig Centimes das Stück, anfertigt.

Sie sind nicht gerade lustig, meine Jugenderinnerungen!

*

Jules Clodions Vater war Kapitän gewesen, der weite langandauernde Reisen zu machen pflegte. Nachdem er ein kleines Vermögen erspart hatte, starb er, als sein Sohn sich noch in Havre auf dem Gymnasium befand und dort durch sein Zeichentalent die Bewunderung all seiner Mitschüler erregte. Die Frau des Kapitäns war schon lange vor diesem gestorben, und seine Schwester, eine alte Jungfer vom Lande, die Mutterstelle an dem Kinde vertrat, verstand der verfehlten Neigung Jules Clodions zum Künstlerberufe keinen Einhalt zu thun. So kamen sie denn eines Tages mit einem goldgespickten Strumpf und ihren Möbeln nach Paris – eine echte, einfach ländliche Seemannseinrichtung, bei der das Fernrohr an der Wand nicht fehlte, noch die Seekarten mit eingezeichneten Meeresströmungen, noch die normännische mit Linnen vollgepfropfte Truhe, noch die ausgestopften fremdländischen Vögel des Südens unter einer Glasglocke. Aber den Hauptschmuck dieser Häuslichkeit bildete das Modell der »Unbeugsamen«, das der alte Clodion, als er noch Schiffsjunge war und noch auf der Reede von Brest barfuß in den Tauen des Schulschiffes umhergeklettert war, ausgeführt hatte.

Als ich Jules Clodion kennen lernte, waren die letzten, schönen Louisd'ors, die der Kapitän im Schweiße seines Angesichts an der afrikanischen Küste und vielleicht auch ein bißchen im Sklavenhandel verdient hatte, schon längst ausgegeben. Dem Maler blieb aus seines Vaters Nachlaß in seinem armseligen Atelier, das in dem hintern Hofe eines Restaurants lag, wenig mehr als das Modell der »Unbeugsamen« und seine Tante Modeste. Die arme Person in ihrer Bauernhaube fühlte sich inmitten des Zigeunertums, wo sich das Leben ihres Neffen abspielte, ebenso wenig an ihrem Platze, wie ein Rekrut in einer Gemäldegalerie.

Es gab aber auch täglich etwas zum Staunen für die gute alte Tante. Warum vor allem nannten denn die Menschen ihren Neffen Clodion von der Birke? Sie allein kannte den Ursprung dieses Namens nicht. Wie jeder andre Künstler ging auch Clodion bei guter Beleuchtung, seine Malerutensilien aus dem Rücken und die Beinkleider in den Stulpenstiefeln, in den Wald, und erst bei einbrechender Dunkelheit, wenn wir andern schon alle bei einem Spielchen in der Kneipe saßen und aufs Essen warteten, war er einer der letzten, die heimkehrten, und regelmäßig brachte er auch eine Skizze mit nach Hause. Es war immer dasselbe: Felsen, Heidekraut und Birken, und wir wußten gar wohl, wie das entstanden war. Sobald er sich allein im Walde sah, legte sich der unverbesserliche Faulpelz auf den Rücken neben seine Staffelei ins Gras, um seine Pfeife zu rauchen. Dann, im letzten Moment, beschmierte er die Leinwand, ohne die Landschaft auch nur eines Blickes zu würdigen, mit den ewigen Birken, die ihm seinen Spitznamen eingetragen hatten und die er in einer Manier mit dem Wischlappen und der Spachtel zu stande brachte, die nur ihm eigen war. Clodion hatte eben das Problem gelöst: Mit »Chic« nach der Natur zu malen.

Das ahnte die gute alte Tante Modeste natürlich nicht, ebensowenig wie sie wußte, welch ein verbummelter Mensch ihr Neffe war. Ich werde den Ausdruck von schreckhaftem Staunen in ihrem Gesichte nie vergessen, wenn hin und wider des Abends die ganze Gesellschaft aus der Bauerschen Brauerei ins Atelier stürmte. Was waren das aber auch für Abende! Beim Scheine von ein paar in Flaschenhälsen steckenden Kerzen saßen wir zu vieren auf dem wackligen Sofa, sechs auf dem Bett und die übrigen gruppierten sich dann, wo sie gerade Platz fanden. Das Halbdunkel des schlecht erleuchteten Raumes gab den beschatteten Köpfen der Anwesenden mit den fliegenden Haaren oder mit den wie Billardkugeln glänzenden kahlen Platten, ja selbst der unaussprechlich dummen Physiognomie des Volkspoeten mit dem Apostelbart, der uns seine Gesänge über den republikanischen Christus und die Verbrüderung der Völker vortrug, fast etwas Wildes. Dann ging der Spektakel los; man disputierte. Lemétreur, der Philosoph, entwickelte seine Theorie über die allgemeine »Wurschtigkeit«, Avril deklamierte seine Verse, Plock, der Zeichner, behauptete, daß es nur noch dreier Karikaturen zum Umsturz des Kaiserreichs bedürfe, und Garnisel, der Hanswurst, spielte auf einem abgeleierten Klavier einen Trauermarsch, indem er sich zwischen hinein immer wieder mit einem Plumps auf die Klaviatur setzte. Kurz es war alles Lärm und Getöse und Tabaksqualm.

Sehr oft schaute ich verstohlen nach der alten Tante Modeste hin, an die keiner dachte. Sie saß vergessen in ihrem Winkel, die Füße auf einem Schemel, die Hände im Schoße gefaltet, während das angefangene Strickzeug zwischen ihren Knieen auf der Schürze lag. Sie hörte nichts von all dem Lärm; ihre Augen ruhten träumend auf dem Modell der »Unbeugsamen«, die mit ihren eleganten, graziösen Formen von der Kommode herüberleuchtete.

Zweifellos rief die kleine Fregatte der guten Frau jene glücklichen Tage ins Gedächtnis zurück, die sie, ach wie sehr, vermißte, wo sie ihrem Bruder Haus gehalten hatte, während er sich auf fernen Reisen befand, jene stillen, friedlichen Tage, wo der Junge noch so lenksam und lieb gewesen war. Vielleicht tauchte dann und wann in dem beschränkten Gedankengange der einfachen Bäuerin ein schmerzlicher Vergleich auf zwischen den schlecht gemalten Skizzen Clodions von der Birke, die die Wände bedeckten, und jenem zarten, kunstvollen Bau der Fregatte, die von gewissenhafter, ausdauernder Arbeit zeugte.

*

Ich verlor den Landschafter aus den Augen. Da er aber trotz allem ein guter Kerl war, erkundigte ich mich von Zeit zu Zeit nach ihm und hörte stets mit Bedauern, daß sich in seiner unordentlichen und unthätigen Lebensführung nichts änderte.

»Ist die alte Tante noch immer bei ihm?« fragte ich eines Tages einen gemeinschaftlichen Bekannten.

»Ja, und die kämpft mit ganzer Macht gegen den vollständigen Ruin des Hauses an. Die ist wacker, die Aermste! Wenn sie irgendwie Geld auftreiben kann, nimmt sie einen der Leihhausscheine, die Clodion wie einstens, auch jetzt noch in dem Totenschädel aufbewahrt, und löst ihrem Neffen damit irgend einen unentbehrlichen Gegenstand ein, den Winterüberzieher oder Wäsche. ... Das Schrecklichste ist, daß ihr der Taugenichts Abend für Abend eine Bande Bummler mitbringt, dann muß sie zusehen, wo sie ein paar Franken hernimmt für Cognac und Zucker zum Grog. ... Es ist zum Erbarmen, die arme Frau, wenn man morgens zu Clodion kommt, den Schmutz und die Cigarrenstummel vom letzten Abend hinausfegen zu sehen.«

»Und die Unbeugsame?«

»Die kleine Fregatte? Die haben sie noch ... das ist das Rührendste an der Geschichte. ... Bei der Existenz, die Clodion führt, ist es ja selbstverständlich, daß er nicht allzu gut mit seiner Hauswirtin auskommt. ... An jedem Quartal gibt es neue Kämpfe mit Exmission und Pfändung ... dreimal schon sind ihnen die Möbel auf die Straße gestellt und verkauft worden. ... Tante Modeste rettet hin und wider einige Trümmer, aber schließlich ist fast nichts mehr übrig geblieben, weder Fernrohr, noch Seekarten, noch Truhe. ... Die Fregatte jedoch hat sie bisher immer wieder zurückkaufen können ... sie hält daran fest, wie an einem Talisman, und sogar Clodion ist abergläubisch geworden und bildet sich ein, daß so lange die ›Unbeugsame‹, wie er sich ausdrückt, vor Anker liegt, er sich trotz allem und allem über Wasser halten wird. Und der Zufall gibt ihm recht. So schlecht es auch stehen mag, er hat immer wieder mehr Glück, als er verdient. Wenn er keinen Heller mehr besitzt, kommt plötzlich irgend ein Auftrag auf Heiligenkram oder Tapeten. Vergangenen Januar war das Elend groß ... er sah sich bei zehn Grad Kälte gezwungen, im Strohhut und im Alpakaröckchen auszugehen. ... Da verkaufte er ein Bild – seinen ewigen Feenteich – an einen amerikanischen Händler. ... Er schreibt dies der Fregatte zu ... jedenfalls ist dies Gefühl der Anhänglichkeit nicht sein schlechtestes.«

*

All dies lag weit hinter mir; ich hatte es längst vergessen; aber gestern auf dem Boulevard Montparnasse, als ich zufällig vor einem armseligen Trödlerladen stehen blieb, in dem alte eiserne Bettstellen, greuliche rote Federdecken und von jenen napoleonischen Kupferstichen verkauft werden, auf denen der Kaiser für einen eingeschlafenen Soldaten Wache steht oder den egyptischen Pestkranken die Hand reicht, gestern inmitten dieser häßlichen Gegenstände erkannte ich die »Unbeugsame«.

Ach, das kleine Fahrzeug war übel zugerichtet! Die Hälfte der Stuckpforten hatten schon keine der niedlichen Messingkanonen mehr; der Klüver fehlte und mehrere Rahen waren zerbrochen.

Da fiel mir auch ein, daß ich schon seit lange in den Schaufenstern der Rue Lafitte die Klecksereien Clodions von der Birke nicht mehr bemerkt hatte. Im Geist stieg das Bild des verkommenen Genies wieder vor mir auf; war er doch mit mir jung gewesen! Ich sah Tante Modeste, die heroische Bäuerin, die so traurig in dem Zigeunerleben ihres Neffen verkommen mußte, und es stimmt mich noch immer ganz trübe, wenn ich daran denke, daß die beiden wohl beim Schiffbruch der »Unbeugsamen« vollends zu Grunde gegangen sein werden.


 << zurück weiter >>