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Sechstes Kapitel.

Ewiger Vater, die hier wechselnd sich gestalten,
Sind die andre Seite nur von Dir.

Thomson.

 

Als der Häuptling an das Land gestiegen war, und mit dem Pfadfinder zusammentraf, redete dieser ihn in der Sprache der Krieger seines Volkes an.

»War es wohlgethan, Chingachgook,« sagte er vorwurfsvoll, »sich gegen ein Dutzend Mingo's ganz allein in einen Hinterhalt zu legen? 's ist zwar wahr, der Hirschetödter fehlt selten, aber der Oswego ist breit, und dieser Schuft zeigte wenig mehr als den Kopf und die Schultern über dem Gebüsch, und eine ungeübte Hand und ein unsicheres Auge hätten ihn wohl fehlen mögen. Du solltest das bedacht haben, Häuptling! Du solltest hieran gedacht haben.«

»Big Serpent ist ein Mohikanischer Krieger, und sieht nur die Feinde, wenn er auf seinem Kriegspfad ist. Seine Väter haben ihre Feinde im Rücken angegriffen, seit die Wasser zu fließen begannen.«

»Ich kenne deine Gaben, ich kenne sie, und habe alle Achtung vor ihnen. Kein Mensch wird mich darüber klagen hören, daß eine Rothhaut der Rothhautnatur treu bleibt; aber Klugheit ziemt einem Krieger so gut als Tapferkeit, und hätten nicht diese Irokesenteufel auf ihre Freunde im Wasser gesehen, so möchten sie dir wohl heiß genug auf die Führte gekommen sein.«

»Was hat der Delaware vor?« rief Jasper, welcher in diesem Augenblick bemerkte, daß der Häuptling plötzlich den Pfadfinder verließ und gegen den Rand des Wassers ging, anscheinend mit der Absicht, wieder in den Fluß zu steigen. »Er wird doch nicht so toll sein, wieder an das andere Ufer zurückzukehren, vielleicht um einer Kleinigkeit willen, die er vergessen hat?«

»Nein, gewiß nicht; er ist im Grunde so klug als tapfer, obgleich er in seinem letzten Hinterhalt sich vergessen hat. Hört Jasper« – er führte den Andern ein wenig auf die Seite, als man gerade den Indianer in das Wasser springen hörte: »hört, Junge; Chingachgook ist kein Christ, kein weißer Mann, wie wir, sondern ein Mohikanischer Häuptling, der seine eigenen Gaben hat, und den Ueberlieferungen folgt, welche ihm die Richtschnur seiner Handlungen vorschreiben: und wer sich zu Männern gesellt, die nicht so ganz von seiner Art sind, thut gut, sie der Leitung ihrer Natur und Gewohnheit zu überlassen. Ein Soldat des Königs flucht und trinkt, und es wird von geringem Erfolg sein, es ihm abgewöhnen zu wollen; ein Gentleman liebt seine Leckerbissen, eine Dame ihren Federschmuck, und es fruchtet nicht viel, sich dagegen anzustemmen. Dazu sind Natur und Gaben eines Indianers weit tiefer gewurzelt, als diese Gewohnheiten, und ich zweifle deshalb nicht, daß sie ihm von dem Herrn zu einem weisen Zweck bescheert wurden, obgleich weder Ihr noch ich seinen Ratschlüssen zu folgen vermögen.«

»Was soll das bedeuten? – Seht, der Delaware schwimmt auf den Körper zu, der dort an dem Felsen hängt. Warum begibt er sich in diese Gefahr?«

»Um der Ehre und des Ruhmes willen; wie die großen Herren ihre ruhige Heimath jenseits des Meeres verlassen, wo, wie sie sagen, das Herz ihnen nichts zu wünschen übrig ließ – das heißt solche Herzen, die mit den Lichtungen zufrieden sein können – und hierher kommen, um von der Jagd zu leben und gegen die Franzosen zu kämpfen.«

»Ich verstehe Euch, Euer Freund ist hingegangen, um sich des Skalps zu versichern.«

»'s ist seine Gabe, und er mag sich derselben freuen. Wir sind weiße Männer und können einen todten Feind nicht verstümmeln. Aber in den Augen einer Rothhaut erscheint dieß als ehrenhaft. Es mag Euch sonderbar vorkommen, Eau-douce, aber ich habe weiße Männer von großem Namen und Charakter ebenso merkwürdige Ideen von Ehre kundgeben sehen.«

»Ein Wilder bleibt ein Wilder, Pfadfinder, mag er in was immer für einer Gesellschaft leben.«

»Wir haben da gut reden, Junge, aber die Ehre des Weißen steht gleichfalls nicht immer im Einklang mit der Vernunft und dem Willen Gottes. Ich habe in den stillen Wäldern draußen manchen Tag in Gedanken über diese Gegenstände zugebracht, und bin nun zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Vorsehung, welche alle Dinge regelt, keine Gaben ohne weisen und vernünftigen Zweck verurtheilt. Wären Indianer zu Nichts nütze, so wären keine geschaffen worden, und ich glaube, daß am Ende auch die Stämme der Mingo's zu irgend einem vernünftigen und eigenthümlichen Zwecke vorhanden sind, obgleich ich bekenne, daß die Erkenntniß desselben über meine Einsicht geht.«

»Der Serpent setzt sich bei diesem Skalpholen der größten Gefahr aus. Er kann uns den Tag verlieren.«

»Wie er es betrachtet, nicht, Jasper. Dieser einzige Skalp gereicht ihm, nach seinen Begriffen vom Krieg, zu einer größeren Ehre, als ein ganzes Feld voll Erschlagener, welche ihre Haare auf dem Kopf haben. Da hat der feine junge Kapitän vom Sechzigsten bei dem letzten Gefecht, das wir mit den Franzosen hatten, sein Leben dem Versuch geopfert, einen feindlichen Dreipfünder zu nehmen, wobei er sich auch Ehre zu erwerben hoffte; dann habe ich noch einen jungen Fähndrich gekannt, der sich in seine Fahne wickelte, um darin den blutigen Todesschlaf zu schlafen. Mochte er sich wohl einbilden, daß er so sanfter ruhe, als auf einer Büffelshaut?«

»Ja, es ist ein anerkanntes Verdienst, seine Flagge nicht nieder zu halten.«

»Und dieß sind Chingachgooks Fahnen – er wird sie aufbewahren, um sie seinen Kindeskindern zu zeigen.« – Hier unterbrach sich Pfadfinder, schüttelte melancholisch den Kopf und fuhr fort. »Was sage ich! Kein Sprößling ist dem alten Mohikanischen Stamme geblieben. Er hat keine Kinder, die er mit seinen Siegeszeichen erfreuen könnte; keinen Stamm, der seine Thaten preist. Er ist ein einsamer Mann in dieser Welt, und doch hält er treu an seiner Erziehung und seinen Gaben! Es liegt etwas Ehrenwerthes und Achtbares hierin, Jasper, Ihr müßt es zugeben; ja, es liegt etwas Würdiges darin.«

Hier erhob sich unter den Irokesen ein gewaltiges Geschrei, welchem schnell das Knallen ihrer Büchsen folgte. Die Feinde wurden in ihrem Bemühen, den Delawaren von seinem Opfer zurückzutreiben, so hitzig, daß ein Dutzend derselben in das Wasser stürzten, und Einige fast auf hundert Fuß in der schäumenden Strömung vordrangen, als ob sie wirklich an einen ernstlichen Ausfall dächten. Aber Chingachgook machte ruhig weiter, da er von den Geschossen unverletzt geblieben war, und beendete seine Aufgabe mit der Gewandtheit einer langen Uebung. Dann schwang er sein triefendes Siegeszeichen in der Luft und ließ seinen Schlachtruf in den furchtbarsten Intonationen erschallen. Eine Minute lang ertönten nun die Hallen des schweigenden Waldes und der tiefe, von dem Laufe des Stromes gebildete Einschnitt von einem schrecklichen Geschrei wieder, so daß Mabel in ununterdrückbarer Furcht ihr Haupt sinken ließ, während ihr Onkel einen Augenblick ernstlich auf Flucht bedacht war.

»Das übersteigt Alles, was ich je von diesen Elenden gehört habe,« rief Jasper voll Entsetzen und Abscheu, indem er sich die Ohren zuhielt.

»'s ist ihre Musik, Junge; ihre Trommeln und Pfeifen; ihre Trompeten und Zinken. Es ist kein Zweifel, daß sie diese Töne lieben, denn sie erregen in ihnen ungestüme Gefühle und das Verlangen nach Blut,« erwiederte Pfadfinder in vollkommener Ruhe. »Ich hielt sie für schrecklicher, als ich noch ein junger Bursche war; jetzt aber sind sie meinen Ohren nicht mehr, als das Pfeifen des Windfängers oder der Gesang des Spottvogels, und stünde dieses kreischende Gewürm von den Fällen an bis zur Garnison, Einer an dem Andern, so würde es jetzt keinen Eindruck mehr auf meine Nerven machen. Ich sage das nicht aus Prahlerei, Jasper; denn der Mann, der die Feigheit durch die Ohren eindringen läßt, hat jedenfalls ein schwaches Herz. Töne und Geschrei sind mehr geeignet, Weiber und Kinder zu beunruhigen, als einen Mann, der gewohnt ist, die Wälder zu durchspähen, oder dem Feinde in's Angesicht zu schauen. Ich hoffe, der Serpent ist nun zufrieden gestellt, denn da kommt er mit dem Skalp an seinem Gürtel.«

Jasper wandte voll Abscheu über das letzte Beginnen des Delawaren sein Gesicht ab, als dieser an's Land stieg. Pfadfinder aber betrachtete seinen Freund mit der philosophischen Gleichgültigkeit eines Mannes, dessen Geist sich gewöhnt hat, auf alle ihm außerwesentlich scheinenden Dinge ohne Vorurtheil zu blicken. Als der Delaware sich tiefer in das Gebüsch begab, um seinen ärmlichen Kattunanzug auszuringen und seine Büchse für den Dienst in Stand zu setzen, warf er einen triumphirenden Blick auf seine Gefährten, nach welchem jedoch alle auf seine vermeintliche Heldenthat Bezug habenden Gefühlsäußerungen verschwanden.

»Jasper,« begann nun der Wegweiser, »geht zu Meister Caps Station hinunter, und ersucht ihn, sich mit uns zu vereinigen. Wir haben nur wenig Zeit zur Berathung und müssen daher schnell unsern Plan entwerfen; denn es wird nicht lange anstehen, bis diese Mingo's neues Unheil spinnen.«

Der junge Mann gehorchte, und in wenigen Minuten waren die Viere in der Nähe des Ufers versammelt, um über ihre nächsten Bewegungen Rath zu schlagen, wobei sie sich jedoch vorsichtig verbargen und ein wachsames Auge auf das Beginnen ihrer Feinde hielten.

Mittlerweile hatte sich der Tag zu seinem Ende geneigt und weilte noch einige Minuten zwischen dem scheidenden Lichte und einer Dunkelheit, welche tiefer als gewöhnlich zu werden versprach. Die Sonne war bereits hinter den Horizont gesunken, und die Dämmerung ging schon in das Dunkel der tiefen Nacht über. Die meiste Hoffnung unserer Gesellschaft hing an diesem begünstigenden Umstand, obgleich er auch nicht alle Gefahr beseitigte, denn wiewohl er ihrer Flucht Vorschub that, so verhehlte er auch zugleich die Bewegungen ihrer verschmitzten Feinde.

»Männer,« begann der Pfadfinder, »der Augenblick ist gekommen, wo wir mit Besonnenheit unsere Pläne entwerfen müssen, um gemeinschaftlich und nach bester Würdigung unserer Gaben handeln zu können. In einer Stunde werden diese Wälder so dunkel als um Mitternacht sein, und wenn wir je die Garnison erreichen wollen, so muß es unter dem Schutze dieses günstigen Umstandes geschehen. Was sagt Ihr, Meister Cap? Denn obgleich Ihr in den Kämpfen und Rückzügen der Wälder nicht unter die Erfahrensten gehört, so berechtigen Euch doch Eure Jahre, zuerst im Rathe und in dieser Sache zu sprechen.«

»Und meine nahe Verwandtschaft zu Mabel, Pfadfinder, die doch auch als etwas anzuschlagen ist.«

»Ich weiß das nicht, ich weiß das nicht. Rücksicht ist Rücksicht, und Zuneigung ist Zuneigung, ob sie eine Gabe der Natur ist, oder ob sie aus dem eigenen Urtheil und einer freiwilligen Anhänglichkeit fließt. Ich will hier nicht von Serpent sprechen, der für die Weiber keinen Sinn mehr hat, aber wohl von Jasper und mir, wir sind eben so bereit, uns zwischen des Sergeanten Tochter und die Mingo's zu stellen, als es ihr eigener braver Vater thun würde. Sag' ich nicht die Wahrheit, Junge?«

»Mabel kann bis zum letzten Tropfen Bluts auf mich rechnen,« sprach Jasper, zwar mit verhaltenem Tone, aber mit tiefem Ausdruck des Gefühls.

»Gut, gut,« erwiederte der Onkel, »wir wollen über diesen Gegenstand nicht streiten, da Alle bereit scheinen, dem Mädchen zu dienen; und Thaten sind besser als Worte. Nach meinem Gutachten können wir nichts Anderes thun, als an den Bord des Kahnes gehen, sobald es dunkel genug ist, daß uns die feindlichen Ausluger nicht sehen können, und gegen den Hafen rennen, so schnell es Wind und Zeit erlaubt.«

»Das ist leicht gesagt, aber nicht leicht gethan!« entgegnete der Wegweiser. »Wir werden in dem Fluß weit mehr Gefahren ausgesetzt sein, als wenn wir unsern Weg durch die Wälder verfolgen, und dann ist die Stromenge des Oswego vor uns. Ich glaube nicht, daß selbst Jasper einen Kahn in der Dunkelheit wohlbehalten darüber wegbringen wird. Was sagt Ihr, Junge, da ich das Eurem Urtheil und Eurer Geschicklichkeit überlassen muß.«

»Ich bin, die Benützung des Kahnes anlangend, mit Meister Cap einer Meinung. Mabel ist zu zart, um in einer Nacht, wie diese zu werden scheinet, durch Sümpfe und unter Baumwurzeln zu gehen, und dann fühle ich mein Herz immer kräftiger und mein Auge treuer, wenn ich mich auf dem Wasser befinde.«

»Kräftig mag Euer Herz immer sein, Junge, und Euer Auge erträglich treu, wenigstens treu genug für Einen, der so viel im hellen Sonnenscheine und so wenig in den Wäldern gelebt hat. Freilich, der Ontario hat keine Bäume, sonst würde er eine Fläche sein, die das Herz eines Jägers erfreuen könnte. Aber was Eure Meinung anbelangt, Freunde, so hat sie viel für sich und viel gegen sich. Einmal ist es richtig! das Wasser hinterläßt keine Fährte –«

»Was ist denn das Kielwasser anders?« unterbrach ihn der hartnäckige und überkluge Cap.

»Wie?«

»Macht nur fort,« sagte Jasper, »er bildet sich ein, er sei auf dem Meere – Wasser hinterläßt keine Fährte –«

»Es hinterläßt keine, Eau-douce, wenigstens bei uns nicht, obgleich ich mir nicht anmaße, zu sagen, was es auf dem Meere hinterläßt. Ein Kahn ist schnell und bequem, wenn er mit der Strömung schwimmt, und den zarten Gliedern der Sergeantentochter wird diese Bewegung gut bekommen. Andererseits aber hat der Fluß keine Verstecke, als die Wolken des Himmels. Die Stromenge ist sogar bei Tage für einen Kahn ein kitzliches Wagestück; und dann ist es zu Wasser sechs wohlgemessene Meilen von hier an bis zur Garnison. Eine Landspur dagegen findet man in der Dunkelheit nicht leicht auf. Es beunruhigt mich, Jasper, denn wirklich ist hier guter Rath theuer.«

»Wenn der Serpent und ich in den Fluß schwimmen und den andern Kahn aufbringen könnten,« erwiderte der junge Schiffer, »so möchte unser sicherster Weg der zu Wasser sein.«

»Ja, wenn! – Und doch ließe sich's vielleicht thun, wenn es erst ein wenig dunkler geworden ist. Gut, gut, wenn ich des Sergeanten Tochter und ihre Gaben betrachte, so weiß ich nicht, ob es nicht doch das Beste sein mag. Ja, wenn es blos eine Partie von Männern wäre, so möchte es eine lustige Hatz werden, wenn wir mit jenen schuftigen Burschen ein wenig Versteckens spielten. Jasper,« fuhr der Wegweiser fort, in dessen Charakter keine Spur von eitlem Gepränge oder Bühneneffekt Raum fand, »wollt Ihr es unternehmen, den Kahn aufzubringen?«

»Ich will Alles unternehmen, was zu Mabels Dienst und Schutz dienen kann, Pfadfinder.«

»Das ist ein rechtschaffenes Gefühl, und ich denke, es ist Natur. Der Serpent, der bereits fast entkleidet ist, kann Euch helfen. So wird diesen Teufeln wenigstens eines der Mittel abgeschnitten, mit denen sie Unheil stiften könnten.«

Nachdem dieser wichtige Punkt im Reinen war, bereiteten sich die verschiedenen Glieder der Gesellschaft vor, ihn zur Ausführung zu bringen. Die Schatten des Abends fielen dicht über den Forst, und als es so dunkel geworden war, daß man unmöglich mehr die Gegenstände am jenseitigen Ufer unterscheiden konnte, war Alles zu dem Versuche bereit. Die Zeit drängte; denn die indianische Schlauheit konnte so manches Mittel ersinnen, um über einen so schmalen Strom zu setzen, so daß der Pfadfinder mit Ungeduld darauf drang, den Ort zu verlassen. Während Jasper und sein Helfer, blos mit Messern und dem Tomahawk des Delawaren bewaffnet, in den Strom gingen und die größte Sorgfalt anwandten, um keine ihrer Bewegungen zu verrathen, holte der Wegweiser Mabel aus ihrem Verstecke, hieß sie und Cap am Ufer hin bis an den Fuß der Stromschnellen gehen, und bestieg selbst den andern Kahn, um ihn an dieselbe Stelle hinzubringen.

Dieß war leicht bewerkstelligt. Der Kahn wurde an das Ufer getrieben, und Mabel und Cap stiegen ein, um ihre vorigen Sitze wieder einzunehmen. Der Pfadfinder stand im Stern aufrecht und hielt bei einem Gebüsche, um zu verhüten, daß das schnelle Wasser sie nicht in die Strömung reiße. Einige Minuten gespannter und athemloser Aufmerksamkeit folgten, während welcher sie den Erfolg des kühnen Versuches ihrer Kameraden erwarteten.

Es muß bemerkt werden, daß die zwei Abenteurer sich genöthigt sahen, über das tiefe und reißende Fahrwasser zu schwimmen, ehe sie den Theil der Stromenge erreichen konnten, welcher ihnen das Waten gestattete. So weit war jedoch die Unternehmung bald gediehen, und Jasper und Serpent erreichten in dem gleichen Augenblick Seite an Seite den Grund. Als sie nun festen Fuß gewonnen hatten, nahmen sie sich gegenseitig bei der Hand und wateten langsam und mit der äußersten Vorsicht in der Richtung fort, in welcher sie den Kahn vermutheten. Aber die Tiefe der Finsterniß brachte sie zu der Ueberzeugung, daß ihnen der Gesichtssinn hier nur wenige Hülfe gewähre, und daß ihr Suchen durch jene Art von Instinkt geleitet werden müsse, welche die Jäger in den Stand setzt, ihren Weg unter Umständen zu finden, wo keine Sonne und kein Stern einen Leitpunkt abgibt, und wo einem Neuling in den Labyrinthen der Urwälder Alles nur wie ein Chaos erscheinen würde. Unter solchen Verhältnissen ergab sich Jasper darein, sich von dem Delawaren leiten zu lassen, dessen Gewohnheiten ihn am ehesten geeignet machten, die Führung zu übernehmen. Es war jedoch keine kleine Aufgabe, in dieser Stunde mitten durch das brausende Element zu waten, und alle Oertlichkeiten dem Geiste so einzuprägen, daß ihnen die nöthige Erinnerung daran blieb. Als sie sich in der Mitte des Stromes glaubten, waren die Ufer blos noch als dunkle Massen zu unterscheiden, deren Umrisse am Himmel kaum durch die Einschnitte der Baumwipfel angedeutet wurden. Ein oder zweimal veränderten die Wanderer ihren Curs, weil sie unerwartet in das tiefe Wasser gekommen waren; denn sie wußten, daß der Kahn an der seichtesten Stelle der Stromenge sich befand. Dieß war auch überhaupt ihr einziger Leitpunkt, und Jasper und sein Gefährte tappten nun schon nahezu eine Viertelstunde im Wasser herum, eine Zeit, welche dem jungen Mann gar kein Ende zu nehmen schien, und doch waren sie scheinbar dem Gegenstand ihres Suchens nicht näher, als sie es im Anfang gewesen waren. Gerade, als der Delaware anhalten wollte, um seinem Kameraden mitzutheilen, daß sie besser thun würden, an's Land zurückzukehren und von dort aus einen neuen Versuch zu machen, sah er in einer Entfernung, die er mit dem Arme erreichen konnte, die Gestalt eines Menschen sich im Wasser bewegen. Jasper stand neben Serpent, dem es nun auf einmal klar wurde, daß die Irokesen die gleiche Absicht mit ihnen hatten.

»Mingo!« wisperte er in Jaspers Ohr – »Big Serpent wird seinem Bruder zeigen, wie man schlau ist.«

Der junge Schiffer warf in diesem Moment einen Blick auf die Gestalt und die erschreckende Wahrheit blitzte auch in seiner Seele auf. Da er die Nothwendigkeit erkannte, sich hier ganz dem Delawarenhäuptling anzuvertrauen, so hielt er sich zurück, indeß sein Freund sich vorsichtig in der Richtung fortbewegte, in welcher die fremde Gestalt verschwunden war. Im nächsten Augenblick wurde sie wieder sichtbar und bewegte sich augenblicklich auf unsere beiden Abenteurer zu. Die Wasser tobten in einer Weise, daß von dem gewöhnlichen Ton der Stimme nichts zu besorgen stand; der Indianer wendete daher den Kopf rückwärts und sprach hastig: »Ueberlass' dieß der Schlauheit der großen Schlange.«

»Hugh!« rief der fremde Wilde und fuhr in der Sprache seines Volkes fort – »der Kahn ist gefunden, aber es ist Niemand da, mir zu helfen. Kommt, laßt uns ihn vom Felsen losmachen.«

»Gern,« antwortete Chingachgook, welcher den Dialekt verstand, »führe uns, wir wollen folgen.«

Der Fremde, welcher mitten in dem Brausen der Wasser die Stimme und den Accent nicht zu unterscheiden vermochte, führte sie in der erforderlichen Richtung, wobei die beiden Letzteren sich dicht an seine Ferse hielten, und so erreichten alle Drei schnell den Kahn. Der Irokese hielt an dem einen Ende, Chingachgook stellte sich in der Mitte auf, und Jasper begab sich zu dem andern, da es von Wichtigkeit war, daß der Fremde nicht die Anwesenheit eines Blaßgesichts gewahr werde, – eine Entdeckung, die eben so gut durch die Kleidungsstücke, welche der junge Mann noch trug, als durch das Sichtbarwerden seines Kopfes hätte herbeigeführt werden mögen.

»Lüpft!« sagte der Irokese mit der seiner Rasse eigenthümlichen Kürze, und mit geringer Anstrengung machten sie den Kahn vom dem Felsen los, hielten ihn einen Augenblick in der Luft, um ihn auszuleeren, und setzten ihn dann sorgfältig in der geeigneten Lage auf das Wasser. Alle Drei hielten fest, damit er nicht unter dem heftigen Drängen der Strömung ihren Händen entschlüpfte, während der Irokese, welcher den Curs leitete und sich an dem Bug des Kahnes befand, die Richtung nach dem östlichen Ufer, oder dem Orte, wo seine Freunde seine Rückkehr erwarteten, einschlug.

Da der Delaware und Jasper aus dem Umstand, daß ihre eigene Erscheinung dem Indianer so gar nicht aufgefallen war, annehmen konnten, daß sich noch mehrere Irokesen in der Stromenge befanden, so fühlten sie die Nothwendigkeit der äußersten Vorsicht. Männer von weniger Muth und Entschlossenheit würden zuviel Gefahr zu laufen gefürchtet haben, wenn sie sich in die Mitte ihrer Feinde begaben; aber die kühnen Gränzleute kannten die Furcht nicht, waren mit Gefahren vertraut, und sahen die Nothwendigkeit, wenigstens die Besitzergreifung des Fahrzeugs von Seite der Feinde zu verhindern, zu sehr ein, um nicht mit Freuden zu Erringung dieses Zweckes sich sogar noch größeren Wagnissen zu unterziehen. Jaspern erschien auch in der That der Besitz oder die Zerstörung dieses Kahnes für Mabel so wichtig, daß er sein Messer zog, und sich bereit hielt, Löcher in denselben zu stoßen, um ihn wenigstens für den Augenblick unbrauchbar zu machen, wenn er und der Delaware durch irgend einen Umstand zum leeren Rückzug genöthigt werden sollten.

Mittlerweile schritt der Irokese, welcher den Zug anführte, in der Richtung seiner eigenen Partei, langsam durch das Wasser und schleppte seine widerstrebenden Hintermänner nach. Einmal hatte Chingachgook schon seinen Tomahawk erhoben, um ihn in das Hirn seines vertrauenden und argwohnlosen Nachbars zu senken; aber die Wahrscheinlichkeit, daß der Todesschrei oder der schwimmende Körper Lärm erregen würden, veranlaßte den behutsamen Häuptling, sein Vorhaben zu ändern. Im nächsten Augenblick bereute er jedoch seine Unentschlossenheit, denn plötzlich fanden sich die Drei, welche den Kahn festhielten, von vier Andern umgeben, welche gleichfalls nach dem Fahrzeug spähten.

Nach den gewöhnlichen kurzen charakteristischen Ausrufungen, welche ihre Zufriedenheit bezeichneten, hielten die Wilden den Kahn mit Lebhaftigkeit an; denn Alle schienen die Notwendigkeit, sich dieser wichtigen Erwerbung zu versichern, zu fühlen, da solche auf der einen Seite zur Verfolgung der Feinde, auf der andern zur Sicherung des Rückzuges dienen sollte. Dieser Zuwachs der Gesellschaft war jedoch so unerwartet, und gab dem Feinde ein so vollständiges Uebergewicht, daß sich selbst der Scharfsinn und die Gewandtheit des Delawaren einige Augenblicke in Verlegenheit befand. Die fünf Irokesen, welche den Werth ihrer Sendung vollkommen erkannten, drängten gegen ihr Ufer zu, ohne zu einer Besprechung anzuhalten; denn ihre Absicht ging in Wahrheit dahin, die Ruder, deren sie sich vorläufig versichert hatten, zu holen, und drei oder vier Krieger einzuschiffen, sammt allen ihren Büchsen und Pulverhörnern, deren Mangel allein sie verhindert hatte, sobald es dunkel war, über den Fluß zu schwimmen.

So erreichten nun Freunde und Feinde mit einander den Rand des östlichen Fahrwassers, wo, wie in dem westlichen, das Wasser zu tief war, um durchwatet werden zu können. Hier erfolgte eine kurze Pause, denn es war nöthig, die Art zu bestimmen, wie man den Kahn darüber wegbringen solle. Einer von den Vieren, welcher eben bei dem Boot angelangt war, war ein Häuptling, und da der amerikanische Indianer dem Verdienst, der Erfahrung und dem Range Achtung zu zollen gewöhnt ist, so verhielten sich alle Uebrigen stille, bis der Führer gesprochen hatte.

Durch diesen Halt wurde die Gefahr einer Entdeckung für Jasper, obgleich er zur Vorsorge seine Mütze in den Kahn geworfen hatte, noch vermehrt. Doch mochten seine Umrisse in der Dunkelheit, da er Jacke und Hemd ausgezogen hatte, weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und seine Stellung am Hintertheile des Kahnes begünstigte gleichfalls ein Verborgenbleiben, da die Indianer mehr vorwärts blickten. Nicht so verhielt sich's mit Chingachgook, welcher sich buchstäblich mitten unter seinen tödtlichsten Feinden befand und sich kaum bewegen konnte, ohne einen derselben zu berühren. Er verhielt sich jedoch ruhig, obgleich alle seine Sinne rege waren und er jeden Augenblick bereit stand, zu entwischen, oder im geeigneten Moment einen Schlag zu führen. Die Gefahr einer Entdeckung wurde noch dadurch vermindert, daß er sich sorgfältig enthielt, auf die, welche hinter ihm waren, zurück zu blicken, und so wartete er mit der unüberwindlichen Geduld eines Indianers auf den Augenblick, welcher ihm zu handeln gestattete.

»Mögen alle meine jungen Leute an's Land gehen und ihre Waffen holen, bis auf die zwei an den Enden des Boots. Diese mögen den Kahn über die Strömung wegbringen.«

Die Indianer gehorchten ruhig und ließen Jasper an dem Stern, und den Indianer, welcher den Kahn aufgefunden hatte, an dem Bug des leichten Fahrzeuges. Chingachgook tauchte so tief in den Fluß, daß er ohne entdeckt zu werden, an den Andern vorbei kommen konnte. Das Plätschern in dem Wasser, das Schlagen der Arme und der gegenseitige Zuruf verkündete bald, daß die Vier, welche sich später zu der Gesellschaft gefunden, im Schwimmen begriffen waren. Sobald der Delaware sich hievon überzeugt hatte, erhob er sich, nahm seine frühere Stellung wieder ein und dachte nun auf den Augenblick des Handelns.

Ein Mann von geringerer Selbstbeherrschung als der unseres Kriegers würde wahrscheinlich jetzt seinen beabsichtigten Streich ausgeführt haben. Aber Chingachgook wußte, das noch mehr Irokesen hinter ihm in der Strömung sich befanden, und er war ein zu geübter und erfahrener Krieger, um irgend etwas unnützerweise zu wagen. Er ließ deßhalb den Indianer am Bug des Kahnes in das tiefe Wasser stoßen, und nun schwammen alle Drei in der Richtung des östlichen Ufers fort. Statt aber das Fahrzeug quer über die rasche Strömung treiben zu helfen, begannen Jasper und der Delaware, als sie sich mitten in dem kräftigsten Schusse des Wassers befanden, in einer Weise zu schwimmen, daß dadurch die weiteren Fortschritte in die Quere des Stromes verhindert wurden. Dieß geschah jedoch nicht plötzlich oder in der unvorsichtigen Manier, mit welcher ein civilisirter Mensch den Kunstgriff versucht haben würde, sondern mit Schlauheit und so allmählig, daß der Irokese am Bug zuerst dachte, er habe blos gegen die Gewalt der Strömung anzukämpfen. Wirklich trieb auch unter dem Einfluß dieser gegenwirkenden Operation der Kahn stromabwärts und schwamm in ungefähr einer Minute in dem stillen tieferen Wasser am Fuße der Stromenge. Hier fand jedoch der Irokese bald, daß etwas Ungewöhnliches sich dem Weiterkommen entgegenstemme, und als er zurückblickte, wurde es ihm klar, daß er den Grund desselben in den Bemühungen seiner Gehülfen zu suchen habe.

Jene zweite Natur, welche in uns die Gewohnheit erzeugt, sagte dem Irokesen schnell, daß er allein mit seinen Feinden sei. Mit einem raschen Stoße durch das Wasser fuhr er Chingachgook an die Kehle, und nun ergriffen sich die beiden Indianer, welche ihren Posten am Kahne verlassen hatten, mit der Wuth der Tiger. In der Mitte der Finsterniß und der düsteren Nacht, in einem Elemente schwimmend, das so gefährlich für einen tödtlichen Kampf sein mußte, schienen sie Alles mit Ausnahme ihres blutigen Hasses und des gegenseitigen Bestrebens, den Sieg davon zu tragen, vergessen zu haben.

Jasper hatte nun den Kahn, der unter den durch das Ringen der beiden Kämpfer hervorgebrachten Wellenstößen wie eine Feder im Winde dahin flog, völlig in seiner Macht. Der erste Gedanke des Jünglings war, dem Delawaren zu Hülfe zu schwimmen. Dann aber zeigte sich ihm die Wichtigkeit der Sicherung des Kahnes in ihrer vollen Gewalt, und während er auf die schweren Athemzüge der beiden Krieger, welche sich an den Kehlen gefaßt hielten, horchte, trieb er so eilig als er es vermochte, dem westlichen Ufer zu. Dieses hatte er bald erreicht, und nach kurzem Suchen die zurückgebliebene Gesellschaft, wie auch seine Kleider wieder aufgefunden. Wenige Worte genügten, um die Lage, in welcher er den Delawaren verlassen, und die Art, wie er den Kahn gerettet, auseinander zu setzen.

Als die am Ufer Befindlichen die Mittheilung Jaspers gehört hatten, trat eine tiefe Stille ein, und jeder lauschte aufmerksam in der eiteln Hoffnung, etwas zu vernehmen, was über den Ausgang des schrecklichen Kampfes, welcher im Wasser stattgefunden, oder noch fortdauerte, Aufschluß geben konnte. Aber man vernahm nichts durch das Geräusch des brausenden Flusses, und es gehörte mit zu der Politik ihrer Feinde auf dem entgegengesetzten Ufer, eine todtengleiche Stille zu beobachten.

»Nehmt dieses Ruder, Jasper,« sagte Pfadfinder ruhig, obgleich es den Uebrigen dünkte, daß seine Stimme melancholischer als gewöhnlich tönte, »und folgt mir mit Euerm Kahn. – Es ist nicht räthlich, lange hier zu bleiben.«

»Aber der Serpent?«

»Die große Schlange ist in den Händen ihrer eigenen Gottheit, und wir leben oder sterben, je nach den Absichten der Vorsehung. Wir können ihm nicht helfen und würden zuviel wagen, wenn wir müßig hier bleiben und wie Weiber im Unglück jammern wollten. Diese Finsterniß ist kostbar.« –

Ein lauter, langer, durchdringender Schrei drang vom Ufer herüber und unterbrach die Worte des Wegweisers.

»Was bedeutet dieser Lärm, Meister Pfadfinder?« fragte Cap. »Er klingt ja mehr wie das Zetergeschrei der Teufel, als wie Töne aus den Kehlen von Menschen und Christen.«

»Christen sind es keine, geben sich auch für keine aus, und wollen keine sein; und wenn Ihr sie Teufel nennt, so habt Ihr sie kaum unrecht betitelt. Dieser Schrei ist ein Freudenruf, wie ihn die Sieger ausstoßen. Es ist kein Zweifel, der Körper des Serpent ist todt oder lebendig in ihrer Gewalt.«

»Und wir –,« rief Jasper, welcher den Schmerz einer edlen Reue fühlte, denn der Gedanke vergegenwärtigte sich seinem Geiste, daß er wohl dieses Unglück abzuwenden vermocht hätte, wenn er seinen Kameraden nicht verlassen haben würde.

»Wir können dem Häuptling nichts nützen, Junge, und müssen diesen Platz so schnell als möglich verlassen.«

»Ohne einen Versuch zu seiner Befreiung? – ja ohne zu wissen, ob er todt oder lebendig ist?«

»Jasper hat Recht,« sagte Mabel, welche zwar zu sprechen vermochte, jedoch nur mit heiserer und erstickter Stimme. »Ich habe keine Furcht, Onkel, und will hier bleiben, bis ich weiß, was aus unserem Freunde geworden ist.«

»Das scheint vernünftig, Pfadfinder,« warf Cap ein. »Ein rechter Seemann kann nicht wohl seinen Kameraden verlassen, und es freut mich, so richtige Grundsätze unter diesem Frischwasservolk zu finden.«

»Fort, fort damit,« erwiederte der ungeduldige Wegweiser, indem er zugleich den Kahn in den Strom drängte. »Ihr wißt nichts, darum fürchtet Ihr nichts. Aber wenn Euch Euer Leben werth ist, so denkt daran, die Garnison zu erreichen und überlaßt den Delawaren den Händen der Vorsehung. Ach! der Hirsch, der zu oft zu der Lick geht, trifft am Ende doch mit dem Jäger zusammen!«

 


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