James Fenimore Cooper
Der letzte Mohikan
James Fenimore Cooper

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Neunzehntes Kapitel.

Salarino. Nun, ich bin's gewiß, wenn er dir verfällt,
so nimmst du doch sein Fleisch nicht, zu was wär's nütze?
Shylock. Um Fisch' damit zu angeln: und sättigt' es sonst
Nichts, so sättigt's meine Rache.
Shakespeare.

Die Schatten des Abends hatten das Unheimliche des Platzes noch vermehrt, als die Reisenden die Ruinen von William Henry betraten. Der Kundschafter und seine Begleiter trafen sogleich Anstalten für die Nacht, aber mit einem Ernste und einer Besonnenheit, welche den tiefen Eindruck verriethen, den der schreckliche Anblick, den sie gehabt hatten, selbst auf ihre abgehärtete Natur hatte ausüben müssen. Einige Trümmer von Balken wurden an eine geschwärzte Wand gelehnt, und nachdem Uncas sie leicht mit Gestrüpp überdeckt hatte, schienen sie ein genügendes Obdach darzubieten. Der junge Indianer deutete auf die einfache Hütte hin, als seine Arbeit zu Ende war, und Heyward, welcher den Sinn dieser schweigsamen Geberde verstand, drang freundlich in Munro, einzutreten. Indem er den alten verlassenen Mann mit seinem Kummer allein ließ, trat er in die freie Luft zurück; denn er fühlte sich zu aufgeregt, um selbst der Ruhe zu genießen, die er so eben seinem alten Freunde empfohlen hatte.

Während Hawk-eye und die Indianer ein Feuer anzündeten und ihre frugale Abendmahlzeit, in gedörrtem Bärenfleisch bestehend, verzehrten, begab sich der junge Mann auf einen Zwischenwall des zerstörten Forts, der auf die Wasserfläche des Horican hinaussah. Der Wind hatte sich gelegt, und die Wogen schlugen bereits in regelmäßigerer, minder ungestümer Folge an das sandige Ufer unter ihm. Die Wolken zertheilten sich, als wären sie ihres wüthenden Treibens müde; und die schwerern unter ihnen sammelten sich in schwarzen Massen um den Horizont, während die leichteren über das Wasser dahinglitten oder um die Gipfel der Berge wirbelten, dem unterbrochenen Fluge gescheuchter Vögel gleich, die um ihre Nester flattern. Hie und da rang sich der rothe, funkelnde Schimmer eines Sterns durch die treibenden Nebel und goß ein schwaches Dämmerlicht über den finstern Himmel.

Im Schooße der umgebenden Berge ruhte bereits undurchdringliche Finsterniß, und die Ebene lag wie ein weites, ödes Beinhaus vor ihm, ohne daß selbst das leiseste Geflüster den Schlummer der zahlreichen auf ihr liegenden Unglücklichen zu unterbrechen versuchte.

Lange stand Duncan in tiefer Betrachtung der Scene versunken, die mit der Vergangenheit in so schrecklichem Einklange stand. Seine Augen wanderten von dem Innern des Erdwalls, wo die Waldbewohner um ihr schwaches Feuer saßen, nach dem schwächern Lichte, das immer noch am Himmel weilte, und ruhten dann lange und besorgt auf dem tiefen, unheimlichen Dunkel, das gleich einem öden Chaos über der Strecke lag, wo die Todten schlummerten. Bald aber war es ihm, als drängen von dieser Seite her unerklärliche Laute so leise und unbestimmt in sein Ohr, daß er über ihren Ursprung und selbst ihre Wirklichkeit ungewiß blieb. Der Unruhe, die ihn unwillkührlich überschlich, sich schämend, wandte sich der junge Mann nach dem Wasser, um seine Aufmerksamkeit auf die Sterne zu lenken, die sich auf der bewegten Oberfläche des See's spiegelten. Aber immer thaten seine ängstlichen Ohren ihren undankbaren Dienst, als ob sie ihn vor einer drohenden Gefahr warnen wollten. Endlich schien ein rascher Fußtritt ganz hörbar durch die Finsterniß zu tönen. Unfähig, seine Unruhe länger zu beschwichtigen, sprach Duncan leise mit dem Kundschafter, und ersuchte ihn, auf den Erdwall nach der Stelle zu kommen, wo er gestanden hatte. Hawk-eye warf seine Büchse über den Arm und nahte mit einer so unbeweglichen, ruhigen Miene, daß man wohl sah, er glaube sich in völliger Sicherheit.

»Horcht!« sagte Duncan, als sich der Andere bedächtlich an seine Seite gestellt hatte, »ich höre da halblaute Töne auf der Ebene, die mich glauben machen, daß Montcalm seine Eroberung noch nicht gänzlich verlassen hat!«

»Dann sind die Ohren besser als die Augen,« bemerkte der Kundschafter, der, ein Stück Bärenfleisch zwischen seinen Backenzähnen, schwer und undeutlich sprach, wie Einer, dessen Mund zwiefach beschäftigt ist. »Mit meinen leiblichen Augen hab' ich ihn mit seinem ganzen Heere auf den Ty gehen sehen; denn wenn eure Franzosen einen guten Streich ausgeführt haben, so eilen sie gleich nach Hause und stellen mit ihren Weibern einen Tanz oder andere Lustbarkeiten an.«

»Das weiß ich nicht; aber ein Indianer schläft selten während des Kriegs, und die Lust zu plündern kann wohl einen Huronen noch zurückgehalten haben, auch nachdem sein Stamm schon abgezogen ist. Es wäre besser, wir löschten das Feuer aus und blieben auf unsrer Hut. Horcht! hört Ihr nicht das Geräusch, das ich meine?«

»Ein Indianer schleicht selten um Gräber herum. Er ist bei der Hand, wenn es gilt, Feinde zu erschlagen, und über die Mittel nicht sehr bedenklich. Er begnügt sich aber gemeiniglich mit dem Skalp, wenn sein Blut nicht zu erhitzt und seine Leidenschaften zu aufgeregt sind. Ist aber der Geist aus dem Körper geschieden, so vergißt er seine Feindschaft und gönnt den Todten ihre Ruhe. Da wir einmal von Geistern sprechen, Major, glaubt Ihr, daß die Rothhäute und wir Weiße dereinst in einen und denselben Himmel kommen?«

»Ohne Zweifel – ohne Zweifel. Aber es war mir, als ob ich wieder den gleichen Laut vernähme! Oder war es vielleicht das Rauschen der Blätter auf der Buche dort?«

»Für meinen Theil,« fuhr Hawk-eye fort, sein Gesicht einen Augenblick mit einer nichtssagenden, gleichgültigen Miene nach der Seite kehrend, nach welcher Heyward wies; »ich glaube, das Paradies ist zur Glückseligkeit bestimmt, und die Menschen werden je nach ihren Neigungen und Anlagen derselben theilhaftig werden. Meine Meinung ist daher, daß die Rothhaut nicht so ganz Unrecht hat, wenn sie die schönen Jagdgebiete, wovon die Sage spricht, wieder zu finden hofft; und so würde es für einen Mann, dessen Blut unvermischt ist, nicht so ganz uneben seyn, wenn er sich die Zeit mit –«

»Hört Ihr's nicht wieder?« unterbrach ihn Duncan.

»Ja, ja, wenn's Futter knapp geht, oder im Ueberfluß da ist, werden die Wölfe keck,« bemerkte der unbewegliche Kundschafter. »Es wäre eine hübsche Jagd, die Häute dieser Satane, wenn wir Tag und Zeit zur Kurzweil hätten. Was aber das künftige Leben betrifft, Major, so hört' ich Prediger in den Kolonieen sagen, der Himmel sey ein Ort der Ruhe. Nun sind aber die Begriffe der Menschen von Glückseligkeit sehr verschieden. Für mein Theil sag' ich bei aller Achtung vor den Fügungen der Vorsehung, – ich würde es ihr nicht groß danken, wenn ich in den Wohnungen von welchen sie predigen, eingeschlossen bleiben würde, der ich doch von Natur einen Hang zur Bewegung und zum Jagen in mir fühle.«

Duncan, der nun die Natur des Geräusches erfahren zu haben glaubte, das ihn beunruhigt hatte, ging in seiner Antwort näher auf den Gegenstand ein, den der Kundschafter sich zur Unterhaltung ausersehen hatte.

»Es ist schwer,« sagte er, »die Gefühle zu beurtheilen, die bei jenem letzten großen Wechsel sich aufdringen mögen.«

»Das wäre freilich ein Wechsel für einen Mann, der seine Tage unter freiem Himmel verlebt, und so oft an den Quellen des Hudson seinen Morgenimbiß eingenommen hat,« versetzte der schlichte Kundschafter, »wenn er im Bereich eines heulenden Mohawk sein Schläfchen halten sollte. Aber 's ist ein Trost zu wissen, daß wir einem barmherzigen Herrn dienen, wenn's auch jeder auf seine Weise thut, und viele Wildnisse zwischen uns liegen. – Was war das?«

»Ist das nicht der Tritt der Wölfe, von denen Ihr gesprochen habt?«

Hawk-eye schüttelte langsam den Kopf und winkte Duncan, nach einer Stelle zu kommen, die das Feuer nicht beleuchtete. Nach dieser Vorsichtsmaßregel nahm er die Stellung der gespanntesten Aufmerksamkeit ein, und horchte lang und scharf, ob sich der so unerwartete leise Laut nicht wiederholen würde. Er schien jedoch vergeblich zu lauschen; denn nach einer Minute fruchtloser Stille flüsterte er Duncan zu:

»Wir müssen Uncas rufen, der Junge hat indianische Sinne und hört, was uns ganz verborgen bleibt; denn ich, als eine weiße Haut, kann meine Natur nicht verläugnen.«

Der junge Mohikaner, der sich am Feuer leise mit seinem Vater unterhielt, fuhr auf, als er den Ruf einer Eule vernahm, und blickte nach den schwarzen Erdwällen, als suchte er den Ort, woher der Laut ertönte. Der Kundschafter wiederholte den Schrei und in wenigen Augenblicken sah Duncan Uncas Gestalt vorsichtig nach der Brustwehr heranschleichen, wo sie standen.

Hawk-eye theilte ihm in kurzen Worten seine Wünsche in delawarischer Sprache mit; und sobald dieser vernommen hatte, um was es sich handle, warf er sich mit dem Gesicht auf die Erde, wo er, wie es Duncan schien, ruhig und regungslos liegen blieb. Verwundert über die unbewegliche Lage des jungen Kriegers, und neugierig zu beobachten, wie dieser die gewünschten Erkundigungen einziehen werde, trat Heyward einige Schritte vor und bückte sich zu dem dunkeln Gegenstand nieder, auf den er seine Augen geheftet hielt, entdeckte aber, daß Uncas verschwunden, und was er erblickte, nur der dunkle Umriß hervorstehender Trümmer war.

»Was ist aus dem Mohikaner geworden?« fragte er den Kundschafter, indem er sich erstaunt wieder umwandte; »ich sah ihn hier niederfallen und hätte geschworen, daß er hier auch geblieben sey!«

»St! sprecht leiser; denn wir wissen nicht, was für Ohren uns belauschen, und die Mingos sind eine scharfsichtige Brut. Uncas ist auf der Ebene und die Maquas, wenn welche um uns sind, bekommen vollauf mit ihm zu thun.«

»Ihr glaubt, Montcalm habe nicht alle seine Indianer weggezogen? Wir wollen den Unsern rufen und zu den Waffen greifen. Wir sind fünf und nehmen es schon mit einem Feinde auf.«

»Kein Wort zu ihnen, wenn euer Leben euch lieb ist. Seht den Sagamoren an, wie ganz ein großer Indianerhäuptling sitzt er an dem Feuer! Wenn Laurer in der Finsternis umherschleichen, so erkennen sie gewiß nicht an seiner Miene, daß wir an Gefahr denken!«

»Aber sie entdecken ihn und das ist sein Tod. Seine Gestalt ist am Scheine des Feuers zu deutlich sichtbar und er wird das erste und sicherste Opfer seyn.«

»Die Wahrheit eurer Worte ist unläugbar,« antwortete der Kundschafter, mehr als gewöhnliche Unruhe verrathend, »aber was ist zu thun? Ein einziger Blick des Verdachts führt einen Angriff herbei, ehe wir zum Widerstand uns bereitet haben. Aus dem Zeichen, das ich Uncas gegeben habe, weiß er, daß wir Unrath wittern. Ich will ihm bedeuten, daß wir den Mingos auf der Spur sind; sein Indianerinstinkt wird ihm sagen, was er zu thun hat.«

Der Kundschafter hielt die Finger an den Mund und ließ einen leisen, zischenden Laut hören, über welchen Duncan zuerst bei Seite fuhr, als hätte er eine Schlange gehört. Chingachgook's Haupt ruhte auf seiner Hand, und er schien in Gedanken versunken; sobald er aber den warnenden Laut des Thieres vernahm, von dem er seinen Namen trug, richtete er sich auf und seine dunkeln Augen blickten schnell und scharf nach allen Seiten hin. Mit dieser plötzlichen und vielleicht unwillkürlichen Bewegung war jeder Anschein von Ueberraschung und Unruhe verschwunden. Seine Büchse lag unberührt und, wie es schien, kaum beachtet, im Bereiche seiner Hand. Der Tomahawk, den er, zu seiner Bequemlichkeit im Gürtel gelockert hatte, fiel sogar auf den Boden und seine Gestalt schien, wie bei einem Manne, dessen Sehnen und Nerven sich der Ruhe überlassen dürfen, zusammenzusinken. Schlau seine frühere Stellung wieder einnehmend, wechselte der Eingeborne gleichwohl die Lage seiner Hände, als ob die Bewegung blos geschehe, um den Arm zu erleichtern, und erwartete den Ausgang mit einer Ruhe und Seelenstärke, die nur ein indianischer Krieger zeigen konnte.

Aber Heyward bemerkte, während der Mohikanerhäuptling für ein minder geübtes Auge zu schlummern schien, wie seine Nasenlöcher sich erweiterten, und sein Haupt sich ein wenig auf die Seite neigte, um den Gehörorganen zu Hülfe zu kommen – wie seine lebhaften und schnellen Blicke sich unaufhörlich nach jedem Gegenstande wandten, den er mit dem Auge erreichen konnte.

»Sehet einmal den edlen Kämpen an!« flüsterte Hawk-eye, Heyward's Arm drückend; »er weiß, daß ein Blick, eine Bewegung unsre Pläne vereiteln und uns der Satansbrut in die Hände liefern könnte« –

Hier unterbrach ihn der Blitz und Knall einer Büchse. Feuerfunken erfüllten die Luft rings um den Ort, auf den Heywards Augen noch mit Bewunderung und Erstaunen gerichtet waren. Ein zweiter Blick sagte ihm, daß Chingachgook in der Verwirrung verschwunden war. Mittlerweile hatte der Kundschafter seine Büchse vorgeworfen, zum Schusse bereit und erwartete mit Ungeduld den Augenblick, wo ein Feind sich sehen lassen würde. Aber mit dem einzelnen, fruchtlosen Versuche auf Chingachgook's Leben schien der Angriff beendigt. Ein oder zwei Mal glaubten die Horchenden ein entferntes Rauschen der Gebüsche zu vernehmen, wie wenn unbekannte Massen sich durchdrängten; aber bald deutete Hawk-eye auf ein Rudel verscheuchter Wölfe, die eilends vor dem Eindringling in ihre Gebiete Reißaus nahmen. Nach einer athemlosen Pause der Ungeduld plumpte etwas in's Wasser und gleich darauf folgte der Knall einer andern Büchse.

»Das ist Uncas!« sprach der Kundschafter; »der Junge führt eine herrliche Büchse! Ich kenne ihren Knall, wie ein Vater die Stimme seines Kindes; denn ich trug sie lange selbst, bis sich mir eine bessere anbot.«

»Was soll das heißen?« fragte Duncan; »wir werden bewacht und es scheint auf unser Verderben abgesehen.«

»Der zerschossene Feuerbrand dort zeigt, daß man nichts Gutes im Schilde führte, und der Indianer hier mag beweisen, daß er keinen Schaden genommen hat.« versetzte der Kundschafter, indem er seine Büchse wieder in den Arm fallen ließ; und Chingachgook, der eben wieder innerhalb des Lichtkreises erschien, in das Innere der Festungswerke folgte. »Wie steht es, Sagamore? Sind uns die Mingos ernstlich auf der Fährte, oder ist's blos einer von dem Gewürm, das dem Heere nachzieht, um die Todten zu scalpiren – heimzuziehen, um sich bei den Squaws seiner ritterlichen Thaten gegen die Blaßgesichter zu rühmen?«

Chingachgook nahm ruhig seinen Sitz wieder ein, und gab keine Antwort, bis er den Feuerbrand untersucht hatte, den die Kugel getroffen, die ihm selbst beinahe verderblich geworden wäre. Hierauf hob er einen Finger empor und begnügte sich das englische Wort auszusprechen:

»Einer.«

»Das dachte ich!« versetzte Hawk-eye, sich wieder setzend, »und da er den Schutz des Sees gewonnen hat, ehe Uncas abfeuern konnte, so ist es mehr denn wahrscheinlich, daß der Schurke den Leuten von einem großen Hinterhalte vorlügen wird, in welchem er gegen zwei Mohikaner und einen weißen Jäger gelegen habe – denn die beiden Offiziere können nur als müßige Zuschauer bei einem solchen Scharmützel betrachtet werden. Thu' er's immerhin. Es gibt überall in jeder Nation ein Paar ehrliche Kerls, – obgleich sie, der Himmel weiß es, unter den Maquas dünn genug gesät sind – die einen solchen Glückspilz zurechtweisen können, wenn er es gar zu bunt macht. Aber das Blei von diesem Schuft hat dir recht an den Ohren vorbeigepfiffen, Sagamore.«

Ruhig und gleichgültig wandte Chingachgook sein Auge nach der Stelle hin, wo die Kugel aufgeschlagen hatte, und nahm dann seine frühere Haltung mit einer Fassung wieder an, die ein so unbedeutender Vorfall nicht stören konnte. Jetzt glitt Uncas wieder in ihren Kreis und setzte sich mit derselben Gleichgültigkeit, die sein Vater zeigte, an das Feuer.

Heyward war mit Erstaunen und der lebhaftesten Theilnahme Zeuge aller dieser Bewegungen. Es schien ihm, als hätten die Waldbewohner geheime Zeichen, durch die sie sich verständlich machten, die aber den Sehkreis seiner Beobachtungsgabe überstiegen. Statt jener eilfertigen Geschwätzigkeit, womit ein junger Weißer das, was in der Finsternis der Ebene vorgegangen war, mitgetheilt und vielleicht übertrieben hätte, war der junge Krieger, wie es schien, zufrieden; seine Thaten für sich sprechen zu lassen. Es war wirklich hier für einen Indianer weder der Augenblick noch der Ort, sich des Vollbrachten zu rühmen; und wahrscheinlich wäre kein Wort über den Gegenstand mehr geäußert worden, hätte Heyward nicht dazu Veranlassung gegeben.

»Was ist aus unsrem Feinde geworden, Uncas?« fragte Duncan, »wir hörten deine Büchse und hofften, du werdest nicht umsonst geschossen haben.«

Der junge Häuptling schob eine Falte seines Jagdhemdes zurück und zeigte ruhig den verhängnißvollen Haarschopf, den er als Siegeszeichen trug. Chingachgook legte die Hand auf den Skalp und betrachtete ihn einen Augenblick mit tiefer Aufmerksamkeit; dann ließ er ihn, mit einem Ausdruck von Verachtung in seinen strengen Zügen, los und rief:

»Ein Oneida!«

»Ein Oneida!« wiederholte der Kundschafter, dessen Antheil an dem Ereigniß sich beinahe in die Gleichgültigkeit seiner rothen Genossen verlor, betrachtete aber das blutige Siegesunterpfand mit ungewöhnlichem Ernste. »Bei Gott, wenn die Oneidas uns auflauern, dann sind wir auf allen Seiten von Teufeln umgeben. Nun, für weiße Augen ist zwischen diesem Stückchen Haut und dem eines andern Indianers kein Unterschied, und doch erklärt der Sagamore, sie komme von dem Schädel eines Mingo; ja er nennt sogar den Stamm des armen Teufels mit so viel Sicherheit, als ob der Skalp das Blatt eines Buches und jedes Haar ein Buchstabe wäre. Welches Recht haben die christlichen Weißen, sich ihrer Gelehrsamkeit zu rühmen, wenn der Wilde eine Sprache lesen kann, welche die Kunst ihres Weisesten beschämen müßte! Was sagst du dazu, Junge? Von welchem Volke war der Schurke?«

Uncas schaute in das Antlitz des Jägers und antwortete mit seiner klangreichen Stimme:

»Oneida!«

»Wieder Oneida! Wenn ein Indianer etwas sagt, so ist es gewöhnlich wahr; aber wenn ein Anderer seines Volkes es bestätigt, so darf man's für ein Evangelium halten!«

»Der arme Schelm hat uns für Franzosen gehalten,« sagte Heyward, »sonst hätte er nicht einem Freunde nach dem Leben gestanden!«

»Er einen Mohikaner, mit den Farben seines Volks bemalt, für einen Huronen halten! Eben so leicht könntet Ihr die weißen Röcke von Montcalms Grenadieren mit den rothen Jacken der königlichen Amerikaner verwechseln,« entgegnete der Kundschafter. »Nein, nein, die Natter kannte ihren Weg wohl. Auch ist's am Ende kein so großer Verstoß; denn zwischen einem Delawaren und einem Mingo ist die Liebe nicht eben groß, gleichviel für wen ihre Stämme in einem Kampfe zwischen den Weißen auch streiten mögen. Was das betrifft, obgleich die Oneidas Seiner Majestät dem König dienen, der mein Souverän und Gebieter ist, ich hätte mich eben nicht lange bedacht, meinen Wildtödter auf ihn loszulassen, wenn er mir in die Quere gekommen wäre.«

»Das wäre eine Verletzung unserer Verträge und Eures Charakters unwürdig gewesen.«

»Wenn Einer viel mit einem Volke verkehrt,« fuhr Hawk-eye fort, »und sie sind ehrlich und er kein Schuft, so werden Sie einander zugethan. – Es ist wahr, die Arglist der Weißen hat unter diese Wilden eine solche Verwirrung gebracht, daß man kaum mehr weiß, wer Freund oder Feind ist. So ziehen denn die Huronen und die Oneidas, welche dieselbe oder beinahe dieselbe Sprache reden, einander die Skalpe ab, und die Delawaren sind in Spaltung unter einander. Einige sind daheim an ihrem Flusse bei ihrem großen Versammlungsfeuer geblieben und fechten für dieselbe Sache, wie die Mingo's, indes, der größere Theil aus natürlichem Haß gegen die Maqua's in Canada ist; so ist Alles in Unordnung und kein rechter Gang im Kriegführen! Es liegt jedoch nicht in der Art der Rothhäute, mit jedem Kunstgriff der Politik die Farbe zu wechseln, und darum gleicht die Freundschaft zwischen einem Mohikaner und einem Mingo so ziemlich der Neigung eines Weißen zu der Schlange.«

»Es thut mir wehe, dies zu hören; ich hatte geglaubt, die Eingebornen, die innerhalb unserer Gränzen wohnen, hätten uns zu gerecht und zu gutgesinnt gefunden, als daß sie nicht unsere Sache ganz zu der ihrigen machten.«

»Nun, ich meine, es sey doch natürlich, daß man den eignen Streit vor dem fremden auskämpfe. Ich für mein Theil liebe die Gerechtigkeit und will deshalb nicht sagen, ich hasse einen Mingo, – das würde sich weder für meine Farbe noch für meine Religion schicken – doch – noch einmal: die Nacht allein war Schuld daß mein Wildtödter bei dem Tode dieses schleichenden Oneida nicht betheiligt ist!«

Ueberzeugt von dem Gewicht seiner Gründe und unbekümmert um den Eindruck, den sie auf die Ansicht des Andern machten, wandte sich der ehrliche, aber unversöhnliche Waldmann von dem Feuer ab, zufrieden, den Streit ruhen zu lassen. Heyward begab sich wieder auf den Wall, weil er sich, nicht vertraut mit dieser Art von Kriegführung, zu unbehaglich fühlte, um ruhig an einem Orte zu bleiben, wo sich so hinterlistige Angriffe wiederholen konnten. Nicht so der Kundschafter und die Mohikaner. Ihre feinen und lange geübten Sinne, deren Schärfe oft in's Unglaubliche ging, hatten sie nicht nur in den Stand gesetzt, die Gefahr zu entdecken, sondern ihnen auch über den Umfang und die Dauer derselben Gewißheit gegeben. Keiner von den Dreien schien jetzt im Geringsten zu zweifeln, daß sie in vollkommener Sicherheit seyen; und sie bewiesen ihren Glauben durch die Vorkehrungen welche sie alsbald trafen, um weitere Maßregeln zu berathen.

Die Verwirrung unter den Nationen, ja selbst den Stämmen, auf welche Hawk-eye angespielt hatte, war um diese Zeit auf's Höchste gestiegen. Das mächtige Band der Sprache, und sonach auch der gemeinschaftlichen Abkunft war mancher Orten gelöst, und so kam es, daß der Delaware und der Mingo (mit welchem Namen man die sechs Nationen bezeichnete), in denselben Reihen kämpften, während der Letztere den Skalp des Huronen suchte, der doch für einen Sprößling desselben Stammes galt. Die Delawaren selbst waren unter sich getheilt. Die Liebe zu dem Boden, der seinen Ahnen zugehört hatte, hielt zwar den Sagamoren der Mohikaner mit einem kleinen Trupp Delawaren, die in dem Fort Edward dienten, unter den Fahnen des Königs von England zurück; der bei weitem größte Theil seiner Nation aber stand, wie man wohl wußte, als Montcalms Verbündete im Felde. Der Leser weiß wahrscheinlich, wenn es aus dem Verlauf unserer Erzählung noch nicht erhellt haben sollte, daß die Delawaren oder Lenapes darauf Anspruch machten, das Stammvolk jener zahlreichen Völkerschaften zu seyn, welche einst Herren der meisten östlichen und nördlichen Staaten Amerikas waren, und unter denen die Gemeinschaft der Mohikaner einen alten und in hohem Ansehen stehenden Zweig bildete.

Mit den kleinlichen und verwickelten Interessen, die Freund gegen Freund bewaffnet und geborne Feinde als Waffenbrüder neben einander gestellt hatte, vollkommen vertraut, schickten sich der Kundschafter und seine Gefährten zur Berathung der Maßregeln an, die ihre künftigen Bewegungen unter so vielen entzweiten und rohen Stämmen zu leiten hätten. Duncan wußte von den indianischen Sitten genug, um zu verstehen, warum das Feuer wieder aufgeschürt wurde, und die Krieger, Hawk-eye nicht ausgenommen, sich mit feierlichem Anstande unter den Wolken des Rauches wieder zusammensetzten. An die Ecke eines Winkels der Festungswerke gelehnt, wo er die Scene im Innern beobachten und zugleich ein wachsames Auge für jede Gefahr von außen behalten konnte, wartete er das Ergebniß der Berathung mit so viel Geduld ab, als er sich abgewinnen konnte.

Nach einer kurzen, bedeutungsvollen Pause zündete Chingachgook eine Pfeife mit hölzernen Rohre an, deren Kopf aus einem weißen Steine des Landes künstlich gearbeitet war, und fing an zu rauchen. Nachdem er den Duft des sänftigenden Krautes zur Genüge eingeathmet, gab er das Instrument in die Hände des Kundschafters. Auf diese Weise hatte die Pfeife drei Mal die Runde gemacht, und einige Zeit verging im tiefsten Stillschweigen, ehe einer der Gefährten seinen Mund öffnete. Endlich trug der Sagamore, als der Aelteste und Höchste im Rang, in wenigen Worten mit Ruhe und Würde den Gegenstand der Berathung vor. Ihm antwortete der Kundschafter, und Chingachgook entgegnete, als der Andere Einwendungen machte. Der jugendliche Uncas blieb ein stiller und ehrerbietiger Zuhörer, bis ihn Hawk-eye in freundlicher Rücksicht um seine Meinung fragte. Heyward schloß aus der Miene und den Geberden der verschiedenen Sprecher, daß Vater und Sohn die eine Meinung verfochten, während der Kundschafter auf der andern beharrte. Der Streit wurde allmählig wärmer, bis man deutlich sah, daß sich die Sprecher ziemlich in ihren Gegenstand vertieft hatten; trotz des zunehmenden Eifers aber, womit die Freunde stritten, hätte die ehrsamste christliche Versammlung, selbst die Zusammenkünfte ehrwürdiger Geistlichen nicht ausgenommen, an der Zurückhaltung und dem Anstande der Streitenden sich ein heilsames Muster der Mäßigung nehmen können. Uncas Rede wurde mit derselben Aufmerksamkeit angehört, als die Worte gereifterer Einsicht, die sein Vater gesprochen; und weit entfernt, Ungeduld zu verrathen, antwortete Keiner, ohne zuvor einige Augenblicke, wie es schien, in stillem Nachdenken über das Gesprochene, schweigend verbracht zu haben.

Die Rede der Mohikaner war von so natürlichen und ausdrucksvollen Geberden begleitet, daß es Heyward nicht schwer fiel, den Faden ihrer Beweisführungen zu verfolgen. Dunkler blieb ihm dagegen der Kundschafter, weil er aus geheimem Stolz auf seine Farbe jener kaltblütigen und nüchternen Sprechweise sich befliß, die allen Klassen der Angloamerikaner eigen ist, so lange sie sich nicht in Aufregung befinden. Aus ihrer häufigen Wiederholung der Merkmale eines Waldzuges ließ sich schließen, daß sie auf eine Verfolgung zu Lande drangen, wogegen des Kundschafters immer wiederkehrende Armbewegung gegen den Horican anzudeuten schien, daß er für die Wasserstraße sprach.

Der Letztere schien zu verlieren, und die Sache war auf dem Punkte, gegen ihn entschieden zu werden, als er sich plötzlich erhob, alle seine Ruhe fahren ließ, und ganz die Weise eines Eingebornen annehmend, alle Künste indianischer Beredsamkeit aufbot. Seinen Arm emporhaltend, wies er auf den Lauf der Sonne und wiederholte diese Geberde für jeden Tag, den er für ihre Aufgabe erforderlich glaubte. Er beschrieb sodann einen langen, mühevollen Weg über Felsen und durch Gewässer. Das Alter und die Schwäche des schlummernden und arglosen Munro wußte er durch Zeichen anschaulich zu machen, die verstanden werden mußten. Selbst von Duncans Kräften schien er in seiner Rede keine gar hohe Meinung zu haben: er reckte seine flache Hand aus und bezeichnete ihn mit der Benennung »offene Hand,« – ein Name, den ihm seine Freigebigkeit bei allen befreundeten Stämmen erworben hatte. Dann folgte eine Darstellung der leichten und zierlichen Bewegungen des Canoe in schreiendem Contraste mit den schwankenden Schritten eines müden und erschöpften Wanderers. Zum Schlusse deutete er auf den Skalp des Oneida, und drang offenbar darauf, eilig aufzubrechen, und zwar so, daß keine Spur von ihnen zurückblieb.

Die Mohikaner hörten mit vielem Ernste zu, und man las in ihrem Ausdrucke die Wirkung der Rede des Andern. Sie ließen sich allmählig überzeugen und begleiteten gegen das Ende Hawk-eye's Worte mit dem gewohnten Ausruf der Einwilligung. Mit einem Worte, Uncas und sein Vater bekehrten sich zu seiner Meinung und verließen ihre bisher verfochtenen Ansichten mit so viel Bereitwilligkeit und Offenheit, daß sie in Folge eines solchen Mangels an Consequenz sicher allen politischen Ruf eingebüßt hätten, wären sie Repräsentanten eines großen civilisirten Volkes gewesen.

Sobald die Sache nun entschieden war, schien der Streit vergessen, mit allem was daran hing, ausgenommen seinem Resultate. Ohne umzuschauen, um in den Augen der Zuhörer einen Triumph zu lesen, streckte Hawk-eye seine hohe Gestalt ruhig vor dem erlöschenden Feuer auf die Erde nieder und entschlief.

So gleichsam sich selbst überlassen, benützten die Mohikaner, die sich seither so ausschließlich den Interessen Anderer gewidmet hatten, diesen Augenblick für sich selbst. Mit einem Male den Ernst und die Strenge des Indianerhäuptlings ablegend, begann jetzt Chingachgook in dem sanften und heitern Tone der Zärtlichkeit zu seinem Sohne zu sprechen. Uncas begegnete vergnügt der vertraulichen Stimmung seines Vaters, und ehe das tiefe Athemholen des Kundschafters verrieth, daß er eingeschlafen sey, war in dem Benehmen seiner beiden Gefährten ein völliger Wechsel vorgegangen.

Wir versuchen nicht, den Wohllaut dieser Sprache für Ohren, die so melodische Töne noch nie gehört haben, zu beschreiben, während sich die Mohikaner in Scherzen und Liebkosungen ergingen. Ihre Stimmen, besonders die des Jünglings, waren von wundervollem Umfang und vereinigten den tiefsten Baß mit Lauten von fast weiblicher Sanftheit. Die Augen des Vaters folgten den plastischen und sinnigen Bewegungen des Sohnes mit sichtbarem Vergnügen, und er stimmte wohlgefällig in das hinreißende und doch nur halblaute Lachen desselben ein. Unter dem Walten dieser zärtlichen und so natürlichen Gefühle war aus den gesänftigten Zügen des Sagamoren jede Spur von Wildheit verschwunden, und die Sinnbilder des Todes, die in grauenhaften Farben auf seinen Körper gemalt waren, schienen mehr den Scherz einer Mummerei, als die stolze Absicht zu verkünden, Vernichtung und Zerstörung seinen Fußtritten folgen zu lassen.

Eine Stunde war in diesen Ergießungen edlerer Gefühle hingegangen, als Chingachgook plötzlich den Wunsch nach Ruhe zu erkennen gab, indem er den Kopf in seine Decke hüllte und sich auf der nackten Erde niederstreckte. Uncas gebot alsbald seiner lauten Fröhlichkeit Schweigen, schürte sorgfältig die Kohlen des Feuers zusammen, damit sie die Füße seines Vaters wärmen sollten, und suchte dann selbst unter den Ruinen des Forts eine Lagerstätte.

Aus der Sicherheit der erfahrenen Waldbewohner neues Vertrauen schöpfend, folgte Heyward ihrem Beispiel, und lange vor Mitternacht schienen sie, die im Schooße der Festungstrümmer ruhten, in so tiefen Schlaf versunken, als die leblosen Schlachtopfer, deren Gebeine auf der umgebenden Ebene bereits zu bleichen begannen.


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