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Dreizehnter Brief.

Herrn William Jay, Esquire (Bedford in Newyork).

Das Volk von England. – Reform. – Zustand von England. – Taxen und Handel. – Zustand der Aristokratie. – Neue Pairs. – Institutionen von England. – Geldregiment. – Reichthum von Lord Großvenor und dem hohen und niedern Adel. – Macht der Aristokratie. – Moral der höheren Classen. – Die Professionen. – Männlichkeit des niedern Adels. – Vorurtheile der Aristokratie. – National-Vorurtheile. – Achtung vor Rang. – Prinzen.

Wäre das englische Volk, frei von dem Vorurtheil seiner Lage und ohne alle politische Organisation, versammelt, um eine Politik für seine zukünftige Regierung auszuwählen, so würde es denjenigen Mann, der das jetzige System vorschlüge, wahrscheinlich für einen Visionair oder Narren halten. Könnte man die Sache jedoch umkehren, und die Nation zu demselben Zweck unter dem Einfluß derjenigen Meinungen versammeln, die jetzt herrschen, so würde man demjenigen, der das jetzige System vorschlüge, wahrscheinlich die Ohren abschneiden. Bei einer politischen Verbesserung ist es weit richtiger, Thatsachen den Meinungen vorausgehen zu lassen, anstatt umgekehrt die Meinungen den Thatsachen voranzuschicken; am besten ist es immer, wenn beide mit einander gleichen Schritt halten.

Alle Hauptveränderungen in menschlichen Dingen müssen durch zwei Arten von Kämpfen begleitet sein, nämlich entweder durch die Kämpfe derjenigen, welche beschleunigen, oder derjenigen, welche aufhalten wollen. Die Classe der erstern ist in der Regel so klein, daß es viel besser ist, sie nur als Wegbahner, anstatt als Führer zu betrachten; während es in der Natur der Sache liegt, daß die letzteren nach und nach durch Desertion immer verlieren, bis sie genöthigt sind, nachzugeben.

Die Betrachtungen, welche mit diesen Wahrheiten verbunden sind, lehren uns, daß Reform ein besseres Mittel als Revolution ist; dennoch muß man sich erinnern, daß die Dinge nicht immer auf dem richtigen Wege vorschreiten. Künstliche und selbstsüchtige Combinationen bemächtigen sich häufig der natürlichen Tendenz zur Verbesserung; und ein Volk, welches sich darauf einließe, den Lauf der Dinge abzuwarten, würde oft nur zusehen, wie man ihm seine Ketten schmiedet.

Indem ich den Gegenstand des letzten Briefes wieder aufnehme, bin ich der Meinung, daß für das gegenwärtige Regierungssystem von England nur von einer gründlichen Reform Heil zu erwarten steht; denn eine Verweigerung derselben würde sicher zur Revolution führen. Die Grundsätze der Erblichkeit sind der menschlichen Natur zuwider, wenn sie sich über den Thron des Monarchen hinauserstrecken; und ich glaube, die Welt enthält kein Beispiel davon, daß ein aufgeklärtes Volk sie lange ertragen hätte, wenn sie nicht durch außerordentliche Umstände eines allgemeinen Wohlergehens gemildert wurden. Dies ist in England der Fall gewesen; wie es jedoch mit allen Ausnahmen von der Regel geht, so hat es ein entgegenwirkendes Princip erzeugt, das früher oder später eine Reaction auf das System bewirken wird.

Bisher hat England das Monopol schätzbarer Kenntnisse besessen. Geschützt durch seine Lage, ist es von der Industrie zum Zufluchtsort erwählt worden, und, durch Freiheiten aller Art begünstigt, hat es auf eine unvergleichliche Weise geblüht. Die sonderbare Einrichtung des Reiches, in welchem National-Charakter und Eroberung gegenseitig Ursach und Wirkung gewesen sind, hat in diesen kleinen Theil, der als Sitz der Macht das Ganze regulirt, eine Fluth von Reichthümern geleitet. Dies ist die günstige Seite der Frage, und auf derselben findet man die zeitlichen Vortheile, welche die Menschen verleitet haben, einem Uebergewicht nachzugeben, dem sie sonst wohl Widerstand geleistet haben möchten.

Die ungünstige Seite steht besonders mit den Ereignissen der letzten dreißig Jahre in Verbindung. Um den Folgen der französischen Revolution entgegen zu arbeiten, hat die Aristokratie einen Krieg geführt, der dem Lande eine Summe kostete, die noch in Form der Staatsschuld über der Nation schwebt, und die sehr wahrscheinlich eine Veränderung in dem Wohlergehen derselben hervorbringen wird. Bei der aufblühenden Industrie in allen übrigen Ländern wird es für England nothwendig, die Arbeitspreise herunterzudrücken, um die Artikel eben so billig wie andere Nationen herstellen zu können, und die Preise der Lebensmittel emporzuhalten, um die Abgaben zahlen zu können. Diese beiden Punkte haben den äußersten Grad von Armuth erzeugt, die sich der Nation wie ein Gewicht angehängt hat, und welche die Rivalität fremder Mitbewerbung unterstützt. Es werden jährlich dreißig Millionen Dollars durch die Nation bezahlt, und der größte Theil dieser Summe besteht aus gesetzlichen Strafen, die ihren Grund in der besonderen Regierungsform des Landes haben.

Da die Grundstücke von England unantastbar sind, so würde kein Monarch im Stande gewesen sein, Pitt's System durchzuführen, wenn die Reichen nicht eingewilligt hatten; was das Volk oder die Masse anbetrifft, so hatte sie keinen hinreichenden Grund dazu. Um diese Anstrengungen und ihre Folgen zu beurtheilen, wird es nöthig sein, die großen Summen zu betrachten, welche während des letzten Krieges durch Großbritannien jährlich ausgegeben wurden; und dann möge man sich nach den Wohlthaten umsehen. Eine Folge, die man nicht in Abrede stellen kann, ist die, daß die Industrie unter dem Einfluß derselben Ursachen das Königreich verläßt, unter denen sie das Land betreten hat. Ich meine damit nicht, daß Capitalisten aus dem Lande gehen, wie früher aus Flandern, sondern daß die Geschicklichkeit auswandert, um sich den übertriebenen Anforderungen des Staates zu entziehen. Ich kann aber auch noch weiter gehen und behaupten, daß das Capital ebenfalls das Land verläßt. Es bedarf einer längern Zeit, um die Quellen des Wohlergehens einer Nation zu verderben, als die eines Individuums; und wir dürfen nicht schon nach einem Tage ein Resultat verlangen. Dennoch sind diese Resultate bereits sichtbar. Sie zeigen sich in dem gemäßigten Ton der Regierung, in ihrer Abneigung gegen Krieg, und in einer gänzlichen Umänderung ihrer auswärtigen Politik.

Es ist ganz einleuchtend, daß die englische Aristokratie sich in einem Zustande fortwährender Unruhe befindet. Das verzweifelte Mittel des Herrn Pitt, – sein Kreuzzug gegen die Rechte des Volks, – hat bereits seine Reaction erzeugt. Der menschliche Geist läßt sich nicht nach einer Seite ungewöhnlich ausdehnen, ohne nach der andern hin zurückzuschlagen, wenn er wieder frei ist.

Das Zurückspringen des gegenwärtigen Zustandes der englischen Aristokratie wird in politischer und geselliger Beziehung darin bestehen, daß sie anfangen wird, sich künftighin besser zu benehmen. Nie hat es vielleicht eine Periode in der Geschichte einer Nation gegeben, wo sich die Gewalt so unbestritten in den Händen Weniger befand, und wo die Ausübung derselben so offen getadelt wurde.

Ich habe bereits angeführt, daß eine der Folgen des erzwungenen Wohlstandes, die aus Pitt's System hervorging, diejenige gewesen, eine gefährliche Kaste ins Leben zu rufen, die zwar keine unmittelbare Verbindung mit der Regierung hatte, auf der andern Seite aber zu mächtig war, um übersehen zu werden. Sir James Mackintosh hat in seiner Geschichte der Revolution von 1688 gesagt, »die Constitution schreibe dem Könige die Macht zu, Pairs zu ernennen, entweder um öffentliche Dienste zu belohnen, oder um öffentlichen Staatsämtern eine gewisse Würde zu verleihen, oder um Geschicklichkeit und Kenntnisse für die Gesetzgebung zu gewinnen, oder um die Schläge der Zeit durch Hinzufügung neuer Reichthümer zu einer verfallenen Aristokratie wieder gut zu machen.« Gegen die Wahrheit dieser Worte läßt sich nichts anführen; es müßte jedoch noch hinzugefügt werden, »oder irgend etwas Anderes.« Herr Pitt dehnte diese constitutionellen Beweggründe dahin aus, daß er einen feindlichen Reichthum neutralisirte, welcher dem Reichthum hätte gefährlich werden können, der sich bereits im Besitz der Macht befand. Seit der Thronbesteigung Georgs III. ist die Anzahl der Pairs beinahe verdoppelt worden. Außer diesem Zuschuß zum Hause der Lords sind eine Menge irischer Pairs ernannt worden, welche durchaus nur politische Aristokraten sind. Gesellige Bestechungen sind freigebig in Form von Baronets-Titeln ausgetheilt worden, und es giebt deren jetzt nahe an Tausend im Lande.

Dies ist aber die Weise, ein System zu erhalten, welches sich jedoch bald erschöpfen wird. Der Adel ist, besondere Fälle ausgenommen, nicht länger eine Auszeichnung für einen Gentleman, und würde von jedem Manne mit irgend einer wichtigen geselligen Stellung ausgeschlagen werden, außer unter Umständen, wie ich sie bereits erwähnte. Ein Rechtsgelehrter, ein Künstler, Arzt oder Soldat könnte den Adel annehmen, ohne getadelt zu werden; ein gewöhnlicher Civilist jedoch schwerlich. Ohne diese erleichternden Umstände würde es eine Art von ridicule auf einen Mann oder eine Frau von Welt werfen, »Sir John« oder » Myladi« genannt zu werden.

Der Fall steht etwas anders, aber nicht viel besser mit den Baronets. Ich glaube, es wird nicht mehr leicht sein, einen Mann von Familie zu finden, der sich anders zu einem Baronet erheben lassen würde, als zur Belohnung persönlicher Verdienste; selbst das irische Pairsthum wird nicht mehr beliebt.

Sie werden sehr leicht die Nothwendigkeit einer Veränderung in den Institutionen Englands einsehen, wenn Sie sich die Sache näher betrachten. Die Gefahr rührt eben sowohl von den Reichen wie von den Armen her: von den Reichen, weil sie durch das Wahl-System von der Gewalt ausgeschlossen sind; und von den Armen, weil sie auf das Minimum physischer Genüsse beschränkt sind, und doch durch ihre Anzahl und ihre Intelligenz eine Bedeutung haben.

Was die Reichen anbetrifft, so sind doch die Ansprüche mit dem sich mehrenden Reichthum der Nation so bedeutend gewachsen, daß sie kaum noch im Stande sind, ihnen zu genügen. Die Preise eines Sitzes im Parlament haben fast die Regelmäßigkeit eines Tarifs angenommen; die Durchschnittsausgabe für eine gewisse Reihe von Jahren ist auf tausend Pfund jährlich angesetzt. Wenn die englische Regierung genau eine Geldregierung wäre, so würde ihre Sicherheit drei Mal so groß sein, als sie es jetzt ist; denn alsdann würde sogleich einer ihrer mächtigsten Feinde neutralisirt sein; aber dem ist nicht so; denn obgleich sie sich auf Geld basirt, so ist doch Alles so gewendet, daß sich mit Geld eigentlich nur wenig erreichen läßt. Herrschte zwischen den Armen und Reichen nicht eine natürliche politische Antipathie, so würden sie sich bald vereinigen, und eine Veränderung hervorbringen.

Es würde ein Meisterstreich der Politik sein, durch die Aufhebung des Wahlsystems nach Ortschaften eine Repräsentation nach der Kopfzahl einzuführen, und dadurch den ganzen Reichthum des Staates zum Verbündeten der Regierung zu machen. Eine Geldregierung in voller Thätigkeit ist bei einem fleißigen und klugen Volke an Stärke nur einem Regierungssystem zu vergleichen, welches sich auf Volksrecht basirt; es ist jedoch diejenige Regierung, welche die menschliche Gesellschaft am meisten verderben und erniedrigen würde.

Wenn ich von der Intelligenz der Armen in England rede, so will ich damit nicht eben sagen, daß sie sehr weit gediehen; der Anbau der Kenntnisse, welche sich auf die Ausübung der mechanischen Künste beziehen, die Wohlfeilheit der Bücher und der allgemeine Geist der Zeit haben unter der arbeitenden Classe von England eine Menge Leute herangebildet, die scharf in ihren Untersuchungen, häufig beredt und durch ihre Stellung sehr wohl bekannt mit den natürlichen Rechten sind, die man ihnen geraubt hat. Diese Leute wirken mächtig auf das Gemüth ihrer Mitbürger; zu ihnen gehörte Paine.

Ein Bericht über das Vermögen der grundbesitzenden Aristokratie von England könnte Sie leicht auf irrige Begriffe in Bezug auf ihren Reichthum und ihre Gewalt führen, in so fern diese mit einander in Verbindung stehen. Als ich mich neulich mit einem Manne unterhielt, der im ganzen Königreiche am besten von den Gegenständen dieser Art unterrichtet sein soll, kam ich auf das große Einkommen des Lord Grosvenor, welches man auf 300,000 Pfund Sterling jährlich schätzt. Er lachte über diese Uebertreibung, und erzählte mir, er glaube nicht, daß sich im ganzen Königreiche ein Mann befinde, der die Hälfte davon habe; und er kenne nur fünf bis sechs, deren Einkommen sich auf hunderttausend Pfund belaufe.

Von diesen großen Einkommen geht jedoch immer viel ab, wenn sie auch wirklich existiren. Das Gut ist zwar da, und der Besitzer bringt so viel heraus, als er nur irgend vermag; in der Regel ist jedoch so viel an Wittwengehalt und Pensionen für jüngere Söhne zu zahlen, daß dies allein schon die Hälfte der Einkünfte verschlingt. Mein Freund ist genau mit einem hiesigen Manne von Rang bekannt, den ich ebenfalls kenne; und von seinem Gute sprechend sagte er: »Das Gerücht wird Ihnen erzählen, Lord – habe jährlich 100,000 Pfund Einkünfte; er hat aber in der That nur sechzigtausend, wovon ihm nach allen Abzügen nur vierzigtausend verbleiben.«

In der Rechtlichkeit liegt so viel Unwiderstehliches, und man fühlt eine solche Hochachtung für diejenigen, welche menschliches Gefühl den weltlichen Interessen vorziehen, daß ich mich nicht enthalten kann, einige Umstände anzuführen, die mit der Geschichte dieses Edelmannes in Verbindung stehen, und die mir mein Freund erzählte.

Lord – wurde als ein jüngerer Sohn geboren. Die Thorheiten seines Vaters ließen eine Schuld zurück, die sich beinahe auf eine Million Dollars belief. Der ältere Sohn und Erbe verweigerte die Uebernahme der Schuld, die mit dem Gute nicht in Verbindung stand. Dem jüngern Bruder hatte man eine mäßige Pension ausgesetzt. Um diese Zeit wurde mein Freund beauftragt, dem Letztern die Heirath einer Dame vorzuschlagen, welche die Erbin eines großen Gutes mit nicht weniger als sechzigtausend Pfund Einkommen war. Er vernahm den Vorschlag, wurde roth und erklärte, wenn er jemals heirathe, so habe er seine Wahl bereits getroffen. Bald darauf heirathete er seine jetzige Frau, die buchstäblich ohne Vermögen war. Einige Jahre später starb sein älterer Bruder ohne Kinder, und er folgte ihm im Besitz seiner Titel und Güter. Von diesem Augenblick an traf er solche Maßregeln, daß er in wenigen Jahren die Schulden seines Vaters bis auf den letzten Schilling bezahlte, und dann erst lebte er mit dem Aufwande, der sich für seine Stellung schickt.

Ich will dem englischen Adel nicht eben die Freigebigkeit absprechen; was jedoch die zu Weihnachten vertheilten warmen Kleidungsstücke und die Fässer Bier anbelangt, von denen man so oft in den hiesigen Journalen liest, so erregen diese Redensarten hier nur ein Lächeln; dennoch habe ich Lord – nie gesehen, seit ich die erwähnten Umstände von ihm erfahren, ohne ihn innerlich hochzuachten. Er hat seinen Lohn dafür bekommen, denn seine Frau ist von der Art, daß sie nie Veranlassung geben wird, seine Wahl zu bereuen.

Ein Engländer hat so eben ein Buch herausgegeben, welches von den Uebertreibungen handelt, die in Bezug auf die Einkünfte des Landadels herrschen. Er hat eine sehr einfache Methode befolgt, um seine Behauptung zu beweisen. »Das Gerücht legt dem Lord A– dreißigtausend Pfund jährliche Revenuen bei,« sagt er; »nun wissen wir Alle, daß seine Güter aus diesen und jenen Besitzungen bestehen,« die er namhaft macht. Er führt jetzt an, wie viel Acres diese Besitzungen enthalten. Was ein jeder Acre in den verschiedenen Grafschaften bringt, ist wohl bekannt; und indem er den Ertrag eines jeden Acres auf zwei Pfund anschlägt, so schließt er ganz richtig, daß neuntausend Acres nur achtzehntausend Pfund bringen können. Auf diese Weise fährt er fort, an concreten Fällen zu beweisen, – der meinige war nur angenommen, – auf welche unerhörte Weise in diesen Dingen übertrieben wird. Bei der Schätzung des Kampfes zwischen dem Reichthum, der sich in der Macht befindet, und demjenigen, der durch das gegenwärtige System von der Macht ausgeschlossen ist, haben sie demnach die Hälfte von jenem abzuziehen.

Dennoch ist die Aristokratie dieses Landes äußerst mächtig. Sie hat ein starkes Nationalgefühl auf ihrer Seite, wovon ein Theil seinen guten Grund hat, während ein anderer höchst abgeschmackt ist. Mit Aristokratie meine ich nicht allein die Pairs und ihre Erben, sondern die ganze Classe, welche die Gewalt der Regierung in Händen hat, und mit jenen, so wie unter sich, durch die Bande des Bluts verbunden ist; denn Sie dürfen nicht vergessen, daß das Unterhaus mit wenigen Ausnahmen nichts Anderes ist als das Oberhaus. Die beiden Häuser mögen zuweilen nicht mit einander übereinstimmen, dies ist jedoch nur eine Differenz, wie sie zwischen Compagnons eines Geschäfts stattfindet, und wie die Pairs selbst zuweilen unter einander verschiedener Meinung sind.

Der englische Gentleman hat das Verdienst des Muthes, der Männlichkeit, Klugheit und des guten Benehmens. Man denkt von seiner Moral zu schlecht, und kann ihm eigentlich nur gewisse Vorurtheile vorwerfen. Wir haben z. B. in unsern nördlichen Provinzen nur wenige Familien, deren Söhne Anstand nehmen würden, die Handlung zu erlernen; – in England ist es anders. Die mit diesem einen Gegenstand verbundenen Vorurtheile bilden in Europa die Hälfte der Ursachen zu Schlechtigkeiten. Derjenige Mann, welcher Anstand nehmen würde, seinen Namen mit einer Handelsfirma in Verbindung zu bringen, ist im Stande, sein ganzes Leben mit Gemeinheiten und vielleicht Verbrechen hinzubringen, die ihn zum Auswurf der menschlichen Gesellschaft machen. Diese Denkungsart nimmt in England zwar täglich mehr ab; doch ist sie noch immer mächtig genug. Männer von Familie lassen sich selten offen mit dem Handel ein, obgleich sie es oft heimlich thun. Die Armee, die Flotte, Kirche und die Regierung sind sonst ihre einzigen Hülfsquellen. Dies hat beim gegenwärtigen System zu sehr verhaßten Mißbräuchen geführt. Gelegentlich sieht man einige dieser Leute an der Barre, aber mehr als Verbrecher, denn als Advocaten. Dieser Stand wird in der Gesellschaft noch geduldet, da er den Weg zum Pairthum und zum Parlament bahnt; aber er verlangt zu viel Mühe und Arbeit, als daß er oft ergriffen würde. Ein Arzt steht in England höher als in irgend einem andern Lande; in der feinen Gesellschaft wird er doch kaum für voll gehalten.

Die jüngern Söhne der Pairs ergreifen alle Stände, nur nicht den eines Arztes. Ein Pfarrer kann Erzbischof von Canterbury werden, ein Arzt höchstens Baronet, wornach man nicht sehr verlangt.

Die nämlichen Eigenschaften der englischen Aristokratie haben sie natürlich bei dem Volke in Gunst gesetzt. Etwas von diesen Eigenschaften verdanken die Edelleute dem Klima, welches der Jagd sehr günstig ist, und etwas der Natur des Staates, der den Unternehmungsgeist befördert. In physischer Beziehung sind sie weder stärker, größer, noch thätiger als wir, doch sind sie mehr den Lieblingsübungen ergeben. Die Armee ist bisher gänzlich ihr Eigenthum gewesen; denn es ist für eine solche Regierung nöthig, sie in den Händen derjenigen zu erhalten, die da herrschen. Das Kaufen der Stellen harmonirt vollkommen mit einem solchen Systeme. Die Lage des Königreichs und sein Reichthum veranlassen zum Reisen. Der Einfluß dieses letzteren kann kaum überschätzt werden, und keine Nation hat so viele Gründe, ihre Heimath zu verlassen, als die britische.

Die Engländer reisen der Oekonomie halber; denn wenn ihr wirkliches Einkommen auch gering ist, so vermehrt sich dasselbe dadurch von fünf zu fünfundzwanzig Procent. Früher reisten nur Leute von Rang, die sich vor der übrigen Nation durch Geschmack und Freigebigkeit auszeichneten; jetzt reiset jedoch ein Jeder. Der englische Charakter hat auf dem Continent dadurch verloren, die Nation selbst jedoch bedeutend gewonnen.

Der englische Gentleman schont weder seine Person im Kriege, noch bei Volksaufständen; er würde auf keinen Fall in der französischen Revolution Paris dem Pöbel überlassen haben Als England in den Jahren 1830 und 1831 mit einer Revolution bedroht war, eilten die reisenden Engländer in ihre Heimath, um auf dem Platze zu sein.. Dies sind lauter Eigenschaften, welche die Masse einnehmen. Obgleich eine starke und wachsende Feindseligkeit gegen die privilegirten Classen besteht, so findet man doch noch bei einem Theil der Nation ein tiefes Gefühl von Achtung und selbst Zuneigung für dieselben. Vielleicht war nie eine Aristokratie weniger durch den Genuß ihrer Vorrechte entnervt oder eingeschläfert als diese, welches man dem Umstände zuschreiben muß, daß die großen Rechte und Freiheiten des Publikums sie stets wachsam erhielten.

Bei einem Kampfe der Aristokratie mit der Masse ist von der Männlichkeit und dem Muthe der ersteren viel zu erwarten, denen noch dazu die Gewohnheit des Herrschens und Combinirens zu Hülfe kommt; die große Intelligenz unter dem Volke würde jedoch auch sehr bald Männer herausfinden, die im Stande sein möchten, seine Angelegenheiten mit Glück zu leiten. Obgleich sich eine ausgedehnte Reform durch die novi homines unterstützt finden würde, so möchte dies mit einer Revolution wohl schwerlich der Fall sein; denn der kürzlich Reichgewordene wird stets bei derjenigen Partei gefunden, die sich den Rechten des Volkes widersetzt.

Der Theil des gegenwärtigen Einflusses der Aristokratie, der verrucht und trügerisch ist, steht mit einem weit verbreiteten Systeme studirter Mißdeutungen und Mißbräuche der Kirche in Verbindung. Da ich wahrscheinlich Gelegenheit haben werde, einen Brief über diese letztern zu schreiben, so will ich jetzt nur die ersteren berühren. Während die Aristokratie so wohlerzogen und weniger geneigt ist, einen unduldsamen Sinn an den Tag zu legen als die nächste Classe unter ihr, so kann ich sie doch nicht von dem Vorwurf frei erklären, dazu beigetragen zu haben, daß viele Verleumdungen gegen uns in Umlauf gesetzt wurden, durch welche man uns während des letzten halben Jahrhunderts schmähte. Sie mag die Verräther verachten, doch liebt sie den Verrath.

Der ganze Codex von Vorurtheilen und falschen politischen Maximen, den man hier in der Grafschaft trifft, ist die Folge eines Systems, an dessen Spitze die Aristokraten stehen. Die Engländer weichen von den andern europäischen Nationen, bei denen die Gewalt exclusiv ist, in dem Umstande ab, daß die Nation Freiheiten hat. Eine Freiheit ist an und für sich selbst keine Macht, sondern nur ein Schutzmittel gegen die Mißbräuche der Macht. Da man der Presse nicht den Mund stopfen konnte, so wurde es nöthig, sie zu einem Instrument zu machen, um Lügen damit in Umlauf zu setzen. Kein Mittel zu Erreichung eines solchen Zweckes ist so wirksam, als das, Vorurtheile zu erschaffen. Die Vereinigten Staaten, ihr System, Nationalcharakter, ihre Geschichte, ihr Volk, ihre Manieren und ihre Moral sind aus guten Gründen zu Gegenständen dieser Angriffe gemacht worden; da ich jedoch später noch Gelegenheit haben werde, von der anglo-amerikanischen Frage zu handeln, so werde ich hier nur oberflächlich von diesen Dingen reden.

Vor sechsunddreißig Jahren waren wir Beide Schulkameraden in dem Hause eines Geistlichen von der echtenglischen Schule. Dieser Mann war ein Inbegriff der nationalen Vorurtheile und in einiger Beziehung des Nationalcharakters. Er war der Sohn eines Geistlichen in England, hatte regelmäßig alle Grade zu Oxford durchgemacht, besaß eine große Ehrfurcht vor dem Könige und dem Adel, war nicht müßig, seine Verachtung über jegliche unfeine Clique und Meinungsverschiedenheit auszusprechen, war durchdrungen von der Unsittlichkeit der französischen Revolution, und gegen uns nicht besonders nachsichtig, obgleich er unser Brot aß, – zwang Sie und mich, den Virgil mit den Eklogen und den Cicero mit der schweren Phrase anzufangen, womit die Rede zu Gunsten des Poeten Archias beginnt, »weil ihre Verfasser sie nicht zu Anfange des Buchs gesetzt haben würden, wenn sie nicht zuerst gelesen werden sollten;« verschwendete sein Geld und häufig das von Andern dazu; – hielt alte Formen der Kirche hartnäckig aufrecht, – haßte einen Demokraten wie den Satan, – machte täglich seine Scherze über Herrn Jefferson und die schwarze Sara, niemals vergessend, seine Zügellosigkeit mit der strengen Sittlichkeit Georgs III. zu vergleichen, dessen Geschichte ihm zum Unglück ziemlich unbekannt war, – betete des Sonntags inbrünstig, – lästerte alle Institutionen, Kirchen und Gesetze Montags und Sonnabends, nur die von Alt-England nicht, – und lebte, wie später bekannt wurde, in vinculo matrimonii mit anderer Männer Weiber.

Sie wissen, daß diese Skizze richtig ist. Nun will ich gerade nicht alle diese Züge für nationell ausgeben; doch sind es die Vorurtheile und die Verdammung aller derjenigen, die anders denken, so wie die Blindheit gegen eigene Fehler. In dieser Beziehung hat sich die Kirche, deren Mitglied unser alter Lehrer war, selbst geschadet, während sie dem Staate einen großen Dienst leistete. Sie hat auf die öffentliche Meinung so zu wirken gewußt, daß es Millionen Engländer für ein Verbrechen halten, die Regierung reformiren zu wollen. Ich denke, Sie werden bemerkt haben, wie selten man einem englischen Staatsverbesserer seinen ehrlichen Charakter gelassen. Gewöhnlich hat man damit angefangen, den Liberalen ihre Geburt und ihren Stand vorzuwerfen. Mit diesen Angriffen hat man sich an die abgeschmackten Gefühle gewendet, welche die Aristokratie in der Masse anzupflanzen gewußt, und nach denen man glaubt, Geburt und Vermögen seien durchaus zu bürgerlicher Tugend nothwendig. Derjenige, welcher in Frankreich einem Manne seine Abkunft zum Vorwurfe machen wollte, würde mehr dadurch verlieren als gewinnen; und doch ist es eine Waffe, die in England beständig gehandhabt wird. Richtet man damit nichts aus, greift man den Charakter an.

Es scheint mir zwischen den englischen Institutionen und englischen Gesinnungen eine eigene Uebereinstimmung zu herrschen. Die Freiheit des Landes besteht aus Privilegien, die den Bürgern ein gewisses Quantum persönlicher Rechte sichern, und nicht aus einem großen System, welches die Rechte Aller feststellt. Ich glaube, die Engländer handeln als Individuen mehr wie es ihnen beliebt, als irgend ein anderes Volk auf der Erde; während ich in dem Augenblick, wo sie als Masse zu denken und zu handeln beginnen, keine Nation kenne, bei welcher die öffentliche Meinung unter einem so großen Einflüsse künstlicher und willkürlicher Regeln stünde als bei dieser. Bei uns findet beinahe das Gegentheil statt.

Ich habe nur wenig über den Einfluß zu sagen, den die Aristokratie durch die Achtung ausübt, welche die untern Stände vor ihr haben; diese sind, so sonderbar es auch klingen mag, stolz auf ihren Adel. Ein solches Gefühl kann nur durch Unterdrückung der weniger Großen entstanden sein, und es rührt auch zum Theil daher, daß die Großen dem Volke zu fern stehen, um genau von ihnen gekannt zu werden. Dieser sonderbare Stolz besteht trotz jeglichen Gewäsches über Freiheit; und ich darf behaupten, niemals einen Engländer getroffen zu haben, der nicht die Verdienste eines Edelmannes in gewisser Beziehung nach seinem Range beurtheilte, wenn er nicht selbst in einem freien und fortgesetzten Verkehr mit Männern von Rang lebte. Ich habe den englischen Adel gerade so gefunden, wie ich Ihnen denselben beschrieben; oft habe ich jedoch vergebens die aristokratische Miene, die aristokratischen Ohren, die aristokratischen Finger, die aristokratischen Nägel und die aristokratischen Füße gesucht, von denen so viel geredet, geschrieben und gesprochen wird. Ich habe Ihnen nicht erst zu sagen, daß ein englischer Edelmann in moralischer Beziehung ziemlich so ist, wie ein Mann von Rang in einem großen civilisirten Reich sein muß; und in physischer Beziehung ist er gerade so wie ein anderer Mensch. Zuweilen sind seine Ohren etwas bemerkbarer als gewöhnlich; doch hat er kein Privilegium, nach welchem dieselben kleiner sein sollten, als die seiner Umgebung.

Ich glaube, das Gefühl der Hochachtung ist so sehr mit aller Gewohnheit des Denkens und Empfindens der ganzen Nation verwebt, daß der englische Adel noch lange Vortheil davon ziehen wird, bis der Strom der Veränderung durch unweises und unnatürliches Eindämmen so viel Gewalt bekommen hat, daß ihm nichts mehr zu widerstehen vermag.

Man findet in England nicht so viel fürstlichen Adel, wie auf dem Continent von Europa, den man noch für würdig hielte, königliche Verbindungen zu schließen. In Bezug auf Blut, moderne Verbindungen und Alter gehören die englischen Edelleute zu der, niedrigsten Classe in ganz Europa; ihre Wichtigkeit ist nur ihrer besonderen politischen Verbindung mit einem der ersten, wenn nicht dem ersten Staate in der Christenheit zuzuschreiben. Ich glaube nicht, daß ihr Privatreichthum den der großen Edelleute auf dem Continent übersteigt, – den französischen Adel ausgenommen; doch giebt es hier eigentlich keinen niedern Adel, da die jüngern Söhne stets zur Classe der Gemeinen gehören. Als die Howards des fünfzehnten Jahrhunderts so eben aus der Dunkelheit heraustraten, sanken die Guzman, die Arenberg und hundert andere Häuser von fürstlichem Range zu dem Zustand hinab, in welchem sie sich jetzt befinden. Die Vorfahren von Talleyrand wurden hundert Jahre vor der Zeit, wo der erste Howard geadelt wurde, ihrer Besitzungen als souveraine Grafen beraubt.

Was die alten Baronien betrifft, die unter den englischen Titeln figuriren, so stammen sie von einer Classe von Leuten her, welche vor fünfhundert Jahren die Untergebenen der Guzman und Perigords und nicht ihres Gleichen gewesen sein würden. Es scheinen mir in dieser Beziehung zwei Irrthümer obzuwalten, – nämlich derjenige, daß man die Wichtigkeit des englischen hohen Adels überschätzt, – und derjenige, daß man den niedern Adel nicht nach seiner ganzen Wichtigkeit würdigt. Alle diese Dinge sind jedoch äußerst unwichtig.

 

Ende des ersten Bandes.


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