Karl Wilhelm Salice Contessa
Haushahn und Paradiesvogel
Karl Wilhelm Salice Contessa

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Viertes Kapitel

Die buntesten Träume standen die ganze Nacht an Karolinens Lager und webten ihr wunderliches Geflecht aus goldnen und schwarzen Fäden unablässig um die Stirn der Schlummernden, so daß sie oft auffuhr und sich mit Gewalt emporzureißen strebte; doch immer drückte der Schlaf mit Macht ihre Augenlider nieder, und sie sank von neuem in das Gewirr der tollsten Bilder zurück. Gegen Morgen aber sah sie sich in einer ganz unbekannten Gegend, von mächtigen Felsen rings umstarrt, über welchen noch höhere Gipfel zum Himmel aufragten; und immer näher drängten sich die Felsen, und immer enger ward der Raum um sie her, und da sie endlich in der Angst einen der Berggipfel erklimmt hatte, sah sie wieder neue, noch höhere vor sich; zu ihren Füßen aber wühlte sich ein ungeheurer Abgrund in die Tiefe. Schaudernd und schwindelnd bedeckte sie ihre Augen; doch eine unsichtbare Gewalt zog ihre Hände hinweg, und sie mußte wider Willen hinabschauen in den Abgrund. Und je länger sie hinabsah, desto heller ward es drunten, fremdartige Gestalten bewegten sich hin und wider, und endlich ersah sie mitten unter den Gestalten ihren Theodor, gefesselt an Hand und Fuß; er hob die gefesselten Hände flehend zu ihr empor und bat weinend, ihn zu erlösen aus der Nacht der Tiefe.

Mit einem lauten Schrei erwachte sie in der heftigsten Bewegung. Sie rufte ihren Mann.

Diesem hatte die verborgne Weisheit des alten Königs ebenfalls wenig Ruhe gelassen; zu gleicher Zeit aber war auch die Erinnerung an den Besuch bei dem Minister, der ihm heut bevorstehen sollte, in der Stille der Nacht bei ihm laut geworden, erfüllte sein Herz mit großer Bangigkeit und ließ ihn jetzt, da seine Frau ihn aus dem Schlummer weckte, nichts anders vermuten, als daß sie ihn antreiben wollte, aufzustehen und sich vorzubereiten zu dem sauern Gange. Er verhielt sich daher anfangs ganz still; doch als er sie endlich laut weinen hörte, richtete er sich schnell empor und fragte sie bestürzt nach der Ursache.

»Ach mein Kind, mein unglückliches Kind!« rief Karoline, die Hände ringend. »Ich habe ihn gesehen in Ketten und Banden; ich habe seine Stimme gehört, die mich anflehte, ihn aus dem gräßlichen Abgrund zu erlösen. Ach! in welcher entsetzlichen Lage schmachtet er jetzt vielleicht irgendwo! In welcher Not, in welcher Gefahr ruft er vielleicht in diesem Augenblick nach seiner Mutter, die ihm nicht helfen, ihn nicht retten kann!«

Sie erzählte ihm schluchzend den Traum, aus dem sie eben erwacht; und wie sehr nun auch dieser ihn selbst bewegte, wie aufrichtig auch der Schmerz seiner Frau ihn betrübte, so regte sich doch, von ihm selbst kaum bemerkt, in dem geheimsten Winkel seines Herzens eine kleine Zufriedenheit: denn über dem Traume ward heute der Besuch bei dem Minister wahrscheinlich ganz vergessen.

Der Kammerrat stellte sich in aller Frühe ein und fand Karolinen noch in Tränen. Als er die Ursach' derselben vernommen hatte, rief er: »Aber wie mögen Sie sich um solcher Kinderei willen die schönen Augen verderben? Andrang des Blutes nach dem Herzen! leeres Spiel der entzügelten Phantasie? Hirngespinste! – Träume, Schäume!«

»Mitnichten!« fiel der Professor ein. »Wenigstens nicht immer. Träume sind oft wahrhaftige Boten aus dem Reich der Geister, in die Nacht des Lebens hineinfallende leuchtende Blumen einer höhern Vegetation, ja oft, wenn ich es sagen darf, eine wirkliche abgehorchte Sprache des Schicksals.«

»Ei, ei!« lächelte jener, »wer hätte in einem so gelehrten Kopfe solche Seifenblasen gesucht! Sind denn der gestrige Tee – ich habe selbst die ganze Nacht nicht schlafen können – unser Gespräch und die schlau hingeworfnen letzten Worte des kleinen Wunderdoktors, sind das nicht hinreichende Data, um die Entstehung jenes Traumes zu erklären? Der Scharlatan hat übrigens uns alle zum besten gehabt. Der Kammerrat durchschaut ihn aber. Weil er sich im Anfang ein wenig verraten hatte, so warf er uns nachher das alberne Märchen von dem alten König hin, um uns von der Spur seiner wahren Absicht wegzuleiten. Er ist ein Abenteurer, ein Schatzgräber, der nach verborgenen Schätzen die ganze Welt durchläuft – denn zu welchem Ende sonst, frage ich? – und nicht vergebens, wenn die Ringe an seinen Fingern echt sind. Daß jedoch unser benachbartes Gebirge, die edlen Steine ungerechnet, welche ehedem so häufig selbst die Italiener aus ihrem Vaterlande herbeigezogen, wirklich große, ja ungeheuere Schätze in seinem Schoß bewahrt, darüber sind mir bereits früher mancherlei anderweitige Anzeigen an die Hand gegeben worden. Mein Großvater wußte davon besondere Dinge zu erzählen; und es wäre wohl sogar für einen vernünftigen Menschen der Mühe wert, einmal einen Versuch zu machen.«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Der Markör aus dem Goldnen Löwen brachte ein Billett. Es war von dem Doktor. Er meldete darin seine schleunige Abreise, die ihn selbst unverhofft und unerwünscht überrasche und äußerte die Erwartung eines baldigen Wiedersehns im Gebirge.

Noch immer hatte Karoline die leise Hoffnung gehegt, daß der Fremde wirklich um das Leben, vielleicht wohl gar um den Aufenthalt ihres Kindes wisse, und wenn er gestern mit dem Geständnis gezögert, ihr heute dafür eine desto freudigere Überraschung bereiten werde. Jetzt zerrann diese Hoffnung, dem Nebel gleich, den der Schiffer für die ersehnte heimatliche Küste gehalten; in trostloser Sehnsucht streckte sie wieder ihre Arme hinaus in die weite leere Welt; der Schmerz überfiel sie von neuem mit verdoppelter Gewalt, und sie konnte ihrer Tränen kein Ende finden, bis der Kammerrat endlich mit dem schon lange bereitgehaltenen Vorschlag ans Licht trat, gemeinschaftlich eine Reise nach dem Badeort zu unternehmen, der am Fuße jenes Gebirges lag, wo man dann teils hoffen dürfe, des Wunderdoktors wieder habhaft zu werden, teils auch über den Ort, wo der Schatz liegen solle und über die Möglichkeit eines Versuchs, ihn zu heben, sich näher unterrichten könne.

Ein Sonnenstrahl durch Regenschauer lächelte Karolinens Auge ihm entgegen. Allein eine solche Ausgabe bei ihrer beschränkten Lage! – – Eine neue Wolke verdüsterte das liebliche Gesicht. Der Kammerrat aber, begeistert von jenem Blicke und ihre Gedanken erratend, schlug eilig alle Bedenklichkeiten mit der Bitte nieder, die Kosten der Reise allein übernehmen zu dürfen. Der Professor konnte sich in seiner Freude nicht enthalten, ihn aufs herzhafteste zu umarmen und machte nur die Bedingung, daß es ihm erlaubt sein möge, seinen Paradiesvogel mitzunehmen, den er unmöglich fremden Händen anvertrauen könne.

So wurde denn auf der Stelle das weitere verabredet, und sodann im Verlauf desselbigen Tages alles zur Reise benötigte mit so beflügeltem Eifer vorgekehrt, daß schon die nächste Morgensonne sie miteinander im Wagen und auf der Straße nach dem Gebirge fand, welchem jedes von ihnen mit verschiedenen Hoffnungen und Wünschen, doch alle mit gleichem Verlangen erwartungsvoll entgegensahen.


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