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19.

Es war dunkle Nacht, als Gwijde mit ungefähr sechzehntausend Mann in Kortrijk ankam. Die Einwohner, durch vorausgesandte Reiter benachrichtigt, standen in Menge auf den Wällen der Stadt und empfingen ihren Fürsten bei Fackelschein mit freudigem Jubel. Sobald das Heer sich innerhalb der Mauern geschart hatte, brachten die Kortrijker alle möglichen Eßwaren herbei; ganze Fässer mit Wein wurden für ihre ermüdeten Brüder ausgeschenkt, und sie blieben die ganze Nacht bei ihnen auf den Befestigungen, in ihrer Begeisterung unablässig die Freunde umarmend. Während dieses Ergusses brüderlicher Liebe waren viele andere den ermatteten Kindern und Frauen auf der Straße entgegengegangen, um sie von dem mitgeführten Hausrat zu entlasten. Einige dieser schwachen Geschöpfe, deren Füße durch das weite Gehen wund geworden waren, wurden auf den breiten Schultern der hilfreichen Kortrijker stadtwärts getragen, und alle wurden beherbergt und sorgsam genährt und getröstet. Die Dankbarkeit der Kortrijker und ihre Freundschaft erhöhten den Mut der Brügger sehr; denn stets wird des Menschen Seele durch edle Gefühle erhoben.

Machteld und Maria, die Schwester Adolfs van Nieuwland, waren schon einige Stunden in Kortrijk, bevor das Heer anlangte; sie hatten sich bei ihren Bekannten niedergelassen und ebenfalls die Herbergen für die Ritter, ihre Verwandten oder Freunde dergestalt vorbereitet, daß die Edelleute, die mit Gwijde kamen, gleich bei ihrer Ankunft das Abendessen einnehmen konnten.

Am frühen Morgen des anderen Tags ging Gwijde mit einigen vornehmen Einwohnern, um die Festungswerke des Schlosses zu besichtigen; zu seiner großen Betrübnis fand er, daß man diese nicht ohne die schwersten Sturmwerkzeuge einnehmen könne. Die Mauern waren gar zu hoch, und aus den Türmen, die über sie hinausragten, konnte man zu viele Pfeile auf die Belagerer schleudern. Es war ihm klar, daß der geringste leichtfertige Versuch ihm Tausende von Mannen kosten würde. Nach reiflicher Überlegung beschloß er, keinen unbedachten Sturmlauf zu beginnen. Er gebot sogleich, Sturmböcke und Falltürme zu bauen und die in der Stadt befindlichen Kriegswerkzeuge herbeizubringen; diese bestanden aus einigen Schleudern und einer kleinen Anzahl von schweren Wurfmaschinen. Vermutlich konnte man das Schloß nicht vor Ablauf von fünf Tagen angreifen; dieser Aufschub war für die Kortrijker nicht mehr so schädlich, denn seit dem Erscheinen des flämischen Heeres hatte die französische Besatzung aufgehört, Feuerpfeile auf die Stadt zu werfen; man sah die Wachen hinter den Schießscharten der Türme mit ihren Armbrüsten zwar bereitstehen, aber sie schossen nicht. Die Flamen kannten den Grund dieses Verhaltens nicht; sie meinten, daß irgendeine List dahinterstecke, und hielten ihrerseits scharfe Wacht. Gwijde hatte jeden Angriff verboten; er wollte nichts unternehmen, bevor seine Sturmwerkzeuge fertig waren und er des Sieges sicher sein durfte.

Der Kastellan van Lens befand sich in äußerster Not; seine Schützen hatten nur noch eine kleine Anzahl Pfeile zur Verfügung; daher gebot ihm die Vorsicht, diese zur Abwehr eines Angriffs aufzusparen. Auch war der Lebensmittelvorrat derart zusammengeschmolzen, daß er der Besatzung nicht mehr als die Hälfte der gewöhnlichen Ration geben konnte. Er hoffte, daß die Wachsamkeit der Flamen ein wenig einschlafen werde und er Gelegenheit finden könne, einen Boten nach Rijssel in das französische Lager zu senden.

Arnold van Oudenaarde, der einige Tage vorher mit dreihundert Mann zum Beistand der Kortrijker angekommen war, hatte sich unter den Stadtwällen auf dem Groeninger Anger, in der Nähe der Abtei, mit seinem Volk gelagert. Dieser Ort war für einen allgemeinen Lagerplatz höchst vorteilhaft gelegen und wurde im Kriegsrat, den Gwijde zusammenberufen hatte, hierzu bestimmt. Schon des anderen Tags, während das Gewerk der Zimmerleute an den Sturmwerkzeugen arbeitete, wurden die anderen Flamen vor die Stadt geführt, um den Graben für den Lagerplatz auszuheben. Die Weber und Fleischhauer bekamen jeder eine Hacke oder einen Spaten und machten sich mit Eifer ans Werk. Die Verschanzung wuchs wie durch Zauberei empor; – das ganze Lager wetteiferte bei der Arbeit; es war wie ein Kampf. Die Spaten und Hacken hoben und senkten sich so schnell, daß man ihnen mit dem Blick nicht folgen konnte, und die Erde flog in dicken Schollen über die Verschanzung wie die zahllosen Steine, die eine belagerte Stadt auf den Feind schleudert.

Sobald ein Teil der Erdwerke vollendet war, kamen andere, um die Zelte aufzustellen. Von Zeit zu Zeit ließen die Arbeiter ihre Werkzeuge in der Erde stecken und kletterten schnell auf die Verschanzung, dann ging ein allgemeiner Willkommgruß durch das Lager, und der Ruf: »Flandern dem Löwen! Flandern dem Löwen!« pflanzte sich weithin fort. – Dies geschah jedesmal, wenn Beistand aus anderen Städten eintraf.

Das flämische Volk hatte seine Edlen einigermaßen mit Unrecht der Treulosigkeit und Feigheit beschuldigt. Es ist allerdings richtig, daß eine große Anzahl von ihnen sich öffentlich für Frankreich erklärt hatte; aber die Zahl der Treugebliebenen war größer als die der Bastards. Zweiundfünfzig der vornehmsten flämischen Ritter saßen in Frankreich gefangen, und sicher war es die Liebe zu ihrem Vaterlande und zu ihrem Fürsten, die sie dazu gebracht hatte. Die anderen treuen Edlen, die in Flandern wohnten, hielten es nicht für ehrlich, sich mit einem rebellischen Volke zu verschwören; für sie war die Rennbahn oder das Schlachtfeld der einzige Ort, wo ihre Waffentaten geschehen durften. Die Sitten jener Zeit hatten ihnen diese Ansichten eingegeben; denn damals bestand zwischen einem Ritter und einem Bürger soviel Abstand, als jetzt zwischen einem Herrn und einem Dienstknecht ist. Solange der Kampf innerhalb der Stadtmauern und unter dem Befehl der Volksführer vor sich ging, blieben sie auf ihren Schlössern und seufzten über die Unterdrückung des Vaterlandes; nun aber Gwijde als rechtmäßiger Feldoberster über seine Untertanen gebot, strömten sie von allen Herrschaftsitzen mit ihren Untergebenen herbei.

Am ersten Tage morgens kamen die Herren Boudewijn van Papenrode, Hendrik van Paveschot, Ivo van Belleghem, Salomon van Sevecote und Herr van Maldeghem mit seinen beiden Söhnen nach Kortrijk. Mittags flog der Staub in der Richtung von Moorseele einer Wolke gleich über dem umstehenden Baumwerk dahin. Während die Brügger von ihren Verschanzungen herab laut jubelten, begaben sich fünfzehnhundert Mannen von Veurne in die Stadt, an ihrer Spitze der berühmte Krieger Eustachius Sporkijn. Eine Menge Ritter, die sie unterwegs getroffen hatten, begleiteten sie; unter diesen waren Herr Jan van Ayshoven, Willem van Dakeman und sein Bruder Pieter, Herr van Landeghem, Hugo van der Moere, Simon van Caestere die vornehmsten. Jan Willabaert von Thourout hatte sich ebenfalls mit einigen Mannen unter den Befehl Sporkijns gestellt. Jeden Augenblick kamen einzelne Ritter ins Lager; es waren darunter selbst Leute aus anderen Ländern oder Grafschaften, die sich damals in Flandern befanden und nicht zögerten, an der Befreiung Flanderns mitzuwirken. – So waren Hendrik van Lonchijn aus Luxemburg, Goswijn van Goetsenhove und Jan van Cuyck, zwei edle Brabanter, schon bei Gwijde, als die Mannen von Veurne in die Stadt kamen. Alle diese Kriegsleute wurden sofort, nachdem sie in Kortrijk etwas erfrischt waren, im Lager unter den Befehl des Herrn van Renesse gestellt.

Am zweiten Tage kamen die von Ypern. Obwohl sie ihre eigene Stadt zu hüten hatten, wollten sie doch nicht dulden, daß man Flandern ohne ihre Mitwirkung befreie. Ihre Scharen waren die schönsten und die reichsten, die man sehen konnte; es waren fünfhundert Keulenträger, ganz in Scharlach gekleidet, mit schönen Federbüschen auf ihren blinkenden Hauben. Auch hatten sie kleine Brustplatten und Kniescheiben, die im Sonnenschein wie Feuer blitzten. Siebenhundert andere Männer trugen mächtige Armbrüste mit stählernen Federn; ihre Kleidung war grün mit gelben Borten. Bei ihnen waren die folgenden Herren: Jakob van Ypern, Waffenträger des Grafen van Namen, Herr Diederik van Vlamertinghe, Josef van Hollebeke, Baudewijn van Passchendaele; die Führer waren Philips Baalde und Pieter Belle, Dekane der beiden vornehmsten Gewerke von Ypern.

Am Nachmittag kam das übrige Volk aus den Dörfern um Brügge in der Zahl von zweihundert wohlausgerüsteten Kriegsleuten.

Am dritten Tage vor der Mittagsstunde kam Herr Willem van Jülich, der Priester, mit Jan van Renesse von Kassel zurück. Fünfhundert Reiter, vierhundert Seeländer und noch eine Schar Brügger betraten mit ihnen das Lager.

Die aufgebotenen Ritter und Städte waren meist alle angekommen; alle Arten von Waffenknechten befanden sich unter dem Befehl Gwijdes. Die Freude, die die Flamen während dieser Tage erfüllte, ist unbeschreiblich; jetzt sahen sie, daß ihre Landsleute nicht so sehr verkommen waren und daß ihr Vaterland über die ganze Ausdehnung des flämischen Bodens noch mutige Männer zählte. Schon waren bei einundzwanzigtausend wehrhafte Streiter unter dem Banner des schwarzen Löwen versammelt, und noch immer kamen unablässig andere kleine Scharen hinzu.

Obwohl die Franzosen ein Heer von zweiundsechzigtausend Mann hatten, wovon die Hälfte beritten war, fand die Furcht nicht den kleinsten Platz im Herzen der Flamen. In ihrer Begeisterung ließen sie oft ihre Arbeit im Stich, um einander zu umarmen, als könnte nichts den Sieg ihnen rauben.

Gegen Abend, als sie sich mit ihren Spaten zu den Hütten begaben, erhob sich der Ruf: »Flandern dem Löwen!« von neuem über die Mauern von Kortrijk; alles lief zu den Verschanzungen zurück, um zu sehen, was da vor sich ging. Als sie ihre Blicke über das Lager hinaus gehen ließen, antworten sie noch lauter und freudiger auf den Ruf der Kortrijker. – Sechshundert Reiter, ganz in Eisen gekleidet, sprengten unter schallendem Jubel in das Lager. Diese Schar kam von Namen und war vom Grafen Jan, dem Bruder Robrechts van Bethune, nach Flandern gesandt. Durch das Erscheinen dieser Hilfe wurde die Freude der Flamen noch ungestümer; denn Reiterei fehlte ihnen sehr. Obwohl sie wußten, daß die Mannen von Namen sie nicht verstanden, riefen sie ihnen allerlei Willkommgrüße zu und brachten ihnen Wein im Überfluß. All die fremden Krieger fühlten sich beim Anblick dieser großen Freundschaft von Gegenliebe ergriffen und schwuren, daß sie ihr Blut für solch gute Leute vergießen wollten.

Nur die einzige Stadt Gent hatte noch nicht auf den Ruf geantwortet; noch kein einziger Geselle von dort war nach Kortrijk gekommen. Man wußte schon lange, daß Gent von Leliaarts wimmelte und daß der Magistrat ganz französisch gesinnt war; trotzdem hatte man dort siebenhundert französische Söldner erschlagen, und Jan van Borluut hatte seinen Beistand versprochen. Die Flamen, die sich im Lager befanden, wagten nicht, ihre Brüder von Gent laut des Verrates zu beschuldigen; doch wurden die Genter von vielen für verdächtig gehalten, und mancher vereinzelte Ausruf des Mißfallens, dessen Zweck man nicht hätte erraten können, wurde ihnen gewidmet.

Am Abend, als die Sonne schon seit einer Stunde hinter dem Dorfe Moorseele verschwunden war, waren alle Arbeiter in ihre Zelte gegangen. Man hörte da und dort Gesang, zuweilen durch das Zusammenklingen der Becher unterbrochen, während viele Stimmen jauchzend den Schlußvers wiederholten; in anderen Zelten gab es ein wirres Durcheinanderreden, aus dem man bei dem Ruf »Flandern dem Löwen!« entnehmen konnte, daß die Sprechenden sich gegenseitig zur Unverzagtheit anfeuerten und daß sie die Begeisterung ihrer Seelen einander in rauhen und abgebrochenen Worten mitteilten. In der Mitte des Lagerplatzes, in einiger Entfernung von den Zelten, brannte ein großes Feuer, das mit seiner roten Glut einen Teil des Lagers erhellte. Ein Dutzend Männer waren mit der Unterhaltung des Feuers betraut; man sah sie der Reihe nach große Baumäste heranschleppen, und dann hörte man die Stimme eines Anführers, der rief:

»Vorsichtig, Mannen! Gebt acht und rührt das Feuer nicht so auf; – jagt die Funken nicht so über das Lager!«

Einige Schritte vom Feuer entfernt stand die Hütte der Lagerwache; es war ein mit Ochsenhäuten bedecktes Dach, dessen Zimmerwerk auf acht schweren Balken ruhte; die vier Seiten waren offen, damit man nach allen Richtungen das Lager übersehen könne.

Jan Breydel und fünfzig seiner Mannen mußten diese Nacht wachen; sie saßen alle auf kleinen hölzernen Stühlen um einen Tisch unter dem Dache, das sie vor dem Regen schützen sollte; ihre Beile flammten beim Feuerschein in ihren Händen, als ob sie glühende Waffen trügen. Schildwachen, die sie ausgestellt hatten, konnte man in der Dunkelheit umhergehen sehen. Eine große Kruke Wein und einige Zinnbecher standen vor ihnen auf dem Tische; und obwohl ihnen der Trunk nicht verboten war, so konnte man doch sehen, daß sie mäßig tranken, denn sie führten den Becher selten an den Mund. Sie lachten und unterhielten sich fröhlich, um die Zeit hinzubringen, und erzählten im voraus, welch schöne Schläge sie den Franzosen im Kampfe versetzen würden.

»Nun!« rief Breydel, »man sage noch einmal, daß die Flamen nicht ihren Vätern gleichen, wenn ein Heer wie das unserige aus freiem Willen zusammenkommt! Laßt die Franzosen jetzt nur kommen mit ihren zweiundsechzigtausend Mann! Je mehr Wild, desto besser die Jagd. Sie sagen, daß wir ein Haufe räudiger Hunde seien, aber sie mögen Gott bitten, daß sie nicht totgebissen werden: diese Hunde haben gute Zähne.«

Die Fleischhauer lachten herzlich über die scherzhaften Worte ihres Dekans; sie sahen auf einen steinalten Gesellen, dessen grauer Bart für seine Jahre zeugte. Einer von ihnen rief ihm zu:

»Ihr, Jakob, werdet sie ja nicht mehr recht beißen können!«

»Wenn meine Zähne nicht so gut sind wie die eurigen,« brummte der alte Fleischhauer, »so habe ich doch ein Beil, das das Beißen schon lange gewöhnt ist. Ich will mit dir zwanzig Maß Wein wetten, wer von uns beiden die meisten Franzosen zur Hölle senden wird.«

»Es gilt,« rief der andere, »wir wollen sie gleich trinken; – ich werde sie holen.«

»Ho! Ho!« rief Breydel aus. »Wollt ihr ein wenig langsam tun! Trinkt morgen; denn ich sage euch, der erste, der sich betrinkt, wird in Kortrijk eingekerkert; er wird dem Kampf nicht beiwohnen.«

Diese Drohung ergriff die Fleischhauer wundersam; die Worte erstarben ihnen im Munde, und keiner von ihnen rührte noch ein Glied. Der alte Fleischhauer allein wagte noch zu sprechen.

»Beim Barte unseres Dekans!« rief er. »Wenn mir solches geschehen sollte, ich ließe mich lieber im Feuer braten, wie einst dem heiligen Laurentius geschehen ist; denn ich werde solches Fest in meinem Leben nicht mehr sehen können.«

Breydel bemerkte, daß die Drohung die ganze Gesellschaft mit Furcht und Trauer erfüllt hatte; dies gefiel ihm nicht, da er selbst der Fröhlichkeit geneigt war. Um den Mut und die ungebundene Freude unter ihnen wieder zu erwecken, erfaßte er die Kruke, und indem er die Becher füllte, sprach er:

»Ja, Mannen, warum schweigt ihr? Hier, nehmt und trinkt, damit der Wein euch die Sprache wiedergebe. Es tut mir leid, daß ich euch also bedroht habe. Kenne ich euch nicht? Weiß ich nicht, daß das Fleischhauerblut euch durch die Adern strömt? Wohlan, dies geht auf euer Wohl, Kameraden!«

Der Ausdruck der Freude erschien plötzlich wieder auf den Gesichtern der Fleischhauer, und die Stille endete mit einem langen Lachen, nun sie sahen, daß die Drohung ihres Dekans nur Scherz gewesen.

»Trinkt nur,« fuhr Breydel fort, seinen Becher füllend, »diese Kruke sei euch gegeben, ihr dürft sie bis auf den Boden leeren. Euren Gesellen, die derzeit auf Wache stehen, wird eine andere gegeben werden. Nun wir sehen, daß aus allen Städten Hilfe herankommt und daß wir so stark werden, dürfen wir dieses Glück wohl feiern.«

»Ich trinke zur Schande der Genter!« rief ein Geselle. »Schon lange wissen wir, daß, wer in sie Vertrauen setzt, sich auf einen zerbrochenen Stecken stützt; aber das macht nichts aus, sie mögen zu Hause bleiben – dann hat unsere Stadt Brügge allein die Ehre des Kampfes und der Befreiung.«

»Sind die Genter Flamen wie wir?« sprach ein anderer.

»Schlägt ihr Herz für die Freiheit? Und wohnen auch Fleischhauer in Gent? Heil Brügge! Dies ist der wahre Stamm.«

»Ho!« rief Breydel. »In Gent wohnt ein Mann, der ein Löwenherz hat. Kennt man Jan Borluut nicht in der ganzen Welt? Ich bin sicher, daß, wenn er die Sache näher untersuchen wollte, er finden würde, daß seine Väter Fleischhauer oder etwas Ähnliches gewesen sind; – denn Herr Jan gleicht einem Genter wie ein Stier einem Schaf.«

Die Fleischhauer brachen von neuem in ein schallendes Gelächter aus.

»Und ich weiß nicht,« fuhr Breydel fort, »warum Herr Gwijde ihr Erscheinen wünscht; es sind nicht zu viel Lebensmittel im Lager, um noch mehr Esser zur Mahlzeit zu rufen. Meint der Feldherr, daß wir das Spiel verlieren werden? Es ist zu erkennen, daß er in Namen gewohnt hat: er kennt die Brügger nicht, sonst würde er nicht nach den Gentern verlangen. Wir brauchen sie nicht; sie mögen zu Hause bleiben: wir werden unsere Sache ohne sie erledigen – und überdies, es sind ja doch nur Wankelmütige!«

Als ein echter Brügger liebte Breydel die Genter nicht. Die beiden vornehmsten Städte Flanderns standen von ihrem Ursprung an stets in Differenzen; dies kam nicht daher, daß die eine mutigere Männer besessen hätte als die andere, sondern weil sie, eifersüchtig aufeinander, sich gegenseitig die Handelsbeziehungen abzujagen und an sich zu ziehen suchten. Noch heute besteht dieser Haß zwischen den Einwohnern von Gent und Brügge; – so schwer ist es, dem Volke seine vererbte Denkungsart zu rauben, daß dieses Gefühl der Eifersucht sich trotz aller Umwälzungen bis auf unsere Tage erhalten hat.

Auf diese Weise fuhr Breydel fort, sich mit seinen Gefährten zu unterreden; es ward manches höhnende Scheltwort gegen die Genter ausgesprochen, bis sie, nachdem dieser Gegenstand genügend abgewandelt war, die Rede auf eine andere Sache brachten. Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch ein seltsames Geräusch wachgerufen; sie hörten einige Schritte hinter dem Zelte ein Gezänk, als ob zwei Männer sich im Streit befänden. Alle erhoben sich, um zu sehen, was dies sein möchte; aber bevor sie das Zelt verlassen konnten, trat ein Fleischhauer mit einer anderen Person, die er mit Gewalt daherschleppte, vor sie.

»Meister,« sprach er, indem er den Fremden in das Zelt stieß, »diesen Kumpan hab' ich hinter dem Lager gefunden; er lauschte an allen Hütten und schlich wie ein Fuchs auf weichen Sohlen durch die Finsternis. Lange hab' ich ihn verfolgt und belauert. Sicher steckt irgendein Verrat dahinter; denn seht nur, wie der Schelm zittert.«

Der Mann, den er in das Zelt gebracht hatte, trug einen blauen Koller und ein Mützchen mit einer Feder. Ein langer Bart bedeckte zur Hälfte sein Gesicht. In der Linken hielt er ein kleines Saitenspiel, das sehr einer Harfe ähnelte und auf dem er der Gesellschaft ein Liedchen vorspielen zu wollen schien. Er zitterte vor Angst, und sein Gesicht war bleich, als wolle das Leben ihn verlassen. Es war ersichtlich, daß er bemüht war, dem Blick Jan Breydels auszuweichen; denn er wendete den Kopf nach der anderen Seite, damit der Dekan seine Gesichtszüge nicht sehen könne.

»Was habt Ihr im Lager zu tun?« rief Breydel. »Warum lauscht Ihr an den Zelten? Antwortet schnell!«

Der Sänger antwortete in einer Sprache, die dem Hochdeutsch ähnlich war und vermuten ließ, daß er irgendwo in einem anderen Teile des Landes zu Hause sei.

»Meister, ich komme von Luxemburg und habe Herrn van Lonchijn zu Kortrijk eine Botschaft überbracht. Man hat mir gesagt, daß einer meiner Brüder im Lager sei, und ich war gekommen, um ihn zu suchen. Ich bin besorgt und ängstlich, weil die Schildwache mich für einen Spion angesehen hat, aber ich hoffe, daß Ihr mir nicht schaden werdet.«

Breydel, der Teilnahme für den Sänger in sich aufsteigen fühlte, schickte die Schildwache zurück und sprach, indem er dem Fremden einen Sitz anwies:

»Ihr werdet von so langer Reise ermüdet sein. Hier, mein schöner Sänger, laßt Euch nieder. Trinkt – dieser Becher ist Euer. Ihr werdet uns einige Lieder singen, und wir werden Euch einschenken. Habet Mut, Ihr befindet Euch unter guten Leuten.«

»Vergebet mir, Meister,« antwortete der Sänger, »ich kann hier nicht bleiben, denn Herr van Lonchijn wartet meiner. Ich denke, daß Ihr das Begehren dieses edlen Ritters nicht mißachten und mich nicht zurückhalten werdet.«

»Ein Lied wollen wir haben!« riefen die Fleischhauer. »Er darf nicht von hinnen gehen, bevor er ein Lied gesungen hat!«

»Sputet Euch,« befahl Breydel, »wenn Ihr uns das Vergnügen, ein paar Lieder zu hören, nicht gönnen wollt, so behalte ich Euch hier bis morgen. Wenn Ihr mit gutem Willen begonnen hättet, so wäre es jetzt schon geschehen. Singt, ich befehle es Euch!«

Die Angst des Sängers vergrößerte sich bei diesem herrischen Befehl; nur mit Mühe konnte er die Harfe in der Hand halten, denn er zitterte derart, daß die Saiten des Instrumentes, seine Kleider berührend, einige undeutliche Töne von sich gaben. Dies erhöhte die Lust der Fleischhauer nur noch mehr.

»Wollt Ihr spielen oder singen!« rief Breydel. »Denn wenn Ihr Euch nicht sputet, wird Euch Schlimmes geschehen.«

Der Sänger, zum Tode erschrocken, brachte seine bebenden Finger an die Harfe und lockte nur falsche und wirre Töne hervor. Die Fleischhauer merkten bald, daß er nicht spielen könne.

»Es ist ein Spion!« rief Breydel aus. »Entkleidet ihn und sucht ihn aus, ob er nichts Verräterisches an sich hat.«

Im Nu waren ihm die Oberkleider vom Leibe gerissen, und trotz seiner Bitten um Gnade ward er bei dieser ungestümen Untersuchung von der einen Seite zur anderen gestoßen.

»Hier, hier hab' ich's!« rief ein Fleischhauer, der seine Hand unter das Wams auf der Brust des Unbekannten gesteckt hatte. »Hier ist der Verrat!«

Nachdem er die Hand wieder hervorgezogen, zeigte er einen Bogen Pergament, der drei- oder vierfach gefaltet war und an dem ein Siegel hing, das mit Flachs umwunden war. Der Sänger stand stumm und regungslos, als sähe er den Tod vor sich; er brummte einige unverständliche Worte, die die Fleischhauer nicht hörten, während er angstvoll den Dekan ansah.

Jan Breydel nahm das Pergament, und nachdem er es entfaltet, starrte er es lange an, ohne daß es ihm klar wurde. Zu jener Zeit gab es außer den Geistlichen wenige Personen, die lesen konnten; selbst die Edlen lebten meistens noch in der größten Unwissenheit.

»Was ist dies, Schelm, der du bist?«

»Es ist ein Brief von Herrn van Lonchijn ...« stammelte der angebliche Sänger mit abgebrochenen Worten.

»Wartet!« versetzte der Dekan. »Das werden wir gleich sehen.«

Er nahm sein Dolchmesser und schnitt den Flachs vom Siegel. Nachdem er die Lilie, das Wappen Frankreichs, gesehen, sprang er polternd vor und faßte den Unbekannten am Barte. Ihn heftig hin und her schüttelnd, rief er:

»Es ist ein Brief von Herrn van Lonchijn, Verräter? Nein, es ist ein Brief von dem Kastellan van Lens, und du bist ein Spion. Du wirst eines bitteren Todes sterben, Bösewicht!«

Damit zerrte er so gewaltig an dem Barte des Spions, daß die Bänder, mit denen er ihn am Kopfe festgebunden hatte, zerrissen; und dann erkannte Breydel sein Gesicht. Er stieß ihn mit solchem Grimm von sich, daß er gegen eine der Säulen des Zeltes taumelte.

»O Brakels, Brakels, deine letzte Stunde ist gekommen!« rief Breydel, gleichsam erschreckt vor dieser Erscheinung.

Der alte Fleischhauer, den man wegen seiner schlechten Zähne verspottet hatte, stürzte sich auf Brakels, und nachdem er ihn mit beiden Händen an der Kehle gefaßt, drückte er ihn so fest gegen die Säule, an die Breydel ihn geworfen hatte, daß er qualvoll die Augen verdrehte; denn unter dem würgenden Griff des Fleischhauers konnte der Verräter nicht mehr atmen. Er wäre bald erwürgt worden, wenn die Bewegungen, die er machte, um sich loszureißen, ihm nicht gestattet hätten, seine beengte Brust zu entlasten.

Das Geschrei des Fleischhauers hatte eine Menge Volks geweckt, das aus allen Zelten neugierig herbeilief, der eine ohne Koller, der andere ohne Wams. Sobald sie die Ursache des Lärms vernahmen, begannen sie wie rasend nach dem Körper Brakels zu rufen.

»Gebt ihn uns!« schrien sie. »Sein Blut! Seinen Leib!«

Breydel packte den alten Fleischhauer bei den Schultern und riß ihn von Brakels weg, indem er rief:

»Befleckt Euch nicht mit dem Blute des Verräters! Er ist zu verächtlich; sonst wäre er schon unter meinen Händen gestorben.«

»Nein, nein!« rief der Fleischhauer, sein Beil erhebend, »ich will mich an diesem Spiel vergnügen. Man gewinnt einen Platz im Himmel, wenn man einen Landesverräter totschlägt. Laßt mich gewähren, ich bitte Euch um Gottes willen, nur einen Streich!«

Brakels kniete auf dem Erdboden und flehte mit gefalteten Händen um Gnade, er kroch bis zu dem Dekan und stöhnte:

»O Meister, habt doch Erbarmen mit mir ... Ich werde dem Vaterlande treu dienen ... Tötet mich nicht!«

Breydel betrachtete ihn mit Grimm und Verachtung, und während er ihm den Fuß in die Seite setzte, stieß er ihn gegen die andere Seite des Zeltes. – Inzwischen hatten die Fleischhauer die größte Mühe, die Tausende von Männern, die rachedurstig um das Zelt herumschrien, zurückzuhalten.

»Gebt uns seinen Leib!« rief die wütende Schar. »Ins Feuer, ins Feuer!«

»Ich will nicht,« sprach Breydel mit einem gebieterischen Blick zu seinen Mannen, »daß das Blut dieser Schlange eure Beile berühre. – Man übergebe ihn dem Volke.«

Dieser Befehl hatte noch nicht seinen Mund verlassen, so kam schon aus der Menge ein Mann, der einen Strick um Brakels' Hals warf; dann nahmen Hunderte das Ende in die Hand und zerrten den Verräter aus dem Zelte. Seine Angstrufe verschmolzen sich mit dem brausenden Jubel der Menge. Nachdem sie ihn um das ganze Lager geschleppt, kamen sie unter beständigem Heulen ans Feuer und zogen ihn vier oder fünfmal hindurch, bis die Kohlen, die an seinem Antlitz klebten, ihn unkenntlich gemacht hatten. Dann verschwanden sie mit dem toten Körper in der Dunkelheit. Noch lange hörte man in der Ferne ihr Geschrei, und noch lange zerrten sie die Leiche des Verräters mit sich herum, bis sie eine Stunde später gänzlich verstümmelt an einem Galgen beim Feuer zur Schau hing. Jeder kehrte in sein Zelt zurück, und auf diesen schrecklichen Lärm folgte die tiefste Stille.


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