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2.

Der Ritter oder der Ministrel, der von den Bewohnern von Wynendaal aus Höflichkeit oder Mitleid eingelassen wurde, befand sich zuerst auf einem viereckigen Platz unter freiem Himmel. Zur Rechten sah er die Ställe, in denen hundert Pferde bequem stehen konnten; daneben die Düngerhaufen, die mit zahllosen äsenden Tauben und Enten bedeckt waren. Zur Linken das Gebäude, in dem die Waffenknechte und Troßknappen hausten; weiter zurück lagen die Maschinen, die man im Kriege mitführte: zuerst die großen Ramm- und Sturmböcke mit ihren Schragen und Wagen, dann die Wurfzeuge, ferner noch allerlei Sturmbrücken, Fußangeln, Feuertonnen und unendlich viel anderes Kriegsgerät.

Gerade vor dem ankommenden Reisenden erhob sich stattlich der gräfliche Palast mit seinen Türmen über den niedrigen Gebäuden, die ihn umgaben. Eine steinerne Treppe, an deren Fuß zwei schwarze Löwen ruhten, führte zum ersten Stockwerk hinauf und gewährte Zugang zu einer langen Reihe viereckiger Säle. Viele davon waren mit einem Bett ausgestattet, um die zufälligen Gäste aufzunehmen; andere waren mit alten Waffen verstorbener Grafen oder mit eroberten Bannern und Wimpeln geschmückt.

Rechts in der Ecke dieses weiten Gebäudes war ein kleinerer Saal, der sich von den übrigen unterschied. Auf dem Teppich, der die Wand bedeckte, war ein Kreuzzug abgebildet. Auf der einen Seite stand Gwijde, vom Kopf bis zu den Füßen in Eisen gekleidet und von Rittern umgeben, denen er das Kreuz reichte. Im Hintergrund sah man eine Schar Kriegsknechte, die sich schon auf den Weg gemacht hatten. Die zweite Seite schilderte die Schlacht von Massura, die 1250 geschlagen wurde und in der die Christen den Sieg gewannen. Der heilige Ludwig, König von Frankreich, und der Graf Gwijde waren vor allen anderen an ihren Bannern zu erkennen. Die dritte Seite zeigte ein grauenvolles Bild. Zahlreiche Kreuzritter, die von der Pest ergriffen waren, lagen auf einem dürren Felde zwischen abscheulichen Leichen und Pferdekadavern im Sterben; schwarze Raben flatterten über diesem unglücklichen Heere und warteten darauf, bis einer stürbe, um sich dann an seinem Fleische zu sättigen. Die vierte Seite stellte die frohe Heimkehr des Grafen von Flandern dar. Seine erste Frau, Fogaats van Bethune, lag weinend an seiner Brust, während ihre Söhne Robrecht und Boudewijn ihm liebevoll die Hände drückten.

An dem marmornen Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte, saß der alte Graf von Flandern in einem schwarzen Armstuhl. In tiefes Sinnen versunken, ließ er den Kopf auf seiner Rechten ruhen und betrachtete zerstreut seinen Sohn Willem, der in einem silberbeschlagenen Gebetbuch las. Machteld, die junge Tochter Robrechts van Bethune, stand mit ihrem Falken an der anderen Seite des Zimmers. Sie streichelte den Vogel, ohne auf den alten Gwijde und seinen Sohn zu achten. Während der Graf an seine vergangenen Leiden dachte und Willem den Himmel um Gnade anflehte, spielte Machteld mit ihrem geliebten Falken und dachte nicht einmal daran, daß das Erbe ihres Vaters von den Franzosen erobert und für verfallen erklärt war. Aber dennoch war die Jungfrau nicht unempfindlich; doch ihre Traurigkeit währte niemals länger als der Vorfall, der ihr Herz erschütterte. Als man ihr ankündigte, daß alle Städte Flanderns vom Feinde eingenommen waren, brach sie in eine Tränenflut aus; aber schon am Abend des gleichen Tages wurde der Falke aufs neue geliebkost und waren des Mädchens Tränen getrocknet und alles Leid vergessen.

Nachdem Gwijde lange mit unsicheren Blicken seinen Sohn angestarrt hatte, nahm er plötzlich die Hand von seinem Kopf und fragte:

»Willem, mein Sohn, was betest du immer so feurig zu Gott?«

»Ich bete für meine arme Schwester Philippa,« war die Antwort des Jünglings. »Gott weiß, o mein Vater, ob die Königin Johanna sie nicht schon ins Grab gestoßen hat ... aber dann sind meine Gebete für ihre Seele.«

Dabei senkte er tief das Haupt, als wollte er zwei Tränen, die ihm entfielen, verbergen.

Der alte Vater seufzte schmerzlich. Er fühlte, daß die unheimliche Ahnung Willems sich bewahrheiten könne, denn Johanna von Navarra war ein böses Weib; doch ließ er seine Trostlosigkeit nicht blicken und sprach:

»Es ist nicht vernünftig, Willem, daß man sich betrübe über schmerzliche Aussichten. Die Hoffnung ist dem Sterblichen von Gott als Trost gegeben; und warum solltest du nicht hoffen? Seit der Gefangenschaft deiner Schwester trauerst und siechst du, ohne daß jemals ein Lächeln dein Gesicht erhellt. Es ist löblich, daß dir das Los deiner Schwester nicht gleichgültig ist, aber in Gottes Namen erhebe dich aus deiner düsteren Verzweiflung!«

»Lächeln sagt Ihr, Vater? Lächeln, während unsere arme Philippa im Kerker schmachtet? Nein, das kann ich nicht. Ihre Tränen fließen auf den kalten Boden ihres Kerkers, sie klagt dem Himmel ihre Traurigkeit, sie ruft uns alle um Erlösung an – und wer antwortet ihr? Der unheimliche Widerhall der unterirdischen Grüfte des Louvre! Seht Ihr sie nicht, wie sie, bleich wie der Tod, schwach und matt, wie eine sterbende Blume, ihre Arme zu Gott emporstreckt? – Hört Ihr sie nicht rufen: O, mein Vater, meine Brüder, befreiet mich, ich sterbe in den Ketten! ... Dies sehe und höre ich in meinem Herzen – dies fühle ich in meiner Seele – und da sollte ich lächeln?«

Machteld, die nur halb nach dieser traurigen Rede gehört hatte, stellte ihren Falken auf den Rücken eines Sessels und fiel mit einer Flut von Tränen und heftigem Schluchzen ihrem Großvater zu Füßen. Sie legte ihren Kopf auf seine Knie und rief:

»Ist meine liebe Muhme tot? O Gott, wie traurig! Ist sie tot? Werde ich sie nimmer wiedersehen?«

Der Graf hob sie zärtlich vom Boden auf und sagte gütig:

»Beruhige dich, meine liebe Machteld – weine nicht; Philippa ist nicht tot.«

»Nicht tot?« fragte das Mädchen verwundert. »Warum spricht denn Herr Willem vom Sterben?«

»Du hast ihn nicht gut verstanden,« antwortete der Graf; »Philippas Zustand hat sich nicht verändert.«

Während die junge Machteld ihre Tränen trocknete, warf sie Willem einen vorwurfsvollen Blick zu und sagte schluchzend:

»Ihr betrübt mich immer unnötig, Herr! Man könnte schier denken, daß Ihr alle tröstenden Worte vergessen hättet; denn Ihr sprecht immer so unheimlich, daß Eure Reden mich zittern machen; mein Falke fürchtet Eure Stimme, sie klingt so hohl! Das ist nicht höflich von Euch, Herr, und es verstimmt mich sehr.« Willem betrachtete das Mädchen mit Blicken, die um Teilnahme an seinem Schmerz zu flehen schienen. Kaum hatte Machteld diesen Blick aufgefangen, so lief sie zu ihm und ergriff seine Hand.

»Ach, verzeiht mir, lieber Willem,« sagte sie, »ich liebe Euch so sehr; aber dann dürft Ihr mich auch nicht mehr plagen mit diesem schrecklichen Wort vom Sterben, das Ihr immer in meine Ohren klingen lasset. Verzeiht mir, dies bitte ich Euch!«

Noch ehe Willem antworten konnte, lief sie schon zu ihrem Falken zurück und nahm ihren Zeitvertreib wieder auf, wenn sie auch noch nicht aufhörte zu weinen.

»Mein Sohn,« sprach Gwijde, »laß dich die Worte der Jungfrau Machteld nicht anfechten. Du weißt, daß kein Arg in ihr steckt.«

»Ich vergebe ihr von Herzen, Herr Vater; denn ich liebe sie wie eine Schwester. Die Traurigkeit, die sie über Philippas vermeintlichen Tod gezeigt hat, ist für mich ein Trost gewesen.

Bei diesen Worten öffnete Willem aufs neue sein Buch und las jetzt mit lauter Stimme:

»Jesus Christus, unser Erlöser, erbarme dich meiner Schwester! Durch dein bitteres Leiden erlöse sie, o Herr!«

Der alte Gwijde entblößte das Haupt, faltete die Hände und vereinigte sein Gebet mit dem Willems. Machteld ließ ihren Falken auf dem Stuhl sitzen und kniete in einer Ecke des Saales nieder, wo ein Kissen vor einem großen Kruzifix lag.

Willem fuhr fort:

»Heilige Maria, Mutter Gottes, ich bitte dich, erhöre mich! Tröste sie in ihrem dunklen Kerker, o heilige Jungfrau! O Jesus, süßer Jesus, der du voller Barmherzigkeit bist, erbarme dich meiner armen Schwester!«

Gwijde wartete, bis das Gebet zu Ende war, dann fragte er, ohne auf Machteld zu achten, die wieder zu ihrem Falken gegangen war:

»Aber sage mir einmal, Willem, dünkt dich nicht, daß wir Herrn de Valois große Dankbarkeit schuldig sind?«

»Herr de Valois ist der würdigste Ritter, den ich kenne,« antwortete der Jüngling. »Hat er uns nicht mit Edelmut behandelt? Er hat Eure grauen Haare geachtet und Euch selbst getröstet. Ich weiß wohl, daß unser Unglück und die Gefangenschaft meiner Schwester endigen würden, wenn es in seiner Macht läge. Gott gebe ihm die ewige Seligkeit um seiner edlen Gefühle willen!«

»Ja, Gott sei ihm in seiner letzten Stunde gnädig!« versetzte Graf Gwijde. »Kannst du verstehen, mein Sohn, daß er, unser Feind, edelmütig genug sei, um sich selbst für uns in Gefahr zu begeben, und den Haß Johannas von Navarra auf sich zu laden?«

»Ja, das verstehe ich, Herr Vater, sobald Ihr von Charles de Valois sprecht. Aber was kann er für uns und unsere Schwester tun?«

»Höre, Willem. Als er diesen Morgen mit uns zur Jagd ritt, hat er mir ein Mittel gezeigt, durch das man mit Gottes Hilfe Philipp den Schönen versöhnen könnte.«

Der Jüngling schlug in freudiger Aufregung die Hände zusammen und rief:

»O Himmel, sein guter Engel hat aus ihm gesprochen! Und was müßt Ihr dabei tun, mein Vater?«

»Den König mit meinen Edeln in Compiègne aufsuchen und einen Fußfall vor ihm tun.«

»Und die Königin Johanna?«

»Die ungnädige Johanna von Navarra ist mit Enguerrand de Marigny in Paris. Niemals gab es einen günstigeren Augenblick als diesen.«

»Der Himmel gebe, daß Eure Hoffnung nicht trüge! Wann wollt Ihr diesen gefährlichen Zug unternehmen, mein Vater?«

»Übermorgen wird Herr de Valois mit seinem Gefolge nach Wynendaal kommen, um uns zu geleiten. Ich habe die Edeln, die mir in meinem Unglück treu geblieben sind, entbieten lassen, um ihnen hiervon Kenntnis zu geben. Aber dein Bruder Robrecht kommt nicht. Warum mag er solange außerhalb des Schlosses bleiben?«

»Habt Ihr seinen Zwist von heute morgen schon vergessen, mein Vater? Er hat sich von einer Schmähung zu reinigen; jetzt ist er sicherlich bei de Chatillon.«

»Du hast recht, Willem; es ist mir entgangen. Dieser Zank kann uns schädlich sein, denn Herr de Chatillon ist mächtig am Hofe Philipps des Schönen.«

Zu jenen Zeiten waren Ruf und Ehre die kostbarsten Pfänder des Ritters; er durfte sich auch nicht durch den geringsten Schein einer Lästerung berühren lassen, ohne Rechenschaft dafür zu verlangen. Daher waren die Zweikämpfe alltägliche Ereignisse, und man achtete wenig darauf.

Gwijde stand auf und sprach:

»Da höre ich die Brücke fallen. Sicherlich sind meine Lehensmannen schon da. Komm, wir gehen in den großen Saal.«

Sie gingen hinaus und ließen die junge Machteld allein.

Bald kamen die Herren van Maldeghem, van Roode, van Kortrijk, van Oudenaarde, van Heyle, van Nevele, van Roubais, der Herr Walter van Lovendeghem mit seinen beiden Brüdern und noch andere in der Zahl von zweiundzwanzig der Reihe nach in den Saal zu dem alten Grafen. Einige von ihnen hausten zeitweise im Schloß, andere hatten ihre Besitzungen in der nahen Ebene.

Sie warteten alle neugierig auf die Nachricht oder den Befehl, den der Graf ihnen mitteilen würde, und standen entblößten Hauptes vor ihrem Herrn.

Dieser begann nach einiger Zeit seine Anrede und sprach:

»Ihr Herren, es ist euch bekannt, daß die Treue, die ich meinem Lehensherrn, König Philipp, gewidmet hatte, die Ursache meines Unglücks ist. Als er mir gebot, von den Gemeindeverwaltungen die Rechnungen zu verlangen, habe ich als untertäniger Lehensmann seine Forderung erfüllen wollen. Brügge hat sich geweigert, mir zu gehorchen, und meine Untertanen haben sich gegen mich erhoben. Als ich mit meiner Tochter nach Frankreich gegangen war, um dem König zu huldigen, hat er uns alle gefangen gesetzt; mein unglückliches Kind trauert noch in den Kerkern des Louvre. Das alles wißt ihr, denn ihr waret die treuen Begleiter eures Fürsten. Ich habe, wie es meine Würde verlangt, mein Recht durch die Waffen geltend machen wollen, aber das Schicksal war gegen uns; der meineidige Eduard von England brach das Bündnis, das wir geschlossen hatten, und verließ uns in der Not. Nun ist mein Land für verfallen erklärt – ich bin der Geringste unter euch, und meine grauen Haare dürfen die gräfliche Krone nicht mehr tragen. Ihr habt einen anderen Herrn.«

»Noch nicht!« rief Walter van Lovendeghem, »denn dann zerbräche ich meinen Degen für immer. Ich kenne keinen anderen Herrn als den edlen Gwijde van Dampierre!«

»Herr van Lovendeghem, Eure treue Liebe ist mir höchst angenehm; aber hört mich kühlen Blutes bis zum Ende an. Herr de Valois hat Flandern durch das Glück der Waffen gewonnen und von seinem königlichen Bruder zu Lehen erhalten. Wenn er nicht so edelmütig wäre, so wäre ich nicht mit Euch hier in Wynendaal; denn er selbst war es, der mich aus Rupelmonde an diesen geliebten Ort gerufen hat. Noch mehr, er hat beschlossen, das Haus Flandern wieder aufzubauen und mich noch einmal auf den gräflichen Thron zu setzen. Das ist die Sache, über die ich mit Euch zu verhandeln habe, denn ich bedarf dabei Eurer Hilfe.«

Die Verwunderung der aufmerksam horchenden Herren vergrößerte sich bei diesen letzten Worten noch mehr. Daß Charles de Valois das Land, das er gewonnen hatte, wieder hergeben wollte, kam ihnen unglaublich vor. Sie sahen den Grafen erstaunt an. Dieser fuhr nach einer kurzen Pause fort:

»Ihr Herren, ich zweifle durchaus nicht an eurer Ergebenheit für mich; deshalb spreche ich mit der Hoffnung, daß ihr mir diese letzte Bitte gewähret: übermorgen ziehe ich nach Frankreich, um dem König zu Füßen zu fallen, und ich will, daß ihr mich dabei begleitet.«

Die Herren antworteten, einer nach dem anderen, daß sie zu der Reise bereit seien und ihren Grafen überall hin begleiten und beschützen wollten. Nur einer war dabei, der nicht sprach, und das war Diederik die Vos.

»Herr Diederik,« sprach der Graf, »werdet Ihr nicht mit uns gehen?«

»Ja, ja, gewiß!« rief Diederik. »Der Fuchs geht mit, und ginge es auch in den Rachen der Hölle. Aber ich sage Euch, edler Graf – und das möget Ihr mir verzeihen – ich sage Euch, daß man hier nicht Fuchs zu sein braucht, um zu merken, wo die Falle ist. Man hat Euch schon einmal gefangen, und jetzt geht es wieder auf das gleiche hinaus. Gott gebe, daß es gut ausfalle! Aber ich versichere Euch, daß Philipp der Schöne den Fuchs nicht fangen wird.«

»Ihr urteilt und sprecht zu leichthin, Herr!« versetzte Gwijde. »Charles de Valois gibt uns freies Geleite und verspricht uns bei seiner Ehre, daß er uns ungehindert wieder nach Flandern bringen werde.«

Die Herren, die den Rechtlichkeitssinn de Valois' kannten, vertrauten diesem Gelöbnis und fuhren fort, sich mit ihrem Grafen zu unterreden. Unterdessen schlich sich Diederik die Vos unbemerkt aus dem Saal und ging auf den Vorhof auf und nieder, um ungestört nachzudenken.

Einige Augenblicke später wurde die Brücke niedergelassen, und Robrecht van Bethune betrat das Schloß. Als er vom Pferde gestiegen war, näherte sich ihm Diederik die Vos und sprach:

»Es ist nicht nötig, Herr Robrecht, zu fragen, wie Ihr Eurem Feind begegnet seid: das Schwert des Löwen von Flandern hat niemals gelogen. Sicherlich ist Herr de Chatillon auf der Reise nach der anderen Welt?«

»Nein,« antwortete Robrecht, »mein Schwert ist so kräftig auf seinen Helm gefallen, daß er drei Tage nicht sprechen wird, aber tot ist er nicht, Gott sei gelobt. Aber ein anderes Unglück ist uns heute geschehen. Adolf van Nieuwland, mein Waffengenosse, focht gegen de St. Pol. Adolf hatte de St. Pol schon am Kopfe verwundet, als der Harnisch des unglücklichen Junkers sich öffnete und die feindliche Waffe ihn tödlich verwundete. Binnen einigen Augenblicken werdet Ihr ihn sehen; denn meine Knappen bringen ihn ins Schloß.«

»Aber, Herr van Bethune,« fragte Diederik, »glaubt Ihr nicht, daß diese Reise nach Frankreich eine leichtsinnige Tat ist?«

»Welche Reise? Ihr verwundert mich.«

»Wißt Ihr nichts davon?«

»Kein Wort!«

»Nun, wir ziehen übermorgen mit unserem Grafen nach Frankreich.«

»Was soll das heißen, Diederik, mein Freund? Ihr scherzet. – Wie, nach Frankreich?«

»Ja, ja, Herr Robrecht, um dem französischen König zu Füßen zu fallen und ihn um Verzeihung zu bitten. Ich habe noch nie gesehen, daß eine Katze aus freien Stücken in den Sack kriecht; aber ich werde es bald in Compiègne sehen können, oder es mangelt mir an gesundem Verstand.«

»Seid Ihr denn dessen sicher, was Ihr sagt, Diederik? Ihr betrübt mich.«

»Sicher. Es beliebe Euch, in den Saal zu gehen. Ihr werdet die Herren bei unserem Grafen, Eurem Vater, sehen. Übermorgen reisen wir ins Gefängnis; glaubt mir, ich mache ein Kreuz auf das Tor von Wynendaal.«

Robrecht konnte bei dieser Kunde seinen Zorn nicht mehr bändigen.

»Diederik, mein Freund,« sagte er, »ich bitte Euch, laßt den verwundeten Adolf in mein Gemach auf das Bett zur Linken tragen und sorgt für ihn, bis ich wiederkomme. Laßt Herrn Rogaert rufen, damit er die Wunde verbinde.«

Dabei lief er ungeduldig nach dem Saale, wo die Herren versammelt waren, und drang durch ihre Reihen ungestüm zu seinem Vater vor.

Die Ritter waren sehr verwundert, denn Robrecht war noch im vollen Harnisch.

»O Herr und Vater,« rief er, »was sagt man? Ihr wollt Euch in die Hände Eurer Feinde liefern, damit sie Euer graues Haupt mit Schmach beladen – damit die schnöde Johanna Euch in Fesseln werfen lasse?«

»Ja, mein Sohn,« antwortete Gwijde mit Würde, »ja, ich gehe nach Frankreich, und du mit mir – es ist der Wille deines Vaters.«

»Wohlan, es sei,« versetzte Robrecht, »ich werde mit Euch gehen. Aber der Fußfall, der schändliche Fußfall?«

»Den Fußfall werde ich tun, und du mit mir,« lautete die unerbittliche Antwort.

»Ich?« rief Robrecht wütend. »Ich den Fußfall tun? Ich, Robrecht van Bethune, unserem Feinde zu Füßen fallen? Der Löwe von Flandern soll sich beugen vor einem Franzosen, einem Falschmünzer, einem Meineidigen?«

Der Graf ließ einige Augenblicke vergehen. Als er meinte, daß Robrecht sich ein wenig beruhigt habe, fuhr er fort:

»Und du, du wirst es auch tun, mein Sohn!«

»Nein, nimmermehr!« rief Robrecht. »Nimmermehr wird diese Schmach über mich kommen. Mich vor einem Fremdling beugen – ich? Ihr kennt Euren Sohn nicht, mein Vater!«

»Robrecht,« versetzte Gwijde gelassen, »der Wille deines Vaters ist ein Gesetz, das du nicht brechen darfst. – Ich will es!«

»Nein,« rief Robrecht abermals, »der Löwe von Flandern beißt, aber er schmeichelt nicht. Gott allein und Ihr, Vater, habt meinen Kopf sich beugen sehen. – Nimmermehr, nimmermehr werde ich ihn beugen vor einem anderen Menschen auf Erden!«

»Aber Robrecht,« begann der Vater wieder, »hast du kein Erbarmen mit mir, mit deiner unglücklichen Schwester Philippa, mit deinem Vaterlande, daß du das einzige Mittel, das uns retten kann, verwirfst.«

Robrecht, von Schmerz und Wut verzehrt, ballte die Fäuste mit ungestümer Heftigkeit.

»Was fordert Ihr nun, o Herr und Vater,« antwortete er, »daß ein Franzose auf mich als auf einen Sklaven niedersehe? Der Gedanke allein könnte mich vor Scham sterben lassen. Nein, nein, nimmermehr! Euer Befehl, Euer Gebet selbst ist nutzlos. – Ich werde es nicht tun.«

Zwei Tränen glänzten auf den hohlen Wangen des alten Grafen. Der seltsame Ausdruck auf seinem Gesicht ließ die anwesenden Ritter zweifeln, ob es Freude oder Schmerz sei, was ihn ergriffen hatte, als ein trostvolles Lächeln auf seinem Antlitz zu schweben schien.

Robert wurde durch die Tränen seines Vaters tief bewegt; er fühlte in seinem Inneren alle Qualen der Hölle. Seine Aufregung erhöhte sich; er rief wie wahnsinnig:

»Vermaledeit, verfluchet mich, o mein Fürst und Vater, aber ich schwöre Euch, daß ich nimmermehr vor einem Franzosen kriechen werde!«

Robrecht van Bethune erschrak über seine eigenen Worte. Er wurde blaß und zitterte an allen Gliedern; seine Finger bohrten sich krampfhaft in die Ballen seiner Hände, und man hörte die eisernen Schuppen seiner Handschuhe sich kreischend übereinanderschieben. Er fühlte den Mut sich entsinken und sah mit tödlicher Angst dem Fluche seines Vaters entgegen.

Während die Ritter mit dem größten Erstaunen auf die Antwort des Grafen harrten, schlang dieser seine schwachen Arme um Robrechts Hals und rief mit Tränen der Freude und der Liebe:

»O, mein edler Sohn! Mein Blut, das Blut der Grafen von Flandern, fließt rein in deinen Adern. Dein Ungehorsam hat mir den frohesten Tag meines Lebens geschenkt. Nun kann ich sterben! Umarme mich, mein Sohn, denn ich fühle mich unaussprechlich glücklich!«

Bewunderung und Teilnahme bewegte die Herzen aller anwesenden Herren. Unter feierlichem Schweigen waren sie Zeugen dieser Umarmung. Der alte Graf ließ seinen Sohn los und wendete sich begeistert zu seinen Lehensmännern.

»Seht, meine Herren,« sprach er, »so war auch ich in meinen jungen Jahren – so waren die Dampierres immer. Urteilt nach dem, was ihr gehört und gesehen habt, ob Robrecht nicht der gräflichen Krone würdig ist. – O Flandern, so sind deine Männer! Ja, Robrecht, du hast recht. Ein Graf von Flandern darf sein Haupt vor keinem Fremdling beugen. Aber ich bin alt, ich bin dein und der gefangenen Philippa Vater, mein tapferer Sohn; ich werde das Knie vor Philipp dem Schönen beugen – so will es Gott! Ich unterwerfe mich seinem heiligen Willen. Du wirst mit mir gehen. Beuge dein Haupt nicht; halte dich aufrecht, damit der Graf, der nach mir kommen kann, frei von Makel und Schande sei!«

Dann wurden die Vorbereitungen zur Reise weitläufiger besprochen; man erörterte mehr als eine politische Frage. Robrecht van Bethune, der wieder ruhig und kühl geworden war, verließ den Saal und ging in das kleinere Gemach, wo Machteld sich befand. Er nahm die Jungfrau bei der Hand und führte sie zu einem Lehnstuhl; dann zog er, ohne ihre Hand loszulassen, einen anderen Sessel heran und ließ sich neben ihr nieder.

»Meine liebe Machteld,« sprach er, »du liebst deinen Vater, nicht wahr?«

»O, das wißt Ihr doch,« rief das Mädchen, während sie ihre weichen Hände über die Wangen des Ritters gleiten ließ.

»Aber,« fuhr Robrecht fort, »wenn ein Mann, um mich zu verteidigen, sein Leben wagte, würdest du nicht auch diesen lieben?«

»Gewiß,« war die Antwort, »und ich würde ihm ewig dankbar dafür sein.«

»Nun, meine Tochter, ein Ritter hat deinen Vater gegen einen Feind verteidigt und ist tödlich verwundet.«

»Ach Gott!« schrie Machteld. »Ich will vierzig Tage für ihn beten – und noch viel länger, damit er genese.«

»Ja, bete auch für mich, mein gutes Kind; aber ich muß dich um noch etwas bitten.«

»Sprecht, Herr Vater, ich bin Eure gehorsame Dienerin.«

»Verstehe mich wohl, Machteld, ich gehe für einige Tage auf die Reise – und dein Großvater und alle die Edelleute, die du kennst, reisen ebenfalls mit. Wer wird dem armen verwundeten Ritter zu trinken geben, wenn ihn dürstet?«

»Wer? Ich, Herr Vater; ich werde ihn nimmer verlassen, bis Ihr wiederkommt. Ich werde meinen Falken mit in sein Zimmer nehmen und ihm immer Gesellschaft leisten. Fürchtet nicht, daß ich ihn den Dienstboten überlassen werde; meine eigene Hand wird ihm die Trinkschale an die Lippen halten. O, es wird mir eine große Freude sein, wenn er genest.«

»Das ist sehr gut, mein Kind, ich kenne dein liebreiches Herz: aber du mußt mir noch versprechen, daß du in den ersten Tagen seiner Krankheit kein Geräusch in seinem Zimmer machen und auch den Dienstboten solches nicht erlauben wirst.«

»Ach nein, fürchtet nichts, Herr Vater. Ich werde ganz leise zu meinem Falken reden, damit der kranke Ritter es nicht höre.«

Robrecht nahm die junge Machteld bei der Hand und führte sie aus dem Gemach.

»Ich werde dich den Kranken sehen lassen,« sagte er; »sprich aber nicht laut in seiner Gegenwart.«

Adolf van Nieuwland war von den Knappen in einen Saal von Robrechts Wohnung getragen und dort auf ein Bett gelegt worden.

Zwei Heilkundige hatten die Wunde verbunden und standen mit Diederik die Vos an dem Lager. Der Leidende gab kein Lebenszeichen von sich; sein Antlitz war bleich, seine Augen waren geschlossen.

»Nun, Herr Rogaert,« fragte Robrecht einen der Heilkundigen, »wie geht es unserem unglücklichen Freunde?«

»Schlecht,« antwortete Rogaert, »sehr schlecht, Herr van Bethune. Ich kann noch nicht sagen, was zu erwarten ist; doch bin ich persönlich der Meinung, daß er nicht sterben wird.«

»Ist die Wunde nicht tödlich?«

»Jawohl, tödlich und nicht tödlich. Die Natur ist die beste Heilmeisterin; sie bewirkt oft das, was weder Kräuter noch Steine tun können Einst wurden viele Gesteine in der Heilkunde verwendet, man schrieb ihnen übernatürliche Kräfte zu. So wurde der im Neste eines Adlers gefundene Stein als ein Heilmittel für viele Krankheiten betrachtet.. Ich habe mir einen Dorn von Jesu Dornenkrone auf die Brust gelegt – diese heilige Reliquie wird uns helfen.«

Während dieser Unterredung hatte sich Machteld allmählich dem Kranken genähert. Von Neugierde getrieben, suchte sie das Gesicht des leidenden Ritters zu sehen.

Plötzlich erkannte sie Adolf van Nieuwland. Sie wich mit einem Schreckensruf zurück. Die Tränen brachen aus ihren Augen, und sie begann laut zu weinen.

»Was ist das, meine Tochter?« sprach Robrecht. »Kannst du dich nicht mäßigen? Du mußt ruhig und still sein am Lager eines Kranken.«

»Ruhig sein?« schluchzte das Mädchen. »Ruhig sein, wenn Herr Adolf im Sterben liegt? Er, der mich so schöne Lieder lehrte! Wer soll nun der Ministrel von Wynendaal sein? Wer wird mir meine Falken abrichten helfen und mein Bruder sein?«

Dann wankte sie näher zum Bett, betrachtete den bewußtlosen Ritter und rief schluchzend:

»Adolf! Herr Adolf! Mein guter Bruder!«

Als sie keine Antwort bekam, schlug sie die Hände vor das Antlitz und sank in einen Stuhl. Robrecht, in der Befürchtung, daß seine Tochter ihr Schluchzen nicht einstellen werde und daß daher ihre Gegenwart mehr schädlich als nützlich sein werde, faßte die junge Machteld an der Hand.

»Komm, mein Kind,« sprach er, »verlasse dieses Gemach, bis sich deine Traurigkeit ein wenig gelegt hat.«

Machteld wollte das Gemach nicht verlassen. Sie antwortete:

»O nein, Vater, laßt mich hier! Ich werde nicht mehr weinen. Laßt mich meinen Bruder Adolf pflegen. – Ich werde die brünstigsten Gebete, die Ihr mich selbst gelehrt habt, zum Himmel senden.«

Damit nahm sie das Kissen von einem Sessel, legte es auf den Boden zu Häupten des Kranken, kniete darauf nieder und begann still zu beten, während tiefe Seufzer ihrer Brust entstiegen und Tränen ihre Wangen überschwemmten.

Robrecht van Bethune blieb bis in die Nacht hinein an Adolfs Bette in der Hoffnung, ihn wieder zum Bewußtsein erwachen zu sehen, doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Der Verwundete atmete schwach und langsam; an seinem Körper war nicht die leiseste Bewegung zu bemerken. Meister Rogaert begann ernstlich für sein Leben zu fürchten, denn auf den Wangen des Kranken glühte ein leichtes Fieber.

Die edlen Herren, die nicht in Wynendaal wohnten, verließen vergnügt das Schloß; als treue Ritter freuten sie sich, daß sie ihrem alten Fürsten noch einmal dienen konnten. Diejenigen, die im gräflichen Schloß verblieben, begaben sich in ihre Schlafgemächer. Zwei Stunden später hörte man in Wynendaal nichts mehr als den Ruf der Wachen, das Gebell der Hunde und das Kreischen der Nachteulen.


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