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IX.

Vierzehn Tage später wandelten die Mädchen während der Freistunde auf dem Hofe hin und her und schienen mit Geldeinsammeln beschäftigt, denn jedes Mädchen, von der Langen Mie dazu aufgerufen, warf eine Kupfermünze in Trees' Schürze. In der Mitte des Platzes stand ein alter Mann auf einer Leiter und arbeitete an einem steinernen Liebfrauenbilde. Die Zeit hatte es beschädigt: es waren einige Stücke der Draperie abgefallen und er war damit beschäftigt, sie in ihrer ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen. Der greise Bildhauer mußte im Mägdehause sehr bekannt sein, denn die Mädchen tauschten mit ihm allerlei unschuldige Scherze und harmlose Neckereien aus. Auf einmal entstand in einer Ecke des Hofes ein heftiger Wortwechsel zwischen Lange Mie und Anna Moeyal über einen anscheinend sehr gewichtigen Streitpunkt, denn die anderen Mädchen fuhren mit großem Geschrei dazwischen. Als die lärmenden Berathschlagungen lange genug gewährt hatten, rief Trees endlich mit lauter Stimme:

– Kommt, kommt, das währt noch bis Ostern auf einen Freitag fällt! Was verstehst du davon, Moeyal? Wir wollen nur gleich Meister Steven fragen, der soll uns sagen ob es möglich ist.

Meister Steven wandte sich auf seiner Leiter um, um Richter über den Zwist zu sein, allein ihm tönten zu gleicher Zeit so viel verwirrte Fragen in die Ohren, daß er kein einziges Wort zu verstehen vermochte.

– Ho, ho, ihr seid allesammt von der Tarantel gestochen, das weiß ich wohl, elsterschwätzige Mädchen! rief er, während er mit beiden Händen am Gesicht vorüber fuhr als wenn er einen Schwarm Fliegen verjagen wollte; genug, genug! um Gottes willen, schweigt – oder ich bekomme den Schwindel und falle von der Leiter. Wollt ihr denn den armen Steven Arm und Bein brechen sehen? Hört auf, hört auf!

Trees, lauter denn alle anderen schreiend, behielt wie gewöhnlich zuletzt die Oberhand.

– Nun laßt mich die Sache auslegen, rief sie aus, und sprecht dann wenn es euch beliebt ... mit dem Schreien zu gleicher Zeit.

– Du bist die größte Schreierin von uns allen, murmelte die Lange Mie, da ist es freilich nicht leicht alle Zeit Recht zubehalten. Sieh nur zu, daß du die Wahrheit sagen kannst, wenn dies möglich ist!

– Hört, Meister Steven, wandte Trees sich nun an den Bildhauer, sagt Ihr lieber ob es sein kann. Wir haben von den Herren Vorstehern Erlaubnis erhalten unter uns allwöchentlich eine Pfennigsammlung zu veranstalten, um mit diesem Gelde das Porträt von der hölzernen Clara malen zu lassen. Clara ist nun nach Spanien gereist, und nie hat ein Maler sie gekannt. Lange Mie behauptet, daß ein Maler nicht nöthig hat jemand gesehen zu haben um sein Conterfei zu machen. Ist das wahr?

Meister Steven brach in ein lautes Gelächter aus und antwortete:

– Ja, ja, es ist möglich ...

– Seht ihr wohl! rief Lange Mie triumphirend.

– Ja, ja, fuhr der alte Bildhauer spottend fort, es ist so möglich, wie es möglich ist, daß ich heute Abend den Kapaun verschmause, der in diesem Augenblicke in der Küche des Großtürken am Spieße steckt! Lange Mie, du mußt 'mal eilig einen neuen Henkel an meinen Mantel setzen ... es ist wahr, ich habe in meinem Leben keinen Mantel besessen; allein dies thut doch wohl nichts zur Sache, Mieken?

Die Waisen brachen, zum großen Aerger der Langen Mie, in ein lautes Gelächter aus, so daß diese erzürnt und ganz beschämt davon eilte.

– Seht ihr nun wohl, rief Trees ihren Gefährtinnen zu, seht ihr wohl, daß es nicht sein kann? Wir haben schön Geld zu sammeln, um ein Porträt machen zu lassen – und nun giebt es keinen Künstler, der die hölzerne Clara gekannt hat!

– Ho, ho, Trees, was sagst du da? fragte Meister Steven; kein Künstler der die hölzerne Clara gekannt hat? – und für wen oder für was seht ihr mich denn an? Ich, der ich den schönen Altar in eurer Kapelle ganz allein gemacht habe?

– Aber Steven, Ihr macht doch keine Conterfei's?

– Ho! was keine Conterfei's? Es ist was Schönes so ein rothes und blaues Geschmier, was die Signors vom Pinsel ein Conterfei zu nennen belieben! Wenn ihr mit der Hand darüber fahrt, so ist es nichts mehr als ein armseliges Blendwerk. Sprecht mir aber von einem gehauenen Bilde! Das ist Natur, ihr könnt es sehen, tasten und fühlen ... seht, ihr wißt, daß ich Clara's Kopf einst in Thon nachgebildet habe, ich wollte ihn als Modell für den Engel benutzen, der auf eurem Altar steht. Laßt mich ihr Bild in Holz ausführen!

– In Holz! in Holz! riefen die Mädchen spottend.

– Ja in Holz, ergriff Meister Steven wieder das Wort, ihr scheint darüber zu lachen; aber, Kinderchen lieb, wo sind denn eure Sinne? Die hölzerne Clara von Holz ist das nicht klar?

Dieses sonderbare Wortspiel verschaffte dem Bildhauer den Sieg. Man übertrug ihm die Anfertigung einer Statue Clara's in Holz und er bedung vorläufig den Preis.

Zwei Monate später kam Meister Steven eines Morgens in das Mägdehaus, die hölzerne Clara auf der Schulter.

Das Bild des Meisters Steven steht noch heute im Mägdehause links von der Thür und dient der Treppenlehne zum Pfeiler. Es steht auf derselben Stelle, wo die hölzerne Clara so oft während ihrer nächtlichen Wanderung gesessen hat.

 

Ende.

 


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