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VI.

Die Gräfin saß allein in ihrem Zimmer. Sie hatte den Kopf auf die Lehne ihres Armstuhles gestützt; ihr Haar hing verwirrt auf ihre Schultern herab; ihre Kleider waren zerknittert und verknillt. Eine grausige Stille umringte sie: – sie schien eine Leiche zu sein, die eines plötzlichen Todes verblichen. Wenn indessen das langsame aber heftige Wogen ihres Busens noch Leben verrieth, so erkannte man doch auch, daß eine unaussprechliche Marter sie abgemattet und daß sich jetzt die bitterste Verzweiflung ihrer bemächtigt hatte.

Ein durch das gewaltige Zuwerfen der Hausthür verursachtes Geräusch machte sie zittern; matt erhob sie das Haupt zum ängstlichen Lauschen, doch eben so schnell ließ sie dasselbe wieder sinken.

Die Duena trat hastig, obwohl mit leisen Schritten, in das Zimmer, und ihre Gebieterin bei dem Arm ergreifend, sprach sie voll Freude:

– O, Senora, laßt uns Gott danken: eben ist der Graf nach Hause gekommen.

Die Gräfin, durch diese Nachricht wie gestärkt, richtete sich im Stuhl empor und mit zum Himmel erhobenen Händen betete sie voll Dankbarkeit:

– Gesegnet mußt du sein, o Gott, daß du es nicht geschehen ließest! Beschirme mein Kind, mein unschuldiges Kind, o Herr! Mag ich als Büßerin sterben ... aber er! er, der Gute, dessen Leben ich vergiftet habe ... o Dank, Dank, daß du ihn bewahrtest! – Dein Engel hat den gräßlichen Gedanken aus seinem Herzen verscheucht; – du hast es nicht gewollt, o Vater, daß ein Mord deine niedere Dienerin belaste. Ach, dein Name sei gebenedeiet!

– Aber, rief die Duena wie von unüberwindlichem Schrecken erfaßt, nun da der Graf zu Hause ist, kann er auch jeden Augenblick hierher kommen ... o, sagt doch, was können wir thun? Ich bin rathlos und auf den Tod betrübt.

– Wohlan, geh, spute dich, Ines, suche ihn auf.

Die Duena schien zu diesem Schritte keineswegs geneigt zu sein, sie schüttelte das Haupt und blieb sprachlos stehen.

– O weh mir! rief die Gräfin aus; du willst nicht! Ines, verlangst du denn daß ich selbst gehen soll? Du, so beredt, so geschickt das Herz zu rühren, du willst mich im entscheidenden Augenblicke verlassen?

– Ach, theure Gebieterin, seufzte die Duena, ich darf es nicht wagen. Hättet Ihr gesehen wie er mit glühenden Augen und verwildertem Gesicht die Thüre zuwarf und wuthschnaubend zum Hause hereinstürzte, ach! Ihr würdet fliehen ... denn der Tod begleitet ihn!

– Ja, du weigerst mir diesen letzten Dienst, sagte die Gräfin peinlich, indem sie wie vernichtet das Haupt sinken ließ; du willst den guten Gedanken nicht ausführen, den du selbst mir als einen Rettungsanker gezeigt hast? Wohlan, es sei! ich befehle meine Seele Gott und harre in Ergebung des Schlages, der mich treffen soll.

Die Duena stützte ihr Haupt auf die Lehne des Stuhles und weinte schweigend. Nach einigen Augenblicken der tiefsten Stille erhob die Gräfin das Haupt und sprach:

Was! ich sollte undankbar und feige genug sein? Das Pflichtgefühl, mein blutendes Herz, mein nagendes Gewissen – Alles ruft mir zu, daß ich ihn aus der Hölle der Verzweiflung, worin er verkehrt und leidet wie eine verdammte Seele, erlösen muß; – und ich sollte vor einem offenen Bekenntnisse zurückschaudern? Nein, nein!

– Bleibt, ach bleibt, unglückliche Edelfrau! flehte die Duena mit gefalteten Händen. Er wird Euch tödten!

Die Senora indessen beachtete diese Bitte nicht weiter und fuhr mit wachsender Leidenschaft fort:

– Ich habe zur Nachtzeit das Haus verlassen ... er glaubt mich des abscheulichsten Verrathes schuldig; um meinetwillen, um seiner geliebten Catalina willen, hat er zehn Jahre lang die Ruhe und den Genuß seines Lebens geopfert; ich bin in seinen Augen zum elenden und verächtlichen Geschöpf geworden: Liebe, Haß und Rache kämpfen nun in seinem Innern und zerreißen seine Brust ... Und aus Scham, aus Furcht vor dem Tode soll ich ihn im Streite mit diesen gräßlichen Gedanken lassen? Nein, Ines, wenn ein Sühnopfer sein muß, so möge es die Schuldige sein. – Es ist geschehen, bleibe hier, ich gehe ...

Bei diesen Worten schritt sie nach der Thüre, allein die alte Duena warf sich vor ihr auf die Kniee nieder.

– Verzeiht mir, verzeiht mir, edle Frau! rief sie aus.

– Ich habe nichts zu verzeihen, antwortete die Senora indem sie die Duena aufrichtete und sie umarmte. Ich begreife deine Furcht, gute Ines. Sei ruhig und laß mich gehen.

– Ihr sollt nicht gehen! ergriff die Duena im gebieterischen Tone das Wort. Euer Anblick würde ihn zur Wuth entflammen, und unter seinen Vorwürfen würdet Ihr nicht sagen können, was nothwendig gesagt werden muß. Euer Muth hat mein Pflichtgefühl neu belebt. Möge auch der Tod meiner warten, so werde ich doch hier als Vermittlerin auftreten. Ich will nicht daß meine Gebieterin sich bei ihren eigenen Worten zu schämen habe. Mein Entschluß ist gefaßt; was ich diesen Morgen versprach, das werde ich ausführen. Verhaltet Euch ruhig und hoffet!

Sie ließ der Senora nicht Zeit irgend eine Einwendung zu machen und verließ hastig das Zimmer, was sie, den Schlüssel abziehend, von außen verschloß.

Als die Duena durch das Beispiel ihrer Gebieterin einmal zur Verachtung einer jeden Gefahr ermuthigt war, zitterte sie nicht mehr. Im Gegentheil hatte, da sie von Natur eine sehr muthige Frau war, das Gewicht ihrer Sendung sie selbst mit einer ungemeinen Gemüthskraft beseelt, und so schritt sie ohne Zögern durch die Corridore und plötzlich stand sie im Zimmer des Grafen d'Almata.

Der unglückliche Gatte saß, das Haupt auf die Hand gestützt, an einem Tische und blickte unverwandt zu Boden. Die beiden Pistolen lagen noch gespannt neben ihm.

Als er die Duena erblickte lief ein Zittern durch alle seine Glieder und ein bitteres Spottlachen verzerrte sein Gesicht.

– Elende Schlange, lebst du noch! rief er aus; bringst du mir dein Blut zum Opfer ... ich begehre es nicht. Der Henker und der Scheiterhaufen werden zu Gericht sitzen über deinen schändlichen Verrath.

Die Duena ließ sich indessen durch diese schrecklichen Worte nicht niederdrücken, einen Augenblick schwieg sie, dann aber ergriff sie kaltblütig das Wort:

– Graf d'Almata, Ihr habt Eure Gattin ob einer Missethat in Verdacht: es ist eine Lüge! Heilig hat sie Euch die Treue bewahrt, welche sie vor Gottes Altar einst gelobte.

– Ha, der Betrug soll den Verrath verbergen! Nein, nein, es ist geschehen. Geh, erzürne mich nicht, das Feuer könnte nochmals in meinem Gehirn entbrennen ... ich will dein Blut nicht, sag' ich dir!

– Graf d'Almata, hob die Duena unerschrocken wieder an, seht mich an: ich zittere nicht ... steht das Verbrechen so vor seinem Richter? Hört mich an, denn ich bringe Euch Ruhe und Friede – Glück vielleicht. Ihr leidet unaussprechliche Schmerzen, Euer Herz will Euch im Busen brechen. Wenn Euer entsetzlicher Verdacht gegründet wäre, so hättet Ihr nicht blos Grund Euch selbst zu foltern, sondern auch Euren Rachedurst in dem Blute der Schuldigen zu löschen. Doch es ist dem nicht so, Graf d'Almata. Ihr höhnt meine Gebieterin!

Der Graf schlug sich vor die Stirn und rang schmerzlich seine Hände, wie jemand, der gegen einen Gedanken ankämpft, der sich mit unwiderstehlicher Gewalt unseres Geistes bemächtigen will.

– Und bedenkt, Senor, fuhr die Duena fort, wenn es wahr ist, daß die Gräfin Euch unaufhörlich geliebt hat, daß sie rein und treu geblieben, bedenkt dann wie ungerecht Ihr Euer eigenes Herz martert und das ihrige unter einem grundlosen Verdachte erdrückt. Und alles dies ist Wahrheit, Graf d'Almata; jeder andere Gedanke ist eine Lüge!

– Ach Gott, wie darfst du so sprechen! rief der Graf voll Schmerz und Zorn; und diese Nacht, diese Nacht?

– Beweist nichts, Senor. Ich weiß es, wir handelten unrecht, wir versündigten uns schrecklich an Euch; nichts kann uns über diesen Schritt entschuldigen; allein war unsere Handlung auch unvorsichtig, so hat unsere Absicht jedoch nichts mit dem gemein, was Ihr fürchtet oder vermuthet. – Verzeiht mir meine stolze Sprache; mit Ehrfurcht beuge ich mich vor meinem Herrn und Gebieter, allein ich vertheidige hier die verkannte Ehre meiner Gebieterin. Ich bin gekommen, um die Hölle des Zweifels in Eurer Brust zu ersticken. Mögt Ihr mich vernichten, wenn Ihr wollt: ich will von der Wahrheit Zeugnis geben und bedrohete mich auch schon der Tod!

– Mein Haupt ist glühend, seufzte der Graf, alles drehet sich vor meinen Augen, ich leide furchtbar ... Catalina rein! Ich sollte sie noch lieben dürfen! Ines, Ines, wenn du auch nur ein falsches Wort sprächest, so wäre deine Verworfenheit nicht mit tausendfachem Tod zu sühnen! Ach, habe Mitleid mit mir, täusche mich nicht!

Langsam näherte sich die Duena dem Grafen und sank vor ihm auf die Knie nieder. Sie ergriff seine Hand und nachdem sie dieselbe ehrerbietig küßte, antwortete sie:

– Guter Herr, ich flehe es als eine Gnade für Euch selber, für die Gräfin und für mich, daß Ihr mich sprechen laßt. Ich bin gekommen, um Euch das Geheimnis zu erklären, was nun seit zehn Jahren wie ein vergifteter Schleier über Euer Leben ausgebreitet ist – und wenn dieses Geheimnis etwas birgt, was Euch mit Recht erzürnen wird, so läßt Eure endlose Güte mich hoffen, daß Ihr verzeihen werdet, was zu verzeihen ist ... Darf ich sprechen? Werdet Ihr mich anhören, ohne mich zu unterbrechen?

– Steh auf, sprach der Graf auf einen Stuhl zeigend, und wenn du Wahrheit sprichst, so möge Gott dich segnen!

Die Duena setzte sich nicht, sondern blieb etwas seitwärts vom Grafen stehen, und mit gesenktem Haupte zu Boden blickend hob sie ihre Rede folgendermaßen an:

– Erinnert Euch, Graf d'Almata, jener Zeit, wo Ihr auf dem Landhause der Ghyseghems mit Eurem Bruder und seiner Gattin eine gastfreie Zuflucht gegen die Verfolgungen der Feinde Spaniens fandet. Dort war auch ein junger Edelmann, den Ihr als treuen Busenfreund liebtet und der auch Euch die innigste Freundschaft entgegentrug. Schmerz, Angst, Freude, Hoffnung theiltet Ihr mit ihm; er war Euch ein zweiter Bruder ...

– Armer Lanceloot! seufzte der Graf.

– Lanceloot van Bisthoven liebte Senorita Catalina, fuhr die Duena fort, Ihr selbst, Senor, freutet Euch dieser edlen Zuneigung und ermangeltet nicht bei jeder Gelegenheit Lanceloot's Tugend, Muth und Biederkeit in Gegenwart meines Fräuleins zu rühmen. Gleichwohl waret Ihr, Senor, selbst nicht gleichgiltig gegen Senorita Catalina's zauberische Schönheit. Indessen triebt Ihr Euren Edelmuth und Eure Güte so weit, daß Ihr selbst Eure eigene Leidenschaft unterdrücktet, um das Glück Eures Busenfreundes zu befördern. Die Lobsprüche, mit denen Ihr Lanceloot unaufhörlich überhäuftet, und die Mittel, die Euer erfindungsreicher Geist ersann, um ihm in seinen Wünschen behilflich zu sein, entzündeten endlich auch im Herzen meines Fräuleins die Flammen einer sanften Zuneigung für Euren Freund. Es war ein Freudentag – auch für Euch, Graf d'Almata – an welchem im Tempel des Herrn die Verlobung meines Fräuleins mit Lanceloot van Bisthoven gefeiert wurde. Diese gegenseitige in Gegenwart der Eltern und Verwandten geschehene Verlobung schien allen unverbrüchlich und erhaben über jeden Zufall. Noch wenig Tage und das unverletzliche Band der Vermählung mußte meine Gebieterin mit Eurem Busenfreunde verbinden.

– Warum, seufzte der Graf, mußt du mich an diese trübe Zeit erinnern? leide ich noch nicht genug?

Ohne auf des Grafen Rührung weiter Rücksicht zu nehmen, fuhr die Duena fort:

– Die mitleidslose Hand des Todes zerriß dieses Band, bevor die Hand des Priesters es für immer geknüpft. Der alte Herr van Ghyseghem sah sich genöthigt nach Gent zu reisen, um dort bei den Friedensunterhandlungen gegenwärtig zu sein. Ich blieb demnach mit Fräulein Catalina allein in dem Hause zurück, was wir seit einiger Zeit in der Hoogstraße bewohnten. Ihr wißt es, Herr Graf, ich wurde plötzlich von einer tödtlichen Krankheit befallen, und lag fieberkrank im Bett. An einem Tage, den Antwerpen mit Thränen und Blut in seiner Geschichte ausgezeichnet hat, fielen die Spanier, den Degen in der einen, die flammende Fackel in der andern Hand, vom Castell aus in der Stadt ein. Mord und Brand bezeichnete in unsern Straßen ihre Spur. Die Bürger von Antwerpen griffen ihrerseits gleichfalls zu den Waffen und versuchten einen hoffnungslosen Widerstand. Alles, was Spanisch hieß und ihnen in die Hände fiel, mußte zur Wiedervergeltung ermordet werden. Ich höre noch das rasende Geschrei der Menge, die, um Euch zu ermorden, unser Haus bestürmte; ich höre noch Lanceloot's Verzweiflungsruf, wie er, den Degen in der Faust und ganz mit Blut bedeckt, Euer Leben gegen den rasenden Volkshaufen vertheidigte. Als die spanische Furie Die spanischen Soldaten waren mehrere Monate lang nicht bezahlt worden und unter Bedrohung von Aufstand und Plünderung forderten sie ihren rückständigen Sold. Die Einwohner Antwerpens hatten, um sich gegen einen Ueberfall zu verschanzen, angefangen Erdwälle gegen das Castell hin aufzuwerfen. Allein Sanctius d'Avila, Befehlshaber der Besatzung, zog die Spanier von allen Punkten aus nach Antwerpen hin. Am 4. November 1576 fallen sie vom Castell aus mit unerhörter Grausamkeit in der Stadt ein, morden und brennen, setzen fünfhundert Häuser nebst dem Stadthaus in Brand und tödten gegen 50,000 Menschen. Mehr als 200 Spanier verloren gleichfalls das Leben. Diesen Ueberfall nennt man die spanische Furie. Anmerk. d. Verf. endlich Blut genug vergossen und das Feuer Straßen genug verheert hatte, da fand man zuletzt auch Lanceloot's von fünf Degenstichen durchbohrte Leiche. Euer Bruder mit Gattin und Kind war in dem Brande seiner Wohnung umgekommen. Verzeiht mir, Graf d'Almata, daß ich Euren Augen Thränen entlocke: ich bin dazu gezwungen. Lange Zeit danach, als man die seligen Todten nur noch im Innersten des Herzens betrauerte, erwachte in Euch aufs neue das Feuer einer grenzenlosen Liebe für mein Fräulein Catalina. Ihr hieltet es für Eure Pflicht, die Verlobte Eures verstorbenen Freundes glücklich zu machen, und flehtet um ihre Hand. Meine Gebieterin achtete niemand höher denn Euch, niemand, Herr Graf, besaß in ihren Augen ein edleres Herz, war mehr der Liebe würdig als Ihr ... dennoch weigerte sie sich ihr Loos mit dem Eurigen zu verknüpfen; sie verwarf Euren Antrag mit Angst und Schauder, als wenn Ihr ihr Schande und Unglück geboten. Ihr wißt, Graf d'Almata, welche vergeblichen Versuche Ihr machtet, um sie zu besiegen, wie sie Euch knieend und unter einer Flut von Thränen bat von dieser Heirath abzusehen! Es wäre überflüssig alles dies zu wiederholen – Endlich habt Ihr, von unüberwindlicher Liebe getrieben, die Macht ihres Vaters zu Hilfe gerufen, und unsere arme Senorita wie ein Opferlamm zum Altar geschleppt und ihr mit moralischer Gewalt das Jawort entrungen. Rede ich wahr oder nicht?

– Ach, ich liebte Catalina mehr als mein Leben!

– Ich weiß es, und ferne sei es von mir meinen Gebieter zu tadeln; aber wißt Ihr, Graf d'Almata, warum meine Gebieterin Euch widerstrebte, wie jemand, der sie unglücklich machen und dessen Leben sie selbst mit Bitterkeit und Galle vergiften mußte? Kennt Ihr das Geheimnis, was Jahre lang wie ein finsterer Alp bleischwer auf uns gelegen?

Sie rückte näher an den Grafen heran und flüsterte mit gedämpfter Stimme:

– Das Band, welches Lanceloot an Catalina knüpfte, konnte durch keine Macht der Erde zerrissen werden: selbst der Tod vermöchte es nicht. Es lebt auf Erden ein Kind Lanceloot's, Herr Graf, ein armes verborgenes Lämmchen, das unschuldige Pfand der ewigen Treue zwischen dem seligen Verlobten und der leidenden Frau!

Der Graf d'Almata erbleichte und die Duena senkte unter seinem furchtbaren Blicke demüthig das Haupt. Ein schwerer Athemzug und ein tiefer Gurgellaut bewiesen, wie tief diese Erklärung den Grafen verwundet hatte. Folternde Gedanken von Unehre und Schande durchkreuzten sein Haupt; doch er that sich selbst Gewalt an, um unter seinem Weh nicht zu erliegen und blieb schweigend sitzen.

Die Duena fuhr im trüben Tone in ihrer Erzählung fort:

– Gott hat Euch keine Kinder geschenkt, Herr Graf; es ist Euch mithin unmöglich zu ermessen, mit welcher unwiderstehlichen Gewalt das mütterliche Gefühl eine Frau beherrschen kann. Und wäret Ihr auch Vater, so würdet Ihr es dennoch nicht begreifen. Kein Mann auf Erden kann ermessen, mit welcher Kraft die heilige Flamme der Mutterliebe das Herz einer Frau erfüllt, daß sie selbst auf dem Todtenbette mit dem letzten Hauche zu Gott flehet: mein Kind! mein Kind! Wenn man schon sein Kind anbetet, wenn es in vollem Wohlsein und Lebensfreude vor unsern Augen empor blühet, wie muß dann die Mutterliebe sich nicht zum Wahnsinne entflammen, wenn das Kind, dem wir das Leben gaben, unglücklich ist? Wenn es fremden Händen übergeben ist und wie ein verlorenes Schaf in der Irre wandelt, wenn die Gesellschaft es verdammt, mit dem flammenden Stempel der Schande gezeichnet hat? Acht Jahre lang, Graf d'Almata, wußte meine Gebieterin nicht, wo Lanceloot's armes Kind verblieben war ... Acht Jahre lang hat sie getrauert und geweint, acht Jahre lang blutete ihr Mutterherz ... und niemand, denn mich, ihre Dienerin, konnte sie zur Vertrauten ihres Schmerzes und ihrer bittern Leiden machen. Sie mußte Euch hintergehen, Euch, den sie feurig liebte, den sie als das Vorbild der Güte und des Edelmuthes ehrte; sie mußte Euch hintergehen, Euch erzürnen durch das Geheimnisvolle ihrer Worte und Thaten; sie mußte Euch in Eurem innersten Gefühl verwunden und Euer Leben in eine Hölle des Verdachts, der Verzweiflung und des Zweifels verwandeln. Ach, ich sah die Märtyrerin vergehen, sah die Röthe ihrer Wangen bleichen, sah, wie nagender Kummer sie verzehrte, wie der Tod sie allmählich beschlich. Und Ihr selbst, Herr Graf, habt Ihr es mir nicht oft mit Verzweiflung gesagt: Ach! sie wird sterben: ein geheimes unbegreifliches Leid verzehrt sie?

Ein dröhnender Seufzer unterdrückten Schmerzes war des Grafen einzige Antwort. Die Duena fuhr fort:

– Endlich willigtet Ihr ein, eine Reise nach den Niederlanden zu unternehmen. Ihr gabt dadurch meiner Gebieterin das Leben wieder. Nach langem, vergeblichem Suchen haben wir das Kind endlich hier in Antwerpen wiedergefunden: es lebt hier nebenan im Mägdehause. In dieser Nacht wollte die unglückliche Mutter ihr Töchterchen noch einmal umarmen, ihr Herz noch einmal von dem unendlichen Liebegefühl entlasten, – noch einmal vor ihrer Rückkehr nach Spanien ihr Kind mit ihren Thränen benetzen. Die Gräfin hat ihre Wohnung zur Nachtzeit verlassen: es ist dies eine strafbare Thorheit in der That; allein sie hatte dabei keine andere Absicht, als die, ihr Kind zu umarmen ... Und wenn Ihr an der strengen Wahrheit alles dessen zweifeln solltet, Senor: – in der Klosterstraße wohnt eine arme Soldatenfrau, Namens Anna Canteels; sie war es, der man das Kind anvertraute, sie weiß alles ... Im Mägdehause nebenan wohnt das Kind als Stadtwaise: es ist ein Töchterchen und wird die hölzerne Clara genannt. Vielleicht wollt Ihr, Herr Graf, die Unschuld Eurer Gemahlin durch nähere Untersuchung bestätigt sehen ... es ist dies ein Recht, was Euch zusteht; allein ich flehe Euch an, was auch Euer Entschluß sein möge, Graf d'Almata, schonet den guten Ruf meiner Gebieterin, schonet das Gedächtnis Eures Freundes Lanceloot, schonet Euer eigenes Haus vor Schande und Unehre! Ich habe nichts mehr zu sagen; nun wißt Ihr die ganze Wahrheit ...

Längst schon hatte die Duena geendet, als der Graf mit unterdrücktem Zorne endlich sprach:

Es ist gut; verlaß dieses Zimmer. Ha, du wolltest mir Ruhe und Friede bringen und hast nichts gethan, als die Quelle meiner Verzweiflung, meines Schmerzes verändert! Neben der Wunde, die ein furchtbarer Verdacht meinem Herzen geschlagen, hast du eine neue blutende Wunde geöffnet ... Ich muß mich mit Freunden und Verwandten berathen über das, was mir zu thun geziemt: diesen Schimpf will ich von meinem Wappen entfernt wissen. Geh, laß mich allein, deine Gebieterin soll vor der Nacht meinen Entschluß erfahren ...

Halb traurig, halb vergnügt verließ die Duena das Zimmer und blieb einige Schritte entfernt im Gange stehen. Sie hoffte und fürchtete ohne den Erfolg ihrer Bemühungen errathen zu können. Wenn sie indessen bedachte, daß ihre Erklärung des Grafen aufbrausende Wuth gedämpft und in eine weniger folternde Trauer verwandelt hatte, so erfreute sie sich innerlich über das, was sie gethan. Ein einziger peinlicher Gedanke beunruhigte sie noch zuweilen: – wollte der Graf sich von Catalina trennen? Sollte er sie gleich einer schuldigen Gattin verstoßen wollen? Sollte er allein nach Spanien reisen – und dadurch den letzten Sprossen der Ghyseghems der Schande preisgeben?

Ganz in diese Betrachtung vertieft, trat die Duena endlich wieder in das Zimmer ihrer Gebieterin, was sie ebenso sorgfältig wieder von innen verschloß.

Unterdessen saß der Graf noch immer gleich regungslos in seinem Sessel und blickte theilnahmslos vor sich hin, wie jemand, der ganz in einen Abgrund von Gedanken und Betrachtungen versunken ist.

Nur die flüchtigen Falten, die zuweilen über sein Gesicht hinliefen, und das bittere Lachen, was seinen Mund umzuckte, verriethen den Sturm, der in seinem Innern wüthete. Plötzlich fuhr er verzweifelnd über Stirn und Augen, als wenn er die drückenden Gedanken dadurch verscheuchen wollte. Er stand auf, ordnete hastig seinen Anzug, ergriff eine Hand voll Gold und stürzte zum Hause hinaus.


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