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VIII.

Es war ein edler und glücklicher Gedanke des Grafen, Clara für das Kind seines Bruders auszugeben. Auf diese Weise entschlüpfte die Thatsache der Adoption allen Auslegungen, die Ehre seiner Gattin jedem Verdacht. Es war ihm auf diese Weise möglich geworden die Senora und ihr Töchterchen glücklich zu machen, dem Gedächtnisse seines Freundes Lanceloot ein dankbares Opfer zu bringen und in Catalina's grenzenloser Liebe selbst einen reichen Lohn zu finden. Nach zehnjährigem Kummer und Zweifel ging nun für ihn ein frohes und friedliches Leben auf, kein Geheimnis, wie eine unheilvolle Scheidewand, zwischen ihm und seiner Gattin, keine Trauer, keine Verzweiflung mehr: Liebe und Dankbarkeit sollten seine Bahn künftig mit Blumen einer zärtlichen Vertraulichkeit und der Lebensfreude schmücken. Zudem hatte der Himmel ihm ein Kind geschenkt, was durch zarte Bande mit ihm verknüpft war, und was er in der That bereits wie ein Vater liebte. Der Graf war nicht der Mann um etwas halb ausgeführt zu lassen, namentlich wenn Edelmuth und Güte dabei im Spiele waren. Er hatte Anna Canteels und ihrem Manne eine gute Leibrente geschenkt, um damit ihre zustimmende Erklärung wie ihre Verschwiegenheit zu erkaufen; diese Leibrente sollte nach Verlauf von zehn Jahren verdoppelt werden, wenn das Geheimnis von Clara's Geburt bis dahin streng bewahrt geblieben sei. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß diese armen Leute dem Grafen in allen Stücken zu Willen waren, um so mehr da das, was er von ihnen verlangte, allein die Ausführung einer guten That bezweckte. Demgemäß erklärten sie vor den Schöffen der Stadt Antwerpen, daß Clara das Kind Don Alonzo d'Almata's sei und ließen darüber in Gegenwart des Grafen eine Urkunde aufnehmen, in welcher die Waise den Namen Brigita Clara Juana Condesa d'Almata empfing.

Dies alles war indessen noch nicht genug. Um das Ereignis dieser wunderbaren Wiederauffindung über jeden Zweifel und jede böswillige Auslegung zu erheben, hatte der Graf Sorge getragen, daß die Geschichte mit allen ihren Einzelnheiten in der ganzen Stadt bekannt wurde. – Und hätten die hundert und aber hundert Stimmen, die diese Neuigkeit vom Mägdehause aus verbreiteten, nicht genügt die Geschichte zum Stadtgespräch zu machen, so würden die vom Grafen angewandten Mittel diesen Zweck schon allein erreicht haben.

Kein Wunder also, daß man in der ganzen Stadt von nichts als von dem seltsamen Schicksal der hölzernen Clara sprach und daß Hunderte, und darunter Leute aus den höchsten Ständen, in der Hoffnung das Kind zu sehen, im Mägdehause einen Besuch abstatteten. Sie sahen sich indessen alle in ihrer Erwartung getäuscht, denn das Kind war bereits auf Befehl des Magistrates ihrem angeblichen Oheime, dem Grafen d'Almata übergeben worden.

Um allen Antworten auf unbescheidene oder neugierige Fragen zuvorzukommen, gebrauchte man überdies die Vorsicht Clara niemals allein zu lassen – – –


Seit drei Tagen bereits war Fest im Mägdehause. Auf Grund dieses sonderbaren Ereignisses sahen die Vorsteher manches durch die Finger und gestatteten der Mutter in dieser Woche nicht allzusehr auf das Vollbringen der aufgegebenen Arbeit zu dringen. Jede Waise hatte vom Grafen eine Wohlthat oder von Clara ein Geschenk zum Andenken erhalten. Die Sparbüchse einer jeden Waise war mit einer bedeutenden Gabe bedacht worden; die Zukunft der Mutter und ihres Mannes war gleichfalls gesichert. Außerdem hatte man jede Waise noch mit einigen kleinen Gold- oder Silbersachen beschenkt, die sie entweder bei ihrer täglichen Arbeit oder später zu ihrem Putze benutzen konnte. Es war indessen nicht die Freude über diese Geschenke allein, die heute eine solche Lebendigkeit und selbst Ausgelassenheit unter den Waisen erzeugte.

Die Aeltesten und Geschicktesten, unter denen sich Trees durch ihr lautes Wesen bemerkbar machte, waren am frühen Morgen damit beschäftigt auch ihrerseits ein Andenken für Clara zu verfertigen; – die Freude und Neugierde der anderen war Ursache, daß jetzt nicht gerade sehr viel Zucht im Arbeitssaale herrschte, denn alle Augenblicke standen sie auf um zu sehen wie weit die Arbeit schon gediehen sei.

Und in der That war es wohl der Mühe werth dieses bescheidene Pfand der Liebe und Dankbarkeit zu sehen, an welchem so viele arme Mädchen mit dem Schweiße der Hast arbeiteten. Trees hatte die Worte erdacht und Meister Jan van der Rozier den Patron gezeichnet. Es war ein Prachttuch, in welches neben einigen leichten Verzierungen folgende Worte in buntfarbiger Seide und Gold- und Silberdraht gestickt waren:

 

Gefertigt zur Ehre
der
Dona Brigita Clara Joanna Gräfin d'Almata
von
ihren vorigen Genossinnen und nun
unterthänigen Dienerinnen
den Waisen aus dem Mägdehause zu
Antwerpen
1589.
Gott gebe ihr Glück auf Erden
und nachmals die ewige Seligkeit.
Amen.

 

Gegen zehn Uhr Vormittags rief Trees mit lauter Stimme:

– Heil, Heil! Schwestern, es ist gethan! Noch etwas ausbessern und säubern und wir trennen es vom Rahmen!

Ein allgemeines Freudengeschrei begrüßte diese frohe Kunde. Trees ließ die anderen die letzte Hand an das Werk legen und eilte zur Thür.

– Ha, ha! rief sie aus, da kommt der Gärtner von Terzieken zur guten Stunde! Seht nur, drei Körbe voll Blumen! Die Blumen nun, die Blumen!

Drei Körbe voll Blumen wurden in das Zimmer gebracht und man fing an eine Menge kleiner Sträußer zu machen, was keineswegs ohne Wortwechsel und Lärm geschah. Da es indessen nicht so gar ernstlich gemeint war, so kam die Mutter nicht dazwischen; im Gegentheil sah sie alles das mit fröhlichem Lächeln an.

Eine halbe Stunde später standen die Waisen, jede mit einem Blumensträußchen in der Hand, in der Hausflur in Reihen geordnet; sie hatten ihre besten Kleider angezogen und glänzten in Reinheit; ihre Herzen klopften, das Verlangen hatte ihre Wangen geröthet, ihre Augen funkelten in Lebensfreude. Fürwahr, die Blumen erbleichten vor diesen lebendigen Rosen, denn der schönste Strauß, den ein menschliches Auge sehen konnte, war gewiß diese Schaar junger Mädchen, deren natürlicher Zauber durch keinen fremden Schmuck vermindert oder verdüstert ward.

An der Spitze des Zuges standen die vier ältesten Waisen des Mägdehauses: – Lange Mie, Trees, Geertruid de Kwezel und Anna Moeyal, die gemeinschaftlich ein rothes Sammetkissen trugen, auf welchem das für Clara bestimmte Geschenk ausgebreitet war.

Während die Waisen des Zeichens zum Aufbruche harrten, vernahm man in der Gasthuisstraße das Rollen der Kutschen und das Stampfen unruhiger Pferde. – Der Vater des Mägdehauses warf jetzt beide Thüren weit auf. Langsam und gemessen zogen die Mädchen unter dem Zuströmen einer großen Volksmenge, die einen guten Theil der Gasthuisstraße anfüllte und mit Gewalt vordrang um den Zug so nahe wie möglich vorüber ziehen zu sehen, zum Hause hinaus. In demselben Augenblicke war auch die Thür des nebenstehenden Hauses geöffnet, und Clara trat, wie ein Edelfräulein in die köstlichsten Stoffe gekleidet, an der Hand des Grafen und der Gräfin d'Almata heraus. Ihr folgten unter andern Bekannten und Freunden Schwester Cathelyne aus dem Falconskloster und Meister Huygens, der Organist der Hauptkirche. Man führte Clara zu den vier Mädchen, die ihr das Geschenk der Waisen überreichen sollten. Während das Kind mit klopfendem Herzen das glänzende Tuch betrachtete, wollte Trees im Namen ihrer früheren Gespielinnen eine Art Anrede an sie richten; allein schon bei den ersten Worten versagte ihr die Stimme und sie brach in eine Flut von Thränen aus. Diesem Beispiele folgten nicht nur die drei anderen Geschenkträgerinnen, auch Clara selbst fing an zu weinen. Die Gräfin dankte den Mädchen für ihr freundliches Geschenk und dachte durch Trostgründe ihrer Trauer ein Ende zu machen. Indessen glückte es ihr nicht, denn man weiß, daß unter Frauen nichts ansteckender ist als Thränen. Zudem hatte Clara schluchzend Trees umarmt, und die anderen Waisen hatten dieses Schauspiel mit tiefster Rührung betrachtet. Auch sah man im ganzen Zuge bald nichts mehr als Schürzen, die langsam nach den Augen geführt wurden. Alle Waisen hatten ihr Angesicht verborgen und weinten im Stillen.

Nach einigen Augenblicken glaubte der Graf, daß es Zeit sei diesen traurigen Liebesbezeugungen ein Ende zu machen. Er sprach einige Worte zu Clara, führte sie dann zum Wagen, der einige Schritte entfernt ihrer wartete, stieg mit der Gräfin gleichfalls ein, die Lakaien sprangen hinten auf, der Kutscher fuhr mit der Peitsche knallend durch die Luft ... und die Reisenden verschwanden in der Richtung des Kaiser- oder Sent-Joristhores auf der Heerbahn nach Brüssel.

Arme Waisen! sie hatten mit so viel Freude an dem Geschenke und den Blumensträußen gearbeitet! Sie waren so froh in Aussicht auf die Freude, welche Clara bei diesem Beweise ihrer dankbaren Liebe finden würde ... und nun gehen sie einsam dahin, das Herz voll Trauer, die Schürze vor den Augen! Nun kehren sie schweigend und niedergeschlagen nach Hause zurück, um ihren Kummer im Mägdehause zu verbergen und in Freiheit über den Verlust ihrer engelgleichen Gefährtin zu trauern!


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