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Wilhelm II. und die junge Generation

Eine zeitpsychologische Betrachtung

Vier Vorbemerkungen

I.

Die Fehler, Schwächen, Mängel dieses Büchleins –: ich glaube allerdings, daß sie zum großen Teil mehr in seinen Lücken, als in seinen unmittelbaren Unrichtigkeiten bestehen. Doch die Lücke als das Organ der Zukunft: sie bejaht nur die Gabe der Gegenwart. –

II.

Gewiß: diese Schrift enthält sehr, sehr viele Fremdwörter – ob sie aber zu vermeiden waren? Der besser Unterrichtete, der tiefer und schärfer Sehende weiß Bescheid darum: das Fremdwort ist nun einmal doch – und wird es vermutlich auch bleiben – das natürliche Motivationsherz des Aphorismus. Das Fremdwort ist das Prinzip der Synthese, es hat Atmosphäre. –

III.

›En temps de révolution, tout ce qui est ancien est ennemi –‹ sagt Mignet. Ob das aber nicht immer der Fall ist? Übrigens strotzen ja geradezu die nachfolgenden Blätter von ›reaktionären‹ Anschauungen ... Nein, wirklich – im Ernst gesprochen ... also – –

IV.

›Hochmut kommt vor den Fall.‹ Es fragt sich nur –: vor welchen? Vor den ›dritten‹ oder vor den ›vierten‹? (cf. ›tiers état‹ und Anverwandtes).

Daß eine Zeit, wie sie sich in dem geschichtsgewaltigen Jahre 1888 für Deutschland dargestellt hat, also in einem Jahre, wo das anno domini 1871 geborene ›Reich‹ sein erstes wirklich bedeutsames, sein eigentliches Sturm- und Drang-Ereignis erlebt hat – daß eine solche Zeit mit allem Großen und Außergewöhnlichen zugleich eine schwere, eine sehr schwere Menge insipider Geschmacklosigkeiten gebären würde, emporzeitigen mußte: wir wußten es alle, wir erwarteten es alle, wir waren auch alle entschlossen, sie, diese Inkorrektheiten des Geschmacks und der Klugheit, mit in den Kauf zu nehmen. Unendlich Erschütterndes war an uns vorübergegangen; wir hatten ein Jahr lang an einem Krankenbette gestanden, wie es für diesen Fall, für diese Umgebung, für diese Verhältnisse nur der bizarrste, unberechenbarste Despot dekretieren konnte, – und schließlich hatte ein junger Kaiser den Thron bestiegen, der kaum als Kronprinz warm geworden, der in der schwülen Treibhausluft gedrängter, verworrener Nöte und Ängste gereift war – zu welchem nun ein jeder den Winkel seines persönlichen Verhältnisses, der soeben noch auf Kaiser Friedrich gestellt, gestimmt war, umordnen mußte. Daraus ergaben sich natürlich tausend Entstellungen und Verzerrtheiten, Unbeholfenheiten, Unsicherheiten. Alles war in Bewegung, alles brach sich wie an elastischen Gummiwänden – wie viele von der alten Generation, von den älteren Generationen, haben mir damals gestanden, daß nun ihre Zeit vorüber wäre, daß nun eine neue Zeit anhöbe ... wie viele, die sich eben daran gewöhnt hatten, ihr kleines, geringes, unscheinbares Leben in den großen Kreis hineingemalt zu denken, welcher das Leben Wilhelms I. umfaßte. Aber wir wußten alle noch so wenig, so blutwenig von Wilhelm II., wir hatten höchstens nur immer wieder vernommen, daß er als Prinz Soldat ›mit Leib und Leben‹ geworden wäre – wir –: ich meine jetzt vorwiegend uns von der jungen, der jüngeren Generation, der ja auch unser neuer Kaiser angehört. Jene Geschmacklosigkeiten aber, die ich oben markierte, sie passierten eben da und dann, als es darauf ankam, als es sich als notwendig erwies, den jungen, durch so jähe, ungestüme, schmerzliche Ereignisse emporgeschnellten Fürsten seinem Volke ›populär‹ zu machen, geläufig, mundgerecht. Immer wieder mußte der Kaiser Zartheiten seines Geschmacks und seines ästhetischen Gewissens einem ›höheren‹ Interesse opfern: er mußte es zulassen, daß man sein Bild, wie das seiner Gemahlin, seiner Kinder – sein Familienleben geht ihn doch vorläufig schlechterdings allein etwas an! – in jedem Krämerbudenschaufenster neben dem oft recht zweifelhaften Porträt der ersten besten Operettenbühnenkommandeuse ausstellte, so daß jeder Laffe mit einem Kopfnicken die Befriedigung seiner Neugier quittieren konnte; er mußte es zulassen, daß man eine Broschüre nach der andern über ihn schrieb; mit einer hochnotpeinlichen Inquisition nach der andern ihn haranguierte; eine Erwartung nach der anderen vor ihm aussprach und naiv-brüsk fragte: wie es denn eigentlich um ihre Erfüllung stünde? – er durfte nicht auffahren, als unzählige alberne Zeitungsschmieranten es für ihre ›patriotische‹ Pflicht erachteten, auf den reichen und gesunden Kindersegen des jungen Paares hinzuweisen, bloß, um damit an die langweiligsten und ordinärsten Instinkte des Philisters und approbierten Bourgeois zu appellieren, um ›Stimmung‹ für den neuen Herrscher zu machen – in der Regel auch Stimmung bei ihm für sie selber –, für den neuen Herrscher, der ein ebenso guter, braver, deutscher Familienvater, wie ›schneidiger Militär‹ wäre. Nun ja. Dieser ganze fade Aufstand gegen Geschmack und Anstand von seiten einer vorlauten, weil unsicheren Tageskritik mag in gewissem Sinne notwendig gewesen sein. Das Große, das sich bewahren, das sich erhalten will, setzt sich immer nur mit kleinen, oft recht kleinlichen Mitteln in Szene: wir haben ja nun aus dem Geffckenschen Tagebuchkrakeel u. a. auch erfahren, unter welchen wunderlich duftenden Geburtswehen das neue Deutsche Reich ans Licht dieser Welt befördert wurde. Ja, so etwas enttäuscht immerhin doch, die Schauspieler sind's ja gewöhnt, aber das ›Publikum‹ glaubt nun einmal ein Recht auf Illusionen zu besitzen. Allein, die Wahrheit sei immerhin lieber groß und bleibe übergewaltig, wie es in einem altgriechischen Gesangbuchverse heißt. Einige Broschüren waren denn auch nicht ganz überflüssig, waren wirklich ernsthafter zu nehmen, wie die des Grafen Douglas, wie die biographisch-psychologische Skizze von Hinzpeter, wie in anderer Richtung – als wirklich positive Leistung – die Schrift Conrad Albertis: ›Was erwartet die deutsche Kunst von Wilhelm II.?‹ – wenn in derselben nach meinem Geschmack auch ein bißchen zuviel ›Realpolitik‹, also Kompromiß-Politik, also bikolore Anpassungsdialektik gepflegt und gepredigt wird. Das interessanteste und wertvollste Material, was dieser besondere Schlag von Zeitliteratur erbracht hat, enthält jedenfalls das Heft von Hinzpeter – es liegt jetzt schon in zehnter oder elfter Auflage vor, ich darf darum annehmen, daß man es allenthalben kennt. Ich gestehe: als es im vorigen Spätsommer und Herbst in besagter Fasson zu rumoren anhub in Deutschland – die Korpulenz dieser Sorte von Schrifttumserscheinungen wuchs so, daß ihr ein neuer Karlsbader ›Beschluß‹ zweifellos unendlich wohl getan hätte –, damals also wäre auch ich gern mit einer kleinen Arbeit auf den Plan gerückt, welche dito nicht ganz unzeitgemäß gekommen wäre – eben mit einer Arbeit über das Motiv, das mich heute an dieser Stelle beschäftigt. Aber neben dem Unbehagen, welches mir der Gedanke gebar, in dem aus allen Weltwinkeln zusammengelaufenen Schwarme mittrollen zu müssen, was mir nun einmal nicht paßt, was meiner Natur nun einmal nicht ›liegt‹ – daneben veranlaßte mich zu vorläufigem Stillesein vor allem der Umstand, daß ich jene damalige Popularisierungsmundvöllerei-Bewegung am Ende für ziemlich unvermeidlich erachtete, also für notwendig, wie nun einmal die vaterländischen, politischen, sozialen Verhältnisse lagen – indessen was hatte mit diesen Tendenzen der Gegenstand zu tun, auf dessen Durchforschung und Beleuchtung es mir ankam? Nichts. Ich wartete also. Nun haben wir schon die erste Jahreswiederkehr des Todestages Wilhelms I. erlebt, – und wenn diese Schrift gedruckt ist, hat Wilhelm II. vielleicht bald, wenn nicht gar schon ganz ein volles Jahr regiert. In der Tat hat das Reich bereits in dieser Ouvertüre seiner neuen Ära einen ganz anderen Teint, eine ganz andere Gesichtsfarbe erhalten. Psychologisch, ideell, also ›theoretisch‹, haben ja die älteren Generationen nun das Recht verloren, aber auch ganz verloren, überhaupt noch mitzusprechen und mitzuhandeln: der unausgleichbare, auf den psycho-physiologischen Entwicklungsmaximen des Individuums beruhende Gegensatz von Jugend und Alter; der immanente Widerspruch zwischen loser, gebundener und aufgelöster Kraft: zwischen Jugend, Mannesalter und Greisentum! Zweifellos aber die fruchtbarste, die am meisten schöpferische Periode im Fortsetzungsleben des Einzelmenschen ist die Zeit, wo die lose Kraft der Jugend sich zu binden, sich zu neutralisieren anhebt, wo sie dahin drängt, mit der Summe der ihr prinzipiell möglichen Objektserlebnisse identisch zu werden, wo der Kampf zwischen den mechanischen und dynamischen Lebenspotenzen des Individuums gekämpft, bestanden, jedenfalls dargestellt wird – diese Zeit mit ihren Größen, Kühnheiten, Gewaltsamkeiten; mit ihren Explosionen, Abgründen, Verzweiflungen, Resignationen; mit ihrer produktiven Stimmungswollust. Nur die Übergangszeit ist es, welche die wirklich fruchtbaren Momente gebiert, das langsame Aufnehmen des Unbewußten, Unbewußtgewesenen, Unerfüllten, noch Unerfülltgebliebenen in die höchste Geistigkeit, in den höchsten Grad von Bewußtsein, will sagen: in ein neues, zweites, ganz mit dem Individuum kongruentes Unbewußtsein – eine Tatsache, die sich ebenso in jedem sexuellen Akte vollzieht, wie auf dem Gebiete, wo sich die Ereignisse, die Erlebnisse des feinsten, höchsten Seelenlebens an sich objektivieren: man muß das schwüle, schöpferische Fieber einer Übergangsstimmung erst einmal verstanden haben. Allein die junge Generation – ich will mich jetzt dahin beschränken: also die in dem Jahrzehnt von 1855 bis 1865 Geborenen – sie trägt ja eine ganz anders geartete Last auf ihrem Rücken, denn die ältere Generation trug und trägt. Diese ist auf der ganzen Linie naturgemäß zum maschinalen Beamtentum verhärtet, sie kann sich dem Neuen gegenüber, das sich entwickelt, nur fremd, nur unverstehend verhalten, sie kann mit ihm höchstens nur ein äußeres, intellektuales Klugheitskompromiß schließen, aber selber noch willenshaft darstellen kann sie es nun und nimmermehr. Unser junger Kaiser hingegen – nun, lösen wir ihn einmal von der Form los, welche er vertritt, betrachten wir ihn als einfaches Individuum –: Hinzpeter sagt von ihm in seiner übrigens vorzüglich geschriebenen Skizze: ›Aus der Verbindung von welfischem leicht in Energie umgesetztem Starrsinn und Hohenzollernschem mit Idealismus gepaartem Eigenwillen wurde am 27. Januar 1859 ein menschliches Wesen geboren mit eigentümlich stark ausgeprägter Individualität, welche durch nichts wirklich verändert selbst den mächtigsten äußeren Einflüssen widerstehend in ihrer Eigenart sich konsequent entwickelt hat‹ (S. 4) und weiter: ›Das Wesen des heranwachsenden Prinzen entwickelte sich seiner Natur gemäß stetig fort, von den äußeren Einflüssen berührt, modifiziert, dirigiert, aber niemals wesentlich verändert oder verschoben‹ (S. 6) – und: ›Diese kräftige eigenartige Pflanze sog aus allem ihr Gebotenen das für ihre besondere Entwicklung Brauchbare und assimilierte es sich zu fröhlichem Wachstum‹ (S. 6) – ferner: ›Seine Natur ist im eigentlichen Sinne des Wortes eine souveräne, da das Wesen der Souveränität in der Unabhängigkeit von jeder fremden Gewalt, Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung liegt‹ (S. 10) – und noch: ›Den Kampf gegen die Leidenschaft hat er mit unerbittlicher Strenge in sich selbst geführt und das Maßhalten sich zum Lebensprinzip gemacht‹ (S. 14) – schließlich: ›Daß aber der Phantasie und der Leidenschaft kein ungebührlicher Einfluß auf das Handeln zufalle, dafür sorgt der überlegene, regelnde Verstand, der in der eigentümlichen Mischung seines Wesens ein so bedeutendes Ingredienz bildet. Zorn und Haß so gut wie Liebe und Bewunderung werden stets seine Seele erwärmen zu energischem Vorgehen, schwerlich je erhitzen zu tollkühnem Wagen. Klugheit und Gerechtigkeit sind für ihn nicht bloß theoretische Tugenden, sondern seiner ganzen Natur entsprechende, sein Streben und Handeln bestimmende Eigenschaften‹ (S. 13). Hinzpeter gesteht im übrigen zu, wenn auch ein wenig verblümt, daß das militärische Interesse mit der Zeit doch die Überhand gewonnen habe – wie denn trotz alle- und alledem auf der ganzen Broschüre ein Akzent der Rehabilitierungssucht liegt, wie denn die Schrift trotz alle- und alledem auf jeden psychologisch schärfer Lesenden den Eindruck macht, als wäre sie persönlich nicht ganz sicher geschrieben – es mag sein, daß vielen unbequemen Gerüchten – (der junge Fürst sollte vor allem sehr kriegslustig und tatendurstig sein) – entgegenzutreten war, und sich schon daraus ein gewisses Oszillieren der Befangenheit und Verstimmtheit ergab. Wenn es übrigens nicht schon aus verschiedenen Reden und Aussprüchen Wilhelms II. hervorginge: man könnte es auch klipp und klar aus Hinzpeter entnehmen, daß für den neuen Kaiser sein Großvater vorbildlicher ist, als sein Vater – es mag wiederum sein, daß nur einfach das biologische Gesetz vom Generationswechsel hier sein ›Opfer‹ verlangt. Die Vorbildlichkeit des Großvaters bedeutet aber für den Enkel in der Hauptsache nur: ein exakter Soldat sein und seine ›Pflicht‹ tun – keine Zeit haben, ›müde zu sein‹. Auf das militärische Moment, das ja nun glücklich universales Reichsmoment geworden ist, werde ich leider nachher noch in breiterer und schärferer Rede zu sprechen kommen müssen. Und warum sollte man Wilhelm I. nicht ein Genie der Pflicht nennen dürfen, insofern ein Genie sein doch nur heißt: eine Fähigkeit in höchster Akkumulation besitzen und betätigen? – Man weiß, welche Mühe es Bismarck gekostet hat, den späteren ersten deutschen Kaiser für die Reichsidee, für die Kaiserreichsidee zu gewinnen – und es war doch nur ein sehr natürlicher, sehr richtiger, preußisch unendlich korrekter und verständlicher Instinkt, der den König den Vorschlägen Bismarcks widerstreben ließ: das ganze eigentümliche, durch die Geschichte geschaffene Blutsverhältnis zwischen Hohenzollern und Brandenburg in engerem, Gesamtpreußen in weiterem Sinne bedingte es, daß ein Hinübergreifen über den Staat, über das Königreich Preußen – und bestand es auch nur in der simplen Annahme des Präsidiums einer deutschen Fürstenaristokratie – eine Verletzung, eine Verwundung der preußischen Staats- und Königsidee wurde – darüber war sich der spätere Kaiser Wilhelm I. vor der Annahme der neuen Krone jedenfalls sehr klar. Man weiß auch, wie sich Kaiser Friedrich noch als Kronprinz Form und Inhalt des werdenden ›Reiches‹ dachte – nun, der König von Preußen brachte das Opfer, er gürtete sich mit dem Kaiserpurpur – ja! von seinem preußischen Königs- und Hohenzollernschen Hausstandpunkte war es in der Tat ein ›Opfer‹, das er brachte. Dieser Anschauung verschließt sich auch der jetzige Kaiser kaum, obwohl er der Sohn einer späteren Zeit ist, also einer Zeit, die sich dem Reichsgedanken als solchem schon viel enger assimiliert hat. Ich habe in meinem gewiß sehr harmlosen Buche ›Phrasen‹ gelegentlich bemerkt: › Preußentum ist Atheismus‹. Man hat mir das Wort, dessen Bodensinn man nicht zu erfassen vermochte, stark verdacht, noch mehr: man hat es verdächtigt, auf gut Oberbreyerisch denunziert. Ich halte auch heute noch an dem Diktum fest – und wenn ich um das Skelett der Behauptung jetzt das Fleisch der näheren Hinführung und Begründung füge, so bleibe ich damit nur im Zusammenhange meiner Entwicklung. – Jedenfalls haben sich die Hohenzollern als das stärkste, gesündeste, zukunftssicherste Fürstengeschlecht in Deutschland, die Habsburger mit einbezogen, erwiesen – die verhältnismäßige Jugend ihrer Familie wird vorläufig einer der Hauptgründe ihrer gedeihlichen Entwicklung gewesen sein. Was soll es also sie, die den ›Erfolg‹ auf ihrer Seite haben, scheren, wenn sie von Vettern- und Basensippen, von getreuen Freunden und Nachbarn als ›parvenus‹, als ›arrivés‹ ein wenig über die Achseln angesehen werden? – Das Werk Friedrichs des Großen hat zwar ein Bismarck fortgesetzt und vollendet, wenn auch in seinem Sinne, d.h. im Sinne eines hochbegabten, willensharten deutschen Edelmanns mit republikanischen Jugendanschauungen – aber die Hohenzollern waren doch wenigstens so klug, einen Bismarck zu legitimieren. Die geistige Bedeutung des Geschlechts hat zweifellos in Friedrich dem Großen, dem Prinzen Louis Ferdinand – dem Großvater Ernst von Wildenbruchs: wie es denn daher sehr erklärlich wird, daß Wildenbruch auf Preußentum, auf preußisch-deutschen Geschichtsgeist angewandte ›Romantik‹ ist! –, zum Teil auch in Friedrich Wilhelm IV. gegipfelt, indessen, waren die hohenzollernschen Fürsten in der Mehrzahl auch keine schöpferischen Geister: bewußte, treue, zähe Bewahrer des ererbt Überkommenen waren sie – und selbst ein Friedrich Wilhelm IV. – immer. Die Praxis, die nachher Bismarck öffentlich formuliert und damit gleichsam der gesamten Zeitmaschine als Motor ins Gefüge gezwungen hat – sie übten sie je und je aus, sie vertraten sie bewußt oder unbewußt immer: sie waren allenthalben ›Realpolitiker‹, sie rechneten mit den positiv gegebenen Tatsachen, sie besaßen viel zu viel bürgerlich Bedenksames, Überlegendes, Fürsorgendes, an morgen Denkendes, Einteilendes, als daß sie es vermocht hätten, mit den Problemblöcken eines experimentierenden Idealismus zu hantieren – die Familie war und ist, als Ganzes genommen, viel zu sehr auf den Willen zur Macht gestimmt, viel zu sehr auf den Effekt, auf die in einer langen Formenkette gegebene Objektivation erpicht, als daß sie ihre Kraft einmal zu einer genialen Explosion zusammenraffen könnte: das ›Talent‹ bedeutet ja immer die Analyse der Synthese, das ›Genie‹ die Synthese der Analyse – hier ›Genie‹ natürlich als Ausdruck der höchsten Geistigkeit, des höchsten persönlichen individuellen Entwicklungs- und Selbsterfüllungsideals gefaßt. Die Hohenzollern waren stets die Beamten der Tradition, allerdings sehr gute Beamte, sehr gute ›Staatsdiener‹, sie waren vielleicht unter allen Fürstengeschlechtern Europas die besten Equilibristen, sie hatten das feinste, instinktivste Verständnis für das Wesen des Schwerpunkts, der Statik, für den Kult des Gleichgewichts. Und darum trugen und tragen sie das tragische Schicksal, das sich in dem Leben jedes ›regierenden‹ Fürsten verkörpert, noch am verhältnismäßig leichtesten. Worin aber dieses ›tragische Schicksal‹ besteht? – Nun, wenn ich wirklich noch ein Wort darüber oder daran verlieren soll, so erlaube man mir, einen Augenblick ›allgemeiner‹, ›prinzipieller‹ zu sein, psychologisch prinzipieller.

Ich muß natürlich wieder einmal ›weiter ausholen‹ – ›janua patet: exi!‹ – ich muß also die alte Januar-Frage stellen: ›Was ist tragisch‹ – oder besser: ›Was bedeutet ein tragisches Ereignis‹, ein ›tragischer Konflikt‹ ein ›tragisches Schicksal‹? – Jedenfalls liegt eine Inkongruenz zugrunde – und ich meine: ein Mißverhältnis zwischen individueller Anpassungsfähigkeit und sozialer Anpassungsnotwendigkeit, irgendeine bestimmte Dargestelltheit vorausgesetzt. Der Zwiespalt ist also rein persönlich, dem Individuum immanent, wesensangehörig, womit nicht gesagt ist, daß sich dasselbe dieses Zwiespalts immer bewußt zu werden braucht. Schließlich ist natürlich jeder Mensch eine ›tragische‹ Figur, tragische Prozesse spielen sich allenthalben ab, es wird eben immer ein Unterschied zwischen Leistungskraft und Leistungserfordernis bestehen bleiben: das für den Einzelmenschen in Frage kommende Substrat des Konflikts hängt ganz von der Art, von dem Maße ab, wie, in welchem Stärkegrade sich derselbe dieses Unterschiedes, an dem er lebt, durch den er lebt, an dem er sich aber auch müde reibt, an dem er zu Tode reift, an dem er endlich also ›stirbt‹, bewußt wird oder sich seiner unbewußt bleibt – die formale Erscheinung des ›Verhängnisses‹ findet ihren Ausdruck in der psychologischen Beziehung zwischen Wille und Intellekt. Ob sich ein Schicksal nun gerade so vollzieht, daß es mit einer Katastrophe, mit einem jähen Knalleffekt abschließt, das ist natürlich nur mehr oder weniger äußerlich, ist ganz vom Einzelfall abhängige Objektivation, hat mithin mit dem Wesen der Sache so gut wie nichts zu tun. Wir stehen in letzter Hinsicht wiederum vor einer Majoritäts- oder Minoritätsfrage: die Instanz der erfahrungsmäßig gewonnenen, auf einen besonderen Fall angewandten Wahrscheinlichkeit entscheidet – je nach dem individuell-entsprechenden, momentan differenzierten Bewußtseins- oder Unbewußtseins-Verhältnisse des unmittelbar Leidenden und mittelbar Mitleidenden (›Sympathie!‹), zu diesem Wahrscheinlichkeitsdurchschnitte normiert sich die quantitative und qualitative Bedeutung des tragischen Konflikts. Hieraus folgt ein Unterscheidenmüssen zwischen mechanischer und dynamischer Tragik: diese Trennung ist selbstverständlich nur prinzipiell, denn es wird sich in Wirklichkeit nie klar und sicher angeben lassen, in welcher Gradhöhe ein Individuum, sobald sich aus der Atomkette des allgemein tragischen Lebens ein Einzelatom herausgelöst und sich zu einer selbständigen tragischen Verkörperung, darstellend und zusammenfassend, isoliert hat – in welcher Gradhöhe da, sage ich, und dann ein Individuum sich selber behält, in welcher Intensität es die Kraft seiner Hauptkomponente ausströmen lassen kann, in welcher Fülle es seine besonderen, seine individualen und seine sozialen Eigenschaften vertritt. Man könnte auch von einer Tragik erster und von einer zweiter Potenz sprechen. Die erstere nimmt vorwiegend die noch auf eine geringere Auswahl von Objekten gestimmte Willensnatur auf sich, der noch reflektorisch unbewußter, unkritisch gebliebene Mensch, der sich noch als berufene Einzelpersönlichkeit Fühlende, der noch vom ersten Stadium des Unbewußtseins Getragene und nur durch dieses zum Handeln Ermöglichte – die Tragik zweiter Potenz hat vorwiegend der intellektualisierte Mensch zu erfüllen, also der höher Vergeistigte, der weniger Bornierte, der, welcher sich mit einer größeren, zäheren, rauheren Objektswelt abfinden mußte, dadurch sozialisiert, aber auch mit sozialer Kritik erfüllt wurde, dessen Hauptkomponente aber doch so stark war, daß sie nicht brach, vielmehr in ein zweites Stadium des Unbewußtseins eintrat, dadurch erst produktiv wurde – während das Wissen um die Welt, um Menschen und Dinge, nun überhaupt nur noch dazu verwendet wird, das Verhältnis zwischen Ideal und Wirklichkeit, individueller Anschauung und sozialer Tatsache, zu beurteilen, zu kritisieren, halb resigniert zu konstatieren. Hier erreichen wir die tiefste, sublimste, eben die dämonische Tiefe der als immanentes Moment voll ins Bewußtsein aufgenommenen Tragik. Eine beinahe rein dynamisch tragische Natur war Christus – auf den ich nachher noch psychologisch-analytisch zu sprechen kommen muß. Ah! Da erscheint sie auch einmal wieder auf der Bildfläche, die ›Jungfrau von Orleans‹! Ich kenne leider Semmigs Buch über die historische Persönlichkeit dieses Weibes noch nicht, wohl aber die ›romantische‹ Tragödie, in welche Friedrich von Schiller die Dame eingewickelt hat. Nun ist es ja zweifellos, daß in dem Leben derartiger hysterisch-ekstatisch-nervöser Menschen, wie die Jungfrau von Orleans eine war, das sexuelle Moment eine sehr große Rolle spielt, vielleicht ist es sogar die organische Achse, um welche sich die Lebensbetätigung so entschieden ausgestatteter, behafteter, kombinierter Menschen einzig und allein dreht, in scharf bejahender oder scharf abweisender Form – aber gerade darum: wie – theatralisch war es von Herrn von Schiller, die Selbsterfüllung einer ganz und gar immanenten Tragik sich in dem Aufhängen an einem so brutal äußerlichen Effektsnagel vollziehen zu lassen! Die reine Tragik, sowohl die mechanische wie die dynamische, ist nie Folge, sondern immer Ursache, nie erfüllte Konsequenz, immer Bedingung. Ein mechanisch-tragischer Vertikalismus stellte sich z. B. in einer Figur wie Schill dar – Mischlinge, die natürlich auch hier am zahlreichsten sind, waren Gestalten à la Wallenstein, Münzer, Danton: das alte Fragezeichen: ob ›Despot‹-sein, oder es beim simplen ›Citoyen‹ bewenden lassen? Ein Tarquin z. B. zweifelte nie an sich – ein Wallenstein zweifelt, schwankt, den Zweifler erwürgt sein Schicksal. Christus wußte, daß ›des Menschen Sohn muß überantwortet werden in der Menschen Hände‹ (Ev.Lucae, 9,44), er nahm auch seine Ölberg-Passion auf sich – und ließ sich kreuzigen: ein Wissender, einer, der alles durchschaut und begriffen hat, am meisten aber sich selber, sodann die Welt in ihrem Verhältnisse zu Naturen seiner Polarität – er litt unendlich am Marterholze, physiologisch, er ließ sich den Schrei der höchsten leiblichen Not entreißen: ›Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!‹ – er sehnte sich nach dem Ende, dem Frieden: ›heute abend noch wirst du mit mir im Paradiese sein‹ – heute abend noch wird endlich! endlich! all die lange, entsetzliche Qual vorüber sein. Sie hatten nicht gewußt, was sie getan hatten. Er hatte es gewußt, was sie tun würden, denn er hatte sie und – sich gekannt. Einer aus vielen oder einer für viele? – Auch Christus wollte einer für viele sein, aber nur als Vorbild, als Führer im Bezirke der höchsten Geistigkeit, dort, wo das Individuum nur ein Ideal kennt, vielleicht: noch kennt: ungebrochene Selbsterfüllung, absolutes Stillesein in sich. Was Jesus von Nazareth in seinen vierzig Wüstentagen, in seiner Einöde-Quarantäne, erlebt: es ist ja für den verwandten Geist so einfach, so ungeheuer, so unglaublich einfach. Daß die Theologen es nie gewußt haben, wenigstens nicht in der Übermehrzahl: das ist in gewisser Beziehung ganz gut und angebracht gewesen – denn, hätten sie es gewußt: sie wären vielleicht Propheten oder Verbrecher geworden, was ja auch etliche Male passiert ist, kaum aber Priester geblieben. Nachher noch in anderem Zusammenhange ein weiteres davon.

Ich habe mich oben erkühnt, in einem Fürsten, in einem ›regierenden‹ Fürsten immer den Träger eines ›tragischen Schicksals‹ zu erkennen. Der Fürst ist zunächst einfacher Mensch, mithin als solcher ein Opfer der allgemeinen Lebenstragik, dieselbe zunächst als logische Tatsache genommen, insofern eben alles ›Wirkliche vernünftig‹ ist, will sagen: einmal mit Schmerzen und Verwundungen begriffen werden mußte ... Denn jedes durch Reibung an einem Objekte gewonnene Begreifen, Erkennen, jedes Vollziehen eines Identitätsaktes ändert immer die Proportionen, in der die Summe der (individuellen) Bewußtheiten zu der Summe der Unbewußtheiten steht, – ordnet also das Individuum um, beeinflußt seine Anpassungsqualitäten, erhöht oder vermindert seine tragische Disposition. Alles ist ja nur relativ, die tragische Indisposition gewiß eine Folge der psychophysiologischen Entwicklung, eine Vereinseitigung, ein Anlaufen auf der Sandbank der ›fixen Idee‹, eine Quittung, eine Bestätigung der totalen tragischen Disposition im Pubertativalter. Aber der Fürst ist noch in anderer Beziehung eine tragische Figur, in zwiefacher besonderer Hinsicht. In erster Linie als Erbe, Vertreter, als Beamter der Tradition, um diese Bezeichnung noch einmal wollentlich herzusetzen. Der Kult der Gegenwart ist für ihn naturgemäß nur dargestellte Pietät für die Vergangenheit. Der Fürst ist immer ein Parvenü des Perfektums. Das Perfektum aber, auf dem er als auf einem Piedestal, hoch erhoben über die Millionen niedrigerer Häupter rings um ihn her, steht: es ist immer die peinlich gepflegte und mit korrekter Verklammerung aufgeschichtete Summe der Gewesenheiten. Wir fragen jetzt nicht danach, wie einer vorzeiten ein Erster, ein Häuptling, Fürst, Herzog, König geworden ist – in dem Augenblick aber, wo dieses Ereignis sich begab, hob er sich damit aus seiner Umgebung heraus – und die Keimzelle der Tradition war geboren. Die Tradition ist ja nur ein Formalprinzip: ihr Inhalt ist der in das zweite Unbewußtsein eingegangene Wille, diese außergewöhnliche Stellung, diese superiore Existenz mit allen ihren Privilegien zu erhalten, auf Kind und Kindeskinder zu vererben – der Kult des seelischen Atavismus mit seiner materiellen Machtsvergegenständlichung. Dem Fürsten ist die Gegenwart nie Selbstzweck, immer nur Mittel, Ernährungskoeffizient der Vergangenheit. Während ein künstlerischer Geist, in höchster Akkumulation als ein ›Genie‹, die ererbte Fülle seiner Instinkte und Intuitionen auslöst, um mit ihnen die Gegenwart künstlerisch zu begreifen, zu ergreifen, zu fassen, sie im Darstellen zu erleben, sie in der Objektivation zu apperzipieren, genießt ein Fürst die Gegenwart nur, um seinem Blute neue Speise zuzuführen, d. h. seinen Ahnen, dem Blute seiner Vergangenheit. Insofern ist er allerdings der inkarnierte Atavismus ... das Herz als die Motivationswelt des Blutes seine erste Justizinstanz: dieses ›Herz‹ mit seinen ›Gefühlen‹, mit seiner Dialektik der Toleranz ... mit seiner merkwürdigen Vorliebe für die Passion des Sentiment, für das Anthoxanthin des Ressentiment. So ergibt sich ein allerdings ebenso modernes, unserem naturwissenschaftlichen Denken entsprechendes, wie an sich pikantes Zusammensein: das Panorama des Gesamtbaus eines Geschlechtskörpers liegt vor uns, aber jede neue Organentwicklung ist doch nur die Folge einer Voraussetzung, soll nur unter der Optik eines Früheren, Größeren verstanden, betrachtet werden – sobald ein Fürst sich von seinen ›Untertanen‹ als Selbstzweck genommen sieht – und diese ›Untertanen‹ werden das als Menschen, die in der Mehrzahl geschlechtslos, ich meine: vergangenheitslos sind, von keiner Perspektive auf das in ihren ›Ahnen‹ Gewesene behaftet, ganz unwillkürlich tun – sobald also dieser Beziehungswinkel geschenkelt ist, setzt sich der Fürst, der sich mit ihm einverstanden erklären muß, damit in Zwiespalt zu der Psychologie seiner Mission: der Inhalt dieses tragischen Verhältnisses bedeutet eine fortwährende Beleidigung der Quellen, aus denen ihm überhaupt alle Kräfte zur Aufrechterhaltung seines Lebens zuströmen.. Den äußeren Ausdruck dieser Tragik erschafft der Punkt, daß sich der Fürst naturgemäß auf die ihm am nächsten verwandten Erscheinungen stützt, auf seinen Adel, also auf seinen natürlichsten und intimsten Feind... Und noch ein drittes Moment kommt hinzu. Nun, Cäsar, Napoleon: sie waren Parvenüs, sie besaßen also das gute Recht, aus ihrem Leben ein Experiment zu machen, eben als geniale Parvenüs, sie vertrauten einer Karte den ganzen Reichtum ihrer Kraft an, um ihren Nachkommen die verhältnismäßig größte und reichste Fülle von Lebensbedingungen zu hinterlassen. Diese Neigung aber, aus seinem Leben ein Experiment zu machen: sie besitzt mehr oder weniger jeder Fürst, ist er nur einigermaßen dauerhaft und selbständig geraten, sie besitzt er ganz selbstverständlich als ein atavistisch mitererbtes Ingredienz. Und nun! An allen Ecken und Enden sieht er sich gehemmt, zumal das Kompromiß-Ungeheuer von konstitutionellem Staat – ich kenne Mills Buch über die repräsentative Verfassung recht gut – hat ihm Hände und Füße gebunden.. Ein Ludwig II. mag ja erblich ›belastet‹ gewesen sein – man weiß, was man unter dieser ›Belastung‹ zu verstehen hat – aber ich zweifle, ob der Keim eine so schwüle Entwicklung zur Frucht, ob die Frucht eine so unheimliche Auslösung erhalten hätte, wenn der König seinen braven Bayern, speziell seinen lieben Münchnern – und München verdankt alles seinem Fürsten! – den Import Richard Wagners in die Residenz hätte einfach dekretieren, hätte einfach befehlen können! Ein Ventil ist ja da: das Militär-Imperium. Aber schließlich ist auch dieses nur noch formaler Natur, seitdem das Heer durch die allgemeine Wehrpflicht sozialisiert, nach einer sozialen Methode diszipliniert, seitdem es ein nach festen wissenschaftlichen Prinzipien angewandtes Instrument geworden ist, mit einem Worte: seitdem es die Umsetzung von besonderem fürstlichen Selbstzweck in allgemeines vaterländisches Mittel erfahren hat.. Heute ist ein ›regierender‹ Fürst auch als ›oberster Kriegsherr‹ kaum mehr noch, denn eine Repräsentativ- und Registratur-Person. Es mag gewiß dafür gesorgt sein, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, für diesen Fall: daß so exponierte und aus der Menge herausgehobene Menschen einen viel zu großen Respekt vor ihrer ›Fallhöhe‹ haben, als daß ihnen nicht zu gewissen außergewöhnlichen Experimenten die Lust ausgehen sollte; daß sie sich durch die Millionen von Opernguckern und Fernrohren, die sie jeden Augenblick auf sich gerichtet sehen, gleichsam so etwas wie hypnotisiert, also zu allgemeiner freiem Handeln unterbunden fühlten, – es mag sein, daß der Größenwahnsinn, der ja hier so unendlich nahe liegt, eines durch Jahrzehnte vorher dazu vorbereiteten, schon durch und durch morbiden Bodens bedarf – allein am Ende: der jede Höhe umstrahlende Glanz ist ja nicht nur die Folge davon, daß sich diese Höhe sotane beständige Illumination ›leisten‹ kann; daß sie derselben bedarf, um mit ihr in die Täler hinab und zu den anderen kollegialen Berghöhen hinüber zu ›repräsentieren‹, sondern dieser Glanz ist zugleich der Ausdruck eines ganz anderen Umstandes: der Ausdruck eines Polsterzellen-Surrogates nämlich für die unbeschränkte Freiheit des Individuums, die hier oben so natürlich wäre .. und die hier oben doch ebenso unsichtbar ist, wie drüben auf den Nachbarhöhen .. und wie drunten in den Tälern der ›Untertanen‹ ... Was ein jeder von uns, mag er nun noch so klein, verkleinert, verarmt, gebrochen, verkümmert sein, dennoch mit heißem Herzen ersehnt: frei zu sein; frei, eben menschenfrei; sich in der Lage zu befinden, den leidigen, verdammt verdächtigen Schwimmgürtel der ›Pflicht‹ abzuwerfen; im ganzen Weltgetriebe einen Witz sehen zu dürfen, der nur den Sinn hat, wenn man nach Herzenslust mit ihm experimentieren darf, aber keinen Sinn hat, wenn er auf eine insipide Hausbackenheit, auf ein in allen Fugen krachendes System von Paragraphen, Gesetzen, Geboten und sehr schwindsüchtig ausgemergelten Rechten hinausläuft –: dieses Ideal der absoluten Souveränität könnte doch wenigstens einmal da oben auf der Höhe, wo es gewiß noch die denkbar besten Bedingungen zu seiner Erfüllung findet, verkörpert sein – indessen! auch das Wesen, das auf diesem Gipfel lebt, zieht es vor, lieber ›gesund‹ denn ›krank‹ zu sein, denn ›cäsarenwahnsinnig‹, lieber ›Diener‹ denn Herr, denn absoluter, aber auch ganz absoluter, ich meine: willkürlich experimentierender Herrscher zu sein ... Man könnte aus Verzweiflung beinahe geschichtsphilosophisch, sogar geschichtsmetaphysisch werden: der Herr, der Eine, Einzige, All-Einzige, fiel von sich ab, wurde sich untreu, ward sich seiner bewußt – und gebar die Welt! Nun beben wir alle mit heißen, starken Strömen zur Einheit, zur Freiheit hin – und niemals finden wir sie, die ganze Einheit, die ganze Freiheit, auch im intimsten Akte nicht, der den zweigeschlechtlichen Menschen zum monosexuellen Animalismus zurückzwingt, auch hier nicht, wir finden dafür nur Annäherung, Assimilierung, Zwang, Notwendigkeit, Zugeständnis, Vertrag, Bruchstück .. Und unsere Sehnsucht wird noch dämonischer ... Wir verzweifeln .. und werden selbst müde zu fragen: Wann wird der ›Herr‹ zu sich zurückkehren –? Wann wird er uns ›erlösen‹ von ihm und von uns selber –? Uns – mindestens irgendeinen Äonen späteren Kreaturennachschub? Aber das ist es ja gerade: da wir alle von so brennenden Gelüsten zur ganzen Freiheit gereizt werden, sind wir auch nicht fähig, ein Wesen auszuscheiden, das diese Freiheit darstellte und vorstellte und vollzöge .. Sollte sich ein Fürst über diese Millionenmitgift von Halbheiten und Gehemmtheiten täuschen können –? Kann, sofern er nur instinktiv einen verstehenden Blick für jenes ›Ideal‹ hat, das vielleicht das einzige allgemeine menschliche Ideal ist, welches existiert, denn der Drang zur reinen Freiheit ist identisch mit dem Drange zur Einheit, zur Stille, zur Trägheit, will sagen: zum Ausruhen im Sein, zum Unbewußten – mit dem Drange zur ästhetischen Kontemplation, mit dem eingeborenen Horror vor allem, was nach Ethik, Arbeit, Bewußtsein schmeckt ... Die brutalisierende Kraft ist immer das Wirkungsprinzip des Willens zur Trägheit: da steckt eine Tatsache dahinter, die man erst einmal kapiert haben muß. Und nun bin ich, nachdem ich, natürlich als ›Atheist‹ und darum gerade über metaphysische und eschatologische Abgründe hinweg, mit ein paar Strichen die tragische Psychologie des Fürsten markiert habe, endlich wieder bei den Hohenzollern angelangt, von denen ich oben behauptete, daß sie das jedem Fürsten beschiedene tragische Schicksal noch am leichtesten trügen ... von denen ich, kurz vorher, noch ferner aussagte, daß das in ihnen dargestellte Preußentum – Atheismus wäre. In der Tat sind die Hohenzollern immer ›Atheisten‹ gewesen, insofern Atheismus – nun! mit Verlaub zu fragen: was eigentlich bedeutet? Jedenfalls die Religion des Effekts, wenn man das Wort ›Religion‹ hier anpassen lassen will – jedenfalls die persönliche Anschauung, die das Hauptgewicht auf die Folgen legt, und die es ganz dem einzelnen Bedürfnisse überläßt, nach den Ursachen der Erscheinungen, nach den Bedingungen der Folgen zu forschen. Ein ›Atheist‹ ist der unmittelbare Enthusiast der Praxis – und kann nebenbei sehr gut noch irgend etwas anderes sein: Theist oder Deist, Pantheist oder Materialist, je nachdem es ihm irgendwann, irgendwo, in irgendwelchem Stärkegrade, seiner von ererbten Trieben und Instinkten beherrschten Atom-Zusammengesetztheit gemäß, darauf ankommen muß, nach den Jenseitsgründen einer Diesseitserscheinung zu fragen ... Der Atheismus ist, wenn ich so sagen darf, eine politische Weltanschauung – und darum waren z. B. die Juden, die willensstärkste Rasse der Weltgeschichte, die politische Rasse κατ᾽ ἐξοχὴν, darum waren sie immer Atheisten – ihr späterer, starrer Monotheismus das Dogma des Atheismus, seine legitime Formel, seine genialste Objektivation ... Die arische, insbesondere die germanische Weltanschauungsart ist unverhältnismäßig künstlerischer, kontemplativer, indischer, buddhistischer, ästhetischer, das Gestimmtsein auf die Erfassung der Objekte im Grunde reiner Selbstzweck, nicht Mittel zum Zweck, wie bei den Juden. Das Erfassen aber eines Objekts um seiner selbst willen ist ohne spiritualisierendes Hintergrundschaffen gar nicht möglich, gar nicht möglich ohne die Vergeistigung der Erscheinung ... Als das nach jüdisch-politischen Machtgrundsätzen organisierte Christentum solange auf dem germanischen Volksleibe gelegen hatte, daß für diesen die Zeit gekommen war, sich endgültig für oder gegen die immanente Aufnahme einer ihm im Grunde ganz und gar inkongenialen Weltanschauung zu entscheiden, da trieb er in seiner Angst einen Notsprößling: den Protestantismus, in welchem sich der germanische Phänomenalismus und Individualismus zum ersten Male wieder bejahten, nachdem sie sich solange im Katholizismus verneint hatten, hatten verneinen müssen. Frühere Proteste gegen Rom waren die Folge sozial-ökonomischer, politischer, wissenschaftlicher Zwiespältigkeiten gewesen. Im Protestantismus – übrigens war Luther, nicht zu vergessen, als Philosoph ebenso Determinist, wie Augustin, sein Satz: › quare simul in omnium cordibus scriptum invenitur, liberum arbitrium nihil esse‹ – im Protestantismus also reagiere zum ersten Male der germanische Weltanschauungsmethode mit ihren dissozialen Neigungen gegen das generalisierende Prinzip des Katholizismus. Der Protestantismus war schließlich zum ersten Male wieder Religion im altarischen, buddhistischen Kontemplativsinne, insofern Religion der schärfste, rückhaltsloseste Ausdruck der Individuation ist, die eben in ihrer Dargestelltheit als solcher, als vereinzelte Vielheit, ihre Selbstbestätigung in einem Eingehen und Aufgehen in die absolute Einheit findet, natürlich nur nach einem respektablen Hindernisrennen, in einer ›Andacht‹ mithin, die über viele Klippen hinweg ihr Delirium suchen muß ... Wir haben immerhin einen Gipfel autopsychischer Zivilisation vor uns. Der Katholizismus gibt seinen Gläubigen Objekte, der Protestantismus, mehr ein Verband von Gläubigeren, objektiviert sich in einem ästhetisch-metaphysischen Symbolismus. Der Protestantismus ist der soziale Versuch einer Religion, der Katholizismus ein Kult, eine Schöpfung, die ihr Leben in dem führenden Elemente semitisch-atheistischen Machtsinstinkten verdankt ... Der Katholizismus entmündigt infolgedessen das Individuum, entbürdet es, stellt sich in einem sozialen Cäsarismus der Gefühlswelt dar, die ihre methodisch disziplinierten Anordnungen erhält ... und das mit starker, nachdrücklicher Berücksichtigung der sinnlich-sexuellen Sphäre. Der Katholizismus ist Auxiliarkult, der Protestantismus Postulativreligion. Und nun geraten wir einer psychologischen, wenn man will: einer völkerpsychologischen, ja geschichtsphilosophischen Pikanterie in die Hände: der Germane ist Phänomenalist, als solcher eine Künstlernatur durch und durch – und der Protestantismus wird der Ausdruck des Spiritualismus, der nachher in der Philosophie und den exakten Naturwissenschaften den negativen und den positiven Pol seiner Natur ausbildet; der Katholizismus nur Wille, Atheismus, Despotismus – und er objektiviert sich in der Kunst! Jedenfalls ein sehr interessanter Chiasmus von Substrat und Erscheinung. Aber nun ein paar Momente praktischer Anwendung: der Protestantismus leitet also naturnotwendig zur Philosophie über, also zum Kritizismus, also zum Nihilismus, insofern dieser zum bedingungslosesten Ausdruck des Phänomenalismus wird – wir befinden uns Johann Wolfgang Goethe und seinem ästhetischen Eklektizismus gegenüber, der für Millionen von Germanen Vorbild und Bildungsideal der höchsten Geisteskultur geworden ist. Das eigentliche Inhaltsprinzip der Bourgeoisie. Indessen, wir vollziehen in unseren Kortikalzentren psychische Akte nur, wenn das Blut genügend ernährende Speisung findet. Die Sache hebt also wieder einmal an, ökonomisch zu werden, sich in ein wirtschaftliches Problem umzusetzen, worauf ja schließlich alles in dieser Welt, nur mehr oder weniger mittelbar, hinausläuft. Der Protestant, dem es aus wirtschaftlichen Gründen verwehrt bleibt, in sich oder seinen Kindern die Folgerungen des Protestantismus zu ziehen, gerät früher oder später immer in die Sümpfe der absoluten Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit allem geistig Reineren, Höheren gegenüber – er wird wohl so etwas wie ›intelligent‹, wie ›schlau‹, also in gewissem Sinne geistig ›reich‹, mag sein, aber er muß sich zugleich vom Kleinleben vollständig absorbieren lassen – und das zersetzt ihn unaufhörlich weiter, ermüdet ihn, stumpft ihn ab, raubt ihm alle Impulse, alle Inhaltsgefühle, leert ihm alles aus und magert ihm alles ab zu Formen, Hüllen, Hülsen ... Der Prozeß ist natürlich ein rein psychophysiologischer: das Zentralsensorium verliert seine dynamische Impulsivimmanenz – der Gott der Sprachreinigungskrippensetzer verzeihe mir diese – exotische Hochflut. In diesem Grade kann ein Katholik, und reibt sich sein Leben noch so sehr zwischen beengter, bedrängter, beanstandeter Niedrigkeit hindurch, nie herunterkommen – er fühlt immer eine in sicherer, beständiger Strömungsstärke fortvibrierende Autorität über sich; er verspürt, wie auch in sein armes, dürftiges Sklaven- und Knechtsleben ein Funke aus einer höheren Zone überspringt; er besitzt immer Perspektiven ... Das ist ja gerade der Machtkoeffizient des Katholizismus: der Reichtum an Perspektiven. Es ist wahr: das Perspektivenverhältnis ist für die Welt der katholischen Gläubigen sehr einseitig und eintönig, es bleibt für alle dasselbe, es läßt sich nicht entwickeln. Aber für die große Masse ist es doch immerhin besser, als gar keines – für die große Masse, die doch ebenfalls mit allen Organen für die Führung eines höchsten ungehemmten geistigen Lebens ausgestattet ist, wenn diese Organe auch durch den harten Kampf um das nackteste, primitivste Leben, den eine Generation nach der anderen in Fron und Schmach kämpfen mußte, verkümmert genug sind. Der Katholizismus erhält seine Anhänger vielleicht ›dümmer‹, macht sie jedenfalls aber auch glücklicher, sowohl nach der Seite der geistigen ›Armut‹ wie des geistigen ›Reichtums‹ hin. Denn einmal läßt er sie niemals die Fühlung mit höheren Lebensprinzipien verlieren – und dann erspart er ihnen eine Abfindung, eine Auseinandersetzung mit der schleimigen Zweifel- und Problemwelt, die auf jenem Boden in rührender Üppigkeit gedeiht, wo der Protestantismus hier in laue, seichte, perspektivlose Gleichgültigkeit ausfault, dort in einen fortpflanzungsschwachen, philosophischen Kritizismus hinüberbröckelt. Das ist meine Überzeugung: wenn der Protestantismus, jetzt nicht schlechthin als Religion, mehr als Weltanschauung gefaßt, nicht die Kraft zu einer inneren, innersten Erneuerung findet, d. h. zu einer Erneuerung, die ihm Mittel und Wege zuführt, die Nöte der Zeit ökonomisch, wirtschaftlich, also sozial zu beseitigen – ohne Bluternährung kein Nervenleben! – dann wird die katholische Kirche wiederum das psychologische Recht erhalten, sich so lange der Massen in ihrem Sinne anzunehmen, als eine soziale Ausgleichung durch Waffengewalt auf der einen, durch Furcht, Feigheit, Knechtssinn, Insolidarität oder positive Schwäche und Unfähigkeit auf der anderen Seite verhindert, unterbunden, unmöglich gemacht wird. Der moderne Protestantismus ist eine Karikatur, seine Konsequenzen in allgemein geistiger, weltanschauungsträchter Hinsicht wären kaum ernst zu nehmen, wenn sie nicht so furchtbar traurig und so entsetzlich symptomatisch wären.

Ein Drittel der deutschen Bevölkerung ist katholisch. Deutschland ist zur Zeit ein Kaisertum, ein protestantisches Fürstengeschlecht trägt den Kaiserpurpur. Ein in stärkster Nachdrücklichkeit unserer Zeit wesensangehöriges Moment ist die soziale Entbindung der Massen. Wir haben gesehen, daß nur die katholische Kirche den Zug zur sozialen Generalisierung besitzt. Andrerseits weisen die Germanen die Grundinstinkte seiner Natur zum phänomenalistischen Individualismus; die Sozialisierung ist für ihn nur eine Form, die er abwirft, sobald er die materiellen Bedingungen zur organischen Entwicklung seines Individualismus gefunden hat. Daraus folgt für ein deutsches protestantisches Fürstengeschlecht, das zugleich Kaiserherrlichkeit ausstrahlt und ausübt, ein sehr entschiedenes Entweder – Oder. Nämlich: Entweder erkennt es seine historische Mission in einer Durchführung des demokratischen Cäsarismus – und das würde allerdings einen, wenn auch nicht gezwungen jähen, so doch sehr zielbewußt und energisch durchgeführten Bruch mit den Elementen, auf welchen der heutige Bau der Gesellschaft beruht, bedeuten, einen Bruch mit der Tradition, eine soziale Reform der Gesellschaft, also einen Akt, der gegen das psychologische Prinzip des Fürstentums durchaus verstößt: unser junger Kaiser mag allen guten Willen zu diesem Experiment haben, was aus verschiedenen seiner Äußerungen geschlossen werden darf, aber gegen sich hat er als Fürst eben die Vergangenheit und darum die Zukunft – oder es, das hohenzollernsche Königsgeschlecht, spielt gerade die Gleichartigkeit seiner Macht-Instinkte mit denjenigen des Katholizismus – und das wird der historische Zwang sein – gegen Rom aus –: und es entzündet sich ein Kampf zwischen weltlicher und geistiger Macht, wie er noch nicht dagewesen ist in der Geschichte. Jedenfalls sind die besten Aussichten auf diesen neuen, anderen, definitiven ›Kulturkampf‹ vorhanden. Jedenfalls rüstet sich Rom schon sehr bewußt zu diesem Kampfe mit Berlin. Protestanten sind ja die Hohenzollern auch nur zum Privatgebrauche, wenn ich so sagen darf, – ihr Herrschertum haben sie auf der atheistischen Weltanschauung der Erfolgspolitik, die einzig und allein von dieser Welt ist, aufgebaut ... Ihre Tragik als Fürstengeschlecht, als preußisches Königsgeschlecht, habe ich in ihrer Allgemeinheit und in ihrer Besonderheit schon kurz angedeutet – der Umstand, daß sie nun auch Träger der deutschen Kaiserkrone geworden sind, führt ein Moment in den tragischen Komplex ein, welches vielleicht den ganzen Prozeß einmal auslöst und ihm seine objektive Form gibt. Jedenfalls ist das dem germanischen Volksgeiste immanente Bildungsideal nur zu erfüllen, wenn die Bedingungen zu seiner Verwirklichung den entsprechend notwendigen wirtschaftlichen Inhalt empfangen. Vorläufig ist das Reich allerdings ein sehr saftiges ›konstitutionelles‹ Gewächs, ein einziges ›Kompromiß‹. Noch einmal sei es gesagt: ein protestantisches Kaisertum ist, ganz abgesehen von dem Drittel katholischer Untertanen, so lange ein volkspsychologischer Widersinn, als es dem Protestantismus, d. h. seinem germanischen Prinzipe der persönlichen Glaubens- und Wissensfreiheit, versagt bleibt, aus materiellen Entwicklungsgründen versagt bleibt, sich in deutsche individuale Weltanschauung, die sehr gut – warum nicht? – ihren äußeren Ausdruck in einem sozialen Gefüge erhalten kann, umzusetzen. –

›Wilhelm II. und die junge Generation‹ – ja, so lautet die Überschrift dieses labsäligen Zeitkapitels. Das Ergebnis meiner bisherigen Bemerkungen, die zunächst gemacht, die abgetan werden mußten, so allgemeiner Natur sie auch an sich sein mögen – es kann doch in der Hauptsache nur das sein: es wäre wünschenswert, daß unser junger Kaiser auch inhaltlich der jungen Generation angehörte. Es ist aus den angegebenen Gründen unmöglich. Nun aber diese Generation selbst? Wenn ich im folgenden versuche, in großen Zügen eine Analyse derselben zu geben, so bedarf vorher noch ein Moment der Erwähnung – ich habe noch ausdrücklich die Frage zu stellen: warum bringe ich überhaupt diese Generation zu Wilhelm II. in Beziehung? Indessen, ihre Beantwortung wird diese Frage in dem Ergebnis aus den Erörterungen, die nun anheben mögen, eo ipso finden.

Ich habe es gelegentlich schon einmal gesagt: ›Ideale‹ verpflichten ebensosehr, wie sie entbinden, freisprechen. Und auch das habe ich oben wiederholt betont: das einzige Ideal, das im Prinzip für den Deutschen Wert besitzt, ist nur der ästhetische Personalismus, der individuale Phänomenalismus, der doch zugleich so außerordentlich kosmologisch ist. Und nun haben wir seit achtzehn Jahren ein ›Reich‹, wir sind ein ›einig‹ Volk geworden – und wir haben wahrhaftig, wiederum allerdings nur im Prinzip, allen Grund, von dieser Einigkeit erbaut zu sein. Graf Gobineau, der eminente Freund Richard Wagners, der Verfasser von › L'inégalité des races‹, einem der bedeutendsten Bücher, die je geschrieben worden sind, fand seinen Trost für ein, wie er glaubte, verfehltes, durch niederträchtige Schikanen verbittertes Leben darin, daß er sein Geschlecht von normannisch-germanischem Ursprung abzuleiten suchte. Ich erwähne diesen interessanten Umstand, weil eben auch nach dem Urteil dieses ersten Ethnologen und Völkerpsychologen dem Germanen eine historische Kraft und Leistungsfähigkeit zu eigen ist, der naturnotwendig eine edelste und höchste Mission immanent. Sind wir nun in den Formen, unter denen wir heute leben und arbeiten, auf dem Wege zur Erfüllung dieser Mission? Geht die junge Generation, auf die es doch schließlich bei aller Entwicklung allein ankommt, den Weg bewußt – oder hat sie etwa diese Mission überhaupt noch nicht begriffen, noch gar nicht apperzipiert?

Aus den verschiedensten Bestandteilen setzt sich natürlich das junge, neue Geschlecht zusammen; alle Schichten der Gesellschaft, alle ›Stände‹, alle ›Klassen‹ stellen ihre Beiträge. Die unteren Hunderttausende verfallen, nachdem sie im Kessel der Schule, auf den ich nachher noch im besonderen ein paar Glühlicht-Trichter werfen muß, notdürftig gar gekocht sind fürs Leben – der größere Prozentsatz also des jungen Nachwuchses verfällt naturgemäß der Fabrikarbeit und dem Handwerk. Mit den ihm feindlichen Bestrebungen der Zeit, die kein flüssiges Geld hat, die entweder nur die Flächenspiegel der festen Beamtengehälter oder den Moorboden des Kredites oder das Barometer der Börsenkurse kennt, also die drei Willkürformen des Kapitalismus – mit diesen Wesensäußerungen der Zeit konfrontiert der Arbeiter die Summe seiner Bedürfnisse und Forderungen, die er von seinen Verhältnissen zu erheben gezwungen wird, indem er sie zum Gewächs des ›Sozialismus‹ organisiert. Mag der Sozialismus diszipliniert sein wie er will; mag er ebensogut in sich seine Brüche, Spaltungen, Parteien, seine einander befehdenden gemäßigteren und radikaleren Elemente haben, wie er seine Vorurteile hat – so viel ist jedenfalls fraglos, daß er, ganz abgesehen von allen psychologisch-phylogenetischen Entwicklungsgründen, schon deshalb eine vorbestimmte Gewißheit auf den Besitz der Zukunft hat, weil er es wirklich ernst mit den Bewegungen und Strömungen der Zeit nimmt; weil er auf die Probleme der Zeit mit allen seinen Kräften einzugehen sich bemüht. Freilich sind diese Kräfte durch Frondienst und Helotentum sattsam verengt, gebrochen, verkrüppelt worden; Befangenheit, Beschränktheit, Taubheit und Funktionssprödigkeit der Organe sind allenthalben groß. Vorhanden ist indessen auch das zäheste, kühnste Wollen, und ein sicheres Zielbewußtsein bei allen Meinungsverschiedenheiten im einzelnen und allen periodisch-lokalen Verdunkelungen. Der Sozialismus ist die kurzangebundene, brutale Fassung des Lohnproblems, des Problems vom Verhältnis zwischen Arbeit und Ertrag, d. h. das dargestellte Problem eines gerechten, vernunftgemäßen Verhältnisses zwischen beiden Koeffizienten des Lebens. Der Sozialismus studiert allerdings vorläufig Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften durchaus nicht aus ›objektivem‹ Interesse, sondern aus den ganz verdammt ›subjektiven‹ Gründen und Zweckabsichten: auf diesen Gebieten des menschlichen Wissens und Arbeitens belegendes, begründendes, ausführendes Material für seine praktischen Prinzipien, wie für seine idealen Theoreme zu erheben. Er interessiert sich für Kunst und Literatur – und von diesem Interesse kann überhaupt auch nur in den einzelnen Fachvereinen und Fortbildungsgruppen die Rede sein – beileibe nicht, um ästhetische Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn die Millionen, die den Sozialismus darstellen, nicht am Hungertyphus krepieren, so müssen sie eben auch soviel arbeiten, als sie bei der ungerechten Ablohnung nötig haben, um sich in puncto Nahrung und Kleidung nur über Wasser zu halten. Wahrhaftig! Für solch einen armen, auf Hungerlohn für zwölfstündige Tages- und zeitweilige Nachtarbeit verakkordierten Familienvater bedeutet gegenüber all den Entbehrungen, Entsagungen, Verzichtleistungen, die er stundstündlich sich und seinen Angehörigen auferlegen muß, das sozialistische Genossenschafts- und Vereinsleben in der Regel den einzigen Trost, die einzige Aufrechterhaltung in diesem elenden Hundeleben. So ist der Sozialismus als formal ausgedrückte Gegengesellschaft eine ethische Macht, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Wenn Nietzsche (in seinem Buche ›Die fröhliche Wissenschaft‹) gelegentlich die Bemerkung macht, daß die soziale Frage kaum so akut geworden wäre, wie sie in der Tat geworden ist, wenn die Mehrzahl der modernen Arbeitgeber, als regelrechte Parvenüs, nicht über ebenso rote, plumpe, schwielige Hände verfügte, wie sie von den Arbeitnehmern getragen zu werden pflegen – so ist das nicht nur sehr geistreich und nicht nur sehr korrekt nietzschisch, insofern Nietzsche nach seinem persönlichen Bedürfnisse beständig die mittelalterliche Entwicklung der Verhältniskräfte (geschlossene Stände, Lehnsform) ausschaltet und unmittelbar in seinen ästhetisch-sozialen Forderungen auf das antike Verhältnis von Herr und Sklave zurückgeht – sondern er ist überhaupt psychologisch korrekt, insofern das ästhetische Motiv als bestimmender, schürender Umstand sehr energisch berücksichtigt werden muß. Indessen, das In-Tätigkeit-treten-Lassen der ästhetischen Vergleichssphäre mit der ethischen Auflehnung als dem Ergebnisse des Akts kann ja nur die Folge einer physiologischen, psychophysiologischen Disposition dafür sein, setzt also schon ein einigermaßen genügendes körperliches Durchschnittsbefinden voraus. Als vor hundertfünfzig Jahren das Individuum als solches geboren wurde und nachher, als seiner selbst bewußt gewordenes Objekt, die Forderungen seiner persönlichen Freiheit, seiner Rechtsautonomie stellte, mußten naturgemäß die materiellen Befruchtungs- und Ernährungsquellen dazu vorhanden sein. Wir haben also zunächst ein rein ideologisches Produkt vor uns. Aber erst 1841 formulierte Louis Blanc (in seiner ›Organisation du travail‹) das Programm des politischen Sozialismus – nachdem, in nachgebildeter Anlehnung an Thomas Morus, Sebastian Frank, Campanella u. a. im zentralen Europa die lange Periode kosmopolitisch-kommunistischer Weltverbrüderungsphantasien abgelaufen war: August Comte hatte einmal auch zu Füßen Saint-Simons gesessen! Was aber hatte sich ereignet? Man kennt die vier wirtschaftlichen Entwicklungsstadien, die nach Friedrich List jedes Land zu passieren hat – man war in Mitteleuropa, sogar auch in Deutschland, im besonderen übrigens abgesehen von England, in das vierte Stadium getreten, natürlich nur ganz im Großen geredet: die eigene Manufakturarbeit wird exportiert, Rohstoffe werden importiert. Das eben mündig gewordene Individuum hatte sich nach den Produktionsprinzipien des Smithianismus auch seine ökonomische Existenz geschaffen – und erkannte nun, daß dasselbe Prinzip zur systematischen Züchtung individueller Kapitalien führte. Diese Kapitalien waren imstande, technische Fortschritte und Errungenschaften, also Maschinenkräfte, in ihren Dienst zu stellen – und darum in der Lage, schneller, leichter, billiger zu produzieren. Das Kleinhandwerk, das sich nicht zu Großhandwerk und offiziellem Fabrikantentum fortentwickeln konnte, zersetzte sich im Riesenmörser der Konkurrenz. Meister und Gesellen wurden schlechthin ›Arbeiter‹, d. h. Arbeitnehmer, Sklaven der Maschine. Nun ist ja einzuräumen, daß der Unternehmer, der Arbeitgeber immerhin ein gewisses Risiko trägt; auch ist es selbstverständlich, daß seine Organisierung der Produktion, seine Kritik des Gütermarktes, sein Kalkulieren und Abwägen hinsichtlich des jeweiligen Verhältnisses von Angebot und Nachfrage in gewissem Sinne ihren absoluten, unersetzlichen Wert haben – aber zu behaupten, daß diese Momente die Härte des ›ehernen Lohngesetzes‹, nach welchem, in der Lassalleschen Definition, jeder Arbeiter gerade so viel Lohn erhält, als er bedarf, um sein Leben überhaupt nur zu fristen, der Unternehmer jedoch eine unverhältnismäßig höhere Gewinnquote in die Tasche steckt und für das redliche Wachsen seiner Kapitalrente sorgt – daß also die alle individuelle Entwicklung aufhebende, lähmende Schwere dieses ›Gesetzes‹ durch die oben genannten Momente ausgeglichen wird: das ist doch eine merkwürdig künstliche Auslegung, eine sehr eigensinnige Verschiebung der Rechte, die nach gewissen ›modernen‹ Anschauungen, so da im Prinzip ohne weiteres allenthalben vertreten werden, ein Mensch über den anderen besitzt. Freilich, die positive Tatsache ist stärker, denn alle Abstraktion. Nur sollte man sie einfach zugeben, die Brutalität des Großkapitals als aus den und den Entstehungsgründen hervorgegangen und darum notwendig hinstellen, das nackte Faktum aber nicht mit dem Flitterwerke fadenscheiniger Ausreden und phraseologischer Bemäntelung zu verhüllen, zu entstellen suchen. Man mag das Leben für eine Komödie halten – jedenfalls wird diese Komödie nicht in einer Kinderstube gespielt. Und glaubt man etwa, den Fall gesetzt, daß sich das Ideal der sozialistischen Produktionsweise auf allgemeiner genossenschaftlicher Grundlage einmal verwirklichte – daß sich alsdann der leitende Mittelpunkt jener ideellen Tätigkeit, die dem heutigen Großkapitalisten so bereitwillig gutgeschrieben wird, enthalten könnte, enthalten dürfte? Der extrem-individualistischen und extrem-sozialistischen Richtung hat sich bekanntlich in der neueren National-Ökonomie eine sozial-ethische Schule entgegengestellt, die auch die Volkswirtschaft als einen historisch gewordenen Organismus zu betrachten sich bemüht. Der brutalen Praxis und der radikalen Kritik tritt also auch hier der ›moderne‹ empirologisch-positive Phänomenalismus gegenüber. Nun, mit dem Sozialismus als einer sehr beträchtlichen Gegenwartsmacht und einer sehr zähfasrigen Zukunftsinstanz werden die Herren von der sozial-ethischen Schule gründlich rechnen müssen – er gehört nun einmal dem positiven Inventar der Zeit an. Die schreienden Mißstände und Mißverhältnisse unserer Tage, wie sie in tausend und abertausend Fällen und Formen auftreten, als absolut hilflose Armut in den untersten Volksschichten, als maskiertes Zersetzungselend in dem Kleinbürgertum und der mittleren Bourgeoisie – sie werden wahrhaftig nicht durch die Homöopathenpraxis des ›Staatssozialismus‹, so ehrlich es dieser auch an und für sich meinen mag, gelindert, gedämpft, geheilt. Das Proletariat, in seinen unzähligen Ausstrahlungen, Zusammensetzungen, Abstufungen, jammert zeitlebens nach den materiellen Mitteln, die ihm eine freiere, zwanglosere, bedingungslosere Ausbildung seiner Kräfte ermöglichen sollen – und verzehrt sich, zerreibt sich in seiner waffenbaren Ohnmacht. Der besitzende Teil des Volkes bangt zeitlebens um seinen Besitz – und gelangt deshalb nur in den seltensten Fällen zu einer würdigen Verwertung seiner Güter – ich meine: zu einer Verwertung, die, träte sie ein, auf die Verwirklichung des oben erwähnten germanischen Bildungsideals hinstrebte. Wir haben in Deutschland nur noch in den pubertativen Entwicklungsjahren des Jünglings oder der Jungfrau einen gewissen Idealismus oder auch Ideologismus, wenn man will – der sich aber schnell genug in Skeptizismus, Kritizismus und in den allerentschiedensten lebenspolitischen Realismus umsetzt. Sodann vibriert noch in der feineren, vornehmeren Bourgeoisie, besonders in der Gelehrten- und Beamtenwelt, eine Art von ästhetischem Sensitivismus, von ästhetischer Feinschmeckerei, die sich, wie ich auch schon oben angedeutet, als Pilz auf der Mutterhefe des ästhetischen Eklektizismus Goethes gebildet hat ... deren Träger zumeist jene Partikelgruppe aus dem Volkskörper ist, die auf dem materiell gesicherten Boden des bürgerlichen Patriziats groß geworden – und zwar geistig genährt von den liberalen Aufklärungselementen, wie sie in den dreißiger und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts auf allen Gebieten des geistigen und öffentlichen Lebens auftauchten, vertreten wurden und in Aufnahme und Anerkennung kamen. Nur in diesen beiden Fällen läßt sich überhaupt noch davon reden, daß der Versuch gemacht wird, eine Weltanschauung mit höheren geistigen Normen und Leitbildern zu gewinnen. Dort aber schließt bei 99 Prozent das natürliche, instinktive Experiment der Jugend mit einem solennen Bankerott ab – hier verschleimt mit den Jahren das ästhetische Feingefühl, die zarte Empfänglichkeit und Empfindlichkeit des geistigen Gaumens für alle Diskretionen des Genusses zu dem morbiden Kapuanismus einer amorphen, pollosen Schwelgerei. Von ›Idealismus‹, von Weltanschauungsbauversuchen in der ausübenden Künstlerwelt, wo beides doch am natürlichsten wäre, am nächsten läge, kann man in toto heute nicht mehr gut reden. Doch darauf habe ich später noch zurückzukommen.

Gewiß, es ist das natürliche, vielleicht überhaupt das natürlichste und wesentlichste Moment des Bewußtseins, des Selbstbewußtseins, daß das Individuum nur insofern eine Verbesserung der Verhältnisse, unter denen es existiert, erstrebt, als es sich selber mit seinem ganzen Ich zu dieser günstigeren Gruppierung in Beziehung setzen kann –: in seiner eigenen Haut will es nun einmal unter jeder Bedingung stecken bleiben. Damit ist die naturgemäße Form der Entwicklung gegeben, zugleich aber doch ein gewisser Hemmungskoeffizient normiert, der in erster Linie zur Folge hat, daß bei Verschlechterung der Umstände, unter welchen das Individuum erhalten wird, sich dessen Dekadenz ganz unverhältnismäßig schneller und allgemeiner, erschöpfender vollzieht, als sich bei günstiger werdenden Lebensbedingungen seine Kultur, seine Zivilisation erhöht. Die prinzipielle Folgerung aus dieser Tatsache kann hier nur die sein, daß eine Verbesserung der materiellen Verhältnisse der unteren und untersten Volksschichten in geistiger Beziehung, in Hinsicht auf die Steigerung, Vertiefung, Verinhaltlichung der individuellen Bewußtseinsformen, erst in zwei, drei Generationen ihre Früchte tragen könnte. Ich betone immer wieder: der germanische Instinkt findet seine wirkliche Befriedigung nur in der Konstituierung einer vom Einzelmenschen bewußt getragenen und vertretenen Weltanschauung. Der Deutsche ist als kontemplativer Phänomenalist, jetzt mit Übergehung aller ethnopsychologischen Brechungen und Besonderheiten, immer Eklektiker. Jene, von mir schon oben erwähnte höhere, feingeistigere Bourgeoisie ist bei den heutigen Verhältnissen noch die einzige Trägerin von dem, was man einigermaßen Weltanschauung nennen darf: ihre liberale Tradition, die nicht ganz des koketten Anstriches eines gewissen Resigationsmartyriums entbehrt; der materiell günstige Boden, auf dem sie steht, ermöglichen es ihr, es zu einer gewissen ästhetischen Selbsterlösung, die allerdings mit mancher Unze Quietismus legiert sein mag, kommen zu lassen. Die Söhne und Töchter dieser Bourgeoisie, also dieser Teil der jungen Generation – er ist allerdings ganz anders geraten: die Herren Söhne werden meistenteils Juristen und Mediziner ... und sind als solche, vorzüglich die Juristen – die Mediziner, als die ›Moderneren‹, halten es immerhin für ihre Pflicht, stellenweise ein ganz klein wenig ›unzufrieden‹ zu sein, eine Andeutung ›liberal‹, um eine Nuance ›freier‹ zu denken, sogar auch in politicis: was indessen schleunigst aufhört, finden sie z. B. als Militärärzte ihre staatliche Eichung und Abstempelung – also im großen und ganzen sind diese Herren außerordentlich gut kaiserlich, außerordentlich reichstreu: da kann man ihnen wahrhaftig nichts vorwerfen. Sie sind in der Regel auch äußerst fesche Verbindungs-Studenten, mit den kleinen, stumpfsinnig-philiströs-gleichgültig-bequemen Idealen eines radikalen Börsenkommunismus, einer ›urgemütlichen‹ Kneipen-, Spieltisch- und Fechtbodenfraternität – doch ich habe auf den deutschen Studenten der Gegenwart als Typus, als naturgemäßen Repräsentanten der jungen Generation, nachher noch eingehender zurückzukommen. Und die jungen Damen, die Töchter jener Bourgeoisie, welche die Blütezeit ihres kosmopolitischen Individualismus in den mittleren Jahrzehnten dieses Jahrhunderts erlebt hat – sie sind in der Tat nicht minder ›modern‹: sie kredenzen mit Vorliebe demjenigen den kalten, klugen Eiskaffee ihrer Huld, der die Bürgschaft für eine wirtschaftlich und gesellschaftlich tadellos sich rentierende Karriere leistet – sie halten es schon für ›Idealismus‹, den sie allerdings nicht ungern, schon mehr aus den Luxusinstinkten ihres Standes heraus, pflegen, wenn sie sich mit jenem Nachtwächter, der vorwiegend Tagesdienst hat, ich meine also: mit dem Militär einlassen – denn mehr als ein umgekehrter, verallgemeinerter, solid dressierter Nachtwächter ist der Soldat doch eigentlich nicht ... Und das entwicklungspsychologische Erklärungsmoment dieser Tatsache? Nun, wir sind unterweilen eben ein ›Reich‹ geworden – und damit ist dem Kanalismus der Gegenwartswelt unseres deutschen Geisteslebens ein ganz neuer Flüssigkeitsstoff eingeführt. Das ›Reich‹ ist zunächst nur eine äußere Form, noch dazu eine ziemlich rohe, grobhäutige Form, die als solche, als Peripherie, als offiziell proklamierte Instanz, naturgemäß vorzugsweise die Äußerungen der Durchschnittskreaturen, die in früheren, individualistischeren Jahrzehnten von ihrer inneren Armut nolens volens zu einer bescheidenen, verschwiegenen Winkelexistenz gezwungen wurden, auslöst ... Das ›Reich‹ ist der Ausdruck einer großen sozialen Mobilmachung, die einem jeden, indem sie ihn eben zum Reichsbürger macht, damit gleichsam ein freimaurerisches Erkennungs- und Anerkennungszeichen in die Hand drückt, das in den Reichszirkeln allenthalben verstanden, allenthalben in irgendeiner Form berücksichtigt wird. Das ›Reich‹ ist ein allgemeines, sozial ebbendes, nivellierendes Stichwort geworden, ein Freibillett für gewisse Theater und Konzertsäle des Lebens – ein Freibillett, das seinem Besitzer erlaubt, sich auch als irgendetwas zu ›fühlen‹, nun auch mitzusprechen, nachdem alle ein großes, allgemeines Thema erhalten haben ... Gut! Das Reich kämpft noch um seine innere und äußere Existenz – es hat also noch geradezu die Pflicht, eine Form zu bleiben. Der Kult der Form ist immer eine Sache der Masse, die Dressur mittelmäßiger, unterwertiger Hauptkomponenten für die Tendenz nach einem allgemein verständlichen Pole. Der Kult der Form ist immer eine Veräußerlichung, er mündigt die Atome, entmündigt die Komplexe und Gefüge, schafft Vereinzeltes, absolute Paritäten, neutralisierte Gewebe zu beziehungslosen Petrifakten. Glaubt man etwa, der Sozialismus hätte es zu dieser straffen Organisation gebracht, wenn er sich zu ihr nicht durch seine präzise Gegensätzlichkeit zu einer, wie ich schon einmal sagte, offiziell proklamierten Form hätte zusammenschließen können? Reuleaux legt es (in seiner ›Theoretischen Kinematik‹) den Behörden ans Herz, dem Handwerker die Aufstellung von kleinen Kraftmaschinen (Heißluft-, Gasmaschine u. a.) zu erleichtern. Damit wird doch zugestanden, daß es dem Handwerker nur in den seltensten Fällen möglich ist, sich aus eigenen Mitteln diesen Maschinenbetrieb en miniature zu beschaffen. Die Handwerker sind denn heute auch in der Mehrzahl alle Sozialisten, ausgenommen die Bäcker und Fleischer, zum Teil auch die Brauer und Buchbinder: der Bäcker und Fleischer vertritt – eigentlich war es ja zu allen Zeiten so – überall das bedingungslos partikularistische Element mit dem ganzen Fanatismus des zähesten Privateigentumsgefühls, wie es sonst nur der Bauer besitzt. Der Handwerker sieht im Sozialismus die Mine, welche den Großkapitalismus in die Luft sprengen wird; der Arbeiter, der auf fixen Lohn gesetzte Arbeitnehmer, verlangt seinen Normalarbeitstag und seine Lohnerhöhung, die prozentual entsprechend mit dem Wachsen des Reingewinnes in Szene gehen soll. Die totale Umordnung des Gesellschaftskörpers; die allgemeine ›Revolutionierung des Menschengeistes‹, wie Ibsen sagt – nun, davon soll ja der Sozialismus nach den jüngsten Bulletins zurückgekommen sein – ist er in Wirklichkeit ›bescheidener‹ geworden? – Von der Sorge um die primitivsten Existenzfragen wird das Leben der unteren Volksschichten vollständig in Anspruch genommen. Alles dreht sich ums Geld und wieder ums Geld, jeder Pfennig brennt ein schmerzliches Mal in die mürbe, arbeitsabgeschundene Hand der Mutter, ehe sie ihn ausgibt, ehe sie ihn hergibt. Die Ehe entbehrt jedes psychischen Inhalts, die Erziehung der Kinder besteht in der gröbsten Befriedigung ihrer elementarsten Bedürfnisse. Der Vater, der gar nichts mehr zu verlieren hat und an der geringsten Aufbesserung seiner sozialen Lage verzweifelt, erzieht seinen Sohn, insofern er überhaupt nicht ganz idiotisch verblödet ist, zum unversöhnlichen Feinde der Gesellschaft; die Mutter – und die Mütter haben ja immer, unter allen Verhältnissen, das Talent, selbst in den verzweifeltsten Fällen, die armseligen Gemüsebeete einer kargen, kleinen, hektischen Zukunftshoffnung zu bestellen – die Mutter legt bei, vertuscht und gibt an ihre Kinder, die sie mit den ihr von den ›besseren‹ Ständen überlassenen, also mit verbrauchten, von ihren ersten Besitzern ›abgelegten‹ Fetzen behängt, d. h. notdürftig ›kleidet‹ – an diese armseligen, ins Leben halbnackt ausgesetzten Menschenwürmer gibt sie die halbvergiftete Milch der Versklavenheit und des Helotentums ab. Die Kinder wachsen auf der Gasse auf – in den Beziehungswinkel zur Zeit werden sie nur durch die Schule hineinverrenkt. Die Schule – natürlich! wenn unsere Etats nicht so vom Militär belastet wären, könnten wir sechsmal soviel Schulen haben, als wir jetzt besitzen – und wir hätten noch zu wenig! – also die Schule, die Schule von heute: sie ist bei der absoluten psychologischen Unfähigkeit der Lehrer, die nur noch maschinale Formalisten sind – daher auch ihre ungeheure Passion für das Skatspiel! – und bei dem Umstande, daß sie nur Massenerziehung betreiben kann, die systematisch vorgehende Auslöserin aller bestialischen Roheits- und Äußerlichkeitsinstinkte der Kinder. Es stockt einem der Atem, der Herzschlag setzt aus, wenn man auf diese großen modernen Seelenmordungsinstitute zu sprechen kommt. Die Lehrer sind nicht mehr Künstler in ihrem Beruf, wie sie es in der Tat einmal waren: in jenen Tagen nämlich, da die Pädagogik noch ein ästhetisches Prinzip des experimentierenden Idealismus war – sie sind heute durch die Bank nur Handwerker, und selbst als solche oft genug nur armselige Dilettanten. Ich weiß recht gut, daß der Unterricht in den letzten Jahren, in der Armenschule wie auf dem Gymnasium, besonders in Sachsen, auch in Preußen und Bayern, um vieles ›realistischer‹ geworden ist; daß an die Stelle der abstrakten Doktrin sehr oft die kubische Anschauung getreten – indessen hat dieses Moment, dessen praktischen Wert ich gar nicht verkenne, das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler nur noch gelockert: der Herr Schulmeister, dem seine privaten Lebensinteressen immer über die sozialen Schulinteressen gehen, ist darob heidenfroh, daß er nun ein positives Objekt mit drastischer Nachdrücklichkeit zwischen sich und seine Zöglinge schieben kann – ein positives Objekt, auf dessen neutralem Boden sich beide, Lehrer und Schüler, ohne Gefahr begegnen können, d. h. ohne daß sich der Lehrer in die Gefahr zu begeben braucht, von seinen Schülern mehr als die Gewißheit: hat derselbe das Betreffende ›verstanden‹ oder nicht? erlangen zu müssen. Der Schüler ist geradezu das Opfer des Lehrers geworden, der sich den Teufel um das Innenleben der ihm anvertrauten jungen Menschenkinder kümmert. Gewiß! unsere Seminaristen und höheren Schulamtskandidaten werden auch ein klein wenig mit (vorzüglich Herbartscher) Psychologie traktiert – aber wenn die Herren nachher im Amte arbeiten, machen sie von ihrer ›psychologischen‹ Erfahrung in der Regel nur Gebrauch, um sie gegen den Schüler, zur hochnotpeinlichen Ahndung irgendeines Versehens oder gar eines ›Vergehens‹, anzuwenden. Die Psychologie ist wieder einmal die Waffe, der Giftstachel der kleinen Seele, die alles persönlich nimmt, geworden. Allerdings, die armen Menschen sind ja auch nur die beklagenswerten Opfer von Seminar und Universität –: Keiner hat jemals nach ihren individuellen psychischen Bedürfnissen gefragt; von Jugend auf sind sie innerhalb der kleinen, engen, luft- und schmucklosen Verhältnisse, in welchen sie – als diejenigen, welche sich dem höchsten und wichtigsten Berufe der Menschheit: der Erziehung des nachkommenden Geschlechts, widmen! – zumeist aufzuwachsen pflegen – sind sie also von derartigen Entwicklungsfaktoren zur Durchschnittsware zurechtgerückt und zurechtgezwickt worden; tausend- und abertausendmal haben sie sich bücken, erniedrigen, demütigen, haben sie hinunterschlucken müssen – und es darin mit der Zeit wirklich herrlich weit gebracht; mit Protektion und Stipendium sind sie endlich bis zum Brotlaib und bis zur Suppenterrine heran fortgezüchtet worden – und nun, da sie am Ziele: nun haben sie die ausmergelnde Schinderei aber gründlich satt; nun wollen sie sich ausruhen; nun wollen sie das Leben auf eigene Hand kennen lernen; nun wollen sie ihren kleinen Privatneigungen nachgehen; nun betrachten sie ihren ›Beruf‹ nur noch als Akzidens, als pekuniäre Lebensunterlage – ob einer Hilfslehrer an einer Volksschule oder Oberlehrer an einem Real-Gymnasium ist: ungefähr ein Fünftel des Jahres hat er Ferien – und das ist jedem der beiden die Hauptsache. Ich begreife nicht, warum der Staat die Schule nicht ganz in die Hände der freien Konkurrenz liefert – in die lüsternen Fangeisen dieser Konkurrenz, die er doch sonst als diejenige Produktionsform, welche alle Kräfte entbindet und den höchsten Grad der individuellen Leistungsfähigkeit erreichen läßt, auf allen Gebieten des gewerblichen Lebens legitimiert hat. Er erkennt ja den Schulmeister sonst ganz offen als Krämer und Gewerbetreibenden an, indem er ihm z. B. erlaubt, Pensionäre zu halten – was die Rekrutengänse für die Frau Feldwebel, das sind die Pensionatsenten für die Frau Lehrerin .. Wie ungeheuer demoralisierend dieser magistrale Pensionsunfug wirkt, weiß jeder, der selbst Gelegenheit gehabt hat, auf dem ›Pennal‹ das Verhältnis zwischen den Schülern, die bei einem Lehrer in Pension sind, und ihren Kameraden, die bei ihren Eltern oder in Privatpensionen wohnen, zu beobachten. Auch der Privatunterricht der Lehrer sollte vom Staate ein für allemal untersagt sein. Entweder kann der Staat seine Beamten genügend bezahlen – und dann bedürfen diese einer weiteren Aufbesserung ihrer sozialen Lebensbedingungen durch Heranziehen anderer Erwerbsquellen nicht, zumal sie ja auch noch Altersunterstützungsberechtigung haben – oder er ist nicht in der Lage, sie genügend zu honorieren – und dann hat er überhaupt, wenn ihm schon hier an diesem so überaus wichtigen Punkte der Jugenderziehung der Atem ausgeht, kein inneres Daseinsrecht. Die Gründe, warum ihm allerdings schon hier der Atem ausgehen muß: sie kennt man ja. Doch, ich vergesse eins: Der Staat legt ja, wenn die Zeit gekommen ist, selbst die letzte Hand an die Individuen, nachdem diese aus den Gefängniszellen der Schule, mehr oder weniger übel zugerichtet, auf das Leben losgelassen worden sind: der Unteroffizier, der Herr Leutnant und der Herr Hauptmann machen die schimpfierten Kreaturen sehr bald wieder mit ihrer Fuchtel zu Menschen, zu neuen Menschen. In die von den luetischen Giften einer Schulerziehung, die wesentlich äußerlich, formal, nackt-substanziell, atmosphärenlos gewesen, korrumpierten Seelenpartien des Individuums wird nun auch noch die Nadel des Militäridiotismus eingesenkt – nun ja, da darf man sich denn nicht mehr wundern, wenn das Gehirn unter schmerzhaften Zuckungen nur noch in mechanischen Reflexakten reagiert. Ein Haß gegen die Schule, ein heißer, fanatischer Haß, der vielleicht nur um so intensiver ist, je zurückhaltender er sein muß, knirscht in den Eingeweiden der ganzen letzten Generation, soweit diese, wie gesagt, nicht bis zu dem Grade vom Militäridiotismus verblödet ist, daß ihre einzige Moral nur noch in der Parademoral einer absoluten Uniform-Anbetung besteht, welche ›Religion‹ den Menschen dann eigentlich erst zur Gottähnlichkeit erhöbe ... Indessen, was verlieren wir noch ein Wort darüber! Wir sind ja militärisch ganz und gar durchseucht. Der Soldat hat die Konstituierung des ›Reiches‹ ermöglicht – und dann Millionen von Individuen erst zur Mündigkeit, zum Selbstbewußtsein entbunden. Es ist mithin nur natürlich, daß ein jeder seinen Dank dafür, daß er die Tarnkappe seiner seelischen Anonymität, vom Standpunkte des den Menschen erst wertenden Individualismus aus gesprochen, abwerfen durfte – wenn er also den Dank hierfür dadurch auszudrücken sucht, daß er sich alle Mühe gibt, das geheiligte Kleid der Zeit auch für seine Person tragen zu dürfen. Der Militarismus ist das allgemeine Symbol für den universalen Plebejismus unserer Zeit. Aristokratismus ist ästhetisch wiedergeborener Atavismus, also eine inhaltlich vollgesättigte Instinktwelt. In dem einen Brennpunkt unserer Zeit- und Kulturellipse pilzt sich das Parvenütum breit, die Emporkömmlingswirtschaft, von deren Gärung besonders das mittlere Bürgertum betroffen wird, das an sich schon, infolge der freien gewerblichen Konkurrenz, vollständig formlos, verworren, zersetzt, entstellt, verkrämert, raffiniert ist – die absolute Philistrosität: die Ventilationsphilosophie seines Lebens; der typische Ausdruck seines Ideals: der ersehnte und erstöhnte, nachher gleichgültig-leichtsinnig vergähnte Feierabend – der Sauerteig aber, welcher die latente Brutalität dieser Bewegung immer wieder zu ekstatischem Kampfe auslöst, ist die jüdische Schmarotzer-Konkurrenz, die Trichinose der semitischen Finanz mit ihrer Atmosphäre von Goldstaub und Knoblaucharom – ich gestatte übrigens Herrn Otto von Leixner z. B. und ähnlichen Krippensetzern der korrekten Borniertheit sehr gern, an dieser Stelle das ›Durcheinanderwirbeln der Bilder‹ und den ›gehäuften Gebrauch der Fremdwörter‹ zu... monieren. In dem anderen Ellipsenbrennpunkte aber flegelt sich der Plebejismus im bunten Tuch herum, wurmt sich das Ungeheuer von Privilegien und Vorurteilen aus, vermittelst dessen heute jeder einigermaßen gesunde Mensch, wenn er dazu nur noch über die gehörige Portion äußerer, pergamentlich anerkannter ›Bildung‹ verfügt, sich mit dem einen Beine im Dunstkreise des bürgerlichen Gesetzbuches, mit dem anderen Beine aber in jenem Bezirke aufhält, der direkt zum Verstoß gegen das Gesetz auffordert. Ein Landwehroffizier erhält seinen Abschied, weil er einen Arzt, der sein Betragen (in einem bestimmten Falle) taktlos genannt hat, nicht gefordert – weil er also den Arzt nicht zur Kollision mit dem Gesetze gereizt hat. Ich habe an sich gar nichts gegen derartige Experimente, sie sind ja auch ganz interessant, gewiß – aber interessant wie alles – Zweideutige ... Die Frage ist nur, ob man sotane Zweideutigkeit nicht lieber gleich öffentlich zugeben – sie geradezu, vielleicht in Form eines offiziellen Regierungserlasses, proklamieren solle?! Wäre das nicht besser? – Die totale Vermilitärisierung Deutschlands, jetzt einmal ganz abgesehen von den Verwüstungen, die sie in allgemein geistiger Beziehung anrichtet, muß die nationale Entwicklung noch in den Strudelkessel der schwersten Krisen stürzen. Welche Bedeutung hat übrigens nicht schon der verabschiedete Offizier für die Komplizierung der ›sozialen Frage‹, für die Vermehrung des geistigen Proletariats angenommen! Er, der überdies nur in den seltensten Fällen nicht siegt; er, der in der Regel seine Nebenbuhler schlägt, weil – nun, weil er eben einmal des Königs Rock getragen hat und häufig dazu noch über einen mehr oder weniger vornehmen Namen das Gebrauchsrecht besitzt. Die Frauen inszenieren ja alles. Und ... und die Busenschleife einer Frau z. B. vernestelt sich zu gern mit dem blankglatzigen Knopfe einer feschen Uniform, selbst wenn diese nur noch an Königsgeburtstagen getragen werden darf und bei sonstigen feierlichen Gelegenheiten, wo die patriotische Kosmetik mit der antiseptischen Wundwatte zur Linderung von Magerkeitsbeschwerden, mit Puderwolken und Bartwichse anzutanzen hat. In der Literatur hat meines Wissens zum ersten Male M. G. Conrad (in seinem Roman: ›Was die Isar rauscht‹) auf die soziale Gefahr hingewiesen, die in der Mitkonkurrenz des verabschiedeten Offiziers auf dem ganzen Erwerbs- und Arbeitsmarkte liegt – der Mann wird ebenso gern Lotteriekollekteur, wie Hagelversicherungsbeamter oder Gutsverwalter – am liebsten verbindet er sich natürlich auch jetzt noch mit einer vom ehernen Cohngesetz, mit der Tochter von Moses Breslauer oder Isidor Limburger ... Und das Militär unter jenem bewußten Strich, auf dem der Sekondeleutnant marschiert – die subalternen Chargen: sie erhalten nach einem halbidiotischen stumpfsinnigen abgesklavten Dienstpensum ihren berühmten Zivilversorgungsschein – und Staatsbehörden wie Stadtverwaltungen, Aktiengesellschaften wie Privathandelsgenossenschaften aller Art beeilen sich, diese gröbsten und rohesten Elemente der Bevölkerung, diese dressierte Sammlung linealisierter Rückgratspedanten, in Amt, Arbeit, Brot und womöglich auch noch in Pension zu nehmen. Ihre Kinder haben in allen Schulen die erste Anwartschaft auf Freistellen: diese geborenen Heloten werden allenthalben als a priori fügsames und brauchbares Material mit Vorliebe aufgenommen und bearbeitet – nun, auf deutschen Gymnasien und Realschulen gibt es ja manchen Herrn Magister, dessen Vater ein königstreuer Tages- Nachtwächter gewesen ist, gewöhnlich in der besonders lobesamen Luxusausgabe eines Unteroffiziers – von welcher Beschaffenheit des Vaters natürlich Gebein und Seele des Sohnes immer ein gut und saftig Teil vererbt bekommen haben. Feinere, empfindlichere Kindernaturen leiden und stöhnen oft jahrelang unter den pädagogischen Kolbenstößen dieser verrucht rohen Patrone – wie oft! wie oft verbluten sie sich nicht auf den Marterbänken der Schule! Reserve- Offizier, Unteroffizier, Schutzmann, Lockspitzel, Denunziant, Philister, Bureaukrat, Kathederprotz, Börsenjude: das sind die ›Helden‹ der Zeit – Plebejer und immer wieder Plebejer! Allerdings, es mag sein: wenn die Kultur anfängt, das Fleisch und Fett der Korpulenz anzusetzen – daß sich dieser Prozeß dann nur im formalen Emporkömmlingsstile vollziehen kann. Börse, Zuchthaus, Kaserne, Kirche, Irrenanstalt: das ist die heilige Quintessenz der Zeit. Bücher liest keiner mehr, goutiert werden höchstens nur noch Sensations- und Skandalbroschüren, jedenfalls kurze, haarige, gepfefferte, möglichst persönliche ›Sachen‹ – die exakt-wissenschaftliche Fachliteratur verfällt nicht minder eher dem Eskurialismus einer Kritik a priori, als daß sie unbefangen studiert würde. Die Zeitung mit ihrem Chamäleonismus, mit ihrem schamlosen Halbweltsprogramm: ›Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen‹ – zu deutsch: ›Wer seine Reize zu arrangieren weiß, wird viele Liebhaber anlocken‹ – diese Zeitung saugt alles Interesse auf und befriedigt auch jedes Interesse. Vom Volke, von den Massen gehört, in der Tat ernst genommen wird nur noch der, welcher von der Tribüne des Parlaments aus spricht, ganz gleich, ob das Nullouvert seiner ›unsterblichen Seele‹ auch in das eiternde Fleisch des vernageltsten Parteimikrozephalismus eingewickelt ist. Überall trostlose Zerfahrenheit und Verworrenheit; ein beständiges und unstetes Leben auf der Straße, mindestens an den Fenstern; ein Verlangen, sich immer in Rudeln und Gruppen fortzurollen; ein vibrierender Cancan der gesellschaftlichen Auflösung und Zerklüftung, ein Nichtwissen, warum eigentlich das alles und wohin mit dem allen? – Ein ›Ideal‹ ist mobil gemacht, eben das des ›Reiches‹ – unwillkürlich schenkelt jeder seinen persönlichen Beziehungswinkel zu diesem Kreuz auf der Höhe – aber er findet den Boden nicht, in den er die Instrumente seiner schaffenden Persönlichkeit sicher einrammen könnte, er schwankt in seiner Lage, er kommt nicht zur Klärung und Läuterung, zum Selbstbewußtsein, zum in sich schöpferischen Individualismus – indessen, er paßt sich an, er berauscht sich und betäubt sich an Illusionen und Phantomen, er findet sich ab – und seine von Natur schwachen Instinkte – das Wesen des Plebejismus ist eben Instinktsschwäche und Instinktsdürftigkeit – sie sind schließlich auch ganz einverstanden damit, daß sie sehr bald wieder in die mechanisch-reflektorisch reagierenden Zonen des zweiten Unbewußtseins verdämmern dürfen, ohne daß sie mit besonders akuter Objektsfülle geladene Sphären des Bewußtseins zu passieren gebraucht. Der einzige Ehrgeiz, der von den ›Führern‹ des Volkes überhaupt noch an- und aufgerufen wird, ist der patriotische –: auf ihn sind Kriegervereine, Schützengilden, Studentenverbindungen gleichmäßig gestimmt. Vor lauter ›Treue zu Kaiser und Reich‹ kommen die Leute überhaupt nicht mehr dazu, sich selber treu zu sein, d. h. den Versuch zur Konstituierung von Perspektiven zu machen, welche sie über die Misere ihrer erbärmlichen Käsemilbenexistenz, ihres Eintagsfliegendaseins hinausführen. Diese verklemmten Verhältnisse züchten überall den Kellerschwamm einer halb bewußten, halb unbewußten, in gebrochenen Pulsen zuckenden Resignation groß – einer Resignation, der nichts anderes übrig bleibt, als sich schließlich als Selbstzweck zu fassen – das Cold-cream der Wahrheit, des Bewußtseins, der Entlarvung, der Ernüchterung entfernt die Schminke der Lüge und Selbstverblendung, nur damit diese Schminke nachher um so dicker und um so dreister aufgetragen werden kann. Dieser Sucht zur patriotischen Indiskretion gibt naturgemäß das junge Geschlecht am häufigsten und am – schreiendsten nach. Die Studenten, die Universitätsstudenten, genießen die Ehre, als die künftige Elite der Nation, auch hier voranmarschieren zu dürfen – in der Linken das Banner des Idealismus, in der Rechten das zweischneidige Schwert des Wissens und der Kritik – dieses Schwert, mit welchem sie die Festungen der Zukunft zu erstürmen gedenken. Kein Zweifel: sie werden sie erstürmen. Denn in der Tat: sie wissen viel – und dieser Umstand setzt sie in die Lage, auch mit dem sehr leicht und bequem fertig zu werden, was sie nicht wissen, natürlich in der Art, daß sie dasselbe ›kritisch‹, will sagen: in Grund und Boden abfällig beurteilen. Jede Wissenschaft wird mit jedem Tage mehr Fachwissenschaft, sie spezialisiert sich immer gründlicher – jede vereinzelte, in analytischer Mikroskopie gewonnene Tatsache wird von Stunde zu Stunde souveräner – es genügt, die einzelnen Fakta zu wissen – und wenn man sie synthetisch gruppiert und zusammenfaßt, so geschieht das nicht etwa zu dem Zwecke, sie einem höheren seelischen Bedürfnisse dienstbar zu machen; damit vielleicht dem Drange zu genügen, sich seine eigene, mit satter Individualität gespeiste, reich ausgestattete Weltanschauung zu schaffen – sondern es geschieht einzig und allein aus dem Grunde, weil die praktische Benutzung der wissenschaftlichen Ergebnisse ohne eine gewisse methodologische Synthese nicht möglich ist. Unsere Juristen, Mediziner, Historiker, Philologen, Experimentalpsychologen, Germanisten, Chemiker, Naturwissenschaftler, Techniker – sie alle arbeiten ungeheuer – wie denn auch in den Werkstätten unserer bildenden Künstler unglaublich ›geschanzt‹ wird –: die letzte internationale Münchener Kunstausstellung zeigte dem Auge beredt genug, mit welcher Inbrunst jede Hand auf ›künstlerische‹ Objektivationen erpicht ist. Ja, ich sage mit Absicht: jede Hand! Denn geradezu mit beleidigender Deutlichkeit springt auf allen Gebieten der modernen ›Kunst‹ die Tendenz zum Kunststück hervor – auf der Bühne, auf der Leinwand, auf der Geige, auf dem Piano, auf den Blättern eines realistischen oder unrealistischen Romans dieselbe Virtuosenfexerei – überall dasselbe Bestreben, die mechanisch-reflektorischen Fähigkeiten des Menschen, den Maschinalismus seiner Fertigkeiten in der tadellosen, souverän-sicheren Benutzung des Handgelenks und der Arm-Muskulatur ins helle Licht einer allgemeinen Publikumsschau zu setzen ... Dem Künstler ist seine Kunst nicht mehr Zweck, ihre Darstellung, ihre Objektivierung nicht mehr Selbstzweck – sie ist ihm nur noch Mittel zum Zweck – zu dem Zwecke nämlich: mit ihr zu verblüffen, d. h. sotanes Publikum ergebenst darauf aufmerksam zu machen, wieviel ursprüngliches Talent das betreffende männliche und weibliche Wesen dafür besessen hat: ein kugelfingernder Jongleur, ein dressierter Pudel, ein trapezschlenkernder Clown, ein Schlangen- oder Kautschukmensch zu werden – und mit welchem Fleiße diese ebenso lobesamen wie ehrenwerten Anlagen ausgebildet und einexerziert worden sind! In dem Zeitalter der exakten Analyse ist das schlechterdings auch gar nicht anders möglich. Eine Individualität ist eine seltene Schicksalsspeise – und ein Arzt, der am Morgen eine Tracheotomie oder eine Abdominaloperation vorgenommen hat, geht abends ins Theater, ins Konzert, um sich zu zerstreuen, er ist ermüdet und verstimmt, er will die Härten seines Berufes vergessen – indessen, er ist ein Kind seiner Zeit: um Leidenschaften, Ideen, Probleme, um eine Charakterzeichnung der Menschen in großem Stile verstehen zu können – dazu fehlt ihm der geistige Inhalt, seine Seele bedarf keiner anderen, keiner neuen, keiner Komplementär-Welt – er, der Mensch ohne Vergangenheit, ohne Willensinstinkte, der Formalist, der moderne Emporkömmling, er ist ganz auf die korrekte Logik des empirischen Positivismus gestimmt – und er findet es nur über alles natürlich, wenn sich da oben auf der Bühne nicht die Kunst des Willens, die sich in den Ausstrahlungen einer reichen Intellektswelt verkörpert und wiedergebiert, sondern das Kunststück der Intelligenz in Szene setzt – das Kunststück der Intelligenz, dem gegenüber die Instrumente seines modernen Gewissens, die Messer und Pinzetten seiner berufsmäßig-technischen Kritik anzuwenden, er vollauf das Recht hat und vollauf die Gelegenheit dazu empfängt. Ja, die Internationalisierung des Handels; die Eröffnung des Weltmarktes; der ungeheure Fortschritt in der Maschinentechnik: sie haben uns ›moderne Geister‹ sehr intelligent gemacht, d. h. sie haben uns zu Flächennaturen auseinandergedrückt – eine Abhandlung über den Generationswechsel bei den Blattläusen ist uns interessanter geworden, als eine Beethovensche Symphonie, deren wir für unser Gemüts- und Gefühlsleben nicht mehr bedürfen .. die wir höchstens nur noch anhören, wenn wir die Garantie haben, daß die orchestralen ›Kräfte‹, welche sie ›exekutieren‹, eben – ›Virtuosen in ihrem Fache‹ sind .. Wir wollen die Virtuosen bewundern, wir wollen uns von ihnen verblüffen lassen, aber das Evangelium des Beethovenschen Genius ist uns unbequem; wir lehnen es ab, wir ›Positivisten‹, wir ›modernen‹ Arbeiter, wir Tatsachen-Fanatiker, wir Objekts-Anbeter, wir Krümelmikroskopiker, wir Analytiker mit einem Worte – wir begreifen nicht, wie einem die Darstellung und Vergegenständlichung seiner Gefühle und Stimmungen Kunstzweck sein kann; wir wissen nichts mehr von der Immanenz einer spontanen Gefühlsenergie; unsere Affektswelt wird nur noch von Reizen, die in jedem einzelnen Falle von bestimmten Objekten herkommen, ausgelöst; wir bedürfen beständiger peripherer Sollizitationen – uns ›rührt‹ und ›bewegt‹ nur noch eine statistische Rubrikenparade .. und eine technische Erfindung, deren praktischer Wert durch die Erteilung eines Patents anerkannt wird ..Ja! Das Patent ist in der Tat heute die Hauptsache – und nicht allein im technischen Leben: auch das Hofrats- und das Offizierspatent.. Auch unsere Kunst atmet im Korsett der Dressur, sie steht mit zusammengeschlagenen Fersen da, sie wartet beständig auf das Kommando: ›Präsentiert das Gewehr!‹ – zu deutsch: zeigt die sublimen Künste eurer fertigen Technik, eurer kritischen Intelligenz vor dem Publikum –: ihr Maler, haltet euch an ›realistische‹ Genrebilder und Stilleben, macht in Koloritstücken und Beleuchtungseffekten; ihr Poeten, tummelt den Viererzug der gereimten Ode und schildert bis aufs Tüpferl das Inventar einer Hotelküche; ihr Mimen, zerdröselt eure Rolle durch eine Armee peinlich herausspintisierter Privatnuancen, die euren Fleiß und die schneidige Dialektik eurer gesamten körperlichen Beredsamkeit aufs eindeutigste verkünden; ihr Musikanten und besonders ihr geliebten Musikantinnen, ihr gottgesegneten Pianösen, rast ein Konzert auf dem Blüthner herunter, und macht das verblüffte Publikum glauben: Meister Liszt, der gebenedeite Kirchenvater, wie ihn Nietzsche liebkost, hätte euch Auserkorenen allen mit dem kleinen Finger seiner großen Hand ein Tröpfchen kunstfürstliches Salböl auf die niedrige Stirn gespritzt... Hausmusik; Erbauung, Andacht in der Musik, Kunstpflege zu Hause: sie existieren nirgends mehr, höchstens nur noch in Kleinbürgerkreisen, hier und da in Subalternbeamten-Familien – indessen, es kann nicht anders sein: der gute Wille ist hier immer größer, denn das Können: die Mißgewächse des Dilettantismus sind unvermeidlich – hier, wo alles eng, beschränkt, befangen, leise und furchtsam auftretend ist; wo die Sonne nur dürftige Abstrichslinien hat: hier bleibt die Chlorose der verkümmerten Halbheit natürlicher Hausgast. Die ›Kunst‹ hat nach dem strammen Kommando-Jargon des Militärs parieren gelernt, sie ist nicht minder durch und durch plebejisch geworden. Ein Kunsthandwerk erlernt sich, ›bildlich‹ gesprochen, von heute auf morgen, eben ein intelligenter Mensch bemeistert sehr bald seine Griffe und Kniffe, sicher im Kreise der Vorbedingungen: nachher versteht sich die individual-technische Auflösung und Zusammensetzung der Atome zum Kunststück ganz von selber – allein die Kunst: sie verlangt Tradition; eine breite, reiche, ererbte Instinktswelt, die sich in zwanglos ausströmenden, mühelos die Objekte umfassenden Intellekt umgesetzt hat; sie verlangt die Elemente einer Weltanschauung; sie ist ein geistiges Imperium – und unsere Gesellschaft von heute ist eine Gesellschaft entbundener Flächennaturen und Einseelenmenschen, ein Verband von Formalisten – unsere junge Generation wächst fast auf der ganzen Linie ohne all und jede geistige Tradition auf. Es gibt Ausnahmen, ja – und diese Ausnahmen haben sich auch schon zu einem Typus als zu einem Ganzen, als zu einem überdies außerordentlich zeitcharakteristischen Ganzen zusammengeschlossen: von ihm werde ich nachher noch ausführlicher reden. Insofern die Vergangenheit nicht unmittelbar von den ›Klassikern‹ – ich meine jetzt von den ›Klassikern‹ aller Künste – vertreten wird, existiert sie für das Geschlecht, welches auf der Blutsaat von 1870-71 aufgewachsen ist, so gut wie gar nicht. Nie ist ein Bruch, eine geschichtliche Entwicklungswende radikaler gewesen, denn die, welche sich um die Angel des letzten deutsch-französischen Krieges gedreht hat! Und welche innerlich bedeutende Gefühls- und Gedankenwelt ist nicht z. B. nur in den Werken der Romantiker niedergelegt, dieser Vielverlästerten, die allerdings nur darum so vielverlästert sind, weil sie eigentlich noch niemals in ihrem Grundwillen verstanden worden! Welche Probleme; welches Gefühlsungestüm; welche Potenzfülle des Ichs; welche Steigerungsenergie der Individualität; welche Inbrunst; welche Hingegebenheit und Hingenommenheit; welcher Stolz; welche Unabhängigkeit, welche Selbstsicherheit; welcher Universalismus! Und heute? Nichts von allem. Dafür nur Exaktheit, Analytik, Positivismus; Konstatieren und Bilanzziehen; Herrschaft des Kunststücks – die Sphärenmusik ist zum Sporengezwitscher herabgedämpft... die Erbschaft der Romantik hat kaum ein Dutzend unbeiläufiger Geister angetreten. Sonst – ganz einfach: man arbeitet. Man ist kühl genug geworden, um arbeiten zu können, um nur arbeiten zu können. Man besitzt die innere Bürgschaft, daß einem die mit Recht so übel beleumundete Ideologie nicht plötzlich mit der Frage auf den Leib rücken wird –: liebes, Individuum, Hand aufs Herz – genügt dir denn eigentlich auch, befriedigt dich denn eigentlich auch dieser Kult der Statistik; diese differenzierende Mikroskopie des Objekts; diese Apotheose sans phrase des Mikrokosmos? Eben, man ist Atheist geworden, wie ich schon oben vermeldete – man fragt nicht mehr: warum und woher? – man fragt nur noch: wozu und wofür? ›Arbeitet‹ man etwa aus einem Katzenjammer heraus, aus einem Gefühl der Scham und der Entrüstung darüber, daß es die Ideologie ›zu so gar nichts gebracht hat‹ –? ›Ideologe‹ ist heute beinahe ein Schimpfwort geworden. Und die Herren mit dem krachledernen Enthusiasmus für die neutrale Arbeit, für die ›objektive, temperamentslose‹ Wissenschaft? Ich fürchte: sie wissen im Grunde recht wenig von einem kubisch erschöpften Seelenleben; sie sind eigentlich nur Tröpfe der Borniertheit; sie machen zusammen eine ganze Tropfsteinhöhle von Bidimensionalismus aus; sie haben geradezu ein Produktionskartell geschlossen, um mit Herrn Professor Lujo Brentano zu reden, indessen nur ein Produktionskartell der Beschränktheit – ich fürchte: sie sind nur die untertänigsten und gehorsamsten Prokuristen zweier Damen, die es vorzüglich verstehen, Chef zu spielen, die also vorzüglich zu – be .. cheftigen wissen –: der einen Dame, die sich allgemeine Konkurrenz auf dem Arbeits- und Erwerbsmarkte nennt – ... und der anderen Dame, so da allerabgründigste Geistesarmut heißt... Ich fürchte: die Herren (aus Galanterie sei es zugestanden: es befinden sich in der Tat auch Damen in dieser ... gemischten Gesellschaft...) – also sowohl die einen wie die anderen sind einfach unfähig zur Ideologie – und darum haben sie folgerichtig die Arbeit zum Stich- und Schlagwort der Zeit erhoben ... Eines greift ja ins andere, und alles bedingt sich gegenseitig, natürlich. Es ist nur eine Reaktion – soll ich etwa sagen: eine Erwiderung? – auf den ›Geist der Zeit‹, wenn heute Millionen mit aufgekrempelten Hemdsärmeln auf den Peripheriegefilden der Form herumwuseln, auf den Epidermen der objektiven Erscheinung, welche allein als solche, als analytisch gewonnenes Ergebnis, verstanden wird. Die Geburt aber jenes ›Geistes der Zeit‹ war auch nur durch bestimmt geordnete Bedingungen vorbereitet – ihre letzten Gründe liegen in der Geschichtsentwicklung Preußens beschlossen, welche Entwicklung, wie ich schon oben bemerkte, sich nur in der engsten, unmittelbarsten Anlehnung an die primitivsten Unterlagen des Lebens vollzog – an diese primitivsten Unterlagen, welche darum eben die äußerlich fruchtbarsten und die größte äußere Existenzdauer versprechenden sind. Hier ist alles unendlich nüchtern, aber auch alles unendlich solid. Wer weiß, was aus Bismarck geworden wäre – es hat eben auch einmal einen jungen, mit dämonischen Instinkten ausgestatteten Bismarck gegeben! – wenn er von einem süddeutschen Punkte aus die Dampfkraft seines Genies auf den Triebkolben der deutschen Nationalgestaltung hätte ausströmen lassen müssen – wer weiß, was da aus dem ›Reiche‹ geworden wäre! Indessen, Bismarck operierte von Berlin aus – und er wurde der große politische Realist. Preußen, dem in weiterer, tieferer geistiger Beziehung traditionsärmsten Staate Deutschlands, verdankt das Reich sein soziales Nivellement, seine offizielle Herrschaft des Plebejismus. Die zur Autokratie erhobene Arbeit; der den Einzelmenschen hinreichend legitimierende Fleiß – seine Synonyma; verbissene Geduld; zähe Energie; vollständiger Nihilismus in puncto Ehre und Gewissen; seine Werkzeuge: List, Schlauheit, Strebertum, Charakterlosigkeit, Gewinnsucht, Besitzwut, niedrigster Amüsementtrieb – Arbeit also und Fleiß, beide Zweck und Mittel in einem: sie haben die ungeheure geistige Armseligkeit unserer Tage auf dem Gewissen. So haarsträubend stumpfsinnig und gleichgültig allen höheren geistigen Interessen gegenüber ist kein anderes Kulturvolk. Ich gestehe sehr gern zu: unsere Vertretung nach außen, vorzüglich unsere Vertretung mit dem Instrumente der Marine, sie hat etwas Frisches, Jugendliches, Bestimmtes, drollig Selbstbewußtes, naiv Keckes, siegfriedshaft Tölpelndes, backfischig Drauflosexperimentierendes. Nun ja, aber uns Reichsbinnenleute geht es doch erst in zweiter Linie etwas an, ob die Visitenkarten, welche wir abgeben lassen, aus Glacé-Karton oder aus Elfenbein-Karton gefertigt sind ... Wir sind uns selber die Nächsten, wir bleiben es. Ich weiß ferner recht gut, daß das geistige Leben in Deutschland, im engeren Sinne das Interesse für Kunst und Philosophie, immer nur von kleineren Kreisen und Gruppen, von Zirkeln und Konventikeln, von schmalen Adern und Flötzen, oft geradezu nur von exklusiven Koterien getragen und dargestellt wurde. Der Germane ist im Ganzen, eben als Phänomenalist, künstlerischer, kontemplativer, darum genügt ihm eben das Leben an sich schon in ganz anderem Maße, als es z. B. dem Franzosen mit seiner keltisch-fränkischen Elastizität genügt ... Der Deutsche ist hingebender, d. h. stumpfsinniger, träger, beharrlicher, schwerfälliger, philiströser – der Franzose beweglicher, vibrierender, flackernder ... Welche Massen von Gedankenmaterie; welche Fülle von Problemstoff hat Frankreich z. B. nicht schon in dem kleinen Zeitraume von der großen Revolution bis zu den Juli-Experimenten 1830 in geistige Leuchtkraft umgesetzt! Man ist ein um das andere Mal verblüfft, wenn man die Psychologie dieser Kapitel der französischen Kulturgeschichte eingehender studiert. Es liegt ja schließlich nur dem Philister am Herzen, sein Leben, dessen Gegenwart er beständig an die Zukunft verrät, so auszuschlachten, daß ihm die lumpigen Kartenhäuser, welche sein kleiner, beschränkter Werkeltagssinn aufgebaut hat, freie Wohnung und eine bestimmte, sein Alter sichernde Jahresrente eintragen. Der Deutsche ist im Grunde – sein feuchtes, verbittertes Nebelklima trägt sehr viel Schuld daran – eine verkrümmte Krämerseele – wie schön und überzeugend haben das z. B. Gustav Freytag und Julian Schmidt dargestellt! – sein Enthusiasmus ist ein Flaschenzug, der immer nur in bestimmten Fällen angebracht und benutzt wird: wenn ein durchaus praktischer Zweck erreicht werden soll, und kein anderes, bequemeres Mittel mehr anschlägt – der Deutsche ist ein ewiger Leibeigener, ein aufgezogener Beamtensklave, der beständig der Peitschenwinke ›von oben‹ gewärtig ist – und sollten sotane Winke noch so lüstern nach blutigen Hautfetzen schielen ... Kein Wunder, daß im großen Heilsjahre, das sich so prachtvoll zum Gegenpol von 48 auslebte, ein Heer von Sklaven entbunden wurde – von Sklaven, die es nun für ihre Pflicht hielten, sich ›fühlen‹ zu lernen, d.h. anzufangen, verschämt zu nörgeln, dilettantisch aufzumucken – die Atome der Sprachmuskulatur, welche auf die Mundart der gehorsamsten Fürsten- und Pfaffenknechte gestimmt waren, für den Gebrauch des Plebejerjargons umzulagern, ›bildlich‹ gesprochen ... Nun protzt sich der Plebejer als Gesundheitsbramarbas auf: besonders in den letzten Jahren hat sich, hauptsächlich unter den studentischen, literarisch, künstlerisch, philosophisch angesäuselten Halbwüchsigen, eine bedenkliche Strömung ordinärster, wohlfeilster ›Gesundheits‹-Fexerei breit gemacht, die geradezu in eine Verherrlichung des Idiotismus ausartet – wir passieren jetzt gerade einen Meteoritenschwarm von Gewöhnlichkeiten und Selbstverständlichkeiten, die verhängnisvoll für uns werden können, wenn sie sich länger in unserer geistigen Atmosphäre aufhalten ... Der deutsche Student, oder sage ich präziser: der auf einer höheren deutschen Bildungsstätte zu einem weiteren, intensiveren Geistesleben erzogene, vorbereitete, abgerichtete Jüngling, welchem ich oben das Lob nachsprach, daß er in einer bestimmten Phase seiner Entwicklung, eben in seiner Pubertativ-Periode, wo die Instinkte seines Willens nach Objekten hungern, an denen sie sich auslösen und in Intellekt umsetzen können – daß er dann eines gewissen Idealismus fähig sei: er genießt seine Flitterwochen der Ideologie, welche sich in einzelnen Fällen sogar auf ein, zwei Semester ausdehen können – wird aber dann – es ist allerdings auch höchste Zeit! – schleunigst praktisch, wird praktischer Ehemann, d. h. er bemüht sich, mit seinen geistigen Fähigkeiten das zu erreichen, was schlechterdings eben zu erreichen ist: Amt, Anerkennung, Ehre, Brot – man sieht es: ein Etwas, das wirklichen positiven Wert besitzt. Das ist der gewöhnliche Verlauf, der alltägliche Prozeß. Die meisten derer, die sich einmal angeschickt haben, ihr Leben freier, souveräner, mehr vom Standpunkte eines experimentierenden Idealismus aus aufzufassen; mehr auf die Pflege einer höchsten Geistigkeit, welche die Fermente einer Weltanschauung erbringt, bedacht zu sein: sie werden Renegaten, sie fallen mit dem dritten, vierten, oft schon mit dem zweiten Semester ab – von den geborenen Renegaten, die als miserabelstes, von erniedrigenden Stipendien in die Höhe, bis vor die Tore der Universität gepeitschtes, infolge dürftigster Naturanlage und empörender Schulmalträtierung jeder allgemeineren geistigen Spannung entbehrendes Menschenmaterial an ihren Studien nur mit den Saugwarzen ihres Brotergierungsrüssels hängen: von ihnen spreche ich hier nicht – also jene, ein klein wenig edleren, ein klein wenig geistig besser weggekommenen Elemente werden auch sehr bald untreu, sie ›beschränken‹ sich, sie widmen sich einem bestimmten Berufe, nicht ihretwillen, sondern nur des Berufes selber und der äußeren Vorteile willen, die er abwirft ... sie verfallen sehr bald einer kleinen, soliden, viereckigen ›fixen Idee‹, während wir anderen – indessen, wir haben uns ja auch nur einer ›fixen Idee‹ verschrieben: davon nachher im besonderen Zusammenhange ein weiteres.

Den vier, fünf Schülertypen, die sich auf jeder höheren Schule in Deutschland nachweisen lassen – ihr entsprechen ungefähr zehn bis zwölf Lehrertypen, auf welche ich in einem Abschnitte meines Buches › Auf der Schwelle, Beiträge zu einer modernen Problematologie‹ näher eingehe – also diesen vier bis fünf Schülertypen – ich skizziere sie kurz: der mäßig oder gar nicht Begabte, aber sehr Fleißige, sich Zerreibende, sich Tothetzende; der Unbegabte, zugleich Stumpfsinnige, Gleichgültige, Störrische; der Begabte, aber Faule, Leichtsinnige, Windhundige; der mäßig Beanlagte, zugleich solid, sicher, mit korrekten Durchschnittsleistungen Arbeitende; der Problematische – also noch einmal: diesen Schülertypen entsprechen wiederum ungefähr ebensoviel Studententypen – ›Student‹ hier im weiteren Sinne gefaßt, also alles, was Akademien, Polytechniken, Lyzeen usw. besucht, mit hineinbezogen. Die ›schneidigeren‹ Elemente unter der Studentenschaft wissen natürlich, sobald sie als ›muli‹ ihre Metamorphosenepoche glücklich verbüßt, d. h. sobald sie von dem ungeheuren Schuldruck, der jahrelang auf ihnen gelegen und unter dem auch der Stumpfeste gelitten hat, in der Form einer gewöhnlich mit dem auserlesensten Ungeschmack begangenen Extravaganzen aufgeatmet haben – sie wissen nachher, dann, wenn sie eben an den Brüsten der heiligen Alma mater noch recht ungebärdig herumstrampeln, nichts eifriger zu vollführen, als in irgendeine Verbindung, eine Landsmannschaft, in irgendein Korps ›einzuspringen‹ – und damit sind denn zwei Dritteln ihrer Studienzeit unverrückbar Ziel und Inhalt gegeben. Hörsaal, Kneipe und die mehr oder weniger ergiebige Dekolletage der Kellnerin, der Konfektioneuse und ähnlicher Freidenkerinnen: diese drei Momente stellen fortan die Eckpunkte dar, durch welche das Universitätsdreieck dieser Herren festgelegt wird ... Von der Niedrigkeit des Allgemeinbildungsniveaus, mit dem sich der deutsche Korporationsstudent begnügt, kann man sich schlechterdings keine zu hohe Vorstellung machen. Wie mancher Ausländer hat mir gegenüber die Arme über dem Kopfe zusammengeschlagen, wenn ich ihm Gelegenheit bot, Pegelbeobachtungen in dieser Hinsicht anzustellen! Skat, Weiber, Mensuren, Fackelzüge, Droschkenbummel, tüchtig abgesalamanderter Patriotismus – – mit dem sechsten, siebenten Semester das ›Spezialfach‹ des Herrn, sintemalen die Haare anfangen ›auszugehen‹, und die vorschriftsmäßige Glatze des Examinanden mit ihren Silberlingen kein Verstecken mehr spielen will: das sind die ›Ideale‹ dieser Burschen, will sagen: ihre trivialen Plebejerleitmotive, mit deren Klöppel sie die Glocke ihrer Jugend ein- und ausläuten – und wie feudal stolz sind sie nachher noch als ›alte Herren‹ auf den Appetit, mit welchem sie sotane Leibgerichte vorzeiten der Dialektik ihrer Eingeweide überlassen! Und nun sehe man sich nur einmal aufmerksam die Gesichter dieser Menschen an – dieser Kerle, für welche ihr Leibschneider direkt der Pedell jenes Gottes ist, der gerade gegen sie so unbändig gnädig gewesen, der gerade auf sie die ganze Truhe seiner Huld ausgeschüttet hat, auf daß gerade sie es vermöchten, mit tausend wertlosen Äußerlichkeiten, mit Modelügen und eingedrillter Gesellschaftssalbaderei die ›Elite der Nation‹ zu repräsentieren! Ich habe nirgends, nirgends so häßliche, geistlose, blödsinnige, langweilige, verschlampampte Fratzen gesehen, wie unter den deutschen Couleurstudenten – der Rückschlag in die Tierphysiognomie ist nirgends häufiger denn hier. Und solch ein Troddel, solch ein Kretin und Idiot wirft sich mit Elan zum offiziellen Sonntagsbummel in die Droschke und grinst verächtlich auf den ›Proletarier‹ herab – auf diesen Proletarier, der am Wege steht, arm, verbittert, zukunftslos, verzweifelnd; der sich von den Karossen der ›Großen dieser Welt‹ über und über mit Kot und Straßendreck bespritzen lassen muß ... und aus Zorn, aus Wut darüber, daß er die Kräfte seines Geistes, die in der Regel tausendmal stärker und ursprünglicher sind, als die jener Harlekine mit der Faschingskappe, der Krötenvisage und der konstanten zungenschnalzenden Unterleibslüsternheit und sexuellen Gefräßigkeit, daß er sie unausgebildet absterben lassen muß; daß er nicht einmal die gröbste Arbeit für seine Armmuskeln findet – ich sage: und aus Wut über solche abscheulichen Ungerechtigkeiten des Lebens die Faust nur in der Tasche ballen darf, wenn er nicht riskieren will, daß ihn der erste beste ›Schutzmann‹ ›arretiert‹, wie sich die Polizei so anheimelnd ausdrückt ... Den größeren Teil der deutschen Verbindungsstudenten geben die Juristen ab, nur kleinere Bestandteile setzen sich aus Medizinern, die vorwiegend Burschenschafter sind, und Philologen zusammen. Nun, wie in Deutschland das heilige Jus studiert wird, das weiß man ja. Wovon sollten die jüngeren Universitätslehrer, die juristischen Privatdozenten, auch leben, wenn ihnen nicht Semester für Semester eine bestimmte Zucht von Rechtskandidaten, die zum ›Referendar‹; von Referendaren, die zum ›Assessor‹ eingepaukt sein wollen, in die Hürde getrieben würde! Es ist gewiß: nirgends sind sie paragraphenklaubriger, als in Deutschland – nirgends ist das Urteilsprechen mehr Geschäft als in Deutschland. Ein armer Teufel, um irgendeinen imaginären Fall zu setzen, wandert von dem einen Ende Deutschlands nach dem anderen Ende aus, weil er hier Arbeit zu finden hofft – er, der selbst manche Wegesspanne per pedes kleinkriegen muß, sintemalen ihm das notdürftigste Reisegeld mangelt, kann natürlich seine Familie nicht mitnehmen auf seine Elendswallfahrt. Und nun ist er endlich am Ziele, er findet auch Arbeit, – gewöhnlich ist es dazu noch die bewußte Arbeit, die zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig abwirft – indessen, er hat schließlich auch wieder einmal geschlechtliche Bedürfnisse. Ein Weib, das ihm ›so‹ gefällig wäre, findet er aus diesen oder jenen Gründen nicht – eine privilegierte ›Horizontale‹ kann er nicht bezahlen – – schließlich ›verheiratet‹ er sich wieder, es bleibt ihm absolut nichts weiter übrig, wenn er nicht infolge sexueller Enthaltsamkeit eben total blödsinnig werden will! Natürlich, nunmehro wird er wegen Bigamie auf die Anklagebank spediert – gewiß mit Recht, formal ganz mit Recht – denn sonst – man kennt den Refrain: die Angst vor der Bestie! Zwei, drei Jahre Zuchthaus werden beantragt – der p.p. §171 erlaubt fünf, wenn es sein muß. Der ›Pascha‹ – ich wette: zu einem solchen avanciert der ›arme Sünder‹ sofort in der ›Metamoral‹ des Richters – kommt mit – sagen wir anderthalb Jahr Gefängnis davon. Er ist eigentlich sehr froh, denn für diese Zeit ist er ja nun versorgt. Ich meine: sechs Wochen Haft – doch hier hört eben die Gemütlichkeit auf. Die Herren Richter sind famos konsolidierte Familienväter und haben in der Tat gewöhnlich nur eine Frau: natürlich jeder von ihnen privatim, denn Polyandrie wäre ja ebenso verboten, wie Polygamie. Immerhin soll es manchmal vorkommen, daß – doch darum hört hier eben die Gemütlichkeit auf ... Die Mätresse liegt in einem anderen Bett. – Eine Frau verliert endlich die Geduld und schießt den Verleumder ihrer Ehre, den Halunken, der sie jahrelang verfolgt hat, nieder, um sich vor ihm zu retten, um sich an ihm zu rächen – sie wird freigesprochen, wie es für das gesunde Gerechtigkeitsgefühl ganz selbstverständlich ist: allerdings in Frankreich! Ganz Deutschland schreit über die bodenlose Unmoralität, von der Frankreich offenbar ›durchseucht‹ ist! Ja! wo fände sich auch in Deutschland das Weib, das den Mut zu einer solchen Tat besäße! Wo fände sich auch in Deutschland der Richter, der eine solche Tat in tiefem Nachgefühl verstände, der sie wenigstens psychologisch begriffe! Da verleumdet man die Spontaneität des Franzosen und poussiert seine lange Philisterpfeife, aus welcher sich allerdings das Verständnis für solche Gefühle, solche Leidenschaften, solche Seelenkatastrophen nicht heraussaugen läßt! Anstatt, daß ein Gesetz mit der Definition eines Menschen anhöbe, der das Prädikat ›Schuft‹ oder ›Lump‹ usw. verdient, und sodann fortführe: wer ein nachweisbar so beschaffenes Individuum nicht wahrheitsgemäß tituliert, wird mit usw. – nicht unter usw. bestraft: statt dessen benutzt das Gesetz den Umstand, daß eine Handlung je nach der individuellen Auffassung milder oder härter beurteilt werden kann – es rechnet also im Prinzip sowohl mehr mit einer phlegmatischen, gleichgültigeren Voranlage, wie mit einem im Durchschnitt schlechter entwickelten Gerechtigkeitsgefühl! – und schützt den gerecht, wahrheitsgemäß gekennzeichneten schließlich ganz ebenso, wie den ungerecht Beleidigten – jedenfalls nur, wie es scheint, um mit dem Himmel in guten Beziehungen zu bleiben, sintemalen dieser bekanntlich ja auch seinen Regen auf Gerechte und Ungerechte darniedergeußt ... Aber nehmen wir nur die Gesetzeskristalle so, wie sie zum Strafgesetzbuch vereinigt sind: der individuellen Entscheidung des Richters ist doch immerhin noch ein gewisser Spielraum gelassen ... und es wird in den einzelnen Fällen ganz von den Impulsen, die er von seinem psychologischen Verständnisse für den inneren Kausalzusammenhang einer vorliegenden Materie empfängt, abhängen, ob er gerechter oder ungerechter urteilt – vom psychologischen Standpunkte aus gesprochen ... Indessen, es wäre eben – ungerecht genug, wollte man von einem Menschen, der in der Regel zum juristischen Studium gekommen ist, wie die Magd zum Kinde: er weiß nicht, wie; der drei Viertel seiner Universitätszeit hindurch nur in Reichstreue, Biertreue, Skattreue und in Weiberuntreue gemacht hat; der sich schließlich nur per Klystierspritze durch die Prüfungen hindurchgefressen hat – durch diese Examina, in welchen von ihm nur formales Wissen, und ein gewisser Sinn für die formale Rechtspraxis, für die Griffe und Kniffe im Handwerk verlangt wird, beileibe aber kein psychologisches Feingefühl; keine souverän über dem Leben stehende, zugleich aber das Leben mit warmer, innerer, künstlerischer Teilnahme umfassende Weltanschauung – es wäre mehr als ungerecht, sage ich, wenn man von einem solchen Individuum beanspruchen wollte, daß es nachher im Amte mehr als ein Formalist, mehr als ein dressierter Paragraphenkletterer wäre! – Aus den mittleren Volksschichten, aus dem kleineren Bürgertum wird ebenso eine ganz stattliche Anzahl junger Menschenexemplare zum juristischen Studium hindurchgedrückt. Diese Herren Söhne, in der Regel von Natur sehr schlau, pfiffig, spitzfindig, intelligent, mit der ganzen versteckten und verstockten Krämergeriebenheit ihrer Eltern ausgestattet: sie werden zumeist Rechtsanwälte – wie oft habe ich es, besonders in Sachsen, von den Lippen eines braven Bürgermannes kommen hören: ›der Junge soll Advokat werden – die verdienen doch das meiste Geld, die Kerls –‹ .. Es ist notorisch, daß sich der ausübende Richterstand zu 75 Prozent aus dem Ausschusse der juristisch Gebildeten rekrutiert – wem es seine bewußten Mittel, zunächst materieller, indessen zuweilen auch geistiger Natur, erlauben, der bemüht sich, in die Diplomatenlaufbahn einzutreten, früher oder später Verwaltungsbeamter zu werden oder – er zieht es unter Umständen sogar vor, es mit der Universitätslehrerkarriere zu versuchen. Und wie viele weiter studieren nur deshalb Jura, weil sie gleichsam schon in der Wiege die Anwartschaft auf einen leitenden Posten im Privatdienst erhalten haben! Bei unseren Privatbankinstituten, Aktiengesellschaften, Versicherungsgesellschaften, Stadtverwaltungen –: es wird ja hier allenthalben nur ›geschoben‹, nach Noten geschoben – und zwar nach denjenigen Noten, in welchen die Musik der kapitalistischen Cliquenprotektion gesetzt ist! Man mag hinkommen, wohin man will: in jedem Provinzialnest ebensogut wie in jeder Residenzstadt findet man einen kleineren oder größeren Hof, ein Industrie- und Beamtenpatriziat – und herum um diesen Mittelpunkt summt und schweift und wedelt ein Riesenschwarm von Erfolgsstrebern und Stellenjägern, die hier um jeden Preis in der einen oder anderen Form ihr ›Glück‹ machen wollen. Allerdings, zur Ehre der juristischen Fakultät sei es gesagt: auch sie weigert sich nicht, einen und zwar einen gar nicht so geringen Beitrag zu jener Legion der modernen ›Unzufriedenen‹ zu stellen, welche – doch davon eben nachher im Zusammenhange mehr.

Aber ich wollte oben psychologische Studententypen zeichnen – und ich bin in die Nesselquartiere der einzelnen Lehrkörper hineingeraten. Der Übergang ist hier, wie allenthalben, ebenso gezwungen wie zwanglos. Wiegt im Leben des Juristen das Moment der äußeren Repräsentanz über, so im Leben des Mediziners das der soliden, einträglichen Praxis. Der Jurist: talmudisch-formal-spekulativ, der Arzt analytisch-exakt. Dort das achselzuckend weltmännisch-philiströse Auftreten der Exekutivgewalt; hier der rauhbeinige Positivismus der einzelnen Tatsache gegenüber. Dort die Diagnose des Pathos, des Ressentiment, im Vergeltungsstile des Plebejers; hier die Diagnose der Brutalität, dressierter, formulierter Bestialismus, dazu eine Unze höhnischer Nasenstüberei: es ist ja doch alles nur Maschine, Handwerk, Präparat – Messeraffäre und toxikologisches Experiment, Palliativphilosophie, Desintegration und Reintegration. – Wer wollte es nicht berücksichtigen: die Medizin ist heute, was exaktes Wissen und Anwendung des Wissens, Anwendung der Methoden usw. betrifft, ein sehr schweres, schwieriges, kompliziertes Studium, es erfordert die angestrengteste, konsequenteste, mannigfaltigste Arbeit – der Stoff schwillt immer mehr an, der Spezialismus wird immer entschiedener, der Staat verlangt eine immer höhere Anzahl von Studiensemestern. Wenn die Herren aus den Laboratorien, Anatomien, Krankenhäusern, Kliniken kommen, so sehnen sie sich, wenn sie gerade nur zwei sind, nach dem bewußten dritten Mann das Herz aus dem Leibe – und wenn sie wirklich drei sind, was sich Gott sei Dank! in der Regel begibt, dann rettet kein Teufel den armen Skat mehr vor dem Gedroschenwerden. Feinere, ein klein wenig edlere Elemente, besuchen öfter Konzert und Theater, natürlich nur um sich zu zerstreuen, sich abzulenken, sich zu erholen. In tieferem Sinne psychische Bedürfnisse sind ihnen total fremd. Wenn sie wirklich noch ein Tröpfchen Idealismus, kosmologischer Schwärmerei von der Schule mitgebracht hatten, so ist das über den Experimentierflammen des Laboratoriums schon im ersten Semester verdampft. Die innere Starrheit, Unbeweglichkeit, Unmündigkeit, Gleichgültigkeit des Mediziners allen geistigen Materien gegenüber, auf welche er nicht unmittelbar durch den pneumatischen Druck seines Fachstudiums hingepreßt wird, sie läßt sich überhaupt nur mit der Borniertheit des Malers und Musikers vergleichen, welche beiden Artistenspezies bekanntlich das abgründigst Klassische in puncto Dummheit und Berufsverranntheit leisten. Man weiß, daß sich ein Lenbach mit seiner Ignoranz noch brüstet! Ein Wagner ist von seinen nächsten ›Kollegen‹, von den ›einfachen‹ Musikern, in seiner Totalität im Grunde niemals begriffen worden! Mit einer unendlichen Verachtung sieht der jüngere Nachwuchs unserer Mediziner und Naturwissenschaftler auf die ältere Generation herab, der sie doch alles: Materie, Methode, Pioniervorarbeit, Bahn, Wegweiser usw., erst verdankt. Nach dem Geschmacke, dem Bedürfnisse dieses mikrozephalen Nachwuchses, der nur die Polizeilisten des Positivismus und das Scheidewasser der Kritik kennt, haftet den Vertretern des älteren Geschlechts noch viel zuviel Ideologie, Synthese, Metaphysik, Weltanschauung, individueller Personalismus an. Wie oft ist es Haeckel, diesem großen Synthetiker, der insofern eine unglückliche Natur ist, als seine ursprünglich sehr starken rein philosophischen Anlagen niemals recht zur Ausbildung gekommen sind – er behilft sich notdürftig mit Spinoza – ich sage: wie oft ist es dem passiert, daß seine eigenen Schüler ihm ›Unwissenschaftlichkeit‹ vorgeworfen! Warum? Eben, weil er seiner Neigung zur Synthese, zur zusammenfassenden Spekulation, zur problematischem Hypothese, zur künstlerischen Gruppierung der Tatsachen und Ergebnisse hier und da nur zu unverhohlen ›gefrönt‹ habe! Ähnlich ist es Wundt ergangen. Man mag über diesen Kathederobelisken im übrigen denken, wie man will: das Zeug zu einem echten und ganzen Philosophen – und ein echter und ganzer Philosoph hat mit dem echten Künstler die Kraft zur Synthese gemeinsam! – fehlt ihm nicht ganz – er ist im Physiker und Psychophysiologen nicht steckengeblieben: er ist bis zum Metaphysiker und neuerdings sogar bis zum konstituierenden Systematiker vorgedrungen, durchgedrungen. Kein Zweifel: den meisten Wissenschaftlern aus der jungen Generation ist ein derartiger breiter Fortentwicklungsprozeß vollkommen unmöglich. Im Gegenteil: sie verengen sich immer mehr – und es ist nicht im geringsten verwunderungswürdig, wenn es solch ein Beobachtungsfex eines Tages für seine Lebensaufgabe erkennt, fortan z. B. nur noch Experimente behufs Fixierung der Unterschiede zwischen den einzelnen molekularen Reaktionszeiten bei so und so intensiven Reizungen der verschiedenen Sinnesnerven anzustellen – die Aufgabe wäre für die Psychophysiologie dazu immerhin noch wertvoll: die Forscherphantasie unserer Medusenschlitzer und Siphonophorenkitzler geht indessen mit noch ganz anderen wissenschaftlichen Problemen und Interessen schwanger! Diese ›Geister‹, diese Fanatiker muß man wirklich einmal unter dem Mikroskope der psychologischen Prüfung zu näheren Entschleierungen und Selbsterklärungen gezwungen haben! Da kommen nette Geständnisse heraus! Da lernt man nette ›Ideale‹ kennen!

Ich unterschätze den wissenschaftlichen Wert derartiger Studien und Bemühungen keineswegs. Ich meine nur, daß dieser Wert ein sehr bedingter, ein sehr formaler ist. Schließlich sind wir Menschen, so sehr wir auch noch in der Gestalt einer feschen Vorliebe für äffentliche Charaktere an unserer planetarischen Vergangenheit hängen, doch nur unsretwegen auf der Welt und nicht der materiellen Objekte halber, welch reichen Anteil diese auch an unserer psychophysiologischen Entwicklung haben mögen ... Ist auch jeder von uns am letzten Ende wieder allein; muß jeder selbst mit sich selber fertig zu werden suchen; gibt es in der Zone des Bewußtseins zwischen zwei Individuen im letzten Grunde keine Verständigung; existieren nur gewisse unbewußte Sympathien – und mag man diese nun à la Mesmer auf Gasinfluenzen oder auf jeweilig gleichartige und gleichstarke Molekularschwingungen oder auf Vibrationen verwandter magnetischer Atmosphären gegründet erklären – es ist egal: die ganze Lebenskomödie besitzt keinen Deut Wert, wenn es unsere Kortikalzentren nicht bis zu dem Grade eines immanenten Selbstlebens bringen, den zu erreichen sie überhaupt fähig sind. Warum aber überhaupt ›immanentes Selbstleben‹? Vor der allerletzten Instanz ist es selbstverständlich höchst gleichgültig, ob einer sein Leben lang Steine klopft oder die Facettenaugen einer höchsten geistigen Zivilisation kombiniert und konstruiert. Indessen, ich weiß wohl: das ist die berüchtigte ›Willkür‹ der ›Romantiker‹. Wenn man heutzutage die p.p. ›Romantiker‹ nur erwähnt, gerät man sofort in die Gefahr, für ›unmodern‹, für ›reaktionär‹ verschrien zu werden. In der Tat war die Autokratie des Ichs ein Hauptcharakteristikum der armen Romantiker. Unser Geschlecht, vorzüglich unsere letzte, unsere junge Generation eben, hat sich von den durch Wissenschaft und Technik entfesselten Objekten total übermannen lassen. Keiner aus unseren Tagen bezieht mehr die Objekte auf sich: Jeder bezieht sich auf die Objekte. Mit vierzig, fünfzig Jahren ist das Lebensprinzip der Kultur ein vollständig anderes geworden: an die Stelle der Intoleranz des Willens früherer Jahrhunderte ist die Toleranz des Intellekts getreten, als deren Werkzeug die Kritik der Intelligenz funktioniert. Geistige Strömungen sind nicht mehr ästhetischer Selbstzweck, sondern nur noch ethische, moralische Mittel. Das Individuum ist sozial erfüllt, also individuell entvölkert. Nach Kräften sucht sich jeder für seine Entwicklung den Mutterboden aus, auf dem seine Arbeit jenen Wert gewinnt, der sich in zeitgemäße Repräsentationsformen umzusetzen vermag. Wir verstehen einfach die Autokratie des romantischen Ichs nicht mehr, nicht mehr seine Selbstherrlichkeit, Selbstsicherheit, seine Selbstgenügsamkeit. Daseinsform ist ja beides: dort der sammelnde, in sich verschließende Kubus, wie hier die plane, divergente, distributive, repräsentative Fläche, natürlich. Notwendiges Produkt, Produkt einer langen, kausalen Entwicklung, ist ja auch beides, versteht sich. Es ist mehr, im Grunde aber auch weniger oder gerade nur so viel wie ein ›Symbol‹, das Bewußtsein immer nur bei einer molekularen Zersetzung, Verbrennung, bei der Auslösung einer höheren Wärmepotenz auftritt. Es ist gleichgültig, auf welche Weise ein Individuum in die Sphären seines zweiten Unbewußtseins eintritt, auf welche Weise es also von sich ›erlöst‹ wird – sofern dieses Erlöstwerden nur rein, den Grundtendenzen des Individuums entsprechend, geschieht. Alles ist singulare Anpassung, Anpassung an die Verhältnisse, an die Zeit. –

Es liegt nicht in meiner Absicht, hier eine Fakultät nach der anderen der deutschen Universität oder Akademie durchzugehen – oder gar Vergleiche mit ausländischen Einrichtungen und Zuständen dieser Gattung anzustellen. Prinzipiell kommt wenig Neues noch heraus. Allenthalben derselbe trostlose Formalismus, dieselbe Äußerlichkeitsfexerei, derselbe Wissenspedantismus, dasselbe Plebejertum. Ich sehe eben in dem ›objektiven, neutralen Streben‹ unserer jungen Generation, von dem man immer so viel Aufhebens macht, durchaus nichts Besonderes. Das ist ja alles nur rüde, mehr oder weniger stumpfsinnige Erarbeiterei. Ja gewiß! ›gearbeitet‹, ›geschanzt‹ und ›geschuftet‹ wird allenthalben außerordentlich, mag man nun die technischen oder die exakten oder die humanistischen Wissenschaften heranziehen. Wer die Lehrpläne kennt, welche z. B. unsere werdenden Ingenieure, Architekten, Maschinentechniker zu erfüllen haben, weiß, wie groß, wie breit und vielartig, wie schwierig in einzelnen Teilen der Stoff ist, der hier bewältigt werden muß – bewältigt werden muß, wenn vorerst die Prüfungen bestanden werden sollen – und wenn nachher die große Konkurrenz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkte wenigstens einigermaßen zu eigenem Vorteil und Gedeihen paralysiert werden soll... Und unsere Techniker sind in rebus academicis atque musicis noch nicht einmal die gleichgültigsten und bedürfnislosesten. Vorwiegend mathematisch angelegte Charaktere haben eine starke, natürliche Vorliebe, ein instinktives Verständnis für Musik – und hier wird die Musik in der Tat sehr oft erweiternde Erholungsspenderin, idealisierende Trösterin, hier wird sie die Kraft, welche die engen Hülsen der Berufs- und Fachinteressen liebevoll auseinanderspaltet und die Teile in das kosmische Sonnenlicht einer Sub-specie-aeterni-Betrachtung legt. Mathematik und Musik bedingen sich gegenseitig sehr oft in einem Individuum, wie sich, um Anwohnendes kurz mitzustreifen, andererseits schöpferische Anlage für Wortkunst und für Musik in der Regel gegenseitig ausschließen. Man findet nirgends soviel Gleichgültigkeit gegen die Musik wie unter den Lyrikern, zumal unter denjenigen, welche im Grandseigneurstil der schwierigsten und verwickeltsten Rhythmik ›arbeiten‹, um nicht aus dem Artistenjargon zu fallen. – Gewöhnlich glaubt man: die Mitbewerberschaft auf dem literarischen Gebiete sei heute die größte, gewissenloseste, rücksichtsloseste, grausamste, furchtbarste – es ist auch gar kein Grund vorhanden, an ihrer Verwegenheit und Verwogenheit, ihrer Niedertracht und Gemeinheit, ihrer Intriganz und Verleumdungsvöllerei zu zweifeln. Näher beschäftigt sich mit diesem delikaten Gegenstande ein Aufsatz meines Buches ›Ein Kandidat der Zukunft‹ unter dem Titel ›Produktion und Kritik‹, ebenso in verschiedenen Abschnitten (›Literatur und Volk‹ usw.) meine Schrift ›Auf der Schwelle‹. Indessen habe ich mich überzeugt, daß es hinsichtlich des ôte-toi que je m'y mette-Prinzips bei den Malern und Musikern, bei den Schauspielern, Technikern in gewissem Sinne noch ärger zugeht. Hier vollziehen sich die Rivalitätsreibungen in viel bestimmter abgeschlossenen und ausgedrückten Berufsgemeinschaften und Koterienabgesondertheiten: sie sind infolgedessen einseitiger, mithin intensiver, vernichtender, jedenfalls entscheidender, empfindlicher. Unser literarisches Leben ist bei weitem zu aufgeregt und unruhig, zu tumultuarisch und vielseitig, zu zerstückt und aufgedröselt, als daß es nicht manche Mine, und sollte sie noch so sauber und gewissenhaft vorbereitet sein, an einem bestimmten Punkte gerade dann aufflöge, wenn dieser Punkt – soeben verlassen, soeben geräumt ist. – Sodann unsere Philologen, insbesondere unsere ›klassischen‹ Philologen –: ich erwähne sogleich, daß ich die ›Germanisten‹ als die geborenen Feinde der Literatur, speziell der jeweiligen zeitgenössischen Literatur – die Herren frönen in der Regel nur der Poussade ihrer Geschmackswarzen, welche auf paläontologisch-archäologische Museumsgelüste abgerichtet sind! – daß ich diese Sippschaft also beinahe noch mehr ins Herz geschlossen habe, als die Philologen von strikt klassischer Observanz selber! Und das will doch sehr viel heißen! Der Germanist hat gewiß auch eine Art von Animus für die Literatur, ich meine: für die Literatur als synthetisches Ganze. Als Gymnasiast hat er gewöhnlich steif und fest daran geglaubt, dermaleinst item dichterischen Lorbeericht en masse einheimsen zu dürfen. Er hat sehr viel gelesen, vieles behalten: das meiste wörtlich, er zitiert sehr gern – aber also pflegen es alle diejenigen zu halten, deren eigenes spontan-beweglich-bewegtes Assoziationsvermögen sehr defekt und hektisch ist. Die haben's dann leicht, wörtlich wiederzukäuen. Nachher auf der Universität studiert der Jüngling vor allem Literaturgeschichte, und wird außerdem ein sehr mundartiges Wesen, kapselt sich tapfer in Wolfgang Goethesches Poetenfleisch ein: Goethe fand ja auch in seinen verkühlteren Herbsttagen alles äußerst ›artig‹, ›sinnig‹, ›anmutig‹! Mit der eigenen dichterischen Produktionskraft ist es doch nicht so weit her, verspürt mit der Zeit immer deutlicher das immer ›germanistischer‹, d. h. prähistorisch-analytisch-kritisch denken lernende Menschenkind: flugs wird die Bestie boshaft, ediert irgendeine mit Recht vergessene Schmieralie aus dem fünfzehnten oder siebzehnten Jahrhundert und benimmt sich der zeitgenössischen Literatur gegenüber, die sich naturgemäß in Taten, Werken und Leistungen auseinandersetzt, so rüpelhaft und anstandslos, als säße sie auf ihrem Klosett und lauschte auf die Katastrophenmusik ihrer Entleibungen – als wäre sie gänzlich ›unter sich‹ – wobei sie noch vollständig vergißt, daß es doch sehr zweifelhaft ist, ob es überhaupt Zeiten gibt, wo sie auf sich oder gar über sich wäre! ... Der Germanist von Beruf, Fach und Stuhl – ich meine jetzt: Lehrstuhl, nicht: Nachtstuhl – er ist in der Mehrzahl der Fälle immer einmal poetischer Dilettant gewesen, sehr oft ist er es geblieben – da er sich indessen unsterblich blamieren würde, wagte er sich mit seinen Albernheiten heraus, schöbe er, der Frechling, sie ans helle Licht der Sonne – oft genug tut er das ja wirklich: wir haben eine immerhin nicht unansehnliche Oberlehrer-Poesie in Deutschland, die ich schon längst einmal, z. B. von den grünen, halboffiziösen ›Grenzboten‹, liebevoll gewürdigt gesehen hätte! – so, sage ich, fahre ich fort, behält er sie zumeist in der Truhe – und rächt sich für seine gebrochene Versetztheit, für seine staatlich diplomierte Impotenz dadurch, daß er als kritisierender Wüterich, als fauchendes Stinktier in den Zeitungen, Zeitschriften und Fachblättern herumhalunkt... Wahrhaftig! eher wird es nicht besser, eher wird die Luft nicht reiner in unserem teuren Germanien, solange man nicht einen nach dem anderen aller dieser Lumpe und Schufte mit ihrem Eunuchengehirn und der dressierten Spalierwelt ihrer tauben, unfruchtbaren Gefühle niederschießen darf, wann und wo man will, wann und wo man ihn findet! Keiner von den Kerlen kann auch nur das Geringste positiv leisten – aber sie alle haben die eklektische Selektionsinstinkte des Plebejers; sie alle haben sich sehr viel angelesen und anempfunden; sie alle sind als Familienväter und Stammtischabrundler die nützlichsten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, die man sich denken kann; sie alle haben durch Reisen und Studien jeder Art ihren ›Geschmack sorgfältig ausgebildet‹; sie alle haben sich, wie gesagt, also auch produktiv mannigfach versucht – sie alle leben in der Regel dem Glauben, daß nur ›ungünstige Verhältnisse‹ sie davor bewahrt, pardon! sie also daran gehindert haben: große Dichter zu werden – ergo kann ihnen keine Gewalt der Erde das Recht absprechen, in rebus criticis atque ästheticis die Maultrommel ganz gehörig voll zu nehmen ... Ich wiederhole es: der Germanist von heute mit seinen Verzückungskrämpfen für deutsche Mythologie, mit seiner – gegenüber den ungeheuren Problemen der Zeit! – kleinen, unbedeutenden, nebensächlichen Sprachreinigungsfexerei; mit seinen Schulreform-Techtelmechtelchen: Damit man mich nicht mißverstehe: ich selbst gehöre als Mitglied dem ›Verein für Schulreform‹ (Vorstand: Krumm, Lange, Peters, Reinstorff) an, trete also für die Erreichung der sogen. ›Einheitsschule‹ mit späterer Gabelung ein. Indessen wird meines Bedünkens damit zunächst nur etwas rein Formales erstrebt – ob die neue Form auch einen neuen Geist empfängt, das hängt von Bedingungen ab, deren Erfüllung ganz anderen Zukunftsmächten überlassen werden muß. er ist der geborene Feind der in sich schöpferischen, sich fortentwickelnden Literatur. Der unselige Wilhelm Scherer sel. – was für Unheil hat der Mann angerichtet; wie vielen Hunderten aus der jungen Generation hat der Mann sein lobesames ›Über allen Zipfelmützen ist Ruh'!‹ – (nach Goethe nämlich!) – eingeblasen! Ich halte Scherer geradezu für ein Nationalunglück – ja! welcher Undank, sintemalen ich selbst auch einmal zu den Füßen dieses ›Meisters‹ gesessen! Leider habe ich nur an zu vielen seinen verderblichen Einfluß persönlich beobachten können! Schon dafür, daß er, der selbstschöpferisch absolut unfähige limonadenlau nachempfindende Knirps – de mortuo nihil nisi verum – im 2. Band seiner Literaturgeschichte Grabbe gelegentlich ›töricht‹ nennt – schon dafür hätte er ein exemplarisches Gesteinigtwerden verdient! Scherer – Grabbe! Wo in aller Welt nehmen die Kerle nur den Mut zu ihren Frechheiten her? Bereits dieses eine Moment genügt, um in den Augen des Wissenden alle etwaigen sonstigen Vorzüge und Lichtseiten des Mannes, seiner Bücher, seiner Methoden usw., aufzuheben. Ja, ja: das ist der gewöhnliche Weg: erst Kluge, König, Vilmar – nachher Scherer und Julian Schmidt – Hettner und Gervinus sind schon nicht mehr ganz korrekt, sind schon ein wenig bedenklich, fleckig und anrüchig ... Wieder einmal eine Quintessenz der Zeit: diesmal die Quintessenz der dogmatisch-moralisch-germanistisch-plebejischen Literaturbildung, welche in die Poren unserer jungen Generation eingeschmiert wird. Apropos Kluge! Diese ›Geschichte der deutschen Literatur von Dr. Hermann Kluge, Professor am Gymnasium in Altenburg‹ ist in Tausenden von Exemplaren an allen unseren höheren Unterrichtsanstalten, zumal in Mitteldeutschland, verbreitet. Dieser Mensch, dieser Herr Professor Dr. Kluge, wagt es, für einen Schriftsteller wie – Gutzkow, in dem sich also einer der ersten Entwicklungsmotoren des geistigen Lebens in Deutschland im 19. Jahrhundert darstellt, in seinem Buche drei und eine halbe Zeile – und drei und eine halbe Zeile Anmerkung übrig zu haben!! Allerdings, da bekommt man Lust, in die kataleptischen Gefilde der Hypnose überzusiedeln! Der einer solchen Blasphemie fähig, verdiente doch wahrlich, in Folio ausgepeitscht und gelyncht zu werden! Wundert man sich nun noch, daß unsere junge Generation, welcher mit der Klugeschen Magenpumpe das letzte Körnchen instinktiven literarhistorischen Interesses ausgesogen ist, so gut wie gar keine tiefere, verinnerlichte Teilnahme, so gut wie gar kein produktives Verständnis für Schrifttum, Kunst, Philosophie mehr besitzt! Es ekelt einen an, noch ein Wort daran und darüber zu verlieren. Brachland, Schmachland! –

Der Philologe, mag er nun von asiatischen, antiken oder modernen Sprachgelüsten besessen sein; mag er es nun mit der Phonetik, mit der Linguistik halten, oder zieht er es lieber vor, an der Stange der ›eigentlichen‹ Philologie zu bleiben: er gibt immer den Grundstock zu den wissenschaftlichen Vereinigungen und Gesellschaften ab, so da an unseren Hochschulen leben, blühen und gedeihen. In selteneren Fällen nur wird er Couleurstudent. Der Stud. phil. entstammt gewöhnlich dem kleineren, mittleren Bürgertum – Krämer, die es zu einem bißchen Hab und Gut gebracht haben; Subalternbeamte, Handwerker, die für das Embonpoint des ›Fabrikant‹ Stimmung und Anlage besitzen: sie lassen ihre Söhne mit Vorliebe Philologie studieren – sie sind, behaglich schmunzelnd, kolossal damit einverstanden, wenn ihre Sprößlinge nachher gar in der lieben Heimatstadt das mächtige Magisterschwert schwingen ... Diese Philologiebeflissenen sind bis obenan mit jenem ordinär-teilnehmend-achselzuckenden Geiste der III. Wagenklasse erfüllt; mit jenem kritischen Servilismus, der für das ›praktische‹ Leben eben so außerordentlich praktisch ist, und darum für unsere mittleren Volksschichten die produktive Substanz ihrer Atmosphäre abgibt. Der Student der Philologie ist, als Typus gefaßt, ein zaghaltes, furchtsames, gedrücktes, verquältes, überhökertes, leise und befangen auftretendes Individuum; gewöhnlich von Natur namenlos plebejisch; ohne den geringsten Sinn für individuelle Ästhetik, immer mit den Gerüchen der väterlichen Werkstatt oder des väterlichen Käseladens behaftet; ohne jede natürliche Anlage zum Weltmann: will er sich dazu ausbilden, wird er zumeist eine Karikatur, die sich aus ungefähr einander gleichgroßen Philister-, Idioten- und ins Boshafte verbogenen Eunuchensegmenten zusammenkreist. Auf der Schule ist der spätere Stud. phil. gewöhnlich der mittelmäßig Begabte, leidlich Fleißige, in korrekten Durchschnittsleistungen Arbeitende gewesen. Er ›schwänzt‹ niemals ein Kolleg, führt sehr sauber und gewissenhaft seine Hefte und vergißt niemals in sein Abendgebet die Bitte mit einzuschließen, daß ihn Gott der Allmächtige um Himmels willen nicht durch das Staatsexamen fallen lassen möge! Der Student der Philologie ist gewöhnlich sehr borniert und allem unzugänglich, was außerhalb der Marken seines Berufs, seines Fachstudiums liegt. Er ist zahm, nicht gezähmt, immer etwas verwittert und ruinös. Er hat einen Stich ins geistig Hysterische und spricht sehr gern, stottert auch bisweilen mit einiger Vorliebe. Manchmal spielt er ein wenig den Skeptiker, aber sein apriorer, doktrinärer Schulmeisterinstinkt bewahrt ihn doch vor allen gewagten Folgerungen, die zu zweifelhaften Folgen führen können. Gewiß ist auch der moralische Nihilismus ein Vorurteil, eine Beschränktheit, oft vielleicht sogar eine Sprungfederschwäche, öfter zweifellos aber eine Kraft, zum Kristall zusammengeschlossener Mut und die beste Garantie für eine ethische Tat! Denn Nihilismus ist Erkenntnis: gleichsam die Atmosphäre, von der mein Verhältnis zu meinen Mitmenschen umgeben ist... – Wenn es wahr ist, daß der Farbensinn das Tastgefühl der Phantasie ist, so besitzt der Philologe aber auch gar keine Phantasie, denn Farben sieht er nicht, apperzipiert er nicht. Die Weiße des Papiers und die Schwärze des Druckes haben ihn nur noch für graue Farbempfindungen empfänglich gemacht, wenn ich mich einmal in puncto Farbe ›objektiv‹ ausdrücken darf ... À la Jonas hält er sich gern in großen Walfischmägen auf, ich meine: in Bibliotheken, wo er sich an zünftiger Textkritik zu Tode labt. Er ist nicht ganz ohne Idealismus; aber dieser Idealismus hat so gar nichts Schöpferisches, Impulsives, Experimentierendes, eher etwas Konservierendes, Einhaltendes, ins Philisterium hinein Streichelndes Einbalsamierendes. In den philologischen Vereinen und Gesellschaften – so eine Art von Privatseminarien – geht es außerordentlich solid und korrekt zu. Darum ist aber hier auch alles, Materie und Methode, dämonisch kleinlich, insipid, langweilig und nüchtern bis zum Erbrechen, krümelig und krümelnd bis zum Grotesken, bis dahin sogar, wo das Groteske in die Perspektive an sich, nämlich ins Erhabene, übergeht. Ich erwähne Danebenwohnendes sogleich: Philosophische, literarische, national-ökonomische Gesellschaften und Vereinigungen an unseren Hochschulen werden von Seiten der Universitätsbehörden allenthalben mit Mißtrauen betrachtet – hier spielt der Herr Universitätsrichter sehr gern den Monsieur Chikaneder ... Man fürchtet ›sozialistische Umtriebe‹. Als ob sich z. B. die Herren Juristen, die doch der Mehrzahl nach stockkonservativ sind, nicht viel weidlicher auf sehr ›sozialen‹ Pfaden herumtrieben! Und erst die Mediziner, die so proper, schon von der Anatomie her, unter allem vaginösen Gekräuch und Gesträuch Bescheid wissen! ›Vagari‹ aber bedeutet eben ›schweifen‹, manchmal allerdings auch schweifwedeln oder – – –, wie es im Argot der Zunft heißt. Als ob ferner philosophische, literarische Gesellschaften nicht schon per se ipsum auf verlorenem Posten stünden in unserem lieben Deutschland! Die meisten klappen sehr bald, nachdem sie ›sich aufgetan‹, ihre Bude schleunigst wieder zu. Wo sich derartige Vereinigungen halten, geschieht das nur durch die Teilnahme von Ausländern und von – Juden. Böten sich diese ersetzenden Elemente nicht immer wieder, dann wäre z.B. der ›Akademisch-philosophische Verein‹ in Leipzig, sonst ein ganz passables und immerhin ernst zu nehmendes Wesen, nicht minder schon längst futschikato – und Herr Moritz Wirth, bekannt als Tristan-und Isolden-Numismatiker, im engeren Sinne die alte Achse, bitte nicht zu lesen: alte Hexe, des Vereins, würde sich höchst vergeblich wirthsen, also würzen, will sagen: schmieren – eben als Achse ... Doch, ich schließe die Parenthese –: der Philologe von heute ist kraft seiner kleinen Herkunft und seiner unbewegten Vergangenheit der markanteste Typus des modernen geistigen Plebejertums. Eine Idee interessanter wird diese Menschenspezies noch dadurch, daß sie gewisser ästhetischer Fermente nicht ganz entbehrt – sie hat sogar einen kleinen Tik für das Philiströs- Idyllische – sie putzt ihre unfruchtbare, viereckige Enggeistigkeit gern mit frommen, bescheidenen Behaglichkeitsreizen aus: sie ist nicht vollständig ohne kontemplative Instinkte – und das gibt ihr mehr etwas Passiv-Kritisches, gegenüber dem Aktiv-Kritischen, welches die modernen Juristen, Mediziner, Naturwissenschaftler, Techniker kernzeichnet. – In gewissem Sinne verwandt mit der Durchschnittsnatur des Philologen ist eine Menschensorte, die es gewöhnlich auch bis zum Abiturientenexamen bringt, sodann aber, zumeist von materiellen Gründen dazu gezwungen, in das höhere Post- oder Steuerfach abbiegt, stellenweise auch in den Buchhandel eintritt – wenn es auch Regel ist, daß die Adepten, welche der Buchhandel wirbt und erwirbt, schon von der Sekunda abgehen, wie es sich denn ebenso bei den Pharmazeuten zu begeben pflegt. Sehr, sehr oft flüchtet sich solch ein besonders ehrenwerter ›junger Mann‹ von den Folterbänken der Schule, wo er sich nicht zu Tode malträtieren lassen will; wo er von der Furcht und Angst gepeitscht wird, daß ihm der öde, verlarvte, mit einer zermalmenden Regelmäßigkeit, mit einer brutalen Lieblosigkeit verabreichte Formelkram das letzte Fünkchen eines instinktiven höheren geistigen Interesses ersticken wird – flüchtet er sich von hier, sage ich, in die Arme des Buchhandels, von der Hoffnung befangen, nunmehr eine saftigere, vollere Speisung, eine leichtere, bequemere Pflege seiner Neigungen zu finden. Indessen, der Buchhandel ist ein Geschäft wie jedes andere, noch dazu bei den heutigen materiellen und geistigen Verhältnissen in Deutschland eines der schwierigsten und krisenhaltigsten Geschäfte, die es gibt. Ein weiteres: kein Mensch in Mittelgermanien interessiert sich weniger für literarische Ereignisse, für Bewegungen und Strömungen, für Prozesse und Ergebnisse auf geistigem Gebiete, als der deutsche Buchhändler, mag er nun Sortimenter oder Verleger sein. Der junge Eleve wird denn auch sehr bald ernüchtert und abgekühlt, einige Zeit läßt er vielleicht den Kopf hängen – beinahe sehnt er sich nach der Schule zurück – ein und das andere Mal tut er wirklich den Schritt und kehrt, ein Getäuschter, Halbgebrochener, ein Verzweifelnder, in die Seelenquarantäne des Katheders heim, – gewöhnlich aber paktiert er mit den geschäftlichen Gepflogenheiten und ›Usancen‹ des Buchhandels – und binnen vier Wochen ist es ihm verdammt schnuppe, ob er Paul Heyses ›Kinder der Welt‹ verkauft, oder ein Pfund Kaviar, – womit ich übrigens nicht angeschielt haben will, daß Heyses harmloses Buch etwa ›Kaviar fürs Volk‹ wäre. Nun, wenn die Wandlung vollzogen, ist der geheilte Biederjüngling ganz ebenso gleichgültig gegen Literatur und geistiges Leben, wie es sein verehrter, hochmögender Herr Chef ist. Es ist mir von einer Seite, welche die Erfahrung selbst gemacht hat und hierin vollständig glaubwürdig ist, mitgeteilt, daß der erste beste Arbeiter-Fachverein, Arbeiter-Fortbildungsverein größeres Interesse und instinktiveres Verständnis besitzt für die neueren Strömungen, von welchen unsere Literatur bewegt, von welchen die sich verjüngenden Literaturen aller europäischen Kulturländer bewegt werden, als ein Verein von Buchhandlungsgehilfen – von Leuten also, denen die Dokumente des gesamten vergangenen und gegenwärtigen Geisteslebens doch aus erster Hand zur Verfügung stehen. Proste Mahlzeit! Was Art und Gattung seiner seelischen Bedürfnisse; was den Ausdruck seiner Beziehungen zu den wirklich maßgebenden und kennzeichnenden Wertkriterien der Zeit angeht, so ist der Buchhandlungsgehilfe um kein Haar besser, um keine Nuance anders, denn der erste beste Handlungskommis, ob er nun in Seide, Zigarren oder in Posamenten macht. Ja! Der moderne Kommis! Unsere jungen Kaufleute! Der moderne Kommis als Typus! Von der Vogelperspektive aus betrachtet, wäre er ja nur ein äußerst ergötzliches Menschenkind, eine rein komische Figur. Indessen, diese Komik hat in sozialer Hinsicht ihre sehr bedenklichen Qualitäten. Der Leutnant, der Korpsstudent, der Kommis: sie stellen den offiziellen Promenadenflaneurtypus der modernen Kultur dar – ich hoffe, man versteht dieses Enthymem. Innen von gleicher massiver, gleicher kubisch überzeugender und hermetisch ausfüllender Hohlheit, vertreten sie offiziell nach außen, repräsentieren sie offiziell die Form, die Hülse, die Tünche, das Deckblatt an sich der Erscheinung, das Deckblatt als Selbstzweck – stellen sie das beziehungslose, selbstherrliche Formalprinzip unserer Zeit aus! Unsere jungen Kaufleute, Lehrlinge wie Kommis, in allen Branchen in der Überzahl vorhanden, zu Tausenden stellungslos und brotlos – man prüfe auf diesen Umstand hin nur einmal die Verhältnisse in Berlin, Leipzig, Magdeburg, Hamburg: die statistischen Ergebnisse sind grauenhaft! – diejenigen natürlich unter ihnen, will ich sagen, die irgendwo festsitzen, lassen es sich wohl oder übel gefallen, daß sie miserabel bezahlt werden; daß sie in dunklen, dumpfen, feuchten Hinterhaushöhlen ihre Tage hinsklaven und verrechnen, oder als Schacherer und Scharrer, als geriebene Niederkonkurrierungsbeflissene jahraus jahrein auf der Landstraße, auf der Eisenbahn liegen müssen. Diese Leute, die immer zu anderen gehen, kommen natürlich niemals zu sich selber, sie existieren eigentlich gar nicht, ich meine eben: für sich. Sie leben in einem breiteren, tieferen Sinne nur abends, nachts, an Sonn- und Feiertagen. Das heißt: dann amüsieren sie sich, sie versuchen es wenigstens. Dann lassen sie sich von ihrer Stutzer- und Gecken-Toilette ausführen, wie der Korps-Student von seiner Dogge, wie der Leutnant von seinen Sporen, dann besuchen sie die Operette, den Tingeltangel, das Bordell, dann lesen sie den Dekamerone und Casanovas Memoiren, dann sammeln sie für ihre Brieftasche sehr eindeutige Photogramme und vervollständigen nach Kräften ihre ebenso eindeutigen Anekdotenkalender. Der Kommis, ist er nun sitzender oder mehr fahrender Kastengeist, führt sich auch gern als Sportsmann auf: er rudert, turnt und äschert sich zu Tode in hellen Sommernächten auf seinem dressierten Glühwurm, dem Bicycle. Er tritt forsch, patent auf und hält viel auf grellfarbene Krawatten und rote Glacés. Der Student, der Offizier sind in jeder Beziehung seine Ideale – seine dritte Dimension borgt er sich immer von seinem ›Nächsten‹, ohne dessen Auge und Tastsinn er nicht gut leben kann. Er politistiert auch sehr gern, unser Kommis, und hat als Politiker entschieden Vorliebe für das Extreme, Radikale, mindestens für das Liberale – er gibt zu verstehen, daß er 'nicht mit sich spaßen ließe, wenn etwa – –! Er erinnert sich, daß sein Vater auch liberal war, liberal ist – unser Kleinbürger, unsere Subalternbeamten sind ja alle mehr oder weniger ›ausgesprochen‹, ich meine: in der Regel sehr – verschwiegen liberal, aber sie sind es doch: zu Hause, am Stammtisch, im Traume – nichtsdestoweniger halten sie es für ihre Pflicht, tüchtig für Rekruten und Untertanen zu sorgen – bei anderer Gelegenheit... Bei wieder anderer Gelegenheit: im Amte, vor der Wahlurne, da sind sie hochkonservativ, bisweilen leider auch nur ›nationalliberal‹ ... Die politische Kritik ist in diesen mündig gewordenen Tagen für Millionen der Fächer, mit welchen sie sich den Schweiß verscheuchen, den sie sich im engen Joche ihres ›Berufes‹ ermüht, erstöhnt... Das Punctum feminae wird für den Kommis fast vollständig zum Punctum sexus, er ist Zyniker von Natur, er hat bei den Weibern immer Erfolge, sehr oft de facto, bisweilen leider nur in der Einbildung ... Ironie kennt er so gut wie gar nicht, nur Roheit, Tolpatschigkeit, eine Pfiffigkeit, die von hinten kommt und über die Schulter sieht... Er ist fast ganz Augen- und Ohrenmensch und jeden Augenblick bereit, jemanden auf eine Bestellung zu fordern ... Er ulkt und uzt sehr gern, natürlich in der geschmacklosesten Manier von der Welt, ist immer eine Idee mißtrauisch, wird aber in der Regel aufdringlich wohlwollend und ergeben, wenn er sieht, daß man ihn wenigstens nicht ganz für Luft hält, nicht ganz als Luft behandelt. Er wird gern vertraulich und ist ohne die geringste Delikatesse der Diskretion. Er pilzt sich mit Behagen zum korpulenten Fettklecks auf und kokettiert sein Leben lang – denn der Kommis bleibt Kommis, und sollte er später noch zehntausendmal ›selbständiger Chef‹ werden! – sehr aufrichtig mit Schlafrock, Zipfelmütze und Intelligenzblatt. Ist der Philologe der Plebejer der Phantasie; der Jurist der der Psychologie; der Mediziner der der Synthese; der Militär der des Geschmacks, so ist der Kommis der Plebejer des Tastgefühls, wofür man hier, und nicht nur mit einem dem Geiste der Sprache entnommenen Rechte, auch Taktgefühl setzen darf. – Der Kommis ist der dankbarste Schüler Baedekers – man unterschätze die Verdienste gar nicht, welche sich Baedeker um die militärische, bureaukratische Erziehung des deutschen Volkes erworben hat –: er ist der geistige Milchbruder jedes knutenwütigen Unteroffiziers ... Auf seinen, auf Baedekers Stern gibt der Hotelier, der mitten in die unbefleckteste Natur hinein einen Schmarren verrückter Kultur kakiert hat, um mit Bürger zu sprechen, Gott sei's geklagt! mehr als auf den, der ihm eventuell von ›seinem‹ König kommen könnte ... Das ganze deutsche Volk leide scheußlich an der Baedekerastie, behauptete neulich einmal, anzüglich genug, ein sonntagsjägernder Witzbold, Wortwitzbold ... Nein, Scherz beiseite: Baedeker bedeutet in der Tat mit dem kritischen Unfehlbarkeitslakonismus seiner Reisemanuels einen für die Geschmacksdressur der Massen viel bedeutsameren, im Laufe der Jahrzehnte viel einflußreicher gewordenen Kulturfaktor, als bis jetzt eingesehen zu sein, als bis jetzt angenommen zu werden scheint. Und darum ist er dem abgefeimten Kladdepedanten, dem Kommis, ein so lieber und getreuer Herzenskamerad. Baedeker, der Commis voyageur von heute und der Kunstgeschmack des Publikums als Dritter im Bunde: das wäre ein Thema für ein wirklich ›modernes‹ Feuilleton – ich ›schenke‹ es dem, der es an dieser Stelle zuerst findet, mit Vergnügen, großmütig wie Berthold Auerbach, der nach Karl Bleibtreus Erzählung stets zu sagen pflegte, wenn er zur Siestastunde in der Fauteuilräkellaune war und die Mücken ›selbsterfundener‹ Anekdoten mit dem gelbseidnen Taschentuche einer edlen Resignation von sich abwedelte –: ›ich schenke sie Ihnen – –‹ Nicht wahr? solch ein moderner Hotelier ist ein scheußlicher, entsetzlicher Mensch. Wie eine Bordellmutter kommt sie mir immer vor, diese armselige Menschenkarikatur mit ihrer schleimig devoten Hochnäsigkeit, sie, die sich vor jedem bäuchlings aufzuführen hat, der sich mit dem ›geschäftsführenden‹ Oberkellner ohne die unfreiwillige Einmischung Dritter auseinanderzusetzen vermag ... Der Kellner unserer Zeit, zumal der Kellner während der Reise- und Badezeit, dieser Herr, der ebensosehr anführender Küchenkaplan ist, wie abführender Fremdeninterviewer – wäre er nicht vielleicht auch ein moderner Typus? Bei mir wohnen sie dicht nebeneinander, in meinem Kategoriengefüge, die beiden, das Par nobile fratrum: ›der Kellner, die Meretrix masculina, die Togata masculina, und der Clown ...‹ Das Volk ist souverän geworden: es erzieht sich seine Clowns – oh! ich halte z. B. auch Herrn Trojan für einen Clown, den ganzen ›Kladderadatsch‹ halte ich für ein großes Clownnest – und eine ganze Reihe ähnlicher Familienblätter und Familienblatt-Redakteure dito dazu ... Welch ein Kulturträger ist nicht die ›Gartenlaube‹ einmal gewesen! Und heute? Da macht sie in Text und Illustration ein köstlich Kunststück nach dem anderen vor dem verehrten Publikum! Sollten denn alle Träume der Väter schon erfüllt sein –? Unsere gesamte Familienjournal-Sippschaft ist ein großer, nur in den rohesten Produktionen arbeitenden Zirkus – ein Clownpädagogium für Hunderttausende von Lesern, die darauf reinfallen, überdies! –

Bleibt in der Hauptsache noch der moderne Theologe, der der Gottesgelahrtheit Beflissene, insofern er typische Merk- und Darstellungspunkte besitzt. Ich kann hier zunächst nur von den Protestanten sprechen. In der katholischen Geistlichkeit trennen sich die beiden Elemente: der konstituierende, diplomatisch-leitende, behandelnde, entwerfende, ausführende, den höchsten und letzten politisch-ideellen Zweck nie aus den Augen verlierende Weltmann – und der dienende, ausführende Plebejer, der kritiklose Monstranzsklave, viel schärfer und entschiedener. Die protestantische Geistlichkeit ist, ganz dem Geiste des Protestantismus entsprechend, verwischter, differenzierter, nivellierter. Der evangelische Student der Theologie unterscheidet sich kaum durch besonders charakteristische Momente von dem Philologen. Er entstammt wie dieser zumeist ebenfalls kleinen, ärmlichen Verhältnissen, er hat sich dito durch das Gymnasium mehr oder weniger liebevoll hindurchmaßregeln lassen. Auf der Universität lebt er sehr solid und exklusiv – haut er einmal über den Strang, ausnahmsweise oder um die Sprungfedern seines Sichaustobenmüssens schnellen zu lassen, dann entbehren seine Extravaganzen öfter nicht einer gewissen originellen Kühnheit, nicht einer naiv-idiotischen Genialität. Zuweilen ist er eine stark mathematische Natur, die das Zählen und Nachrechnen famos versteht und in ihrem langfingrigen Pedantismus so weit geht, daß sie sich nicht im geringsten darüber unklar ist, warum sie sich gerade der Theologie in die schwarzbehaarten Arme geworfen ... Das Studium der Theologie ist für sehr viele Menschenkinder ein programmatischer Ziegenbock, der schon vor ihren ersten Kinderwagen gespannt wird ... Natürlich ist e; für ebenso viele, wenn nicht noch mehr, eine Zuflucht, ein Refugium impotentiae animi ...

Diese Beflissenen haben mit dem Durchschnittsphilologen den gedrückten, verschüchterten, spröden, hilflos-unbeholfenen, befangenen, ratlosen Zug ihrer Natur gemeinsam. Indessen, noch zwei typische Charaktere sind unter den Studenten der Gottesgelahrtheit scharf ausgeprägt vertreten – es ist dies ein Familienzeichen der protestantischen Theologenwelt, welches ein Jahrhundert dem anderen vererbt hat. Gewiß ist das deutsche Pfarrhaus eine der ersten Keimzellen der deutschen Kultur gewesen –: eine große Anzahl von Männern, die von ›führender‹ Bedeutung, besser: von tragender, darstellender, konstituierender Bedeutung für unser Geistesleben geworden sind, waren Pastorensöhne, sind es heutzutage noch ... Es liegt ein köstliches, unwiderstehliches Aroma von Poesie, ein keuscher, versöhnlicher Duft von Idyllik über vielen unserer stillen, weltabgeschiedenen, in die Einsamkeit der Berge und Täler oder in die plane, versteckte Deutlichkeit und Nahbarkeit der Ebene, der Heide hinein verschollenen Landpfarrhäusern mit ihren verschwiegenen Gärten, mit ihren kühlen, hellen, einfachen, prunklosen, bestimmten, sicheren Zimmern, mit ihren dämmernden Kammern, welche von entzückenden, zärtlichen Heimlichkeiten so voll sind ... Noch heute exportieren diese Pfarrhäuser einen stattlichen Beitrag zu dem jungen Nachwuchse, der Theologie studiert ... Das sind denn also vorwiegend idyllische, ästhetische, auf Einsamkeit und kontemplative Behaglichkeit gestimmte Naturen, deren Ideal eben das Pfarrhaus ist, in welches sie sich einzuspinnen trachten, in dem sie dem Herrn dienen wollen ... Nur, daß dieser Herr im tiefsten Grunde mehr eine Dame ist, mehr eine Herrin: natürlich jene Neigung zum ästhetischen Ausruhen, zur Jean Paulschen Heimlichkeit, Weichheit, Objektsscheu, Lebensscheu, Reserve, Gefühlsinzucht, zum Wuzschen Sichverkriechen unter der Bettdecke ... Die praktische Theologie, die Homilie, steht zurück ... Der ästhetisch-kontemplative Eklektizismus ist hier Lebensprinzip, alles wird nur geschmeckt, gekostet, nichts vertreten. Wir haben sehr feine, vornehme, empfängliche Naturen unter unsern Landpastoren – natürlich setzen sie mit den Jahren ein paar Stockflecke an, setzen sich mit den Jahren durch: das ist nicht zu vermeiden. Mit der wachsenden, alternden Familie, die verteilt, untergebracht, versorgt sein will; mit dem Berufe, der sich immer maschinaler eingelernt und ausgeleiert hat, werden die Interessen des würdigen Seelenhirten gegenständlichere, realere, materiellere: das Objekt wird mehr Mittel, weniger Zweck, weniger Selbstzweck ... Allmählich schleift sich die Persönlichkeit, rundet sie sich immer mehr zum Embonpoint des vorsichtig-klug-befangen krittelnden Quietismus ab ... Der Pfaffe kommt heraus – der Pfaffe, der allerdings ans Jenseits glaubt, aber nur von einem Diesseits aus, das ihm hinreichend garantiert und approbiert ist .. Pfaffen a priori sind alle diejenigen, für welche die Bibel überhaupt nur dazu auf der Welt ist, daß der Staat in Form von Hundertmarkscheinen seine Gehälter und Pensionen zwischen ihre Blätter klemmt – und sollte das auch nur sein, um seiner vielgeliebten Priesterschaft ›Lesezeichen‹ und Spruchmerkl zu liefern. Warum und wozu diese Leute existieren, weiß schlechterdings niemand. Keiner nimmt sie mehr ernst, keiner hat mehr Vertrauen zu ihnen, sie predigen vor leeren Bänken – jeder zuckt nur die Achseln über sie und findet es selbstverständlich, daß das Gesindel gar nicht mehr in unsere, gar nicht mehr in diese Zeit gehört – daß es das überflüssigste Möbel von der Welt geworden ist ... Aber sie blutegeln weiter, die Pfründenfresser, sie lügen und betrügen und salbadern weiter zur höheren Ehre ihres Geldbeutels – und wenn sie endlich zu ihrem großen Leidwesen aus diesem Jammertale abgeschieden sind, so trotten ihre Witwen und Waisen ganz bieder und wohlgemut an die Pensionskrippen des Staates und lassen sich versorgen, dieweilen der Herr Papa eben einmal einen großen Illusionsschwerenöter und Komödianten abgegeben hat ... Was der Staat an Pensionen für dieses überflüssige Menschengekreuch aufbringen und anbringen muß, geht in der Tat auf keine Bärenhaut. Auf den Universitäten fallen naturgemäß den Söhnen dieser Plebejer unter den Geistlichen, dieser Brotpfaffen, die meisten Stipendien zu – dem Stipendien-Unfug auf den deutschen Hochschulen widme ich in meinem Buche ›Auf der Schwelle‹ auch einen geharnischten Abschnitt: das ist allerdings ein sehr heißes, für das Leben der jungen Generation sehr wichtiges Zeitkapitel. Aber es findet sich noch eine dritte Menschenspezis unter den Theologen: neben den beschaulichen Ästhetikern und den schauerlichen Plebejern. Heute gehören sie auf der Universität gewöhnlich dem ›Verein deutscher Studenten‹ (›V. d. St.‹) an – in früheren Tagen machten sie vorerst die tüchtige Zucht eines soliden Philosophiestudiums durch, ehe sie – Agitatoren, Redner, Rhetoren, Schriftsteller wurden. Das sind also die apostolischen, diktatorisch-demagogisch-puritanischen Naturen, die Schür- und Feuerleute, die Heizer und Maschinisten der ›inneren Mission‹. Natürlich: sie sind interessant genug, aber sie stehen doch auch nur auf verlorenem Posten. Sie wirken nur kraft ihrer Persönlichkeit, ich meine: durch die Anomalie, durch den exotischen Reiz, den sie eben dadurch erhalten, daß sie mit dem Dogma der Vergangenheit das Paradigma der Gegenwart verdrängen wollen! Es ist ja heute alles nur Paradigma, alles nur Probe, Beleg, Beispiel, Atom, Kristall, Intellekt. Viele verbrennen sich, verzehren sich in diesem Puritanerfieber: diese versetzt atmende, stammelnde Gefühlswelt; dieser Haß gegen die Dialektik; diese Wollust für die reine, keusche Treue – das zerreißt ihre Nerven und bricht ihre Muskeln ... In den größten, reinsten, entlegensten Geistern der Menschheit: derselbe Überschuß von Wille, derselbe Überschuß von Kraft, also derselbe Drang zur puritanischen Einheit und Stille – dasselbe sardonische Wühlen in der ›Sünde‹, eben weil die Welt, die Masse gegen sie ist.– ein Inferno der Seele, wenn zugleich der Drang zur künstlerischen oder sozialen Objektivation übermächtig gährt ... Das Dämonische, das Mystische: es ist ja nur das Ungesättigte, das seit Jahrhunderten in den Vorgenerationen ungesättigt Gebliebene ... Gipfelt mit einem Male die Entwicklung einer Familie; werden plötzlich alle latenten Potenzen mobil gemacht: dann ein ungeheures Können, ein grenzenloses Wollen, zugleich indessen ein Nimmersichgenügen, ein unstetes, verzehrendes Brennen und Zersetzen, ein furchtbares Aufschwülen des Satanischen – die tiefinnerste Keuschheit und Reinheit verzweifelt in die Dämonie einer wilden Entsagung hinein ... Die neuesten, die reifsten Beispiele: Nietzsche und Bleibtreu. Allerdings: man muß sie verstanden haben, die beiden. Was sind denn alle anderen gegen sie –? Sonst wären ja nur sieben oder acht zu nennen: Shakespeare, Byron, Musset, Schopenhauer, Kleist, Beethoven, Wagner, Bismarck, Dostojewski, auch der junge Ibsen – Peter Hille wird von Eichendorff, Jean Paul und Turgenjew zu liebevoll vor dem Letzten, dem Allerletzten behütet ... Es gibt in der Tat unter unseren Theologen noch ähnliche Naturen mit jenem imperatorischen Zug zur düsteren, schwülen Größe ... Natürlich haben die beiden letzten Jahrzehnte mit ihrem Plebejismus mehr die sozialpolitische, die volkstribunale Seite dieser Charaktere entwickelt. Heute entscheidet das Bewußtsein, der ›Zug der Zeit‹, normiert die Intelligenz noch bestimmter: heute wird direkt die Gattung der Talarstreber gezüchtet. Der Geistliche dieser Ausgabe ist ›menschlicher‹ geworden, er versucht es, mehr den kritisch-geistreich-tolerant-exklusiven Weltmann herauszukehren, aber den Weltmann, der nichtsdestoweniger heimlich unterminiert, wenn auch mit Glacés; der sich die Erlaubnis nimmt, zuweilen auch offen mit brillanter Ehrlichkeitspose tumultuarisch auffahren und aufflammen zu dürfen; der das geilfrivole Liebkosen des Beichtigers mit dem spontanen Sturm des Propheten- und Bußpredigers zu verbinden sucht ... Man hat vor einiger Zeit das Märchen erfunden: ›die religiösen Bedürfnisse der Massen seien wieder im Steigen begriffen‹! Ich möchte wissen, worin sich das nur eigentlich zeigte?! Es ist wahr: die moralische Verworfenheit, die Lasterhaftigkeit, die Unkeuschheit und Treulosigkeit werden allenthalben größer, größer mit jedem Tage – ich könnte an der Hand von leider nur zu ›exakten Dokumenten‹ z. B. aus dem bürgerlichen Eingeweideleben Leipzigs eine Lasterstatistik zum besten geben, die sich gewaschen hätte – und ist es etwa in München, Nürnberg, Frankfurt, Hamburg, Breslau, Danzig oder in Posemuckel anders – ganz von Berlin zu schweigen? Es ist wahr: die wirtschaftliche Not wird immer drängender, beklemmender – Ermüdung, Verzweiflung, Zersetzung, Idiotismus, Gleichgültigkeit nehmen allenthalben zu – und allenthalben wachsen Plebejismus, Verrohung, Veräußerlichung. Ich glaube durchaus nicht, daß es in gewissen Punkten, ich meine jetzt in allem, was direkt in die sexuelle Sphäre einschlägt, jemals ›besser‹ oder anders gewesen sei. Geschlechtliche Wollust und religiöser Kult, Willenskult: sie sind einander ja komplementär. Indessen, wir sind Protestanten geworden – wir glauben nicht mehr daran, daß das mysteriöse Einhorn die unbefleckte Jungfrau befruchtet hat, indem es ihr sein Horn in den Unterleib gebohrt ... Ich will sagen: das Bordell hat sich vom Tempel, von der Kirche emanzipiert – es ist dafür näher an die Irrenanstalt, an das Hospital, an die Kaserne, an das Korrektionshaus, an das Rehabilitierungsasyl für entlassene Sträflinge herangerückt ... Unsere Zeit, unsere Gesellschaft ist eben atomisiert – auch die Theologie ist praktischer, homiletischer geworden – aber – daß ihr irgendwelche inneren ›Bedürfnisse‹ der ›Massen‹ dabei entgegenkämen, davon ist keine Rede – das ist gar nicht möglich, das ist ja einfach gegen den Willen unserer Zeit. Die alte Geschichte: man setzt in den Vordersatz eine Tatsache – und in den Nachsatz eine Behauptung, deren Vater eben der Wunsch ist, daß jene in den Vordersatz gestellte Tatsache nicht bestände oder wenigstens anders wäre, sich wenigstens änderte. Doch ebenso: das ist ja das Lebensprinzip des menschlichen Ventilismus – der einzige Ausdruck für die Art, wie wir uns inhaltlich anpassen können: die simultane, zum Objekt projizierte Momentssumme des Bewußtseins auf Grund der sukzessiv gewonnenen, subjektiven Erfahrungen. – Der Talarstreber unter den modernen Theologen wird sein Glück machen, wenn er es versteht, auf der einen Seite Salonsamariter, auf der anderen Seite Komödiant, Augur zu sein. Daß er das versteht; daß er das verstehen wird: daran ist nicht zu zweifeln,, das sehen wir ja auch schon. Der Puritaner und Prophet der alten Generation ist zum Politiker und Plebejer der jungen Generation geworden – das ›summum jus‹ der autokratischen, sich selbst erfüllenden, sich selbst bestimmenden und auch sich selber genügenden Persönlichkeit – im kosmologischen Gefühl stellte sich die Komplementärwelt der ›Romantiker‹ dar: der immanente Atheismus war hier gleichsam künstlerisch ins All hinein verjenseitigt worden: die Inkarnation des Gottes! – also dieses ›summum jus‹ hat sich in die ›summa injuria‹ einer ziellosen, haltlosen, treulosen, verwahrlosten, unkeuschen, käuflichen Zeit umgesetzt. –

Doch ich komme endlich zu dem Punkte, den ich schon öfter vertagen und ans Ende dieser kleinen Signalschrift verweisen mußte. Er ist schließlich der wichtigste, aber auch der schwierigste der ganzen Betrachtung. Ich will versuchen, hier die Hauptmomente, die in Frage kommen, prägnant zusammenzustellen. Ich muß mich beschränken, wenn ich nicht allzusehr über den Rahmen, den ich dieser Schrift bestimmt, hinaustreten soll. Mancherlei wäre ja noch vorher im einzelnen und abgesonderten zu erwähnen, zu behandeln. Gegen die Universität von heute – wir haben in der Tat auch leider eine ›Universitätsfrage‹! – führe ich noch etliche, vielleicht sogar vergiftete Pfeile im Köcher – ich schnelle sie in meinem Buche › Auf der Schwelle‹ ab, allwo ich meinem Herzen auch in anderer Beziehung mit verschiedenen Paraphrasen ›Zur Judenfrage‹ und ›Zur Frauenfrage‹ Luft gemacht ... Nicht wahr? das alles gehörte ja eigentlich noch hierher, vielleicht gerade an diese Stelle, wenigstens in extenso. Zumal hinsichtlich der ›Frauenfrage‹, denn es läßt sich nicht leugnen, daß ein großer Teil der jungen Generation, auf die ich es vorläufig nun einmal abgesehen habe, schwach geschlechtlich konjugiert oder eben auch nicht konjugiert wird, also schwach-weiblich-ledig bleibt ... Und wir sehen uns überdies gezwungen, allein in Deutschland eine ganze Million mehr weiblicher als männlicher Wesen zu zählen! Bei der ›Universitätsfrage‹ sind vorerst zwei sehr wichtige Umstände zu bedenken: die Lage der Hochschulen ist zur Diskussion zu stellen: die meisten derselben sind aus unabweisbaren Gründen, die ich an der genannten Stelle erörtert, zu verlegen – weiter erheischen die moralischen, insbesondere die sexuellen Verhältnisse, so vor allem in kleinen Universitätsstädten an der Tages- resp. Nachtordnung sind, einmal eine sehr elektrische Beleuchtung: die Einverleibungspraxis ist zu prüfen, welche in diesen kleinen akademischen Städtlein, Flecken und Weilern herrscht – hier wo die merkwürdigerweise so unglaublich auf das – Phallissement erpichte Säuglingsschaft der Alma mater nur auf die Dienstmädchen, die Bürgerstöchter und last not least! auf die ehrsamen Bürgersfrauen selber angewiesen ist, sintemalen es die hochweisen Ratsväter der Stadt für besser und praktischer erachten, ihrer eigenen Tugend keine Fallstricke in Gestalt konzessionierter öffentlicher Häuser zu legen ... Ehetreue, Ehekeuschheit ist auf diesem naiv-morbiden Boden Illusion, der Ehebruch permanent. An einzelnen Hochschulen – ich könnte Namen nennen – ist die Onanie offiziell approbierte Selbsterlösungsinstanz in der Studentenschaft. Sodann die Judenfrage – doch hier ist der Weg erst ganz von Nesseln überwuchert, das Motiv besonders heikel und schwierig. Prinzipiell befasse ich mich, wie gesagt, in meinem Buche ›Auf der Schwelle‹ damit. –

Diese ›Unzufriedenen‹, diese ›Malkontenten‹: – man hat da bei ihnen, zwischen ihnen, aus verschiedenen Gründen, in verschiedener Hinsicht, einige sehr scharfe Unterscheidungen und Spaltungen vorzunehmen. Man hat zunächst auch hier zwischen den produktiven, schöpferischen, selbstschöpferischen – und den unproduktiven, reproduktiven, nacharbeitenden, ausarbeitenden Geistern zu trennen – sodann auch hier die Aristokraten von den Plebejern zu sondern. Der erste Umstand ist wesentlich ökonomischer, der zweite wesentlich psychologischer Natur. Und weiter tritt naturgemäß jeder von den vier Punkten mit jedem von den beiden Punkten seines Gegenparts zu einer als selbständiges Ganze möglichen Verbindung zusammen. Es gibt produktive wie unproduktive Aristokraten, produktive wie unproduktive Plebejer – wenn ich das psychologische Moment als Leitmotiv wähle. Ebenso, wenn ich den Angelhaken des ökonomischen Subjekts nach einem Prädikate auswerfe. Nur, daß der produktive Plebejer, also der Mensch, ohne Vergangenheit, ohne geistige Tradition, vorwiegend technisch produktiv ist: er ist der spezifisch moderne, positiv-analytisch-radikale Gegenwartsmensch – er wird Idiot, wenn ihn die Objekte der Gegenwart erdrücken oder sich ihm in der gewohnten Fülle entziehen. Der Aristokrat, der Aristokrat des Geistes mithin, ist als Träger einer Vergangenheit, einer Tradition immer Künstlernatur, mag er nun mehr formal-kontemplativen oder mehr inhaltlich-instinktiv-willenshaften Charakters sein. Er ist der reaktionär-synthetisch- quietistisch-nihilistische Zukunftsmensch – er verfällt, ist es ihm aus inneren oder äußeren Gründen nicht möglich, vom ›Übergangsmenschen‹ zum ›Kandidaten der Zukunft‹ (vgl. hierzu das erste Kapitel meines demnächst erscheinenden Buches ›Ein Kandidat der Zukunft‹) fortzudauern, nicht dem Idiotismus der Reflexzentren, aber der Paralyse der Kortikalzentren: der äußere Ausdruck für seine innere Tragik. Natürlich besteht die Mehrzahl der heute ›Unzufriedenen‹ aus Plebejern – und wiederum sind diese Plebejer in der Mehrzahl unproduktiv: sobald diese Ärmlinge des Geistes – ihnen hieraus einen persönlichen Vorwurf zu machen, wäre sehr geschmacklos, weil sehr unpsychologisch! – sobald sie also durch irgendeine glückliche Fügung ihres ›Schicksals‹ zu Arbeit, Brot, Amt, Würde gelangt sind, ziehen sie sofort den Schwanz ein und legen das Knurren bei ... Ihr Leben ist eine einzige heiße Sehnsucht nach dem Maulkorbe – ich konstatiere und weiter nichts. Sie sind ganz einfach die Opfer der allgemeinen sozialen, wirtschaftlichen Not – und der ungeheuren Überproduktion an Menschenkräften, die sich zu jeder Arbeit eignen; bei denen es ganz gleich ist – und ihnen selber ist es in der Regel auch ganz egal! – welchem selbstherrlich gewordenen Objekte sie als Sklavenspeise vorgeworfen werden. Wirtschaftliche, ökonomische Motive setzen sich natürlich – bei ihrer Anwendung auf den Einzelmenschen: dadurch erst erhalten sie ja ihren typisch-symptomatischen Ausdruck! – in psychologische Entwicklungsprobleme um, in individuelle Bedürfnis- und Anpassungsfragen. Es kommt ja alles nur darauf an, welcher ›fixen Idee‹ wir uns bewußt-unbewußt hingeben müssen und in welchem Stärkegrade das geschieht: bei dem so und so zusammengesetzten, so und so wirkenden Atomprodukt, das ein jeder von uns in seinem Leben, durch sein Leben gerade darzustellen hat. Der einfachere, einseitigere Mensch findet sich allenthalben leichter zurecht, findet sich leichter ab, ist weniger wählerisch in der Selektion, identifiziert sich flüssiger mit dem Objektskreise, in den er hineingestellt ist. Er hat ein ganz anderes Organ für die Statik des Lebens, das Gleichgewicht ist ihm um jeden Preis die Hauptsache – Willensüberschuß ist so gut wie gar nicht vorhanden, mithin die Unfähigkeit zur Perspektiven-Gesundheit, mithin früher oder später das Ende vom Liede eben – Idiotismus. Bei den feineren, reicheren, differenzierten Naturen ist die ›fixe Idee‹, welcher sie untertan werden, welche ihre Lebensführung nach der individuellen wie nach der sozialen Seite hin bestimmt, mehr ein Zwittergeschöpf: zur einen Hälfte auch nur eine unwillkürliche Folge der psycho-physiologischen Fortentwicklung, zur anderen Hälfte ein bewußtes Kompromiß, eine ausgedrückte Verbissenheit des Intellekts, nachdem der Wille durch eine gewisse Gefühlsinzucht so etwas wie unfruchtbar geworden, ›bildlich‹ gesprochen ... Zwischen diesen beiden Extremen, die sich natürlich mit dieser präzisen Entschiedenheit nur spekulativ aufstellen und behaupten lassen: die große, wimmelnde Menge defekter, angebrochener, gekrümmter, verkümmerter, halbfertiger, körperlich oder seelisch mißratener Wesen; die große Menge dieser halb produktiven, halb unproduktiven Geister; dieser ›Unzufriedenen‹ von natürlichem Beruf gegenüber jener ersten Kategorie von ›Unzufriedenen‹ wider Willen; dieser Perspektiven fälscher – kurz die Sippschaft von Menschenkindern, deren erstes Lebensprinzip es ist, ihre und ihrer ›Nächsten‹ Triebe und Gefühle durch die Zensur ihrer Gedanken zu kompromittieren ... Gewiß! es wäre möglich – ich hefte damit noch kein ›Ideal‹ ans Schwarze Brett – also ein gewisses Perspektiven-Normalverhältnis, als Folge davon eine gewisse Perspektiven-Gesundheit, wie ich oben sagte, ließe sich denken: – die, welche die Objekte feuilletonistisch zu behandeln verstünden, wenn ich den Ausdruck wagen darf – sie würden diesem ›Ideale‹ noch am ehesten gerecht ... In den neueren, neuesten Strömungen unserer Literatur – und die Literatur ist nun einmal doch so etwas wie ein ›Spiegel‹ der Zeit – finden sich denn auch die entsprechenden drei Erscheinungsausdrücke für die ›denunzierten‹ drei Menschenausgaben: der statistische Realismus mit starken Neigungen für die pikanten Spezereien des sensationellen Kolportage-Romans (seine besondere Heimat: Berlin – Kretzer); der feuilletonistisch- gesundheitsbramarbasierende Realismus (fränkischen, insbesondere westfränkischen Gewächses) und der psychologisch-romantisch-imperatorische Notwehr-Realismus (ein Ergebnis niedersächsisch-ostfränkisch-slawischer Naturingredienzen). Dabei selbstverständlich überall Spielarten, Abarten, Kreuzungen.

Die letztgenannte Gattung von Realismus, also der Notwehr-Realismus – ich wähle den Ausdruck sehr absichtlich, sehr mit Bedacht – er wird zur Zeit von einigen ›Schriftstellern‹ vertreten, die etwas Dämonisches, Satanisches, Bestialisches, Verbrecherisches, Prophetisches zugleich haben. Ein ungeheuerer, vererbt erhaltener, in den Vorgenerationen ungesättigt gebliebener Überfluß von Instinkten, von latenten Willenspotenzen, ist hier vorhanden, indessen keine Objektswelt, die eine entsprechende Speise dieser elementaren Bedürfnisse abgäbe. Schlechterdings nur die Zone des Erhabenen könnte diese Geister kongenial ernähren – aber sie sind von Hause aus zumeist in enge, befangene, vielleicht ganz korrekte, aber künstlerisch doch sehr karge und sterile Verhältnisse gestellt – und an der immer aufs neue vorenthaltenen Genugtuung der Seele entzündet sich ein fanatischer Haß bei ihnen gegen die kleine, zufällige Durchschnittswelt, von der sie umstrickt gehalten werden, die sie verabscheuen – und an der sie sich schließlich rächen, indem sie dieselbe in künstlerischer Darstellung brutalisieren. Sie: ursprünglich kontemplativ-phänomenalistische Naturen höchsten, edelsten Stiles, von reinstem Gipfelluxus der Entwicklung – sie werden durch eine zufällige Gegenordnung der Dinge, der Umstände auf das Mittelmaßniveau ihrer Umgebung herabgedrückt; sie werden gezwungen, sich in den Tälern mit dem abzufinden, was sie nur auf den Bergen mit sich und ihrem Schicksal auszumachen vermögen –: sie werden mithin Psychologen der Differenz, wenn ich mich summarisch ausdrücken darf, und Realisten des Gefühls, in ihrer weiteren körperlich-geistigen Wachstumsfortsetzung Realisten des Intellektes, beileibe aber nicht bidimensionale Flächenrealisten der Intelligenz. Doch, jene ›Psychologie der Differenz‹, von der ich sprach: ja, sie ist ein sehr peinliches, wirklich sehr ›peinliches‹ Wesen; sie verrät, daß diese Leute mit ihrem unheimlich scharfen Blick – und sie schauen auch jedem biedermeiernden, schlächtergesellenmäßig hemdsärmel-krempeligen Gesundheitsbramarbas bis auf den Grund seiner libellen-gaukelnden Sandbankseele! – sie also, die Psychologie der Differenz, verrät, daß diese sperberäugigen Menschenkinder im Grunde sehr ›krank‹, sehr ›abnorm‹ sind – und warum wären sie das? Weil sie instinktiv nur ein ›Ideal‹ kennen, nur ein ›Ideal‹ besitzen; das ›Ideal‹ der Selbsterfüllung, der Selbsterlösung in der Sphäre der höchsten, reinsten Geistigkeit. Zuweilen gelingt es ihnen doch – ihnen, die kraft ihrer Eigenheit die Ankläger des durchschnittsmäßig Natürlichen sind – gelingt es ihnen doch, sage ich, einen Hochgebirgsgipfel zu erklimmen – aber sie vermögen es nicht mehr, ihrem Gotte noch rein ins Auge zu schauen, sie sind gezeichnet, sie, die Grandseigneurs der Schmerzen – alle Qual, alles Weh, alle Sehnsucht der Talmenschen haben sie mithinaufnehmen müssen, hinauf in ihre Alpeneinsamkeit: sie verzweifelten, wenn sie nicht Imperatoren ihres Schicksals wären, d. h. wenn sie nicht wüßten, daß es für sie im Leben nur noch eine Rettung gibt: das Altwerden, das ganz triviale korrekt psychophysiologische Altwerden. Und sie, die großen Ironiker des Lebens, bringen es fertig, ganz einfach deshalb, weil sie alt, älter, in hergebrachter Weise alt, älter werden wollen, sich darum hinfüro zu ›beschränken‹, sich einzuzäumen, sich womöglich zu verheiraten, nach Kräften ›bon‹ zu leben, nach Kräften Milch, Eier, Beef und Hülsenfrüchte zu verschmausen. Ja, das alles kriegen sie fertig, diese schauderhaft scheußlichen – ›Ideologen‹: da steht das Wort. –

Ich habe von einem modernen Schriftstellertypus gesprochen – und natürlich einige andere Leute zugleich gemeint. Eben einen bestimmten Teil der jungen Generation, einen bestimmten Teil ihrer ›Unzufriedenen‹, also die Ideologen, die heutigen Erben der Romantik, die Übergangsmenschen. In der Tat: diese ›Ideologen‹ sind im Grunde sehr ›negative‹ Geister. ›Positiv‹ sind sie schließlich nur in dem einen: in der Forderung einer instinktiv-immanenten Freiheit, Selbstherrlichkeit, Selbstbestimmbarkeit – einen tiefen, tiefen Abscheu empfinden sie vor jeder proklamierten und dressierten Massenemanzipation. Sie sind Aristokraten, also Willens-Naturen, Intellektsmenschen, kubische Individualitäten, aber keine modernen Plebejer der Intelligenz. Sie entstammen meistens der Bourgeoisie, dem besseren, feineren, geistig nicht ganz sterilen und traditionslosen Bürgertum. Daher haftet ihnen eine gewisse Vorliebe für das Konventionell-Rücksichtsvolle an, eine gewisse zaghafte Pedanterie einer nicht ganz unempfindsamen Ritterlichkeit. Sie treten mit der Zeit immermehr aus dem Rahmen ihrer Familie heraus, aber sie sind nicht imstande, zu brechen, in ihren Herzen schluchzt eine leidenschaftlich-wehmütige Verehrung, insbesondere für ihre Mütter ... Sie sind in der Regel sehr zart und sehr sensitiv – sie sind überschwenglich, sie ringen nach Atem, weil sie von den tiefsten seelischen Bedürfnissen erfüllt sind – und nirgends tiefinnerstes Genügen finden. So werden sie radikal, so werden sie brutal. Sie stellen in allem, was feine Geistigkeit betrifft, die höchsten Anforderungen an sich und die anderen, sie sind immer extrem, immer extravagant, also immer Psychologen der Differenz. Sie hantieren mit den größten Maßstäben und Wertkriterien – für das Alphabet der irdischen Alltäglichkeit haben sie nur die Ironie von solchen, die es heimlicherweise besser wissen. Sie sind unglücklich – dumpf, schwül unglücklich, weil sie es eigentlich nie begreifen, eigentlich nie apperzipieren: das große Prinzip des Lebens – das Kompromiß. Nichtsdestoweniger passen sie sich in hundert und tausend Fällen an, aus der instinktiven Erkenntnis heraus, daß sie im Grunde mehr Zweifler, denn Verzweifler sind – sie verzweifeln nur generell, im konkreten Einzelfalle zweifeln sie immer nur. Sie haben eine versteckte Vorliebe für alles Problematische, Anrüchige, Pikante, Dubiose, Paradoxe, Halbfertige, Gärende. Sie sind Epiker des Abwartens und Zusehens, naiv neugierig als solche, sie sind Lyriker des Gefühls und des Bedürfnisses, Dramatiker des moralischen Postulats. Sie sind Fanatiker der Freundschaft, der Treue, der Keuschheit – und sie umkrallen die Früchte des Staubes, sie wühlen im Sumpf und in der Sünde, sie üben Bruch und Verrat. Denn sie sehen unten, ganz unten, auf dem Boden des Gefäßes – da sehen sie nur aufgelöste Kristalle, keine Kollisionen und Konflikte mehr, keine gebundenen Kräfte – und sie haben einen Scharfblick für das Erfassen der tiefsten Tiefe, eine Clairvoyance des Durchschauens. Sie sind Zyniker, denn sie sind ethische Dialektiker – sie haben es erfahren müssen, daß es nur einen absoluten Wert auf Erden gibt: die Relation, das Verhältnis. Aber sie können ebenso leicht Fanatiker der borniertesten, vulgärsten Rechtschaffenheit werden – denn die Dialektik hypostasiert das eine Extrem, um nachher das andere offiziell auszurufen. Sie rechnen sehr gern ab, sie fangen sehr gern von neuem an, sie sind mißtrauisch gegen sich, darum öfter sehr erstaunt über sich, sehr naiv-vertrauensselig zu sich und selbstzufrieden. Sie verstehen die Jean Paulsche Gefühlsinzucht und die E. T. A. Hoffmannsche Phantasie-Inzucht ebensogut, wie den Brutalitätsstil, den dämonisch-sentimentalen Vertikalismus Bismarcks oder Napoleons. Sie haben ein weiches, ein sehr weiches Gemüt, sie können keine Träne der Armut sehen, ohne im Tiefsten bewegt, keinen Aufschrei, keinen Hilferuf des Elends hören, ohne im Tiefsten erschüttert zu werden. Sie strömen über von Affekten der Zärtlichkeit und des Mitleids mit allem, was leidet – aber vor ihren Augen wogen und rollen unermeßliche, unerschöpfliche Meere des Leidens: so sind sie Fatalisten, Quietisten gegenüber dem individuellen Fall. Sie sind ursprünglich reine, keusche, unbefleckte metaphysische Naturen: was sie schließlich aus dem Bankerott ihrer Entwicklung retten – denn jede Entwicklung ist eo ipso ein Bankerott – das stellt sich in einer Art von metaphysischem Witz dar, von kaustisch-lakonischer Intellektsverbissenheit. Sie abenteuern gern, spielen gern va banque, setzen gern alles auf eine Karte – sie fühlen sich fremd in der Welt, menschenfremd, menschenfern, sie sind Idylliker und Rhetoren zugleich der Einsamkeit: sie lassen sich gern Charpie und Anästhetika der Einsamkeit gefallen. Sie sind ungeheuer komplizierte und ungeheuer – einfache Naturen: ganz gewiß im Grunde mit starken weiblichen Zeugungs- und Mutterinstinkten ausgestattet. In der Liebe selber sind sie Egoisten, denn sie kennen das Weib, sie glauben es wenigstens zu kennen: sie wissen, daß das Weib nie mehr gewesen ist, nie mehr sein wird und am Ende auch selbst gar nicht mehr sein will, als – eben als ... als ein gefüllter Unterrock – Omelette aux confitures! Es hat eine Zeit in ihrem Leben gegeben, wo sie beinahe verzweifelt sind über die natürliche, tiefbegründete Disposition des Weibes zur Untreue und Unkeuschheit. So sind sie Wüstlinge, Don Juans geworden, so haben sie Haremsneigungen ausgebildet – aber sie vermögen es nicht bei ihrer versetzten Seraphik, es zu Weltmännern zu bringen in puncto erotico: schließlich sind sie nirgends philiströser als in der Liebe – sie heiraten sogar, wenn sie materiell dazu imstande sind: am liebsten ein einfaches, gesundes Weib ohne Vergangenheit – wenn möglich: auch ohne Zukunft, denn sie empfinden einen ästhetischen Widerwillen gegen alle Unreinlichkeiten der Natur, also z. B. auch gegen Säuglinge und ähnliche Windelware. Sie sind in der Regel außerordentlich sinnlich, nervös sinnlich – und besitzen öfter einen kleinen, aber doch eigentlich mehr verstandesmäßig-analytischen Tik für einzelne abnorme Erscheinungen des sinnlichen Lebens. Sie leiden an einem gewissen Trop de cœur – sie entsagen sehr schwer, denn sie durchschauen den ganzen psychologischen Apparat, der das eine Bild festhält oder fallen läßt, um ein zweites, ein anderes an seine Stelle zu setzen. Schließlich ist ja alles einander gleichwertig – der Organismus stimmt sich mit der Zeit auf ein normiertes Verhältnis von Bedürfnissen, Neigungen und Resignationsmöglichkeiten, Opferkräften ab: warum soll ein Individuum, welches einen momentanen Lust- oder Unlustzustand aus irgendwelchen Gründen festhält, festhalten muß, sich bewußt bemühen, eine andere Zusammensetzung seiner Gefühlsatome zu erreichen, wenn es nicht einmal weiß, ob die neue Kombination eine größere Summe von Lustreizen auslösen, darstellen wird, als die frühere? – Indessen, das Rad rollt weiter, die Bilder wirbeln um – und? Ja: und am Ende ist doch alles nur Willkür, nur Zufall – ob ich z. B. in dem Momente des Kampfes ums Dasein, ums Dableiben, um die bevorzugte Stellung: ob ich in ihm ein regulatives Lebensprinzip, ein ›positives Naturgesetz‹ – oder eine unerhörte Roheit und Grausamkeit sehe – ob ich also eine Tatsache mehr beurteile, mehr konstatiere – oder einen Prozeß mehr fühle, mehr mitfühle, das ist doch schließlich ganz in mein Belieben, d. h. in die Funktionsart meiner Individualität gestellt, welche Funktionsart natürlich als solche wiederum eine notwendige, d. h. eben eine dem Wesen meines Organismus entsprechende ist. Schließlich ist ja alles nur Temperamentssache – alles nur Instinktswahl, Triebschärfe, kommt ja alles nur auf die Apperzeptions- und Reaktionsfähigkeiten meiner Gehirnzentren an. Die Ethik geht auf die primitivsten ästhetischen Empfindungen zurück, die als solche zur Produktion moralischer Gefühle führen, nachdem instinktive Neigungen, ausgelöst von an Objekten erlebten, erlittenen Vergegenständlichungen, durch die Phase des bewußten Urteils hindurchgegangen sind und sich in Reflexakte zweiter Instanz umgesetzt haben. So ist der ›Ideologe‹ der eigentliche Statistiker des Innenlebens, im Gegensatz zu dem modernen Intelligenztroddel, der sich als Konstatiermaschine an die Objekte verkauft – psychophysiologisch gesprochen: so ist er der Darsteller der ausgesprochenen Immanenz des Seelenlebens – der Individualist. Der Ideologe ist eine Luxusnatur, Produzent der sublimsten Stimmungen, ausgestattet mit den feinsten und differenziertesten ästhetischen, künstlerischen Bedürfnissen. Aber nur selten, nur überaus selten wird diesen Bedürfnissen genügt, zumal ganz, rein genügt – so entwickelt sich mit den Jahren eine gewisse Gleichgültigkeit, der nur noch Stimulanzen entgegenzuwirken vermögen. Opportunitätsflunkereien, also Intelligenzfisimatenten, ist der ›Ideologe‹ nun schon gar nicht gewachsen – lieber wird er mit der Zeit, mit den Jahren rechtschaffen borniert, mithin ›reaktionär‹ – mit dem Fürsten hat er die Tragik seiner Natur gemeinsam, daß er gerade wie dieser kein Mensch der Gegenwart, nur ein Mensch der Zukunft sein kann, weil er ein Aufspeicherer der Vergangenheit ist. ›Alles was ist, ist vernünftig‹ –: wir wissen ja Bescheid um den perfiden Streich, mit dem dieser Satz der formalen Logik in die Ethik des Gegenwartsmenschen eingeschmuggelt wurde – in die Ethik des Vergangenheits- und Zukunftsmenschen gehört er eo ipso hinein, natürlich. Ja, nur Menschen, nur Selbstmenschen fordert der ›Ideologe‹ von der Welt – und darum haßt er die Materie, die nur Sklaven preßt; haßt er das Gold, das wenige besitzen, die es nicht erkennen; das Millionen mangelt, die es vielleicht edler verwenden: so ist er in gewissem Sinne ›Sozialist‹. Von Hause aus ist er Historiker, Synthetiker – indessen, die moderne Naturwissenschaft mit ihrer positiv-analytisch-induktiven Methode hat auch ihn befruchtet, da er auch an ihr hat vorübergehen müssen –: so besitzt er für Vergangenheit und Zukunft kaum eine intellektuale Pietät, höchstens nur noch eine gewisse, dazu noch ziemlich sterile Gefühlspietät. Der ›Ideologe‹ ist das natürliche Opfer des Konflikts zwischen der Bourgeoisie und dem ›vierten Stande‹.

Ich muß mich hier auf die kargen Andeutungen beschränken – ich sagte schon oben, daß diese Arbeit nur eine kleine Signalschrift vorstellen will. In meinen künftigen, kommenden Büchern normativ-kritischen wie rein produktiven Gehalts wird der Versuch fortgesetzt werden, eine sich immer ausführlicher auseinandergliedernde und auch immer – ›exakter‹ werdende Phänomenologie der Gegenwart zu schaffen. Übrigens habe ich mich unterfangen, in meinem ›Adam Mensch‹ (Roman) eine bestimmte Spielart des modernen Ideologentypus zu zeichnen – Beiträge hierzu erbringen auch meine ›Phrasen‹: an Ergänzungen und Variationen hierüber wird es in meinen nächsten Schriften ebensowenig fehlen. –

Außerhalb seiner Generation steht unser junger Kaiser – muß er stehen –: außerhalb dieser Generation, die zu einem Teile von Plebejern und Emporkömmlingen dargestellt wird, zum anderen Teile von Unglücklichen, ›Unzufriedenen‹. Das Vaterland? – Nun, die ›Vaterlandsliebe‹, der ›Patriotismus‹: er ist ja heute noch das Privilegium der Besitzenden, der besitzenden Plebejer. Frieden ist Stagnation, Verkrampfung, Inzucht – bei den heutigen Bedingungen kaum mehr erträglich. Doch die Zukunft, vielleicht schon die nächste Zukunft: sie wird uns mit Kriegen und Revolutionen überschütten. Und dann? Wir wissen nur: die Intelligenz wird um die Kultur – und die Armut, das Elend: sie werden um den Besitz ringen. Und dann? Wir wissen es nicht. Vielleicht brechen dann die Tage herein, wo das alte, eingeborene germanische Kulturideal, allem Semitismus, seinem gefährlichsten, seinem immanenten Feinde, zum Trotz, sich zu erfüllen beginnt. Vorher wird diese Generation der Übergangsmenschen; der Statistiker und Objektssklaven; der Nüchternlinge und Intelligenzplebejer; der Suchenden und Ratlosen; der Verirrten und Verkommenen; der Unzufriedenen und Unglücklichen – vorher wird sie mit ihrem roten Blute die Schlachtfelder der Zukunft gedüngt haben – und unser junger Kaiser hat sie in den Tod geführt. Eines ist gewiß: sie werden uns zu Häupten ziehen in die geheimnisvollen Zonen dieser Zukunft hinein: die Hohenzollern. Ob dann eine neue Zeit ihrer noch bedürfen wird –? Das wissen wir abermals nicht. –


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