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Aphorismen

Herbes und Derbes.

Glossen in Reimen und Prosa.

Guter Rat.

Was heute gering und bedeutungslos,
Erscheint dir wohl morgen machtvoll und groß!
Drum sammle jedes – das Große wie Kleine,
Und zu harmonischem Bilde es eine!

Noch einer!

Ans Alte, Hergebrachte schließ dich an –
Das halte fest mit allem deinem Trachten –
Dann gehst du fest und fahrlos deine Bahn,
Und darfst die Welt, die Zeit und – dich verachten!

 

Die Seele des Poeten gleicht dem Löschblatt: sie saugt jeden Eindruck mit erweitertem Perimeter auf.

 

Es gibt Naturen, und zwar nicht wenige, welche nur in den Verhältnissen leben können, in welchen sie sich – nicht wohl fühlen!

Empfehlenswertes Motto für eine Gedicht-Sammlung.

Schnell fertig war der Dichter mit dem Reim –
Und nun, mein liebes Publikum, nun gehe auf den – Leim! –

 

Es gibt nichts Trivialeres, als eine Trivialität zu zitieren.

 

Der Dichter hat das Recht, seine Freunde abzuzeichnen. Dabei darf er – und muß er meistenteils mehr in sich hineinlegen, als gewöhnlich in ihnen steckt! –

Einem Professor!

Der Großen Größe zu bekritteln:
Das dein Beruf!
Dafür behängt man dich mit tausend Titeln
Und einem Ruf!

Rezept.

Willst deine eignen Werke du
Mit deiner Kollegen Beifall zieren,
So magst du nur klüglich immerzu
Ihre Werke zitieren!

 

»Räsonnement und Erfindung – sie beide machen den Dichter!«
Armer Lessing! Ach wie faßt es Herr Stümperheim an?
Daß er Poet – wer zweifelt daran? Tut er so doch beides: Denn nur Gefundenes tischt er räsonierend uns auf.

 

Es gibt viele Menschen, die ein festes Gefüge von Sätzen immer auf Lager haben, die sie bei jeder Gelegenheit im Munde führen: Mundsätze! Meist, weil ihnen die Grundsätze fehlen!

Ein Dialog.

Sie: »Du glaubst nicht an Gott?«

Er: »Nein!«

Sie: »Warum nicht?«

Er: »Weil der Glaube an ihn so ungeheuer nahe liegt.«

Deutsche Roman-Zeitung Nr. 40. 1884.

Gedanken über Geistesfreiheit.

Der in sich festgewordene, voll durchgereifte, zur wahren Geistesfreiheit gelangte Charakter braucht durchaus nicht mehr ein eigentlicher Kämpfer zu sein. Ist er künstlerisch schaffend, so wird er kraft der Allmacht einer gewaltigen Künstlerkraft aus sich heraus schaffen müssen und dann wird er allerdings Kämpfer sein, da folgerichtig und notwendig sein aus einer freien Gedankenwelt herausgeborenes Produkt mit den unfreien Geistern der Menge in Kontrast stehen muß! Ist er nicht Künstler, dann wird er sich in alles finden und bedarf keiner äußeren Reiz- und Betäubungsmittel! Am meisten und heftigsten wird der streiten, der noch auf dem Wege zur wahren Freiheit ist! Auch hier trennen sich wieder zwei Gruppen: der reifende Künstlergeist wird allmählich immer mehr zu sich zurückkommen und sich bei sich anbauen, um, nachdem er in sich unverlierbaren Untergrund gefunden, wie oben gesagt, sich wieder als freischaffender Künstler (γενόμενός renatus) nach außen zu betätigen; der reifende Kämpfergeist, der nicht ausgesprochen künstlerisch veranlagt, wird um so heißer für seine Werte streiten wollen, je mehr ihn das Leben mit leidenden Genossen zusammenbringt! Je tiefer er in Mitleidenschaft bei der Schuld- und Sühnekomödie des Lebens gezogen wird!

 

Das Wesen der wahren Geistesfreiheit läßt sich nicht mit drei Worten definieren. Doch lassen sich wohl als Hauptfaktoren hinstellen: das klare, aus unparteiischer Selbstprüfung, durch energische Selbstarbeit gewonnene Bewußtsein des eigenen Wertes; eine deutliche, unbeirrte, durchschauende Einsicht in die Dinge, in die Relativität der Beziehungen; eine felsenfeste Ueberzeugung von der Würde und dem Werte natürlicher Menschenrechte; eine gewisse historische Philosophie, eine auf pessimistisch-positivistischer Grundlage aufgebaute Weltanschauung, die das natürliche, naturbedingte Maß der logisch notwendigen Umbildung ohne Scheu – sina ira et studio – an die Erscheinungen des Lebens legt!

 

Die Signatur unserer Zeit ist Schwachheit, Feigheit und gemein brutale Ueberlistung! Es ist schwer, sich unter ihrem vergiftenden Einflusse zum Charakter auszubilden! Und doch muß dieser Prozeß im individuellen Leben durchgemacht und zum Abschluß gebracht werden! Aber ehe ihr nicht das Bewußtsein der errungenen inneren Freiheit besitzt, laßt das Schwert in der Scheide stecken – ihr werdet weder echte Künstler noch ziel- und pfadkundige Streiter sein! Nur dem Manne gehört der Sieg – die Narren schmücken sich mit Orden und Verdienstmedaillen, den Zeugen der inneren Lücke! Des inneren Manko, wie es jeder Sklave hat!

 

Die wahre Geistesfreiheit individualisiert – ja! – und das ist ihr größter Segen! Aus einem Kampfe wird sie herausgeboren – ein steter Kampf wird ihre Erhaltung sein, da sie nicht ihrem innersten Wesen nach Starrheit ist, sondern lebendig flutende Weltumfassung, produktives Weltbürgertum – hinaushebend über alle Schranken der Konventionalität, eines beengten Patriotismus, eines lächerlich einfältigen traditionellen Sittenkoder! Hast du nicht in dir natürliches Gesetz und ein von dem Wesen der Dinge abstrahiertes sittliches Bewußtsein, bist und bleibst du ein Sklave, ohne Widerrede! Wir dürfen deshalb kein eigentliches auf ein bestimmtes politisch – sozial – wissenschaftlich – künstlerisch – philosophisches Fundament gestütztes Evangelium predigen wollen, sondern müssen als obersten und ersten Grundsatz nur die Notwendigkeit der individuellen Regeneration betonen, die allein zur Beteiligung am Genuß der edelsten Güter befähigt und berechtigt! Solange wir an Vorurteilen und Lügen bewußt festhalten, ist innere Freiheit und ein durch diese bedingtes, nach der individuellen Natur gefärbtes Wirken und Schaffen unmöglich und unser Leben auch weiter nichts als eine Konzession an die herrschende dominatio der Sklaverei, deren Ketten zu brechen unsere vernehmlichste Aufgabe sein muß!

Ungedruckt und unvollendet. Aus dem Buche des »Bundes der Lebendigen« vom 30. Januar 1884.

Gedanken über Kunst, Künstler, Künstlertum.

I.

Der Künstler – der echte, wahre Künstler, der kann und schafft, weil er muß, braucht kein sogenannter »Charakter« zu sein. Im Gegenteil! Gerade das stete Korrespondieren seiner äußeren Betätigung mit den Aeußerungen seiner Künstler-Psyche – im Verhältnis von Wirkung und Ursache! – macht ihn und muß ihn oft menschlich recht unvollkommen machen und wenn auch nicht immer gerade charakter schwach, so doch oft gleichgültig solchen Verhältnissen gegenüber, bei denen die persönliche Beziehung zu ihnen ganz von dem Stärkegrade des Willens, der Kraft des Charakters, des Intellektes abhängt.

II.

Ein großer Dichter braucht keine große Persönlichkeit zu sein. Er kann es sein. Aber die Erziehung zu einer großen Persönlichkeit tötet oder vermindert oft die angeborenen Keime künstlerischer Betätigung in ihren ursprünglichen Krafttrieben sehr. Und vor allem die Erziehung zu einem sogenannten öffentlichen Charakter.

III.

Das Wesen des Künstlertums ist schlechterdings ein Problem. Jedes Problem steht, solange es nicht gelöst ist, über dem Ignoranten. So wird auch der Künstler, das personifizierte Problem, stets über dem Ignoranten stehen, d. h. in diesem Falle über der Menge als solcher, die hier die Majorität im Kultus des Bewußten repräsentiert.

IV.

Als Staatsbürger hat der Künstler kaum eine extraordinäre Stellung – vom demokratischen Gesichtspunkte geurteilt! – zu beanspruchen. Wohl aber eben als Künstler selbst! Wenn das künstlerische Fluidum nicht geschwächt, unterbunden werden soll, so muß der Künstler, vor allem im gesellschaftlichen Leben, sooft es irgend möglich, den Impulsen seiner Seele momentan zu folgen berechtigt sein – und verstößt das auch gegen die Regeln, die sich das Institut der Gesellschaft seines Bestandes halber gegeben. In den Aeußerungen der Kunst wird für alle tieferen und feineren Geister eine reiche Entschädigung gegeben sein.

V.

Je mehr ein schaffender Künstler, in seiner Neben- resp. Hauptnatur als bürgerlicher Beruf-Träger, unter dem Einflusse von Einrichtungen steht, die aus der Herdennatur der Menge resultieren, desto mehr wird sein Schaffen eine konventionelle und in gesellschaftlicher Hinsicht anerkennbare Prägung erhalten; desto mehr wird er sich von dem Wesen der reinen, ursprünglich-natürlichen und naiven Kunst losmachen. Seine Freiheit hängt nicht so sehr von dem Charakter seiner ursprünglichen Natur als vielmehr von dem Wesen der sozialen Verhältnisse ab, insofern diese Verhältnisse bei seiner Erziehung, bei der Entwicklung seines Geistes als gut resp. schlecht wirkende Faktoren tätig gewesen sind.

VI.

Wie ein Weib, das – in einem Spezialfall – über das Wesen seiner augenblicklichen Liebe reflektiert, diese Liebe meist schon verloren oder überwunden hat, so hat auch ein Künstler, der über das Wesen des Unbewußten in seiner Kunst reflektiert, z. B. im Hinblick auf ästhetisch-ethische Prinzipien, schon zum großen Teil das Moment des Unbewußten eingebüßt und sich dem Kultus des Traditionellen ergeben. Von da bis zur Schablone ist nur ein Schritt.

Das Magazin für die Literatur des In- und Auslandes 1885. (Niedergeschrieben Ende Oktober 1884.)


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