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Vanitas! Vanitatum Vanitas!
Im übrigen ist alles Dreck
Und hat wahrhaftig keinen Zweck!
Magst du das Höchste ahnend streifen:
Du kannst nicht deinen Schatten begreifen.
H. C.
Entmutigt sein, wenn alles hofft,
Wenn alles lebt, gebunden –
Ich kenne sie! Ich hab' sie oft
Gefühlt – die bittern Stunden …
Hermann Lingg.
Meine Seele ist traurig …
Warum bist du traurig, meine Seele?
Und sie spricht zu mir:
Vorüber ging ich mit dir
An rauschenden Wassern –
Und die rauschenden Wasser
Umsäumte die Siedlung
Tatfroher Menschen.
Mit der Sonne Emporglühn
Traten hinaus sie
Aus ihrer Hütten
Schmuckloser Enge –
Und tiefeinatmend
Des Morgens Säuselwind
Und des Tages Lichtstrahl
Mit freudvollem Blicke
Emsig begrüßend,
Gingen sie heiter
Und guter Dinge,
Ruhvoll und kraftreich,
An ihr hartes Schaffen,
Das Schweiß und Schwielen
Gebiert, jedoch auch
Helle Gedanken
Und die Frucht des Frohsinns,
Die unvergleichlich.
Und wiederum ging ich
Mit dir hinauf,
Sprach meine Seele,
Zu Bergesgipfeln.
Und ich ward so heiter
Da mich der Höh'nwind
Weidlich durchlüftet!
Wie dehnt' ich mich doch
Und reckte mich weit
Und sog den Atem
Schrankenloser
Unendlichkeit!
Und allen, die mir
Entgegentraten,
Lachte das Herz
Aus den hellen Augen,
Daß ich ihnen
Sehnsuchtsbeschwingt
Entgegenhüpfte …
Und sie boten
Mir Gruß – und einer
Lud mich zu rasten –
Lud mich zu bleiben:
»Gelt! Es wär' schön doch.
Blieben wir immer
Und ewig zusammen!«
Aber wieder
Riß ich mich los
Und der Vergangenheit
Schmerzensreichem
Mühenschoß,
Der mich gewirket,
Gab ich mich wieder.
Oh! Unerbittlich
In seiner Zukunft
Ist das Gewesene!
Es fraß sich in mich
Und gebiert sich fort
Und haftet immer!
Nimmer! O nimmer
Lehrt mich des Fischers
Oder des Schiffers
Beengtes Trachten
Grenze und Maß –
Stürmisch Verachten,
Emsig Vergessen
Alles dessen,
Was ich im Grunde doch – nie besaß!
Nimmer! O nimmer
Lehrt der helläugige
Sohn mich der Berge
Frohe Gemeinschaft,
Einträchtige Spur
Mit der Natur …
Den Würzhauch des Wassers
Und den stählenden
Atem des Bergwinds
Muß ich missen …
Ich fühlte zu tief –
Und ich dachte zu viel –
Und all mein Wissen,
Mein himmeldurchstürmendes
Feuriges Fühlen,
Das nie sich genug,
Erfüllt den Fluch,
Den es umschoßt.
Und gibt mir zum Ende –
Zum letzten Ende
Als heiteren Trost
Doch nur ein – bitterhartes Sterbekissen.
Und vorher hat es
Mein Leben vergiftet!
So sprach meine Seele.
Und sie trauerte weiter …
Und nimmermehr forscht' ich:
Warum bist du so traurig, meine Seele?
Meine bebenden Finger halten das blutrote Gold umspannt –
Es liegt wie brennende Schande in meiner eiskalten Hand –
Die gierigen Augen stürzen auf seinen grellgleißenden Glanz – –
Und an mir rast vorüber der Menschheit wahnsinniger Faschingstanz …
Es wölbt sich zur Riesenlawine vor meinem Seherblick,
Zur blind hinrollenden, tauben, dies erbärmlich winzige Stück –
Ich fühle Millionen Herzen zucken nach seinem Besitz –
Ich höre Millionen Lippen freveln in blödem Aberwitz …
Ich schaue Millionen Fäuste in lohendem Groll gereckt –
Nach goldnen Lawinenkrumen inbrünstig ausgestreckt –
Ich höre Millionen Flüche, dieweil nur Zundergestäub
Statt purpurner Pracht und Geschmeides sich klebt um den schlotternden Bettlerleib.
Zeiten um Zeiten fliegen, Jahrtausende mir vorbei –
Durch alle Zeiten dröhnt es, das gellende Jagdgeschrei …
Da droben auf ihrem Throne schlief wohl die Gottheit ein –
Bricht denn durch ihre Lider nicht der Scheiterhaufen Flammenschein?
Der Scheiterhaufen, darauf sie, die Menschheit, wahnsinnverkrampft,
Ihr bißchen Gottheit geopfert, dämonenüberstampft!
Ja! Ihren Namen nannte die Lippe je und je –
Und troff zugleich von Sehnsucht, nach einem – Riesenportemonnaie.
Kommt über die unstete Menschheit denn nie die Erlösungsruh?
Rast in Aeonen sie weiter, immer und immerzu? –
Meine Finger klammern ums Gold sich, das zur Lawine schwoll –
Wach auf, du schlafender Himmel! Das Maß ist über- und übervoll!
Oh, wir sind einsam –
Grenzenlos einsam!
Brüder! Meine Brüder!
Habt ihr bedacht schon:
Wie einsam wir sind?
Wir rollen dahin
In engen Bezirken,
Und ob wir auch tasten –
Mit pochendem Geistesfinger tasten
An die Pforten des Alls:
Unserer Weltennachbarn
Kein einziger spürt uns …
Sie kreisen und kreisen –
Und ob wir auch träumen,
Daß durch die Himmel
Ein einiges Ahnen
Geflügelt sich schwingt –
Auf Strahlenbrücken
Von Stern zu Stern
Bewußtsein trägt
Und brünstig wirbt,
Tiefen erwühlend,
Um der Botschaft Erhörung:
Brüder! O meine Brüder!
Es ist nur ein Traum,
Und keine der Leuchten,
Der Myriaden Leuchten,
Die unser Auge gebiert,
Erhört unserer Träume
Rauschenden Flügelschlag …
Sie sind alle so blind …
Sie sind alle so taub …
Und der sie bewegt,
Der urgeborene Geist,
Gab ihnen das Leben, –
Doch Leben heißt Grenze …
Aber der Tod ist der Meister,
Der da säet Staub und erntet Staub,
Und über uns alle,
Die menschengezeugt,
Hat sich der Zypresse Trauerlaub
Herabgebeugt! …
Und wir trauern …
Wir trauern.
Denn die Himmel sind leer,
Ob sie auch leuchten …
Wir wollen uns lieben, meine Brüder,
Denn wir sind einsam …
Wohl leuchten die Himmel,
Und ihr Leuchten berückt
Uns die Seele so ganz.
Und sie heben hinaus uns
Ueber irdische Kleinheit,
Den Engpaß des Lebens …
Doch wir sind sterblich.
Drum wollen wir heimkehren, meine Brüder,
Und wollen uns lieben
Mit geläuterten Sinnen …
Denn wir sind einsam …
Ich stand auf sturmbestrichnem, granitnem Bergeshaupt,
Umbrüllt vom Eisorkane, von stechendem Schnee umstaubt –
Tief unter mir, umschlungen vom Nebelgewande der Nacht,
Lag Wahn und Menschenschicksal, lag Elend und Kronenpracht …
Lag all das wirre Suchen: die Pilgerfahrt zum Licht –
Lag all das ewige Irren: ein wüstes Höllengedicht!
Lag gleißender Glanz und Entsagung – Gethsemane und Rom:
Dort wurmt sich ein armer Schwärmer – hier schwillt der Lüste Strom!
Lag all die blöde Verblendung, die vor den Götzen kniet –
Lag all die feige Knechtschaft, die sich im Staube müht,
Faulende Früchte zu sammeln, lohender Brünste voll –
Lag all die jähe Verzweiflung – der heilige Rächergroll! …
Die Sklavenkette klirrte – ihr schneidender Ton verklang;
Die Schellenkappe tönte – ihr lockend Geläut versank –
Von bleichen Märtyrerlippen verwehte der letzte Schwur –
Im Schweigen der Bergeswüste verstummt die Kreatur …
Die einst mit flammenden Schwertern über den Erdball gebraust,
Die Babel-Dome gefestet mit blut'ger Despotenfaust –
Die ihre Cäsarenspuren mit ehernem Meißel gehauen,
Hier an den Felsenbrüsten zerfällt das irdische Grauen,
Das sie heraufbeschworen im bangenden Menschenhirn –
Ihre Kronenzepter zersplittern an der steinernen Bergesstirn –
Und ihrer Allmacht Male zerbröckeln wie mürbe Spreu:
Das Schweigen der Felsenöde verschlingt den Siegerschrei …
Im Schweigen der Bergeswüste verstummt die Kreatur –
Hier lebt und atmet nur eines: die unbefleckte Natur …
Und mich durchdrang die Wollust, an dieser Felsenbrust
Mein Sünderhaupt zu zerschmettern – all meine Erdenlust –
All meine Erdenduldung, von dieser Größe zerdrückt –
All meine Gramverschuldung, wiedergeburtsbeglückt –
Wiedergeboren und enden: zum erstenmal ein Held!
Ausatmen in diese Wildnis meine kleine, dürftige Welt!
Da kroch es heran, das Entsetzen, belastete mich wie Erz –
Und hämmern spürt' ich mein armes, todbangendes Menschenherz:
Gemach kehrt' ich zu Tal mich, nach Menschenspur hinab –
Bei Alltagsmühen zu suchen nach meinem Alltagsgrab.
Aus eines Weibes Armen komm' ich her …
Noch brennt mein Blut von seinen wilden Küssen,
Noch zuckt mein Leib – noch flammen meine Pulse …
Noch ist es mir, als läg' ich, hingerissen
Von seiner Schönheit, bebend ihm zu Füßen –
Als küßt' ich noch der Glieder weiße Rundung –
Als küßt' ich noch in wilder Brunst Gesundung!
Gesundung – ja! Vergessen traumverstrickt
Der steten Unrast, die sich festgekrallt
Um meine Seele … die sich festgesogen
Und mich nicht läßt, ob ich mich auch empöre –
Ob ich mich der despotischen Gewalt
Mit allen Kräften krampfhaft wehre!
Aus eines Weibes Armen komm' ich her –
Und stürmischer als je wogt auf das Meer,
Das Nacht und Tag in meiner Seele flutet …
Phantastisch türmen sich die Wellenmassen –
Und plötzlich reißt der Flor – einsam – verlassen
Fühl' ich auf einen Bergsitz mich enttragen.
Die
Nebelgeister hör' ich um mich weben –
Hellt sich vor meinem Blick das Menschenleben!
Und wie die Seele zuckt und zittert, schlagen
Lohende Flammen auf – und überquollen
Von dieser Flammen dunkelblut'gem Lichte
Seh' ich die große Posse sich entrollen –
Schau' ich in einem alle Weltgeschichte!
Die Nebel flirren und die Flammen lecken –
Ich aber schaue sich durch Dunst und Glut
Ein übermenschlich Bildnis recken …
Und Grausen schlägt mich! … So zerfoltert sah –
So qualzerspalten nimmer noch des Heilands
Gesicht ich – wie er da auf Golgatha
Bluttriefend hängt … Und doch: ein andrer ist's,
Der sich mit des Gigantenleibes Wucht
Ans Riesenkreuz drückt – nimmer jener blasse
Braunzarte Schwärmer mit den nächt'gen Augen …
Ein andrer ist's! … Barmherz'ger Gott! … Und auch
Von mir trägt er in seinem Angesichte
Der Züge manchen – und von allen, die
Mein Auge sah bis heute – deren Antlitz
Mir die Erinnrung wieder aufwärts trägt …
Hat noch die Kreatur nicht abgebüßt? …
— — — — — —
Unheimlich ist das Spiel – unheimlich – wüst –
Und jetzt noch grauenhafter – und mein Blick
Erstarrt – verglast –
Es rast
In meinem Hirn bei dieser Fratzenjagd –
Bei diesem Marionettenspiel der Ewigkeit …
Wie die Gesichter durcheinandertaumeln!
Wie alle Alter durcheinanderwirbeln!
Wie Schönheit sich mit Häßlichkeit verknüpft –
Und wie die Keuschheit vor der Wollust Grinsen
Wie ein gescheuchtes Reh entschlüpft!
Wer hat den Höllenwirrwarr losgelassen?
Und welcher Dämon hurt hier mit dem Elend
Der Menschheit? Will der Schoß des Himmels sich
Für eine Flammenlohe nicht erschließen?
Die sich mit ihrer Arme roten Reifen
Um dieses Spukes Riesenglieder schlänge?
Will sich kein Sturm aufrecken,
Um dies gemarterte Geschlecht
Mit aller Wüsten Sandstaub zuzudecken –
Ihm Bußgesänge
Vom allerletzten Todversöhnen
Ins Ohr zu dröhnen? …
Welch namenloses Weh! Ja!
Jeder leidet!
Und jeder muß sein Auge brechen lassen –
In Schmerzensschauern seinen Leib verrenken –
In Wahnsinnsfiebern seine Seele schinden …
Und keiner – keiner darf
Es sich ergrübeln und erdenken:
Wer ihn aus diese fürchterliche Folter warf!
Und hängt die Kreatur auch nur Sekunden –
Nur irdische Sekunden an dem Holze:
Die Qualen leidet sie von Ewigkeiten –
Von Ewigkeiten! …
Doch wer hat je
In seinem grenzenlosen Weh
Ach! dieses
einen Wortes Sinn gefunden?
— — — — — —
Aus eines Weibes Armen kam ich her –
Triumphe feierte die Sünde …
Nun weiß ich nicht, wo ich Erbarmen finde –
Es überwältigt mich der Schmerzen Meer …
Mit metallhartem Rotgelb
Hat sich des Himmels
Westliche Wölbung beflammt.
Mein Auge starrt staunend
In die leuchtende Blende,
Die wachsend fortglüht,
Als sei nimmer ihr Ende
Die lichtlose Nacht …
Da streift die brennende
Lichtwand ein Fittich –
Der nachtschwarze Fittich
Eines Dämmerungsvogels …
Eine kleine Spanne –
Und die Weite verschlang ihn.
Also trägt auch der Mensch
Mit schwankem Fittich
Sein zwielichtbefangenes Sein
Vorüber an der stetig leuchtenden
Kristallwand der Ewigkeit …
Er huscht dahin –
Ein Traum – ein Wahn –
Auf schmaler Bahn –
So bald – so bald
Raubt seiner Gestalt
Schattengefüge
Des Nichtseins
Farblose Wahrheitslüge.
Aber im Fluge –
Im Vorüberfluge –
Ahnt er das Rätsel
Der stetig und still,
In sattem Glanze
Fortdauernden Ewigkeit …
Im Morgengrauen schritt ich fort –
Nebel lag in den Gassen …
In Qualen war mir das Herz verdorrt –
Die Lippe sprach kein Abschiedswort –
Sie stöhnte nur leise: Verlassen!
Verlassen! Kennst du das Marterwort?
Das frißt wie verruchte Schande!
In Qualen war mir das Herz verdorrt –
Im Morgengrauen ging ich fort –
Hinaus in die dämmernden Lande!
Entgegen dem jungen Maientag:
Das war ein seltsam Passen!
Mählich wurde die Welt nun wach –
Was war mir der prangende Frühlingstag –
Ich stöhnte nur leise: Verlassen! …
Wo seid ihr hingegangen,
Meine frommen, unschuldigen Kinderaugen?
Wo seid ihr hingegangen,
Die ihr in prangenden Reizen
Die Welt mir verkündigt
In meines Lebens erster Morgenfrühe?
Wo seid ihr hingegangen,
Die ihr zärtlich bestauntet
Jedwede Kreatur,
Flut und Kristall,
Und voll Inbrunst
Wunder um Wunder schautet?
Wo seid ihr hingegangen,
Meine frommen, unschuldigen Kinderaugen?
Sehet! Ich sehne mich euch nach,
Ein Jüngling, ein Mann,
Dem die Welt sich nun malt
In nackten, nüchternen Farben!
Sehet! Ich sehne mich euch nach,
Ich weine euch nach –
Dem keuschen Blick
Meiner ersten Jugend –
Als zum ersten Male
Ich um mich blickte
Und der Bilder Fülle
Mich trunken machte –
Unsägliche Sehnsucht
In mir weckte –
Doch stilles Genügen
Zugleich mich besaß!
Sehet! Ich sehne mich euch nach,
Verlorene Augen der Unschuld,
Nun ich ein anderer ward
Und anders die Welt
Sich mir verkündigt.
Es fiel
In der hingleitenden Zeiten Spiel
Binde und Hülle –
Und über mich strömte sich aus
Die Fülle
Der Wirklichkeiten, der märchenlosen –
Es verdorrten
Meiner frommen Neugier –
Meiner keuschen Sehnsucht
Köstliche Jugendrosen!
Satt bin ich –
Und mein ungewirktes Auge
Träufelt in die zusammenschauernde Seele
Nur Tropfen des Ekels …
Weltgierig ward ich
Und allgierig
Und unersättlich –
Und spät und frühe
Durchtaumelte diese Brust
Unheimlicher Sehnsuchtsflammen
Schlangengezüngel.
Nimmer mir tat ich genug –
Und auf mir lastete
Segen zugleich und härtester Fluch …
Und ich wuchs und ich lebte.
Bis in der zweiten
Oder der dritten Morgenfrühe meines Lebens
Ich alt schon ward
Und müde schon vor der Zeit …
Von mir hinweggegangen
Sind Drang und Sehnsucht
Und die Wollust des Wanderns
Und des schneidenden Wehs
Unergründlichkeit!
Nicht wunschlos ward ich
Und nicht hoffnungslos!
Doch alles, was ich begehre –
Doch alles, was ich erhoffe,
Ist so geringe,
So hohläugig, entmarkt –
Ueberschattet von den müden Brauen
Heimlich zehrender Melancholie …
Wo seid ihr hingegangen.
Meine frommen, unschuldigen Kinderaugen?
Oh! wäret ihr bei mir geblieben!
Stark und trotzig
Wie vorzeiten
Wäre mein Lieben –
Und mein Hassen
Loderte auf in jähen Feuern!
Nun, da ihr mich verlassen,
Durchschreite ich welk und bekümmert
Meines wachsenden Lebens
Schmale, reizlose Dämmerungsgassen …
Es trauert entvölkert
Meiner Leidenschaften Serail –
Und ich ließ meiner ringenden Kraftgefühle
Felsengebirge,
Das in gigantischen Gegensätzen
Sich enthüllte,
Und sich erfüllte,
Zu gewaltigen Werdeschätzen!
Wo seid ihr hingegangen,
Meine frommen, unschuldigen Kinderaugen?
Sehet! Ich sehne mich euch nach,
Schürend
In toten, veraschten Kohlen –
Suchend und wie im Halbtraum spürend
Nach ein paar letzten mageren
Zukunftssymbolen!
I.
Sind mir die Schwingen denn gebrochen?
Ist mir die alte Kraft verraucht,
Daß ich nicht mehr des Herzens unstet Pochen,
Und was aus seinen dunklen Tiefen taucht
In buntem, vielgestalt'gem Reigen,
Bemeistern kann? Schloß schon das Schweigen
Die Dichterlippe – jenes große Schweigen,
Das Ekel, Ueberdruß, Melancholie
Und Lebensunrast großsäugt in der Brust?
Versprühte mir schon alle Jugendlust?
Verlor ihr Diadem die Poesie?
Sind meine Wurzeln welk? Mein Stamm verdorrt?
Mein Laub von tauber Asche überstaubt?
Ich treibe fort und fort
In einem uferlosen Ozean,
Gebeugt das Haupt,
Das Auge stier und brennend, tränenlos …
Jedwedes Menschenlos
Dünkt mich nur ein Gewirr von Trug und Wahn,
Drin Afterweisheit, blöder Aberwitz
Gehalt und Sinn und tiefre Ordnung finden …
Und zuckt einmal in diese zähe Nacht
Blutrot ein Blitz
Aus einer höhern Zone:
Dann schau ich Frevel nur und Sünden
Und Schmach und Ohnmacht allerwärts …
Und dem zertretnen Schmerzenssohne
Entschlägt sich seines letzten Hoffnungsschimmers
Das zerborstne Herz …
Was mich bewegt
In meiner Jugend großen Schwärmertagen:
Ich muß ihm tränenlos entsagen …
Das
Urwort, das allein Erlösung beut,
Und das gewaltiger denn Raum und Zeit,
Drin alles Sein sich hell und klar begreift:
Es wird doch ewig ungefunden bleiben!
Wir sind bestimmt, ziellos dahinzutreiben,
Und unser Schicksal will's, daß aller Blütenträume
Auch nicht ein einz'ger – nicht ein einz'ger reift!
II.
Aus des Lebens lebendigstem Wellenschlag
Bin ich zu dir, o Mutter Nacht, geflüchtet!
Nimm mich an deine Brust! Es floh der goldne Tag –
Ich hab' auf den Tag verzichtet!
Aus des Lebens blutleerem Schattenspiel
Bin ich zu dir, o Todesnacht, geflüchtet!
Was ich erhofft: in dürren, tauben Staub zerfiel –
Ich hab' auf den Staub verzichtet!
III.
So stürze, Moloch der Vernichtung,
In meine Brust und morde sie,
Die stolze Flamme meiner Dichtung,
Die Leuchte meiner Poesie!
So wirf mit deiner Keule nieder
Den Bau, den ich so hoch erricht't!
Ersticke die Empörungslieder!
Zertritt mein wildes Sturmgedicht!
Nur zu! Zerfetz mit deinen Krallen
Das Dokument des freien Geists!
Ich bin nun einmal dir verfallen!
Zermalmungsmächte, nun zerreißt's!
IV.
Im Sklavendienst der Lüge
Hab' ich den Tag verbracht …
Nun hat den Gnadenschleier leis
Herabgesenkt die Nacht.
Es schweigt verträumt die Runde,
Nur raunend der Nachtwind rauscht –
Ich aber mit brennendem Munde
Habe Stunde um Stunde
Mit Geistern aus nächt'gem Grunde
Wilde Zwiesprach getauscht!
Hei! Wie er mich umflattert,
Der Geister toller Schwarm!
Wie er mich preßt mit trunkner Lust
In seinen Riesenarm!
Wie Frage er auf Frage
In meine Seele schreit!
Und ob ich bang verzage,
Die Brust mir blutig schlage
Und bete, daß es tage:
Wie ist der Tag so weit!
V.
Oh! Welche namenlose Müdigkeit
Hat sich in meiner Seele festgenistet!
Stumpf jeder Lust, stumpf jedem Leid,
Gibt's
nichts, wonach mich noch gelüstet …
Gibt's –
nichts – nichts – nichts! … Das Wort, wie klingt's so hohl!
Doch wie bedeutsam spiegelt's
alles wieder:
Des Lebens Inhalt, Mittelpunkt, Symbol –
Sein ganzes aberwitz'ges Auf und Nieder …
VI.
Es spiegelt sich das Abendrot
Goldgelben in den Regenpfützen …
Und schmiegt sich an die Scheiben dicht,
Daß sie wie rote Feuer blitzen …
Geregnet hat's den ganzen Tag,
Nun hellt sich's noch, bevor es nachtet …
— — — — — —
Hast du dein ganzes Leben lang
Das Leben bodenlos verachtet:
Zur Stunde, wenn's zum Sterben geht,
Wird sich die Nacht noch einmal – klären,
Und wert, daß du sie krampfhaft hältst,
Wirst du sie finden, die –
Chimären!
VII.
Des Lebens buntes Formenspiel
Hat alle Farbe eingebüßt …
Es flüchtigt sich wie Schatten hin.
Draus schwarze Schwermut zu mir fließt …
Die schwarze Schwermut hat sich eng
Um meine Seele festgekrallt –
Sie wuchtet sich um mein Gelenk
Und macht mich müde, welk und alt.
VIII.
Es hat um mich die Einsamkeit
Gebreitet ihrer Schatten Fülle …
Und doppelt fühlbar wird mein Leid
Inmitten dieser tiefen Stille …
Von Welt und Menschen abgetrennt.
Spür' ich, wie sich mein Schmerz verdichtet –
Sich schließt zu
einem Element,
In dem sich
alles siebt und sichtet.
Und um mich schürzt sich's wie ein Netz
Und engt sich immer mehr zusammen:
Das ist der Einsamkeit Gesetz …
Und mich ersticken ihre Flammen …
IX.
In der Entsagung stumpfes Brüten
Hab' ich die Seele eingewiegt –
Verdorrt sind meiner Sehnsucht Blüten,
Und meiner Kraft Quell ist versiegt …
Falb und gestaltlos wie der Heide
Verdämmerte Monotonie
Liegt mir mein Leben! Und ich scheide,
Als hätt' ich's nie gekostet – nie!
Als hätt' ich nie an seinen Feuern
Gesessen und gesogen Glut;
Als hätt' mit seinen Ungeheuern
Gerungen nie mein Heldenmut!
Als hätt' ich nie auf seinen Höhen
Gestanden: Blick und Seele weit!
Als hätt' ich nie in seinen Tälern
Erfahren, wie das Elend schreit!
Mein Herz ist still – mein Auge trocken –
Nicht mehr bewegt mich Menschenbrauch –
Wie Summen fernverträumter Glocken
Spür' ich des
ew'gen Herbstes Hauch.
X.
Nach goldumsäumten Tagen –
Nach Stunden wonnereich:
Dies trauernde Entsagen,
Dies bangende Verzagen
So alltagswelk und bleich?
Fahrt wohl, ihr Weggesellen –
Stunden Himmelgeläuts!
Versiegt sind nun die Quellen –
Es klappern die Narrenschellen –
Denn ich – ich kroch zu Kreuz!
XI.
Oh! Daß mir doch ein Etwas – Schicksal – Gott –
Nennt, wie Ihr's wollt! – die Kraft, die riesengroße,
Weltbändigende, gäbe, daß ich alles,
Was sich entringt in Farben und Gestalten
Dem ewig unerschöpften Schoße,
Erfassen und behalten könnte!
Daß mir ergreifbar immer bliebe
Der herbe Widerstreit der Elemente
Das große Schicksalsspiel von Haß und Liebe!
In
eins – in
eins möcht' alles ich verballen –
In
eins – in
eins möcht' alles ich verkitten –
Und was ich je voll Götterlust durchfühlt –
Was mich durchwühlt –
Mit rohen
Schmerzensfäusten mich erstritten:
In
einem Tönen sollt' es widerhallen,
Und,
Meister dieser Melodienfülle,
Fänd' in der Brandung Sturm und Dröhnen
Ich dennoch tiefste Herzensstille
Und ein entsühnendes Versöhnen!
So aber halt' ich stets nur, was getrennt –
Und ob die Sehnsucht mir die Brust zerbrennt:
Auf irrer Spur
Läßt mich die Stunde nur
Am
Einzelnen verbluten,
Und fruchtlos send' ich meine Speere aus …
Ein neues Stürmen und ein neu Ermüden –
Ein neues Trotzen – und doch kein Erklimmen –
Umsonst verrollen meiner Seele Feuerfluten,
Und ihre Leuchten sind im Niederglimmen …
Ja! Fruchtlos send' ich meine Speere aus – –
Oh! fänd' ich endlich – endlich mich nach Haus!
Denn unbezähmbar in des Zwiestreits Fülle
Wird mir der Drang zur Stille …
Im
Tal der Weg, wo Bild zu Bild sich reiht,
Wo eins das andere verdrängt, enterbt,
Wo jedes sich mit eignem Reize färbt,
Und keins sich rundet zur Gemeinsamkeit –
Wird mir trotz meinem jungen Jahr zu weit …
Der
Einheit Größe, die den
Gipfel krönt,
Ließ mich das Schicksal nicht ersteigen – –
Nun denn! So scheid' ich unversöhnt –
Und eine andre, große Harmonie
Gibt mir das letzte, weltzeitlose Schweigen …
XII.
Liebeserklärung.
So hast du denn auch mich bezwungen,
Die ich verachtet grenzenlos!
Zu deinem Liebsten mich gedungen –
Gezerrt zu deinem feilen Schoß!
In deinen Armen lieg' ich stündlich,
Und deine Mätzchen lehrst du mich –
Frau
Lüge! Wir betreiben's gründlich – –
Und ich – o Scheusal! – liebe dich!
XIII.
Ich weiß – ich weiß: Nur wie ein Meteor,
Der flammend kam, jach sich in Nacht verlor,
Werd' ich durch unsre Dichtung streifen!
Die Laute rauscht. Es jauchzt wie Sturmgesang, –
Wie Südwind kost – es gellt wie Trommelklang
Mein Lied und wird in alle Herzen greifen …
Dann bebt's jäh aus in schriller Dissonanz …
Die Blüten sind verdorrt, versprüht der Glanz –
Es streicht der Abendwind durch die Zypressen …
Nur wen'ge weinen … Sie verstummen bald.
Was ich geträumt:
sie geben ihm Gestalt –
Ich aber werde bald vergessen …