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Neunzehntes Kapitel: Militärisches Leben in Fort McPherson.

Im Frühling 1870 brachte Will den im vergangenen Jahre gefaßten Entschluß, sich in der lieblichen Gegend des westlichen Platte sein Heim zu errichten, zur Ausführung. Er mietete eine Wohnung im Fort, und nachdem diese aufs behaglichste eingerichtet war, suchte er um Urlaub nach und reiste nach St. Louis, um seine Frau und Tochter Arta, jetzt ein schönes Kind von drei Jahren, zu holen.

Buffalo Bills Ruhm hatte sich bereits weit über die Grenzen der Prärie verbreitet, so daß er während seines vierwöchentlichen Aufenthalts in St. Louis der Gegenstand vieler Aufmerksamkeiten war. Als die Familie dann ihre Vorbereitungen zur Abreise nach der neuen Heimat im Grenzlande traf, fragte meine Schwägerin brieflich bei mir an, ob ich sie nicht begleiten wolle. Nur zu gern hätte ich die Einladung angenommen, allein gerade zu jener Zeit war meine Anwesenheit am Orte meiner Kindheit wünschenswert. Außerdem glaubte ich, daß meine Schwester May, die das Vergnügen der Reise nach St. Louis entbehrt hatte, nun in erster Linie Anspruch auf diesen Ausflug nach dem Westen machen könne.

So stattete also May einen Besuch in McPherson ab, wo sie eine reizende Zeit verbrachte, obwohl sie sich anfangs manchmal gegen die strenge Disziplin des militärischen Lebens aufzulehnen versuchte. Will bekleidete Offiziersrang, und so waren die beiden Töchter des Generals Augur, die sich ebenfalls auf Besuch im Fort befanden, ihr gegebener, aber nahezu auch ihr einziger weiblicher Umgang. Als Ersatz für den beschränkten weiblichen Verkehr gab es aber eine große Anzahl junger, unverheirateter Offiziere.

Jeder Tag brachte eine andere Unterhaltung und Zerstreuung, und Mays Briefe an mich waren voll von Berichten über das lustige Leben im Fort. Nach mehreren Monaten erhielt ich eine wiederholte dringende Einladung. Zugleich schrieb May voller Begeisterung von einer geplanten Büffeljagd, an der auch ich teilnehmen sollte.

Ich folgte der Einladung jetzt mit Vergnügen und bestimmte zugleich den Tag meiner Ankunft in McPherson. Leider mußte ich jedoch meine Abreise verschieben und langte erst drei Tage nach der festgesetzten Zeit im Fort an. May befand sich in großer Aufregung. Sie hatte mir drei Tage zum Ausruhen von der Reise bestimmt, und nun kam ich erst am Vorabend der Büffeljagd an. Selbstverständlich war ich zu sehr ermüdet, um Lust zu verspüren, mich sogleich auf Büffel loszustürzen, und so schlug ich May vor, mit mir am darauffolgenden Tage der Jagdgesellschaft nachzureiten, ein Vorschlag, in dem ich noch bestärkt wurde, als ich erfuhr, daß sich mein Bruder auf einem Kundschaftsritt befinde.

»Du wirst doch nicht ohne Will zu einer Büffeljagd gehen wollen?« fragte ich May.

»Warum nicht?« antwortete sie. »Wills Kommen und Gehen ist immer ganz unbestimmt. Seine Kundschaftsritte nehmen fast seine ganze Zeit in Anspruch, und überdies ist es unmöglich, eine Büffeljagd so kurz vorher abzubestellen, der Plan muß unbedingt ausgeführt werden. Die Gesellschaft ist zum Abgang bereit, und vorhin kam auch noch der Berichterstatter einer Omahaer Zeitung an, um den Verlauf der Jagd zu beschreiben. Wir können sie unmöglich verschieben – du mußt einfach mitkommen!«

Was blieb mir da anderes übrig? Und als sich die Jagdgesellschaft am anderen Morgen in Bewegung setzte, war auch ich eine der Teilnehmerinnen.

Es war eine lustige Gesellschaft, bestehend aus einer großen Anzahl von Offizieren und dem Zeitungsreporter Doktor Frank Powell, zwei Offiziersfrauen, ferner den Töchtern des Generals Augur, May und mir. Das Wetter war herrlich; fröhliches Lachen ertönte, und das Scherzen und Necken nahm kein Ende. Wenn man jung und eine leidenschaftliche Reiterin ist und einen hübschen jungen Offizier an seiner Seite hat, so kann man wohl die Müdigkeit eine Zeitlang vergessen.

Bald erschien das Fort nur noch wie ein kleiner dunkler Punkt in der sonnenbeschienenen Landschaft, mich aber überkam es fast wie Ehrfurcht, als mein Blick zum ersten Male über die weite amerikanische Prärie schweifte. Zu unserer Linken – wir ritten in östlicher Richtung – floß der seichte, aber reißende, mit grünen Inseln besäte Platte. Washington Irving nannte den Fluß den herrlichsten, aber auch unbrauchbarsten aller Ströme. »Die Inseln,« schrieb er, »gleichen schwimmenden Lustwäldern, deren eigenartige Lage der ganzen Landschaft den Charakter der Jugend und Anmut verleiht. Nimmt man dazu das Rauschen des Wassers, das üppig wogende Grün, den Wechsel von Licht und Schatten, die Reinheit der Luft, so kann man sich wohl einen Begriff von dem wonnevollen Gefühl machen, das der Wanderer beim Anblick einer Gegend empfindet, die frisch aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen zu sein scheint.«

Hierzu bildete die sandige Ebene, durch die wir ritten, einen scharfen Gegensatz. Auf ihr wuchsen nur das kurze, rauhe Büffelgras, der staubfarbene Salbei und der blütentreibende, aber stachelige Kaktus in üppiger Fülle. Zu unserer Rechten, in der Entfernung von etwa einer Meile, zogen sich lange Hügelketten am Horizont hin, die nur hie und da von riesigen Cañons Tiefeingeschnittene Flußbetten mit fast senkrechten Uferwänden. Anm. d. Übers. unterbrochen wurden, vermittels derer ein Weg ins Hochland geschaffen war, und die alle einen historischen oder legendenhaften Namen trugen.

Für mein Auge war dieses Landschaftsbild ebenso neu als schön. So weit man sehen konnte, kein Zeichen einer menschlichen Behausung; eine weite, unbewohnte Ebene, die ähnlich wie das Meer den Eindruck der Unendlichkeit machte.

Als wir uns den Vorbergen näherten, wäre eine unserer Reiterinnen um ein Haar zu Fall gekommen. Ihr Pferd war mit einem Fuß in die Höhle eines Präriehundes getreten und so zu plötzlichem Stillstand gezwungen worden. Nur mit Mühe konnte der Fuß wieder herausgezogen werden, ich aber erfuhr bei dieser Gelegenheit, welche Gefahren dem Präriereisenden durch diese verborgenen unabsichtlichen Fallen drohen.

Der Weg stieg jetzt langsam an, wodurch sich das Landschaftsbild etwas verändert hatte – öde Hügel an Stelle der öden Ebene. Die Sandhügel erhoben sich wellenförmig, und mir wurde gesagt, daß sie vor Urzeiten durch Wasserfluten gebildet worden seien. Der unter den Hufschlägen unserer Pferde erdröhnende harte, trockene Boden war einstens Meeresgrund gewesen.

Mich interessierte die Erdkunde meiner Umgebung ungemein, weit mehr als wenn ich erfahren hätte, daß jene seltsamen, unheimlichen Hügel die Schlupfwinkel kriegslustiger skalpgieriger Rothäute seien. Solch unliebsame Tatsachen aber wurden von den Offizieren nicht erwähnt, so daß wir in glücklicher Unwissenheit unseren Weg fortsetzten.

Wir mußten eine große Strecke zurücklegen, bis wir endlich eines Wildes ansichtig wurden, und so machte sich nach einem Ritt von zwanzig Meilen meine zeitweise vergessene Ermüdung wieder geltend. Doktor Powell schlug vor, daß die Damen die ersten Schüsse abfeuern sollten; aber mein Interesse an der Jagd war bedeutend zusammengeschrumpft. Ich befand mich weder in der nötigen Gemüts- noch Körperverfassung, um eine noch so interessante Jagd genießen zu können.

Endlich kam eine Büffelherde in Sicht – ein Anblick, der sofort Leben in die Gesellschaft brachte. Ein alter, etwas abseits von der Herde dahintrabender Stier wurde als erstes Opfer ausersehen. Nachdem wir in Schußweite gelangt waren, händigte man May eine Flinte ein und gab ihr genaue Verhaltungsmaßregeln. Der Büffel hat nur eine verwundbare Stelle und für einen Neuling ist es nahezu unmöglich, den tödlichen Schuß zu tun. May drückte ab und traf auch den Büffel, doch war er nur verwundet und stürmte jetzt, zu heller Wut entflammt, den buschigen Kopf gesenkt, auf uns zu. Die Offiziere schossen eine Kugel um die andere auf die unförmige Fleischmasse ab, erzielten aber nichts weiter damit, als die Wut der Bestie zu steigern. Eine zweite Flinte wurde May überreicht, und Doktor Powell selbst stellte das Visier ein, May aber drückte, erschreckt durch die Nähe des auf sie zukommenden Büffels, aufs Geratewohl ab.

Obgleich diese Erzählung genau den Tatsachen entspricht, so muß ich jetzt doch das Vorrecht des Romanschriftstellers in Anspruch nehmen und unsere jugendliche Heldin in ihrer gefährlichen Lage verlassen, um auf kurze Zeit ins Fort zurückzukehren.

Bald nachdem die Jagdgesellschaft das Fort verlassen hatte, war Will von seinem Kundschaftsritt zurückgekehrt, und seine erste Frage lautete: »Ist Nellie angekommen?«

»Ja, angekommen und wieder fortgegangen,« antwortete seine Frau, worauf sie ihm erzählte, wie man mich auf die lange besprochene Büffeljagd mitgeschleppt habe. Da aber brach einer von Wills seltenen Heftigkeitsanfällen los. Der Kundschaftsritt war lang und anstrengend gewesen und hatte ihn müde und hungrig gemacht, dabei erfüllte ihn ernstliche Sorge um unsere Sicherheit. Er wußte – wovon wir keine Ahnung hatten – daß, wenn wir auch die durchaus nicht unbeträchtlichen Gefahren, die sich an eine Büffeljagd knüpfen, glücklich beständen, uns noch immer die Möglichkeit einer Gefangennahme durch Indianer bedrohe.

»Ich muß ihnen sofort nachreiten,« sagte er, und davon war er wie der Wind, ohne auch nur an Essen oder Ausruhen zu denken. So viel Zeit aber nahm er sich doch noch, in der Offizierswohnung einen Besuch abzustatten und das Haupt des ganz verdutzten, noch ziemlich jungen Offiziers, der den abwesenden Kommandanten vertrat, mit einer Flut von Vorwürfen zu überschütten.

»Wußten Sie denn nicht,« rief Will, »daß meine andauernde Abwesenheit ein Zeichen herannahender Gefahr ist? Wie konnten Sie es zugeben, daß eine Gesellschaft Damen das sichere Fort verläßt und einen solch tollkühnen Ritt unternimmt, ehe ich mit der Versicherung zurückgekehrt war, es sei dabei nichts gewagt? Verstehen Sie wohl, wenn meinen Schwestern irgend ein Unheil zustößt, so mache ich Sie dafür verantwortlich!«

Mit dieser Drohung bestieg er das flüchtigste Pferd, das das Fort aufzuweisen hatte, und ritt davon, noch ehe sich der Offizier von seiner Überraschung erholt hatte.

Will folgte unseren Spuren und erreichte uns nach echter Heldenart gerade im rechten Augenblick. Der zu höchster Wut gereizte Büffel war, unbekümmert um das knatternde Gewehrfeuer, das die Offiziere auf ihn losließen, eben im Begriff, sich auf May zu stürzen. In der allgemeinen Aufregung des Augenblicks beachtete niemand den Laut herannahender Pferdehufe. Ich aber hörte hinter mir das Knallen eines Schusses und sah den Büffel dicht vor uns tot zusammenbrechen.

Unseres Retters schlechte Laune dämpfte die Begeisterung, mit der wir ihn willkommen hießen. Der weite Ritt mit leerem Magen war auch durchaus nicht geeignet, seinen Ärger zu mildern, und uns allen wurde gehörig das Kapitel verlesen. Unverzüglich mußten wir nach dem Fort zurückkehren; ein Befehl, der mit solcher Bestimmtheit gegeben wurde, daß es niemand einfiel, auch nur den leisesten Einwand zu erheben. Es fragte sich nun, ob wir das Fort noch erreichen konnten, ehe uns die Indianer den Weg abschnitten. Somit durfte keine Zeit verschwendet werden, selbst nicht so viel, als erforderlich gewesen wäre, dem erlegten Büffel die Zunge auszuschneiden. Will wies uns den kürzesten Weg nach Hause an, während er selbst, einer etwaigen Gefahr auflauernd, im Zickzack vor uns herritt.

Ich für meine Person war jetzt derart erschöpft, daß ich mich sogar von Indianern hätte einfangen lassen, wenn diese mir eine Hütte zum Niederliegen und Ausruhen angeboten haben würden, allein keine Rothaut ließ sich blicken. Fünf Meilen vom Fort entfernt befand sich die Farm eines reichen Junggesellen, wo auf Mays Bitte halt gemacht wurde. Man hoffte, der Besitzer werde sich meines beklagenswerten Zustandes erbarmen und irgend ein Fuhrwerk zur Verfügung stellen, worin die Damen den Rest des Weges zurücklegen konnten.

Wir wurden aufs liebenswürdigste empfangen, und während wir es uns in den behaglichen Räumen unseres Wirtes bequem machten, bestellte er ein Abendessen für die Gesellschaft. Will aber, der uns jetzt in Sicherheit wußte, setzte seinen Ritt nach dem Fort fort, um sich endlich der hinausgeschobenen Ruhe hinzugeben.

Am nächsten Tage erschien in der Omahaer Zeitung ein von Doktor Powell verfaßter Bericht über die Büffeljagd, worin May Cody allein der Ruhm der Büffelerlegung zugeschrieben wurde. Machen sich doch Zeitungsreporter meist kein Gewissen daraus, den genauen Tatbestand dem übermächtigen Sinn fürs Romantische zu opfern.

Zu jener Zeit waren verschiedene Vergehen unter den nicht militärischen Bewohnern des Forts vorgekommen, was General Emory, den nunmehrigen Befehlshaber des Forts, veranlaßte, die Kommissäre des Kreises, zu dem das Fort gehörte, zu ersuchen, Will als Friedensrichter aufzustellen. Dies geschah nun auch zum nicht geringen Verdruß des neugebackenen Richters, der, wie er sagte, »nicht mehr vom Gesetz verstehe, als ein Maultier vom Singen«. Allein er war nun eben einmal dazu verdammt, die richterliche Würde zu tragen, und bald hing an einer ins Auge fallenden Stelle seiner Wohnung das Schild aus:

William F. Cody,
Friedensrichter.

Eine der ersten Verrichtungen in seinem neuen Amte bestand darin, eine Trauung vorzunehmen. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirne, als er für diesen verzweifelten Fall unsere Hilfe erflehte. Das ihm bei Einrichtung seines Bureaus zugestellte dicke Gesetzbuch wurde vergebens nach den bei einer Trauung notwendigen Formalitäten durchsucht, und auch die Bibel erfuhr jetzt vielleicht eine eingehendere Durchsicht von ihm als je zuvor. Doch auch die Heilige Schrift gab ebensowenig Antwort auf die brennende Frage als der Kodex.

»Führe dir doch deine eigene Trauung wieder ins Gedächtnis,« lautete unser Rat, »und folge möglichst dieser Erinnerung.« Er aber schüttelte mutlos den Kopf – der kaltblütige Kundschafter und Indianerbezwinger befand sich in harter Bedrängnis.

Um der peinlichen Sache die Krone aufzusetzen, wohnte fast das ganze Fort der Trauung an.

»Nun ist alles gut,« sagten wir uns, als wir den Richter ohne anscheinende Angst seinen Platz vor dem bräutlichen Paare einnehmen sahen. In der Tat war sein Benehmen gleich von Anfang an tadellos, und schon beglückwünschten wir uns innerlich über seinen Erfolg, als zu unserem Entsetzen plötzlich die Worte an unser Ohr schlugen: »Wen Gott und Buffalo Bill zusammengefügt hat, den soll der Mensch nicht scheiden.«

Soviel ich weiß, hat es auch keiner versucht.

Noch ehe May nach Hause zurückkehrte, wurde Will der stolze Vater eines Sohnes. Er hatte jetzt drei Kinder, denn eine zweite Tochter, Orra, war zwei Jahre zuvor zur Welt gekommen. Eine Zeitlang bildete dieser Stammhalter der Familie den Gegenstand lebhaften Interesses im Fort, und Dutzende von Namen wurden dem glücklichen Vater vorgeschlagen. Major North riet ihm Kit Carson als einen passenden Namen für den Sohn eines großen Kundschafters und Büffeljägers, und dieser wurde denn auch schließlich gewählt.

Wohl hatte mich beim Gedanken an Wills gefahrvolles Leben schon oft bange Sorge erfüllt, jetzt aber erfuhr ich zum ersten Male, was wirkliche Angst ist. Will erhielt den Auftrag, eine Meldung über den Aufenthalt der sich kürzlich in der Nähe von McPherson gesammelten Indianermassen ans Hauptquartier zu befördern. Die Gegend wimmelte von Rothäuten, wie ihm der Kommandant mitteilte, eine Nachricht, die mich in namenlose Aufregung versetzte. Meine Schwägerin hatte sich allmählich an den gefahrbringenden Beruf ihres Gatten gewöhnt, und auch ich lernte im Laufe der Zeit diesen stoischen Gleichmut. Im Anfang aber war meine Angst so groß, daß Will mich auslachte.

»Beruhige dich doch, die Indianer werden dem Fort heute nacht ganz sicherlich keinen Besuch abstatten. Es ist wirklich keine Gefahr, daß sie dich skalpieren.«

»Um mich handelt es sich doch nicht,« antwortete ich erregt, »deinetwegen ängstige ich mich. Der Gedanke, daß du dich allein in jene von Indianern belagerten Vorberge begibst, ist mir entsetzlich.«

Das Fort lag zwar auf der Ebene, in der Ferne aber dehnten sich die dunklen Vorberge scheinbar bis ins Unendliche hin aus und boten den Rothäuten beliebte Schlupfwinkel. Will zog mich an ein Fenster und deutete nach der zwölf bis fünfzehn Meilen entfernten hinteren Hügelabdachung.

»Ich rate dir zwar,« sagte er, »dich aufs Ohr zu legen und zu schlafen. Wenn du aber durchaus wach bleiben und dich ängstigen willst, so werde ich um Mitternacht auf der Spitze jenes Hügels ein Feuer anzünden. Aber du mußt scharf aufpassen, denn ich kann nur einen einzigen Lichtstrahl aufblitzen lassen, da nicht nur deine Augen, sondern auch die der Indianer wach sein können.«

Man mag sich denken, wie mein Herz klopfte, als ich gegen zwölf Uhr in die Dunkelheit hinausspähte. Die Nacht war wie ein Schleier, der tausend Gefahren verhüllte. Für meine erregte Phantasie aber erschien dieser Schleier von lichtem Gewebe, hinter dem sich ein ganzes Heer von Reitern mit drohend erhobenen Lanzen bewegte. Wie konnte sich ein Mann allein in ein solch düsteres, schauerliches Gebiet wagen? Die Ritter der alten Zeit, die sich zum Kampfe gegen scheußliche Ungeheuer und verderbliche Drachen aufmachten, brauchten wahrhaftig kein mutigeres Herz, und doch boten sie ihre Brust ja nur eingebildeten Gefahren.

Zwölf Uhr! In undurchdringlicher Finsternis lag die weite Ebene vor mir.

Da, ein feiner Lichtstreifen, der einen Augenblick in die Höhe züngelte, dann wieder verschwand. Will war also bis jetzt wohlbehalten, allein es lagen noch so viele Stunden, und zwar die schlimmsten, bis Tagesanbruch vor ihm, daß ich durchaus nicht erleichtert mein Lager aufsuchte.

Am nächsten Tage kam der Kundschafter wohlbehalten mit der genauen Angabe des Aufenthaltsortes der feindlichen Sioux zurück. Sofort wurden die jeden Augenblick zum Kampfe gerüsteten Truppen gegen sie ausgeschickt und brachten den Indianern eine gründliche Niederlage bei. Eine große Anzahl Häuptlinge wurde gefangen genommen, unter denen sich auch das sogenannte »Rothemd«, ein kluger Indianer, befand, der später die Europareise mit dem »Wilden Westen« machte.

Ein gefangener Häuptling war stets der Gegenstand hohen Interesses für die im Fort sich befindenden Damen. Ich für meine Person fand jedoch, daß die im letzten Kampfe erbeuteten Indianer sich hauptsächlich durch allzugroße Spärlichkeit im Anzug und durch mürrisches Benehmen auszeichneten.

In diesem selben Herbst wurde das Fort von einem als Oberst Judson eingeführten Herrn besucht, den die Welt indes besser unter seinem Schriftstellernamen Ned Buntline kennt. Er wünschte die Kundschafter auf einem besonderen, von ihnen beabsichtigten Ritte zu begleiten, und Major Brown teilte Will mit, daß Buntline beabsichtige, Buffalo Bill zum Helden einer seiner Geschichten zu machen.

»Ich und der Held eines Romans, das müßte was Hübsches abgeben!« rief Will in spöttischem Tone.

»Allerdings, und zwar im Ernst,« antwortete der Major, indem er die schöne, ebenmäßige Gestalt seines Gegenübers prüfend betrachtete, worüber der Kundschafter aufs neue errötete und zum Dank für das Kompliment seinen Sombrero abnahm.

Als verabschiedeter Marineoffizier trug Ned Buntline eine schwarze Interimsuniform. Sein Gesicht war tief gebräunt und durchfurcht und hatte einen energischen, dabei aber doch gutmütigen Ausdruck; er hinkte ein wenig und trug deshalb stets einen Stock. Freundlich reichte er bei der Vorstellung Will die Hand und drückte seine Freude darüber aus, ihn kennen zu lernen. Damit war der Grund zu einer Freundschaft gelegt, die eine große Umwälzung in der Laufbahn Buffalo Bills heraufbeschwören sollte.

Während des nun folgenden Kundschaftsrittes entdeckte die Gesellschaft zufällig einen Riesenknochen, den der die Expedition begleitende Arzt als Teil eines vorsündflutlichen menschlichen Skeletts erklärte. Will, der die Indianersprache genügend verstand, erzählte bei dieser Gelegenheit die unter den Sioux verbreitete Sage über die Sündflut.

Die weisen Männer jenes Stammes lehren, daß die Erde einstens von Riesen bevölkert gewesen sei, die den heutigen Menschen ums Dreifache an Körpergröße übertrafen. So flink und kraftvoll seien sie gewesen, daß sie neben einem Büffel herlaufen, das Tier unter einen Arm nehmen, ihm ein Bein ausreißen und es während des Rennens verzehren konnten. Im hochmütigen Bewußtsein ihrer Kraft und Größe aber haben sie das Dasein eines Schöpfers geleugnet. Zuckte ein Blitz hernieder, so erklärten sie sich stärker als er, donnerte es, so lachten sie.

Dies mißfiel dem »Großen Geist«, und um sie für ihre Anmaßung zu strafen, sandte er einen heftigen Regen auf die Erde nieder. Alle Täler füllten sich mit Wasser, so daß sich die Riesen auf die Hügel flüchten mußten. Aber auch an den Hügeln krochen die Fluten allmählich hinauf, weshalb die Riesen Zuflucht auf den höchsten Bergen suchten. Allein der Regen wollte nicht aufhören, die Wasser stiegen, und die Riesen ertranken.

Der »Große Geist« aber zog nun seinen Nutzen aus den gemachten Erfahrungen. Nachdem die Wasser wieder gesunken waren, erschuf er eine neue, aber kleinere und schwächere Menschenrasse.

Diese Sage hat sich seit den ältesten Zeiten von Siouxvater zu Siouxsohn verpflanzt. Auch sie zeigt, daß die Geschichte von der Sündflut, von der sich bei allen Völkern eine Überlieferung findet, ein historisches Gemeingut der ganzen Welt ist.

Eine weitere bei den Indianern verbreitete, wenn auch aus späterer Zeit stammende Sage ist nicht uninteressant. Der »Große Geist«, sagen sie, formte einstens einen Menschen aus Lehm, den er zum Backen in einen Schmelzofen schob. Allein er war zu lange der Glut ausgesetzt gewesen und kam schwarz gebrannt heraus. Ihm entstammt die Negerrasse. Bei einem weiteren Versuch fürchtete der »Große Geist«, der zweite aus Lehm geformte Mensch möchte ebenfalls verbrennen, und so zog er ihn zu früh aus dem Ofen. Ihm entstammt die Rasse der Bleichgesichter. Nun endlich hatte der »Große Geist« genügende Erfahrungen gesammelt, so daß der dritte Lehmmensch weder zu lang noch zu kurz im Ofen verblieb. Ein Meisterwerk entstieg ihm, die Krone der Schöpfung – der edle rothäutige Indianer.

* * *


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