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Drittes Kapitel: Der Schatten der Parteikämpfe.

Selbstverständlich waren unter den Ansiedlern in Kansas alle Arten von Gesellschaftsklassen vertreten. Neben ehrlichen, fleißigen Farmern und wohlhabenden Handelsleuten machten sich eine Menge mittelloser Taugenichtse, Abenteurer und Landstreicher breit. Wohl manchmal mochte meinem Vater der Gedanke kommen, ob es wohl klug gewesen sei, in dieses neue, wilde Land gezogen zu sein, doch sprach er nicht darüber, sondern sah tapferen Mutes der Zukunft entgegen.

In Iowa hatte er in politischen Dingen eine gewisse Rolle gespielt und auch öffentliche Vertrauensämter bekleidet. In die Parteikämpfe, die in Kansas wüteten, wünschte er aber durchaus nicht hineingezogen zu werden. Er gehörte zu den Freibodenmännern Gegner der Einführung der Sklaverei., und die gegen die Sklaverei stimmenden Ansiedler waren bedeutend in der Minderheit. In unserer Nachbarschaft gab es überhaupt nur zwei Farmer, die, wie der Vater, die Sklaverei verwarfen. Ein Jahr lang behielt der Vater seine politischen Grundsätze für sich, schließlich aber verbreitete sich auch in Kansas sein Ruf als gewandter öffentlicher Redner. Die Sklavereianhänger vermuteten bei ihm natürlicherweise dieselbe Ansicht wie bei seinem Bruder Elias Cody, einem bekannten Verfechter der Sklaverei, und betrachteten meinen Vater bereits als vielversprechenden Parteiführer. Geschickt war er bis jetzt einer öffentlichen Entscheidung für die eine oder andere Partei ausgewichen, in seinem Schicksalsbuche aber stand geschrieben, daß er einer der ersten auf dem Altar der Freiheit geopferten Männer werden sollte.

Die Poststation war ein beliebter Versammlungsort für alle Ansiedler der Umgegend. Eines Tages, im Sommer 1855, besuchte auch mein Vater, wie gewöhnlich von Will und Türk begleitet, das Gast- und Handelshaus. Unter der Menge, bei der die Wogen der Erregung schon sehr hoch gingen, bemerkte mein Vater mehrere der Gegenpartei angehörende Hitzköpfe, aber auch Onkel Elias und unsere beiden Freibodennachbarn Hathaway und Lawrence.

Vaters Erscheinen wurde mit der stürmischen Aufforderung, eine Rede zu halten, begrüßt. Vor dieser Zuhörerschaft zu sprechen, hieß aber so viel, als sein Leben aufs Spiel setzen; allein so sehr sich mein Vater auch sträubte, er wurde zum Reden gezwungen.

Es stand in den Sternen geschrieben, da gab es kein Entweichen! Festen Schrittes ging der Vater auf die Schnittwarenkiste zu, die als Rednerbühne diente. Als er an Hathaway vorüberkam, zupfte ihn der gute alte Mann am Ärmel und bat ihn, die Menge mit Gemeinplätzen abzuspeisen und seine wirklichen Ansichten zu verheimlichen.

Unser Vater aber war nicht der Mann, sich mit allgemeinen Redensarten zu befassen.

»Freunde,« sagte er, seine Zuhörerschaft scharf ins Auge fassend und sich zu seiner ganzen Höhe aufrichtend, »Freunde, ihr täuscht euch vollkommen in mir. In meiner Absicht lag es nicht, mit euch zu streiten, aber ihr habt mich zum Sprechen gezwungen, und es bleibt mir jetzt nichts anderes übrig, als euch meine Meinung unverhohlen kundzutun. Ich bin und war immer ein Gegner der Sklaverei, denn sie ist eine Einrichtung, die nicht nur den Sklaven, sondern auch den Sklavenhalter entwürdigt, und ich gebe euch mein Wort, daß ich meine ganze Kraft, ja, wenn es not tut, sogar mein Leben einsetzen werde, damit dieser Fluch nicht auf dem Boden von Kansas Wurzel faßt. Es ist genug, daß die schönsten Teile unseres Landes bereits von dieser Pest verseucht sind. Möge sie sich nicht weiter ausbreiten! Alle meine Energie und Klugheit soll dem Streben gewidmet sein, Kansas als einen von der Sklaverei freien Boden zu erhalten.«

Die Versammlung war durch diese Kühnheit so verdutzt, daß sie eine Zeitlang in starrem Schweigen verharrte. Dann aber brach der Sturm los. Eine wutschnaubende Menge umgab den Sprecher. Mehrere Hitzköpfe drängten sich mit mörderischen Absichten vor, und einer, Charles Dunn mit Namen, stieß sein Messer in die Brust des tapferen Mannes, der so freimütig seine Ansichten zu bekennen gewagt hatte.

Um das Leben des Vaters

Als der Vater niederstürzte, sprang Will auf ihn zu und rief, sich zu dem Mörder wendend, in knabenhafter Wut: »Sie haben meinen Vater gemordet! Wenn ich ein Mann bin, werde ich Sie töten.«

Die Menge, die den Vater für tot hielt, wich zurück. Die Tat erschreckte sie nun doch, denn noch waren sie nicht ganz gegen eine verbrecherische Handlung verhärtet.

Hathaway und Will trugen meinen Vater nun in ein Versteck im hohen Grase abseits vom Wege. Die Menge verlor sich indes nur langsam, so daß sich die Abenddämmerung bereits herniedersenkte, als endlich die Bahn frei war und der Vater, auf Will gestützt, mühsam und noch blutend, den Heimweg anzutreten vermochte.

Auftritte wie dieser konnten nicht ohne tiefen Eindruck auf die Seele des heranwachsenden Jünglings bleiben; sie bildeten jenen Cody der späteren Jahre aus ihm, der sich, je nachdem es der Augenblick erforderte, stets kaltblütig und erfinderisch in der Bedrängnis, rasch im Entschluß und kühn und schlagfertig im Handeln erwies.

Dieses traurige Erlebnis war indes nur der Anfang unserer Sorgen, denn des Vaters Genesung machte nur langsame Fortschritte, und nie hat er sich wieder vollständig erholt. Seine Feinde hielten ihn für tot, eine Zeitlang gelang es uns auch, das Geheimnis zu wahren; kaum aber konnte er wieder umhergehen, so begannen die Verfolgungen von neuem.

Ungefähr eine Woche nach jener stürmischen Zusammenkunft auf der Poststation kam Will eines Abends mit der Nachricht nach Hause gelaufen, daß sich ein Trupp Reiter nähere. In ihrer Angst warf die Mutter dem Vater einen ihrer Röcke über, stellte ihm einen Eimer auf den Kopf und bat ihn, sich im Kornfeld zu verstecken. Kühn trat er aus dem Hause, und im Schutze der hereinbrechenden Dämmerung gelang es ihm, unbehelligt an den Reitern vorüberzugehen, die aufs Haus zuritten und dort abstiegen.

»Wo ist Cody?« fragte der Anführer, worauf man ihm antwortete, daß der Vater nicht zu Hause sei.

»Da kann er von Glück sagen,« lautete die freche Antwort, »das nächste Mal soll er dafür umso sicherer ins Gras beißen.«

Ärgerlich über die mißglückte Absicht, suchten sich die Schurken dadurch schadlos zu halten, daß sie das Haus alles dessen beraubten, was ihnen gerade in die Augen stach. Dann setzten sie sich mit dem angekündigten Vorhaben nieder, die Rückkehr ihres Opfers zu erwarten.

Da die Mutter fürchtete, die Nachtluft könnte trotz des Sommers einen schädlichen Einfluß auf den Vater haben, so machte sie Will ein Zeichen, worauf sich dieser sofort aus dem Zimmer schlich und, begleitet von Türk, Decken ins Kornfeld trug und zurückkehrte, ohne daß man seine Abwesenheit bemerkt hatte. Die Schurken wurden des Wartens übrigens bald müde und ritten, nachdem sie der Mutter nochmals ihre beabsichtigte Heldentat angekündigt hatten, brummend wieder fort. Schon begann der Tau niederzufallen, als der Vater ins Haus zurückkehrte.

Noch am selben Morgen wurde Will unter dem Vorwand, Spezereien einzukaufen, zum Auskundschaften nach der Poststation geschickt, und da er Augen und Ohren offen hielt, erfuhr er, daß die Feinde dem Vater scharf auflauerten. Er durfte also sein Versteck im Kornfeld nicht verlassen. Lange aber konnte ein solches Leben nicht durchgeführt werden, und so beschloß der Vater, sich bei Nacht nach dem vier Meilen entfernten Fort Leawenworth zu begeben. Es war ein trauriger Abschied, da niemand wußte, ob wir den Vater jemals wiedersehen würden.

»Ich hoffe,« sagte er zur Mutter, »daß diese Wolken bald vorüberziehen werden und wir dann unser altes glückliches Leben wieder aufnehmen können.« Dann fuhr er, die Hand auf Wills Kopf legend, fort: »Du aber mußt jetzt bis zu meiner Rückkehr der Hausvater sein. Doch weiß ich, daß ich Mutter und Schwestern beruhigt deinem Schutze anvertrauen kann.«

Was Wunder, daß Will, auf dessen Schultern man solche Verantwortung legte, und dem man solches Vertrauen schenkte, in seinem Denken und Fühlen ein Mann wurde, ehe er es den Jahren nach war.

Der Vater erreichte glücklich Leawenworth. Da der Streit zwischen den Freibodenmännern und den Sklavereianhängern aber immer erbitterter wurde, so hielt er es für klüger, einen noch entfernter gelegenen Ort aufzusuchen. Zu Schiff begab er sich nach dem zwanzig Meilen stromaufwärts gelegenen Doniphan, zu jener Zeit nichts weiter, als ein gewöhnlicher Landungsplatz. Dort traf er auf eine kleine, mit Abkochen beschäftigte, etwa dreihundert Mann starke militärische Abteilung. Sie stand unter dem Befehl von Oberst Jim Lane und befand sich auf dem Wege von Indiana nach dem Westen.

Oberst Lane, eine interessante Persönlichkeit, war ein Freund des im Jahre 1836 wegen der Herausgabe einer in Illinois gegen die Sklaverei gerichteten Zeitung ermordeten Elias Lovejoy gewesen. Als der Kampf in Kansas dann immer erbitterter wurde und für die Freibodenmänner einen bedrohlichen Charakter annahm, hatte er eine Schar kühner Männer angeworben, um seine gefährdeten Gesinnungsgenossen zu beschützen und zugleich den an Elias Lovejoy verübten Mord zu rächen.

Das Zusammentreffen meines Vaters mit Lanes Leuten gestaltete sich zu einem freundschaftlichen Verkehr, so daß er sein Schicksal mit dem ihrigen zu vereinigen beschloß. Bald darauf nahm er an der Schlacht von Hickory Point teil, bei der die Sklavereianhänger unter großen Verlusten geschlagen wurden.

Der Name Jim Lanes aber wurde von diesem Tage an von der Gegenpartei mit Schrecken, von unserer Familie dagegen voll Dank und Vertrauen genannt.

Die Anstrengungen und Aufregungen der Schlacht hatten indes die schwachen Kräfte des Vaters so stark mitgenommen, daß er unter dem Schutze des mit seinen Leuten in der Nähe lagernden Obersten Lane bei Nacht heimlich nach Hause zurückkehren mußte, wo er sofort wieder aufs Krankenlager niedergeworfen wurde.

Dies war ein harter Prüfstein für die Gesundheit unserer armen Mutter, denn während der Abwesenheit des Vaters hatte sich unserem Geschwisterkreis noch ein Brüderchen zugesellt, und außer der Wartung des kleinen Charlie und der Pflege eines kranken Mannes lastete auch noch die beständige Angst um dessen Sicherheit auf ihr.

* * *


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