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Siebentes Kapitel: Indianergefecht und Schulerlebnisse.

Will blieb nicht lange zu Hause. Unter den in Utah angesiedelten Mormonen war ein Aufstand ausgebrochen, weil die Regierung, die von Brigham Young verübte Strafvollstreckung mißbilligend, einen Untersuchungsrichter in den betreffenden Staat geschickt hatte. Unter dem Befehl des Generals Albert Sidney Johnston wurden Truppen zur Unterdrückung des Aufstandes abgesandt. Die Lieferung von Lebensmitteln und die Beischaffung von Rindviehherden für die im Herbst des Jahres 1857 gegen die Mormonen zusammengezogene Militärabteilung übertrug man der Firma Russell, Majors & Waddell. Obwohl bei diesem Proviantzug die ausgedehntesten Sicherheitsmaßregeln gegen etwaige Überfälle getroffen worden waren, so sollte ihn doch dasselbe Schicksal ereilen, wie jenen unter der Leitung der Brüder McCarthy.

Will wurde als Expreßbote dem erfahrenen Wagenmeister Lew Simpson zugeteilt und stand unter dessen unmittelbarem Befehl. Da man nicht nur Überfälle von Indianern, sondern auch solche der Mormonen zu befürchten hatte, so war eine besonders gute Bezahlung der Begleitmannschaft festgesetzt worden. Monatlich vierzig Dollars in Gold, das bedeutete für einen elfjährigen Knaben eine große Summe.

Wills zweiter Abschied von zu Hause war nicht weniger schmerzlich als der erste. Wir Mädchen ergingen uns wie früher in lautem Wehklagen und wollten ihm gerne alle in unserer Puppenstube angerichteten Verwüstungen und all seine Neckereien vergeben, wenn er nur nicht fortgehen würde, um schließlich von den Indianern skalpiert zu werden. Die Mutter sprach nicht viel; ihr angsterfüllter Blick aber verriet deutlicher als Worte die Sorge, die sie in Gedanken an Wills frühere Reise erfüllte. Mit staunender Bewunderung schaute der kleine Charlie zu dem Abschiednehmenden auf, gab es doch für ihn keinen größeren Helden auf der Welt als Bruder Will. Türks Kummer stand dem unserigen um nichts nach. Es schien, als ob das gute, treue Tier die Absicht habe, während Wills Abwesenheit das Amt eines Familienbeschützers zu übernehmen, denn er machte nicht den geringsten Versuch, seinem jungen Herrn über das Gittertor hinaus zu folgen.

Der erste Teil der Expedition ging gut von statten. Schon war Fort Bridger, die Hälfte der Reise, ohne Zwischenfall erreicht. Als man aber eines Tages bei den Ausläufern der Rocky Mountains, in der Nähe des Green River, Mittagsrast machte, wurde die Kolonne plötzlich von einer starken Truppenmacht der Mormonen, den sogenannten »Racheengeln«, überfallen, von denen man mit Recht sagt, »daß sie die heiligen Überlieferungen nur gestohlen haben, um dem Teufel damit zu dienen«. Sie waren es auch gewesen, die den im Juni desselben Jahres in den Mountain Meadows verübten entsetzlichen Massenmord begangen hatten, obwohl die abgefeimten »Heiligen« versuchten, die Greueltat der Hinmetzelung unschuldiger Frauen und Kinder auf die Indianer zu schieben, die hart dafür büßen mußten, aber nur die Werkzeuge der Mormonen gewesen waren. Brigham Young klagte seinen Mitschuldigen John D. Lee wegen obiger Greueltaten an und ließ es zu, daß dieser den Sündenbock für ihn machte. Die auf dem Totenbett ausgesprochene Behauptung Lees hatte indes nicht weniger rührend gelautet, als Kardinal Wolseys Beschuldigung Heinrichs VIII.

»Ohne Opfer ging es nicht ab,« sagte er, »und ich bin nun eben dieses Opfer. Dreißig Jahre lang bestrebte ich mich, Brigham Youngs Vorbild nachzueifern; nun könnt ihr sehen, wie weit ich's gebracht habe. Auf feige, niederträchtige Weise bin ich geopfert worden, aber ich fürchte den Tod nicht; ein elenderes Dasein als hier kann mir auch jenseits des Grabes nicht beschieden sein.«

John D. Lee verdiente sein Schicksal, Brigham Young aber war nicht minder ein Schurke. –

Die Mormonen schenkten zwar den Fuhrleuten das Leben. Da sie aber wußten, daß die Vorräte für die gegen Brigham Young aufgestellten Truppen bestimmt waren, so nahmen sie alles fort, was sie nur schleppen konnten, bemächtigten sich des Viehes oder trieben es in die Flucht und verbrannten die Wagen. Der Begleitmannschaft wurde nur ein Wagen samt Gespann mit den bis zu Erreichung des Hauptquartiers notwendigen Lebensmitteln überlassen.

Eine niedergeschlagene, tief entmutigte Schar langte endlich in Fort Bridger an. Die Nachricht, daß noch zwei weitere Proviantzüge zerstört worden seien, steigerte die allgemeine Mißstimmung, denn das hieß so viel, als mit den schon vorher angelangten Fuhrleuten und mit den Soldaten des Forts den Winter über auf schmale Ration gesetzt zu werden. Nahezu vierhundert Fuhrleute befanden sich in der Festung, und der Winter stand bereits so dicht vor der Türe, daß nichts anderes übrigblieb, als bis zum Anbruch des Frühlings im Fort zu bleiben.

Es war ein trübseliger Winter. In einem zwei Meilen weit entfernten Walde mußten die Leute ihr Brennmaterial holen. Als die Vorräte dahinschwanden, wurde ein Ochse um den anderen geschlachtet, und nachdem auch dieses Hilfsmittel erschöpft war, stieg langsam das Gespenst des Hungertodes vor den Augen der hartgeprüften Menschen auf. Zum Glück gelangte die Kunde von ihrer bedrängten Lage zu den Besitzern des Frachtfuhrgeschäfts, so daß ein von ihnen abgeschickter Proviantzug noch kurz vor dem Frühling im Fort anlangte.

Sobald es irgendwie anging, traten die Fuhrleute die Rückreise an. Bei Fort Laramie wurden Wills Vorgesetztem, Simpson, zwei große Frachtzüge unterstellt, bei denen Will mit dem Dienste eines Expreßboten zwischen den beiden, zwanzig Meilen voneinander getrennt marschierenden Kolonnen betraut wurde.

Eines Morgens machten sich Simpson, George Woods und Will, die sich beim zweiten Zug befanden, auf den Weg, um die Verbindung mit dem früher abgegangenen ersten Zug herzustellen. Sie ritten auf Mauleseln und waren wie die ganze Begleitmannschaft mit Flinten, Dolchen und Revolvern bewaffnet. Die drei mochten etwa die Hälfte der zwanzig Meilen zurückgelegt haben, als sie plötzlich eine Schar Indianer aus einer etwa eine halbe Meile entfernten Baumgruppe herauskommen und auf sich zujagen sahen. Eine Flucht auf den Mauleseln war unmöglich, Widerstand zu leisten versprach auch keinen Erfolg, da die Indianer etwa fünfzig Mann stark sein mochten. Ein Sichergeben aber hieß so viel als Tod und Verstümmlung.

»Schießt die Maulesel tot, Jungens,« befahl Simpson, und fünf Minuten später schauten zwei Männer und ein Knabe mit grimmigen Blicken über eine noch zuckende Barrikade. Der Schlachtenplan verstand sich von selbst: für Schußweite die Flinte, dann der Revolver und zuletzt die Dolche. Will sollte den an seinem Federkopfputz leicht erkenntlichen Häuptling aufs Korn nehmen, denn schon war sein sicheres Treffen unter den Gefährten fast sprichwörtlich geworden. Die Kaltblütigkeit, die Simpson an den Tag legte, teilte sich auch dem Knaben mit, der sich der verzweifelten Lage wohl bewußt war.

Gleich einem heulenden Sturmwind kamen die Indianer dahergesaust.

»Feuer!« kommandierte Simpson, und im nächsten Augenblick galoppierten drei reiterlose Pferde über die Ebene hin.

Erschreckt durch den Tod ihres Anführers machte die Schar kehrt und ritt außer Schußweite. Will seufzte erleichtert auf.

»Lade nur wieder, Billy,« sagte Simpson lächelnd, »sie werden gleich zurückkehren.«

»Sie haben nur drei oder vier Flinten,« bemerkte Woods; es waren nicht viele Kugeln unter dem Pfeilregen.

»Da kommen sie schon,« rief Simpson, und rasch legte das Trio die Flintenläufe auf die toten Maulesel.

Wieder gab es drei reiterlose Pferde, doch ließen sich die Indianer diesmal nicht zurückschrecken, da sie wohl vermuteten, den Weißen müsse nächstens die Munition ausgehen. Eine Revolversalve belehrte sie jedoch bald eines anderen, so daß die angreifende Kolonne wankte und zurückwich.

Während die drei dann wieder luden, klopfte Simpson Will auf die Schulter und sagte: »Du bist ein tapferer Junge, Billy!«

»Das will ich meinen,« stimmte Woods ein, indem er kaltblütig einen Pfeil aus seiner Schulter herauszog. »Was ist das für einer, Lew, ist er wohl vergiftet?«

In atemloser Spannung wartete Will auf den entscheidungsvollen Ausspruch, und seine Erleichterung war groß, als Simpson nach sorgfältiger Untersuchung antwortete: »Nein.«

Nachdem die Wunde oberflächlich verbunden war, wandte die Gesellschaft ihre ganze Aufmerksamkeit wieder dem Feinde zu, der ihre Verschanzung umkreiste. Sich auf die äußere Seite der Pferde neigend, um gegen die feindlichen Geschosse gedeckt zu sein, entsandten sie ihre Pfeile.

Mit einem Anflug jenes derben Humors, den das Prärieleben zeitigt, erklärte Will, daß die Maulesel ihn an Stecknadelkissen erinnerten, so voller Pfeile staken sie.

Einem bald darauf folgenden Angriff hielten die Weißen mutig stand, wobei ein Indianerpferd ums andere und gelegentlich auch ein Reiter zu Fall kamen. Das war nun aber ein teurer Spaß für die Indianer, und schließlich zog sich die ganze Gesellschaft außer Schußweite zurück.

Eine lange, wohltuende Pause trat ein, die das Trio dazu benützte, die Verschanzung zu verstärken, indem sie die Erde mit ihren Dolchen aufgruben und sie auf die Maulesel häuften. Es war eine mühsame Arbeit, die jedoch der Untätigkeit auf dem engen Raume noch vorzuziehen war.

Zwei Stunden verflossen, dann ließ sich der Plan des Feindes erkennen. Eine leichte Brise hatte sich erhoben, und nun zündeten die Indianer die Prärie an. Glücklicherweise war das Gras in der Nähe des Pfades kurz, und obwohl die Hitze groß und der Rauch erstickend war, so hielt die Barrikade wenigstens die Flamme selbst ab. Simpson hatte scharfe Wache gehalten. Plötzlich gab er den Befehl zum Feuern. Drei Kugeln flogen durch Rauch und Glut, und die ihnen folgenden gellenden Rufe bewiesen ihren guten Erfolg. Nachdem den Indianern nun auch diese letzte Kriegslist mißglückt war, begannen sie sich zu ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Abwarten, zu rüsten.

Ein dünner Kreis bildete sich außer Schußweite; Pferde wurden angepfählt und Zelte errichtet. Die Nacht senkte sich hernieder, und ein Stern um den anderen blitzte auf.

Woods wurde wegen seiner Wunde vom Nachtdienst ausgeschlossen, Will und Simpson dagegen standen abwechslungsweise Posten. Will übernahm als erster den Dienst, und trotz aller Müdigkeit wurde es ihm nicht schwer, sich wach zu halten, nach der Ablösung aber verfiel er dann in einen umso tieferen Schlaf. Ihm träumte, Türk belle ihn an, und als er erwachte und sich in unbewußtem Schrecken aufrichtete, fand er Simpson, über seine Flinte geneigt, eingeschlafen.

Nichts unterbrach das mitternächtliche Schweigen, und tiefe Dunkelheit lag auf der Ebene. Will schien es jedoch, als schlichen sich Gestalten heran, die noch dunkler waren als die Nacht. Leise legte er die Hand auf Simpsons Schulter.

Sofort war dieser munter, und auch Woods wurde geweckt. Kaum hörbar knackten die Gewehrschlösser durch die leichtbewegte Nachtluft, und einen Augenblick später verkündigten drei Schüsse dem herankriechenden Feinde, daß die Weißen lebendig und auf ihrem Posten seien.

Nun war innerhalb der kleinen Verschanzung von Schlaf keine Rede mehr. Bald brach auch der Tag an, und sorgenvolle Augen spähten den Pfad entlang, ob die Verstärkung noch nicht im Anzuge sei, denn kommen mußte sie ja, aber ach, auf was für schweren, langsam sich drehenden Rädern!

Der Mittag nahte heran und ging vorüber. In ängstlicher Frage trafen sich die sorgenvollen Blicke. Sollte der zweite Zug am Ende von einer größeren Indianerschar überfallen worden sein? Da plötzlich wurden mehrere Rothäute sichtbar, die mit den Zeichen der Erregung aufsprangen und den Kreis entlang Alarm schlugen.

»Sie hören das Peitschenknallen der Bullentreiber,« sagte Simpson.

Die Indianer, die das Vorüberfahren des ersten Ochsenzuges beobachtet und Simpson und seine Gefährten für dessen Nachzügler gehalten hatten, waren auf einen so rasch folgenden zweiten Zug nicht gefaßt. In fieberhafter Eile bestiegen sie jetzt die Pferde, und als der erste Ochsenwagen in Sicht kam, befanden sie sich bereits auf dem Wege nach den fernen Vorbergen.

Wohl niemals wurde eine Erscheinung mit dankbareren Blicken begrüßt, als jene sich schwerfällig fortbewegenden Tiere, niemals eine Musik lieblicher gefunden als der herbe Klang der Bullentreiberpeitsche.

Nachdem der Hunger gestillt und Woods Wunde gehörig verbunden war, wurde Will von den erfahrenen Kennern der Prärie zum zweiten Male als Held gepriesen. Simpson rühmte seine ruhige Besonnenheit und seinen Mut, und dem Traume, der ihn zur rechten Zeit erweckt hatte, wurde es zugeschrieben, daß die kleine Gesellschaft noch auf dieser Erde wandelte. Will aber war sehr geneigt, seinem Freunde Türk das volle Verdienst anzurechnen.

Der Rest der Reise brachte keine besonderen Erlebnisse mehr, und als Will sich seiner Heimat näherte, eilte er dem Zuge voraus. Stürmisch schlug sein Herz beim Gedanken an seine Lieben, die noch nichts davon ahnten, daß er ihnen so nahe war.

Allein auf dem Hause, dem er freudigen Herzens entgegenstürmte, lag ein schwerer Kummer. Schwester Marthas kurzes Eheleben hatte die Abneigung, die ihr Bruder gegen den Mann ihrer Wahl an den Tag legte, nur zu sehr gerechtfertigt. Sie war plötzlich von einer schweren Krankheit befallen worden, und erst mehrere Monate später erfuhr Will, daß die Kenntnis von dem unehrenhaften, treulosen Charakter ihres Mannes ihren raschen Tod herbeigeführt hatte. Einer der vielen Gläubiger ihres Gatten, der sich eines Tages in Abwesenheit des Hausherrn an sie wandte, hatte ihr die Augen geöffnet und im Ärger über die Verweigerung einer Schuldbegleichung diesen der Bigamie angeklagt. Dieser Schlag war zu hart für Marthas reines, liebevolles Gemüt, das durch Vernachlässigung und rohe Behandlung ohnedies schon tief verletzt war. Die ganze Nacht lag sie in Fieberphantasieen, in denen sie sich nur mit ihrem geliebten Will beschäftigte, mit der Gefahr, in der er schwebte, und zwar nicht allein der körperlichen, sondern vor allem der moralischen, da sie fürchtete, daß der Umgang mit den rauhen, tollkühnen Männern einen schädlichen Einfluß auf ihn ausüben werde. Plötzlich richtete sie sich auf, klare Vernunft leuchtete wieder aus ihren Augen, und mit dem freudigen Ruf: »Sagt der Mutter, Will sei gerettet, er ist gerettet!« fiel sie aufs Kissen zurück und verschied. Auf ihrem Antlitz lag der Friede, den die Welt nicht geben, aber auch nicht nehmen kann.

Unser Schwager C. war von Leawenworth in den fünfundzwanzig Meilen entfernten Kreis John gezogen, und da es dort weder Telegraph noch Postverbindung gab, hatte er selbst den Leichnam zu uns überführt. So erfuhren wir Marthas Tod erst, als ihre sterblichen Überreste über die Schwelle unseres Hauses getragen wurden, über jene Schwelle, die sie vor noch nicht einem Jahre als schöne, glückstrahlende Braut überschritten hatte. Noch waren wir wie betäubt von dem Schlage und hegten nur den einzigen Wunsch, Will möchte doch zurückkehren, ehe wir seine von ihm vergötterte Schwester auf immer in ihre enge Zelle legen mußten.

Die ganze Familie, C. mit eingeschlossen, war schweigend und tiefbetrübt in der Wohnstube versammelt, als Türk plötzlich lauschend den Kopf hob und mit einem Satz zur Türe hinausstürzte.

»Will kommt!« rief die Mutter, und wir alle liefen zum Hause hinaus. Schon jagte Türk den langgestreckten Hügel hinan, auf dessen Höhe ein beweglicher Punkt sichtbar wurde, von dem der Hund wußte, daß es sein Herr sei. Sein scharfes Ohr hatte den wohlbekannten Pfiff eine halbe Meile weit gehört.

Nachdem Türk seine Wiedersehensfreude geäußert, bereitete er Will auf den ihn erwartenden Kummer vor, indem er den Kopf auf die Erde legte und wiederholte Klagetöne ausstieß. Wills erster Gedanke war die Mutter, und in atemloser Hast lief er den Hügel hinunter. Wir Mädchen waren ihm ein Stück weit entgegengegangen und teilten ihm unter Schluchzen die Trauerkunde mit.

Voll starren Entsetzens hörte er uns an, dann aber brach der Knabe, der vor zwei Indianergefechten nicht zurückgebebt war, zusammen und schluchzte mit uns.

»Steht jener Schurke in irgend einem Zusammenhang mit ihrem Tode?« fragte er, nachdem der erste Schmerzenausbruch vorüber war.

Julia, die damals noch keines Besseren unterrichtet war, erwiderte, daß C. der liebevollste Gatte gewesen und untröstlich über ihren Tod sei. Trotz dieser Versicherung hatte Will, als er das Haus erreichte, weder einen Blick noch ein Wort für den Schwager, sondern schlang nur seine Arme um der Mutter Nacken und tauschte Worte der Liebe und Teilnahme mit ihr aus.

Bald darauf wurde Martha an Vaters Seite gebettet, und während wir weinend das Grab umstanden und die letzte Schaufel Erde auf den Sarg gefallen war, ging Will, unfähig sich länger zu beherrschen, auf C. zu und sagte: »Mörder, eines Tages sollen Sie mir Rechenschaft geben über den Tod derjenigen, die hier liegt!«

Als Will sich hernach bei Russell, Majors & Waddell meldete, wurde ihm gesagt, daß man mit seinen Diensten in hohem Grade zufrieden gewesen sei, und daß er zu jeder beliebigen Zeit wieder Arbeit bekommen könne. Das war sehr erfreulich, aber noch größeres Vergnügen bereitete es ihm, seinen Winterlohn in der Mutter Schoß zu legen. Durch seine Unterstützung und ihre kluge Geschäftsführung befanden wir uns jetzt in guten Vermögensverhältnissen, und da das Salzflußtal sich seit kurzem eines Schulhauses rühmen konnte, so wünschte die Mutter, daß Will jetzt dort eintrete. Er war noch so jung, als er nach dem Westen kam, daß er vorher nur kurze Zeit die Schule hatte besuchen können. Nach dem abwechslungsreichen Prärieleben war das Stillsitzen freilich eine harte Aufgabe für ihn, doch sagte er sich, daß die Welt auch außerhalb des nebligen Horizonts der Prärie gar viel des Wissenswerten bergen müsse, und so betrat er mit dem ehrlichen Vorsatze, sich voll Ernst der Arbeit hinzugeben, die Schule.

Unser Lehrer war noch einer vom alten Schlage. Er unterrichtete nur, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hatte keine Freude an seiner Arbeit und verstand nicht, mit Kindern umzugehen. Sein Motto war: »Mach dir's so bequem als möglich!« Da Will nun aber trotz aller guten Vorsätze auch in der Schule ein wilder Geselle blieb, so mußte der Lehrer bei ihm mehr als bei allen anderen Schülern seinem Grundsatz untreu werden und fast täglich bei Will, wenn auch erfolglos, von der Rute Gebrauch machen. Die Klasse war in zwei große Feldlager geteilt; ein Teil der Schüler stand auf des Lehrers, der andere auf Wills Seite. Wenn der Lehrer dann seine Anhänger aussandte, um Ruten zu sammeln, fingen wir Mädchen an zu weinen, während die Mutigeren unter uns die Fäuste ballten und »jenen schon dafür tun wollten, Ruten heimzubringen«. Ja, das waren stürmische Zeiten im alten Salzflußtale!

Eines Morgens nun schien auch Türk von Wissensdrang ergriffen zu werden, denn er begleitete Will zur Schule. Wir versuchten, ihn nach Hause zu schicken, doch folgte er uns heimlich in einiger Entfernung nach, und als wir das Schulhaus betraten, tauchte er aus dem den Weg begrenzenden Gebüsch auf und kroch unter das Blockhaus.

Doch ach, zum Unglück für Schule und Schüler hatte sich bereits ein anderer Hund unter dem Tempel der Gelehrsamkeit niedergelassen.

Will, dessen Kenntnisse, oder besser gesagt Unkenntnisse, gerade einer harten Prüfung unterzogen wurden, hatte eine schwere Viertelstunde durchgemacht. Würde man ihn gefragt haben, wie ein Indianerpfad und eine Quelle aufzufinden oder ein Zelt aufzuschlagen sei, so hätten seine Antworten gewiß klar und bestimmt gelautet. Die Fragen des Lehrers aber erschienen ihm beinahe ebenso verrückt, als die der Schildkröte in »Alice im Wunderland«.

Da kam ihm Türk unvermutet zu Hilfe. Ein Knurren ließ sich vernehmen, dann wütendes Heulen und Kläffen, während man durch den Boden hindurch die Stöße und Schläge der kämpfenden Hunde hörte. Mit einem Aufschrei, der einem Indianer Ehre gemacht hätte, war Will aus der Türe verschwunden und schrie nun aus Leibeskräften: »Bring ihn um, Türk, bring ihn um!«

Der Besitzer des feindlichen Hundes war ein gewisser Steve Gobel, mit dem Will schon lange in Fehde lebte. Auch Steve kam mit dem herausfordernden Rufe: »Wehr dich, Nigger!« und auch die übrigen Schüler versammelten sich allmählich auf dem Kampfplatz. So eng verschlungen waren die beiden sich windenden, kläffenden Hunde, daß man sie kaum auseinander zu halten vermochte. Eliza und ich schrieen nach Türk und weinten, weil er nicht auf uns hören wollte. Der Lehrer rief die Kinder ins Schulzimmer zurück, aber sie waren ebenso taub als Türk, worauf der wütende Pädagoge wie toll herumsprang, mit dem Stock in der Luft fuchtelte und auf jeden Knaben losschlug, der in seinen Bereich kam.

Nigger wurde des Kampfes bald überdrüssig, und seine Schwanzstandarte senkend, räumte er unter lautem Gekläffe das Feld. Sein Herr aber, Steve Gobel, ein großer Bengel zwischen neunzehn und zwanzig Jahren, zog seinen Rock aus und war im Begriff, des Hundes Niederlage an Will zu rächen, als der Lehrer einen salomonischen Vergleich bewerkstelligte, indem er beide Jungen dafür durchprügelte, daß sie ihre Hunde mit zur Schule gebracht hatten, worauf der unterbrochene Unterricht wieder aufgenommen wurde.

Gobels Grimm war jedoch damit nicht erstickt, sondern machte sich in tausend kleinen Feindseligkeiten Luft. Will aber, der wieder tüchtig hinter seiner Arbeit steckte, schenkte diesen keine Beachtung. Erst als Fräulein Mary Hyatt mit in die Fehde verwickelt wurde, erreichte sie ihren Höhepunkt. Will war ein ausgesprochener Liebling der Damen, und obwohl Mary älter war als er, so zeigte sie ihm doch deutlich, daß sie ihn Master Gobel vorzog. Steve war eben auch kein solcher Held wie Will, sondern ein ganz alltäglicher Junge, der sich noch in keinem Indianerkampfe ausgezeichnet hatte.

Wills Leben wurde jetzt in der Tat immer unerträglicher; seine Geduld hatte ihr Ende erreicht. Trotzdem wußte er wohl, daß ein elfjähriger Knabe einem fast erwachsenen Manne als Gegner nicht gewachsen sei, und um die Kräfte einigermaßen auszugleichen, versah er sich heimlich mit einem alten Dolche. Als er dann am nächsten Tage wieder mit Steve zusammentraf, bekräftigte dieser seine großmäuligen Stichelreden damit, daß er Will einen heftigen Schlag versetzte; dabei aber war er freilich nicht auf den Stoß gefaßt, der ihn rücklings auf die Erde warf. Bald jedoch machten sich Größe und Stärke in dem nun folgenden Kampfe geltend, und Will stieß nun mit einem geschickten Griff die Dolchspitze in den fleischigen Teil von Steves Bein, eine Stelle, wo er wußte, daß der Stich nicht gefährlich sei.

Der verwundete Großsprecher brüllte, man habe ihn getötet. Laut schreiend und weinend scharten sich die Schüler beim Anblick des Blutes um ihn her. »Will Cody hat Steve Gobel ermordet,« lauteten die Wehklagen. Obwohl Will von Steves leichter Verwundung überzeugt war, so mußte er sich angesichts des in seinem Blute liegenden Gegners doch eingestehen, daß die auf den Pfaden durch den wilden Westen übliche Kampfesart in einer für das Studium des Buchstabierens, Rechnens und der Geschichte bestimmten Gemeinschaft nicht nur nicht gewürdigt wurde, sondern daß die Tat eine Übertretung des bürgerlichen Gesetzes sei, und daß er auch in der Selbstverteidigung nur dann das Recht habe, ein Messer zu gebrauchen, wenn sein eigenes Leben bedroht war.

Nun kam auch der empörte Lehrer auf den Kampfplatz gelaufen, und ein Blick aus dessen Augen genügte, Will unverzüglich in die Flucht zu treiben. Unterwegs stieß er auf einen Ochsenzug, in dessen Führer er zu seiner unbeschreiblichen Freude den bei Russell, Majors & Waddell angestellten Wagenmeister John Willis erkannte. Rasch sprang er hinter ihm aufs Pferd und erzählte seinem aufmerksam lauschenden, teilnehmenden Zuhörer die Geschichte seiner Flucht.

»Wenn du willst, Billy, so reite ich hinüber, prügle die Gesellschaft zuerst durch und jage dann die ganze Schule in die Flucht.«

»Nein, nein, lassen Sie die Schule in Frieden,« erwiderte Will, »dagegen möchte ich gar zu gern diese Reise mit Ihnen machen.«

Willis stimmte bereitwilligst ein, bestand jedoch darauf, vorher zum Schulhause zurückzureiten. »Denn,« sagte er, »es soll nicht ungerächt bleiben, daß dich ein großschnäuziger Bursch und ein tölpelhafter Lehrer mit etwas Schulweisheit, aber ohne ein Körnchen Verstand nur so ohne weiteres durchprügelten.« Seiner Ansicht nach mußte jetzt ein Kampf zwischen ihm und Billy auf der einen Seite und Steve und dem Pädagogen auf der anderen Seite stattfinden.

Will gab nach, und so ritten sie miteinander zum Schulhause. Willis klopfte mit dem Pistolenlauf an die Türe, und nachdem sich diese geöffnet hatte, forderte er Gobel und den Schulmeister zum Kampfe heraus. Steve aber war nach Hause gegangen, und als der Lehrer die beiden Gladiatoren erblickte, entfloh er, während die sich selbst beurlaubenden Schüler voll Schrecken nach Hause liefen.

Unsere Mutter aber erhielt noch am selben Abend einen Brief vom Lehrer.

»Er sei nicht angestellt worden,« schrieb er, »um solch zügellose Tollköpfe zu unterrichten. Will sei hiermit aus der Schule entlassen.« Dieser hatte sich jedoch bereits selbst beurlaubt und jener größeren Schule zugesellt, deren Decke das blaue Himmelszelt war.

Kaum hatten Willis und Will ein kurzes Stück auf ihrem Wege zurückgelegt, als sie mehrere Reiter auf sich zukommen sahen.

»Der alte Gobel und die Gerichtsdiener sind hinter mir her,« rief Will.

»Hinter dir her sein und dich kriegen ist zweierlei,« antwortete der Wagenmeister. »Versteck dich im Wagen, ich will schon mit den Leuten fertig werden.«

Gobel und seine Begleiter ritten jetzt heran und fragten nach Will, um ihn festzunehmen, erhielten aber keine befriedigende Auskunft, und da Willis ihnen auch das Untersuchen der Wagen nicht erlaubte, so hatten sie keine andere Wahl, als sich zu entfernen. Am Abend, nachdem das Lager aufgeschlagen war, gab der Wagenmeister Will einen Maulesel und begleitete ihn heim. Wir waren sehr froh, ihn mit heiler Haut wiederzusehen, besonders die Mutter, die seine Flucht sehr bekümmert hatte.

»Aber Will, wie konntest du so etwas tun!« sagte sie betrübt. »Es ist ein großes Unrecht, mit dem Messer auf jemand loszugehen.«

Will versicherte, durchaus keine mörderischen Absichten gehabt zu haben, doch vermochten seine Erklärungen der Mutter Mißbilligung und ihre Enttäuschung über die Unterbrechung seiner Schülerlaufbahn nur wenig zu mildern. Da sie keinen besseren Ausweg sah, so willigte sie ein, daß er den Frachtzug unter dem Befehl John Willis' begleite, worauf der Rest der Nacht mit Reisevorbereitungen verbracht wurde.

* * *


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