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Hochgelahrter, Hochzuehrender Herr Vetter,
Es wird dem Herrn Vetter bekannt sein, daß in den neuen Zeiten die alten Kirchenlieder verändert werden. Nun bin ich überzeugt, daß die Obrigkeit für die Untertanen nicht leicht besser sorgen und ihnen nicht leicht etwas Bessers geben kann als ein gutes Gesangbuch. Denn über kräftige Kirchenlieder geht nichts; es ist 'n Segen darin, und sie sind in Wahrheit Flügel, darauf man sich in die Höhe heben und eine Zeitlang über dem Jammertal schweben kann. Auch mögen wohl viele Lieder nicht so sein, als sie sein sollten etc., das ist alles wahr. Aber ich weiß nicht, ob's an dem Verbessern oder an den Verbesserern liegt; genug, ich kann mir nicht helfen, daß es mich um einige alte Lieder nicht dauren und leid sein sollte. Das Kleid macht, dünkt mich, den Mann nicht; und wenn der Mann gut ist, so ist alles gut. Ob da ein Knopf unrecht sitzt oder eine Naht schief genäht ist, darauf kommt am Ende wenig an; und wer sieht darnach? Man ist einmal daran gewöhnt, und oft steckt's grade darin und muß so sein.
So ein: »Befiehl Du Deine Wege« z. E., das man in der Jugend, in Fällen wo es nicht so war wie's sein sollte, oft und andächtig mit der Mutter gesungen hat, ist wie ein alter Freund im Hause, dem man vertraut und bei dem man in ähnlichen Fällen Rat und Trost sucht. Wenn man den nun anders montiert und im modernen Rock wiedersieht; so traut man ihm nicht, und man ist nicht sicher: ob der alte Freund noch darin ist – und ich sehne mich denn immer nach dem falschen Knopf und der schiefen Naht.
Und da pfleg' ich wohl bisweilen in der Kirche, wenn die Gemeine nach der Verordnung singt, still zu schweigen und im Herzen die alte Weise zu halten; und da wollte ich nun gerne von dem Herrn Vetter wissen und vernehmen: »ob das auch gegen den Respekt ist, den ich der Obrigkeit schuldig bin, und ob ich das mit gutem Gewissen tun kann; samt, wenn ich ganz allein und für mich bin: ob ich denn nur rein heraus singen darf?«
Ich hasse allen Ungehorsam von Herzen, so viel Aufhebens auch von einigen davon gemacht wird. Der ich die Ehre habe, mit besonderem Estim zu verharren
Hochgelahrter,
Hochzuehrender Herr Vetter,
Der
ergebenster Diener
Asmus.
Die öffentliche Ordnung müßt Ihr nicht stören, Vetter; im Herzen könnt Ihr singen, wie Ihr wollt. Denn übers Herz hat die Obrigkeit nichts zu befehlen. Und die Grad-Nähter noch weniger.
Guten Tag, lieber Andres, und fröhliche Ostern.
Es ist mir sehr lieb, daß Du mich über Johannes den Täufer zu Hilfe rufst. Nicht zwar, weil ich eben sonderlich helfen kann; sondern weil ich so gerne von ihm spreche und sprechen höre.
Du schreibst, daß er Dir so groß vorkömmt, und Du kannst Dir doch nicht recht sagen warum. Das ist recht gut, Andres. Man weiß oft grade denn am meisten, wenn man nicht recht sagen kann warum.
Daß nun Johannes der Täufer uns groß vorkömmt, ist kein Wunder. Seine ganze Geschichte von der Stunde des Räucherns an bis an das »Haupt auf einer Schüssel« ist sehr sonderbar; und es ist uns im Sinn, was von sicherer Hand von ihm gesagt ist. Und die Stelle sonderlich, wo er steht, trägt zu seiner Glorie bei. Denn je mehr Zusammenhang mit Christus und je näher um und an Ihn, desto größer. Nun hängen freilich alle wahre Weise und Männer Gottes seit der Welt Anfang mit Christus zusammen wie die Ströme und Flüsse mit dem Meer. Petrus und Paulus sagen das mit klaren Worten, und die große Unterredung auf dem heiligen Berge »über den Ausgang zu Jerusalem« gibt es wohl zu verstehen. Aber Johannes der Täufer steht in der sichtbaren Welt zunächst und unmittelbar vor Ihm und zieht also natürlich zunächst den Blick auf sich. Also groß vorkommen muß er. Die Außen- und Um-Werke, wenn ich so sagen darf, fallen sehr in die Augen. Seine innerliche eigne Größe aber fällt nicht sehr in die Augen, und deswegen will es mit dem Warum nicht fort. Sie ist aber darum nicht weniger groß.
Schon das mit dem König Herodes, daß er den nicht sich selbst von dem nahen Heil ausschließen und verkommen lassen wollte und lieber seinen Hals daran wagte, schon das spricht für ihn. Es ist eine leichte und schlechte Kunst, Andres, den Königen und Fürsten zu trotzen und ihrem verkehrten Willen, wenn sie einen haben, einen andern verkehrten Willen entgegen zu setzen. Aber, wenn ein Mann, der sich besserer Dinge und des göttlichen Willens bewußt ist, wenn der nicht das Seine, sondern das des Königs sucht und ihn auf seinem Thron und mitten unter seinen Gewaltigen straft und schilt, wenn er so unglücklich ist, Übels zu tun – das ist ein ander Ding.
Du weißt, was Johannes der Täufer für Vorteil davon gehabt, und wie er sich des nicht geweigert hat. Dies nun aber will ich ihm so hoch nicht anrechnen. Ich kann es nicht so groß und schwer finden, daß er und alle die Leute, die das Glück gehabt haben, Christus näher zu kennen, daß sie sich für Ihn haben köpfen und sengen und brennen lassen können. Das könnte man für Ihn wohl hinterm Berge tun, und wenn man nur die Evangelisten gelesen hat. Aber daß Johannes der Täufer auf ebnem Wege so treu sein; daß er so durch die Menschen hingehen und sich nichts als die gute Sache treiben lassen; daß er die Wahrheit immer so über alles achten und so fest im Auge behalten; daß er so demütig sein und unter allen Umständen bleiben konnte etc.; kurz, daß er so klein war und daß die menschliche Natur sich in ihm gar nicht rührte – das ist schwer! Andres. Das ist groß! Und von dieser Seite kann man die Gestalt Johannes des Täufers nicht lange und andächtig genug ansehen, in allem was die Schrift von ihm sagt.
Er sollte vor dem Herrn hergehen, daß er seinen Weg bereite. Mehr sollte und mehr konnte er freilich nicht. Wer Sonnenstrahlen machen will, der ist ein Quacksalber und kennt weder sich noch die Sonne; wer aber die Berge und Hügel, die ihr im Wege stehen, abträgt und erniedrigt, der treibt ein wahres Werk und ein sehr großes. Aber er faßt auch ein heißes Eisen an, denn er wird Vater und Mutter und seine eigne Hausgenossen wider sich erregen, wenn er Gott zum Freunde haben will. Es ist kein Heil außer dem Heil, und die Götzenbilder müssen umgestoßen und weggetan werden. Andres, schlage an Dein Herz! Da steckt das Geheimnis, und da muß, das nichts ist, etwas werden, und zu nichte werden, was etwas ist. Denn die Wahrheit hat alles, und es fehlt ihr nichts als eine Herberge, als Platz und Raum für ihre Herrlichkeit.
Aber wir wollten die Gestalt des Vorgängers der Wahrheit ansehen.
Als die Nachricht von ihm, als dem Boten des Heils, aus der Wüsten nach Jerusalem und der Gegend umher gelangte, gingen sie hinaus, brillante Dinge und einen Mann in weichen Kleidern zu sehen. Du kannst denken, daß Johannes wohl gewußt habe, wie sie ihn erwarteten und lieber gehabt hätten. – Aber er stand da in seinem Rock von Kamelhaaren und predigte Buße.
Das Volk war in dem Wahn und dachten alle in ihren Herzen von Johannes, ob er vielleicht Christus wäre; er war wirklich Elias und wohl mehr als ein Prophet. Und als die Deputierte von Jerusalem, Priester und Leviten, zu ihm kamen und ihn fragten: wer bist Du? – »bekannte und leugnete er nicht, und er bekannte: ich bin nicht Christus. Bist Du Elias? – und er sprach: ich bin's nicht. Bist Du ein Prophet? – und er antwortete: Nein!« etc.
Die Stadt Jerusalem ging zu ihm hinaus und das ganze jüdische Land und alle Länder am Jordan, und ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden. Und nun kamen vollends die Lichter und Angesehene im Volk, viele Pharisäer und Sadduzäer, öffentlich dazu. – »Und als er sie kommen sah, sprach er zu ihnen: Ihr Ottergezüchte, wer hat denn Euch geweiset, daß Ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Sehet zu, tut rechtschaffene Früchte der Buße« etc.
Die um ihn standen, sahen ihn an und hielten ihn für einen Mann vom Himmel, der alles wisse und in Händen habe; hielten seine Predigt für lauter himmlische Gesichte und Offenbarung und seine Taufe für eine Geistes- und Wunder-Taufe. – Und er sagte: »Ein Mensch kann nichts nehmen, es werde ihm denn gegeben vom Himmel. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Wer vom Himmel kommt, der ist über alle. Ich taufe mit Wasser; aber nach mir kömmt einer, der wird Euch mit Feuer und dem heiligen Geist taufen, des ich nicht wert bin, daß ich seine Schuhriemen auflöse.«
Lebe wohl, Du lieber Andres etc.
Hochedelgeborner, Hochzuehrender Herr Vetter,
Ich habe Ew. Hochedelgeborn etwas zu sagen und zu fragen, daran mir doch gelegen ist und darüber ich seit einiger Zeit in einer Art von Verlegenheit bin.
Seht, meine Kinder wachsen heran, und ich weiß nicht: ob ich sie soll vernünftig oder unvernünftig werden lassen.
Verstehen Ew. Hochedelgeborn wohl, wie das zu verstehen ist. Eigentlich unvernünftig will ich sie nicht haben, das kann der Herr Vetter auch wohl denken. Warum sollte ich sie unvernünftig haben wollen? So toll werde ich ja nicht sein, das können Ew. Hochedelgeborn wohl denken. Aber ob es vielleicht mehr als eine Vernunft gibt, ich kann in die heurige mich nicht finden. Sie nennen Dinge vernünftig, die ich unvernünftig, und Dinge unvernünftig, die ich vernünftig finde. Da bin ich nun zwischen Tür und Angel und weiß nicht: ob ich eine unvernünftige Vernunft oder eine vernünftige Unvernunft vorziehen soll. Als zum Exempel, da haben sie das bekannte Ding von der permanenten Aufklärung und daß von nun an alles mit Vernunftgründen getrieben und gezwungen werden soll. Das Ding scheint mir gar artig und bequem, und ich habe es so gerne begreifen wollen; aber ich kann es nicht begreifen. Das kann ich wohl begreifen, daß Vernunftgründe da hingehören, wo sie hingehören; aber das kann ich nicht begreifen, daß sie da hingehören, wo sie nicht hingehören, und ich komme immer darauf zurück: wo sie nicht dienen, da gehören sie nicht hin, und wo sie nicht hingehören, was sollen sie da? – Lacht man doch über jenen Prediger, der am Ufer stand und den Fischen predigte.
Dem Herrn Vetter kann ich's wohl sagen, ich habe auch einmal unter der Hand mit dieser neuen Art und Kunst einen kleinen Versuch bei meinen Kindern gemacht. Aber das wäre mir fast übel bekommen, und die Jungens hätten mich bald zum Hause hinaus raisonniert. Flugs ergriff ich wieder die strikte Observanz und halte seit dem strenge auf Gehorsam; und das geht viel besser. Auch ist, dünkt mich, Gehorsam an sich etwas Löbliches und Liebliches, und man kann ein Kind, das aufs Wort gehorcht, und so ein enfant raisonneur nicht neben einander sehen, ohne das eine zu lieben und dem andern die Rute zu gönnen.
Es gibt freilich gute Gründe für alles, was ein Kind tun muß; aber selten kann das Kind die verstehen, und oft darf es sie nicht wissen, wenn nicht mehr verdorben als gut gemacht werden soll.
Wie denn nun? Soll nun alles stehn und liegen bleiben; und, weil das Warum nicht an den Mann will, auch das Was an den Nagel gehängt werden?
Ich denke, man wehrt lieber der ersten Not und gewöhnt die Kinder einstweilen an das Was.
Das Warum ist ein heimlicher Schatz, der ihnen aufbewahrt bleibt, und der am besten vor der Hand mit Fidekommiß belegt wird, bis sie zu Verstand kommen. Dann mögen sie ihn finden und einsäckeln und uns im Grabe danken.
Aber ich gehe noch weiter, Herr Vetter, und sage: daß oft unvernünftige Gründe, die helfen, Gott vergeb' mir die Sünde, besser sind als vernünftige, die nicht helfen.
Der Herr Vetter weiß, daß die Wahrheit einem ehrlichen Kerl über alles geht. So gibt es auch Unwahrheiten und Aberglauben, die durchaus ausgerottet und nicht geduldet werden müssen. Ich meine nur, daß die Vernunft nicht immer gradezu und ohne Unterschied zufahren muß, und daß es Fälle gibt, wo es besser ist, sich um einer guten Absicht willen bis weiter so gut zu helfen, als man kann. Nimmt man es doch keinem Menschen übel, wenn er seinen Freund hinters Licht führt, um ihm eine Freude zu machen, und ihn auf einen Fleck hinzubringen, wo er ihn haben will, und wo er ihn mit der Wahrheit nicht hinbringen konnte, ohne das ganze Spiel zu verderben.
Ich will ein Exempel geben. Der Herr Vetter weiß die Kinderstubensage: »daß neugeborne Kinder nicht alleingelassen werden dürfen, weil sonst der Alp das Kind holt und dafür einen Wechselbalg in die Wiege legt«. Nun will ich grade nicht dafür stehen, daß es Wechselbälge gibt; ich, für meine Person, habe nie keinen gesehn, es möchte denn sein, daß die Wärterin der Vernunft der Zeit nicht auf ihrer Hut gewesen wäre. Aber ich weiß, daß gute Gründe vorhanden sind, die Wärterinnen glauben zu machen, daß sie neugeborne Kinder nicht aus den Augen lassen dürfen; und daß diese Gründe bei allen Wärterinnen nicht rechtskräftig sind. Wenn nun jemand, der das auch wußte und die Natur der Wärterinnen besser kannte als unser eins, wenn nun der den Alp und Wechselbalg inventiert hätte, um allen neugebornen Kindern einen Dienst zu tun; wer ist der Klügste, der, der den Wechselbalg auf die Bahn brachte, oder der Ritter Sankt Georg, der ihn mit seinem Lichtspeer erlegte?
Aber es gibt doch vielleicht keine Wechselbälge! Wohl wahr. Aber wer weiß, wie viel es vielleicht nicht gibt von dem, was andre täglich inventieren; und wer kann sagen, ob alle die hochberühmten Kinder, die in der philosophischen Wiege gewiegt werden, echt sind? Was schadet denn ein Wechselbalg mehr oder weniger, wenn er sonst nur kein Gift unterm Schwanze führt?
Der Erfinder des Wechselbalgs mochte wohl auch wissen, daß es keine Wechselbälge gibt; aber er stellte sich dumm, weil er Gutes stiften wollte. Wer die Kunst versteht, verrät den Meister nicht. Aber der Ritter Aufklärer Sankt Georg verstand die Kunst nicht, plapperte die Sache aus und störte das Gute. Und ist das so etwas Großes und des Geschreies wert?
Der Herr Vetter mag nun sagen, wer Recht hat; der, der sich klug dünkt, oder der, der sich dumm stellt? Und ob alte Leute nicht Kinder- und Kälber-Maß wissen müssen usw. Und so viel von dem ersten Punkt oder von Aufklärung und Aberglauben.
Der zweite Punkt betrifft Glauben und den allgemeinen Sturm, den die Vernunft itziger Zeit auf geoffenbarte Religion läuft. Und da habe ich mich bei Ew. Hochedelgeborn gehorsamst erkundigen wollen: ob es damit auch wohl Not haben sollte?
Ich zwar kann es mir kaum einbilden. Denn sieht der Herr Vetter, ich habe, sans Compraison, nur ein Geheimnis: Dinte zu machen, und das ist ja nur ein kleines und schlechtes Geheimnis; alle Welt macht Dinte. Aber laß die Vernunft mir doch einmal a priori mein Rezept raten. Und was einer nicht raten kann und nicht weiß, darüber kann er, dünkt mich, doch eigentlich nicht urteilen und richten.
Doch die Vernunft soll so überaus kunstreich sein, daß sie das kann. Nun, so mag sie denn beweisen und bewiesen haben, so viel sie will: daß meine Kunst, Dinte zu machen, nicht tauge, und daß es gar solch eine Kunst nicht gebe. Aber was geht das mein Rezept an? Hab' ich's darum weniger? Und wird es darum keine gute Dinte machen? –
Und doch will die Vernunft über das Geheimnis der Religion richteln! – – –
Und wenn der Schäker noch was Bessers an ihrer Stelle zu geben hätte. Aber das fehlt viel.
Was sie »natürliche Religion« nennen, ist wohl eine feine äußerliche Zucht, aber es ist nicht würdig und wohl geschickt.
Dem Menschen muß etwas wahr und heilig sein! Und das muß nicht in seinen Händen und nicht in seiner Gewalt sein; sonst ist auf ihn kein Verlaß, weder für andre noch für ihn selbst. Was soll doch einer für Furcht vor Götter haben, die er selbst inventiert und gemacht hat? Und was kann er von ihnen für Trost erwarten? – Auch ist das scharfsinnigste Gemächt der Selbstgöttler eigentlich nur zum Staat und für die guten Tage, und ich hab's mehrmal gesehn, Vetter, wenn's was gilt, so lassen sie die Ohren hängen.
Und nun zum Beschluß noch eine Frage: Soll ich meine Kinder die »kritische Philosophie« studieren lassen oder nicht studieren lassen? Die Meinungen über die Philosophie sind so verschieden. Einige sagen, daß sie von nichts zu etwas, und andre wieder, daß sie von etwas zu nichts führe. Nun ist mir das Nichts von jeher in der Seele zuwider gewesen, und ich habe nie können recht dahinter kommen, was es eigentlich für ein Ding ist. Ich mag es sonst wohl, daß meine Kinder von allem mitsprechen können. Nur muß es sie nicht verderben. Verdorben will ich sie nicht haben, für keinen Preis.
Ich wollte sie so gerne gut haben, lieber Vetter! Gib mir Rat dazu, und ich lasse mir einen Finger für Dich abhacken.
Der ich die Ehre habe, mit besonderer Hochachtung zu sein,
Hochedelgeborner, Hochzuehrender Herr Vetter, Ew. Hochedelgeborn
ganz gehorsamster Diener etc.
Sparet den Finger, Vetter! Denn wenn ich Euch probaten Rat geben könnte, so wäre er doch zu wenig, und für das, was ich Euch geben kann, ist er viel zu viel.
Ich protegiere Eure Philosophie mit Leib und Seele, Vetter; doch rate ich immer, daß Ihr Eure Kinder vernünftig werden lasset.
Mit den Produkten der Zeit müßt Ihr es so genau nicht nehmen. Die Vernunft ist heuer Mode, und Ihr wißt wohl, wie es mit den Modewaren ist. Sie sind nicht immer solide gearbeitet und können es bei der Menge, die gefodert wird, und bei der Verschiedenheit der Lieferanten auch nicht sein. Übrigens halten sie ihre Zeit, und so weiter.
Was den zweiten Punkt oder den Sturm, der auf geoffenbarte Religion gelaufen wird, anlangt: da sollte ich nicht denken, Vetter, daß es damit Not hätte. Haltet Ihr nur Euer Dintenrezept unter Schloß, und seid ganz ruhig. Die Leute zu Eleusis hatten weiland auch ein Rezept, Dinte oder sonst etwas zu machen, und daran rät die Vernunft nun schon an die dreitausend Jahre, und noch hat sie es nicht geraten. Gewisse Talente kann man ihr nicht absprechen, und es mag wohl sein, daß einige Leute sie zu scheel ansehen und zu despektierlich von ihr denken und sprechen; aber verlaß Dich sicher darauf, daß es Dinge gibt, die sie, ungeholfen, nicht kann und nicht weiß.
Seht, es ist eigens mit ihr bestellt. Wo in abstracto gespielt wird, da ist sie sehr behende, in die Karten zu gucken und ihr Spiel zu machen. Aber bei dem Positiven will es nicht fort. Und, Vetter, wenn sie auch Euer und aller Welt Geheimnisse raten könnte und geraten hätte, so liegt doch das Geheimnis der Religion sehr sicher; denn das ist einzig und sondrer Art.
Deswegen blieben auch sonst die größten Weltweisen, wie zum Exempel Newton, Bacon, Boyle etc., wenn sie Geheimnisse der Natur oder der Kunst geraten hatten, vor diesem mit Bescheidenheit und Respekt stehen. Und wenn das neuerer Zeit nicht geschieht, so geschieht das, nicht weil die neuen Newtons besser und mehr wüßten, warum sie weiter gehen, denn das fällt ihnen selbst wohl nicht ein; sondern weil sie nicht mehr wissen und verlernt haben, warum sie stehen bleiben sollten; es geschieht, weil gewisse Leute, die sonst wenigstens den Wohlstand respektierten, dahin verfallen sind, selbst weiter zu gehen und es hierin einer dem andern zuvorzutun; und weil die Welt nach und nach leichtsinnig gemacht und gewöhnt ist, sich dergleichen Dinge gefallen zu lassen oder gar zu bewundern. Bewundre Du dergleichen Dinge nicht und bleibe auf Deinem Wege. Du brauchst denn auch nicht umzukehren, wenn der Rausch vorüber sein wird.
Wir fühlen wohl alle die großen Schwierigkeiten der Abschaffung aller Imperative und der Verwandlung der Moralität in Heiligkeit. Aber darum. Wir haben die Idee der Sache; die Tradition sagt: sie ist wahr und ist geschehen; und uns alle in unserm Innersten verlangt und dürstet darnach. Daß Du es nicht begreifen kannst, das hat nichts zu sagen. Wie viel kannst Du nicht begreifen, oder lieber, was kannst Du begreifen von dem, was vor Augen ist? Und dies liegt hinter dem Berge.
Wenn einer für sich es nicht glauben kann, so ist das gut. Ein ehrlicher Mann kann nicht glauben, was er nicht glauben kann. Will er aber andre Leute auch nicht glauben lassen und eine Sache leugnen und bestreiten, die so viele gescheute und tugendhafte Menschen glauben und geglaubt haben, so ist das nicht gut, und man muß ihn der edlen Bescheidenheit erinnern. Und wenn er gar beweisen will, daß die Sache nicht möglich sei, so muß man ihm grade ins Gesicht lachen.
Endlich auf Eure Frage wegen der kritischen Philosophie kann ich Euch nicht anders als zweischneidig antworten. Seht, diese Philosophie hat viel Gelenke und ist fein einander gefügt, und es gehört Talent dazu, zu folgen und sich durchzuarbeiten.
Sind Eure Kinder also muntere Bursche, die da wissen, was sie wollen, und die an Mut und Geist grade keinen Mangel haben, so laßt sie daran gehen und sich versuchen und ihre Kräfte üben. Sie werden nicht ruhen, bis sie durchhin sind und dann sehen, was sie haben. Und das wird ihnen den Magen nicht verderben.
Sind sie aber nur mittelmäßige Gesellen, so macht ihnen diese Philosophie schwarz, und haltet sie davon zurück. Denn sie bleiben doch nur darin hängen wie die Lerchen im Netz, und das treibt das Geblüte zu Kopf und taugt nicht.
Zwar sie würden nicht alleine hängen, und es würde ihnen an Gesellschaft nicht fehlen. Aber es ist das doch eine unbequeme Art zu existieren.
Und da lob' ich mir die Philosophen, die sich setzen, wie die allerneuesten tun.
Lebt wohl, Vetter.
Der ich auch die Ehre habe zu sein
Ew.
ganz gehorsamer Diener etc.